Jeder Winter wird zum Frühling

»Das ist dein Jahr«, hatte die beste Freundin von allen im vergangenen Sommer gesagt. Eine kleine Ewigkeit ist seitdem vergangen. Und? War es mein Jahr?, frage ich mich jetzt, im Januar des neuen, jungen Jahres, sechs Monate später und um gefühlte 200 Seiten weiter in diesem Buch. Sicher nicht im Sinne von beruflichen Höhenflügen, warmen Finanzduschen oder dem Rausch einer neuen Liebe, denn das sind alles Dinge der Welt der vorübergehenden Freude. Viel zu lange habe ich mein Glück darüber definiert und mich von äußeren Umständen abhängig gemacht. Und gerade deswegen sage ich: Ja, es war mein Jahr, denn ich habe mir mein Leben zurückgeholt und habe endlich gelernt, es wirklich wertzuschätzen. Man darf sich nicht allein auf die Anerkennung durch andere Menschen verlassen. Darum geht es nicht. Dieser Illusion bin ich jahrelang hinterhergelaufen. Inzwischen habe ich mich endgültig von den Fesseln meiner eigenen Negativität und den destruktiven Kräften befreit. Ich habe erkannt, dass die Hindernisse, denen ich begegnet bin, gewissermaßen die Antworten auf meine Gebete waren, und zwar von dem Moment an, als ich das erste Mal Nam Myoho Renge Kyo ausgesprochen hatte. Dieser Satz hat mir den richtigen Weg gezeigt, der zwar mühsam und beschwerlich war, aber mit dem Resultat, dass ich um vieles reicher bin als zuvor. Ich zweifle nicht mehr an mir und schon gar nicht daran, dass mein Leben einzigartig und wundervoll ist. Weil ich ein Buddha bin. Und meine Mission als Buddha ist, nicht voller Leid durchs Leben zu gehen, sondern glücklich zu sein und dieses Glück mit anderen Menschen zu teilen.

»Vertrauen« ist das Schlüsselwort. Wenn wir darauf vertrauen, dass unser Leben wunderbar und einzigartig ist, haben wir gewonnen. Diese fundamentale Erkenntnis hat mein Leben verändert. Weil ich mich verändere, verändert sich auch meine Umgebung, ich nehme sie anders wahr. Und das einzig Beständige ist die Veränderung. Es ist unmöglich, sich dagegen zu wehren. Vermutlich war ich diesbezüglich wohl ein sehr taugliches Fallbeispiel gewesen. Der Moment des Loslassens hat so viel in Bewegung gesetzt – zum einen bekam ich die klare Botschaft: Mache die Bühne wieder zu deiner Heimat. Zum anderen tauchten wertvolle Menschen wieder auf, die in dem Leben, in dem ich mich verlaufen hatte, wie vom Erdboden verschluckt schienen. Warum, ist wohl klar: Wertvolle Menschen mögen keine wertefreien Zonen. Doch inzwischen habe ich neue Ursachen und damit Prioritäten gesetzt. Und schon waren sie da, meine »Schutzfunktionen« in Menschengestalt, die mich seitdem wieder auf meinem Weg durch ein wertvolles Leben begleiten. Sie erschienen im richtigen Moment. Kurz nach MC, die inzwischen meine »französische Familie« ist, kehrte G. in mein Leben zurück, ein Arzt und Philosoph, den ich aus Wiener Zeiten kenne und der inzwischen einer meiner besten Freunde ist, so etwas wie ein Lebenscoach von der »anderen Seite«. Damit will ich sagen, dass es für einen Buddhisten nicht darauf ankommt, sich ausschließlich mit Buddhisten zu umgeben. G. als tiefgläubiger Katholik hat vieles in meinem Leben aus einer anderen Perspektive beleuchtet, was mich wiederum in meinem Weg bestärkt hat, aber auch meinen Sinn für Offenheit und Toleranz geschärft hat. G. kam in dem Augenblick zurück in mein Leben, als – wie das so ist – kurz vor Morgengrauen die Nacht am dunkelsten war. Ein Mensch, der – im Gegensatz zu dem, was vorher war – Toleranz, Liebe, Respekt, Loyalität und Mitgefühl auf zwei Beinen ist. Und nicht nur das. Dieser brillante Geist mit scharfem Verstand und mehreren Hochschuldiplomen, dieser Philosoph und Poet der Sonderklasse erscheint mir nach den Jahren intellektueller Wüste im Leben von TF wie eine fruchtbare grüne Oase, eine Wohltat für mein völlig verdurstetes Gehirn. Wie sehr hat mir das gefehlt! Tage- oder nächtelang gemütlich im Sofa hängen – ohne TV-Dauerberieselung ­– über Goethe und Shakespeare philosophieren oder sich über Nietzsche, Heidegger, Oscar Wilde und Simone de Beauvoir die Köpfe heißreden. Was für ein Geschenk, diesen Menschen wiedergefunden zu haben! Eine wundervolle Wirkung auf eine Ursache, da ich nämlich unter anderem dafür gechantet hatte, die Leere in meinem geistigen Leben wieder zu füllen.

