21


George Reese, sein Anwalt Jack LeGrand, Theresa, Lindsey und Kyle Snow, Collin Coroway und Jet Heller waren alle um den langen Tisch im Vernehmungszimmer versammelt.

Clevenger, North Anderson, Mike Coady und Billy Bishop sahen vom Beobachtungsraum aus zu.

Anfänglich sah keiner im Vernehmungszimmer die anderen an. Schließlich warf Kyle einen verstohlenen Blick zu Coroway, der ihm auf eine väterliche Art zunickte, bei der sich Clevenger der Magen umdrehte.

LeGrand sah auf seine Uhr.

Heller, die Augen blutunterlaufen, das lange Haar zerzaust, starrte auf den Tisch.

Theresa Snow strich Lindsey das Haar aus dem Gesicht.

Reese und Coroway nahmen Blickkontakt auf und hielten ihn einen Moment lang.

Clevenger sah zu, wie Billy die Szene durch den Einwegspiegel beobachtete. Und statt verlegen zu sein, weil er in sein Reich eindrang, statt sich Sorgen zu machen, dass der Kontakt mit Verbrechen ihn in einen Verbrecher verwandeln könnte, war er schlicht dankbar, dass Billy hier war – dass er hier seinwollte.

»Alles bereit?«, fragte Coady Clevenger.

Er hatte Coady in seinen Plan eingeweiht. »Alles bereit«, antwortete Clevenger.

»Viel Glück«, sagte Coady. »Wenn das klappt, dann verdienen Sie einen Orden.«

Clevenger verließ den Beobachtungsraum und betrat das Vernehmungszimmer. Er nahm am Kopf des Tisches Platz, gegenüber von George Reese und Jack LeGrand. Collin Coroway saß auf der einen Seite des Tisches, neben Jet Heller. Die Snow-Familie saß ihnen gegenüber.

Clevenger ließ den Blick über die Anwesenden schweifen. »Möchte jemand anfangen?«, fragte er.

Schweigen. Ein paar Blicke wurden ausgetauscht. Lindsey starrte ihn an.

Reese rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her.

»Ich weiß nicht, was für ein Spiel Sie spielen, Doktor«, sagte LeGrand. »Aber wenn Sie keine direkten Fragen haben, dann würde mein Klient gern an seine Arbeit in der Bank zurückkehren.«

»Die Bank«, sagte Clevenger. »Nun, warum fangen wir nicht damit an?« Er sah Coroway an. »Mr. Reese und die Beacon Street Bank haben in Snow-Coroway Engineering investiert. Stimmt das?«

»Das stimmt«, anwortete Coroway ohne großes Interesse.

»Eine recht beachtliche Investition«, fuhr Clevenger fort und sah Reese an. »Ist das korrekt?«

Reese antwortete nicht.

»Fünfundzwanzig Millionen Dollar«, sagte Clevenger. »Und das, wo die Beacon Street Bank nicht gerade auf Granit gebaut ist. Ihnen steht durch ausstehende Kredite das Wasser bis zum Hals. Ein Verlust von fünfundzwanzig Millionen könnte den Bankrott für Sie bedeuten.«

»Mein Klient ist keinen Aktionären Rechenschaft schuldig«, wand LeGrand ein. »Seine Aktiva gehen allein ihn etwas an. Und ich möchte Sie bitten, davon Abstand zu nehmen, Anspielungen darüber zu machen, dass seine Bank konkursreif sein könnte.«

