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Keine dieser Voraussagen traf ein, aber Wingham kam der Wahrheit näher als Sir Waldo.

Broom Hall gehörte zu einer Pfarre, deren Zentrum das Dorf Oversett war, Leeds näher als Harrogate gelegen, und nicht mehr als zwanzig Meilen von York entfernt. Obwohl die Mehrheit von Reverend John Chartleys Pfarrkindern nichts von Sir Waldo wußte und einige ältere Herren – wie der Gutsbesitzer Mickleby – wenig Interesse an irgendwelchen Mitgliedern der Korinthier hatten, gab es doch viel Aufregung unter den Damen und den jüngeren Herren. Keiner zählte zu Sir Waldos Bekannten; aber einige Damen, die dann und wann ein paar Wochen in London verbrachten, waren im Park oder in der Oper auf den tonangebenden jungen Gentleman aufmerksam gemacht worden. Und jeder junge Peitschenknaller, der auf seine leichte Hand und sein Wenden stolz war, schwankte zwischen dem Wunsch zu sehen, wie Sir Waldo die Sache handhabte, und der Angst, daß ein solcher Könner die Anstrengungen seiner Bewunderer, seine Kunst nachzuahmen, mit Verachtung betrachten könnte.

Der erste, der die Neuigkeit hörte, war der Rektor, und es war seine Tochter, die sie nach Staples, dem bedeutendsten Haus in der Nachbarschaft, brachte. Die Nachricht fand geteilte Aufnahme.

Mrs. Underhill, die von Sir Waldo nicht mehr wußte als des Rektors ungebildetstes Pfarrkind, entnahm der Ehrfurcht in Miss Chartleys Gesicht, daß die Nachricht bedeutungsvoll war, und sagte mit sanfter Stimme: «Sieh mal an!» Miss Charlotte, ein lebhaftes Mädchen von fünfzehn, blickte hilfesuchend auf Miss Trent. Sie vergötterte ihre junge Lehrerin und sah in ihr eine Autorität in allen zur Sprache kommenden Dingen. Und Mrs. Underhills Nichte, Miss Theophania Wield, heftete ihre großen, plötzlich aufleuchtenden Augen auf Miss Chartley und stieß atemlos hervor: «Ist das wahr? Er kommt nach Broom Hall? Oh, Patience, du foppst uns, ich weiß, daß du uns foppst!»

Obwohl die Nachricht Miss Trent veranlaßt hatte, von ihrer Stickerei aufzuschauen und ihre Brauen sich in plötzlicher Überraschung hoben, verlor sie kein Wort und nahm die Arbeit wieder auf. Aber Mr. Courtenay Underhill, der hereinschlenderte, um die Gäste seiner Mama zu begrüßen, rief in lebhaftestem Erstaunen: «Sir Waldo Hawkridge? Der Erbe des alten Calver? Guter Gott! Mama, hörst du? Sir Waldo Hawkridge!»

«Ja, mein Lieber. Nun, ich hoffe, er findet alles nach seinem Geschmack. Obwohl es erstaunlich wäre, nach dem, wie Mr. Calver alles verkommen ließ. Ich kann mich im Moment nicht an ihn erinnern, ich habe Namen nie behalten können, obwohl ich mir diesen so komischen hätte merken sollen.»

«Er wird der Unvergleichliche genannt», sagte Mr. Courtenay ehrfürchtig.

«So nennt man ihn, Lieber? Sicher ein Spitzname. Glaube mir, er wurde ihm aus irgendeinem albernen Grund gegeben, so wie dein Großvater deine arme Tante Jane ...»

«Oh!» unterbrach ihre Nichte ungeduldig diese Reminiszenzen, «als würde jemand nur um eines dummen Witzes wegen so genannt! Es bedeutet – es bedeutet Vollkommenheit, nicht wahr, Ancilla?»

Miss Trent zog einen Faden aus der Strähne und antwortete mit ihrer kühlen, wohlklingenden Stimme: «Ein Vorbild, gewiß!»

«Unsinn! Es bedeutet: der Schneidigste unter den Schneidigen!» konstatierte Courtenay. «Besonders mit Roß und Wagen – man sagt, daß er auch ein schneidiger Jagdreiter ist. Gregory Ash sagt, daß als Reiter oder Fahrer kein Mann ein Pferd so lenken kann wie der Unvergleichliche. Also, wenn er hierbleibt, werde ich nicht mit dem Braunen fahren, den ich vom alten Skeeby bekommen habe, darauf könnt ihr euch verlassen! Mama, Mr. Badgworth hat einen hübschen Braunen, den er verkaufen möchte; guter Läufer – gute Kopfhaltung, gerade das richtige!»

