Die verlorene Ehefrau

Laut Sat Nav waren es zweihundertachtundfünfzig Kilometer nach Hawes, für die sie drei Stunden und dreiundzwanzig Minuten brauchen sollten. »Mal sehen«, sagte Louise, als sie den Motor anließ. Marcus, der auf dem Beifahrersitz saß, salutierte und sagte: »Und los geht’s.« Unschuldig. Er war gut aussehend, glänzend und neu, wie frisch aus der Larve geschlüpft. Archie würde in Marcus’ Alter nicht so aussehen. Technisch war sie alt genug, um Marcus’ Mutter zu sein. Wenn sie ein sorgloses Schulmädchen gewesen wäre.

Sie war nicht sorglos gewesen, mit vierzehn nahm sie die Pille. Während ihrer Jugend hatte sie nur Sex mit älteren Männern, seinerzeit war ihr nicht klar gewesen, wie pervers sie gewesen sein mussten. Damals schmeichelten ihr ihre Aufmerksamkeiten, jetzt würde sie sie allesamt verhaften.

Als sie mit Patrick während der Kennenlernphase die kleinen Intimitäten des Lebens austauschte – Lieblingsfilme und -bücher, Haustiere (»Paddy« und »Bridie«, unnötig zu erwähnen, hatten eine ganze Kindheitsmenagerie an Hamstern, Meerschweinchen, Hunden, Katzen, Schildkröten und Hasen besessen), wo sie Ferien gemacht hatten (in Louises Fall so gut wie nirgendwo), wie sie ihre Unschuld verloren hatten und mit wem –, erzählte er ihr, dass er Samantha während der ersten Woche am Trinity College kennengelernt hatte. »Und das war’s dann.« – »Aber davor?«, fragte sie, und er zuckte die Achseln und sagte: »Nur ein, zwei Mädchen aus unserem Ort. Nette Mädchen.« Drei. Drei Sexualpartnerinnen, bis er Witwer wurde (alle nett). Nach Samantha hatte er ein paar Freundinnen, aber nichts Ernstes, nichts Unschickliches. »Und du?«, fragte er. Er hatte keine Ahnung, wie sexuell inkontinent Louise in ihrem Leben gewesen war, und von ihr würde er es nicht erfahren. »Ach«, sagte sie und stieß die Luft aus. »Eine Handvoll Männer – wenn überhaupt – ziemlich lange Beziehungen. Mit achtzehn habe ich zum ersten Mal mit dem Jungen geschlafen, mit dem ich schon zwei Jahre zusammen war.«

Lügen, lügen und betrügen. Louise war eine sehr gute Lügnerin, des Öfteren dachte sie, dass sie in einem anderen Leben eine ausgezeichnete Hochstaplerin abgegeben hätte. Wer weiß, vielleicht sogar noch in diesem Leben, es war schließlich noch nicht zu spät.

Sie hätte die Wahrheit sagen sollen. Sie hätte über alles die Wahrheit sagen sollen. Sie hätte sagen sollen: »Ich habe keine Ahnung, wie man einen anderen Menschen liebt, außer indem ich ihn in Stücke reiße und auffresse.«

 

»Ein bisschen frische Landluft, um die Spinnweben wegzublasen«, sagte sie zu Marcus. »Genau, was der Doktor empfohlen hat.«

Oder auch nicht. »Wird es wieder spät?«, fragte Patrick, als sie ihn anrief, um ihn von ihrer »kleinen Spritztour« (wie Marcus es beharrlich nannte) zu informieren. »Hätte nicht die Polizei vor Ort der Tante einen Besuch abstatten können?«, fragte er. »Es scheint mir ein weiter Weg. Es ist doch kein Fall, zumindest kein offizieller, oder? Nichts ist passiert.«

»Ich sage dir auch nicht, wie du operieren sollst, Patrick«, fuhr sie ihn an, »insofern würde ich es wirklich zu schätzen wissen, wenn du mich nicht belehrst, wie ich zu ermitteln habe, okay?« Er hatte sie genommen in dem Glauben, dass sie sich unter seiner geduldigen Fürsorge bessern würde, und musste jetzt enttäuscht von ihr sein. Die Rose mit dem Wurm, die Schale mit dem Sprung. Da kann der Doktor nichts machen.

»Du bist sauer auf mich«, fuhr sie fort, »weil ich mich gestern Abend allein betrunken habe, statt mit euch ins ›Theater‹ zu gehen, stimmt’s?« Sie betonte das Wort »Theater«, als wäre es etwas Langweiliges und Mittelklasse, als wäre sie Archie zu seinen schlimmsten pubertären Zeiten.

»Ich werfe dir nicht vor, dass du betrunken warst«, sagte Patrick ruhig und schluckte den Köder nicht. »Das übernimmst du selbst.« Louise überlegte, ob sie ihn umbringen sollte. Einfacher, als sich scheiden zu lassen, und sie stünde vor vielen neuen schwierigen Problemen statt der langweiligen altbekannten. Sie fragte sich, ob ein Teil von Howard Mason erleichtert gewesen war, als seine Familie komfortablerweise ausradiert wurde. Nur Joanna war übrig, ein hartnäckiger Fleck. Es wäre viel besser für ihn gewesen, wenn sie auch umgebracht worden wäre.