»Ich entschuldige mich«, sagte Clevenger. Er wandte sich an Theresa Snow. »Ihr Mann stand kurz davor, eine Erfindung zu machen, die Mr. Reeses finanzielle Probleme doppelt und dreifach hätte lösen können«, sagte er. »Ganz zu schweigen davon, dass sie Mr. Coroway noch reicher gemacht hätte, als er bereits ist. Sehr viel reicher. Aber dann ist alles schief gelaufen. Ihr Mann steckte in einer Sackgasse. Nennen wir es eine geistige Blockade. Und als er versuchte, sie zu überwinden …Nun, wir wissen ja alle, dass John Snow unter Anfällen litt«, fuhr Clevenger fort und ließ den Blick über die Anwesenden wandern. »Zu viel Stress, ein Problem, das er nicht lösen konnte, und schon kam es zu einem Kurzschluss in seinem Gehirn. Vielleicht waren diese Anfälle echt, vielleicht auch nicht. Aber sie plagten ihn. So viel ist sicher. Und das war einer der Gründe, weshalb er sich einem neurochirurgischen Eingriff unterziehen wollte. Er war seine Beschränkungen leid.« Er sah wieder Theresa Snow an. »Sie wussten das.«

Sie nickte kaum merklich.

»Sie alle wussten das«, sagte Clevenger und sah die versammelte Gruppe an. Er ließ den Blick einen Moment lang auf Heller ruhen, um sicherzustellen, dass er die Nerven behielt. »Die Frage ist also, wie man John Snow helfen konnte, jene letzte kreative Hürde zu nehmen. Wie inspiriert man ein Genie, dessen Gehirn – oder Verstand – außerstande ist, den letzten Schritt zu machen?« Er zuckte mit den Achseln. »Hat jemand einen Vorschlag?« Er wartete. Niemand meldete sich zu Wort. »Also …« Er sah über die Länge des Tisches zu George Reese. »Was, wenn er sich verlieben würde?«

Reese drehte sich leicht auf seinem Stuhl zur Seite und wandte den Blick ab.

Jack LeGrand schien sich zu wundern, warum Reese so unbehaglich dreinschaute.

»Die Sache läuft ungefähr so«, sagte Clevenger, ohne Reese aus den Augen zu lassen. »Ihre Frau kommt eines Tages heim und erzählt Ihnen, dass ihr in ihrer Kunstgalerie ein nettes kleines Geschäft gelungen ist. Zweihunderttausend Dollar. Für ein einzelnes Gemälde. Und zufällig stellt das Gemälde sie selbst dar.« Er hielt einen Moment inne und sah zu Theresa Snow, die den Blick abwandte. »Sie ist stolz auf sich«, fuhr Clevenger fort, »denn sie weiß, dass die Dinge finanziell ziemlich schlecht stehen. Das, was ihr immer alles bedeutet hat – nämlich Geld – wird knapp.«

»Behaupten Sie«, wand LeGrand ein.

Clevenger ließ sich nicht ablenken. »Also fragen Sie, Mr. Reese, nach, wer der Käufer ist, wie das jeder gute Ehemann tun würde. Schließlich muss es jemand sein, der von Ihrer Frau beeindruckt ist.«

Reese sah ihn an.

»Und sie sagt Ihnen, der Mann heiße John Snow«, sagte Clevenger. »Er ist ein Luftfahrtingenieur, hat sein eigenes Unternehmen. Sehr, sehr intelligent, aber im Umgang mit Menschen unbeholfen. Eigenartig. Er scheint fasziniert – beinahe wie verzaubert. Sie denkt, sie könnte ihm praktisch alles verkaufen. Sie findet es fast komisch. Und die Räder in ihrem Kopf fangen an, sich zu drehen.« Er sah Reese in die Augen. »Möchten Sie weitererzählen?«

»Lecken Sie mich«, knurrte Reese.

Clevenger sah, wie Coroway die Hand vom Tisch hob und Reese ein Zeichen gab, sich zu beherrschen. Er sah ihn an. »Mr. Reese hatte einen Platz in der ersten Reihe bei dem Schauspiel, wie John Snow seiner Frau verfiel, da Snow die schlechte Angewohnheit hatte, sich seinem Geschäftspartner anzuvertrauen. Und Sie hatten ihn noch nie so energiegeladen gesehen, Mr. Coroway – von seiner allerersten Begegnung mit Grace Baxter an. Sie hatten ihn noch nie so lebendig gesehen.« Er machte eine Kunstpause. »Also haben Sie und Mr. Reese einen netten kleinen Plan ausgeheckt. Warum sollte Grace Baxter nicht John Snows Muse werden? Wenn er die Informationen, die Sie brauchten, bereits hatte, würde er sie ihr vielleicht ausplaudern. Wenn er tatsächlich unter einer Blockade litt, konnte sie ihn vielleicht motivieren, sich mehr ins Zeug zu legen, jenen letzten kreativen Sprung zu wagen. Schließlich wäre er nicht der erste große Künstler oder Intellektuelle, der sich von einer schönen Frau inspirieren ließ.« Clevenger zuckte mit den Achseln und sah wieder zu Reese. »Er war bereits halb verliebt in sie. Und es bestand schließlich keine Gefahr, dass sie sich in ihn verlieben würde. Der Mann konnte sich ja nicht einmal richtig kleiden.«

