10
Tiffany begrüßte Sir Waldo nicht mit hysterischem Geschrei, aber er fand sie in Tränen und außer sich vor Zorn. Er sah, daß die Aufgabe schwieriger war als er vermutet hatte. Sie war wie ein Kind, das unter einer übermächtigen Erregung leidet, so unglücklich und tief gekränkt, daß sie bei der geringsten Ermunterung an seine Brust geflogen wäre, um ihren Kummer auszuweinen. Mit großem Geschick gelang es ihm, das zu verhindern, ohne ihr Gefühl, schlecht behandelt zu werden, zu verstärken. Aber bald sah er ein, daß jeder Versuch, sie zur Vernunft zu bringen, nutzlos, ja gefährlich wäre. Die Geschichte, die sie ihm auftischte, hatte wenig Ähnlichkeit mit dem nüchternen Bericht, den er eben von Miss Trent erhalten hatte. Tiffany wich nie wissentlich von der Wahrheit ab, da sie aber alles nur in Relation zu sich selbst betrachtete, wurde auch die Wahrheit manchmal verzerrt. Jeder, der den Sachverhalt nicht kannte, hätte folgenden Eindruck gewinnen müssen: zuerst schleifte Patience in unglaublichem Egoismus ihre Freunde durch die ganze Stadt, um ihre Einkäufe zu machen. Dann warf sie – in einer Weise, die, wäre sie nicht so unschön gewesen, belustigt hätte – ihre Netze nach Lindeth aus. Und schließlich inszenierte sie, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, ein lächerliches Spektakel, indem sie auf die Straße sprang, um eine großartige, ganz unnütze Rettung durchzuführen. Tiffany war überzeugt, daß der Schlingel nie in Gefahr war, aber Patience konnte so die Heldin spielen und Lindeth sowie Mr. Baldock täuschen, einen niedrigen und gemeinen Kerl mit den widerlichsten Manieren, die Tiffany jemals untergekommen waren.
Und so ging es fort und fort, bis sie sich zu der ungerechten Behauptung versteigerte, daß alle kaltblütig und ohne den Anstand, sie um Erlaubnis zu fragen, sich ihren Wagen aneigneten (selbst wenn er ihrer Tante gehörte, so war er doch ihr und nicht Patience geliehen), um einen schmutzigen, diebischen Jungen zu befördern, der besser dem Konstabler übergeben worden wäre. Das war die Krönung aller ihr zugefügten Beleidigungen, die Tiffany mit zornsprühenden Augen erzählte. Sie leugnete nicht, in Wut geraten zu sein; alles hätte sie ohne eine einzige Klage ertragen – aber das war zuviel!
Der Unvergleichliche benützte die Atempause, ihr beizustimmen, daß ein solches Benehmen die Grenzen überschreite. Er zeigte sich überrascht, daß Miss Trent und Lindeth so allen Sinn für Schicklichkeiten verloren hatten, Tiffany zuzumuten, daß sie zu Fuß zum King's Arms zurückkehren solle, während sie sorglos mit einem schmutzigen, diebischen Jungen in Tiffanys Wagen durch die Stadt fuhren. Er sagte, es geschehe ihnen ganz recht, wenn sie zum King's Arms zurückkehren und sehen müßten, daß das Vöglein ausgeflogen war.
«Ja», stimmte Tiffany schluchzend zu. «Aber wenn ich dem Kutscher John sagen würde, er solle vorfahren, würde er es bestimmt nicht tun, weil er ein widerlicher alter Kerl ist, der mich behandelt, als ob ich ein Kind wäre.»
«Ich bringe Sie nach Hause», sagte der Unvergleichliche mit seinem strahlenden Lächeln.
Sie sah ihn an. «Sie? In Ihrem Phaeton? Jetzt?» Er nickte. Sie sprang auf und rief in Ekstase: «Ja! Das wäre mir das liebste! Und wir hinterlassen auch keine Nachricht.»
