Nutzen, Hindernisse und Irrwege

Mein Lebenszustand hatte nach dem ersten Kurs in Trets gewaltigen Aufschwung bekommen. Die guten Vorsätze, regelmäßig zu chanten, hielten auch lange an. So war es selbstverständlich, dass ich den Wunsch hatte, einen eigenen Gohonson zu bekommen. Allerdings stieß ich damit auf ein nicht unbeträchtliches »Hindernis«: In Frankreich wird die Ehefrau zum Haushalt gerechnet und in unserem Haushalt gab es ja schon einen Gohonson. Dass ich fast 70 Prozent des Jahres auf Reisen war, schien niemanden zu beeindrucken und die kleinen Reise-Gohonsons werden in Frankreich nur äußerst selten verliehen. Ich war jedoch entschlossen, dieses »Hindernis« zu überwinden. Ich bin sehr dankbar, dass mir dabei von deutscher Seite ein bisschen geholfen wurde. Am 333. Tag vor dem Millennium erhielt ich also meinen kleinen Reise-Gohonson. Was für ein schönes Datum! Es stand an dem Morgen, an dem ich in unser buddhistisches »Kulturzentrum« nach Sceaux bei Paris fuhr, um ihn in Empfang zu nehmen, in Leuchtschrift am Eiffelturm angeschrieben.

Nun besaß ich ihn also, meinen eigenen Gohonson, zwar nur klitzeklein, aber das war ja der Sinn der Sache, dass nämlich Menschen, die ständig unterwegs sind, ihn immer dabeihaben können. Und das war ich nach wie vor. Zum Teil war ich wegen der Theaterengagements sogar monatelang von zu Hause entfernt. Die Wohnung in Paris hatten wir inzwischen aufgegeben und waren in unser bisheriges Wochenenddomizil in der Normandie übersiedelt. Nach einigen Jahren in dieser Großstadt mit all ihrem Lärm und Dreck sowie der Aggressivität, von der diese einst so wunderschöne Metropole in der heutigen Zeit leider zerfressen wird, kam mir die ländliche Ruhe äußerst gelegen. Tatsächlich lernte ich, das Großstadtkind aus Essen, das mit Metropolen wie Hamburg, Wien und Paris sehr vertraut war, das Landleben schätzen. Ich ziehe es bis heute vor. Deswegen habe ich meinen Wohnsitz in einem winzigen Nest in Südfrankreich und – temporär – in der Stadt Salzburg, von der selbst ein echter Salzburger sagt: »Die ganze Welt ist ein Dorf, nur Salzburg ist kleiner«18. Dort findet man Spazierwege und Joggingpfade vor der eigenen Haustür, Kräutergarten, Obstbäume und vieles mehr. Das bin ich und das brauche ich für mich privat. Großstadtflair erlebe ich, wenn ich in München, Wien, Köln oder Düsseldorf Theater spiele.

Mit dem Gohonson an meiner Seite und den jährlichen Kursen in Trets als Tankstelle der Ermutigung setzten massive Veränderungen in meinem Leben ein. Ich hatte ordentlich »umgerührt«, mein Karma in Bewegung gebracht. Das äußerte sich zum einen in einigen wirklich tollen Produktionen, in denen ich Hauptrollen spielen durfte, unter anderem in Die Sternbergs, Jetzt bin ich dran, Liebling!, Mit einem Rutsch ins Glück und Spiel des Schicksals, sowie in ein paar gut bezahlten Werbekampagnen. Auch optisch hatte ich mich verändert. Ich sammelte durch meine buddhistische Praxis Glück an – das ist wie ein Bankkonto, auf das man einzahlt. Wenn genug auf dem Konto ist, kann man sich auch einmal ausruhen. Aber Achtung: Das Leben bucht ab, und zwar oft ziemlich viel und ziemlich schnell. Im Laufe der Jahre nahmen viele meinen »inneren Wandel« wahr, da er sich auch im Äußeren manifestierte. Ich wurde zwar älter und das eine oder andere Fältchen manifestierte sich ebenfalls, aber man befand allgemein, dass ich von Jahr zu Jahr schöner wurde. (Bitte, das stammt jetzt nicht von mir!!!) Ich glaube, dieses »innere Strahlen« machte andererseits Menschen, die leider wichtig für mich waren, Angst. Es rief die Feinde auf den Plan und schuf Hindernisse, die sich mir entgegenstellen – in Form von Kolleginnen, die die Macht besaßen, mir Steine in den Weg zu legen, in Form von Bürokraten in den Chefsesseln der Sender und Produktionsfirmen, die mich wieder so haben wollten, wie ich einmal war: unreflektiert, glatt, pflegeleicht und manipulierbar wie ein Kuchenteig.

