20
Sie fühlte das Blut in ihre Wangen steigen und wandte sich ab. Er sagte: «Ich kann mich nicht erinnern, jemals so trübsinnig gewesen zu sein!»
Obwohl sie wußte, daß es unklug wäre, ihm zu antworten, konnte sie sich nicht enthalten zu sagen: «Das, Sir Waldo, ist nach Ihren eigenen Worten Schwarzmalerei. Sie sehen nicht aus, als litten Sie je unter schlechter Laune!»
«O doch, seit es mir scheint, daß auch Sie schlechter Laune sind.»
«In einen Straßengraben geworfen zu werden, genügt wohl, übelgelaunt zu sein!»
«Was, zweimal? Ich wußte nicht, daß Ihnen ein solcher Unfall auf dem Weg zum Ball zugestoßen war!»
«Das war auch nicht der Fall. Gestern abend habe ich mich nicht wohl gefühlt. Ich hatte Kopfschmerzen.»
«Wieder!» sagte er im Ton tiefster Anteilnahme. «Meine liebe Miss Trent, ich glaube, Sie sollten Ihrer häufigen Kopfschmerzen wegen einen Arzt aufsuchen.»
Sie bezwang sich, nicht zu lachen, aber er hörte das Glucksen in ihrer Kehle. «Wissen Sie, von allen Ihren Abweisungsversuchen bezaubert mich am meisten das Glucksen in Ihrem Hals, wenn Sie sich Mühe geben, nicht zu lachen. Ich wollte, Sie wiederholten es!»
Nur der Gedanke, welcher Meister in der Kunst der Verführung er war, hielt sie davon ab, seinen Wunsch zu erfüllen. Mit Schrecken wurde sie gewahr, daß trotz ihrer strengen Erziehung und ihrer festen Grundsätze jede Fiber ihres Körpers auf den Charme des Unvergleichlichen reagierte, und sie sagte unpersönlich, als wollte sie es den Leitpferden in die Ohren flüstern: «Sir Waldo, die Umstände zwangen mich, einen Platz in Ihrem Wagen anzunehmen. Als ich zustimmte, mit Ihnen nach Leeds zu fahren, vertraute ich Ihrer Ritterlichkeit, Ihrem Sinn für Anstand, der Ihnen verbieten würde, ein bestimmtes Thema wieder zu berühren.»
«Taten Sie das?» fragte er voll Mitgefühl. «Und jetzt finden Sie Ihr Vertrauen getäuscht. Nun, das ist aber wirklich schade, und ich darf mich natürlich nicht mehr meinen Träumen hingeben. Aber sagen Sie mir, woher haben Sie eigentlich diese lächerlichen Ideen?»
Reverend William Trent, ein streng denkender Mann, hatte seiner älteren Schwester oft vorgehalten, daß ein zu lebhafter Sinn für Humor stets zu einer Schwächung der Grundsätze führe. Jetzt erkannte sie, wie recht er hatte. Sie fragte sich traurig, ob sie wohl den Unvergleichlichen deshalb nicht von sich wies, weil er sie zum Lachen brachte; sie mußte energisch gegen das Verlangen kämpfen, alle Skrupel von sich zu weisen und ihm ihr Leben anzuvertrauen.
«Was macht Ihnen eigentlich Sorge, mein Herz?» fragte er nach kurzer Pause sanft. Der Wechsel in seinem Ton warf sie beinahe um, aber es gelang ihr, leise zu sagen: «Nichts!»
«Nein, sagen Sie das nicht! Was habe ich begangen, um eine solche Veränderung Ihrer Gefühle zu bewirken? Ich habe mir den Kopf zerbrochen, mein Gewissen erforscht – vergeblich! Gott weiß, ich bin kein Heiliger, aber ich bin kein größerer Sünder als jeder andere Mann. Sagen Sie mir den Grund!»
Wie sinnlos, sich bei so entgegengesetzten Standpunkten in eine Diskussion einzulassen – selbst wenn sie imstande gewesen wäre, ein so delikates Thema anzuschneiden. Sie sagte also mit aller Fassung, die ihr zu Gebote stand: «Sir Waldo, bitte, lassen Sie das! Ich möchte nicht heiraten.»
«Warum nicht?»
Sie hätte natürlich wissen müssen, daß er sie unsicher machen werde. Nach einer Pause, in der sie sich den Kopf nach einer Ausrede zerbrach, sagte sie: «Ich bin Erzieherin. Es mag Ihnen sonderbar erscheinen, daß ich es vorziehe, meinen Beruf auszuüben – aber – so ist es!»
«Mein liebes Mädchen, das sollen Sie, mit meiner vollen Zustimmung.»
«Sie werden kaum wollen, daß Ihre Gattin als Lehrerin in einer Schule angestellt ist?»
«Nein, gewiß nicht! Aber wenn Ihr Ehrgeiz die Betreuung von Kindern ist, kann ich Ihnen genug Material verschaffen, an dem Sie Ihre Fähigkeiten erproben können», sagte er fröhlich.
Sie traute ihren Ohren kaum. Sie wandte den Kopf, starrte ihn an und sah das vertraute Leuchten in seinen Augen. Zorn über seine Kühnheit stieg in ihr auf, und sie keuchte: «Wie können Sie es wagen?»