«Pah! Darum kümmert sich doch niemand!» warf Miss Wield verächtlich ein. «Sir Waldo ist tonangebend in der herrschenden Mode und von erlesenster Eleganz, außerdem sieht er gut aus und ist wahnsinnig reich!»

«Elegant! Sieht gut aus!» äffte Courtenay sie spöttisch nach. «Was du schon davon verstehst!»

«Sehr viel! Als ich bei meinem Onkel am Portland Place war ...»

«Ja, da wart ihr natürlich Busenfreunde! Papperlapapp! Ich glaube nicht, daß du ihn je auch nur gesehen hast!»

«Ich habe! Ständig! – nun, einige Male! Und er ist gutaussehend und elegant! Ancilla, das stimmt doch?»

Miss Chartley, ein sanftes Mädchen mit guten Manieren, ergriff die Gelegenheit, in den Streit, den sie heraufziehen sah, einzugreifen. Zu Miss Trent gewandt, sagte sie mit ihrer weichen, schüchternen Stimme: «Ich nehme an, Sie wissen mehr über Sir Waldo als jeder von uns, denn Sie lebten in London, nicht wahr? Vielleicht sind Sie ihm sogar begegnet?»

«Nein, wirklich nicht», erwiderte Miss Trent. «Ich kann mich nicht erinnern, ihn je gesehen zu haben, und weiß nicht mehr über ihn als alle anderen.» Und mit dem Schimmer eines Lächelns fügte sie hinzu: «Seine Gesellschaft stand hoch über der meinen.»

«Ich glaube aber, Sie haben seine Bekanntschaft nicht gesucht», sagte Charlotte. «Ich würde sie sicher nicht suchen. Ich hasse Beaus! Und wenn er zu uns kommt und hochnäsig ist, dann hoffe ich, daß er bald wieder geht!»

«Ich nehme an, er wird bald wieder gehen», sagte Miss Trent, während sie ihre Nadel einfädelte.

«Ja, das sagt auch Papa», stimmte ihr Miss Chartley bei. «Er nimmt an, Sir Waldo sei nur hier, um mit den Advokaten ins reine zu kommen und vielleicht Broom Hall zu verkaufen. Er kann doch nicht hier leben wollen? Papa sagt, er habe ein schönes Haus in Gloucestershire, das seit Generationen in seiner Familie ist. Und da er so vornehm und modisch ist, muß er doch unser Dorf sehr öde finden, glaube ich – obwohl wir doch ganz nahe von Harrogate sind.»

«Harrogate!» sagte Courtenay verächtlich. «Das wird ihn nicht fesseln. In Broom Hall wird er nicht länger als eine Woche bleiben, wette ich. Schließlich hält ihn hier nichts.»

«Nichts?» sagte seine Cousine mit einem aufreizenden Lächeln in ihrem hübschen Gesicht.

«Nichts!» stellte er fest, durch ihre widerliche Selbstzufriedenheit aufgebracht. «Und wenn du glaubst, er muß dich nur ansehen, um sich in dich zu verlieben, schätzt du die Dinge falsch ein. Ich wette, er ist mit Dutzenden Mädchen befreundet, die viel hübscher sind als du!»

«Gewiß nicht!» sagte sie und fügte einfach hinzu: «Das gibt es nicht!»

«Unabsichtlich protestierte Miss Chartley: «Oh, Tiffany, wie sprichst du?! Entschuldige, aber so solltest du wirklich ...»

«Es ist absolut wahr!» wendete Miss Wield ein. «Ich habe mein Gesicht nicht gemacht, warum soll ich nicht sagen, daß es schön ist? Sagt es doch jeder!»

Der junge Mr. Underhill widersprach, aber Miss Chartley war still. Selbst ein so bescheidenes Mädchen wie sie war über solche Selbstverherrlichung entsetzt; aber sie mußte zugeben, daß Tiffany Wield das schönste Mädchen war, das sie je gesehen hatte, oder das sie sich vorstellen konnte. Alles an ihr war Perfektion. Nicht der voreingenommenste Kritiker hätte sagen können, daß sie leider zu groß – oder zu klein sei, oder daß die Nase ihre Schönheit beeinträchtige, oder daß sie im Profil nicht ganz so schön sei. Sie ist schön, wie immer man sie betrachtet, dachte Miss Chartley. Selbst ihre schwarzen Locken über den geschwungenen Brauen ringelten sich natürlich. Wohl waren es die tiefblauen Augen hinter langen schwarzen Wimpern, die die Aufmerksamkeit zuerst erregten; aber schon der zweite Blick fiel auf eine kleine, gerade Nase, bezaubernd geformte Lippen und einen Teint, der an reife Pfirsiche erinnerte. Sie war erst siebzehn Jahre alt, aber ihre Figur wurde weder von Babyfett noch von unangenehmen Kanten entstellt. Und sobald sie den Mund öffnete, zeigte sie eine gleichmäßige Perlenreihe von Zähnen.