Die »Drei Hindernisse« und die »Vier Teufel« langsam und unbemerkt begannen sie sich anzupirschen an mein im Allgemeinen sich (noch) friedlich dahinschlängelndes Leben. Ich chantete zwar in dieser Zeit – mehr oder weniger regelmäßig –, doch ich hatte kein konkretes Ziel. Ich war wirklich so naiv zu glauben, den Buddhismus in meinem Leben zu haben und ein bisschen zu chanten bedeute, dass alles im Leben sofort in Ordnung kommt oder so nett bleibt, wie es war. Von wegen! Ich hätte meine Anstrengungen verdoppeln müssen, doch ich ahnte zu jener Zeit nicht, wie viel mehr an unzerstörbarem Glück und an Lebenskraft ich auf meinem »Bankkonto« hätte haben müssen, um nicht in das Dunkel der »spirituellen Insolvenz« abzurutschen. Schwierige Jahre begannen, vor allem für meinen Mann, und es lag nun an mir, ihn zu ermutigen. Ich brauchte dazu mehr Kraft, als ich vermutet hatte. Auch ich selbst musste an mehreren Fronten kämpfen. Letztendlich höhlten diese Belastungen unsere Ehe aus. Sie zerrann uns unter den Händen. Natürlich war das traurig, doch mein Mann und ich sahen ein, dass wir einander loslassen mussten, und gingen sehr erwachsen damit um. Wir schufen die Basis für eine wunderbare Freundschaft, die bis heute besteht.

Nicht ohne Grund hatte das alles so kommen müssen. Heute weiß ich das – und erhielt auch die Antwort auf das Warum. Ich hatte viel dafür gechantet, unsere Ehe zu retten, doch die Antwort des Universums war eine andere und – im Nachhinein gesehen – die richtige. Ob uns das zunächst gefiel, spielt keine Rolle. Wir beide, mein Mann und ich, haben in den vergangenen Jahren Erfahrungen machen müssen, die gemeinsam unmöglich gewesen wären. Zu jener Zeit praktizierte ich seit genau neun Jahren. Es stand wohl eine tief greifende Veränderung an, eine Reise durch mein Karma, die ich – eingehüllt in ein nettes Leben wie in einen sicheren Kokon, beschützt von einer Ehe, – nicht bereit gewesen wäre anzutreten.

»Sag mal, und du willst dir das wirklich antun?«, fragt mich MM, meine geliebte steirische Salzburger Freundin und wirft mir dabei einen schrägen Blick zu. Sie ist in meinem »Mädels-Club« die realistischste von allen, steht mit beiden Beinen fest auf der Erde, besitzt einen klaren Kopf und einen scharfen Verstand. Den braucht sie auch in ihrem Beruf als supererfolgreiche Immobilienmaklerin. Diese Branche ist ein Kampfgeschäft, fast so schlimm wie meine Branche mittlerweile. »Hältst du es wirklich für angebracht, gerade in Kitzbühel auf den Pfaden deiner Erinnerung zu wandeln?«

»Ja«, halte ich ihr entgegen, »weil ein ganzes Kapitel meines Lebens sich zu großen Teilen dort abgespielt hat. Ich habe einfach das Gefühl, ich muss dorthin, muss die Bilder Revue passieren lassen, um zu begreifen, wie ich in dieses Leben hineingeraten bin.«

MM zieht eine Augenbraue hoch. »Ich hoffe, du weißt, was du tust«, sagt sie und drückt mir den Haustürschlüssel in die Hand. »Als du vor zwei Jahren dort warst, hast du es nicht einmal einen halben Tag ausgehalten.«

»Ich weiß, aber das ist jetzt schon wieder eine Weile her. Ich denke, ich werde nur verstehen, was mich an dieser Welt so fasziniert hat, dass ich mein vorangegangenes Leben wie einen alten Regenschirm habe stehen lassen, wenn ich wieder mittendrin bin.«