Was immer auch geschieht, wir überleben es. Irgendwie. Der große Unterschied in der Akzeptanz von Leid und Schwierigkeiten liegt darin, dass man einen Sinn in allem sieht. Mein Glaube befähigt mich dazu. Das, was hinter mir liegt, was ich erlebt habe, die Menschen, die meinen Weg kreuzten oder auch versucht haben, mich davon anzubringen, sind letztendlich nur Vehikel meines Karmas. Wie ein Auto, das man mir zur Verfügung stellt, um zum Beispiel von Köln nach Hamburg zu fahren. Wenn ich stattdessen in München lande, ist nicht das Auto daran schuld. Verstehen Sie? Doch manchmal muss man sich wohl verirren, um zu erkennen, worauf es im Leben wirklich ankommt. Es geht darum, sich nicht von den Umständen besiegen zu lassen, nicht aufzuhören, an den Sieg zu glauben und daran, dass man mit allen Problemen fertigwird – auch wenn das Ergebnis mitunter anders aussieht, als man es sich vorgestellt hat.

Inzwischen habe ich mein Leben in beide Hände genommen und die Verantwortung dafür übernommen. Das Vergangene hat mir ganz klar meine Muster vor Augen geführt. Und ich bin überzeugt davon, dass ich sie nur mittels meiner buddhistischen Praxis erkennen konnte – indem ich kräftig »umgerührt« habe. Dadurch erhielt ich die Chance, den Teil in mir zu ändern, der die Muster erzeugt hat. Das ist mein Weg mit Buddha: das Auflösen der karmischen Muster. Heute, in diesem Moment, in dem ich die letzten Zeilen schreibe, kann ich sagen: Je weiter ich mich von den alten Mustern entferne, desto mehr Frieden spüre ich in meinem Leben, desto mehr neue Menschen gesellen sich an meine Seite, interessante und wertvolle Menschen, die mit mir neue Wege gehen – beruflich wie privat. Und das stärkt mein Vertrauen. Egal, welchen Glauben Sie praktizieren und leben, Sie sollten immer bei sich selbst anfangen, denn wir sitzen alle im gleichen Boot und tragen Verantwortung füreinander. Indem Sie glücklich werden, machen Sie diese Welt ein bisschen glücklicher und positiver und wir kommen einem dauerhaften Frieden ein Stückchen näher. Auch wenn man nur ein winzig kleines Teilchen ist, darf man nicht davon ausgehen, keine Verantwortung zu haben! Ich hatte in der »Dunkelphase« meines Lebens diese Tatsache trotz »buddhistischer Schulung« ziemlich gründlich vergessen. Deswegen gab es einen Tsunami – um mich daran zu erinnern, wozu ich lebe. Ich bin ganz und gar nicht der Meinung Nietzsches, der behauptet: »Was eigentlich gegen das Leiden empört, ist nicht das Leiden an sich, sondern das Sinnlose des Leidens.« Leid ist durchaus sinnvoll, denn dadurch verschieben sich die Wertigkeiten. Vergessen Sie das nie!

Rainer Maria Rilke schrieb in einem Brief an Friedrich Westhoff im Jahre 1904 die wundervollen Worte:

»Man muss nie verzweifeln, dass etwas verloren geht, ein Mensch oder eine Freude oder ein Glück; es kommt alles noch herrlicher wieder. Was abfallen muss, fällt ab; was zu uns gehört, bleibt uns, denn es geht alles nach Gesetzen vor sich, die größer als unsere Einsicht sind und mit denen wir nur scheinbar im Widerspruch stehen. Man muss in sich selber leben und an das ganze Leben denken, an alle seine Millionen Möglichkeiten, Weiten und Zukünfte, denen gegenüber es nichts Vergangenes und Verlorenes gibt.«19