Ehe Tiffany nach Staples, wo sie ihre Kindheit verbracht hatte, zurückgekehrt war, galt Patience Chartley als das hübscheste Mädchen im ganzen Umkreis; nun war sie von Tiffany vollkommen ausgestochen worden. Patience war im Glauben erzogen, daß Schönheit nicht wichtig sei; aber wenn ihr Vater, derselbe, der sie in diesem Sinne erzogen hatte, sagte, es bereite ihm Vergnügen, Tiffanys liebliches Gesicht zu sehen, mußte man Patiences wehmütige Gefühle verzeihen. Denn Patience dachte oft, wenn sie sich, ihr weiches braunes Haar vor dem Spiegel bürstend, betrachtete, daß niemand sie ein zweites Mal ansehen würde, wenn Tiffany anwesend war. Sie nahm ihre Minderwertigkeit sanft hin und war so frei von jeder Eifersucht, daß sie wünschte, Tiffany würde nicht in einer solchen Art sprechen, die sicherlich ihre Anbeter abschrecken mußte.

Mrs. Underhill, die offensichtlich diese Anschauung teilte, sagte mit freundlicher Stimme, die mehr eine Bitte als einen Tadel enthielt: «Nun, Tiffany-Herzchen, du solltest nicht so sprechen. Was würden die Leute denken, wenn sie dich hörten? Es ist nicht schicklich – das wird dir auch Miss Trent sagen.»

«Das kümmert mich wenig!»

«Nun, das zeigt, welch dumme Gans du bist!» fiel Charlotte ein, eine Lanze für ihr Idol brechend. «Miss Trent ist viel vornehmer als du oder irgendeine von uns und ...»

«Danke, Charlotte, jetzt ist es genug!»

«Es ist doch wahr!» rebellierte Charlotte zaghaft.

Ohne auf sie zu achten, sagte Miss Trent zu Mrs. Underhill: «Nein, Ma'am, weder schicklich noch klug.»

«Warum?» wollte Tiffany wissen.

Miss Trent sah sie gedankenvoll an: «Weißt du, es ist sonderbar, aber ich habe oft bemerkt, daß du immer, wenn du mit deiner Schönheit prahlst, ein Stückchen davon verlierst. Das kommt wohl von einer Veränderung in deinem Gesichtsausdruck.»

Erschrocken lief Tiffany zu dem verzierten Spiegel, der über dem Kamin hing. «Ist das wahr?» fragte sie naiv. «Sehe ich wirklich anders aus, Ancilla?»

«Ja, entschieden», erwiderte Miss Trent; sie zögerte nicht einen Augenblick zu lügen. «übrigens, wenn eine Frau sich selbst bewundert, werden die Leute verstimmt und sie wird bald erfahren müssen, daß man ihr weniger Komplimente zollt als den anderen Mädchen in ihrem Bekanntenkreis. Und nichts ist doch angenehmer als ein hübsch vorgebrachtes Kompliment.»

«Das ist wahr!» rief Tiffany sehr beeindruckt. Sie brach in Lachen aus und flog quer durch das Zimmer, um Miss Trent kurz zu umarmen. «Ich liebe Sie schrecklich, Sie Scheusal! Wenn Sie noch so ekelhaft sind, sind Sie doch niemals böse. Ich werde mich nicht mehr bewundern. Bitte um Verzeihung, wenn ich dafür in das Gegenteil verfalle! Oh, Patience, bist du ganz sicher, daß Sir Waldo kommen wird?»

«Ja, Wedmore sagte zu Papa, daß er von Mr. Calvers Advokaten den Auftrag bekommen habe, nächste Woche alles für Sir Waldo bereitzuhalten. Auch, daß er noch einen Herrn und mehrere Diener mitbringen wird. Die armen Wedmores! Papa versucht sie zu beruhigen, aber sie zittern vor allem, was kommen wird. Es scheint, daß Mr. Smith ihnen erzählt hat, wie reich und großartig Sir Waldo ist, und nun haben sie Angst, daß er mehr Komfort verlangen wird, als sie ihm bieten können.»

«Also das», unterbrach plötzlich Mrs. Underhill, «erinnert mich an etwas, das ich gerne wissen möchte, meine Liebe. Als meine Matlock es mir sagte, wollte ich es nicht glauben, aber sie hat es ja von Mrs. Wedmore selbst. Ist es wahr, daß Mr. Calver ihnen nichts hinterließ als zwanzig Pfund und seine goldene Uhr?»