«Das wäre ganz unnötig», sagte er wahrheitsgetreu.
Ihre Tränen waren versiegt. Die schlechte Behandlung, die ihr widerfahren war und noch an ihrem Herzen nagte, war vorübergehend vergessen, im Vordergrund stand die Erwartung, von keinem Geringeren als dem Unvergleichlichen nach Hause gefahren zu werden.
Mrs. Underhill war sehr entsetzt, als sie hörte, was sich in Leeds zugetragen hatte. Obwohl Sir Waldo Tiffany die Vorgänge so erzählen ließ, wie es ihr beliebte, war der Eindruck, den die gute Dame gewann, nicht der, den Tiffany bezweckte. Um nichts in der Welt hätte so Entsetzliches passieren dürfen!
«Wo doch Mrs. Chartley Patience mit dir gehen ließ – was mich überraschte, denn ich hätte nie geglaubt, daß sie es erlauben würde –, und sie hätte es nicht erlaubt, wenn Miss Trent nicht mitgefahren wäre, um auf sie zu achten. Was wird sie sagen, wenn sie die Geschichte erfährt? Nicht, daß Miss Trent etwas hätte verhindern können, denn mir scheint, es war keine Sache, die man erwarten konnte. Nun, zum Glück hatte Miss Trent soviel Verstand, bei Patience zu bleiben. Mrs. Chartley kann also nicht sagen, daß wir nicht alles getan haben, was wir tun konnten, oder daß es Seiner Lordschaft überlassen wurde, sie heimzubringen. Das wäre ihr keinesfalls recht gewesen. Nicht, daß ich glaube, er hätte die Grenzen überschritten; ich muß Ihnen doch nicht versichern, Sir Waldo, denn ich habe tatsächlich niemanden kennengelernt, der mehr Gentleman wäre – die Anwesenden natürlich ausgenommen –, aber Mrs. Chartley – nun, sie ist so reizend, wie man nur sein kann, aber mit sehr strengen Ansichten.»
Diese Rede gefiel Tiffany nun gar nicht. Ihre Augen flammten unheilverkündend, was ihrer Tante nicht entging. Mrs. Underhill konnte nur hoffen, daß sie nicht wieder einen ihrer Anfälle bekomme, und sagte schwach: «Nun, Tiffany, es gibt keinen Grund, dich aufzuregen. Es war sehr ärgerlich, daß du warten mußtest, wo du doch nach Hause fahren wolltest, aber es wäre dir doch nicht recht gewesen, wenn die arme Miss Chartley ohne Wagen geblieben wäre? Du weißt, daß du das nicht gewollt hättest. Das wäre sehr schäbig gewesen! Ich bin sicher, daß es dir gefiel, von Sir Waldo im Phaeton nach Hause gefahren zu werden.»
«Man hätte mich fragen müssen!» sagte Tiffany trotzig. «Wenn sie mich gefragt hätten ...»
«Ich verstehe!» rief Charlotte plötzlich. Ihre durchdringenden Blicke waren schon minutenlang auf Tiffany geheftet gewesen. «Niemand hat dich beachtet! Du hättest das Kind ebenso retten können wie Patience – nur hast du es nicht getan, daher warst du nicht tapfer und edel, sondern sie war es, und darum bist du in solche Wut geraten!»
«Was erlaubst du dir?» schnaubte Tiffany sie an.
«Charlotte, laß das!» bat Mrs. Underhill aufgeregt.
«Und», fuhr Charlotte unbeirrt mit richtiger, wenn auch schmerzlicher Einschätzung fort, «ich bin sicher, daß auch der Herr im Tilbury dich nicht beachtete, und deshalb nennst du ihn grob und ordinär!»
«Also jetzt ist es genug!» rief Mrs. Underhill mit Aufbietung ihrer – ganzen Autorität. «Was wird Sir Waldo von mir denken! Ich kann mich nicht erinnern, jemals so geärgert worden zu sein. Sir, bitte, vergeben Sie ihr!»