Clevenger dachte an Billy im Beobachtungsraum, der dafür gewappnet war, was er gleich zu sehen und zu hören bekommen würde. Er zwang sich, sich auf die Gruppe am Tisch zu konzentrieren. »Niemand hätte je gedacht, dass die Sache zwischen Grace Baxter und John Snow ernst werden könnte.« Er wandte sich an Theresa Snow. »Ganz sicher nicht Sie. Deshalb hatten Sie auch keine Einwände gegen den Plan, als Collin Coroway Sie einweihte. Sie wussten, dass sich die Leidenschaft Ihres Mannes auf die Wissenschaft beschränkte. Er war nicht gerade ein Romantiker, und er war nicht gerade der Mann, der einem millionenschweren Ehemann seine wunderschöne junge Gattin stehlen könnte. Als er ein Porträt von Grace in Ihrem Haus aufgehängt hat, da haben Sie die Augen zugemacht und stur an das Endziel gedacht. An die Erfindung – und das Geld, das hereinströmen würde, wenn Snow-Coroway Engineering an die Börse ging. Sie haben getan, was Sie für nötig hielten, um ihm zu helfen, seine geistige Blockade zu überwinden. Wenn seine Muse eben ein Plätzchen über Ihrem Kamin brauchte, dann sei’s drum.«

Lindsey Snow sah ihre Mutter entsetzt an. »Du wusstest Bescheid? Von Anfang an?«

Ihre Mutter antwortete nicht.

Clevenger wartete einen Moment. »Natürlich wusste sie Bescheid«, sagte er.

Theresa Snows Züge verhärteten sich zu einer abstoßenden Fratze mit stählernem Blick und leicht gebleckten Zähnen. Zum ersten Mal war ihr Äußeres ein Spiegel dessen, was sie war – eine Frau, die dreifach verschmäht worden war, einmal von der Liebe ihres Mannes zum Erfinden, dann von seiner abgöttischen Liebe zu seiner Tochter, dann von seiner Leidenschaft für eine andere Frau.

Clevenger wandte sich an Coroway. »Und Sie wussten noch etwas über John Snow. Weil er Ihnen auch das erzählt hatte. Sie wussten, dass die Chancen gut standen, dass er nach seiner Operation ein ganz anderer Mann wäre, dass er von vorn anfangen wollte. Er wollte ein neues Kapitel beginnen.«

»Ich muss hier nicht sitzen und mir diesen Unsinn anhören«, wütete Coroway.

»Doch, das müssen Sie«, entgegnete Clevenger. »Sie müssen es, weil es nicht Theresa ist, der etwas zur Last gelegt wird. Sie wusste, dass Grace Baxter ihren Mann verführte. Sie wusste, dass die ganze Sache ein eingefädeltes Spiel war. Aber das ist kein Verbrechen. Sie sind derjenige, der ihn erschossen hat.«

Heller setzte sich auf und blitzte Coroway wütend an. »Sie mieses Dreck–«

Clevenger legte die Hand auf Hellers Arm.

Coroway sagte nichts.

»Denn, sehen Sie, jeder hier mag sich der einen oder anderen Sache schuldig gemacht haben, Collin, aber Sie sind der Einzige, der ins Gefängnis wandern wird. Denn Sie haben auf eigene Faust gehandelt.«

»Ich habe ihm die Waffe gegeben«, sagte Kyle mit bebender Stimme.