Patience nickte gedankenvoll. «Ja, Ma'am, das ist leider wahr. Ich weiß, man sollte von einem Toten nicht schlecht sprechen, aber man kann sich des Gefühls nicht erwehren, daß es falsch und undankbar war – nach so vielen Jahren treuer Dienste!»

«Nun, was mich betrifft, ich habe nie eingesehen und ich werde nie einsehen, welchen Unterschied es macht, ob jemand tot oder lebendig ist», sagte Mrs. Underhill. «Er war ein häßlicher, unangenehmer Geizkragen und, verlaß dich drauf, das bleibt er. Auch noch im Himmel! Mir darfst du nicht erzählen, daß man von jemandem, der diese Welt verlassen hat, nur respektvoll sprechen soll, meine Liebe.»

Patience mußte lachen, aber sie sagte: «Nun, aber vielleicht sollte man nicht urteilen, ohne die Umstände zu kennen. Ich gestehe, meine Mama fühlt wie sie, aber Papa sagt, wir können nicht wissen, was der Grund von Mr. Calvers Geiz war, und daß wir ihn eher bemitleiden sollten. Er war sicher sehr unglücklich.»

«Nun, dein Vater, ein Reverend, muß etwas Christliches sagen», erwiderte Mrs. Underhill einsichtsvoll. «Mein Mitleid wendet sich den Wedmores zu. Hätten sie nur einen Funken Verstand gehabt, sie hätten ihn schon vor Jahren verlassen, statt zu glauben, er würde sie versorgen. Daß er es nicht tun würde – was immer er ihnen versprochen hat –, war leicht zu erraten. Wie sollen sie in ihrem Alter einen neuen Posten finden? Kannst du mir das sagen?»

Miss Chartley konnte es nicht sagen. Sie seufzte nur und schüttelte den Kopf. Das gab Tiffany Gelegenheit, das Thema auf ein anderes – ihrer Meinung nach viel wichtigeres – Gebiet zu lenken. Sie fragte ihre Tante, wann sie Sir Waldo nach seiner Ankunft zu besuchen gedenke.

Mrs. Underhill war aus einfachem Elternhaus. Trotz bestem Willen, sich wie eine grande dame zu bewegen, konnte sie sich auf den verwikkelten Pfaden des gesellschaftlichen Lebens nur schwer zurechtfinden. Doch über einiges wußte sie Bescheid. «Um Himmels willen, Tiffany, was noch! Es ist nicht meine Sache, einem Herrn Besuche zu machen. Wenn dein Onkel noch lebte, dann wäre es seine Sache gewesen – wenn er es für richtig gehalten hätte, was er bestimmt nicht getan hätte, ebensowenig wie ich es für richtig halte; was für einen Sinn hätte es, eine Karte bei Sir Waldo abzugeben, wenn er doch nicht die Absicht hat, in Broom Hall zu bleiben?»

Tiffany beachtete die Begründung ihrer Tante nicht. «Dann muß Courtenay hingehen!»

Aber zu ihrem großen Unmut weigerte Courtenay sich, so etwas zu tun. Bescheidenheit war nicht seine auffallendste Eigenschaft, noch waren seine Manieren, im eigenen Heim, durch Takt ausgezeichnet; aber die Zumutung, daß er, der Neunzehnjährige, die Frechheit haben sollte, sich Sir Waldo aufzudrängen, erschreckte ihn so, daß er erbleichte. Er sagte zu seiner Cousine, sie sei wohl verrückt, ihn für so unverschämt zu halten.

Die Hartnäckigkeit, mit der Miss Wield den darauffolgenden Streit führte, und der Strom zorniger Tränen, mit denen er endete, bereiteten Mrs. Underhill Unbehagen. Später gestand sie Miss Trent, sie hoffe, Sir Waldo werde sie nicht alle durcheinanderbringen. «Ich weiß wirklich nicht, warum jemand soviel Aufhebens mit ihm machen sollte. Nun gebärdet sich Tiffany ganz verrückt, weil Courtenay findet, daß es nicht seine Sache wäre, diesen Besuch zu machen. Nun, meine Liebe, ich muß gestehen, das beunruhigt mich. Sie wissen doch, wie sie ist!»

Ob Miss Trent das wußte! Diesem Wissen verdankte sie es, daß sie die launenhafte Schöne bisher erfolgreicher als jemand anderer in Zaum hatte halten können.

