Spritztour
Viermal Fish and Chips, Boss«, sagte Marcus, als er wieder in den Wagen stieg. »Ich wusste nicht, was ich wegen dem Hund tun soll, aber er kann was von meinem Fisch haben, obwohl er jetzt noch ein klein wenig heiß ist.«
»Sie sind ein Hundefreund, was?«, sagte Louise, aber er überhörte ihren sarkastischen Tonfall und sagte: »Ich liebe Hunde. Sie sind so, wie Menschen sein sollten.«
Er saß auf dem Beifahrersitz, Jackson und Reggie saßen hinten, der Hund sperrig zwischen ihnen. Louise hatte vorgeschlagen, den Hund in den Kofferraum zu stecken, woraufhin Reggie und Marcus in einen entsetzten Chor ausgebrochen waren. »Hab nur Spaß gemacht«, sagte sie, doch sie glaubten ihr nicht.
»Immer noch eine hartherzige Frau«, sagte Jackson. »Du weißt, dass ich nicht in dieselbe Richtung muss wie ihr.«
»Wie wahr. In vielerlei Hinsicht.«
»Wenn du mich irgendwo absetzen könntest – an einem Bahnhof, einer Bushaltestelle, neben der Straße, irgendwo. Ich will nach Hause, nach London.«
»Pech«, sagte Louise. »Du hast eine Straftat begangen, mehrere sogar. Offenbar hast du mal wieder die Dummheit mit dem Löffel gefressen – du fährst mit einem Führerschein, der dir nicht gehört, du fährst, wenn du nicht in der Lage dazu bist, was hast du dir dabei gedacht? Lass mich raten, du hast überhaupt nicht gedacht. Du hast Hackfleisch im Kopf.«
»Du hast mich nicht verhaftet«, sagte er.
»Noch nicht.«
Der Espace war abgeschleppt worden, Louise hatte seinen Führerschein konfisziert – Andrew Deckers Führerschein. Es war offensichtlich, dass weder Jackson noch Reggie wussten, wer Andrew Decker war.
»Das also«, sagte Marcus, wandte sich um und sah Jackson an, »ist der Mann aus dem Krankenhaus, der mit Andrew Decker verwechselt wurde. Der immer noch für Decker gehalten wird.« Er blies auf ein Pomme frite, um es abzukühlen. »Und Sie kennen ihn, Boss?«
»Leider.«
»Das haben Sie nicht gesagt. Hätten Sie ihn nicht der Polizei von North Yorkshire überlassen sollen?«
(»Ma’am«, sagte eine Buchstütze. »Nehmen Sie den Häftling wieder fest?«
»Er ist kein Häftling«, sagte Louise. »Nur ein Idiot.«)
»Ja, das hätte ich. Hat noch jemand Fragen, um mir damit auf die Nerven zu gehen, oder kann ich einfach fahren?«
Als sie aufbrachen, setzte sie sich ans Steuer, bevor Marcus fragen konnte, ob er fahren solle. Was Louise betraf, sollten alle im Wagen wissen, wer hier das Sagen hatte.
»Du siehst schrecklich aus«, sagte sie und schaute im Rückspiegel zu Jackson. »Noch schlimmer als neulich.«
»Neulich? Wann war das, neulich?«
»In deinen Träumen«, sagte sie.
»Gratuliere«, sagte Jackson.
»Wozu?«
»Zu deiner Beförderung. Und zur Heirat natürlich.« Sie blickte ihn kurz an, und dann schaute sie auf ihren Ehering. Sie spürte, wie eng der Ring saß. Der Diamant lag wieder im Safe, aber den Ehering hatte sie anbehalten, obwohl er ihr ins Fleisch schnitt. Eine Buße, wie das Tragen eines härenen Hemdes. Ein härenes Hemd erinnerte dich an deinen Glauben, ein Ehering, der dir den Finger absterben ließ, an den Mangel daran.