Clevenger sah ihn an, dann blickte er wieder zu Coroway. »Kyle hat Ihnen die Waffe seines Vaters gegeben. Und er fühlt sich deswegen sehr schuldig. Denn tief in seinem Herzen wusste er genau, was Sie damit tun würden. Er hatte sehr ernsthaft überlegt, es selbst zu tun.«

Coroway sah Kyle an.

»Mörder erkennen einander«, sagte Clevenger zu Coroway. »Sie haben den Köder geschnappt. Er hat Sie benutzt.«

»Sie können nichts davon beweisen«, hielt Coroway dagegen.

»Wir können und wir werden«, konterte Clevenger.

»Ich sehe keine juristische Gefahr für meinen Klienten«, meldete sich Jack LeGrand zu Wort, aber in seiner Stimme klang Beklommenheit durch. »Wir werden jetzt gehen, wenn Sie nichts dagegen einzuwenden haben.«

»An Ihrer Stelle würde ich damit noch warten«, bemerkte Clevenger. Er zeigte auf Lindsey und Kyle. »Denn, sehen Sie, diese Kinder hatten es sehr schwer mit ihrem Vater. Und sie hatten nicht die Absicht, ihn an Grace Baxter zu verlieren. Also hat Lindsey ihren Bruder angestiftet, Baxters Abschiedsbrief zur Beacon Street Bank zu bringen – damit Mr. Reese lesen konnte, dass seine Frau ohne ihren Liebhaber, John Snow, nicht weiterleben wollte. Sie dachten, das würde das Ende für die Affäre bedeuten.« Er sah Reese in die Augen. »Das ist der Abschiedsbrief, den Sie auf den Nachttisch gelegt haben, nachdem Sie Ihre Frau ermordet hatten. Auch Sie haben den Köder geschnappt.«

»Wir gehen«, verkündete LeGrand und stand auf.

Reese rührte sich nicht. Tief im Herzen will jeder die Wahrheit erfahren.

LeGrand ließ sich wieder auf seinen Stuhl sinken.

»Der Plan hat wirklich gut funktioniert«, fuhr Clevenger fort. »John Snow hat sich immer wieder mit Grace Baxter in einer Suite im Four-Seasons-Hotel getroffen. Sie haben schnell herausgefunden, dass Snow Sie nicht hinhielt. Er konnte tatsächlich keine endgültige Lösung für Vortek finden. Aber Grace setzte in ihm Energien frei, von denen er nicht einmal geahnt hatte, dass er sie besaß. Und sein Verstand benutzte diese Energien, um die kreative Barriere zu durchbrechen, die verhindert hatte, dass Vortek Realität wurde. Er benutzte sie, um intellektuell weiter zu gehen als je zuvor. Er segelte förmlich über seine Anfallschwelle hinweg. Weil Grace ihm Halt gab. Sie war so mit seinem Intellekt und seiner Intuition verflochten, dass er, als er schließlich das Problem löste, mit dem er so lange gerungen hatte, die Lösung als Porträt von ihr in seinem Tagebuch niederschrieb. Er formte wortwörtlich ihr Haar und ihre Augen, ihre Nase und ihre Lippen aus einer Collage aus Zahlen und mathematischen Symbolen – Gleichungen, die sich zu der Erfindung summierten, mit der er so lange gerungen hatte.«

»Ich war mir nicht bewusst, dass sich das Tagebuch noch unter den Beweisstücken befindet«, warf LeGrand ein.

»Ich habe zufällig eine Fotokopie, die mein Sohn angefertigt hat, bevor das FBI eingeschritten ist«, erklärte Clevenger. »Sie befindet sich in der Asservatenkammer. Ebenso wie die Bestätigung für die fünf Millionen Dollar, die Mr. Reese auf das Konto seiner Frau überwiesen hat, als Bezahlung dafür, dass sie John Snow verführt hatte. Sie hat das Geld bekommen, als Vortek vollendet war.«

»Sehr interessant«, bemerkte LeGrand. »Aber Ihre Theorie beweist nur, dass mein Klient und seine Frau einander völlig ergeben waren. Sie hätte alles für ihn getan, und er für sie. Die einzige Person mit einem wirklichen Motiv, Grace umzubringen, ist Mrs. Snow, Johns Frau. Sie ist die Einzige, die er betrogen hat.«

Theresa Snow antwortete nicht.

