Sie würde die Blumen selbst kaufen

Sie würde in die Stadt fahren zu Maxwell’s in der Castle Street, und der Blumenhändler sollte etwas für sie zusammenstellen, etwas Elegantes. Blau für das Wohnzimmer – ein Arrangement in einem Korb für den Kaminsims –, ob er Rittersporn hätte? War es zu spät für Rittersporn? Natürlich war es gleichgültig, welche Jahreszeit gerade war, Floristen bekamen ihre Blumen nicht aus Gärten, sondern aus Treibhäusern in Holland. Und Kenia. Sie züchteten Blumen in Kenia, wo es wahrscheinlich nicht genügend Trinkwasser für die Menschen gab, ganz zu schweigen, um Blumen zu wässern, und dann flogen sie die Blumen hierher in Flugzeugen, die tonnenweise Kohlendioxid in der Atmosphäre abluden. Es war falsch, aber sie brauchte Blumen.

Konnte man Blumen brauchen? Als sie bei Alistir Tait in der Rose Street die Verlobungsringe kauften, sagte Patrick zu dem Juwelier: »Diese schöne Frau braucht einen großen Diamanten.« Im Nachhinein klang es abgeschmackt, aber damals war es charmant gewesen. Mehr oder weniger. Patrick hatte sich für einen alten Stein in einer neuen Fassung entschieden, und Louise fragte sich, welcher arme Kerl ihn vor langer Zeit aus dem Herzen der Finsternis ausgegraben hatte. Blut an ihren Händen.

Patrick war Orthopäde und Chirurg und daran gewöhnt, das Sagen zu haben. »In der Orthopädie geht es vor allem um Hammer und Meißel, es ist eine höhere Form von Tischlerei«, scherzte er, als sie sich kennenlernten, aber er war eine Koryphäe und hätte mit einer Privatpraxis wahrscheinlich ein Vermögen gemacht, doch stattdessen verbrachte er seine Zeit damit, gesetzlich versicherte Patienten mit Nägeln wieder zusammenzufügen. (»Da holt einen der Meccano-Baukasten aus der eigenen Kindheit ein.«)

Louise hatte Ärzte nie gemocht, niemand, der mit Medizinstudenten an einer Universität studiert hatte, würde je einem Arzt trauen. (War Joanna Hunter die Ausnahme von der Regel?) Und wie wählten sie Medizinstudenten aus? Sie nahmen Mittelklassekinder, die gut in Naturwissenschaften waren, und brachte ihnen sechs Jahre lang mehr Naturwissenschaften bei, und dann ließen sie sie auf Menschen los. Menschen waren keine Naturwissenschaften, Menschen waren Chaos. »Tja, das ist eine Art, es zu sehen«, sagte Patrick und lachte.

Sie hatten sich anlässlich eines Unfalls kennengelernt, wie sonst lernten Polizisten Leute kennen? Zwei Jahre zuvor war Louise auf der M8 nach Glasgow zu einer Besprechung mit der Polizei von Strathclyde gefahren, als sie den Zusammenstoß auf der Gegenfahrbahn passieren sah.

Sie war die Erste am Unfallort, noch vor den Krankenwagen, aber sie konnte nichts tun. Ein Sattelschlepper war hinten auf einen dreitürigen Kleinwagen gekracht, zwei Babysitze auf dem Rücksitz, die Mutter am Steuer, ihre kleine Schwester auf dem Beifahrersitz. Der Wagen hatte in einer Schlange an einer Ampel gestanden, die wegen Straßenbauarbeiten vorübergehend aufgestellt war. Der LKW-Fahrer hatte das Warnschild für die Bauarbeiten und die Schlange an der Ampel nicht und den Kleinwagen vor ihm nur flüchtig gesehen, bevor er ihn mit neunzig Stundenkilometern rammte. Der LKW-Fahrer schrieb gerade eine SMS. Ein Klassiker. Louise verhaftete ihn am Unfallort. Sie hätte ihn am liebsten an Ort und Stelle umgebracht. Oder ihn vorzugsweise mit seinem eigenen LKW langsam überfahren. Ihr fiel auf, dass sie blutrünstiger als früher war (und das wollte was heißen).

Der Kleinwagen und alle Insassen waren vollständig zerquetscht. Weil sie die kleinste und schlankste Person am Unfallort war, hatte Louise (»Können Sie’s versuchen, Boss?«) eine Hand durch das, was früher ein Fenster gewesen war, geschoben und versucht, einen Puls zu suchen, die Leichen zu zählen, einen Ausweis zu finden. Sie hatten nicht einmal gewusst, dass sich Babys auf dem Rücksitz befanden, bis Louises Finger gegen eine winzige schlaffe Hand stießen. Erwachsene Männer weinten, darunter der Verkehrspolizist, der Opferfamilien betreute, und die gute alte Louise – in Essig gesotten – legte ihm den Arm um die Schulter und sagte, »Herrgott, wir sind auch nur Menschen«, und erklärte sich bereit, die nächsten Verwandten zu informieren, was zweifellos der mieseste Job der Welt war. Sie schien weichherziger als früher. Blutrünstig, aber weichherzig.