»Reg dich nicht so auf«, sagte Patrick. »Deine schottische Streitlust steht dir im Weg.«

»Im Weg wohin?«

»Zu deinem besseren Selbst. Du bist dein schlimmster Feind.«

Sie schluckte die gehässige Bemerkung, die ihre instinktive Reaktion gewesen wäre, und murmelte: »Ja, gut, ich hab viel um die Ohren. Tut mir leid«, fügte sie hinzu. »Tut mir leid.«

»Mir auch«, sagte Patrick, und Louise fragte sich, was genau er damit meinte.

 

Sie hatten die Grenze überschritten. Über den Tweed. Grenzland.

»Jetzt gelten englische Regeln«, sagte sie zu Marcus.

»Tantenjagd«, sagte er zufrieden. »Sollen wir Musik auflegen, Boss?« Er begutachtete die Maria-Callas-CD und sagte zweifelnd: »Mein lieber Herr Gesangsverein, Boss. Nicht wirklich Musik zum Autofahren, oder? Ich habe ein paar CDs dabei.« Er kramte in seinem Rucksack, holte eine CD-Mappe heraus und zog den Reißverschluss auf. »Allzeit bereit«, sagte er. Ja, natürlich, er war bei den Pfadfindern gewesen. Jemand, der sich freute, wenn er Knoten knüpfen und ein Feuer mit ein wenig Reisig anzünden konnte. Ein Junge, den jede Mutter gern zum Sohn hätte. Und sie hätte ihr letztes Geld verwettet, dass er zur Polizei gegangen war, weil er »etwas verändern« wollte.

»Warum sind Sie zur Polizei gegangen, Marcus?«

»Ach, wissen Sie, die üblichen Gründe. Ich will versuchen, etwas zu verändern, den Leuten zu helfen. Und Sie, Boss?«

»Damit ich den Leuten eins mit dem Schlagstock überziehen kann.«

Er lachte, ein unkompliziertes Lachen, das nicht mit jahrelangem Zynismus befrachtet war. Louise überlegte, welche Musik er für eine »Spritztour« für geeignet hielt. Für Springsteen war er zu jung, zu alt für die Tweenies, die bevorzugte Musik des Babys beim Autofahren. (Komisch, dass auch sie automatisch »Baby« dachte, wenn es um Joanna Hunters Baby ging.) Marcus war sechsundzwanzig, vielleicht mochte er noch die gleiche Musik wie Archie – Snow Patrol, Kaiser Chiefs, Arctic Monkeys –, doch nein, die Musikanlage des BMW wurde von James Blunt verschmutzt, dem König des Easy Listening. Sie neigte sich zu Marcus und leerte mit einer Hand die CD-Mappe auf seinen Schoß: Corinne Bailey Rae, Norah Jones, Jack Johnson, Katie Melua. »Mann, Marcus«, sagte sie. »Sie sind zu jung zum Sterben.«

»Boss?«

 

 

An einer Tankstelle tauschte sie den Platz mit ihm. Im Laden sah sie zwei Boulevardzeitungen, die über den verschwundenen Decker berichteten. »Entlassener Mörder untergetaucht.«

»Irgendwie kann einem der Mann leid tun«, sagte Marcus. »Schließlich hat er seine Zeit abgesessen, aber er wird immer noch bestraft.«

»Wer sind Sie, Mutter Teresa?«

»Nein, aber er wurde verurteilt, er hat bezahlt, soll er bis in alle Ewigkeit zahlen?«

»Ja. Bis in alle Ewigkeit«, sagte Louise. »Und noch länger. Machen Sie sich keine Sorgen«, fügte sie hinzu, »wenn Sie in meinem Alter sind, werden sie auch hart und gefühllos sein.«

»Vermutlich, Boss.«

 

»Ich habe noch nie einen BMW gefahren«, sagte er, setzte sich auf den Fahrersitz und justierte ihn für sich. »Cool. Warum fahren wir nicht mit einem Polizeiwagen?«

»Weil wir nicht als Polizisten unterwegs sind. Streng genommen. Es ist Ihr freier Tag und mein freier Tag. Wir machen eine Spritztour.«

»Eine ziemlich lange.«

»Seien sie bitte vorsichtig mit dem Wagen, Pfadfinder.«

»Ja, Boss. Los geht’s. In die Unendlichkeit und weiter!«

Er war ein guter Fahrer, fast so gut, dass sie sich entspannen konnte. Fast. Also, alte Tante, wir kommen, allzeit bereit oder nicht, dachte Louise. Die Hochstaplertante. Die Posse war possenhafter geworden. Nur dass sie nicht komisch war, aber das waren Possen selten, fand Louise, ihr gefielen Rachetragödien besser. Patrick mochte überraschenderweise (oder vielleicht auch nicht) Komödien aus der Zeit der Restauration. Und Wagner. Sollte man einen Mann heiraten, der Wagner mochte?

