Tsunami
Wie nicht anders zu erwarten war, krachte dieses oberflächliche Konstrukt von »Spaß-Beziehung« in sich zusammen, als die Zeiten schwierig und stürmisch wurden und ich nicht mehr die Kraft besaß, weder finanziell noch emotional, unser bisheriges Leben am Laufen zu halten. Bis zu einem gewissen Zeitpunkt hatte ich an das Märchen vom Vermögen des Herrn TF geglaubt. Klar, man kann, vor allem in einer Partnerschaft, finanzielle Forderungen mal rückstellen. Aber nicht bis ultimo. Und als ich begreiflicherweise nicht locker ließ, wurde ich ebenfalls »rückgestellt«. In TFs Augen hieß das: »Problem beseitigt«.
Es gibt viele Möglichkeiten, sich von einem Partner zu trennen, im Guten, im Bösen, mit lautem Streit oder leisen Vorwürfen, Türen knallend, kalt, tränenreich oder wie auch immer. Manche schreiben einen Abschiedsbrief, eine E-Mail oder im schlimmsten Fall nur eine SMS. Es gibt aber noch eine Stufe darunter: An einem Vormittag verschwand TF nach dem Screening und der Pressekonferenz zu unserem letzten gemeinsamen Film in Rom einfach spurlos und war fortan über sämtliche Kommunikationsmittel unerreichbar. Diese Show ereignete sich kurz vor Weihnachten. Ganz toll. Bravo! Damit hatte TF wahrlich den Vogel abgeschossen! Ich fiel in eine totale fundamentale Dunkelheit und fand keinen Ausweg aus diesem Labyrinth, diesem Irrgarten aus Verletzung, Nichtverstehen, Wut, Einsamkeit, Ressentiments, der Hoffnung, dass wieder alles gut werden würde, und Zukunftsangst. Immer wieder stand ich vor den gleichen Wänden und blickte in mein Spiegelbild – die Angst, die ich zum »Honson«, zum Zentrum meines Lebens gemacht hatte. Immer weiter entfernte sich der Gohonson von meinem Herzen. Als hätten sie es gespürt, traten die Mitglieder meiner buddhistischen Organisation wie ein Notarzt-Rettungsteam auf den Plan, ohne dass ich um Hilfe gerufen hatte. Sie erinnerten mich an eines: den »Fallschirm«, den ich immer noch trug! Lieber Himmel, ja! Es war höchste Zeit, die Leine zu ziehen, denn ich befand mich im freien Fall. Endlich machte es Sinn, dass ich ihn all die Jahre bei mir hatte. Die »Rettungsaktion« bestand darin, mich wieder auf meinen buddhistischen Weg zurückzubringen, wieder ganz viel zu chanten. Und die Mitglieder der Organisation waren für mich da, genau in dem Moment, als ich sie brauchte. Sie unterstützten mich tatkräftig – auch ungebeten – und bewahrten mich davor, in meinem karmischen Morast unterzugehen. Ich bekam von ihnen jede Menge Ermutigungen, sie kamen zu mir, chanteten stundenlang mit mir, riefen 20-mal an, um mich an die nächste Versammlung zu erinnern, schickten mir Texte und sogar ganze Bücher von Ikeda. Ich bin unendlich dankbar, dass ich in diesem meinem ganz persönlichen Tsunami daran erinnert wurde, dass es immer einen Weg der Hoffnung und des Sieges gibt. Es war dringend notwendig, mein »Bankkonto« wieder mit Lebenskraft zu füllen und durch Chanten und die tägliche Zeremonie des Gongyo die Schutzfunktionen des Universums wieder zu aktivieren, die sich in den vergangenen Jahren offenbar komplett aus meinem Leben herausgehalten hatten.