»Das würde vielleicht stimmen, wenn der Plan so funktioniert hätte, wie Ihr Klient es sich vorgestellt hatte«, entgegnete Clevenger. »Aber er hat ein wenig zu gut funktioniert. Nicht nur, dass John Snow sich in Grace Baxter verliebte. Sie verliebte sich auch in ihn. Sie war von ihm schwanger. Und sie wollte das Kind austragen.«

Lindsey Snow zuckte zusammen.

Theresa Snow wandte sich ab.

Reese sprang auf. »Das ist eine Lüge!«

LeGrand packte ihn und zog ihn wieder auf seinen Stuhl.

Clevenger sah, wie Reese mühsam darum kämpfte, sich zu beherrschen. »Das Problem ist, dass niemand, Sie selbst eingeschlossen, Mr. Reese, die Tatsache in Betracht gezogen hatte, dass John Snow ein bemerkenswerter Mensch war. Er war keine Modepuppe. Er war keine Sportskanone. Er hätte sich auf den exklusiven Partys, die Sie geben, nicht zurechtgefunden. Er war ein Genie. Ein Erfinder. Seine Vorstellungskraft war so gewaltig, dass sein Gehirn sie kaum fassen konnte. Und das war sehr verführerisch für Ihre Frau. Denn, um der Wahrheit die Ehre zu geben, Geld hat sie nie befriedigt. Es hatte sich die besten Teile von ihr bloß zu Geiseln gemacht. Darunter war mehr, als Sie wussten – mehr als sie selbst wusste. Auch als sie die fünf Millionen erhielt, die Sie ihr versprochen hatten, konnte sie John Snow nicht vergessen.« Er sah zu, wie sich diese Tatsache einen Weg in Reeses Psyche grub. »Sie sind nach Haus gegangen, als Ihre Frau nicht bei der Cocktailparty in der Bank erschienen war«, sagte er. »Sie hatten bereits die schreckliche Wahrheit in ihrem Abschiedsbrief gelesen. Sie liebte Snow. Sie wollte ohne ihn nicht weiterleben. Und als Sie sie an jenem Abend mit aufgeschnittenen Pulsadern auf dem Bett fanden, an dem Tag, an dem er erschossen worden war, da konnten Sie es nicht mehr ertragen. Die Verletzungen waren nicht tödlich. Das wussten Sie. Sie hatte schon zuvor Selbstmordversuche unternommen. Aber eins war diesmal anders. Diesmal hatten Sie sie wirklich verloren – an einen anderen Mann. Also haben Sie das Teppichmesser genommen und ihr die Kehle durchgeschnitten.«

»Ich hoffe, Sie haben Beweise, die das untermauern …«, setzte LeGrand an.

»Grace Baxters Wunden stammen von zwei verschiedenen Klingen«, schnitt ihm Clevenger das Wort ab. »Von dem Teppichmesser, das Ihr Klient benutzt hat, um die Halsschlagadern seiner Frau zu durchtrennen, und von einer feineren Klinge, einer Art Rasierklinge, mit der sie sich die Pulsadern aufgeschlitzt hatte.«

LeGrand entgleisten die Gesichtszüge.