Kaum waren diese Worte ausgesprochen, als sie sie schon bereute. Aber sie hatte wenigstens die Genugtuung, das Leuchten in seinen Augen verschwinden und einem Erstaunen Platz machen zu sehen. Sir Waldo brachte die Pferde zum Stehen.
«Wie, bitte?» fragte er.
Das Blut schoß ihr in die Wangen. «Ich hätte das nicht sagen sollen–ich hatte nicht die Absicht – ich flehe Sie an, vergessen Sie es!»
«Vergessen? Wie könnte ich das! Was, zum Teufel, habe ich gesagt, daß Sie mir so begegnen? Sie wissen nicht einmal, wovon ich sprach, denn ich habe Ihnen bisher mein Geheimnis noch nicht anvertraut. Erinnern Sie sich meiner Worte, daß ich Ihnen ein Geständnis machen möchte?»
«Ich erinnere mich», sagte sie mit erstarrter Stimme. «Sie sagten, daß Sie sich etwas von der Seele reden möchten, aber das ist unnötig. Ich kenne Ihr Geheimnis, Sir Waldo!»
«Wirklich? Welcher meiner Cousins hat es auf sich genommen, Sie aufzuklären? Laurie?»
«Nein, nein, er hat mir nie etwas davon gesagt, ich versichere Sie – bitte, fragen Sie mich nicht mehr!»
«Nicht nötig! Julian, natürlich. Ich hätte es mir denken können! Wenn es je eine Plaudertasche gegeben hat – Aber ich kann, und wenn es mein Leben gälte, nicht verstehen, warum ...»
Sie unterbrach ihn verzweifelt: «O bitte, er bat mich dringend, Ihnen gegenüber davon zu schweigen. Es war falsch von mir, darüber zu sprechen. Er glaubte, daß ich es weiß – er meinte es nicht schlimm! Es fiel ihm wohl nicht im Traum ein, daß ich darüber nicht so leichthin denken würde wie er – wie Sie! Sie sagten, Sie hielten mich für einen zu freisinnigen Geist, um es zu mißbilligen. Sie haben es als Kompliment gemeint – Sie irrten sich! Mein Geist ist nicht freisinnig. Ich weiß wohl, daß in gewissen Kreisen – die Kreise, zu denen Sie gehören – solche Dinge kaum beachtet werden. In meinem Kreis ist das anders, und meine Familie – oh! Sie würden es nicht verstehen, aber Sie müssen mir glauben, daß ich keinen Mann heiraten kann, dessen Art zu leben ich ablehnen muß.»
Anfangs hörte er ihr mit düsterem Erstaunen zu, dann aber glättete sich seine Stirn und seine Züge nahmen den Ausdruck intensiven Vergnügens an.
«Also das ist es?» sagte er, und seine Stimme bebte vor Lachen. Er zog die Zügel an, und das Gefährt setzte sich in Bewegung. «Dafür drehe ich Julian den Hals um! Aber was hat er Ihnen denn erzählt?»
«Eigentlich hat er nicht mehr gesagt, als Sie mir selbst erzählt haben», sagte sie sehr ernst. «Daß den Nachbarn der Zweck, für den Sie Broom Hall ausersehen haben, mißfallen werde. Er sagte nichts zu Ihren Ungunsten, ich versichere Sie! Er sagte sogar, daß auch einer Ihrer Cousins glaubt, daß man es nicht tun sollte – solche Kinder in einer achtbaren Nachbarschaft unterzubringen ...»
«George! Hat er von ihnen als <Waldos elender Brut> gesprochen?»
«Ich glaube, ja», sagte sie steif.
«Sie brauchen sich nicht um diese Worte herumzudrücken, weiter!» Sie sah ihn feindlich von der Seite an. «Sonst gibt es nichts zu sagen. Ich möchte Ihnen nur klarmachen, daß Lord Lindeth von Ihnen mit ebenso großer Bewunderung wie Liebe sprach.»
«Das glaube ich. Der Himmel bewahre mich vor liebenden und bewundernden Verwandten. Laurie hätte mir nicht mehr antun können! Also, Sie wollen mir nicht helfen, Schulen für meine <elende Brut> zu errichten, Miss Trent?»
«Schulen?» wiederholte sie erstaunt «Mit der Zeit! Oh, schauen Sie nicht so entsetzt drein! Vorläufig nur eine. Die Brut, die ich in Surrey untergebracht habe, ist bereits versorgt.»
«Wie viele Kinder haben Sie denn?»
«Das kann ich nicht genau sagen. Ich glaube, es waren fünfzig, als ich London verließ, aber ich kann nicht wissen, ob nicht eins oder zweie hinzugekommen sind.»
«Fünfzig?»
«Das ist alles. Aber ich habe die Absicht, die Zahl in Kürze zu verdoppeln», sagte er vertraulich.
Ihre Augen sprühten Funken. «Sir Waldo, ich nehme an, daß Sie das für einen Scherz halten – ich – ich sehe es anders.»
«Ich halte das nicht für einen Scherz; tatsächlich ist es eines der wenigen Dinge, die ich ernst nehme.»
«Aber Sie können doch nicht wirklich fünfzig ...» Sie brach plötzlich ab, und ihre Augen wurden groß. «Schulen – elende Brut – Exzentrizität zu weit treiben – nur der Rektor wußte –! Oh, welche Gans ich doch bin!» rief sie zwischen Lachen und Weinen. «Und als Lindeth das Kind ins Krankenhaus brachte, sagte er, daß Sie der Mann für eine solche Situation seien! Aber wie sollte ich erraten, daß Sie sich für Waisen interessieren?»