Das bedeutet »Hoffnung« und die tiefe Entschlossenheit, den Glauben an den Sieg über alle Probleme und Hindernisse niemals aufzugeben in dem Wissen, dass das »fundamentale Übel« zwar als negative Funktion in unserem Leben besteht, dass wir es aber sehr wohl bekämpfen können, wenn wir die Zügel nicht schleifen lassen, sondern stets dem Regenbogen in unserem Herzen folgen. Und auch wenn wir einmal vom Weg abkommen, gibt es stets einen Neubeginn. Jeden Tag. Jetzt. Von heute an. Wir müssen es nur von Herzen wollen. Nur wir selbst schreiben das Textbuch unseres Lebens. Anders als in manchen Bereichen der schreibenden Zunft gibt es keinen »Ghostwriter«. Delegieren geht hier nicht, Davonlaufen auch nicht.

Im Juli letzten Jahres bekam ich die Chance, mich öffentlich zu diesem Thema zu äußern. In der Talkshow ging es primär um »Wertelosigkeit«, »Moralbegriffe« und »Verantwortung dem Leben gegenüber«, ­– im Hinblick auf Dieter Wedels Politthriller Das Vermögen des Herrn Süß, in dem ich zu dieser Zeit in Worms auf der Bühne stand. Da ich sehr schnell erkannt hatte, dass mir mit diesem Stück ein Teil meines vergangenen Lebens begegnete, ging auch mein Gespräch mit der Moderatorin Bettina Böttinger in eine recht persönliche Richtung des Glaubens und der Lebensphilosophie. Da ich in der Sendung sehr viel Wertschätzung erfuhr, gewann ich das Vertrauen, aus der Rolle, die ich in dem Stück spielte, Parallelen zu meiner Person zu ziehen, zum ersten Mal öffentlich über den »Werteverfall« in meinem eigenen Leben zu sprechen und den schwierigen Weg aus der Krise zu schildern. Zu der Gesprächsrunde gehörte auch ein Mann, ein Beerdigungsunternehmer, dessen Leben aufgrund einer Krebserkrankung bald enden würde. Es berührte mich zutiefst, mit welch positiver Einstellung dieser (christliche) Mensch mit seinem Schicksal umging. Es ließ meine eigene Geschichte für mich klein, ja beinahe unbedeutend erscheinen.

Mir wurde wieder einmal deutlich, dass es letztendlich nur um eines geht: um unseren Lebenszustand. Ihn zu erhöhen ist unsere Hauptaufgabe. Das gilt auch in der Stunde unseres Todes, denn es ist sehr wohl von Bedeutung, mit welchem Lebenszustand wir uns aus unserer Existenz »verabschieden«. Klar, unser Verstand und unser Herz weigern sich, in dieser Lebensphase das Wort »glücklich« anzunehmen. Das ist ganz natürlich. Doch im Zustand des Buddha kann man selbst in Krankheit und Tod über ein erfülltes Leben glücklich sein, ohne Angst vor der »Nachtruhe« danach. Ich konnte diesen hohen Lebenszustand bei einem Freund von mir beobachten: Je mehr die Krankheit seinen inneren Körper zerstörte, desto mehr blühte er äußerlich auf. In den letzten Wochen seines Lebens war er so attraktiv wir nie zuvor.

Mit dem tiefen Wunsch, aufgrund meiner buddhistischen Lebenserfahrung andere Menschen zu ermutigen, fuhr ich nach dieser Talkshow, dem Kölner Treff, am 13. Juli letzten Jahres zurück in mein Wormser Domizil. Es war die Initialzündung für dieses Buch.

Die letzten Monate haben aus mir einen Eremiten gemacht. Ich habe mich völlig dem Schreiben überlassen. Chanten und schreiben. Meinem Lebenszustand hat das anscheinend gutgetan, denn außerhalb meiner »Schreibwerkstätte« befindet man, ich sähe aus wie »frisch aus dem Urlaub«. Der stets neugierige Kollege in unserem Münchner Theaterensemble bemerkte kürzlich bei den Proben: »Sag mal, die Anja ist aber gut drauf!«, und löcherte meine Wiener Freundin und Kollegin mit Fragen nach einem neuen Freund. Denn einen anderen Grund kann er sich natürlich nicht vorstellen …