Das erste Konzert, das der jugendliche Howard Mason besuchte, war Der Messias von Händel, gesungen von der Bradfort Choral Society, und er hatte während des Halleluja-Chors geweint. Oder verwechselte sie ihn mit einem seiner Alter Ego, seiner imaginären Doppelgänger?

Das Buch, das er in Devon im Winter vor den Morden schrieb, hatte den Titel Die Blaskapelle spielt weiter, und der Protagonist war ein sich abmühender Stückeschreiber (aus dem Norden natürlich), der von Häuslichkeit in Form zweier kleiner Töchter und einer Frau behindert wurde, die ihn gezwungen hatte, aufs Land zu ziehen. Es gab kein zweites, fiktives Selbst für das Baby Joseph, Howard Masons Sohn schien es erspart geblieben zu sein, auf Papier gebannt zu werden.

Nach den Morden hörte Howard Mason auf, sich durch sein Leben zu schreiben, und zog nach Los Angeles, wo er die Drehbücher für eine Handvoll nicht erfolgreicher Spielfilme schrieb. (Wo war Joanna während dieser Zeit?) Als seine Laufbahn als Drehbuchautor im Sand verlief, hing er an einem Swimmingpool in Laurel Canyon herum und produzierte eine langweilige Sammlung Erzählungen über einen britischen Schriftsteller, der in Hollywood arbeitete. Er war kein Fitzgerald. Was Howard Mason nie schrieb (worüber er nicht einmal sprach), war ein Roman über einen Mann, dessen Familie ermordet wurde, während er sich mit seiner schwedischen Geliebten vergnügte. Diese Gelegenheit hatte er nicht wahrgenommen, wahrscheinlich wäre es ein Bestseller geworden.

 

Reggie hatte heute schon dreimal angerufen. Sie war immer aufgeregt, einmal ging es um ein Autokennzeichen (ein schwarzer Nissan Pathfinder, das Mädchen war eine bessere Augenzeugin als die meisten), und in einem besonders atemlosen Kommuniqué verstand Louise den Namen »Anderson«. Sie hatte ein schlechtes Gewissen. Reggies Phantasien erwiesen sich alle als in der Realität fundiert, aber entführt – wirklich? (Entführt! Dr. Hunter ist entführt worden.) Verrücktes, verrücktes Gerede.

Die dritte Nachricht war eine Aufzählung des Inhalts von Joanna Hunters Handtasche, die Reggie in ihrem Schlafzimmer gefunden hatte – Ihre Brille, wie kann sie ohne Brille Auto fahren? Ihr Asthmaspray. Ihre Geldbörse! Louises Kopfschmerzen erblühten, und sie stellte sich ihr Hirn wie eine Atomexplosion vor, der Pilz wurde immer größer, presste gegen die harten Platten ihres Schädels. Sie schloss die Augen und drückte die Fäuste darauf. Sie hatte das schreckliche Gefühl, dass Reggie Chase recht haben könnte, Joanna Hunter war etwas Schlimmes zugestoßen.

»Lassen Sie das Kennzeichen überprüfen«, sagte sie zu Marcus.

»Warum genau sind wir wegen dieser Tante beunruhigt, Boss?«, fragte er.

»Ich bin nicht wegen der Tante beunruhigt.« Louise seufzte. »Ich bin wegen Joanna Hunter beunruhigt. Es gibt da – ein paar Anomalien.«

»Und wir beide fahren zweihundertachtundfünfzig Kilometer, um an eine Tür zu klopfen?«, wunderte sich Marcus. »Das könnte doch die Polizei dort auch tun.«

»Ja, das könnte sie«, sagte sie geduldig (wesentlich geduldiger als zu Patrick). »Aber stattdessen tun wir es.«

»Und glauben Sie, dass es möglicherweise was damit zu tun hat, dass Decker sich in Edinburgh herumtreibt? Oder ist es ihr zwielichtiger Mann? Ein Im-Garten-vergraben-Szenario?«

»Oder entführt«, sagte Louise. Da, sie hatte das Wort ausgesprochen, das sie vermeiden wollte.

»Entführt?«

»Na ja, es gibt keinen Beweis, dass Joanna Hunter am Leben und wohlauf und frei ist, oder?«, sagte Louise.

»›Ein Lebenszeichen‹, so heißt es doch in Entführungsfällen, oder?«

»So heißt es in Filmen. Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht. Vielleicht bin ich einfach nur verbohrt. Ich will sicher sein. Ich hätte gesagt, dass sie nicht der Typ ist, die davonläuft und sich versteckt. Aber genau das hat sie einmal getan.«

»Ich wollte Sie nicht kritisieren, Boss. Hab nur gefragt.«

Louise konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal zugegeben hatte, verbohrt zu sein.