«Ich verzeihe beiden, Ma'am, und überlasse sie ihrem Zank», sagte er amüsiert.
«O du meine Güte! Und ich wollte Sie fragen, ob Sie nicht bleiben und das Dinner mit uns einnehmen wollen?» rief Mrs. Underhill bekümmert aus.
«Danke, Ma'am, Sie sind sehr freundlich, aber ich kann nicht bleiben», sagte er und lächelte sie an, was ihr – wie sie später Miss Trent erzählte – durch Mark und Bein fuhr.
Er verabschiedete sich und ging.
Er erreichte Broom Hall, als die Schatten schon länger wurden, und betrat das Haus, während er die Handschuhe abstreifte. Die Tür zur Bibliothek öffnete sich, eine gertenschlanke modische Gestalt erschien auf der Schwelle und sagte mit gespielter Leichtigkeit: «Hallo, Waldo!»
Beim Anblick des unerwarteten Besuchers blieb Sir Waldo stehen, einen Handschuh nur halb von der Hand gezogen, ein Runzeln auf der Stirn. Dann glättete sich die Stirn, der Handschuh wurde zur Gänze abgestreift und auf den Tisch gelegt.
«Meine Güte!» sagte er im Ton leichten Erstaunens, «was führt dich zu mir, Laurie?»
Mr. Calver, der noch die letzte Begegnung mit seinem Cousin in unangenehmer Erinnerung hatte, war durch die ruhige und freundliche Begrüßung erleichtert. Wenn er auch nicht fürchten mußte, mit einem Zornausbruch empfangen zu werden – Sir Waldo war nie aufbrausend oder beleidigend –, war er doch auf einen kühlen Empfang vorbereitet gewesen. Nun trat er näher und sagte ungeschickt: «Ich habe Freunde in York besucht und dachte, ich komme herüber und schaue, wie es dir geht.»
«Sehr nett von dir», sagte Sir Waldo freundlich.
«Nun, ich – du weißt doch – ich möchte nicht mit dir verzankt sein. Als wir uns zuletzt sahen, da steckte ich in einer verflucht schlechten Haut – und wahrscheinlich habe ich Dinge gesagt, die ich gar nicht meinte. Aber ich möchte nicht, daß du glaubst ...»
«Schon gut!» unterbrach ihn Sir Waldo, und ein flüchtiges Lächeln vertrieb den ernsten Blick. «Glaubst du, ich war beleidigt? Du mußt mich für einen regelrechten Tropf halten!»
«Das tu ich nicht, aber – nun, ich habe mir eben gedacht, ich nehme die Postchaise herüber, um dich zu besuchen – du entschuldigst doch!»
«Sehr verbunden! Komm in die Bibliothek. Hat Wedmore die Honneurs gemacht – soweit es hier möglich ist?»
«O ja! Ich war nicht länger als eine halbe Stunde hier, da brachte er mir Sherry und holte Blyth, damit er meinen Reisesack auspacke.» Er schielte nach seinem Cousin und wagte einen Scherz: «Ich war ziemlich sicher, daß du mich nicht hinauswerfen wirst, selbst wenn du es warst, der den Happen erwischt hat.»
«Sehr unwahrscheinlich», stimmte Sir Waldo bei und ging zu einem Tischchen, um sich ein Glas Sherry einzugießen. Er trank ein wenig und blieb stehen, Laurence nachdenklich betrachtend.
Dieser Stutzer, der nicht zum erstenmal in seiner etwas bunten Karriere Sir Waldos geradem, ein wenig amüsiertem Blick ausweichen mußte, warf sich – scheinbar leichthin – in einen Sessel, nahm das Glas, das neben seinem Ellenbogen auf dem Tischchen stand, und sagte ungezwungen: «Ich dachte, daß du hier nicht länger als eine Woche bleiben wirst. Jeder fragt, wo du denn steckst. Ist Lindeth noch bei dir? Findet er es hier nicht sterbenslangweilig?»
