16
Als Tiffany nach Staples zurückkehrte, hatte sich Miss Trent so weit in der Gewalt, um ihr mit scheinbarer Ruhe zu begegnen. Zwar blickte sie noch starr vor sich hin, aber Tiffany war so sehr mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt, daß sie nichts bemerkte. Sie war in bester Laune, denn auf dem Heimritt mit Courtenay waren sie Lady Colebatch und Lizzie begegnet, die in ihrem schäbigen kleinen Landauer nach dem Dorf fuhren.
«Lady Colebatch fragte, ob wir Lust hätten, heute abend nach Colby Place zum Dinner zu kommen, nur Courtenay und ich. Es wird keine Party sein, nur die Mickleby-Mädchen und Arthur und Jack Banningham. Ich darf doch hingehen, Ancilla, nicht wahr? Oh, sie sagte auch, sie würde sich freuen, Sie zu sehen, wenn Sie Lust hätten, mitzukommen. Aber das werden Sie wohl nicht, denn wir wollen nur ein paar Spiele machen, und da keine Fremden da sein werden, gibt es doch keinen Einwand, ohne Sie hinzugehen, nicht wahr?»
«Nein, keinen, wenn Courtenay dabei ist.»
«Liebste Ancilla!» sagte Tiffany und umarmte ihre Gesellschafterin. «Werden Sie uns begleiten? Sie müssen nicht, wie Sie wissen!»
«Dann werde ich nicht», sagte Ancilla mit schwachem Lächeln.
Courtenay, der hinter Tiffany ins Zimmer trat, protestierte. Miss Trent täuschte aber Kopfschmerzen vor, worauf Tiffany sofort sagte: «Ich fand Sie gleich nicht gut aussehend, arme Ancilla! Ihnen wird ein ruhiger Abend guttun! Sie sollten zu Bett gehen, und ich bringe Ihnen Zitronenschalen für Ihre Schläfen.»
Miss Trent lehnte ab, aber Tiffany war ganz Hilfsbereitschaft: sie wollte die Räucherpillen suchen, die ihre Tante immer entzündete, wenn sie Kopfschmerzen hatte – oder ein Getränk aus Hirschhornsalz und Wasser bereiten.
«Danke, Tiffany, nichts dergleichen», sagte Miss Trent mit Bestimmtheit. «Und ich möchte auch keine Kompressen für meine Füße. Du weißt, ich nehme nie Medikamente.»
Tiffany erschrak ein wenig, aber nach einigem Nachdenken hob sie die Brauen, rief triumphierend: «Kampfergeist mit Lavendel!» und lief hinaus, um die Nurse zu rufen.
Miss Trent blickte fragend auf Courtenay. «Warum ist sie so darauf bedacht, mich ans Bett zu binden? Wenn Sie den Grund wissen, bitte, verschweigen Sie ihn mir nicht!»
Er grinste. «Wirklich – ich weiß nicht – es sei denn, daß Lady Colebatch die Absicht hat, Lindeth einzuladen, und ich könnte mir vorstellen, daß Tiffany mit dem Finger winken will. Dazu kann sie natürlich keine Anstandsdame brauchen.»
«Was will sie tun?» fragte Miss Trent.
Sein Grinsen wurde noch breiter. «Mit dem Finger winken – das wird sie tun, sagte sie mir, wenn sie Lindeth zurückhaben will. Aber ich glaube, sie irrt sich in dem Mann. Sie glaubt, er muß in reiner Verzweiflung sein, weil sie mit diesem affektierten Kerl, seinem Cousin, flirtet und ihm die kalte Schulter zeigte. Aber ich glaube, er macht sich nichts aus ihr. Tatsächlich – aber, Schwamm drüber!»
«Schwamm drüber, wirklich!» sagte Miss Trent mit ungewöhnlichem Ernst. «Ich bitte Sie ...»
«Nicht nötig!» erklärte Courtenay verständig. «Ich habe Mama versprochen, kein Öl ins Feuer zu gießen, und ich werde es auch nicht tun. Außer, natürlich, sie fordert es durch ihr Benehmen heraus», fügte er nach einer gedankenvollen Pause hinzu.