Ich habe es mir also angetan und bin nach Kitzbühel gefahren. Es ist Dezember und der Zielhang des Hahnenkamms begrüßt mich silberweiß glänzend in der Mittagssonne. Ich bin in MMs Wohnung, genauer gesagt auf dem kleinen Balkon, MMs ganz persönlichem Logenplatz beim Hahnenkamm-Rennen. Das große Promitreff-Hotel in Going, in dem ich viel zu oft gewesen bin, kommt für mich nicht infrage. So auf Tuchfühlung möchte ich dann doch nicht mit meinen Erinnerungen kuscheln. MMs Wohnung ist klein, aber fein und energetisch frei von Vergangenheitsmüll.

Es ist mir heute noch unerklärlich, wie ich in dieses Leben, das eine einzige Illusion war und das mich in eine Welt der totalen fundamentalen Dunkelheit katapultierte, die von Animalität, Hunger, Blindheit, Ärger und Angst beherrscht wurde, hineingeraten bin. In der christlichen Lehre gibt es die Versuchung Jesu durch den Teufel in der Wüste. Da ich überzeugt davon bin, dass Jesus in Indien war, ist mir klar, woher das Bild stammt. Im Moment der Erleuchtung kommen die Feinde, die Zweifel. Einfach formuliert: Wenn man auf dem richtigen Weg ist, tritt garantiert etwas auf den Plan, das einen umpusten will. Das ist die Dualität des Lebens. Es gibt kein Licht ohne Dunkelheit, nichts Positives ohne das Negative – sonst wüssten wir nämlich nicht, was positiv ist! Was wir daraus machen, ist unsere Sache. Ich persönlich habe den Weg durch ein gaaaaanz tiefes Tal gewählt. Wie man weiß, besteht die Erde aber nicht nur aus tiefen Tälern. Das geht gar nicht. Irgendwo muss da ein Berg sein, sonst gäbe es kein Tal. Um den nächsten Gipfel zu erreichen, muss man zwangsläufig das Tal durchqueren. Das ist keine Philosophie oder Religion, sondern schlicht Erdkunde oder Mathematik. Ob man allerdings durch das »Tal des Todes« oder durch eine liebliche Tiefebene wandert, entscheidet man selbst. Ich habe Ersteres gewählt. Warum? Schließlich war ich auf dem Weg meiner »menschlichen Revolution« schon so gut vorangekommen. Wahrscheinlich, weil ich lernen sollte, wie man mit richtig großen Schwierigkeiten umgeht und sie überwindet, denn bisher war alles immer sehr leicht für mich gewesen. Vielleicht stand dahinter das Ziel, durch meine Erfahrung andere ermutigen zu können, vielleicht ist das meine Lebensaufgabe. Wir sind in der Lage, alle Hindernisse zu überwinden! Ganz sicher, auch wenn man sich dabei mitunter ordentlich blaue Flecken einhandelt.

Da mir aus heutiger Sicht dieses finstere Kapitel meines Lebens mehr als unwirklich erscheint – so, als hätte es nur in meinem Kopf stattgefunden – an dieser Stelle:

Das Märchen vom Sternchen

Es war einmal ein Sternchen, das strahlte und funkelte und glitzerte leuchtend hell am Himmel. So schön und hell, dass ein ganz besonders großer Stern das kleine Sternchen bemerkte und sich von ihm dermaßen angezogen fühlte, dass er es zu sich einlud. Der große Stern leuchtete zwar längst nicht so hell, genauer betrachtet eigentlich eher schwach, aber er hatte ein ungemein anziehendes Lächeln. Das Sternchen wurde von diesem Lächeln ganz betrunken und tauchte in die Welt des großen Sterns ein, fühlte sich angenehm aufgehoben und leuchtete fortan nur noch für ihn. Lange Jahre erfüllte das kleine Sternchen den großen Stern mit seinem Licht und seiner Energie. Alle anderen Sterne beneideten den großen Stern um sein wunderschön glitzerndes kleines Sternchen. Doch eines Tages ereigneten sich große Stürme in der Milchstraße. Viele Sterne drohten zu erlöschen und rückten näher zusammen. Der große Stern verlor sogar ein paar seiner goldenen Zacken – offensichtlich waren sie nicht aus richtigem Gold, wie hätten sie sonst so leicht brechen können? Das machte das kleine Sternchen sehr traurig und mit seiner allerletzten Energie leuchtete es weiterhin für den großen Stern, bis sein Leuchten nur mehr ein schwaches Glühen war. Immer noch aber glaubte das Sternchen an die Zauberkraft des Lächelns vom großen Stern und war überzeugt, dass eines Tages alles gut werden würde. Eines Nachts jedoch kam von Süden eine prächtig funkelnde Sternschnuppe angeflogen, sie glitzerte in allen Farben des Regenbogens und schien alles andere zu überstrahlen. Das blieb natürlich auch dem großen Stern nicht verborgen, der sich seit einiger Zeit schon sehnsüchtig nach einer neuen Energiequelle für sein schwaches Leuchtsystem umgesehen hatte. Und somit kickte er das Sternchen, das ihm all seine Leuchtkraft geschenkt hatte und nun erschöpft und müde war, kurzerhand zurück in die dunkle Milchstraße und glänzte fortan gemeinsam mit der prächtigen Sternschnuppe, die als erste Maßnahme die abgebrochenen Zacken des großen Sterns in der Goldwerkstatt ihres Vaters neu anfertigen ließ. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Was das Sternchen betrifft: Es hatte beschlossen, in einen tiefen Winterschlaf zu fallen, um seine Energien wieder aufzufrischen und eines Tages heller zu leuchten als je zuvor.

Ein Mann, mit dem ich schon seit einigen Jahren regelmäßig beruflich zu tun hatte und der – wie ich inzwischen weiß – aus bestimmten Gründen (siehe Märchen) schon lange ein Auge auf mich geworfen hatte, stand als vermeintlicher Traumprinz mit den großen, starken Armen eines Actionhelden in den Startlöchern und ließ mich, die ich zu dieser Zeit müde und abgekämpft war und die sich nach ein bisschen Stärke sehnte, nicht mehr aus. Ich hatte mir unbewusst ein »Werkzeug« ausgewählt, das mir den Rückweg in meine Ehe unmöglich machte und mir die Gelegenheit bot, vor einem schwierigen Leben zu flüchten, das Mut und Einsatz von mir gefordert hätte. Ich folgte also dem verführerischen Pfad eines schillernden und aufregenden »Easy-Going«-Lebens, wo man mich auf Händen trug und Geld keine Rolle zu spielen schien.

Man muss sich das einmal vorstellen: Ich habe einen Lebenspartner, der mich in meiner Praxis unterstützte und ermutigte und mit dem ich spirituell und intellektuell auf Augenhöhe war, gegen einen Abenteuerling eingetauscht, der weit entfernt von meinen Wertvorstellungen lebte. Warum? Weil es der einfachere Weg war, der bequemere, lustigere. Meine eigenen teuflischen Funktionen haben mich auf diese Art und Weise von meinem ursprünglichen Weg abgebracht. Sie manifestierten sich in der Gestalt eines Mannes, nennen wir ihn der Einfachheit halber TF: teuflische Funktion. Damit Sie das richtig verstehen, liebe Leser: Es sind meine eigenen »Dämonen«, die sich in anderen Menschen manifestieren, um mich zu behindern. Fremdschuldzuweisungen gibt es bei mir nicht. Das ist ein Grundprinzip im Buddhismus, nachzulesen im Kapitel »Ursache und Wirkung«.

Angesichts des Tempos, in dem mich das Leben durch diese seltsame, fast ausschließlich öffentliche Beziehung jagte, könnte der Film meiner Rückblende in 24-Stunden-Echtzeit gedreht werden, die Telenovela unseres gemeinsamen Lebens, nichts als eine einzige Illusion: ein einziger langer Albtraum von halsbrecherisch rasanten Skitagen in TFs heiß geliebtem Kitzbühel, von nicht enden wollenden Nächten vor laufendem Fernseher in charmanter Unterkunft über einer Autowerkstatt im 16. Wiener Bezirk, von endlos langen Autofahrten in rasendem Tempo Richtung Süden, von exzessivem Schaulaufen bei den Filmfestspielen in Cannes inklusive stundenlanger Bootsbesichtigungen und Partys, inmitten der Lemuren der Bussi-Bussi-Gesellschaft. Es war ein Leben für die Kameras und Fotografen. Das war und ist TFs Leben. Ein Tanz auf dem Vulkan. Und dieses Leben sog mich vollkommen auf. Je weiter ich in diesen Strudel geriet, umso mehr blieb meine buddhistische Praxis auf der Strecke und ich entfernte mich immer weiter von meinem wahren Selbst. Es war ein Teufelskreis.