Damit Sie das richtig verstehen: Die »Schutzfunktionen« im Buddhismus sind keine Schutzengel im christlichen Sinn, die irgendwo im Himmel herumfliegen. Diesen Job übernehmen ganz normale Menschen in unserem Umfeld. Das bedeutet: Wenn ich chante, aktiviere ich die Schutzfunktion, die anderen Menschen innewohnt, von denen ich dann beschützt werde. Ich selbst kann mir dafür nicht einen bestimmten Menschen aussuchen, sondern das Universum wählt ihn für mich aus, und zwar genau die Person, die zum gegebenen Zeitpunkt am gegebenen Ort am besten für diese Aufgabe geeignet ist. Mein Job ist es, die »universellen Schutzfunktionen« mit meinen Gebeten zu unterstützen, und zwar mit großer Entschlossenheit und ohne Zweifel, ansonsten gewinnen die negativen Kräfte im täglichen Konflikt »Buddha gegen teuflische Funktionen« wieder die Oberhand. Oft beginnt dann ein Tag schon mit zehn linken Füßen und es ist weit und breit keine »Schutzfunktion« zu erspähen. Es liegt also an unserer persönlichen Einstellung, dies zu ändern. Verpassen wir der Negativität in unserem Leben den K.-o.-Schlag! Das ist die Strategie des Lotos-Sutra.
Also chantete ich in diesem nie enden wollenden Winter gemeinsam mit den Mitgliedern der Soka Gakkai aus Salzburg und Wien, entschlossen, energisch, verzweifelt. Und ich erwartete positiven Nutzen, sofort, wenigstens »zum Trost« eine Filmrolle. Doch es tat sich gar nichts – im Gegenteil, es wurde immer schlimmer. Tag für Tag erfuhr ich neue widerliche Tatsachen, die sogar die schönen Momente aus der vergangenen Beziehung radikal vernichteten, bis nichts mehr blieb als ein Haufen grauer Asche. Immerhin hatte es die beste Freundin von allen und persönliche PR-Frau geschafft, den Ball in den Medien einigermaßen flach zu halten, und mir somit einen vorprogrammierten »Rosenkrieg« erspart. Apropos Freunde: Die paar, die ich habe, waren da, sie waren in jener Zeit beständig an meiner Seite. Sie waren die »Schutzfunktionen«, mein »positiver Nutzen«: wertvolle Menschen, die mich daran erinnerten, worum es im Leben wirklich geht, nämlich um Loyalität, Zusammenhalt, Respekt und Empathie. All diese Dinge hatte ich bei meinem Partner vermisst. »Wie kannst du so etwas wie Empathie von jemandem erwarten, der nicht einmal weiß, wie man das buchstabiert, der das Gewissen eines Turnschuhs und die emotionale Intelligenz eines Plastik-Dinos besitzt?«, bemerkte meine langjährige Salzburger Freundin A., meine Frau »Doppeldoktor«, sehr scharfsinnig. A., dieser liebe, hingebungsvolle, witzige und intelligente Mensch, war Tag und Nacht für mich da, obwohl sie selbst zu dieser Zeit eine ziemlich eklige Borderline-Beziehung verarbeiten musste. MM traf sich mit mir, so oft es ihr knallvoller Terminkalender zuließ. Merkwürdigerweise hatte sie jedoch nur mittags oder abends für mich Zeit und bestellte mich stets zu ihrem Lieblingsitaliener »Prosecco«. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass MM sicherstellen wollte, dass ich in jenen düsteren Zeiten etwas aß. Wie süß! Auch mein Freund J., der als Arzt zwar eher für nachlassende Schönheit denn für lädierte Seelen zuständig war, lud mich immer wieder nach Feierabend in seine Praxis ein, hörte mir geduldig stundenlang zu und ermutigte mich auf sehr profunde Weise. J. wurde in diesen Monaten zu meinem ganz privaten Seelenklempner.