Eine Woche später ging sie zur Beerdigung. Alle vier auf einmal. Es war unerträglich, aber es musste ertragen werden, denn das taten die Menschen. Sie machten weiter. Ein Schritt nach dem anderen, jeder Tag ein Kampf. Sollte ihr eigenes Kind ums Leben kommen, würde Louise nicht weitermachen, sie würde sich umbringen, auf nette, saubere Weise, keine Schweinerei für die Notfalldienste.

Archie wünschte sich zum siebzehnten Geburtstag Fahrstunden, und Patrick sagte: »Gute Idee, Archie. Wenn du die Prüfung bestehst, kaufen wir dir einen anständigen Gebrauchtwagen.« Louise überlegte unterdessen, wie sie Archie davon abhalten könnte, sich jemals an ein Lenkrad zu setzen. Sie fragte sich, ob sie sich möglicherweise Zugang zum Computer der Zulassungsstelle verschaffen und seinen vorläufigen Führerschein sperren lassen könnte. Sie war schließlich Hauptkommissarin, es sollte nicht jenseits ihrer Kompetenzen sein, Polizistin war schließlich das genaue Gegenteil von Krimineller.

Der Fahrer des Wagens davor war ebenfalls schwer verletzt worden, und es war Patrick gewesen, der die Beine des Mannes in einer stundenlangen Operation wieder zusammenflickte. Der LKW-Fahrer, der nicht einmal einen Kratzer hatte, wurde zu drei Jahren Gefängnis verurteilt und war mittlerweile wahrscheinlich wieder auf freiem Fuß. Louise hätte ihm ohne Narkose sämtliche Organe entfernt und sie würdigeren Menschen überlassen. Das erzählte sie Patrick nach der Operation bei einer schlechten Tasse Kaffee in der Krankenhauskantine. »Das Leben besteht aus Zufällen«, sagte er. »Mehr als die Scherben aufsammeln, kann man nicht tun.« Er war kein Polizist, aber es war auch nicht, als würde sie außerhalb der Gemeinde heiraten. Er verstand.

 

Er war Ire, das half immer. Ein Mann mit irischem Akzent konnte weise und poetisch und interessant klingen, auch wenn er es nicht war. Doch Patrick war all das. »Momentan zwischen zwei Ehefrauen«, sagte er, und sie hatte gelacht. Sie wollte keinen Diamanten, weder einen großen noch einen anderen, doch sie hatte trotzdem einen bekommen. »Du kannst ihn verkaufen, wenn du dich von mir scheiden lässt«, sagte er. Er besaß Autorität, und sie mochte, wie er damit alles übernahm, wie er sich keinen Blödsinn von ihr gefallen ließ, aber immer freundlich blieb, als wäre sie kostbar und hätte doch Sprünge, die gekittet werden könnten. Er war Chirurg und glaubte, dass alles gekittet werden konnte. Sprünge konnten nie gekittet werden. Sie war die goldene Schale, früher oder später würde sich der Sprung zeigen. Und wer würde dann die Scherben aufsammeln?

Zum ersten Mal im Leben hatte sie die Kontrolle abgegeben. Und was war passiert? Sie war völlig aus dem Gleichgewicht geraten, das war passiert.

Oder ein Arrangement für den Esszimmertisch. Etwas Kleines, Rotes. Für die rote Gestalt auf dem Teppich. Keine Rosen. Rote Rosen sagten das Falsche. Louise wusste nicht, was sie sagten, aber was immer es war, es war falsch.

»Streng dich nicht so an«, sagte Patrick und lachte.

Aber darin war sie nicht gut, und wenn sie sich nicht anstrengte, scheiterte sie. »Ich kann keine Beziehungen«, sagte sie, als sie zum ersten Mal gemeinsam im Bett aufwachten.

»Kannst du nicht, oder willst du nicht?«, sagte er.

Er hatte sie gezähmt, als wäre sie ein nervöses, wildes Pferd. (Aber was, wenn er einfach nur ihren Willen gebrochen hatte?) Ein Schritt nach dem anderen, langsam, leise, bis er sie eingefangen hatte. Die Zähmung der Widerspenstigen.

Er konnte Beziehungen. Er war fünfzehn Jahre glücklich verheiratet gewesen, als vor zehn Jahren eine Wagenladung jugendlicher Autodiebe auf einer zweispurigen Straße überholte und frontal mit dem Polo seiner Frau kollidierte. Wer immer das Rad erfunden hatte, hatte eine Menge zu verantworten. Samantha. Patrick und Samantha. Sie hatte er nicht kitten können, nicht wahr?