Ich drehe die Zeit zurück und versuche zu verstehen, wie das alles anfing …

TF war seit einigen Jahren mein Produzent bei einer jährlichen Reihe von Heimatfilmen, auf die ich mich leichtsinnigerweise eingelassen hatte. Somit brach er in mein Leben ein, zunächst in mein berufliches. Ungebremst, mit Vollgas. Für ihn gab es überhaupt nur »Vollgas«. Ich hätte niemals die komplette Reihe mit acht Filmen drehen dürfen. Ein oder zwei wären in Ordnung gewesen, eine nette Facette in meiner Filmografie, aber nicht mehr. Meine lange Verbundenheit mit diesem Projekt und die Tatsache, dass die gesamte Branche mich fortan nur über TF, den »Heimatfilmer«, definierte, stellten für meine Karriere eine absolute Sackgasse dar und ich muss heute mit den Wirkungen der Ursachen fertigwerden, die ich in jener Zeit gesetzt habe. Damals befand ich mich jedoch in einer Art »Zwischenwelt«, jenseits von Zeit und Raum, und viel zu atemlos, um zu bemerken, was da mit meinem Leben passierte. TF hatte sich über mein Leben gestülpt und war omnipräsent. Eine Weile hatten mich meine inneren Stimmen und der Lebenszustand des Buddha noch beschützt und ließen mich TFs unzählige Einladungen auf »sein« Boot oder in dieses Promihotel in Going kategorisch ablehnen. Nach der Trennung von meinem Ehemann war mein Leben jedoch eine Zeit lang nicht besonders stabil. TF sah seine Chance, preschte in die Lücke und fand Raum und Nahrung. Er spielte den Gentleman und überschüttete mich mit perfekt inszenierter Liebe und grenzenloser Bewunderung. Ich fühlte mich seltsamerweise sicher in seiner Gegenwart. Nun ja, ich hatte mich – ungewollt – einfangen lassen von dem ungelenken Charme eines Arbeiterkindes, dem rüden Sex-Appeal eines Kerls, der Stanley Kowalski in Tennessee Williams’ Endstation Sehnsucht glich. Ich war gebannt und fasziniert, die scheinbare Leichtigkeit seines Seins zog mich an wie die Motte das Licht. Ebenso wie Tennessee Williams’ Blanche DuBois – sollte ich sie jemals spielen, habe ich dafür einiges an Erfahrung gesammelt – hätte ich erkennen müssen, dass ich viel zu zerbrechlich und schöngeistig für diesen Typen war und dass es mit uns beiden niemals gut gehen konnte.

Die Leichtigkeit des Seins, TFs überschwänglicher Optimismus, seine ansteckende Fröhlichkeit … Er sagte oft zu mir, ich sei so »negativ«, obwohl ich »Buddhismus mache«. Bei ihm käme die gute Laune von ganz allein. Ich war damals nicht in der Spur, sonst hätte ich ihm gesagt, dass eine positive Lebenseinstellung allein nicht ausreicht, denn damit ist man sein eigenes Universum und somit weit entfernt von der buddhistischen Lebensweise »Viele Körper – ein Geist«, die Basis für Glück und Frieden, nicht nur auf der Welt, sondern auch zwischen den Geschlechtern. Ein Mensch wie TF ist sein eigenes Universum. In den wenigen Atempausen, die ich in dieser temporeichen Zeit hatte, habe ich mich wirklich bemüht, dieses buddhistische Grundprinzip in unserer Beziehung zu realisieren. Ich hatte keine Chance. Meine teuflischen Funktionen wussten anscheinend genau, in was sie mich da hineinritten. Sie umnebelten meinen Verstand mit der Illusion einer heilen Welt und ich gab TF meinen uneingeschränkten Vertrauenskredit. In jeder Beziehung. Ich überließ ihm die Verantwortung für mein Leben. Was für ein Wahnsinn.