»Die Polizei hat keine blutige Rasierklinge gefunden. Und zwar deshalb, weil Mr. Reese sie beseitigt hat, bevor die Polizei eingetroffen ist.« Clevenger machte abermals eine Kunstpause. »All das ist für mich völlig überzeugend. Und es wird auch die Geschworenen überzeugen.«

»Er hat sie beide umgebracht«, platzte Coroway heraus und zeigte mit dem Finger auf Reese. »Kyle hat Graces Abschiedsbrief und Johns Waffe der gleichen Person gegeben. George Reese. Er hat John umgebracht. Und dann hat er seine eigene Frau umgebracht. Weil sich die beiden gegen alle Erwartungen ineinander verliebt hatten. Ich habe ebenso wenig getan wie Theresa. Ich habe nur geholfen, die Illusion zwischen den beiden am Leben zu erhalten. Ich habe mich keines Verbrechens schuldig gemacht.«

Clevenger sah ihn an und schüttelte den Kopf. »Sie waren der Stützpfeiler dieses speziellen Gefüges. Denn nachdem Sie von Ihrem Geschäftspartner erst einmal erhalten hatten, was Sie wollten – nämlich Vortek –, da haben Sie ihm die Wahrheit erzählt. Sie haben ihm erzählt, dass er hinters Licht geführt worden war. Dass er sich in eine Schauspielerin verliebt hatte. Weil Sie ihn tief im dunkelsten Winkel Ihrer Seele gehasst haben, Collin. Sie hassten seinen Intellekt. Sie hassten die Tatsache, dass er ein Genie war und Sie ein bloßer Buchhalter. Und sich vorzustellen, dass er obendrein auch noch Grace Baxter bekam? Nein. Das konnten Sie nicht ertragen. Sie erzählten ihm, dass das, was er für Liebe hielt, nichts weiter als eine Finte war. Sie haben ihn zerstört. Und das war der Moment, an dem er Lebwohl gesagt hat. Das war der Moment, als er Ihnen erzählt hat, dass er alle verlassen würde, dass seine Operation mehr als nur das Ende seiner Anfälle bedeuten würde. Dass sie ihn auch von all seinen Schmerzen befreien würde. Weil er sich an niemanden von Ihnen mehr erinnern würde.«

Heller klammerte sich an der Tischkante fest, so dass seine Fingerknöchel weiß vortraten.

»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden«, sagte Coroway.

»Sie konnten schließlich schlecht zulassen, dass ein Mann mit John Snows Wissen über Waffensysteme frei und ungehindert durch die Welt spazierte. Er hätte Ihre Branchengeheimnisse ausplaudern können. Er hätte sein eigenes Unternehmen gründen und Sie glatt vom Markt verdrängen können. Unterm Strich lief alles aufs Geld hinaus. Also sind Sie an jenem Morgen zum Mass General gefahren und haben es so arrangiert, dass Sie ihn in jener Gasse trafen«, fuhr Clevenger fort. »Sie haben ihn mit einem Schuss mitten ins Herz niedergestreckt. Sie haben ihn umgebracht, bevor er die Chance erhielt, wieder geboren zu werden.«

Heller sprang von seinem Stuhl auf, stürzte sich auf Coroway und schleuderte ihn gegen die Wand. Er legte die Hände um seinen Hals und begann, ihn zu würgen.

Lindsey Snow schrie auf.

»Welches Recht hatten Sie, mir meinen Patienten zu nehmen?«, brüllte Heller. »Sind Sie Gott?«

Clevenger und Kyle Snow eilten dazu und versuchten, Heller wegzuzerren.

Hellers Hände schlossen sich nur umso fester um Coroways Hals. »Wir standen kurz davor, Geschichte zu schreiben«, wütete er.

Die Tür des Vernehmungszimmers sprang auf.

Aus dem Augenwinkel sah Clevenger Mike Coady und Billy in der Tür auftauchen. Coady hatte die Waffe gezogen.

»Doktor Heller«, sagte Billy. »Tun Sie es nicht.«

Heller sah ihn an, dann blickte er auf seine Hände.

»Bitte«, sagte Billy.

Heller ließ zögernd los.

Coroway sackte auf den Boden und rang keuchend nach Luft.

Coady senkte die Pistole. »Wie es sich trifft, habe ich zwei Paar Handschellen dabei«, verkündete er mit einem Blick zu George Reese und hielt sie hoch. »Und keins davon mit Brillanten besetzt. Sie werden sich damit begnügen müssen.«