»Du hast offenbar auch geheiratet«, sagte sie im Spiegel zu ihm. »Entschuldige, dass ich dir keine Karte geschickt habe. Warum eigentlich nicht – ach ja, du hast vergessen, es mir zu sagen.« Sie spürte, wie Marcus sich auf dem Beifahrersitz neben ihr wand. Ja, die Erwachsenen stritten sich. Das war nie schön.
»Du hast nicht lange gebraucht, um über Julia hinwegzukommen«, fuhr sie fort. »Ach nein, Moment, sie hat dich ja betrogen, nicht wahr? War von einem anderen Mann schwanger. Das muss es leichter gemacht haben, als sie dich vor die Tür gesetzt hat.« Bewundernswerterweise nach Louises nicht ausgesprochener Meinung schluckte Jackson den Köder nicht. »Also denk nicht mal im Traum daran, meine Beziehungen zu kommentieren.«
»Dein Smalltalk ist nicht besser geworden«, sagte er und dann, überraschenderweise: »Du hast mir gefehlt.«
»Nicht genug, um nicht zu heiraten.«
»Du hast zuerst geheiratet.«
»Ich hatte nie zwei Eltern«, sagte eine junge Stimme auf dem Rücksitz. »Ich wollte immer wissen, wie es ist.«
»Wahrscheinlich nicht so«, sagte Marcus.
»Die Tante, die Tante«, hatte Reggie gesungen, als sie Louise sah. »Die Tante wohnt in Hawes, das ist nicht weit. Wir müssen hinfahren und nachsehen, ob Dr. Hunter dort ist. Sie ist entführt worden.«
»Nicht von der Tante, das kann ich dir versichern«, sagte Louise.
Reggies kleines Gesicht erstrahlte. »Sie sind wegen der Tante hier! Haben Sie mit Dr. Hunter gesprochen? Haben Sie das Baby gesehen?«
»Nein.«
Das kleine Gesicht umwölkte sich. »Nein?«
»Die Tante ist tot.«
»Dann muss sie wirklich sehr krank gewesen sein«, sagte Reggie ernst. »Arme Dr. Hunter.«
»Sie ist schon eine Weile tot«, gab Louise widerwillig zu. »Zwei Wochen, um genau zu sein.«
»Zwei Wochen? Das verstehe ich nicht«, sagte Reggie.
»Ich auch nicht«, sagte Louise. »Ich auch nicht.«
Reggie machte erneut Inventur von Dr. Hunters Handtasche, verkündete jeden Gegenstand laut vom Rücksitz – »eine Rolle Polos, einmal Papiertaschentücher, eine Haarbürste, ein Filofax, ihr Asthmaspray, ihre Brille, ihre Geldbörse. Das sind Sachen, die man nicht zu Hause lässt.«
Außer man hat es eilig, dachte Louise.
»Außer man hat es eilig«, sagte Jackson.
»Fang nicht an zu denken«, warnte ihn Louise.
»Schau dir die Fakten an«, sagte er und ignorierte ihren Rat. »Die Frau ist definitiv verschwunden, aber ob freiwillig oder gegen ihren Willen, das ist die Frage.«
»Tatsächlich, Sherlock?«, murmelte Louise.
»Dr. Hunter ist etwas Schlimmes passiert«, sagte Reggie bestimmt. »Ich weiß es. Ich habe Ihnen schon mehrmals gesagt, dass der Mann in Mr. Hunters Haus ihn bedroht hat, er hat gesagt, dass ›dir und den deinen‹ was zustoßen wird. Er hat keinen Spaß gemacht.«
»Ich will mich ja nicht einmischen«, sagte Jackson, »aber vielleicht deckt ihr Mann sie?«
»Warum?«, sagte Louise.
»Weiß nicht. Er ist ihr Mann, Eheleute tun das füreinander.«
»Ja?«, sagte Louise. »Wie heißt sie?«
»Wie heißt wer?«
»Deine Frau.«
»Tessa. Sie heißt Tessa. Du würdest sie mögen«, fügte er hinzu. »Du würdest meine Frau mögen.«
»Nein, würde ich nicht.«
»Doch, das würdest du«, sagte Jackson.