Sie hatte noch genügend Zeit, Zeit, um Blumen zu kaufen, Zeit, um bei Waitrose in Morningside einzukaufen, Zeit, um das Abendessen zu kochen. Seebarsch auf Puy-Linsen, zweimal gebackene Roquefortsoufflés als ersten Gang, eine Zitronentarte zum Nachtisch. Warum es sich einfach machen, wenn es auch schwierig ging? Sie war eine Frau, sie konnte also, technisch gesprochen, alles. Die Roquefortsoufflés waren ein Rezept von Delia Smith. Aufstieg und Fall der Bourgeoisie. Ha, ha. O Gott. Was passierte nur mit ihr, sie wurde zu einer normalen Person.

Sie schwirrte vor Müdigkeit, das stimmte nicht. (Warum? Warum war sie so müde?) In einem früheren Leben, bevor ihre Schönheit in der Größe eines Diamanten gemessen wurde, hätte sie sich mit einem (sehr großen) Drink entspannt, eine Pizza bestellt, ihre Kontaktlinsen herausgenommen, die Füße hochgelegt und irgendeinen Schund im Fernsehen geglotzt, aber jetzt rannte sie herum wie eine Wahnsinnige, sorgte sich wegen Rittersporn und Delia-Rezepten. Gab es einen Weg zurück?

»Wir können absagen«, sagte Patrick am Telefon. »Das ist keine Affäre, du bist müde.« Keine Affäre für ihn vielleicht, eine Riesenaffäre für sie. Patricks Schwester und ihr Mann, zu Besuch aus Bournemouth oder Eastbourne oder so. Irische Diaspora. Sie waren überall, wie die Schotten.

»Sie werden zufrieden sein mit Käse und Toast, oder wir lassen was kommen«, sagte Patrick. Er war bei allem so verdammt entspannt. Und was würden sie denken, wenn sie keine Anstrengung unternahm? Sie hatten die Hochzeit verpasst, aber alle hatten die Hochzeit verpasst. Die Schwester (Bridget) war deswegen offenbar bereits verärgert. »Nur wir beide, auf dem Standesamt«, sagte Louise zu Patrick, als sie schließlich nachgab und ja sagte.

»Was ist mit Archie?«, fragte Patrick.

»Muss er kommen?«

»Ja, er ist dein Sohn, Louise.« Tatsächlich hatte Archie sich wohl verhalten, ihnen die Ringe gereicht, sich auf gedämpfte, unsichere Weise gefreut, als Louise »ja« sagte. Patricks Sohn, Jamie, war nicht dabei. Er promovierte in Archäologie und buddelte mitten in einem gottverlassenen Nirgendwo. Er war einer dieser Typen, die sich am liebsten im Freien aufhielten – Skifahren, Surfen, Tauchen –, »ein richtige Junge«, sagte Patrick. Im Gegensatz zu ihrem eigenen Jungen, ihrem kleinen Pinocchio.

Sie hatten zwei Personen von der nächsten Hochzeit als Trauzeugen genommen und zum Dank jeder eine gute Flasche Malzwhisky geschenkt. Louise trug ein Kleid aus Rohseide in einer Farbe, die der persönliche Berater bei Harvey Nichols »Auster« genannt hatte, Louise aber einfach für grau hielt. Es war hübsch, ohne übertrieben zu sein, und es brachte ihre schönen Beine zur Geltung. Patrick sorgte für Blumen, sie hätte sich nicht darum gekümmert – einen altmodischen Strauß rosa Rosen für sie und rosa Rosenknospen für sein und Archies Knopfloch.

Zwei Jahre zuvor, kurz nachdem sie Patrick kennengelernt hatte und als Archies Verhalten am verstörendsten war, hatte sie eine Therapie gemacht, etwas, was sie sich geschworen hatte, nie zu tun. Sag niemals nie. Sie tat es für Archie, weil sie glaubte, dass seine Probleme die Folge von ihren waren, dass das Leben für ihn besser würde, wenn sie eine bessere Mutter wäre. Und sie tat es auch für Patrick, weil er eine Chance auf Veränderung darstellte, darauf, wie andere Menschen zu werden.

Es war eine kognitive Verhaltenstherapie, die nicht zu tief in den Sumpf ihrer Psychopathologie eindrang, Gott sei Dank. Das Prinzip bestand darin, dass sie lernen sollte, negatives Denken zu vermeiden, und dadurch frei würde, eine positivere Einstellung zum Leben zu entwickeln. Die Therapeutin, eine hippiehafte, wohlmeinende Frau namens Jenny, die aussah, als hätte sie sich selbst gestrickt, wies Louise an, sich einen Ort vorzustellen, an dem sie alle ihre negativen Gedanken abladen konnte, und Louise entschied sich für eine Truhe am Grund des Meeres, wie sie Piraten in Märchenbüchern liebten – mit Eisen beschlagen und beringt, mit Vorhängeschlössern gesichert, nicht um einen Schatz, sondern Louises nicht hilfreiche Gedanken darin zu verschließen.