«Es war also leichter zu glauben, daß ich ein Wüstling bin?» sagte Sir Waldo und brachte das Gespann wieder zum Stehen. «Darf ich Ihnen sagen, Mädchen, daß ich nicht gewillt bin, Ihre weiteren Beleidigungen hinzunehmen. Und wenn ich noch ein Wort gegen die Korinthier von Ihnen höre, wird es Ihnen schlecht ergehen!»
Da seine Stimme freundlich klang, als er den Arm um sie legte, erschrak sie nicht. Von Erleichterung überwältigt vergaß sie allen Anstand und sank dankbar in seine Arme. Sie ergriff eine Falte seines Mantels und flüsterte an seiner Schulter: «O nein, bei dir wird es mir nie schlecht ergehen. Aber es fiel mir schwer, es zu glauben. Nur die Leute sprachen so über dich – und du sagtest, du möchtest dir etwas vom Herzen reden – und Lindeth! Bitte, schelte mich nicht! Wenn du wüßtest, wie unglücklich ich war!»
«Ich weiß es. Und wenn du jetzt nicht dein Gesicht aus meinem Mantel schälst und mich ansiehst, wirst du noch unglücklicher sein!»
Sie schluchzte ein wenig und hob den Kopf. Der Arm des Unvergleichlichen umfing sie. Er küßte sie. Der Phaeton schwang nach vorne und wieder zurück, als Sir Waldo, der die Zügel mit der Peitsche in einer Hand hielt, seine unruhigen Radpferde wieder unter Gewalt brachte. Ancilla, die sich ein wenig atemlos aus seiner Umarmung löste, sagte erschrocken: «Gib acht, um Himmels willen! Wenn ich heute zum zweitenmal im Graben lande, werde ich dir nie verzeihen!»
«Du mußt mich noch lehren, wie ich meine Pferde behandeln soll. Ich stelle mir Ihre Lektionen vor, Fräulein Erzieherin. Werden sie Lauries Bemühen, Tiffany zu unterrichten, sehr ähneln?»
«Guter Gott! Tiffany! Die habe ich ganz vergessen! Waldo, jetzt ist keine Zeit zum Schäkern – und auch nicht der richtige Platz. Was William dazu sagen würde! – Du bist ein abscheulicher Mensch! Seit dem Tag, an dem ich dich kennenlernte, wurde ich immer verderbter. Nein – nein – bitte, nicht – wir müssen uns beeilen, nach Leeds zu kommen. Du weißt, wir müssen! Man kann nie wissen, was Tiffany anstellt, wenn sie ungeduldig wird.»
«Um ehrlich zu sein: es interessiert mich sehr wenig, was sie tun könnte.»
«Aber ich kann sie nicht so einfach verlassen. Sie wurde meiner Betreuung anvertraut, und wenn ihr etwas zustoßen sollte, wäre es ausschließlich meine Schuld.»
«Ja, aber je früher du sie loswirst, desto besser! Fahren wir dir jetzt schnell genug, oder soll ich die Pferde springen lassen?»
«O nein, ich würde es nie wagen, Ihnen, geschätzter Meister, etwas zu befehlen. Erzähl mir etwas über dein Waisenhaus. Lindeth sagte mir, daß du ein Vermögen an deine elende Brut verschwendest, und das glaube ich auch, wenn du an die hundert erhältst. Sind es Kleinkinder?»
«Nein, ich befasse mich weder mit Findelhäusern, noch verschwende ich ein Vermögen an meine Rangen. Broom Hall, zum Beispiel, wird sich selbst erhalten, aus den Pachtzinsen – wie du weißt.»
Sie lächelte. «Halte mich nicht für unverschämt, aber ich bin nicht ganz ohne Verstand. Wieviel wird dich die Instandsetzung des Gutes kosten?»
«Nicht mehr, als ich erschwingen kann. Fürchtest du, dich einschränken zu müssen, wenn du mich heiratest? Hab keine Sorge! Lindeth hat dich falsch unterrichtet. Nur die Hälfte meines Vermögens widme ich meinem Hobby, der Wohltätigkeit. Meine Tante Lindeth wird dir erzählen, daß das Ganze vulgär ist – wenn sie nicht noch kräftigere Ausdrücke gebraucht, deren sie sich in der Aufregung gerne bedient.»
«Nun, da ich erleichtert bin, erzähle mir, was dich bewogen hat, ein Waisenhaus zu gründen!»
Er sagte nachdenklich: «Ich weiß es nicht. Ich glaube: Tradition und Erziehung. Mein Vater und vor ihm mein Großvater waren Philanthropen, und meine Mutter war sehr befreundet mit der vor einigen Jahren verstorbenen Lady Spender, die sich so sehr für die Erziehung armer Kinder einsetzte. Man kann also sagen, daß ich erblich belastet bin. Wohltätigkeit ist für mich eine lohnende Aufgabe: heimlose, verwahrloste Kinder, die man in jeder Stadt finden kann, zu sammeln, aufzuziehen und zu brauchbaren Bürgern zu machen. Mein Cousin Wingham schwört, daß sie alle zu Galgenvögeln werden. Natürlich haben wir auch Mißerfolge, aber nicht viele. Das Wichtigste ist, sie in den richtigen Beruf zu bringen und darauf zu achten, daß sie nicht an schlechte Lehrherren geraten.» Er brach ab und lachte. «Was veranlaßte dich, mich auf mein Steckenpferd zu bringen? Wir haben wichtigere Dinge zu besprechen als meine elende Brut, kleine Erzieherin! Übrigens, meine Mutter wird dich mit offenen Armen empfangen und wahrscheinlich versuchen, dich für ein Heim für Waisenmädchen zu gewinnen. Sie hat deren schon ungefähr ein Dutzend, unten in Manifold. Wie bald kannst du Staples verlassen? Ich mache dich aufmerksam, daß ich nicht warten will, bis es Mrs. Underhill paßt. Wenn du die Absicht haben solltest zu bleiben, bis Tiffany nach London zurückgeht ...»