Es ist schon erstaunlich: Menschen stehen schützend hinter uns, das Leben könnte sofort neu beginnen, aber wir halten krampfhaft und wider besseres Wissen an alten Mustern fest. Die Freunde geben jegliche Unterstützung auf dem Weg. Der Informationsfluss ist lückenlos und zeigt uns die Wahrheit über unseren Expartner, sodass wir uns vor Ekel schütteln. Und was tut man? Man kann nicht loslassen. Ich chantete doch tatsächlich dafür, dass alles wieder in Ordnung kommen möge. Etwas hielt mich fest, wie beim Stockholm-Syndrom. Heute sehe ich das glasklar: Ich war über eine viel zu lange Zeit so etwas wie eine »Geisel«, ein »Privateigentum« gewesen, abgetrennt von meinem eigenen Ich, der »wahren Natur« meines Lebens. »Beute-Österreicherin« nannte TF mich in der Öffentlichkeit gerne. Mir war nie in den Sinn gekommen, dass das sehr persönlich und ohne Scherz gemeint war. Nun hatte ich ganz einfach Angst, wieder ich selbst zu sein und die Verantwortung für mein Leben zu übernehmen. »Verantwortung« – mein karmisches Thema, meine große, fette Lern-Aufgabe. Doch Aufgaben haben die besonders ausgeprägte Eigenschaft, dass man sich gern vor ihnen drückt. Die Tsunamiwelle hatte mein bisheriges Leben weggespült. Und was tat ich? Ich stand am Strand und suchte die Trümmer zusammen. Warum wollte ich die Welt der Illusion nicht verlassen? Warum fehlte es mir an Entschlossenheit, mich von den destruktiven Kräften zu verabschieden? Weil ich sie immer noch nicht erkannt hatte! Das war der springende Punkt. Folglich blieb ich nach der offiziellen Trennung mit TF in »good-speaking terms«, schließlich wohnten wir in gewisser Weise ja auch noch zusammen. Und noch immer verschloss ich die Augen vor der Wahrheit, vor der Erkenntnis, dass der Weg mit TF nicht mein Weg war und mich nur noch tiefer in die fundamentale Dunkelheit der Welt der Hölle ziehen würde. Die teuflischen Funktionen pusteten mir weiterhin Sand in die Augen, übertönten die warnende Stimme in meinem Ohr mit lauter Partymusik und hinderten mich so daran loszulassen. Immerhin gab es auf meine Gebete schon bald konkrete Antworten vom Universum. Es war nicht unbedingt das, was ich mir gewünscht hatte, aber rückblickend betrachtet genau das Richtige im richtigen Augenblick, um nachhaltiges Glück in meinem Leben zu schaffen. Und nur darum geht’s. Alles andere ist irrelevant.
Der erste positive Nutzen stellte sich ein, als mein Theaterfreund R., der auf die Schnelle ein Stück für mich geschrieben hatte, mich mit den Worten »Komm sofort her. Du musst raus aus deinem Schlamassel und wir brauchen dich hier!« für ein paar Monate nach Düsseldorf holte. Die neue Aufgabe brachte eine Menge Lebensfreude mit sich. Eine gigantische Schutzfunktion! Überdies befand ich mich aufgrund dieses Engagements zur richtigen Zeit am richtigen Ort (in der Nähe meines Elternhauses), um für das Glück eines anderen Menschen da zu sein, dem es wichtig war, sich von mir verabschieden zu können: meine Mutter. In der Folge wurde ich wiederum selbst zu einer »Schutzfunktion«, indem ich in einer schwierigen Zeit für meinen Vater da sein konnte.
Der zweite Nutzen bestand aus einer Tür, die aufging, als die andere in meinem Leben sich schloss: Eine meiner liebsten Freundinnen, MC, eine Komplizin und Gefährtin aus der guten alten Zeit, war mir vor vielen Jahren irgendwo auf dem Weg durchs Leben abhandengekommen. Zufällig geriet der Bunte-Artikel über meine Trennung in ihre Hände und sie spürte mich auf. Sie wollte Trost spenden, eine Hand reichen und falls nötig eine Schulter zum Ausheulen bieten. Hallo, »Schutzfunktion«! Überglücklich über das Wiedersehen erneuerten und vertieften wir unsere Freundschaft. Und da MC, welch wunderbare Fügung, in Südfrankreich unweit von Cap Ferrat wohnt, half sie mir beim Umzug und bot mir eine leer stehende Wohnung in ihrem Haus an. Auch das hat mich sehr glücklich gemacht. Und endlich – zumindest räumlich – von TF befreit. Den Wohnungsschlüssel haben wir, nachdem wir eine Flasche Champagner geleert hatten, mitsamt der Flasche im Meer versenkt. »Rückkehr ausgeschlossen.« Sollte irgendjemand einmal einer Flasche mit einem Schlüssel begegnen, dürfen Sie beides gern behalten! Sie haben gesehen: Man bekommt etwas anderes als dass, was man sich wünscht, doch Sie können fest darauf vertrauen, dass stets die beste Lösung eintritt, auch wenn man das manchmal erst Jahre später begreift.