»Ach, jetzt halt den Mund.«
»Ich denk nicht dran«, sagte Jackson.
»Aufhören«, sagte die kleine Stimme der Vernunft auf dem Rücksitz.
»Sie hat alles dagelassen«, sagte Reggie. »Ihr Handy, ihre Geldbörse, ihre Brille, ihr Spray, ihr Ersatzspray, ihren Hund, die Decke des Babys. Außerdem hat sie sich nicht umgezogen, sie zieht sich immer sofort um, und die Männer, die Mr. Hunter bedrohten, haben gesagt, dass er nie wieder was von ihr hören würde, wenn er die Ware nicht beibringt. Und die Tante existiert nicht! WAS FÜR BEWEISE BRAUCHEN SIE NOCH?«
»Sorg dafür, dass sie in eine Papiertüte atmet, ja?«, sagte Louise zu Jackson.
»Aber«, sagte Marcus, »hat das jetzt was mit Decker zu tun oder nicht? Ist es reiner Zufall, dass er genau im gleichen Moment auftaucht, in dem sie verschwindet? Und dann? Ist er einfach vom Unglücksort weggegangen?«
»Er ist nirgendwo aufgetaucht«, sagte Louise. »Er ist der unsichtbare Mann.«
»Decker«, murmelte Jackson und schaute nachdenklich aus dem Fenster. »Decker? Warum kommt mir der Name bekannt vor?«
Decker war verschwunden, Jackson war da. Als ob sie auf mysteriöse Weise die Plätze getauscht hätten. Jackson hatte bei dem Zugunglück seinen BlackBerry verloren und seltsamerweise zur gleichen Zeit Deckers Führerschein bekommen. War er, ohne es zu wissen, an Deckers Stelle getreten? War Decker der Mann gewesen, der auf Joanna Hunters Handy angerufen hatte, als Louise gestern Morgen in ihrem Haus war? Er hatte nach »Jo« gefragt, nicht nach Joanna oder Dr. Hunter. Hatte sie Sagen Sie Jo zu mir zu ihm gesagt, als sie ihn im Gefängnis besuchte? Was hatte sie sonst noch mit ihm gesprochen?
»Was hast du sonst noch verloren?«, fragte Louise Jackson.
»Kreditkarten, Führerschein, Schlüssel«, sagte Jackson. »Im BlackBerry ist ein Adressbuch.«
»Im Grunde deine ganze Identität. Was, wenn Decker sie benutzt? Du bekommst den Führerschein eines Häftlings der Kategorie A, gegen den ein Haftbefehl vorliegt, und er bekommt dich – einen angeblich rechtschaffenen Bürger –, Kreditkarten, Geld, Schlüssel, ein Handy. Die letzte Person, die Joanna Hunter am Mittwoch angerufen hat, hat mit deinem Handy angerufen, mit deinem BlackBerry, es war also vielleicht Decker. Er ruft Joanna Hunter an, und sie verschwindet. Neil Hunter behauptet, sie ist um sieben weg, aber dafür haben wir nur sein Wort. Vielleicht ist sie später weg, nach dem Telefonanruf. Und wenn sie fortgefahren ist – irgendwie, nicht mit ihrem Wagen, nicht mit einem geliehenen Auto –, aber nicht zu ihrer Tante, wohin dann? Um jemanden zu treffen? Decker? War er in dem Zug nach Edinburgh, weil sie sich verabredet hatten? Der Zug entgleist, er ruft sie an, und sie fährt los, um sich mit ihm zu treffen.«
»Und dann?«, sagte Marcus.