«Offensichtlich nicht! Sag mir, wer sind deine Freunde, die in York leben?»
«Oh, niemand, den du kennst!»
«Ja, das dachte ich mir.»
Er ergriff die Flasche, um Laurences Glas nachzufüllen. «Und was brauchst du, Laurie?»
«Ich sage dir ja – wir hatten eine Auseinandersetzung ...»
«Also, heraus mit der Sprache! Du bist doch nicht den Weg von London gekommen, um mich um Entschuldigung zu bitten!»
«Ich komme von York», sagte Laurence und wurde rot. «Wenn du mir nicht glaubst, kannst du dich im <Rappen> erkundigen, wo ich die Chaise mietete, um hierher zu fahren.»
«Ich glaube dir. Wahrscheinlich bist du mit der Edinburgher Postkutsche nach York gefahren. Bist du wieder einmal auf dem trockenen? Hör doch auf, mich für dumm zu verkaufen! Was ist los? Sitzt du wieder einmal in der Tinte?»
«Nein, das nicht!» erwiderte Laurence ärgerlich. «Mag sein, daß in meiner Tasche nicht gerade Flut herrscht, aber ich bin nicht gekommen, um dich zu bitten, meine Spielschulden zu bezahlen.»
«Hab es nicht so eilig, deine Segel zu wenden! Das habe ich auch nicht angenommen. Es können ja noch andere Schulden sein, die zu erwähnen du vergessen hast, als du letzthin eine Flaute hattest.»
«Es gibt keine», brummte Laurence, «jedenfalls keine bedeutenden! Und wenn dem so wäre, würde ich nach dem, was du mir vor einem Monat gesagt hast, nicht gerade zu dir kommen. Du glaubst wohl, bei mir sitzt eine Schraube locker. So weit bin ich noch lange nicht!»
«Steig doch endlich einmal vom hohen Roß herunter! Ich glaube nicht, daß bei dir eine Schraube locker ist, wenn du mich auch, wenn du wüßtest, was ich denke, am liebsten fressen würdest. Also, wenn es sich um nichts Unmögliches handelt – was soll ich tun?»
«Es wird dich vielleicht interessieren, lieber Freund, daß ich viel durchgemacht habe, seit du London verlassen hast», sagte Laurence bitter. «Und wenn ich an die fälligen Wechsel denke – nun, es genügt vorläufig, daß du mich verdächtigst, ich sei nur gekommen, damit du mir mit Geld aushilfst. Aber das ist es durchaus nicht!» Er machte eine kurze Pause. «Zumindest sind es keine Schulden. Aber wenn du es genau wissen willst: ich habe einen verteufelt guten Schlachtplan, wenn ich die Rekruten dafür auftreiben kann. Natürlich, wenn du keine Lust hast, mir zu helfen – aber es handelt sich gar nicht so sehr darum, mir zu helfen, sondern dein Kleingeld gut zu investieren. Mehr kann ich darüber nicht sagen. Aber wenn ich bedenke, wie oft du mir angeboten hast, mir einen Offizierstitel zu kaufen ...»
«Zu diesem Angebot stehe ich noch immer, Laurie!»
«Ja, aber das will ich nicht. Das paßt nicht zu mir, noch habe ich etwas für das Rechtswesen übrig. Ich habe nie an so etwas gedacht, aber wenn du mir eine Kirchenkarriere vorgeschlagen hättest, als ich in Oxford war – das hätte einen Sinn gehabt. Ich hätte mich nicht sehr darum gerissen, aber ich staune, daß du nie daran gedacht hast, da du doch so darauf aus bist, mich in einen Beruf hineinzuzwängen. Schließlich weiß ich, daß du über gute Verbindungen verfügst – Wie immer, dazu ist es jetzt zu spät!»
«Ich kann mir kaum einen Mann vorstellen, der weniger für eine Kirchenkarriere geeignet wäre als du!»