Je detaillierter, umso besser, sagte Jenny, und Louise legte Korallen und Muscheln in den Sand, klebte Entenmuscheln an die Seiten der Truhe, ließ neugierige Fische und Haie darum kreisen, Hummer und Krebse darüber krabbeln, Seetang mit der Strömung schwanken. Sie wurde zur Expertin mit den Schlössern und Schlüsseln, konnte ihre Unterwasserwelt aufsuchen, als würde sie einen mentalen Schalter umlegen. Das Problem war, nachdem sie alle negativen Gedanken sicher am Grund des Meeres weggesperrt hatte, war nichts mehr übrig, kein einziger positiver Gedanke. »Wahrscheinlich bin ich einfach keine positive Person«, sagte sie zu Jenny. Sie dachte, Jenny würde protestieren, sie an ihren mütterlichen, gestrickten Busen ziehen und sagen, dass es nur eine Frage der Zeit (und des Geldes) sei, bevor sie gekittet wäre. Aber Jenny stimmte ihr zu und sagte: »Wahrscheinlich nicht.«

Sie brach die Therapie ab, und bald darauf nahm sie Patricks Antrag an.

Archie ging jetzt auf das Fettes College. Zwei Jahre zuvor, im Alter von vierzehn, hatte er am Rand von etwas Schlimmem gestanden, es waren nur ein paar kleine Diebstähle gewesen, Schuleschwänzen, Ärger mit der Polizei (oh, die Ironie), aber sie wusste, weil sie es oft genug bei anderen Teenagern erlebt hatte, dass es nicht nur eine Phase wäre, würde es nicht im Keim erstickt, sondern eine Lebensweise. Er war bereit für eine Veränderung, sonst hätte es nicht geklappt. Sie zahlte mit dem Geld aus der Lebensversicherung ihrer Mutter seine exorbitanten Schulgebühren. »Jetzt ist die besoffene alte Kuh endlich für was gut«, sagte Louise. Das College war die Art Institution, gegen die Louise ihr ganzes rot geflaggtes Leben lang zu Felde gezogen war – die Privilegien, die Fortsetzung der herrschenden Ordnung, bla, bla, bla. Aber jetzt war sie dafür, denn das Allgemeinwohl war kein Argument, das sie gegen ihr eigen Fleisch und Blut anführen würde. »Was ist mit deinen Prinzipien?«, wurde sie gefragt, und sie entgegnete: »Archie ist meine Prinzipien.«

Das Wagnis hatte sich gelohnt. Zwei Jahre später und war er relativ mühelos vom Gothic zum Streber mutiert (sein wahres Metier seit jeher) und hing jetzt mit seinen Streberkollegen im Astronomieclub herum, im Schachclub, im Computerclub und bei weiß Gott was für anderen Aktivitäten, die Louise vollkommen fremd waren. Louise hatte einen M. A. in Literatur, und sie war überzeugt, hätte sie eine Tochter, sie würden vergnügt über die Brontës und George Eliot plaudern. (Während sie was taten? Kuchen backten und sich gegenseitig schminkten? Vergiss es, Louise.)

»Es ist noch nicht zu spät«, sagte Patrick.

»Wofür?«

»Ein Baby.«

Ein kalter Schauder durchfuhr sie. Jemand hatte eine Tür in ihrem Herzen geöffnet und den Nordwind hineingelassen. Wollte er ein Baby? Sie konnte ihn nicht fragen für den Fall, dass er ja sagte. Wollte er sie dazu verführen, wie er sie zum Heiraten verführt hatte? Sie hatte bereits ein Kind, ein Kind, das um ihr Herz gewickelt war, und sie konnte nicht noch einmal an dieser wilden Küste wandeln.

Ihr ganzes Leben lang hatte sie gekämpft. »Zeit, damit aufzuhören«, sagte Patrick und massierte ihre Schultern nach einem besonders zermürbenden Arbeitstag. »Leg die Waffen ab und kapituliere, nimm die Dinge, wie sie kommen.«

»Du hättest Zen-Meister werden sollen«, sagte sie.

»Das bin ich.«

Sie hatte nicht damit gerechnet, vierzig zu werden und sich in einer Familie mit zwei Wagen wiederzufinden, in einer teuren Wohnung zu wohnen, einen Stein von der Größe Gibraltars zu tragen. Die meisten Menschen hielten das für erstrebenswert oder für eine Verbesserung ihres Lebens, aber Louise hatte das Gefühl, als wäre sie falsch abgebogen, ohne es zu merken. Manchmal, in ihren paranoideren Momenten, fragte sie sich, ob es Patrick gelungen war, sie zu hypnotisieren.

Sie hatte ihre Versicherungspolice geändert, als sie umzog, und die Frau am anderen Ende der Leitung stellte die Standardfragen – Alter des Hauses, wie viele Zimmer, gab es eine Alarmanlage –, bevor sie fragte, »Haben Sie Schmuck, Pelze oder Feuerwaffen?«, und einen Augenblick lang verspürte Louise eine unerwartete Erregung bei dem Gedanken an ein Leben mit diesen Dingen. (Ein Anfang war gemacht – sie hatte den Diamanten.) Sie hatte eindeutig die Abzweigung verpasst, alles ordentlich verpackt, sich eingenistet, obwohl die wahre Louise irgendwo draußen ein Außenseiterleben führen, Pelze und Juwelen und eine Knarre tragen wollte. Sogar die Pelze irritierten sie nicht. Sie könnte etwas schießen, häuten und essen, das wäre besser als die gefühllose Distanz zwischen dem Schlachthof und den weichen bleichen Packungen im Kühlregal von Waitrose.