Mein persönlicher Tsunami war damit allerdings noch nicht vorbei, im Gegenteil. Die erste Welle war nichts verglichen mit der, die noch folgen sollte. Ich redete mir ein, dass es besser sei, TF trotz aller Verletzungen »buddhistisch weise« mit Mitgefühl zu behandeln und keine Hass- und Rachegefühle zu hegen. Ich traf ihn dann und wann. Und obwohl ich längst wusste, dass er das Blaue vom Himmel herunterlog, konnte ich nicht loslassen. Ich kannte mich selbst nicht mehr. Es war Sommer und ich fuhr wie jedes Jahr nach Trets, um an einem Kurs der österreichischen Soka Gakkai teilzunehmen. Ich chantete, kämpfte mit mir, führte Gespräche. Ich suchte Halt und Ermutigung. »Dieser Mann ist wie ein Virus, der sich nicht bekämpfen lässt, wie ein Teufel, der mein Leben vergiftet hat, der meine Lebenskraft raubt und mir in jeder Minute meines Daseins das Atmen erschwert«, fasste ich zusammen.
»Du bist tatsächlich in einem sehr niedrigen Lebenszustand«, sagte eine der hauptverantwortlichen Leiterinnen mitfühlend zu mir. Und ich fühlte mich so richtig schön bedauert. Aber dann bekam ich gleich eins aufs Dach: »Du suchst wieder einmal die Ursachen außerhalb deiner Selbst. So kann das nichts werden, so kommst du nie auf einen grünen Zweig! Und hör auf mit deinen ›Strategien‹ von wegen ›Mitgefühl‹ und so. Setze auf die Strategie des Lotos-Sutra, darauf, dass du auf jeden Fall glücklich werden wirst. Denn das ist der Zustand des Buddha und den trägst du in dir. Dafür musst du chanten. Für nichts anderes!«
»Ich weiß es ja. Doch es ist so schwer!«
»Du lässt dich von den Hindernissen besiegen!«, schaltete sich S., die Salzburger Frauenverantwortliche, ein. ›Schwierigkeiten sind für den Schwachen eine geschlossene Tür‹, sagt Nichiren Daishonin. Der Starke besitzt die Fähigkeit, diese Tür zu öffnen, um seine ›menschliche Revolution‹ voranzutreiben!«
»Ihr seid lieb, aber ich muss erst einmal wieder klar denken können«, entgegnete ich ein bisschen kleinlaut, »ich weiß, dass ich die falschen Entscheidungen getroffen habe.«
S. brummelte etwas auf Japanisch, was so viel wie »papperlapapp« bedeuten sollte, und fügte lächelnd hinzu: »Die Weisheit des Dummen ist nach der Tat.«
Mannmannmann. Sie hielten mir den Spiegel vor. Und sogar in Trets versuchte ich mich herauszureden. Die destruktiven Kräfte hatten mich immer noch ganz schön am Wickel. Liebe Leserinnen, kommen Sie mir jetzt bitte nicht mit Sprüchen wie »Ja, wir Frauen lieben eben zu sehr«. Ich kann Ihnen versichern, das war nicht mein Problem. Echte Liebe kann man nur für einen Menschen empfinden, dem man auf Augenhöhe begegnen kann. Und Liebe ist Verantwortung eines »Ich« für ein »Du«. Das trifft in meinem Fall nun wirklich nicht zu. Was also war das Problem? Ich sagte es schon, eine karmische Aufgabe, die ich zum damaligen Zeitpunkt noch nicht wirklich verinnerlicht hatte. Ich wollte mein persönliches Glück in einer ganz bestimmte Art und Weise erleben, und dafür chantete ich. Ich wollte die Zeit zurückdrehen und mein Leben wiederhaben, so, wie es einmal war. Obwohl ich tief in meinem Inneren wusste, dass ich nicht wirklich glücklich gewesen war. Musste es denn noch dicker kommen, damit ich es endlich kapierte? Ja, es kam noch dicker!