«Diese Absicht habe ich nicht», unterbrach sie ihn. «Auch kann ich dir versichern, daß Mrs. Underhill es nicht von mir verlangen wird.»
«Ich freue mich, das zu hören. Leider muß ich am Montag mit Julian verreisen. Ich habe dem Jungen versprochen, seine Sache bei seiner Mutter zu unterstützen, und das muß ich wohl tun. Ich wollte, ich könnte meine Reise verschieben, bis ich dich nach Derbyshire gebracht habe, aber wie die Dinge nun liegen, muß ich dich hierlassen, bis ich Julians Affäre und noch einiges andere ins reine gebracht habe.»
«Es wäre mir lieber, du würdest nicht verreisen; und noch lieber wäre es mir, wir würden niemandem in Oversett etwas von unseren Absichten erzählen, mit Ausnahme von Mrs. Underhill, der ich – wie ich hoffe – das Geheimnis anvertrauen kann. Du magst mich für verrückt halten, aber ich habe das Gefühl, ich könnte es nicht ertragen. Du weißt, die Neuigkeit wird mit soviel Mißfallen aufgenommen werden – ich muß dir nicht erzählen, was gewisse Damen unserer Bekanntschaft sagen werden. Und Tiffany! Waldo, sie darf nichts erfahren, bis sie sich von Lindeth' Verlobung erholt hat. Es wäre zu grausam – und du hast das arme Kind durch dein Flirten noch ermuntert. Ich denke mit Schaudern daran, welches Leben sie in Staples führen würde, wenn sie erfährt, daß du mich ihr vorgezogen hast! Sie würde uns alle verrückt machen. Auch muß ich Mrs. Underhill Zeit lassen, einen Ersatz für mich zu finden; verlange nicht von mir, daß ich sie in der Klemme lasse – das könnte ich nicht tun. Bedenke, ich habe nur Freundliches von ihr erfahren. Aber sobald sie einen Ersatz gefunden hat, fahre ich nach Hause, nach Derbyshire, und dort können wir uns treffen. Oh, wie ich mich danach sehne, dich mit Mama und William bekannt zu machen! Und was eine Anstandsbegleitung betrifft – Liebster, wie absurd zu glauben, daß ich, in meinem Alter, eine benötige! Die Reise zählt nicht, kaum fünfzig Meilen. Ich muß nur mit der Postkutsche nach Mansfield ...»
«Du wirst nirgendwohin mit der Postkutsche fahren!» unterbrach sie Sir Waldo. «Ich werde meine Chaise senden, um dich abzuholen, natürlich mit meinen eigenen Bedienten.»
«Ich hoffe, du vergißt nicht den Vorreiter und den Kurier!» fiel sie ein. «Seien Sie doch vernünftig, lieber Sir!»
Sie zankten noch, als sie vor dem King's Arms anlangten. Während der Unvergleichliche im Stallhof blieb, ging Miss Trent in das Gasthaus. Sie war hier oft mit Mrs. Underhill eingekehrt, um eine kleine Erfrischung zu nehmen, und der erste, dem sie begegnete, war ein älterer Kellner, den sie gut kannte. Sie grüßte ihn lächelnd und sagte in sachlichem Ton: «Guten Tag, John! Sind Miss Wield und Mr. Calver noch hier oder haben sie ungeduldig aufgegeben? Ich sollte schon lange hier sein, habe mich sehr verspätet. Ich hoffe, sie sind noch nicht fort.»
Als sie so sprach, fühlte sie eine gewisse Spannung und sah neugierige Blicke auf sich ruhen. Ihr Herz sank. Der Kellner hüstelte sichtbar verlegen und sagte: «Nein, Ma'am, o nein, sie sind nicht fort. Der Herr ist in einem der Zimmer, demselben, Ma'am, in dem Sie selbst vor kurzem waren, als Sie an dem Lunch teilnahmen.»
«Und Miss Wield?»
«Nun – Ma'am, Miss Wield ist in unserem schönsten Schlafzimmer – sie ist – nun, wie sie eben ist – ein bißchen außer Form, und die Wirtin, die nicht wußte, was sie mit ihr tun sollte, überredete sie, sich bei zugezogenen Vorhängen ein wenig niederzulegen – bis sie sich sozusagen etwas beruhigt hätte. Sehr außer sich war sie – aber sie Wirtin wird Ihnen alles sagen.»
Sir Waldo, der eben eintrat, begegnete Miss Trents Blick. «Was ist los?»
«Sir, ich habe es nicht über mich gebracht, es zu erzählen», antwortete der Kellner und senkte den Blick. «Aber der Gentleman, Sir, ist im Zimmer, die Wirtin hat ihm ein Pflaster über die Wunde geklebt, und der Hilfskellner trägt eben eine Flasche Cognac zu ihm hinauf, vom besten – Sir, Mr. Calver, der Gentleman, hat – wie ich höre – sozusagen einen Unfall gehabt.»