Marcus erhielt einen Anruf wegen Reggies Nissan. »Zugelassen auf eine Firma in Glasgow, eine Art Limousinenservice für Hochzeiten und so, obwohl man sich nur schwer vorstellen kann, dass eine frische Braut aus einem Pathfinder steigt.«

»Alle Wege führen nach Glasgow«, sagte Louise.

»Wer war der Typ, der nicht Decker war, Boss? Im Krankenhaus?«

»Niemand. Er war niemand. Irgendein Mann.«

 

»Er hat sich selbst entlassen? Wie? Warum?« Als sie erneut ins Krankenhaus gegangen war und das leere Bett gesehen hatte, dachte sie sofort, dass er im Leichenschauhaus liegen musste, aber: »Entlassen? Sind Sie sicher?«

»Gegen ärztlichen Rat«, sagte eine Schwester auf der Station missbilligend.

»Seine Tochter war da«, sagte die irische Schwester. »Er ist mit ihr gegangen.«

»Seine Tochter?« Louise erinnerte sich nicht an den Namen von Jacksons Tochter, obwohl sie sich einmal über Erziehungsprobleme ausgetauscht hatten, aber sie war – elf, zwölf? Louise wusste es nicht mehr. »Sie war allein hier?«, fragte sie.

Die Schwester zuckte die Achseln, als wäre es ihr gleichgültig.

Er war weg. Ohne sich von ihr zu verabschieden. Der Mistkerl.

 

Es dauerte weniger lang, als gedacht, um mitten im Nirgendwo anzukommen. Sie brauchten nicht einmal drei Stunden. »Na also«, sagte sie zum Sat Nav.

»Holen Sie die Kekse raus«, sagte Marcus.

Man biege am Scotch Corner links ab, und innerhalb von Minuten war man in einer anderen Welt. Einer grünen Welt. Nicht ganz so grün wie das wassernasse Irland, wo sie in den Flitterwochen gewesen waren. Louise hatte Kerala vorgeschlagen, aber irgendwie landeten sie in Donegal. »In deinen nächsten Flitterwochen kannst du nach Kerala fliegen«, sagte Patrick. Wie sie lachten. Ha, ha, ha.

Er sprach davon, »eines Tages nach Irland zurückzukehren«. Er meinte, wenn er pensioniert war, und so sehr sie es auch versuchte, Louise konnte sich in dieser Zukunftsvision nicht entdecken.

Hawes war eine kleine Marktstadt, die irgendwie berühmt für Käse war, was sie erst verstand, als Marcus sagte: »Wensleydale, Boss. Sie wissen schon.« Er machte ein lächerliches Gummigesicht, grinste, dass alle Zähne zu sehen waren und sagte: »Käse, Gromit, Kääääse. Wallace und Gromit sind hier so was wie Lokalhelden.«

»Aha«, sagte Louise. Man stelle sich nie zwischen einen Jungen und seine Zeichentrickhelden. Archie war ein fanatischer Fan einer amerikanischen Horrorcomicserie. Meine zwei Jungen, dachte Louise – hell und dunkel, Cherub und Dämon.

Es war ein Ort, der alles hatte, was sich eine alte Tante wünschen konnte, er war groß genug für Geschäfte, Ärzte und Zahnärzte. Ein hübsches Haus mit Aussicht, »Hillview Cottage«, von dem aus man tatsächlich in die Hügel blickte. Es war eher ein Bungalow aus den fünfziger Jahren als eine malerische Wohnstatt mit Rosen vor der Tür, stand am Rand von Hawes und überblickte Stadt und Land. Das Beste von zwei Welten, stellte sie sich vor, hatte Oliver Barker zu seiner Frau gesagt, als sie sich hier niederließen. Louise fragte sich, ob sie sich Sorgen machen sollte, weil der gesamte Mason-Clan, der reale und der fiktive, sein Lager in ihrem Hirn aufgeschlagen hatte.

Louise war Städterin, sie zog das markerschütternde Heulen einer Sirene, die die Nacht durchschnitt, dem ländlichen Zwitschern der Vögel in der Morgendämmerung vor. Kneipenschlägereien, lärmende Straßenbauarbeiten, ausgeraubte Touristen, das Ödland einer Samstagnacht, all das ergab einen Sinn, war Bestandteil des riesigen, schmutzigen, zerrissenen sozialen Geflechts. In der Stadt wütete ein Krieg, und sie kämpfte mit, aber das Land beunruhigte sie, weil sie nicht wusste, wer der Feind war. Sie hatte North and South immer der Sturmhöhe vorgezogen. Das viele wahnsinnige Rennen über die Moore, das Identifizieren mit der Landschaft waren keine guten Rollenbilder für eine Frau.