«Nein. Höchstwahrscheinlich hätte ich es sehr langweilig gefunden. Nichts gegen eine behagliche Pfarre – aber das hat keinen Sinn mehr! Ich glaube, daß ich jetzt auf das Richtige verfallen bin, Waldo – mehr noch, wenn die Sache einmal in Schwung kommt, ist ein Vermögen herauszuholen.»
Sein Unbehagen verbergend, forderte Waldo ihn auf, fortzufahren.
«Nun, ich hatte nicht die Absicht, dir die Sache so bald zu unterbreiten», sagte Laurence naiv. «Aber, da du mich fragst und es keinen Grund gibt, dir mein Interesse an der Sache zu verschweigen – also, ich bin überzeugt, du hältst es für das Richtige ...»
«Du machst mich neugierig, Laurie. Spann mich nicht auf die Folter!»
«Natürlich, wenn du von vornherein dagegen eingenommen bist, kann ich ebensogut schweigen», sagte Laurence mürrisch.
«Von vornherein ist nicht die Rede, also, mach's kurz!»
Laurence blickte einen Augenblick lang beleidigt drein, aber es gelang ihm, seinen Ärger zu schlucken. «Ja, also gut – kennst du Kearny?»
«Nein!»
«Desmond Kearny!» Sir Waldo schüttelte den Kopf. «Allerdings, es ist möglich, daß er dir noch nicht über den Weg gelaufen ist, obwohl ich geglaubt habe, daß du ihn kennen müßtest – er ist ein Teufelskerl auf der Jagd, ein toller Reiter! Aber ihr Eiferer seid ja so erhaben ...» Er brach ab und sagte dann hastig: «Nicht, daß das etwas zu bedeuten hätte. Die Sache ist die: Kearny gehört zu meinen Freunden. Nicht so ein Flederwisch, sondern ein prima Mann und ein großer Pferdekenner. Wir wollen Kompagnons werden.»
«Kompagnons? Wobei?» fragte Sir Waldo.
«Jagdpferde verkaufen, meine ich.»
«O mein Gott!»
«Ich hätte mir vorstellen können, daß du – nein, also hör zu, Waldo!» bat Laurence in sehr verändertem Ton. «Denk an das viele Geld, das manche der Melton-Leute für ihre Jagdpferde ausgeben! Nun, du bist doch selbst so einer und solltest es wissen! Man sagt, Lord Alvanley zahlte für den Klepper, den er vor Jahren kaufte, siebenhundert Guineas, und ich könnte dir genug Männer zeigen, die sich keine Gedanken darüber machen, fünf- oder sechshundert für Pferde zu bezahlen, die ursprünglich um nicht mehr als achtzig bis hundert Guineas gekauft wurden. Denke doch, wenn du dein Gestüt unter den Hammer brächtest, nur die Jagd- und Reitpferde, nicht deine Wagenpferde natürlich, sie brächten dir nicht einen Penny weniger als fünftausend! Du glaubst vielleicht, daß der Plan nicht gelingen wird, aber ...»
«Nicht gelingen?» unterbrach Sir Waldo. «Du wirst in weniger als zwölf Monaten in der Patsche sitzen!»
«Nein, das werden wir nicht! Wir haben alles genau überdacht, und ich wette jeden Betrag, das wird eine blendende Sache! Natürlich, zuerst müssen wir ein gutes Stück Geld hineinstecken – das muß ich dir nicht erklären – aber ...»
«Nein, das ist nicht notwendig!»
«Nun, ohne Kapital kannst du gar nichts anfangen! Die Sache ist ...»
«Danke, ich weiß genau, wie die Sache ist», sagte Sir Waldo scharf. «Um Himmels willen! Hör auf, mir zu erklären, wie man Erfolg hat! Einen so hirnrissigen Plan habe ich im Leben noch nicht gehört. Hältst du mich für einen Idioten, daß ich das Kapital für ein so verrücktes Wagnis beisteuern werde? Einen Mann als Partner zu nehmen, der nichts als ein Loch in der Tasche hat? O nein, Laurie, das ist ein starkes Stück!»