«Wir werden zu ihm gehen», sagte Miss Trent schnell.
«Trübe Aussichten», sagte Sir Waldo, als er ihr auf der schmalen Treppe folgte. «Und wo ist die Heldin dieses Trauerspiels?»
«Im Bett des besten Schlafzimmers», antwortete Miss Trent, «und die Wirtin betreut sie.»
«Es wird immer schlimmer! Glaubst du, daß sie den armen Laurie mit einem Tranchiermesser erstochen hat?»
«Das weiß der Himmel! Es ist sehr besorgniserregend und durchaus nicht lächerlich, glaub mir das! Mrs. Underhill ist hier sehr bekannt, und es ist klar, daß dieses entsetzliche Mädchen einen schrecklichen Skandal provoziert hat, was ich absolut vermeiden wollte! Waldo, was immer du tust, laß sie nicht vermuten, daß du mich auch nur mit Wohlwollen betrachtest!»
«Keine Sorge, ich werde dich mit höflicher Gleichgültigkeit behandeln. Ich möchte nur wissen, was sie dem armen Laurie angetan hat?»
Das sollten sie bald erfahren. Sie entdeckten Mr. Calver in einem Zimmer, wo er auf einem Sofa von altmodischer und unbequemer Form lag. Ein Pflasterstreifen zierte seine Stirn, seine schön gedrehten Locken befanden sich in wilder Unordnung. In der Hand hielt er ein Glas, und auf dem Fußboden stand eine Flasche des besten Cognacs, den das King's Arms zu bieten hatte. Als Miss Trent über die Schwelle schritt, trat sie auf Glasscherben; auf dem Tisch lag eine Standuhr in leicht verbeultem Zustand. Miss Wield hatte Mr. Calver nicht mit einem Messer verletzt, sondern ihm die Uhr an den Kopf geworfen.
«Nahm sie vom Kamin und warf – nein, schleuderte sie auf mich!»
Der Unvergleichliche schüttelte den Kopf. «Du hast sicher versucht, auszuweichen? Wirklich, Laurie, wie konntest du so ungeschickt sein?! Wärst du stillgestanden, das Geschoß hätte dich um einige Fuß verfehlt!»
«Ich wollte – im Gegenteil – durch einen Sprung zur Seite ausweichen; das hättest du doch auch getan!»
«Niemals! Wenn weibliche Wesen Geschosse gegen meinen Kopf schleudern, werde ich niemals ausweichen. Aber wenn es nicht unfein ist zu fragen: Warum hat sie die Uhr nach dir geworfen?»
«Ja, ich hätte mir denken können, daß du das sehr unterhaltend findest», sagte Laurence bitter.
«Nun ja, das hättest du dir wirklich denken können!» Waldos Augen funkelten vor Vergnügen.
Miss Trent, die sah, daß der Geliebte in eine unzeitgemäße frivole Stimmung geriet, warf ihm einen unwilligen Blick zu und sagte zu dem verwundeten Dandy: «Es tut mir sehr leid, Mr. Calver. Bitte, legen Sie sich doch wieder hin, Sie sehen gar nicht gut aus – was mich nicht überrascht. Ihr Cousin mag das für eine sehr lustige Angelegenheit halten, ich aber bin Ihnen außerordentlich dankbar. Ich kann es kaum glauben, daß Sie dieses ermüdende Kind so lange in Schach gehalten haben!»
«Es war nicht leicht, Ma'am», sagte Laurence, milder gestimmt. «Ich kann Ihnen sagen: ich glaube, sie ist im Oberstübchen nicht ganz in Ordnung. Stellen Sie sich vor, sie wollte, daß ich ihr Perlenhalsband verkaufe oder verpfände, nur um die Miete für eine Chaise zu bezahlen, die sie nach London bringen sollte! Ich habe ihr weisgemacht, daß ich lieber meine Uhr versetzte.»
«Wie klug von Ihnen!» sagte Miss Trent schmeichelnd. «Bitte, setzen Sie sich, Sir! Ich möchte – wenn Sie dazu imstande sind – hören, was sie veranlaßt hat, plötzlich so ärgerlich zu werden?»
«Um das zu tun!» fiel der Unvergleichliche ein.
Miss Trent wandte ihm vielsagend den Rücken zu, setzte sich in einen Fauteuil neben das Sofa und lächelte Laurence ermutigend an.
«Natürlich werde ich es Ihnen erzählen, Ma'am.» Laurence blickte seinen Cousin an und sagte vorwurfsvoll: «Wenn du, lieber Waldo, glaubst, ich hätte versucht, mich ihr zu nähern, dann bist du auf dem Holzweg. Erstens bin ich kein Schürzenjäger, zweitens würde ich – selbst wenn ich es wäre – mir nichts mit einer solchen Hexe anfangen!»
«Natürlich nicht!» sagte Miss Trent.