Miss Wield war das einzige überlebende Kind von Mrs. Underhills Bruder. Ihre Eltern waren tot. Der verstorbene Mr. Wield war ein Wollhändler von bedeutendem Vermögen gewesen, der nach allgemeiner Meinung über seinen sozialen Standard geheiratet hatte. Aber wenn er damit gesellschaftliche Ambitionen verbunden hatte, mußte er enttäuscht werden, denn Mrs. Wields Brüder zeigten wenig Neigung, ihn mit mehr als gleichgültiger Höflichkeit zu behandeln, und seine Frau selbst war zu scheu und zu krank, um die gesellschaftliche Leiter höher zu erklimmen. Sie starb, als Tiffany noch ein kleines Kind war, und der Witwer war mit Freuden einverstanden, als seine Schwester ihm anbot, Tiffany mit ihrem eigenen Sohn aufzuziehen. Mr. Underhill, der sich mittlerweile mit einem ansehnlichen Vermögen vom Handel zurückgezogen hatte, kaufte Staples. Seine herrschaftlichen Manieren und sportlichen Ambitionen sicherten ihm bald die Aufnahme in die höchsten Kreise der Nachbarschaft. Das lauwarme Angebot seines Schwagers, Tiffany in seinen Londoner Haushalt aufzunehmen, wies Mr. Wield zurück und überließ sie lieber der Obsorge seiner Schwester. Nebenbei dachte er, daß Tiffany und der um zwei Jahre ältere Courtenay vielleicht ein Paar werden könnten. Entgegen aller Erwartung heiratete er nicht wieder. Auch überlebte er Mr. Underhill um nicht mehr als ein Jahr. Er starb, als Tiffany vierzehn war. Das Vermögen, dessen alleinige Erbin sie wurde, übernahm ein Verwalter, und ihre beiden Onkel mütterlicherseits wurden zu Vormündern bestimmt. Der jüngere dieser beiden Herren wurde anstelle des verstorbenen Mr. Underhill bestellt.

Mrs. Underhill war natürlich über diese Verfügung sehr beleidigt. Wie ihr Bruder freute sie sich auf eine Heirat zwischen Tiffany und ihrem Sohn. Mr. Underhill hatte seine Familie in auskömmlichen Verhältnissen zurückgelassen, und niemand hätte ihr nachsagen können, daß sie sich vom Gelde blenden ließ. Aber genauso, wie es Lady Lindeth nach dem Vermögen ihres Cousin Calver gelüstete, ersehnte sie Tiffanys erhebliches Vermögen für Courtenay. Sie sagte, als sie Mr. Wields Testament sah, sie wisse genau, wie alles kommen werde; man denke an ihre Worte: diese Burfords würden das Kind im Handumdrehen an sich reißen. Und sie hatte recht. Der Junggeselle Mr. James Burford machte natürlich keinen Versuch, die Verantwortung für seine Nichte zu übernehmen, aber Mr. Henry Burford, ein Bankier, der in großem Stil am Portland Place wohnte, beeilte sich, Tiffany aus Staples zu holen, um sie ins Schulzimmer seiner Töchter zu setzen. Die Erbin eines bedeutenden Vermögens war natürlich etwas anderes als das mutterlose Kind, das Mr. Burford erwartet hatte. Neben zwei Töchtern hatte er noch drei Söhne.

Obwohl Mrs. Underhill eine bequeme Frau war, hätte sie sich vielleicht aufgerafft, um den Besitz der Erbin zu kämpfen, wenn sie imstande gewesen wäre, ein Gefühl der Erleichterung zu unterdrücken, als sie das unreife Mädchen, das die derberen Familienmitglieder als wahres Ungeziefer bezeichneten, loswurde. Weder sie noch eine Reihe von Gouvernanten konnten Tiffany zügeln; sie war mit vierzehn ebenso halsstarrig, wie sie furchtlos war. Ihre Streiche erregten in der Umgebung Ärgernis und ihrer Tante Herzklopfen, sie brachte Courtenay und die kleine Charlotte in haarsträubende Situationen. Drei ihrer Gouvernanten verließen mit Nervenzusammenbrüchen das Haus. Obwohl damals schon bildhübsch, konnte sie im Handumdrehen von einem gewinnenden, anschmiegsamen Kind zu einer wahren Megäre werden. Mrs. Underhill gab deshalb protestlos nach und meinte, Mrs. Burford wisse nicht, was sie tue.

Mrs. Burford brauchte nicht lange, um das herauszufinden. Sie meinte – wohl mit Berechtigung –, daß Tiffany durch Nachgiebigkeit verdorben worden war und es keinen anderen Ausweg gäbe, als sie in eine Schule zu schicken. Tiffany wurde also nach Bath in Miss Climpings Pensionat geschickt, um gezähmt und von einem Windfang in eine vollendete junge Dame verwandelt zu werden.

Unglückseligerweise besuchten Miss Climpings Schule auch eine Anzahl von Tagesschülerinnen, mit denen Tiffany sofort Freundschaft schloß. Es wurde ihr auch gestattet, diese zu besuchen, und sobald sie das Tor des Pensionats hinter sich geschlossen hatte, vergrößerte sich ihr Bekanntenkreis bedeutend.