»Nein«, sagte sie zu der Frau von der Versicherung und wurde wieder nüchtern, »nur meinen Verlobungsring.« Ein gebrauchter Klunker im Wert von zwanzigtausend Pfund. Verkauf ihn und lauf, Louise. Lauf schnell. Joanna Hunter war Sprinterin gewesen (war sie es noch immer?), Universitätsmeisterin. Sie war einmal gerannt und hatte ihr Leben gerettet, vielleicht hatte sie dafür gesorgt, dass niemand sie je wieder erwischte. Louise hatte die Pinnwand in der Küche der Hunters studiert, die kleinen alltäglichen Trophäen und Lebenserinnerungen – Postkarten, Urkunden, Fotos, Botschaften. Selbstverständlich nichts über das Ereignis, das ihre gesamte Existenz geprägt haben musste, Mord war nicht etwas, was man an einer Korktafel in der Küche aufhängte. Alison Needler dagegen lief nicht. Sie versteckte sich.

Louise sah Archie kaum mehr. Er hatte sich dafür entschieden, unter der Woche in der Schule zu wohnen, nicht bei seiner Mutter. Am Wochenende verbrachte er seine Zeit überwiegend mit den gleichen Jungs wie unter der Woche.

»Mach dir keine Sorgen«, sagte Patrick. »Er ist sechzehn, er breitet seine Flügel aus.«

Louise dachte an Ikarus.

»Und lernt zu fliegen.«

Louise dachte an den toten Vogel, den sie am Wochenende vor der Wohnung gefunden hatte. Ein schlechtes Omen. Ein kleiner Sperling, den ein Junge mit Pfeil und Bogen abgeschossen hatte.

»Er muss erwachsen werden.«

»Ich sehe nicht ein, warum.«

»Louise«, sagte Patrick leise. »Archie ist glücklich.«

»Glücklich?« Glücklich war kein Wort, das sie seit seiner Kindheit auf Archie angewandt hatte. Wie wunderbar, fröhlich ungehemmt er in seinem Glück gewesen war. Sie hatte geglaubt, dass es so bleiben würde, ihr war nicht klar, dass sich Kinderglück auflöste, weil sie als Kind nie glücklich gewesen war. Wenn sie gewusst hätte, dass Archie nicht ewig dieser sonnige, unschuldige Junge bliebe, hätte sie jeden Augenblick wie einen Schatz gehortet. Jetzt könnte sie es wieder erleben, wenn sie wollte. Der Nordwind heulte. Sie schloss die Tür.

 

Sie war auf dem Rückweg von einer Besprechung mit dem Amethystteam im Gyle. Dort war sie zum ersten Mal Alison Needler begegnet, ein halbes Jahr vor den Morden, als sie ein paar Monate bei Amethyst aushalf, der Familienschutzeinheit. David Needler, der sich der gerichtlichen Verfügung widersetzte, hatte auf dem Rasen vor dem Haus in Trinity Stellung bezogen und gedroht, sich zu verbrennen, während seine Kinder und seine Exfrau aus dem Fenster im ersten Stock zusahen. Als Louise ankam, sofort nach dem Einsatzwagen, wurde er von Alisons Schwester Debbie, die in der Tür stand, beschimpft. (»Ein Schandmaul, unsere Debs«, laut Alison. Dafür musste sie ihren Preis zahlen, nicht wahr?)

Mehr als beschimpft, verhöhnt. (»Na los, mach schon, du Mistkerl, wir wollen sehen, wie du dich abfackelst.«)

Am nächsten Tag war David Needler vor Gericht verwarnt und gemahnt worden, sich an die gerichtliche Verfügung zu halten und von seiner Familie fernzubleiben, was er tat, bis er ein halbes Jahr später mit einer Schrotflinte zurückkehrte.

Louise fuhr auf den Parkplatz von Howdenhall. Sie wollte sich im Revier melden und ihren eigenen Wagen holen, in fünf Minuten wäre sie wieder unterwegs. Sie hatte jede Menge Zeit.

 

»Der endgültige forensische Bericht ist da, Boss«, sagte ihr junger Kriminalmeister Marcus McLellen und reichte ihr eine Aktenmappe. »Wie erwartet, war der Brand in der Spielhalle eindeutig willentlich gelegtes Feuer.«

Marcus war sechsundzwanzig, hatte einen B. A. in Medienwissenschaft der Universität Stirling (wer hatte den nicht?) und einen Kopf voller Haare, die Shirley Temple das Fürchten gelehrt hätten, wenn er sie hätte wachsen lassen, statt sie vernünftigerweise zu einem Astrachan zu scheren. Er spielte Rugby, und Louise hatte an einem Samstagvormittag auf einer eiskalten Tribüne gebibbert und sich für ihn heiser geschrien (ein großartiges Ventil für Aggressionen), etwas, was sie nie für den schmächtigen, sportphobischen Archie hatte tun können.