«Nun, ich habe es auch nicht getan. Mich trifft auch sonst keine Schuld. Sie können mir glauben, Ma'am, daß es eine Höllenarbeit war, sie hier festzuhalten! Also, wir sind ganz gut miteinander ausgekommen, bis sie sich in den Kopf setzte, eine Tasse Tee trinken zu wollen. Warum sie sich um diese Tageszeit den Magen mit Tee anschwemmen wollte, weiß nur der Himmel! Ich hatte nichts dagegen, solange sie sich davon ablenken ließ, einen Wirbel zu machen. Und das hätte der Tee auch getan, wenn sie nicht den Kellner, der den Tee brachte, gefragt hätte, um welche Zeit die Postkutsche nach London erwartet werde. Ich konnte ihm keine Blicke zuwerfen, und es war auch nicht nahe genug, ihm einen heimlichen Stoß zu versetzen. Dieses Schaf sagte ihr, es gäbe keine bis morgen früh. Da brach der Donner los, der Sturm begann zu wüten! Sie schrie und schimpfte wie ein Marktweib. Man hätte glauben können, ich wäre ein armer Junge aus Waldos Waisenhaus. Der Kellner stand da, das Maul offen, bis ich ihm sagte, er solle sich zum Teufel scheren – ich wollte, ich hätte es nicht getan!» In der Erinnerung bebend, nahm er einen großen Schluck Cognac. «Was sie mich alles hieß! Ich möchte nur wissen, wo sie die Ausdrücke her hat?»
«Was hat sie dich geheißen?» fragte Sir Waldo sehr interessiert.
«Ich wünschte», fiel Miss Trent in betont kühlem Ton ein, «Sie wären so nett, keine unwichtigen Fragen zu stellen, Sir Waldo. Mr.
Calver, ich kann nichts anderes sagen, als daß ich zutiefst unglücklich bin. Als Miss Wields Gouvernante fühle ich mich sehr schuldig, aber ich muß sagen ...»
«Hat sie die Ausdrücke von Ihnen gelernt, Ma'am?» fragte Sir Waldo, der sich nicht beherrschen konnte.
«Sehr witzig!» schnappte Laurence ein. «Du würdest das alles nicht so humorvoll und großartig finden, wenn du in meinen Schuhen gesteckt hättest!»
«Ach bitte, Mr. Calver, beachten Sie Ihren Cousin nicht, erzählen Sie weiter, was sich ereignet hat!»
«Nun, sie begriff, daß ich sie beschwindelt hatte, und sie brauchte auch nur Minuten, um zu erkennen, warum ich sie hier warten ließ. Ich gebe Ihnen mein Wort, Ma'am, wenn sie einen Dolch gehabt hätte, sie hätte mich erstochen. Da ich wußte, daß sie keinen hat, fühlte ich auch keine Angst. Aber sie sagte, daß sie sofort weggehen werde, um ihre Perlen zu verpfänden, so daß sie nicht da sei, wenn Sie kämen. Und das hätte sie auch getan! Ich wollte, ich hätte sie gehen lassen!»
«Das wundert mich nicht! Aber Sie haben es nicht getan, und ich bin Ihnen sehr dankbar dafür.»
«Ich bin nicht sicher», sagte er düster. «Sie hätte keinen solchen Wirbel gemacht, wenn ich klug genug gewesen wäre, keinen Widerstand zu leisten. Das Schlimme war, daß sie mich in eine solche Zwickmühle gebracht hatte, daß ich mich lieber hätte hängen lassen, als ihr gut zuzureden. So sagte ich ihr, wenn sie versuchen sollte auszubrechen, würde ich es zu verhindern wissen, das heißt, ich würde dem Wirt sagen, wer sie ist und was sie plant. Daraufhin warf sie mir die Uhr an den Kopf! Natürlich brachte das den Wirt und die Kellner auf den Schauplatz, und den Hausknecht und eine Anzahl von Stubenmädchen, die – wie ich glaube – schon an der Tür gelauscht hatten. Und ehe ich noch ein erklärendes Wort herausgebracht hatte, setzte sie ihr Geschimpfe fort. Sie drohte, jedem zu sagen, daß ich ihr einen Schlag auf die Schulter versetzt hätte, als ich sie nicht aus dem Zimmer ließ. Und bei Gott, das hat sie getan!»
«Nein, nicht doch!» sagte Miss Trent und wurde blaß. «Wie konnte sie nur?»
«Wenn Sie mich fragen, Ma'am – sie ist zu allem fähig. Ich konnte also nichts tun, als dem Wirt sagen, daß sie Mrs. Underhills Nichte sei – was er ohnehin wußte –, und daß sie die Absicht habe, nach London durchzubrennen, und daß ich sie nur zurückhalte, bis Sie kommen werden, um sie zu übernehmen. Das glaubte er gerne, weil er wußte, daß ich einen der Postboten gemietet hatte, um Waldo die Nachricht zu bringen. Als sie sah, daß der Wirt mir glaubte, verfiel sie in hysterische Schreikrämpfe – Hergott, so einen Spektakel haben Sie ihr Lebtag nicht gehört!»
«So einen Spektakel erlebe ich täglich. Wo ist sie jetzt?»
«Ich weiß es nicht, die Wirtin nahm sie mit sich; mich dürfen Sie nicht fragen.»
Ancilla erhob sich.
«Ich werde jetzt die Wirtin suchen. Lassen Sie mich Ihnen nochmals danken, ich bin sehr in Ihrer Schuld. Sie haben die unangenehmste Zeit gehabt, die man sich vorstellen kann, und ich bewundere Sie, daß Sie das elende Kind nicht im Stich gelassen haben.»
«Nun, das hätte ich nicht tun können – bin auch nicht so empfindlich – aber sprechen wir nicht mehr darüber!»