Erst als ein Billett von einem verliebten Jüngling an Tiffany in Miss Climpings Hand fiel, das von einem gefälligen Diener in das Haus geschmuggelt worden war, begriff die ahnungslose Dame, daß die häufigen Besuche bei Schulfreundinnen weit weniger wünschenswerte Ausgänge verbergen. Hatte sich am Ende ein noch nicht sechzehnjähriges Mädchen auf eine heimliche Liebesaffäre eingelassen? Tiffany war eine begehrenswerte Schülerin, deren Vermögensverwalter jede Extrazahlung auf der Rechnung beglichen, ohne mit der Wimper zu zucken. Wäre nicht ein besonderer Umstand eingetreten, hätte Miss Climping trotzdem von Mr. Burford verlangt, die Aufwieglerin, die den Ruf ihrer Schule zu verderben drohte, sofort zu entfernen. Dieser Umstand war die Ankunft von Ancilla Trent, die selbst einmal diese Schule besucht hatte und nun die Aufgaben einer Lehrerin übernahm. Tiffany, der die ewigen Vorwürfe und Moralpredigten von Miss Climpings Vogelscheuchen, wie sie sie nannte, schon auf die Nerven gingen, faßte sofort Zuneigung zu der jungen Lehrerin. Diese war nur um acht Jahre älter als sie selbst, und Tiffany entging das schelmische Blinken in ihren leuchtenden grauen Augen nicht. Sie fand auch bald heraus, daß Ancilla aus guter Familie kam und gewöhnt war, sich in fraglos vornehmen Kreisen zu bewegen, mochten ihre Verhältnisse auch dürftig sein. Sie bemerkte auch – mit Ehrfurcht – eine gewisse Eleganz in Ancillas einfachen Kleidern. Nach und nach befolgte sie kleine Ratschläge außerhalb des Unterrichts, die Ancilla gelegentlich fallenließ. Es gehörte nicht zu Ancillas Pflichten, die älteren Schülerinnen zu ermahnen, und sie tat es auch nicht. Sie schätzte den Humor in manchen groben Streichen, aber es gelang ihr, der Erbin begreiflich zu machen, daß sie vielleicht doch ein wenig kindisch waren. Als Tiffany ihr einmal ihren Entschluß mitteilte, in den hohen Adel heiraten zu wollen, stimmte Ancilla diesem lobenswerten Ehrgeiz nicht nur zu, sondern ging mit erfreulicher Begeisterung darauf ein, um in verschiedenen Gesprächen Pläne zu entwickeln. Da diese nur der Vorbereitung der künftigen Adeligen auf ihren hohen Status galten, war Tiffany verleitet, auch in den Unterrichtsstunden gutes Benehmen zu bewahren, Musik zu üben und gelegentlich ein Buch zu lesen. Als sie die Schule verließ, war sie kein Wildfang mehr, hatte gute Manieren und ein wenig Bildung.

Aber es wurde immer schwerer, mit ihr umzugehen, und sie war weit davon entfernt, sich den Plänen ihrer Tante Burford unterzuordnen. Mrs. Burford, die gerade dabei war, ihre älteste Tochter in die Gesellschaft einzuführen, sagte, Tiffany sei noch zu jung, um auszugehen. Wohl erlaubte sie ihr, dann und wann eine kleine Party zu besuchen oder an einer Vergnügungsfahrt teilzunehmen, doch müsse sie sich noch als Schulmädchen betrachten. Sie dürfe Konzerte und Tanzstunden unter der Aufsicht der Gouvernante ihrer Töchter besuchen, aber sie müsse einen Teil ihrer Zeit darauf verwenden, ihr Französisch zu verbessern und das Harfenspiel zu erlernen.

Aber Mrs. Burford kannte Tiffany nicht. Diese dachte nicht daran, sich zu fügen. So kam es, daß nach drei Monaten Mrs. Burford ihrem Gatten erklärte: Wenn er nicht in entsetzliche Skandale verwickelt werden und seine geliebte Gattin vorzeitig ins Grab sinken sehen wolle, möge er so freundlich sein, seine Nichte nach Yorkshire zurückzuschicken. Diese habe keine Ahnung, was sich schicke: als man sie schlafend im Bett vermutete, schlich sie aus dem Haus, um einen Maskenball in Vauxhall Gardens mit einem vernarrten Jüngling zu besuchen, den sie – der Himmel weiß wo – kennengelernt hatte. Sie zerstöre alle Chancen ihrer Cousine Bella, eine vorteilhafte Verbindung anzuknüpfen. Sobald ein möglicher Freier Tiffany erblicke, sehe er keine andere mehr an. Was eine Heirat zwischen ihr und Jack oder William betreffe, sähe sie, selbst wenn sie sich nicht ablehnend gezeigt hatte (was allerdings keineswegs zutraf), lieber ihre Söhne als Bettler, als sie mit einem so entsetzlichen Mädchen zu verheiraten.