«Wenn du nur zuhören wolltest! Kearnys Geldbeutel ist nicht straffer als der meine, aber er ist eben zu Landbesitz gekommen, und das ist der Grund, warum er auf diese Idee verfiel. Er hat einen Besitz in Irland geerbt, von seinem Onkel – Galway, glaub ich, heißt das Dorf, oder so ähnlich –, in schlechtem Zustand, das Haus fast zerfallen. Scheint für ihn mehr eine Belastung als ein Glücksfall zu sein, denn im jetzigen Zustand kann er es nicht loswerden.»
«Das scheint mir auch so!»
«Siehst du, da irrst du dich! Wir wollen es eben verwerten. Kearny war dort, um es anzusehen, und sagt, daß viel Land und ausgedehnte Stallungen zu dem Besitz gehören; die müßten nur ausgebessert werden, um das zu sein, was wir brauchen. Also, Waldo, du mußt wissen, daß Irland genau das Land ist, wo man erstklassige Pferde für achtzig bis hundert Guineas erstehen kann. Keine Zugpferde, Vollblüter! Keine Versager! Ein Jahr abrichten, und du verkaufst sie hier für zweihundert!»
«Wenn du glaubst, daß ich mich als Roßtäuscher etablieren werde ...»
«Keinesfalls!» rief Laurence beleidigt, «es werden nur gesunde Pferde sein!»
«Aber nur, wenn du sie aussuchen wirst!»
Laurence kämpfte seinen Ärger nieder. «Eigentlich wird es Kearny sein, der sich mit dem Einkauf befassen wird. Er kennt das Land, weiß die besten Märkte, und es sollte mich wundern, wenn er nicht so gut wie du ein Pferd beurteilen kann. Meine Sache wird der Verkauf in England sein.»
... sagte Mr. Calver, ohne Kapital kannst du gar nichts anfangen.
Nun, anfangen schon, denn wer kein Geld hat, hat doch wenigstens Kredit. Nur: Man kann nach wie vor nichts beenden ohne Kapital. Irgendwann muß man eben doch bezahlen. Ohne Kapital bleibt man ein Anfänger.
«Laurie, du willst doch nicht im Ernst ein Händler werden?»
«Nein, natürlich nicht! Ich werde keine Agenten haben oder auf ähnliche Art verkaufen. Ich habe eine viel bessere Idee, ich werde auf Jagdgründen verkaufen.»
«Wo?» fragte Sir Waldo schwach.
«Herrgott! Du weißt genau, was ich meine: du reitest ein gutaussehendes Pferd auf einer der großen Jagden – der in Quorn zum Beispiel –, und was geschieht?»
«Du endest in Whissendine!»
«Ach, geh zum Teufel! Das meine ich nicht! Jemandem gefällt dein Pferd, er fragt dich, ob du es verkaufen würdest – und ehe du weißt, wie dir geschieht ...»
«Nicht, wenn er dich das Pferd reiten gesehen hat!» fiel Sir Waldo brutal ein.
Laurence verfärbte sich. «Danke! Mein Freund, ich gebe dir mein Wort, von allen verdammt ungerechten Dingen – ich bin also ein Dummkopf, ein Herumtreiber ...»
«Nein, nein, das habe ich nicht gemeint», lenkte Sir Waldo ein. «Du hast genug Schneid, aber du verschlampst die Hürden und holst nicht das Beste aus deinen Pferden heraus. Auch – na gut, macht nichts –! Es tut mir leid, aber ich will mit dieser Sache nichts zu tun haben!»
«Waldo, ich bitte dich nicht, mir das Geld zu schenken – nur zu leihen –, und nicht mehr als fünftausend! Ich schwöre dir, ich zahle es zurück!»