Er beobachtete sie, wie sie durch das Zimmer zur Tür ging, und seinen Cousin, wie er die Tür für sie öffnete. Mit wachsendem Mißfallen nahm er die betonte Höflichkeit von Waldos leichter Verbeugung und die Strenge ihrer Haltung zur Kenntnis. Sir Waldo schlenderte zurück ins Zimmer und zog seine Schnupftabaksdose. Nach einer ausgiebigen Prise sagte er, Laurence belustigt ins Auge fassend: «Jetzt sag mir eines, Laurie, warum hast du nach mir geschickt und nicht nach Underhill?»
Laurence blickte ihn nachdenklich an. «Ich glaubte dir damit einen Gefallen zu erweisen, und du weißt, daß mir das gelungen ist.»
«Ach, wie freundlich von dir!» sagte Sir Waldo. «Ich wußte nicht, daß dir mein Wohl so sehr am Herzen liegt!»
«Schon gut!» sagte Laurence täppisch. «Es ist mir nicht bewußt, daß ich das so ausgedrückt habe. Aber schließlich sind wir doch Cousins, und ich konnte erkennen, daß du dich mit deiner Angelegenheit in einer Sackgasse befindest.»
«Welcher Angelegenheit?»
Laurence setzte sein Glas heftig auf den Tisch und sagte mit Nachdruck: «Ich kenne dich, lieber Cousin, du kannst mich nicht täuschen. Der Fall ist klar wie Tinte!»
«Glaube nur nicht, mich täuschen zu können. Du wolltest mich dir nur verpflichten, damit ich dir bei der Pferdesache helfe. Ich kenne deine Taktik nur zu gut!»
«Was, zum Teufel, kann ich anderes machen? Wer sonst als du kann mir denn die Möglichkeit dafür bieten?» fragte Laurence ärgerlich.
Sir Waldos Mundwinkel zuckten. «Ich glaube nicht, daß du jemanden findest!»
«Das sieht dir wieder ähnlich!» sagte Laurence in aufflammendem Groll. «Du schwimmst derart in Geld, daß du dir nicht vorstellen kannst, wie jemand anders in die Enge getrieben wird – und du scherst dich auch nicht darum. Die fünftausend für mich würden dir nicht mehr bedeuten, als mir, einem Kellner den halben Shilling Trinkgeld zu geben. Waldo, wirst du es tun?»
«Nein! Ich habe eine zu schwere Hand dafür. Verschwende dafür keine Zeit und Mühe, mich dir zu verpflichten, es wird dir nicht gelingen. Du hast in manchem einen wachen Blick – aber nicht in allem. Du kennst mich nicht so gut, wie du glaubst, wenn du der Meinung bist, ich könnte meine Angelegenheiten nicht ohne deine Hilfe erledigen.»
«Mir kommt nicht vor, als würdest du sie gut erledigen, und selbst jetzt, wo ich dich mit Miss Trent zusammenführte, hast du offensichtlich schlechte Arbeit getan. Und du bist mir nicht einmal dankbar, daß ich versucht habe, dir weiterzuhelfen! Wenn ich an all die Arbeit denke, die ich, seit ich in Yorkshire bin, getan habe – ganz zu schweigen von dem höllischen Lärm, den die Maurer machen –, will ich verdammt sein, wenn du mir nicht diese erbärmlichen fünftausend schuldest! Du hast mich in die Sache hineingetrieben – leugne das ja nicht ab! O ja, das hast du getan! Du hast mich ausgenützt, Lindeth dieses zänkische Ding auszuspannen, und ich bin sicher, daß Lindeth ihrer schon müde war. Und jetzt siehst du, wohin es geführt hat! Gar nicht zu sprechen von dem Skandal und dem Geld, das mich dieses Zimmer gekostet hat, und wieviel, sie mit Tee und Limonade zu bewirten und eine Fahrkarte für die Postkutsche zu kaufen! Mein armer Kopf ist zerschlagen, und sicher werde ich bis an mein Lebensende eine Narbe haben.»
«Aber was habe ich mit all diesen Unglücksfällen zu tun?»
«Alle diese Unglücksfälle haben mit dir zu tun! Sie wären nicht passiert, wenn du nicht so hart gewesen wärst! Ja, lache nur! Genau, was ich von dir erwartet habe.»
«Was für ein sonderbarer Charakter bist du doch! Du weißt ganz gut, daß das, was du unternehmen willst, pure Luftschlösser sind.»
«O nein, Waldo! Sei doch ein guter Kerl und hilf mir noch dieses eine Mal! Du kannst doch nicht so schäbig sein, es abzulehnen, denn du hast es mir unmöglich gemacht, durch eigene Anstrengungen etwas zu erreichen.»
«Also, das ist das wieder ...»
«Ja, das hast du getan!» warf Laurence ein. «Du hast mir das Wort abgenommen, daß ich nur noch um kleinste Einsätze spielen werde. Ich weiß, du glaubst, ich werde keinen Erfolg haben – da irrst du dich!»
«Ich weiß es genau!»
Laurence blickte ihn erstaunt an, wurde rot und sagte mit trockenem Lachen: «Herzlichen Dank, du tust mehr für mich als George.»
«George glaubt nicht alles, was er sagt.»
«Ich schere mich den Teufel darum, ob er es glaubt oder nicht – Waldo, wenn ich dich bitten würde, mir ein Offizierspatent zu kaufen, würdest du es tun?»