Mr. Burford hatte nichts dagegen, das unliebsame Mündel loszuwerden, aber er war ein gewissenhafter Mann und fand es unrichtig, Tiffany der Obhut von Mrs. Underhill zu überlassen, die sich schon einmal unfähig gezeigt hatte, Tiffany in Zucht zu halten. Da hatte Mrs. Burford die Idee, Miss Climping brieflich zu bitten, ihnen freundlicherweise einen Rat zu geben.

Miss Climping hatte Ancilla Trent sehr ins Herz geschlossen und gewahrte nun eine Möglichkeit, deren Aufstieg zu fördern. Sie riet Mr. Burford, Miss Trent dafür zu gewinnen, die Stelle einer Erzieherin bei Mrs. Underhill zu übernehmen. Die hervorragende Lehrerin (zweifellos kenne Mr. Burford ihren Onkel, General Sir Mordaunt Trent) habe sich dadurch ausgezeichnet, die einzige Person zu sein, die einen schwachen Einfluß auf Miss Wield ausüben konnte.

So wurde Ancilla Hausgenossin in Staples und in überraschend kurzer Zeit die intimste Vertraute von Mrs. Underhill.

Mrs. Underhill hatte noch nie eine der Gouvernanten in ihr Vertrauen gezogen. Sie war eine gutmütige Person, aber sie wollte ihre Würde bewahren, und aus Angst, ihre Herkunft zu verraten, hatte sie sich gegen ihre Untergebenen so steife Umgangsformen angewöhnt, als entstammte sie den höchsten Kreisen. Sie war so entzückt, Tiffany zurückzubekommen, daß sie keine Einwendung gegen den Vorbehalt machte, Miss Trent als Begleiterin mit aufzunehmen. Doch im Inneren bedauerte sie es und nahm sich vor, Miss Trent – wie viele Generäle in ihrer Familie auch sein mochten – klarzumachen, daß alle Versuche, in Staples den Ton anzugeben, nicht geduldet werden würden. Da aber Miss Trent, die nichts Derartiges beabsichtigt hatte, sie mit freundlicher Ehrerbietung behandelte – die ihr von seiten ihrer Kinder nicht oft widerfuhr –, verschwand Mrs. Underhills unterdrückter Hochmut in der ersten Woche. Es dauerte nicht lange, und sie sagte ihren Bekannten, sie könnten nicht ermessen, welche Wohltat die geschmähte Gouvernante war.

Ihr gegenüber entwickelte sie nun ihre These folgendermaßen: «Tiffany ist letzten Endes noch ein Kind, aber mit welchem Gesicht! Und die Dinge, die man über die eleganten Dandys in der Stadt erfährt – nun, das erfüllt mich mit Besorgnis, ich kann es nicht leugnen!»

«Ich glaube, das ist nicht nötig, Ma'am, wirklich nicht», antwortete Miss Trent. «Sie mag ihm schöne Augen machen – eigentlich bin ich sicher, daß sie es tun wird –, nur um zu zeigen, daß sie jeden Mann auf die Knie zwingen kann, und vielleicht wird er mit ihr flirten – vielleicht. Aber daß sie Schaden nehmen könnte – nein, wirklich, Sie haben keinen Grund, besorgt zu sein. Bedenken Sie doch, Ma'am, sie ist kein kleines Hausmädchen, das niemanden hat, der hinter ihr steht, um sie zu beschützen!»

«Nein», sagte Mrs. Underhill zögernd. «Das ist schon richtig, aber – aber wenn er sie heiraten möchte, stellen Sie sich das vor!»

«Wenn er solche Absichten haben sollte», sagte Miss Trent mit lachenden Augen, «müßten wir sie daran erinnern, daß er nicht zum Hochadel gehört.»

Mrs. Underhill lachte zwar, aber sie seufzte und meinte, daß sie vom Herzen wünsche, Sir Waldo käme nicht nach Broom Hall.

Dieser Wunsch wurde einige Tage später vom Gutsherrn wiederholt, der Miss Trent sagte, er wünsche den Unvergleichlichen nach Jericho. Er hatte sie auf dem Weg vom Dorf nach Staples auf der Straße eingeholt und stieg freundlich von seinem Arbeitsgaul, um mit ihr den schmalen Weg hinunterzugehen. Viele hielten ihn für einen Mann, der ständig Unruhe verbreitete; abgesehen davon, daß er reizbar war und von schroffen Manieren, hatte er eine verwirrende Art, die Menschen unter buschigen Brauen anzusehen. In seiner Gegenwart wurde Mrs. Underhill immer ein wenig aufgeregt, aber Miss Trent hatte keine nervöse Natur. Sie begegnete seinem stechenden Blick ruhig und beantwortete die auf sie zuschießenden Fragen ohne Zögern oder Stottern, wodurch sie seine seltene Hochschätzung gewann. Er sagte von ihr, sie sei eine vernünftige Person, ohne falsche Sentimentalität. Er wollte, er könnte dasselbe von anderen sagen.