«Ich bezweifle es nicht, das heißt, ich bezweifle nicht, daß du die Absicht hast. Aber damit du es mir zurückzahlst, müßte ich dich erst aus der Patsche ziehen, und das in der Höhe von noch einigen Tausenden. Das mache ich nicht!»
Eine lange Stille folgte. Laurence sprang auf und ging an das Fenster. Dann sagte er: «Ichweiß: als du letzten Monat meine Schulden zahltest, sagtest du, es wäre das letzte Mal. Aber ich hätte nicht geglaubt, daß du mir Hilfe verweigern würdest, wenn ich etwas zu unternehmen versuche. Du wolltest doch immer, daß ich etwas tue!»
Darüber mußte Sir Waldo lächeln. «Mein lieber Laurie, ich glaube nicht, daß man mir nachsagen kann, ich hätte dich gedrängt, Roßtäuscher zu werden.»
«Du willst aber, daß ich einer Beschäftigung nachgehe. Und jetzt, da ich beschlossen habe, nicht mehr zu faulenzen oder dir auf der Tasche zu liegen – jetzt machst du es unmöglich!»
«Komm wieder, wenn du eine ehrenhafte Beschäftigung gefunden hast! Du hälst mich für entsetzlich kleinlich. Aber was du von mir willst, ist eine Hilfe, die dir schadet!»
Laurence drehte sich um und zwang sich zu einem Lächeln. «Nein, das tue ich nicht. Du warst verteufelt großzügig gegen mich, das weiß ich. Nur – nun, ich glaube, da ist nichts mehr zu wollen. Das beste ist, ich gehe morgen zurück nach London. Ich sehe, daß du mich hier nicht willst.»
«Unsinn! Möchtest du hierbleiben?»
«Nun, ich glaube – ich meine – jeder – alles verläßt jetzt die Stadt – und du weißt, was Brighton im Juli kostet. Du hast mir gesagt, ich muß aufhören zu verschwenden ...»
«Es ist ganz in Ordnung, daß du hier absteigst. Hör auf mit den Albernheiten, du unverbesserlicher Dummkopf! Ich habe nicht den geringsten Einwand, wenn du bleiben willst, aber ich glaube nicht, daß es dir sehr gefallen wird. Die Maurer sind noch an der Arbeit, wie du siehst.»
«Oh, das macht mir nichts aus!» versicherte ihm Laurence. «Es sieht ja so aus, als ob du das Haus auf den Kopf stellen wolltest, alles wegen deiner verwahrlosten Rangen, wenn ich nicht irre!»
«So ist es!» erwiderte Sir Waldo fröhlich. «Ich muß Wedmore sagen, daß wir nicht mit dem Dinner auf Julian warten, er ist in Leeds und könnte aufgehalten worden sein. Das ist übrigens einer der Nachteile dieses Hauses: die einzige noch brauchbare Glocke zum Butler ist im Schlafzimmer des verstorbenen Cousins. Es gibt auch noch andere Nachteile, dein Diener wird dir darüber mehr erzählen! Ich hoffe nur, er wird dir nicht davonlaufen! Ich lebe in der ständigen Furcht, daß ich eines Morgens erwache und entdecken muß, daß Munslow mich verlassen hat.»
Laurence blickte ein wenig erschrocken drein: «Nein, das würde mir Blyth nicht antun! Was deinen Munslow betrifft – ich wollte, er würde dich verlassen! Wann ist das Dinner? Soll ich mich umkleiden?»
«Nicht meinetwegen! Wir dinieren zur ungewöhnlichen Stunde von sechs Uhr.»
«Natürlich! Ländlich – sittlich!» sagte Laurence, der sich durch nichts abschrecken ließ. «Ich bin es zufrieden. Wenn ich dir die Wahrheit sagen soll, ich bin müde. Ich glaube, es war an der Zeit, daß ich etwas zurückschaltete.»
Er beherrschte seine Müdigkeit bis neun Uhr und ging– nach einigen vergeblichen Versuchen, sein Gähnen zu verbergen – zu Bett.