Eine Verkettung von Ursachen, von denen einige um Jahre zurückliegen, hat dazu geführt, dass ich dieses Buch geschrieben habe. Wahrscheinlich, weil es so sein musste. Aufgrund eines verschobenen Filmprojekts habe ich dafür auch genau das notwendige Zeitfenster vom Universum bekommen. Vielleicht, weil nur ein einziger Mensch diese Zeilen dringend braucht. Mein Handeln ist also für diesen Menschen wichtig. Buddhismus ist Handlung, für sich selbst und für andere. Dazu braucht man ein klares Ziel und die Entschlossenheit, glücklich zu werden und Glück zu schaffen. Doch zuerst muss man bei sich selbst anfangen. Das ist wie mit den quietschgelben Sauerstoffmasken im Flugzeug, die man auch erst selbst aufsetzen muss, um dann anderen, die das vielleicht nicht allein können, zu helfen. Umgekehrt macht das wenig Sinn, da würde uns nämlich vorher die Luft ausgehen. Auf unser Leben bezogen bedeutet das, erst den eigenen Lebenszustand zu erhöhen, also unabhängig von den Umständen Zufriedenheit und Glück im eigenen Leben zu schaffen und dann andere zu ermutigen und zu unterstützen, in welcher Form auch immer. Nur so werden wir ein erfülltes Leben haben. Mein Weg ist der lebensnahe Buddhismus von Nichiren Daishonin und das Chanten von Nam Myoho Renge Kyo. Damit fand ich meinen ganz persönlichen Zugang zu den Mysterien des Universums. Religion muss anwendbar sein, finde ich, in jeder Lebenslage und Krise, nicht nur hinter Kloster- und Tempelmauern oder auf Tatami-Matten, sondern auch auf der Straße, am Arbeitsplatz, in der Schule, im Theater, am Filmset oder meinetwegen auch in der ärgsten Spielhölle.

Ich möchte Sie ermutigen – welchen Weg auch immer Sie wählen –, achtsam zu sein, Verantwortung zu übernehmen und Empathie in Ihrem Leben hervorzubringen. Und sich nicht von den Umständen abhängig zu machen. Wir sollten damit aufhören, uns Strategien zurechtzubasteln, wie wir das Meer des Lebens durchqueren können, ohne nass zu werden. Weg mit den Luftschlössern der Illusionen! Um es mit Goethe zu sagen: »Ich möchte die Umstände bestimmen und mich nicht von ihnen bestimmen lassen.« Auch hier könnte man meinen, Goethe habe das Lotos-Sutra gründlich studiert. Dort steht nämlich ganz klar: »Man soll Meister seines Herzens werden und nicht sich von seinem Herzen meistern lassen.«

Ziehen Sie keine Schlüsse aufgrund der Realität der Ereignisse, denn letztendlich geht es nicht darum. Wir dürfen eins nicht vergessen: Jede Krise ist eine Chance und je höher unser Lebenszustand ist, desto besser werden wir mit dieser Krise fertig und können einen positiven Nutzen daraus ziehen. Bleiben Sie nicht in der Hoffnungslosigkeit stecken. Gehen Sie einfach weiter, Schritt für Schritt. Aber denken Sie daran: Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass alles gut ausgeht, sondern dass es Sinn macht, egal, wie es ausgeht. Entscheiden wir uns, glücklich zu werden, wie miserabel unsere Situation auch sein mag! Es lohnt sich, dafür zu kämpfen. Alles ist möglich. Denn selbst wenn wir in Problemen ersticken und die Dunkelheit um uns herum endlos erscheint – eines sollten wir niemals vergessen: dass jeder Winter eines Tages zum Frühling wird. Kein Winter dauert ewig. Der Frühling kommt. Unweigerlich. Und garantiert! Das muss man nicht bloß glauben. Man sieht es jedes Jahr aufs Neue in der Natur! Dazu abschließend ein relativ junges Gedicht aus meinen »poetischen Werken« zum Thema Hoffnung:

Jeder Winter wird zum Frühling

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Jeder Winter wird zum Frühling,

Jede Nacht hat mal ein End’.

Sei willkommen, junger Morgen,

Hoffnungsträger einer neuen Welt.

Im End’ ist stets der Anfang inbegriffen,

In scheinbar toter Erde schläft der Keim

Für neue Sommerblütenpracht,

Und jede Nacht

Ist stets am dunkelsten,

Bevor der Tag erwacht.

In jedem Tode liegt ein neues Leben,

Startbereit,

Dem Zeitenkreislauf hingegeben.

Weckt doch jeder Morgendämm’rungsschimmer

Warmer Frühlingssonne Strahlen Kraft,

Und Saft des neuen Lebens

Entfaltet Blüten, Knospen, Blätter,

Menschenseelen,

Voller Hoffnung

In des Frühlings neues Leben.