Miss Trent konnte nur hoffen, daß ihre Schutzbefohlene sich jeder Provokation enthalten werde. Momentan schien sie in bester Laune, aber wer konnte sich darauf verlassen, daß diese von Dauer sein würde? Qbwohl sie und ihr Cousin niemals stritten, wenn sie miteinander ausritten, weil beiden ein halsbrecherischer Stil lag (Courtenay mußte anerkennen, daß Tiffany diese Kunst vollendet beherrschte), fanden sie zu jeder anderen Zeit größtes Vergnügen daran, einander zu hänseln.
Jetzt, jedenfalls, machten sie sich in Courtenays Phaeton auf den Weg und stimmten überein, daß dieses Vehikel der veralteten Kutsche, von einem Paar Ackergäulen gezogen – eine andere Möglichkeit war infolge der Abwesenheit Mrs. Underhills nicht greifbar –, vorzuziehen sei, um so mehr, als es sich um eine Party ohne große Toilette handelte.
Miss Trent hatte keine zu gute Meinung von Courtenays Fahrkünsten, und es beruhigte sie, daß er nur ein Paar Pferde vor den Phaeton spannen ließ. Da Vollmond war, bestand wenig Gefahr, daß sie in einem Graben landen würden. Sie zog sich zurück, um über ihre eigenen melancholischen Probleme zu grübeln.
Zu ihrer eigenen Überraschung konnte sie sich nicht vorstellen, daß der Wüstling, der seine – wilden Lieben entsprungenen – Kinder in eine gutgläubige Gesellschaft schmuggeln wollte, derselbe Mann war, dessen Lächeln sie bis in ihre Träume verfolgte. Umsonst hielt sie sich vor Augen, daß Charme und gute Manieren notwendigerweise die Hauptrequisiten eines Lebemannes sein müssen, ebenso vergeblich beschuldigte sie sich, so dumm hereingefallen zu sein. Und daraus ergab sich die entsetzliche Gewißheit, daß, so sehr Sir Waldos Bild in ihren Augen auch getrübt sein mochte, ihre Liebe nicht verflogen war, sondern stark genug fortbestand, um sie glücklicher zu machen, als sie je in ihrem Leben gewesen war.
In einem Punkt stand ihr Entschluß fest: von einer Heirat mit ihm konnte keine Rede sein, selbst wenn er an Heirat dachte, was nach Lindeth' Eröffnungen zweifelhaft war. Aber sie konnte sich auch nicht vorstellen, daß er ihr ein weniger ehrenhaftes Angebot machen würde. Mochte er auch ein Wüstling sein, so war er doch kein Narr und mußte erkennen, daß sie kein liederliches Frauenzimmer war. Warum sollte er sie heiraten wollen? Sie kam zu dem Schluß, daß er wahrscheinlich erkannt hatte, daß auch für ihn die Zeit gekommen war, sich zu vermählen; nun hoffte er, er werde, wenn er eine arme Kirchenmaus zu seiner Frau machte, die Freiheit behalten, sein Lotterleben weiterzuführen, während sie aus Dank, so reich versorgt zu sein, beide Augen gegen sein Treiben verschließen und sich selbst so tadellos aufführen werde, wie es einer Frau, die seinen Namen trug, zukam.
Als Tiffany und Courtenay von Colby Place zurückkamen, war Ancillas Kopfschmerz keine bloße Ausrede mehr. Nur ihr Pflichtgefühl hielt sie davon ab, sich vorzeitig zur Ruhe zu begeben. Und sie dankte es Tiffany, daß sie nicht über die Party zu plaudern begann, sondern gähnte, mit den Achseln zuckte und erklärte, es wäre entsetzlich geschmacklos gewesen und sie sei zu Tode erschöpft. Eine vielsagende Gebärde Courtenays gab zu verstehen, daß er vieles zu erzählen habe. Da Ancilla aber nicht in der Verfassung war, sich mit Tiffanys Angelegenheiten zu befassen, blieb sie nicht, um sich diese Erzählung anzuhören, sondern ging mit Tiffany die Treppe hinauf.
Am nächsten Morgen erschien Tiffany nicht zum Frühstück. Ihr Mädchen sagte Miss Trent, daß Tiffany Kopfschmerzen habe. Das bot Courtenay Gelegenheit – während er ein enormes Frühstück verzehrte –, Miss Trent die Geschichte der vergangenen Nacht zu erzählen.