»Das ist es, was mir Sorgen macht. Was ist mit Überwachungskameras, da, wo sie wohnt, muss es Kameras geben, in der Straße wohnen viele reiche Leute, und –«
»Moment mal«, sagte Jackson. »Warum interessierst du dich so für diesen Decker? Das verstehe ich nicht.«
»Ja«, sagte Reggie. »Wer ist Andrew Decker? Und was hat er mit Dr. Hunter zu tun?«
Tut mir leid, Mädchen, dachte Louise. Sie hatte nicht diejenige sein wollen, die Reggie von Joanna Hunters Vergangenheit erzählte. Wie erwartet, wurde Reggie durch die Geschichte noch aufgeregter. (»Ermordet? Ihre ganze Familie?«) Das Mädchen war ein Terrier, das musste man ihr lassen. Sie war nicht einmal mit Joanna Hunter verwandt, und doch schien sie wegen ihr besorgter als sonst irgendjemand. Louise glaubte nicht, dass Archie solche Gefühle für sie hegte.
»Herrgott«, sagte Jackson. »Andrew Decker – natürlich. Wie konnte ich nur den Namen vergessen? Wir hatten ein Manöver in Dartmoor. Wir wurden gerufen, um nach dem vermissten Mädchen zu suchen, dem Mädchen, das davongekommen war.«
»Joanna Mason«, sagte Louise. »Jetzt Joanna Hunter.«
»Und jetzt müssen Sie sie wieder suchen«, sagte Reggie.
»Nur weil ihr einmal etwas Schlimmes zugestoßen ist, heißt das nicht, dass es wieder passieren wird«, sagte Louise zu Reggie.
»Nein«, sagte Reggie. »Sie täuschen sich. Nur weil ihr einmal etwas Schlimmes zugestoßen ist, heißt das nicht, dass es nicht wieder passieren wird. Glauben Sie mir, mir passiert ständig was Schlimmes.«
»Mir auch«, sagte Jackson.
»Du machst dir Sorgen, dass dieser Decker hinter Joanna Hunter her ist?«, fragte Jackson Louise. »Scheint mir unwahrscheinlich. Ich habe noch nie gehört, dass jemand so etwas tut.«
»Um ehrlich zu sein, ich fange an, mir Sorgen zu machen, dass Joanna Hunter hinter Andrew Decker her ist.«
»Andererseits«, sagte Louise.
Sie standen auf dem Parkplatz einer Tankstelle. Marcus und Reggie waren im Laden und kauften Snacks, und Jackson hatte sich auf den Beifahrersitz gesetzt. Er strahlte Hitze ab. Louise fragte sich, ob er Fieber hatte, oder ob sie es sich aufgrund ihres eigenen überhitzten Zustands einbildete. Sie wollte, dass er sie in die Arme nahm, sie wollte ihre Knochen weich werden lassen, nur für einen Augenblick. Bei Patrick empfand sie nie so, wollte nie aufhören, Louise zu sein, aber während sie hier auf dem hell erleuchteten Parkplatz saß, wollte sie kapitulieren und vom Schlachtfeld gehen. Gab es eine Möglichkeit, ihn diesmal zu behalten, ihn ins Gefängnis zu sperren, in eine Kiste, einen Safe, damit er nicht wieder fortkonnte?
»Andererseits was?«, fragte er.