Und TF übernahm – zwar nicht die Verantwortung, denn diesen Begriff gibt es in seinem Wortschatz nicht – jedoch das Ruder und somit Macht und Kontrolle. Und zwar indem er es schaffte, der Himmel weiß wie, weit mehr als drei Viertel des Jahres an meiner Seite zu sein. Sofern ich nicht arbeitete, waren wir im Winter jeden Tag, an dem es Schnee gab, auf der Skipiste. Natürlich liebte ich das in der Sonne glitzernde weiße Pisten, das Panorama des Wilden Kaisers, Waldspaziergänge, knirschender Schnee unter den Füßen, mittags auf einer Hütte draußen sitzen, Spaghetti all’arrabiata essen (das wärmt so schön) und jede Menge Bekannte treffen. Seine Bekannten, wohlgemerkt. Ich fing langsam, aber sicher an, sein Leben zu leben. TF war permanent um mich herum. Und jeder potenzielle »Konkurrent« wurde von ihm auf sehr subtile Weise aus meinem Leben entfernt, ohne dass ich es mitbekam. Ab Mai war dann Cannes angesagt. Kein Tag der Filmfestspiele wurde ausgelassen, denn das schien äußerst wichtig zu sein. Jedes Jahr lud TF potenzielle »Geschäftspartner«, Adabeis und andere Society-Schmarotzer auf »sein« (geliehenes) Boot zum gemeinsamen Brainstorming ein. Doch glauben Sie mir: Das alles ist viel mehr Schein als Sein. In diesen Meetings werfen die Möchtegerns der Branche mit fiktiven Millionensummen um sich, verkaufen Filme, von denen noch kein Meter gedreht wurde, und lassen abends zwecks »Besetzungsplanung« ein paar Mädels antanzen. Die wirklichen »Macher« kommen für maximal einen Tag nach Cannes und sind sofort wieder weg, möglichst schnell raus aus diesem Jahrmarkt der Eitelkeiten, diesem Tummelplatz von Hochstaplern und Parvenüs.

Nun, das weiß ich alles erst heute. Ich muss gestehen, ich steckte damals mittendrin, fand das alles total aufregend und stöckelte im Designerkleidchen auf sündhaft teuren High Heels die Croisette entlang, von Meeting zu Meeting: Hotel Martinez, Café Roma, vom Carlton zum Majestic, dann Palais du Festival und retour. Ich war von morgens bis abends perfekt gestylt, denn wo TF weilte, war meist ein Fotograf nicht weit. Ich hege den Verdacht, dass sich TF in sein Handy einen Peilsender einbauen ließ, damit er auch ja gefunden werden konnte. War Cannes vorbei, ging es nach Hause nach Cap Ferrat. Ich liebte diese zauberhafte Wohnung direkt am Hafen, wo man herrlich sitzen konnte, um die Zeit zu vertrödeln oder zu lesen. Hier hatte ich immer die meiste Muße, mein buddhistisches Wissen zu vertiefen oder an meinen Soloprogrammen und Lesungen zu arbeiten. TF zog es jedoch immer nach Monaco, dorthin, wo seiner Ansicht nach die »Reichen und Wichtigen« leben. Eine Weile hat es mir Spaß gemacht, dabei zu sein, doch dann wurde es mir zu oberflächlich. Ich fand es lächerlich, sich über die Länge seines Bootes und die PS-Zahl seines Autos zu definieren. Das ist doch krank. Es ist ein Leben auf der Überholspur, in dem Unsummen verpulvert werden, um für Dreijährige standesgemäße Geburtstagspartys zu schmeißen, in dem der Champagner ausschließlich rosé ist und nur in der Magnumflasche daherkommt und in dem diese gewisse Sorte Männer – braun gebrannt, Jeans, aufgeknöpftes Designerhemd mit Manschettenknöpfen und halb langer Unfrisur – jede Frau für käuflich hält, solange die Summe stimmt. Man geht zum Lunch in den Jachtklub und lässt sich das Dinner von »Quai des Artistes« auf seiner Jacht servieren. Ein beschauliches Leben. Da kippt man sehr, sehr leicht aus seiner spirituellen Balance.