Sollte man ihr die Pistole auf die Brust setzen und sie zu einer Entscheidung zwingen, wo sie begraben werden wollte – in Irland oder Hawes –, würde sich Louise vermutlich für Hawes entscheiden. Das letzte Mal, als sie länger mit Jackson gesprochen hatte, besaß er ein Haus in Frankreich. Das klang wesentlich besser als Yorkshire oder Irland, aber sie vermutete, dass sie »Jackson« mehr als »Frankreich« angezogen hatte, da das ländliche Frankreich wahrscheinlich mit einem Gutteil zwitschernder Vögel und geisttötender Ruhe aufwarten konnte. Sie war nie dort gewesen, eigentlich war sie noch nirgendwo gewesen. Ganz bestimmt nicht in Kerala. Patrick hatte für den nächsten April »ein verlängertes Wochenende« in Paris vorgeschlagen, und sie war zurückgeschreckt, weil sie Paris insgeheim für Jackson aufsparte, was absolut lächerlich war. Sie befand sich jetzt in seiner Grafschaft, aber die Dales waren nicht die Trostlosigkeit und der Dreck, die sein Wesen ausmachten. Sie sollte aufhören, an ihn zu denken. Diese Art Obsession endete damit, dass man auf dem Totenbett Federn aus Kissen zupfte.

Marcus parkte ein paar Häuser von »Hillview« entfernt. Keine Autos auf der Straße, keine Autos in der Einfahrt. Kein Lebenszeichen. Nichts.

»Sie dürfen die Honneurs machen«, sagte Louise zu Marcus, als sie ausstiegen, und er trat vor und klopfte an die Tür.

»Sehr professionell«, sagte Louise. »Sie sollten zur Polizei gehen.«

Ein großer, höchst unattraktiver Mann in einem weißen ärmellosen Unterhemd, wie sie Männer trugen, die ihre Frauen verprügelten, öffnete die Tür und starrte sie unfreundlich an. Sie hörte den Kommentar zu einem Autorennen aus dem Fernseher irgendwo im Hintergrund. In der einen Hand hielt er eine Dose Bier, in der anderen eine Zigarette. Er war ein ausgezeichnetes Klischee, und Louise hätte ihn gern zu seinem nahezu ikonenhaften Status beglückwünscht.

»Guten Tag«, sagte Marcus freundlich. »Vielleicht können Sie uns weiterhelfen.« Er klang wie ein Evangelist, der an der Tür gute Neuigkeiten und Bibeln verkaufte.

»Unwahrscheinlich«, sagte das fehlende Bindeglied zwischen Affen und Menschen. Louise wusste nicht, ob er nur dummdreist oder nur englisch war. Wahrscheinlich beides. Ihr Polizeiausweis juckte in ihrer Tasche, aber sie waren in Zivil und nicht offiziell unterwegs.

»Ich suche eine Mrs. Agnes Barker«, fuhr Marcus freundlich fort.

»Wen?« Der Mann runzelte die Stirn, als spräche Marcus in Zungen.

»Agnes Barker«, wiederholte er langsam. »Dies ist die Adresse, die wir von ihr haben.«

»Da täuschen Sie sich.«

Louise konnte nicht anders. Sie zückte ihren Ausweis, hielt ihn vor sein hässliches Gesicht und sagte: »Sollen wir’s noch mal versuchen? Von Anfang an – wir suchen nach einer Mrs. Agnes Barker.«

»Ich weiß nichts«, sagte er trotzig. »Ich habe das Haus gemietet. Ich gebe Ihnen die Telefonnummer.«

»Danke.«

 

Das Mädchen, das sich im Maklerbüro meldete und wie eine Zwölfjährige klang, erklärte bereitwillig, dass sie im Auftrag von Mrs. Barkers Anwalt vermieteten, ohne das Louise sagen musste, wer sie war. »Er hat eine Vollmacht«, sagte sie, was Louise so interpretierte, dass die Tante gaga war.

»Ist Mrs. Barker pflegebedürftig?«

»Sie ist in Fernlea. Das ist ein Pflegeheim.«

»Sie existiert also doch«, sagte Marcus.

 

Louises Handy klingelte, als Marcus das Sat Nav neu programmierte. Abbie Nash sagte: »Boss? Wir haben was wegen der Autovermietungen, oder wir haben vielmehr nichts. Wir haben alle Autovermietungen in Edinburgh angerufen. Keine hat Joanna Hunter ein Auto vermietet.«

»Vielleicht hat sie ihren Namen auf dem Führerschein nicht geändert, als sie geheiratet hat.«

»Mason?«, sagte Abbie. »Damit haben wir’s auch versucht. Nichts. Aber da wir schon beim Telefonieren waren, habe ich auch Deckers Namen überprüfen lassen, nur für den Fall, Sie wissen schon, und – bingo. Decker hat heute Morgen einen Citroën Espace gemietet. Und das ist das Interessante daran – seine Tochter war dabei.«

»Er hat keine Tochter.«

»Deswegen ist es ja interessant.«

»Der Plot verdichtet sich«, sagte Marcus zufrieden, nachdem Louise diese Informationen an ihn weitergegeben hatte.