«Lindeth war nicht da», sagte er und köpfte das zweite Ei, «sondern sagte Lady Colebatch, daß er bereits vergeben sei. Natürlich Schwindel! Aber, Ma'am, Patience war auch nicht gekommen, auch sie hatte eine ältere Verpflichtung. Es muß wohl so gewesen sein, daß Lindeth im Pfarrhaus eingeladen war. Denn Arthur Mickleby und seine Schwestern waren in Colby Place und Sophie und Jack Banningham, ebenso die Ash-Jugend – wohin wäre Lindeth also gegangen, wenn nicht in die Rektorei? Klar wie Quellwasser! Aber was tat Mary Mickleby? Nein, es war Jane Mickleby (und das sieht ihr ähnlich) – nun, sie sagte mit ihrem dummen Kichern, daß niemand erraten würde, warum Lindeth und Patience, beide am selben Abend, vergeben waren. Und wenn Sie mich fragen», schloß Courtenay in sehr aufrichtigem Ton, «sie hat das nicht nur gesagt, um Tiffany eins zu versetzen, sondern weil sie fuchsteufelswild ist, daß Lindeth ihr nie die geringste Aufmerksamkeit schenkte. Nun, wie dem immer, Sie hätten Tiffanys Gesicht sehen sollen!»
«Zum Glück habe ich es nicht gesehen», antwortete Miss Trent.
Er kicherte. «Ja, Glück haben Sie gehabt! Wie dumm sie doch ist, bei Gott! Sie hatte nie den geringsten Verdacht, daß Lindeth eine Schwäche für Patience hat. Ich muß sagen, eigentlich tat sie mir leid.»
«Das ist nett von Ihnen», sagte Miss Trent höflich.
«Das ist es auch», stimmte Courtenay bei, «denn ich mag sie nicht, mochte sie nie. Aber schließlich ist sie meine Cousine, und ich habe sie noch immer lieber zur Cousine als so ein Brechmittel wie Jane Mickleby.» Er schwieg, um eine riesige Quantität Schinken aufzuspießen, und als die Gabel schon unterwegs zu seinem Mund war, fügte er in wichtigem Ton hinzu: «Aber das ist noch nicht alles!»
Miss Trents Herz sank tiefer, und ängstlich wartete sie, bis Courtenay den gigantischen Bissen zerkaut hatte.
«Arthur», sagte er breit und spülte den Schinken mit einem kräftigen Schluck Kaffee hinunter, «war sehr kühl gegen sie.» Er reichte die Tasse Miss Trent, damit sie sie wieder fülle.
«Kein Wunder; sie sprach von seinen Schwestern nicht so, wie es sich gehört», warf Miss Trent ein.
«Das weiß ich; aber ich glaube, es steckt mehr dahinter. Mir scheint–nun, Sie wissen, wie lächerlich er und Jack und Greg sich wegen dieses Mädchens gemacht haben, Ma'am!»
«Ja.»
«Nun, vielleicht irre ich mich – aber ich bin sicher, Jack wird es mir erzählen, selbst wenn Greg nichts sagen will. Sie waren nicht gerade unhöflich oder – oder – Mir kam bloß vor, daß sie alle nicht sehr aufmerksam gegen sie waren. Das ist gut, denn ...» sagte Courtenay, während er sich anschickte, einen Pfannkuchen zwischen seinen Zähnen verschwinden zu lassen, «sie begann bereits schrecklich langweilig zu werden.»
Miss Trent konnte seine Befriedigung nicht teilen. Da sie ebensowenig wie er wußte, warum Tiffanys Verehrer sich plötzlich so abkühlten, hoffte sie, daß er sich irre oder daß die schlechtbehandelten jungen Leute ihre Taktik, Tiffanys Zuneigung zu erringen, geändert hätten.
«War Mr. Calver anwesend?»
«Nein, er war aber auch nicht eingeladen. Sir Ralph kann ihn nicht ausstehen, er sagt, er wolle keine Modefexen in Colby Place herumlaufen sehen.»