Nachdem er die Uniform abgelegt hatte, war der Fall Needler Marcus’ Feuertaufe gewesen, und er hatte sie besser bestanden, als sie erwartet hatte. Er war ein lieber Junge, nachgerade cherubinisch, geradlinig wie eine römische Straße, härter, als er wirkte, und immer gut gelaunt. Wie Patrick. Woher stammte sie, diese gute Laune, saugten sie sie mit der Muttermilch ein? (Armer Archie.)

Sie hatte Marcus unter ihre Fittiche genommen wie eine Glucke. Nie zuvor hatte Louise Muttergefühle für einen Kollegen gehegt, und es war eine beunruhigende Erfahrung. Es musste am Alter liegen, dachte sie. Aber »Marcus?« – ein seltsamer lateinischer Namen für jemanden, der in Sighthill geboren war. (»Eine nach Höherem strebende Mutter, Boss«, sagte er. »Aber besser als Titus. Oder Sextus.«)

Er war rasiermesserscharf auf den Needler-Fall gewesen, aber sie hatte ihn abgezogen und auf etwas anderes angesetzt. »Damit Sie mehr Erfahrung kriegen«, sagte sie, aber tatsächlich wollte sie nicht, dass er so besessen von Alison Needler wurde wie sie. Jetzt bearbeitete er den Brand in der Spielhalle in der Bread Street, die ein paar Wochen zuvor mysteriöserweise in Flammen aufgegangen war.

»Versicherung?«, spekulierte Louise. »Oder in böser Absicht? Oder einfach nur Rowdys, die mit Zündholzern herumgefummelt haben?«

»Willentlich gelegtes Feuer«, ein barocker schottischer Ausdruck für Brandstiftung, und der Hauptverdächtige war Louises Ansicht nach immer der Besitzer. Das Versicherungsgeld war einfach eine zu verlockende Aussicht, wenn man Geld brauchte. Zwanzigtausend für einen Diamanten, wie viel für eine Spielhalle? Eine Spielhalle, die niemand anderem gehörte als dem Mann der schönen Dr. Joanna Hunter, Neil. (»Und was macht Mr. Hunter?«, hatte sie Joanna Hunter beiläufig bei ihrem Besuch gestern gefragt. »Ach, dies und das«, sagte Joanna Hunter leichthin. »Neil hält immer Ausschau nach der nächsten großen Gelegenheit, er ist ein geborener Unternehmer.«) Warum die schöne Dr. Hunter mit jemandem verheiratet war, der Geschäftsinteressen im (sogenannten) Schamdreieck der Bread Street mit ihren Striplokalen, zwielichtigen Kneipen und Revueetablissements hatte, darüber konnte man nur spekulieren. Sollte sie nicht mit jemand Ehrbarerem verheiratet sein – einem Orthopäden zum Beispiel?

Laut seiner Frau war Neil Hunter in der »Freizeitindustrie« tätig, eine Bezeichnung, die eine Menge Möglichkeiten abzudecken schien. In seinem Fall schienen es zwei oder drei Spielhallen, zwei Fitnessstudios (keine besonders exklusiven), eine kleine Flotte Mietautos (müde wirkende, viertürige Limousinen, die sich als »Oberklasse« ausgaben) und zwei Schönheitssalons zu sein, einer in Leith, einer in Sighthill, die den Eindruck machten, als stellten sie ein Gesundheitsrisiko dar – Louise war überzeugt, dass sich Joanna Hunter in keinem von beiden je einer Gesichtsbehandlung unterzogen hatte, das Sheraton One Spa waren sie jedenfalls nicht.

»Was wissen Sie über unseren Mr. Hunter?«

»Als er nach Edinburgh kam«, sagte Marcus, »fing er mit einem Burgerstand am Bistro Square an, wo er sowohl die Studenten als auch die Leute aus den Kneipen abfing.«

»Burgerstand. Wie stilvoll.«

»Der in den frühen Morgenstunden abbrannte, als niemand drin war.«

»Tja, das nenne ich Zufall.«

»Dann kamen eine Weinbar, ein Café, ein Catering-Service, eigentlich alles, was er ausprobieren konnte.«

»Was davon abgebrannt?«

»Das Café. Ein elektrischer Fehler.«

»Und die Spielhalle?«

»Eine Menge Benzin darin vergossen«, sagte Marcus. »Keine spontane Sache. Die Hintertür war aufgebrochen, die Alarmanlage ging los, aber als die Feuerwehr eintraf, hat es schon lichterloh gebrannt.«

»Und was hört man auf der Straße über Mr. Hunter?«

»Man hört, dass er sauber ist«, sagte Marcus. »Ein kleiner Spitzbube, aber im Großen und Ganzen ein gesetzestreuer Geschäftsmann.«