 

Fernlea war alles, was Louise fürchtete. Die Stühle mit den hohen Rückenlehnen, die im Aufenthaltsraum vor dem Fernseher standen, der Geruch nach Großküche, der den schwachen, aber aufdringlichen Geruch nach desinfiziertem Toilettenpapier überlagerte. Es spielte keine Rolle, dass an einer Pinnwand Aktivitäten für die Bewohner (Teppichboccia) und Ausflüge (Harlow Carr Gardens, Harrogate mit Mittagessen bei Betty!) angekündigt wurden, es blieb ein Ort für Menschen, die niemand wollte. Ein Ort zum Sterben. Archie würde sie in so ein Heim schicken, wenn sie zahnlos und glatzköpfig und inkontinent wäre und den Namen ihres Sohnes vergessen hätte. Sie würde es ihm nicht übelnehmen. Patrick könnte sie nicht pflegen, er war ein Mann, statistisch gesehen, würde er vor ihr sterben trotz des Golfs, des Rotweins und des Schwimmens.

Sie käme nicht hierher. Sie würde lieber aus ihrem Leben treten, in eine kalte, kalte Nacht hinausgehen (Ich bin dann mal weg), sich unter eine Hecke legen und einschlafen, statt sich in ein Pflegeheim einweisen zu lassen. Oder sich die Pulsadern aufschneiden und warten, gefasst wie eine Römerin. Oder sich eine Pistole besorgen – nichts einfacher als das –, sich den Lauf in den Mund stecken, als wäre er eine Lakritzstange, und sich das Gehirn auf der Rückseite des Kopfes herausblasen. Ein Teil von ihr freute sich nahezu darauf. Es sprach einiges dafür zu sterben, bevor man in Windeln endete und endlose Wiederholungen von Friends sah. Gabrielle Mason, Patricks Samantha, Alison Needlers Schwester Debbie. Aufbewahrt im Bernsteinzimmer der Erinnerung, für immer jung. Für immer tot.

Am Empfang zeigte Louise ihren Ausweis, lächelte ihr höflichstes Lächeln und sagte »Ich muss kurz mit Mrs. Barker sprechen« zu einem dicken Mädchen in einer rosaweißkarierten Uniform, die ihr zu eng war und mehrere Speckrollen enthüllte, die gern entkommen wären. Wurst mit Haut. »Hayley« stand auf ihrem Namensschild aus Plastik. Hayleys dünnes blondes Haar war mit einem Haargummi zusammengefasst, ihr Mondgesicht erbarmungslos entblößt. Sie warf Marcus, der sie höflich ignorierte, einen Blick von der Seite zu.

Das Mädchen holte unter Mühen einen Schokoladeriegel aus der Tasche ihrer Uniform. Sie wickelte ihn aus und bot Louise ein Stück an. Der Riegel war flachgedrückt und etwas geschmolzen, und Louise winkte ab, obwohl sie gern etwas genommen hätte. Marcus nahm ein Stück, und das Mädchen wurde rot. Sie erinnerte Louise an ein Schwein aus Zucker. Sie hatte Zuckerschweine früher gern gegessen. »Meinen Sie, dass sie in der Lage ist, mit uns zu reden?«

»Das bezweifle ich«, sagte das Mädchen.

»Weil sie dement ist?«

»Weil sie tot ist.«

Ja, dachte Louise. Wenn man tot war, brachte man den Mund wirklich nicht mehr auf. Alte Tante geht rechts von der Bühne ab.

»Vor kurzem?«, fragte Marcus.

»Vor zwei Wochen. Ein massiver Schlaganfall«, sagte das Mädchen und steckte sich das letzte Stück Schokolade in den Mund.

»Jemand sollte es ihrem Anwalt sagen«, sagte Louise, mehr zu sich selbst als zu dem Mädchen. Und Neil Hunter. »Hatte sie Familie?«

»Ich glaube, es gab einen Neffen oder eine Nichte, aber sie waren, Sie wissen schon, wie heißt das? So ähnlich wie verfremdet.«

»Entfremdet?«

»Ja, so heißt es. Entfremdet.«

 

»Sie existiert nicht. Die Tante ist nicht mehr«, sagte Marcus zu Louise, als sie Fernleas unheilige Hallen verließen. »Die Tante gibt es nicht mehr, sie ist eine Extante. Wenn der Plot noch dichter wird, wäre er solide, was, Boss?«

»Sie fahren, Pfadfinder«, sagte Louise großzügig. Allmählich wurde ihr von den Kopfschmerzen schlecht.

»Und jetzt, Boss?«

»Ich habe keinen blassen Schimmer. Wir könnten Käse kaufen. Nein, warten Sie, rufen Sie an und lassen Sie herausfinden, wer Decker während des letzten Jahrs im Gefängnis besucht hat. Er verschwindet bei einem Zugunglück und mietet mit einer sogenannten Tochter ein verdammtes Auto. Finden Sie heraus, wer die Tochter wirklich ist. Jemand muss ihm helfen.«

»Außer er hat das Mädchen gerade erst aufgegabelt. Außer sie ist gegen ihren Willen bei ihm.«

»O Gott«, sagte Louise. »Hören Sie auf.«

»Meinen Sie, dass Decker irgendwas mit der Tante zu tun hat?«, rätselte Marcus.