In dunkler Vorahnung ging Miss Trent hinauf, um Tiffany zu besuchen. Noch nie hatte die schöne Erbin eine Zurückweisung erfahren, und Miss Trent konnte sich nur schaudernd die Wirkung ausmalen. Sie fand Tiffany, nur teilweise bekleidet, an ihrem Toilettentisch, während ihr Mädchen die glänzenden schwarzen Locken bürstete. Der vergangene Abend wurde nicht erwähnt. Tiffany klagte bloß über eine schlaflose Nacht, Kopfschmerzen und unerträgliche Langeweile.
«Ich möchte zurück nach London», sagte sie. «Ich hasse Yorkshire. Ich möchte viel lieber mit den Burfords leben als in dem schäbigen, langweiligen, schrecklichen Staples.»
Miss Trent fand es unnötig, sie daran zu erinnern, daß die Burfords im Juli kaum in Portland Place zu finden wären, oder daß sie kein Verlangen geäußert hatten, die Nichte zurückzunehmen. Dagegen erinnerte sie Tiffany, daß sie sich doch auf die Party bei den Ashes freuen könne und auf die bevorstehenden Rennen in York. Tiffany leugnete jedes Interesse an diesen Ereignissen. Nach einigen weiteren erfolglosen Schachzügen verließ Miss Trent ihre Schutzbefohlene und hoffte, daß im Laufe des Tages einer der Bewunderer auftauchen und die unzufriedene Schöne wieder in bessere Laune versetzen werde.
Am Fuß der Treppe traf sie Totton, der ihr mitteilte, daß Sir Waldo gekommen sei, um sich nach den neuesten Nachrichten von Mrs. Underhill zu erkundigen. «Er fragte nach Miss Tiffany, aber ich sagte ihm, die Miss habe Kopfschmerzen. Dann sagte er, wenn Sie zu Hause sind, möchte er statt Tiffany mit Ihnen sprechen. Ich wollte Sie eben suchen. Sir Waldo ist im grünen Salon.»
Es lag ihr auf der Zunge, sich verleugnen zu lassen, sie unterdrückte aber diese Absicht. Da sie nicht davonlaufen und ihren Posten verlassen konnte, mußte diese Unterredung wohl stattfinden. Sie mußte durchhalten, solange sie konnte. Sie überlegte, daß sie ja der Begegnung mit dem Unvergleichlichen nicht ausweichen könne, und nahm sich vor, Ruhe und Würde zu bewahren.
Als sie den grünen Salon betrat, sah sie ihn an einem Tisch in der Mitte des Zimmers stehen, die letzte Ausgabe des Liverpool Mercury überfliegend. Er legte die Zeitung weg und sagte mit einem Lächeln, das ihr Herz erbeben machte: «Endlich!»
«Bitte um Entschuldigung. Haben Sie lange gewartet?» sagte sie, entschlossen, eine Haltung freundlicher Höflichkeit zu bewahren. Sie hoffte, er werde daraus ersehen, daß es zwecklos war, irgendeine Erklärung abzugeben.
«Mehr als eine Woche! Ja, ich weiß, Sie halten es mit Ihrer Stellung für unvereinbar, Besucher zu empfangen; aber ich war sehr diskret, glauben Sie mir! Ich sagte dem Butler, daß ich mich nach den Abgereisten erkundigen möchte – und ging sogar so weit, zuerst nach Miss Wield zu fragen.»
«Wir haben noch keine Nachricht.»
«Sie können noch keine haben. Aber es war die einzige Ausrede, die mir einfiel.» Er hielt inne. Das Lachen erfror in seinem Auge, als er sie anblickte. «Was haben Sie?» fragte er in verändertem Ton.
Sie gab sich unbeschwert. «Warum? Nichts!»
«Also, speisen Sie mich nicht so ab, sagen Sie es mir!» Er ließ nicht locker. «Etwas ist geschehen, das Sie betrübt. Quält Sie dieses verwöhnte Kind?»
Sie wußte, daß ihr eine schwere Aufgabe bevorstand, aber in ihrer Zerrissenheit hatte sie weder geahnt, daß er sofort den Kummer in ihrem Gesicht sehen noch daß er in einem Ton tiefer Anteilnahme sprechen werde. Es gelang ihr, ein Lächeln vorzutäuschen und zu sagen: «Du meine Güte! – Nein, wirklich nicht, Sir ...»