«Morgen!»
«Würdest du erwarten, daß ich dir das Geld zurückzahle?»
«Guter Gott! Natürlich nicht.»
«Warum also willst du mir das Geld nicht für etwas, das ich dringend brauche, leihen? Du sagst, ein Offizierspatent würde dich mehr als sieben- bis achthundert Pfund kosten, die du nicht zurückbekommen würdest, während du, wenn du in meinen Plan investierst, noch Gewinn haben könntest!»
Sir Waldo seufzte. «Laurence, ich habe dir schon gesagt, daß ...» Er brach ab, als die Tür geöffnet wurde und Miss Trent, begleitet von Tiffany, hereinkam.
«Also haben Sie sich erholt?» sagte Laurence und blickte Tiffany mit sichtlicher Abneigung an. «In voller Blüte, muß ich sagen, ich habe Sie nie in Ihrem Leben mehr bei Kräften gesehen!»
Tiffany war blaß und hatte Tränenspuren, zeigte aber offensichtlich gute Laune. Sie übersah Laurence geflissentlich, blickte jedoch Sir Waldo engelhaft an und sagte: «Ich danke Ihnen, daß Sie zu meiner Befreiung gekommen sind! Ich hätte es mir denken können. Anfangs wollte ich nicht, daß mir jemand nachkommt, aber jetzt bin ich froh darüber. Ancilla sagt, ich hätte einen solchen Skandal verursacht, daß nichts übrigbliebe, als mich zu Onkel Burford zurückzuschicken. Und das ist genau das, was ich wollte. Sie sagt, sie wird sofort an Tante Underhill schreiben, und sobald deren Einwilligung eintrifft, werden wir reisen!»
«Gott helfe Ihrem Onkel Burford!» sagte Laurence.
«Sie müssen nicht glauben, daß ich Ihnen etwas zu sagen hätte. Ich werde Sie auch nicht um Entschuldigung bitten, daß ich die Standuhr nach Ihnen geworfen habe – da kann Ancilla tun, was sie will! Denn Sie haben mich angelogen, mich beschwindelt, und Sie haben die Uhr auf dem Kopf wohl verdient! Und außerdem hat sich alles zum besten gewendet, und ich fahre nach London! Das entschädigt mich für alles! Wann fahren Sie nach London, Sir Waldo?»
«Sofort.»
Seine vor Lachen strahlenden Augen trafen Miss Trent. Nur einen Augenblick lang dauerte die geheime Botschaft, nicht einmal Tiffany bemerkte sie. Sie warf Waldo einen Glutblick zu. «Ich dachte es mir», sagte sie geschmeichelt.
Aber Laurence war der schnelle Austausch vielsagender Blicke nicht entgangen. «Ich habe mich also nicht geirrt! Nun, ich hatte das Gefühl, daß du etwas verbirgst, lieber Cousin. Jetzt wirst du vielleicht zugeben ...»
«Laurie!» unterbrach ihn Sir Waldo. «Muß ich dich vielleicht darauf aufmerksam machen, daß du, wenn du Pferdehändler werden willst, deine Zunge sehr fest im Zaum halten mußt?»
Laurence blickte ihn ungläubig an. «Beschwindelst du mich?»
«Nein, ich mache dich nur aufmerksam!»
«Ich verstehe nicht, worüber ihr sprecht», beklagte sich Tiffany, die gar nicht entzückt war, daß man sie nicht beachtete.
«Wer will schon, daß Sie verstehen?» fiel Laurence ein. «Es ist ein starkes Stück, wenn ich mit meinem Cousin nicht sprechen kann, ohne daß eine anmaßende Kratzbürste, die das Ganze nichts angeht, sich einmischt!»
«Kratzbürste?» rief Tiffany, und Röte stieg ihr in die Wangen. «Sie wagen es, so mit mir zu sprechen? Nein, ich bin keine Kratzbürste, ich nicht!»
«Eine Kratzbürste!» wiederholte Laurence mit Behagen. «Wegen Beschädigung im Ausverkauf billig zu haben!»
«Ruhe!» befahl Sir Waldo.
«Schon gut!» sagte Laurence nachgiebig.
«Ich bin lieber eine Kratzbürste als eine Rotznase, wie Courtenay Sie nennt, und ...»
«Ruhe, habe ich gesagt!»
Tiffany war über den strengen Befehl so entsetzt, daß sie, nach Luft schnappend, den Unvergleichlichen anstarrte, als könnte sie nicht glauben, daß er in diesem Ton zu ihr und nicht zu seinem Cousin spreche. Sie zog den Atem hörbar ein und preßte die Hände zusammen. Miss Trent warf einen begütigenden Blick auf Sir Waldo, aber er beachtete ihn nicht. Er trat vor die wütende Schöne hin und hob ihr Kinn hoch.
«Jetzt hör mal zu, mein Kind: du ödest uns an, und ich kann lästige Menschen nicht leiden. Ebensowenig dulde ich lärmende Ausfälle! Wenn du nicht ordentlich verprügelt werden willst, dann hüte dich vor Szenen!»
Es folgte ein Augenblick überraschter Ruhe, den Laurence schließlich unterbrach. Er faßte seinen Cousin an der Hand und schüttelte sie begeistert.
«Ich wußte, daß du der Richtige bist! Ein großartiger Kerl, Waldo! Ein richtiger Korinthier!»