»Ich weiß nicht mehr, wer was mit wem zu tun hat.«

Die Tante war nicht mehr, das zumindest war eine unumstößliche Tatsache. Also hatte entweder Joanna Hunter ihren Mann angelogen (Ich muss schnell mal Tante Agnes besuchen), oder er hatte alle anderen angelogen (Sie ist zu einer kranken Tante gefahren.) Und was war wahrscheinlicher – dass Neil Hunter log oder die schöne Dr. Hunter? Louise war sich nicht sicher, dass sie die Antwort auf diese Frage wusste. Sie vermutete, dass Joanna Hunter, wenn es hart auf hart kam, ihre Absichten genauso gut verheimlichen konnte wie alle anderen.

Sie war einmal davongelaufen und hatte sich versteckt, und jetzt tat sie es wieder. Deckers Entlassung musste sie aufgebracht haben. Sie war so alt wie ihre Mutter, als sie ermordet wurde, ihr Baby war so alt wie ihr Bruder. War sie in der Lage, eine Dummheit zu begehen? Sich selbst etwas anzutun? Decker? Hatte sie dreißig Jahre lang Rachegefühle in ihrem Herzen gehegt und wollte jetzt Gerechtigkeit durchsetzen? Das war eine abartige Idee, so etwas taten die Leute nicht. Louise hätte es getan, sie hätte Würfel aus Deckers Knochen und Katzenfutter aus seinem Herzen gemacht, ihn bis ans Ende der Zeit verfolgt, aber Louise war nicht wie andere Menschen. Aber auch Joanna Hunter war nicht wie andere Menschen, oder?

 

Sie hielten im Zentrum von Hawes an, und Louise stieg aus, schlenderte auf eine Brücke und schaute ins Wasser. Sie fühlte sich haltlos, Louise Ungebunden. Joanna war mit nichts aus ihrem Leben verschwunden (abgesehen von ihrem Baby, das alles war). Ein Trick, um den man sie beneiden könnte. Joanna Hunter, die große Eskapistin.

»Boss?«, sagte Marcus und blieb neben ihr stehen. »Alles okay?«

»Gut«, sagte sie, das universelle schottische Wort für alle Befindlichkeiten von »Ich sterbe unter Qualen« bis zu »Ich empfinde euphorische Freude«. »Gut«, wiederholte sie.

Und dann taten sie, was man in Orten wie diesem tut. Sie gingen in ein Café und tranken Tee.

 

»Soll ich die Mutter spielen?«, sagte Marcus und hob eine praktische braune Teekanne an, warm gehalten von etwas, was aussah wie eine Pudelmütze.

»Sie sind in dieser Rolle bestimmt besser als ich«, sagte Louise.

Sie steckte sich zwei Paracetamol in den Mund und trank einen Schluck dunkelbraunen Tee, der stark genug war, um den Abfluss damit zu reinigen.

»Ich habe meine Tage«, sagte sie, als Marcus sie fragend ansah. Es stimmte zwar nicht, aber na und.

»Natürlich«, sagte Marcus und nickte ernst. Oh, diese neuen Männer mit ihrem Respekt vor Frauen, wie waren sie? Sie waren nicht wie David Needler, sie waren nicht wie Andrew Decker, das stand fest.

Marcus hatte ein Stück Obstkuchen bestellt, und als er serviert wurde, lag eine dicke Scheibe Wensleydalekäse darauf (Käse und Kuchen, was stimmte nicht mit diesen Leuten?).

»Käääse, Gromit«, sagte er. Süßer Junge. Dummer Junge, aber dennoch süß.

Louise aß warmen Teekuchen, um die Schmerztabletten verträglicher zu machen. Er schmeckte teigig und blieb ihr im Hals stecken.

Ihr Handy klingelte – Reggie Chase. Sie stöhnte und ließ sie auf ihre Mailbox sprechen, überlegte es sich anders und wählte Reggies Nummer, um sie zu beruhigen. Sie sollte ihr allerdings nichts von der Tante sagen, das Mädchen könnte einen Nervenzusammenbruch haben, wenn Louise ihr erzählte, dass die Tante tatsächlich krank war und zwar so krank, dass sie unter der Erde lag. Reggies Handy klingelte fünfmal, bevor sich jemand meldete. Jackson.

»Hallo?«, sagte er. »Hallo?«

Auch das noch, dachte Louise. Es war nur logisch, dass sich die zwei irritierendsten Personen, die sie kannte, irgendwie zusammengetan hatten.

 

»Ich bin’s«, sagte sie. Und weil er vielleicht nicht wusste, wer »ich« war, obwohl es ihr gefallen hätte, wenn er es wüsste, fügte sie hinzu: »Louise.«

»Das ist erstaunlich«, sagte er, und dann war die Verbindung unterbrochen. Was war erstaunlich?