Ich hatte für die Erfüllung meines Wunsches gechantet und damit Ursachen gesetzt, die zu Wirkungen führten, die aufgrund ihres Schmerzpotenzials eigentlich via Amnesty International verboten gehörten. Wie bestellt, trat das Worst-Case-Szenario ein: Die Wiederbegegnung mit dem »Ex« in Begleitung seiner – angeblich nicht existenten – neuen Gefährtin, die einst gemeinsame Freundin und reiche Partyprinzessin aus Monaco. Er hatte es also geschafft. Applaus! Er war dort angekommen, wo er immer hinwollte. Der ganze »Spaß« fand natürlich in aller Öffentlichkeit statt, vor laufenden Kameras und der neugierigen Fotografenmeute.
Ich hatte den ganzen Vormittag gechantet – und diesmal wirklich nur für Weisheit und richtiges Handeln, dafür, dass ich mir nichts sehnlicher wünschte als ein Beispiel dafür zu sein, dass man alle Schwierigkeiten überwinden und auch aus der ausweglosesten Situation als Sieger hervorgehen kann. Eingehüllt in den schützenden Mantel von Nam Myoho Renge Kyo betrat ich an diesem schicksalsschweren Abend in der Wiener Hofburg den roten Teppich. Strahlend, weitaus strahlender als ein sündhaft teures lotosblumenweißes Kleid und zwei Stunden Maske und Friseur es allein vermocht hätten. Ein Bodhisattva auf dem roten Teppich …
Der Moment der Begegnung legte in mir einen Schalter um. TF selbst warf den Scheinwerfer an, indem er nach mehreren Jahren privater Zweisamkeit und zwölf gemeinsam gedrehten Filmen so tat, als wäre er mir nie begegnet. Damit tauchte er die Dunkelheit meines Irrgartens und sich selbst auf einmal in gleißendes Licht. Schlagartig wurde mir in diesem Moment alles klar: Meine eigenen destruktiven Kräfte hatten mich diesem Menschen in die Arme getrieben und mich dieses lebenszeitvergeudende, oberflächliche Leben wählen lassen, um mich von meinem eigentlichen Weg abzubringen. Und ich ließ es geschehen. In dieser Sekunde meines Lebens sah ich zum allerersten Mal das wahre Gesicht dieses Mannes, den ich – was für ein entsetzlicher Gedanke – zum »Honson«, zum Mittelpunkt meines Lebens gemacht hatte. Ich sah einen Menschen, dem zentrale Begriffe des menschlichen Miteinanders wie Respekt, Toleranz, Verantwortung, Treue und Empathie fremd waren und dem es an der Fähigkeit mangelte, sich Problemen zu stellen und mit Schmerz, Tränen, Trauer und Schwierigkeiten umzugehen. Ein Mitglied jener Spaßgesellschaft, in der Alkohol in Strömen fließt und in der es das ganze Jahr über schneit. Ein Wesen, gefangen in der Welt der fundamentalen Dunkelheit, in die ich mich verloren hatte. Au. Das war eine unsanfte Landung, diese Erkenntnis. Aber ich hatte ja meinen »Fallschirm«. Und hab’s somit überlebt. Von nun an würde sich alles ändern. In all den Jahren, in denen mich meine persönlichen teuflischen Funktionen unsichtbar gefangen hielten, hatte ich ohne Sinn und Ziel gechantet, Hunderttausende Gebete waren ins Leere gegangen. Richtiges Chanten, darüber hatten wir oft in Trets gesprochen. Offenbar hatte ich es niemals wirklich verstanden. Wie eine ängstliche Maus saß ich im vergangenen Jahr vor dem Gohonson, gefangen in meiner ganz persönlichen Hölle. Ich hatte schlichtweg vergessen, dass ich ein Bodhisattva bin. Bis zum Hals im Schlamm, hatte ich vergessen, dass ich ihn annehmen muss, diesen Schlamm, um wie eine Lotosblume blühen zu können. Tatsächlich gelang es mir, wenn auch unter gewaltiger Kraftanstrengung, diesen ganzen langen Abend in Wien ein strahlender Bodhisattva zu sein. Das belegen unzählige nicht retuschierte Fotos, denen ich selbst kaum glauben kann.
Doch wie es das Universelle Gesetz so will: In dem Moment, in dem wir unsere »menschliche Revolution« vorantreiben, den Buddha in uns wecken, werden die teuflischen Funktionen erst recht wach! Die Reaktion folgte auf dem Fuß – in Form einer abscheulichen Pressekampagne, losgetreten von – na, wem wohl?