Mann, ist das kalt draußen. Gegenüber am Hahnenkamm präsentiert sich das rote Kitz schon im Leuchtgewand. Eine einsame Pistenraupe blinkt vor sich hin, noch ist alles friedlich, bevor in einer Woche die Fremden hier einfallen. Vom Lebenberg folge ich dem Pfad hinunter Richtung Pfarrkirche, ich überquere den Friedhof mit seinen schmiedeeisernen Kreuzen, die durch die ewigen Lichter von Allerseelen einen adventroten Schimmer tragen, passiere die Liebfrauenkirche und gehe die Stufen hinab in die Unterstadt in den vorweihnachtlichen Ort hinein. Mit Fellstiefeln an den Füßen und Mütze auf den Ohren hänge ich meinen Gedanken nach. So viele Erinnerungen kleben hier in Kitzbühel. Ich erreiche den Platz vor der »Tenne«. Hier fing alles an. Es war der erste gemeinsame Drehtag, eine Außenszene bei Mitternacht, im Februar bei minus 28 Grad. Himmel, ist das lange her. Doch heute ist es so präsent, dass ich es fast körperlich spüren kann. Ich erinnere mich an die Skidoo-Rennen, bei denen sich TF in seiner gelben Rallye-Jacke für die Dame seines Herzens wie ein Held und Ritter inszenierte. Manchmal glaube ich, dass wir uns aus einem früheren Leben kannten und er mir deshalb so vertraut schien. Wahrscheinlich habe ich ihn deswegen niemals hinterfragt. Ich kaufe mir am Weihnachtsstand vor der Belluna-Bar gegenüber dem Casino einen Punsch und marschiere den Hahnenkammweg hinauf, bis ganz nach oben. Dort steht das Haus einer ehemaligen Freundin, hier war unser Kitzbühel-Zuhause. Es ist dunkel, niemand ist zu Hause. Gott sei Dank. Das fehlte mir noch, dass man mich hier sieht! Ich schüttle die Erinnerungen ab, wie ein Hund das Wasser aus seinem nassen Fell. Das reicht für heute. Ich werde noch meinen guten alten Bekannten, Urbi, den »rasenden Reporter«, auf ein Glas Wein im »Tiefenbrunner« treffen – und dann geht es wieder an den großen Esstisch, der mir hier als Schreibtisch dient.

Wenn wir nicht in Kitzbühel oder Südfrankreich waren, gab es mit Sicherheit in Wien ein paar wichtige Pressetermine, die eine oder andere Party eines Teppichhändlers oder eines Schickimicki-Arztes mit Villa in Bestlage oder Soireen des »Adabei«-Adels in prunkvollen Stadtpalästen, die man – also TF – auf gar keinen Fall verpassen durfte. Nicht zu vergessen die »Pflichtbesuche« von diversen »Clubbings« und »Eröffnungen« – Hauptsache, man wurde gesehen. Der Terminkalender war stets so voll, dass ich in den seltensten Fällen Gelegenheit hatte, alte Freunde zu besuchen oder mit Mitgliedern der buddhistischen Organisation zusammen zu chanten. Ich glaube, in all diesen Jahren nahm ich höchstens fünfmal an Aktivitäten der Soka Gakkai Österreich im Wiener Kulturzentrum teil. Ich ließ meine buddhistische Praxis total schleifen. Da mein heiß geliebtes Salzburg nicht gerade TFs »heiße Liebe« war, blieb ich dort meistens allein und pflegte meinen Freundeskreis, der mich in diesen Jahren sowieso selten zu Gesicht bekam.

Ich habe neulich meine Bücherregale aufgeräumt und dabei auch meine Pressemappen sortiert. Dass die Mappe aus meiner Zeit mit TF dicker ist als die aus der (doppelt so langen!) Zeit von meinem Ehemann und mir – spricht wohl Bände. Dabei sind die gemeinsamen Filme nicht mitgezählt, denn die haben eigene Ordner.

Wie auch immer. Ich habe mich in der Zeit mit TF tutti kompletti vereinnahmen lassen und meinen Weg mit Buddha so ziemlich vergessen. Und so entsetzlich loyal, wie ich bin, habe ich unbeirrt zu TF gehalten, beruflich wie privat, und bis zur letzten Sekunde daran geglaubt, dass es mir gelingen würde, diesen Mann auf die richtige Spur zu bringen, um gemeinsam etwas Wertvolles zu schaffen.