»Es sind also nur die Leute, mit denen er zu tun hat, die zwielichtig sind?«

Sie hatte bereits die Fotos gesehen, die das Betrugsdezernat geschickt hatte, nette, scharfe Fotos von Hunter, wie er im Lauf mehrerer Wochen unterschiedliche Getränke mit einem gewissen Michael Anderson aus Glasgow plus diverser Hofschranzen zu sich nahm. »Andersons Gefolge«, sagte Marcus. »Schauen Sie sich diese Typen an, Gesichter, die nur eine Mutter lieben kann.« Anderson stand in seiner Heimatstadt unter dem Verdacht des Drogenhandels, befand sich aber in seinem Luxuspenthouse so weit oben in der Nahrungskette, dass ihm die Polizei von Strathclyde bislang nichts nachweisen konnte. »Gute Anwälte«, sagte Marcus.

»Oder schlechte Anwälte, je nach Standpunkt.«

Das Betrugsdezernat glaubte, dass Anderson keine Möglichkeiten mehr hatte, sein Geld in Glasgow zu waschen, und sich in Edinburgh umschaute, um Neil Hunters »dies und das«, wie seine schöne Frau es ausgedrückt hatte, dafür in Anspruch zu nehmen. Dr. Hunter stand das Wort »Ehefrau« so viel besser als Louise.

»Wie haben Sie sich kennengelernt?«, hatte Louise sie gestern gefragt und so getan, als wäre sie der Typ Frau, der sich für romantische Anekdoten interessierte, Steve Wrights Sunday Love Songs hörte, während sie Frühstück machte und ihrem Mann ans Bett brachte, und nicht die abgebrühte Zicke, die gerade dabei war, dem Staatsanwalt einen Bericht über ihren Mann zu schicken. Joanna Hunter lachte und sagte: »Ich habe ihn in der Notaufnahme behandelt, und er hat gefragt, ob ich mit ihm zum Essen gehe.«

»Und Sie sind tatsächlich gegangen?« Louise konnte die Ungläubigkeit nicht ganz aus ihrer Stimme verbannen.

»Nein, das hätte unserem Berufsethos widersprochen.« Joanna Hunter lachte wieder, als wäre die Erinnerung Teil einer seit langem geschätzten amüsanten Geschichte (Wie ich deinen Vater kennengelernt habe). »Er war hartnäckig«, sagte sie, »und schließlich habe ich nachgegeben.«

Ich auch, dachte Louise und sagte, »Meine Mutter und mein Vater haben sich im Urlaub kennengelernt«, und Joanna Hunter sagte, »Ah, eine Urlaubsromanze!«, und Louise sagte nicht, dass er sie in einer Bar auf Gran Canaria aufgegabelt hatte und sie sich nie an seinen Namen erinnern konnte, was jedoch nicht weiter wichtig war, weil er nicht der einzige Anwärter für die begehrte Rolle von Louises komplett abwesendem Vater war.

»Warum war Mr. Hunter in der Notaufnahme?«, fragte Louise.

»Ein paar Schläger hatten ihn verprügelt.«

Unfallneigung, schlechte Gesellschaft, alle Anzeichen waren von Anfang an da. Warum um alles in der Welt ging die schöne Ärztin mit jemandem wie ihm aus?

»Mir gefiel seine Energie«, sagte sie unaufgefordert. Hunde sind energiegeladen, dachte Louise, lächelte und sagte: »Ja, das hat meine Mutter über meinen Vater auch gesagt.«

Sie sagte Joanna Hunter nichts von dem Feuer in der Spielhalle, es schien unhöflich angesichts der Neuigkeiten, mit denen sie zu ihr gekommen war.

»Sagen Sie Jo zu mir«, sagte Dr. Hunter.

 

»Es gibt nichts Konkretes, das Hunter mit den Typen aus Glasgow in Verbindung bringen ließe«, sagte Louise zu Marcus. »Vielleicht sind Anderson und Hunter gemeinsam in die Grundschule gegangen.«

»Also, auf der Straße hört man, dass Hunter kurz davor steht, unterzugehen«, sagte Marcus. »Schon seit einer Weile. Mit Anderson Geschäfte zu machen könnte eine Möglichkeit sein, es zu verhindern, aber das Gleiche gilt für das Versicherungsgeld wegen des Feuers.«

»Ich werde mit ihm reden«, sagte Louise und nahm die Akte.

»Boss?«

»Was? Nicht mein Job, weil ich so ein hohes Tier bin? Er wohnt um die Ecke von mir. Ich schaue morgen früh auf dem Weg zur Arbeit bei ihm vorbei.« Sie sagte nicht: Ich lese mich durch das Werk seines Schwiegervaters. Ganz bestimmt sagte sie nicht: Ich bin fasziniert von Joanna Hunter, sie ist mein Alter Ego, die Frau, die ich nie geworden bin – eine gute Überlebende, eine gute Ehefrau, eine gute Mutter. »Der Staatsanwalt soll uns einen Durchsuchungsbefehl ausstellen, damit wir an Hunters Unterlagen können.«

»Ja, Boss.« Er war enttäuscht, weil ihm der Fall buchstäblich vor der Nase weggeschnappt wurde.