«Was ist es denn?»
Wie konnte man einen Mann fragen, ob es stimme, daß er etliche uneheliche Kinder habe? Das war ganz ausgeschlossen! Nicht das dreisteste Frauenzimmer könnte das tun. Überdies war es ja zwecklos! Sie kannte die Antwort, und was sie wußte, hatte sie nicht aus zweifelhafter oder übelwollender Quelle. Lindeth hatte es ihr gesagt! Dem fiel es nicht im Traum ein, zu scherzen oder bösen Klatsch zu machen, er behandelte die Sache als eine leicht bedauerliche Selbstverständlichkeit. Dieser Gedanke bestärkte sie in ihrem Entschluß, und sie sagte mit fester Stimme: «Nichts als Kopfschmerzen. Ich glaube, daß wir ein Gewitter bekommen werden – das verursacht mir oft Kopfschmerzen. Auch Tiffany fühlt sich nicht wohl. Eigentlich sollte ich bei ihr sein und nicht mit Vormittagsbesuchern schwatzen. Ich hoffe, Sie halten es nicht für unhöflich, Sir Waldo, wenn ich wieder laufe, aber ...»
«Ich halte Sie nicht für unhöflich, nur für unaufrichtig. Warum nennen Sie mich einen Vormittagsbesucher, wenn Sie doch ganz genau wissen, daß ich die Gelegenheit abgewartet habe, Sie privat sprechen zu können, und bestimmt nicht in der Absicht, gesellschaftliche Floskeln zu wechseln.» Er lächelte sie an. «Haben Sie Angst, gegen den Anstand zu handeln? Seien Sie doch nicht so altjüngferlich! Sie wissen, daß auch das strengstbehütete Mädchen einen Heiratsantrag ohne Anstandsdame entgegennehmen darf.»
Sie streckte die Hand abwehrend von sich, wandte den Kopf und sagte beschwörend: «Sagen Sie das nicht! Ich flehe Sie an!»
«Aber, meine liebe ...»
«Sir Waldo, ich bin Ihnen sehr verbunden – fühle mich sehr geehrt – aber ich kann Ihren schmeichelhaften Antrag nicht annehmen.»
«Warum nicht?» fragte er ruhig.
Bestürzt sagte sie sich, daß sie eigentlich eine unerwartete Reaktion von seiner Seite hätte erwarten können. Da sie aber darauf nicht vorbereitet war, stammelte sie unzusammenhängend: «Ich kann nicht – ich weiß nicht – ich habe keine Absicht – nie einen Gedanken an Heirat ...»
Er schwieg. Eine Falte erschien zwischen seinen Brauen. Dann blickte er sie fest und voll Verwunderung an. Schließlich sagte er: «Glauben Sie nicht, daß Sie doch einmal an Heirat denken sollten? Das ist ganz leicht! Überlegen Sie doch, um wie viele Jahre ich älter bin als Sie und nie an eine Heirat gedacht habe. Und dann habe ich Sie gesehen, mich in Sie verliebt, und nun finde ich, daß ich an sehr wenige andere Dinge denke. Verzeihen Sie mir – ich möchte nicht anmaßend scheinen –, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß ich Ihnen so gleichgültig bin, wie Sie mich glauben machen wollen.»
Sie wurde rot. «Ich sehe ein, daß ich Ihnen Grund gegeben habe anzunehmen, daß es mir nicht unangenehm wäre, einen Heiratsantrag zu bekommen – daß ich Sie sogar ermuntert habe! Ich habe es nicht so gemeint. Die Umstände haben uns enger zusammengeführt, und ich fand Sie amüsant und habe gerne mit Ihnen gesprochen. Das hat mich dazu verführt, Sie mit einer Vertraulichkeit zu behandeln, die Sie – fürchte ich – für mehr hielten, als beabsichtigt war.»
«Sie irren sich! Weit davon entfernt, mich zu ermutigen oder mit Vertraulichkeit zu behandeln, waren Sie immer bemüht, mich auf Armeslänge von sich fernzuhalten. Aber der Blick Ihrer Augen – ich kann es nicht erklären –, den konnte ich nicht mißverstehen, außer ich wäre blind oder ein grüner Junge – und ich bin keines von beiden.»