Eine Lawine von Gehässigkeit überrollte mich und überschüttete den Markt der Medien mit bösartigen Verleumdungen im Stile von »Der tiefe Fall der Anja Kruse, Haus weg, Mann weg, keine Jobs mehr, pleite« und so weiter und so fort … Schmutziger geht’s nicht. Am schlimmsten waren diese Chatforen im Internet, wo ich in einer Art und Weise mit Dreck beschmissen wurde, die man sich nicht einmal in den kühnsten Träumen ausmalen kann. Was sind das für Zeiten, in denen wir leben? In denen das Internet den Marktplatz, auf dem einst die Guillotine stand und die Masse grölend den Hinrichtungen beiwohnte, fast nahtlos ersetzt hat? Heutzutage weidet man sich an der öffentlichen Demontage eines Menschen, besonders, wenn dieser in einer Position ist, die man selbst wahrscheinlich niemals erreichen wird. Ein Klick auf »Registriere dich kostenlos auf Dingsbums.de und vote für deinen Star, egal ob als Freund oder Feind« – und man ist dabei. Anonym, selbstverständlich! Was sind das für Menschen, die so etwas tun? Wie sehr müssen sie in ihrer kleinen Welt der Hölle festhängen. Diese Angriffe und Verleumdungen taten am meisten weh. Und diese ganze Pressekampagne hat mehr Schaden angerichtet als sämtliche Fehlplanungen in meinem Leben zusammengenommen. Ich musste mich selbstverständlich wehren und wurde dabei Gott sei Dank von einem Münchner Anwalt, einem Experten in Sachen »Verleumdungsmaschinerie«, unterstützt, der in diesem Moment für mich ganz konkret zu einer »Schutzfunktion« wurde.
Eine Rechtsanwaltskanzlei ist ein ungewöhnlicher Ort, um sich über seine Aufgabe als Bodhisattva klar zu werden. Zwischen Papierbergen von eidesstattlichen Erklärungen, Pressestatements und strafbewehrter Unterlassungserklärung begriff ich meine Situation als Chance. Zum einen anhand meiner Erfahrung, meine Entwicklung als »Ausübender des Lotos-Sutra« zu zeigen – und zwar öffentlich. Wahrscheinlich ist das mein ganz persönlicher Weg und meine Aufgabe in diesem Leben. Zum Zweiten war es der Zeitpunkt, den Löwen in mir wiederzuwecken und die ängstliche Maus in den Keller zu schicken, wo sie hoffentlich von der Katze gefressen wird – und zum Dritten, angesichts dieser Krise in meinem Leben, einen Riesenbeweis zur Karma-Überwindung mit mir selbst als »Testimonial« anzutreten.
Apropos Krise: Eine Information würde ich gerne mit Ihnen teilen, denn ich finde das total auf den Punkt gebracht: In der japanischen Sprache besteht das Wort »Krise« aus zwei Schriftzeichen. Das erste bedeutet »Gefahr«, das zweite »günstige Gelegenheit«. Besser kann man es nicht ausdrücken: Das Leben, das uns zu Veränderungen zwingt, da wir der »Gefahr« entkommen müssen, trägt in sich die Chance auf Verbesserung! »In jedem Ende liegt ein neuer Anfang«, sagt ein spanischer Philosoph, wahrscheinlich Konfuzius zitierend. Ich habe einen neuen Anfang gemacht und werde aufgrund meiner Erfahrung niemals wieder »den gleichen Salat auf einem anderen Teller« serviert bekommen, das heißt: karmisches Thema abgebaut!
Letzteres ist ein Paradebeispiel für »Gift in Medizin verwandeln«: Ich erkenne meine Schwierigkeiten und Hindernisse beziehungsweise meine karmischen Themen, laufe nicht vor ihnen davon, sondern packe sie am Wickel, funktioniere sie um und nutze sie als positive Treibkraft für mein weiteres Leben. Mit Brachialgewalt hat das Gesetz des Universums mir das mittels meiner ganz persönlichen Erfahrung ins Hirn gehämmert. Ich hätte mir diese Erfahrung liebend gern erspart. Aber es ging wohl nicht anders.