»Ich will nur mit ihm reden«, beruhigte ihn Louise, »dann kriegen Sie ihn zurück. Es gibt da eine Verbindung, ich musste gestern zu seiner Frau.«

»Zu seiner Frau?«

»Joanna.«

Kriminalkommissarin Karen Warner betrat durch die offene Tür Louises Büro und ließ einen Stapel Akten auf ihren Schreibtisch fallen. »Deine, glaube ich«, sagte sie und lehnte sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen den Schreibtisch. Ein wandelnder Aktenschrank, im achten Monat schwanger mit ihrem ersten Kind, und immer noch arbeitete sie. (»Ich werde mit wehenden Fahnen untergehen, Boss.«) Sie war älter als Louise (»Späte Primigravidas – klingt das nicht widerlich?«). Die Mutterschaft würde ein Schock für sie werden, dachte Louise. Sie war dabei, mit neunzig Stundenkilometer gegen eine Mauer zu rasen, und würde sich später fragen, was passiert war.

Karen war noch im Needler-Team, das jetzt nur noch halb so groß war wie vor dringenden sechs Monaten, von St. Leonard nach Howdenhall zurückgekehrt und in einem kleineren Raum untergebracht. Louises Chef hatte gemeint, sie solle beim Needler-Fall »zurückschrauben« und sich wieder anderen Fällen zuwenden. »Sie sind besessen von Alison Needler«, sagte er.

»Ja«, stimmte sie ihm freudig zu. »Das bin ich. Das ist mein Job.«

Karen riss ein Snickers auf und biss hinein, tätschelte ihren Bauch. »Erlaubnis zum Essen«, sagte sie zu Louise. »Willst du ein Stück?«

»Nein, danke.«

Louise war am Verhungern, aber sie hatte keinen Appetit. Die Ehe schien ihrem normalerweise guten Appetit nicht zu bekommen. Patrick wurde immer gesünder, während sie dahinzuschwinden schien. Als Jugendliche hatte sie kurzzeitig mit Bulimie geflirtet, zwischen Ritzen und einer frühen Runde Saufen (Bacardi mit Coke, allein schon bei dem Gedanken hätte sie jetzt kotzen können), aber all das waren Süchte, und deswegen hatte sie damit aufgehört. In ihrer Familie war nur Platz für eine Süchtige, und ihre Mutter hatte nicht die Absicht gehabt, diesen Platz zu räumen.

Karen blickte auf den Bericht auf Louises Schreibtisch. »Derselbe Hunter?«, sagte sie. »Neil Hunter ist Joanna Hunters Mann? Wow. Das nenne ich Zufall.«

»Ist Joanna Hunter ein Name, den ich kennen sollte?«, fragte Marcus Louise.

»Die davongekommen ist«, sagte Karen. »Gabrielle Mason, drei Kinder? Vor dreißig Jahren?«

Marcus schüttelte den Kopf.

»Ach, wie süß. Du bist noch so jung«, sagte Karen. »Ein Mann hat die Mutter und zwei ihrer Kinder auf einem Feld in Devon umgebracht, Joanna ist davongerannt und hat sich versteckt und wurde später unverletzt gefunden. Joanna Hunter, geborene Mason.«

»Der Mann, der für die Morde verurteilt wurde, heißt Andrew Decker«, sagte Louise. »Er wurde für zurechnungsfähig erklärt. Wenn es von geistiger Gesundheit zeugt, eine Mutter und zwei ihrer Kinder zu erstechen, wie lautet dann die Definition von irrsinnig? Das fragt man sich doch, oder? Und jetzt kommt er raus – er ist schon draußen –, und jemand hat es der Presse gesteckt. Es wird in allen Nachrichten sein für mindestens, ich weiß nicht, zwei Stunden. Futter für den gierigen Rachen der Presse. Ich war gestern bei ihr, um sie zu warnen.«

Karen zerknüllte das Snickers-Papier und warf es in den Papierkorb. »Und ist sie noch immer ein Opfer, Boss?«

»Gute Frage«, sagte Louise.

 

Es war jetzt zu spät, um noch zu Maxwell’s zu fahren, sie konnte bei Waitrose Blumen kaufen. Sie hatte noch genug Zeit. Gerade noch. Sie stieg in ihren Wagen, einen silberfarbenen BMW 3er, der wesentlich schicker war als Patricks übersensibler Ford Focus. Er war grundanständig, bis hinunter zum Wagen, den er fuhr.

Und dann klingelte ihr Handy. Einen Augenblick lang dachte sie daran, sich nicht zu melden. Ihr Instinkt, ihr sechster Polizeisinn sagte ihr – brüllte sie an –, dass es keinen Seebarsch, keine zweimal gebackenen Soufflés geben würde, wenn sie sich meldete.

Sie nahm beim dritten Klingeln ab. »Hallo?«