»Neil Hunter, Joannas Mann, ist alles andere als unverdächtig. Es könnte genauso gut er gewesen sein, der sie hat verschwinden lassen. Und das Baby. Vielleicht wollte sie ihn verlassen, und er ist durchgedreht.«
»So was passiert.«
»Andererseits … er kennt ein paar interessante Leute.«
»Interessante Leute?«
»Was wir ›Kriminelle‹ nennen. Typen aus Glasgow, über die uns seit geraumer Zeit Gerüchte zu Ohren kommen. Ein Mann namens Anderson. Er will in die Stadt, in legalen Geschäften mitmischen. Private Autovermietungen scheint er besonders zu mögen.«
»Kleine Limousinen?«
»Ja. Und Spielhallen. Fitnessstudios. Schäbige Schönheitssalons. Und wem gehört das alles?«
»Neil Hunter?«
»Bingo. Eine seiner Spielhallen ist letzte Woche abgebrannt und auch noch andere Sachen.«
»Andere Sachen?«
»Fachausdruck. Wir haben ermittelt, ob Hunter vorsätzlich Feuer gelegt hat, aber ich fange ernsthaft an, es zu bezweifeln. Was, wenn er Hunters Familie bedroht? Entführt, behauptet Reggie steif und fest, und bislang hatte sie mit allem recht. Groteskerweise.«
»Dich und die Deinen. Denk drüber nach. Deine nette kleine Frau, dein süßes kleines Baby. Willst du sie wiedersehen? Du bist dran. Das hat Reggie gesagt.«
»Für einen alten Mann hast du ein gutes Gedächtnis.«
»Viel Auswendiglernen in der Schule. Und ich bin erst neunundvierzig. Jünger als dein Mann, glaube ich. Willst du sie wiedersehen? Glaubst du, dass sie irgendwo festgehalten werden?«
»Und die Tante war nur ein Ablenkungsmanöver. Eine Finte. Ein Weg, alle auf die falsche Fährte zu locken, die sich über Joanna Hunters plötzliches Verschwinden wunderten«, sagte Louise. »Die Ironie der Sache ist, dass sich ihr Mann die Mühe gar nicht hätte machen müssen, Deckers Entlassung aus dem Gefängnis hat Joanna Hunter einen wahrhaft guten Grund gegeben, unterzutauchen. Neil Hunter hätte die Tante nicht ins Spiel bringen sollen.«
»Gute Theorien«, sagte Jackson. »Wie sollen wir sie beweisen oder widerlegen?«
»Wir tun gar nichts. Nur ich. Ich bin die richtige Polizei, du bist nur ein Nichtsnutz. Im Grunde.«
»Danke.« Er streckte die Hand aus, nahm ihre und sagte: »Ich habe dich wirklich vermisst.« Ihr Mund wurde trocken, und ihr Herz begann zu rasen, als hätte sie einen Virus, und sie wollte den Motor anlassen und mit ihm ins nächste Hotel fahren, in die nächste Scheune oder auf den nächsten Rastplatz, doch Marcus und Reggie stürmten aus dem Laden, und sie hatte nur noch Zeit, ihm die Hand zu entziehen, bevor sie die Wagentüren öffneten, einen Schwall kalte Nachtluft einließen und Chipstüten aufrissen.
»Wollen Sie Ihren Platz wieder?«, fragte Jackson Marcus, und Marcus sagte: »Nein, ist okay, ich sitze gern neben dem Hund«, aber Louise sagte zu ihm: »Sie können fahren, ich bin müde, ich setze mich nach hinten«, weil sie es nicht länger ertrug, so nahe bei Jackson zu sein und ihn nicht berühren zu können.
»Kein Problem«, sagte Marcus. »Alles anders. Männer vorn, Frauen hinten, so wie es sein sollte. War nur ein Witz«, fügte er rasch hinzu, als er Louises Miene im Rückspiegel sah.
Es war lange dunkel, als sie über die Grenze fuhren. Nach Berwick zogen sich die Kilometer. Sie setzten Reggie und Jackson in Musselburgh ab. »Bist du sicher, dass du ihn bei dir übernachten lassen willst?«, sagte Louise zweifelnd zu Reggie.
»Er kann ja sonst nirgendwohin.«
»O doch, ich habe ein Zuhause«, sagte Jackson. »Nur dass Gott und die Welt verhindern wollen, dass ich jemals wieder dort hinkomme.«
»Sie müssen dabei helfen, Dr. Hunter zu finden«, sagte Reggie.