Als Miss Trent nun mit einem sanften Lächeln antwortete, sagte er in drohendem Ton: «Sagen Sie mir nicht, daß Sie über diesen Modefex in Verzückung geraten!»

Sie mußte lachen. «Nein, wie sollte ich? Ich bin über das Alter hinaus, in dem man in Verzückung gerät.»

«Unsinn! Sie kleines Mädchen!» brummte er.

«Sechsundzwanzig!»

«Das hab ich mir gedacht! Hätte nichts zu sagen, wenn Sie fünfundsechzig wären! Sehen Sie sich meine Frau an! Stirbt vor Entzücken, weil dieser lächerliche Kerl in unser Dorf kommen wird. Will ihm zu Ehren eine Party geben – ich bitte Sie! Keine Hausmannskost – o nein! Sollte mich nicht wundern, wenn sie auf ihren Einladungskarten eine Schildkrötensuppe ankündigt, und einen Walzerball, um das Dinner stilvoll zu beenden! Lachen Sie nur! Ich tadle Sie nicht! Werde lachen, wenn der Kerl mit Bedauern ablehnt – was er tun wird, soweit ich die Stadtpflanzen kenne! Werde bei ihm vorsprechen, natürlich, muß ja freundlich sein, obwohl ich ihn lieber nicht beachten möchte.»

«Machen Sie sich nichts draus», sagte Miss Trent ermutigend. «Er ist sicher in einer Woche wieder abgereist, und in so kurzer Zeit kann er doch nicht Herzen brechen, nicht wahr?»

«Herzen brechen? Oh, Sie denken an die Mädchen? Die kümmern mich wenig. Unsere Jungens sind es! Verdammt soll ich sein, wenn mir ein Bond-Street-Tagedieb nicht lieber wäre; dem würden sie nicht so verrückt nachlaufen. Das Schlimme ist, daß es sich um einen der ersten Korinthier handelt – habe gesehen, was die bei den grünen Jungen anrichten können.»

Ihr Gesicht wurde ernst. «Ja, Sir, auch ich habe es gesehen – in meiner eigenen Familie –, aber das war in London. Ich kann mir nicht vorstellen, daß hier, in dieser ruhigen Gegend, ein noch so dummer Junge auf eine schiefe Bahn geraten könnte.»

«Das fürchte ich auch nicht», sagte er ungeduldig, «nur daß sie sich den Hals brechen in dem Versuch, den kostbaren Unvergleichlichen zu übertrumpfen. Würden Sie glauben, daß selbst mein schneckenlangsamer Arthur meinen Phaeton zuschanden gefahren hat in dem Versuch, durch das westliche Tor zu biegen. Keine Kontrolle – kein Augenmaß! Und der Junge von Banningham! Reitet den plumpen Grauen treppaufwärts in Brent Lodge – und euer Courtenay jagt ein Eichhörnchen auf der Straße nach Harrogate! Schweigen wir darüber! Es ist nichts geschehen, und er bekam seine Schelte vom alten Adcock – denn es waren die Räder seines Wagens, die der Dummkopf fast streifte. Ein Zoll hat gefehlt. <Eine Elle ist zu wenig für dich>, sagte ihm Adcock. Sie werden es aber nicht weitererzählen?!»

Sie beruhigte ihn. Als sie das Haupttor von Staples erreichten, verabschiedete er sich und meinte grimmig, während er sich in den Sattel schwang, zum Glück sei Joseph Calver nicht mitten in der Jagdsaison verschieden, wo jeder Grünschnabel, der sich auf seines Vaters Konto weißgeränderte Stiefel gekauft hatte, mit seinem Pferd an eine Hürde prallte und nach Hause gebracht werden mußte.

«Denken Sie an meine Worte!» mahnte er Miss Trent. «Ehe Sie um einiges älter geworden sind, werden Sie Underhill aufgetakelt sehen in einem Mantel mit einem Dutzend Capes und Knöpfen so groß wie Untertassen! Ich habe Arthur schon gesagt, ich denke nicht daran, ihn herauszuputzen, damit er die anderen aussticht. Aber ich zweifle nicht daran, daß Courtenay von seiner Mutter bekommen wird, was er will. Ihr seid alle gleich, ihr Weiber!»