»Wahrscheinlich schlechter Empfang, Boss«, sagte Marcus. »Zu viele Hügel.«

Louises Handy klingelte erneut, und sie klappte es auf in der Annahme, dass es Jackson war. »Was?«

»Wow«, sagte Sandy Mathieson. »Nur die Ruhe. Läuft die ›kleine Spritztour‹ nicht so gut?«

»Nein, alles in Ordnung. Tut mir leid. Es gibt keine Tante.«

»Interessant. Es ist wie bei Agatha Christie.«

»Nicht wirklich.«

»Wie auch immer, ich rufe an, weil die Verkehrspolizei von North Yorkshire angerufen hat.« Es stimmte, der Empfang war nicht gut, und Sandys Stimme kämpfte mit dem Äther, aber der triumphale Tonfall seiner Botschaft war unüberhörbar. »Decker wurde auf der A1 festgenommen, in der Nähe von Scotch Corner. Sie bringen ihn ins Krankenhaus von Darlington. Sie können in null Komma nichts dort sein, Boss.«

»Ins Krankenhaus?«

»Irgendein Unfall.«

 

»Seltsam«, sagte Marcus, als sie ihn anwies, aufs Gas zu treten. »Sieht fast so aus, als wäre er hinter Ihnen her und nicht hinter Joanna Hunter.«

»Das ist nicht das wirklich Seltsame«, sagte Louise. »Das wirklich Seltsame werden Sie nicht glauben.«

»Versuchen Sie’s, Boss.«

 

»Noch etwas, Boss«, sagte Sandy Mathieson. »Es wird Ihnen nicht gefallen.«

»Das kann man von vielen Dingen behaupten.«

»Wakefield hat sich bei uns gemeldet. Decker war nicht der beliebteste Häftling im Block. Er hatte nur drei Besucher während der letzten eineinhalb Jahre. Seine Mutter, der Pfarrer der Gemeinde seiner Mutter – er ist im Gefängnis zum Katholizismus übergetreten, war viel mit dem Gefängnispfarrer zusammen und so weiter –, simple Methode, um mit Schuld fertig zu werden, wenn Sie mich fragen.«

»Es ist der dritte Besucher, der mich umhauen wird, oder?«, sagte Louise.

»Ja. Niemand anders als eine Dr. Joanna Hunter.«

 

»Sie machen Witze. Sie hat ihn besucht? Wie oft?«

»Nur einmal. Einen Monat vor seiner Entlassung. Sie hat um Erlaubnis gebeten, und er hat sie gegeben.«

Das hat sie nicht erzählt, dachte Louise. Sie hatte Joanna Hunter in ihrem schönen Haus besucht und in ihrem schönen Wohnzimmer mit den Duftheckenkirschen und den Duftenden Fleischbeeren gesessen und ihr gesagt, dass Andrew Decker entlassen worden war, und Joanna Hunter sagte: »Ich habe mir schon gedacht, dass es jetzt so weit ist.« Sie sagte nicht, ja, ich weiß, ich habe vor ein paar Wochen bei ihm vorbeigeschaut. Sie log nicht, sie sagte einfach nicht die Wahrheit. Warum?

»Opfer besuchen Häftlinge, Boss«, sagte Marcus. »Sie suchen nach Erklärungen, Reue, wollen das Verbrechen verstehen.«

»Normalerweise warten sie nicht dreißig Jahre damit.«

Joanna Hunter konnte laufen, sie konnte schießen. Sie wusste, wie man Leben rettete, und sie wusste, wie man Leben beendete. »Es gibt keine Regeln«, hatte sie letzte Woche in ihrem schönen Wohnzimmer zu Louise gesagt. »Wir tun nur so, als ob es sie gäbe.« Was hatte sie vor?

 

Louises Handy klingelte erneut. Sie ließ es lange läuten, sie war sich nicht sicher, ob sie noch mehr erfahren wollte.

»Boss?« Marcus schaute sie einen Moment zögernd an. »Wollen Sie nicht rangehen?«

»Es sind immer schlechte Nachrichten.«

»Nicht immer.«

Ein Crescendo an Anrufen, die zwangsläufig in einem dramatischen Finish endeten. Sie seufzte und meldete sich.

»Entschuldigung, Boss«, sagte Abbie Nash. »Nichts Dramatisches. Wir haben die Anrufe auf Joanna Hunters Handy am Mittwoch überprüft.«

»Fangen Sie mit den Anrufen nach sechzehn Uhr an, nachdem sie von der Arbeit zurück war.«

»Einer von ihrem Mann, zwei von einer Sheila Hayes und der letzte um halb zehn – derselbe Teilnehmer hat auch am Donnerstag mehrmals angerufen und dann wieder gestern Morgen, ein Handy, registriert auf den Namen Jackson Brodie, London.«

Selbstverständlich, warum nicht?