»Dr. Hunter zu finden ist mein Job, Reggie«, sagte Louise. »Ich will nicht, dass sich Amateure einmischen.« Sie wandte sich an Jackson und sagte: »Wir schaffen das ohne deine Hilfe, danke.«
»So in etwa wie: Geh nach Hause zu deinen Kindern, Herb?«
»Genau.«
»Netter Wagen«, sagte er und tätschelte liebevoll das Dach des BMWs, als wäre er ein alter Freund.
»Verschwinde.«
»Ich sehe dich morgen«, sagte er.
»Ja?«
»Ja, natürlich.«
Ihr Herz machte einen Sprung, sie würde ihn morgen wiedersehen. So fühlten sich junge Mädchen, so hatte sich Louise als junges Mädchen nie gefühlt. Patrick hatte recht, sie hatte keine Jugend gehabt. Das holt sie jetzt nach.
»Ich würde nicht nach Hause fahren, ohne mich zu verabschieden«, sagte er.
Mistkerl. Sie konnte ihn nicht halten, konnte mit der Anziehungskraft seiner neuen Frau nicht konkurrieren. Tessa. Schlampe.
Sie wollte sagen, komm mit mir nach Hause – na gut, nicht nach Hause, sie konnte ihn schlecht nach Hause mitnehmen und ihrem Mann, Bridget und Tim vorstellen: »Das ist Jackson Brodie, der Mann, den ich hätte heiraten sollen.« Nicht heiraten. Die Ehe war für Narren. Der Mann, mit dem sie hätte weglaufen sollen. Über die Berge und weit weg. »Vertrau mir«, wollte sie zu ihm sagen. Aber natürlich tat sie es nicht.
»Wer ist Herb?«, fragte Marcus.
»Scheiße. Ich hätte Reggie die Handtasche abnehmen sollen.« Was war los mit ihr? Sie war eigentlich nicht vergesslich. Jetzt schien ihr Gehirn zu zerfasern.
»Ich lasse sie morgen bei ihr abholen, Boss.«
»Sie sind ein kleiner Schatz, wirklich.«
Marcus sagte, »Setzen Sie mich irgendwo ab«, und sie sagte: »Seien Sie nicht albern, ich fahre Sie nach Hause.« Er wohnte in South Queensferry, ein Riesenumweg.
»Das ist ein Riesenumweg, Boss.«
»Kein Problem, wirklich. Ich bin wieder wach.« Er wohnte noch immer bei seiner Mutter. Archie würde nicht mehr bei ihr wohnen, wenn er sechsundzwanzig wäre.
»Haben Sie eine Freundin?« Nie zuvor hatte sie daran gedacht zu fragen, Marcus wirkte nicht wie ein junger Mann, der ein Mädchen hatte.
»Ellie.«
»Aber Sie leben nicht mir ihr zusammen?«
»Das ist der nächste Schritt, Boss. Wir haben gestern Abend ein paar Häuser angeschaut. In Malbet Wynd.«
Ja, natürlich, er war ein Junge, der alles richtig machte, in Schritten und Stufen. Ein Mädchen namens Ellie, ein Haus in Malbet Wynd. Er tat nichts ohne Vorbereitung.
Nachdem er ausgestiegen war, rutschte Louise auf den Fahrersitz und öffnete das Fenster. »Als Erstes müssen wir morgen früh herausfinden, ob und wo Jackson Brodies Kreditkarten benutzt wurden. Und versuchen, sein Handy ausfindig zu machen.«
»Okay, Boss.«
»Gute Nacht, Pfadfinder.«
»Gute Nacht, Boss.«
Sie wartete, bis er die Haustür aufgeschlossen, sich umgedreht und gewunken hatte und ins Haus gegangen war. In einem Zimmer unten bewegte sich ein Vorhang, vermutlich seine nach Höherem strebende Mutter.
Sie saß noch eine Weile länger da und überlegte, ob sie außer nach Hause noch irgendwo anders hinfahren könnte. Fife und alle Orte im Norden waren gleich jenseits des Wassers. Wie weit würde sie kommen, bevor jemand merkte, dass sie nicht mehr da war?