«Ich zweifle nicht daran, daß Sie viel Erfahrung haben, Sir, aber in diesem Falle versichere ich Ihnen, daß Sie sich getäuscht haben.»
«Ja, ich habe Erfahrung», sagte er und blickte sie ernst an. «Ist es das, woran Sie denken?»
«Nein, das heißt – Sir Waldo, ich will offen mit Ihnen sprechen: Selbst wenn ich heiraten wollte, könnte ich doch nie eine Ehe mit einem Manne wünschen, dessen Art zu leben so grundverschieden von allem ist, was zu achten ich gelehrt wurde.»
«Mein liebes Kind», sagte er, teils gekränkt, teils belustigt. «Ich bin wirklich kein so unwürdiger Mensch, wie Sie zu glauben scheinen! Ich gebe zu, daß ich in meiner frühen Jugend viele Dummheiten gemacht habe, aber glauben Sie mir: denen bin ich längst entwachsen. Nicht, daß sie schlechter waren als die Streiche, die neun von zehn jungen Männern verüben; aber unglückseligerweise errang ich durch verschiedene Umstände eine Berühmtheit, die den meisten jungen Männern erspart bleibt. Ich hatte von Geburt an eine natürliche Anlage für sportliche Betätigung – die Sie mit solchem Mißtrauen betrachten – und ich erbte in viel zu früher Jugend ein Vermögen, das mir nicht nur ermöglichte, meinem Geschmack in verschwenderischer Form zu frönen, sondern mich auch zu einem Objekt allgemeinen Interesses machte. Meine Handlungen wurden bemerkt und besprochen, und das steigt einem Grünschnabel zu Kopf! Es gab eine Zeit, in der ich den Klatschmäulern viel Nahrung gab. Aber bitte, halten Sie mir zugute, daß ich den Irrtum meines Lebenswandels eingesehen habe!»
«Ja, ja, natürlich, Sir Waldo, bitte, sprechen Sie nicht weiter! Mein Entschluß steht fest, und es kann für uns beide nur schmerzlich sein, weiter darüber zu reden. Ich fühle mich sehr schuldig – ich kann Sie nur bitten, mir zu verzeihen! Hätte ich gewußt, daß Sie mit mir nicht nur flirten ...»
«Aber Sie haben es gewußt», warf er ein. «Sie sind nicht dumm! Als ich Ihnen sagte, daß ich mit Ihnen privat sprechen möchte, weil ich Ihnen einen Antrag machen will, konnten Sie nicht annehmen, daß ich mit Ihnen flirten wollte! Nein, das haben Sie nicht geglaubt! Etwas muß geschehen sein, seit wir uns im Dorf getroffen haben, und das hat Sie verändert – ich glaube, ich weiß, was es ist!»
Ihr Blick traf ihn schnell und senkte sich wieder.
«Sagen Sie es mir!» rief er befehlend. «Hat man Sie beschuldigt, daß Sie mich einfangen wollen? Ja, ich weiß, das ist eine ungeheuerliche Frage, nicht wahr? Aber ich weiß genau, daß eine bestimmte Dame Ihrer Bekanntschaft – die mit dem Vogelgesicht – Sie dessen beschuldigt. Ich stand in Hörweite, als sie das sagte, und ich zweifelte nicht, daß sie es auch in Ihrer Hörweite sagen würde. Hat sie es getan? Können Sie so absurd sein, mich aus einem solchen Grund abzulehnen?»
«Nein! Wenn ich Ihre Neigung erwiderte, könnte das Gerede nicht zählen!»
«So ist es also! Dann habe ich nichts mehr zu sagen.»
Die Stimme versagte ihr, sie konnte nur den Kopf schütteln. Sie sah, daß er die Hand ausstreckte, und legte zögernd die ihre hinein. Er hob sie an seine Lippen und küßte ihre Finger.
«Ich wünschte, Sie würden meine Neigung erwidern–mehr als alles, was ich im Leben gewünscht habe. Vielleicht werden Sie es noch lernen. Lassen Sie mich Ihnen sagen: ich verzweifle nicht so bald!»