Sir Waldo war nicht leicht zu täuschen. Sowenig er glaubte, daß Laurence Freunde in York besucht hatte, so wenig glaubte er, daß sein Cousin in Broom Hall bleiben wolle, noch sich, was seinen Plan betraf, geschlagen gab. Mit traurigem Lächeln erinnerte er sich verschiedener früherer Gelegenheiten, wenn er einen seiner Wünsche abgelehnt hatte, der Taktik, wie sie Laurence jetzt anwandte und die ihn letztlich doch umstimmte. Auch Laurie erinnerte sich daran. Wahrscheinlich hatte er eine anfängliche Ablehnung erwartet, aber keine endgültige. Das verriet seine Sanftheit. Wenn Laurence wußte, daß es ihm nicht gelingen werde, seinen Cousin herumzukriegen, bekam er sofort Wutanfälle. Eifersucht und Mitleid mit sich selbst raubten ihm den Verstand und trieben ihn zu schwülstigen Anklagen, bis er selbst an die ihm angetanen angeblichen Kränkungen glaubte.
Ich hätte ihn wegschicken sollen, dachte Sir Waldo. Er wußte, daß er in Laurences Brust falsche Hoffnungen erregte, wenn er einem freundlichem Impuls nachgab. Aber was Laurence jetzt verlangte, konnte er ebensowenig tun, wie ihn im Schuldturm verkommen lassen. Seine Zuneigung zu Laurence war gering, und er wußte, daß Laurence ihm gegenüber genauso fühlte. Aber als er George Wingham sagte, er hätte Laurie ruiniert, meinte er es im Ernst. Laurences Streiche, seine Faulheit, seine haltlose Verschwendungssucht kreidete er sich selbst an. Durch seine schnelle, bedenkenlose Großzügigkeit untergrub er jede Selbständigkeit, die noch in seinem Cousin stecken mochte, ohne seine Oberflächlichkeit zu zügeln; er bestärkte ihn vielmehr in der Überzeugung, daß er nie auf eigenen Füßen werde stehen müssen, weil der reiche Cousin ihn immer vor einer Katastrophe bewahren würde. «Schließlich spielt es doch für dich keine Rolle!» hatte ihm Laurie einmal, in seinem ersten Jahr in Oxford, gesagt. In der Erinnerung lachte Waldo über sich selbst. Laurie sagte damals voll Bitterkeit, daß es für jemanden, der in Geld schwimme, leicht sei, Sparsamkeit zu predigen, und daß der junge Waldo mit seinen falsch verstandenen philanthropischen Ideen reicher sei, als man sich erträumen könne. Um nur ja nicht als Geizhals verschrien zu werden, öffnete er seine Börse weit, um den sich stets in Verlegenheit befindlichen leichtsinnigen jungen Mann hineingreifen zu lassen. Denn er war nur zu geneigt, mit Laurence zu glauben, daß der Unterschied in ihren Vermögensverhältnissen eine große Ungerechtigkeit des Schicksals sei. Und nicht nur einmal, immer wieder betrachtete Laurence ihn als einen, in dessen Tasche zu greifen er ein Recht hätte.
Nur als Laurence hoch zu spielen begann, wurde Sir Waldo hart; und er wollte hart bleiben. Der Sturm des Grolls, den er in Laurence entfacht hatte, bestärkte ihn in seiner Absicht. Aber sogar in seiner größten Erbitterung sagte ihm sein Gewissen, daß er selbst daran schuld sei. Oft tat ihm Laurie leid, aber sein Mitleid war immer mit Abneigung gepaart. Und weil er ihn nie gemocht hatte, gab er ihm immer wieder Geld, was nichts zählte im Vergleich zu den ganz anderen Dingen, die er Julian erwies.
Natürlich lagen die Dinge bei beiden nicht gleich. Laurence war einige Jahre älter als Julian und hatte auch nicht den Vater in einem Alter verloren, in dem er die väterliche Hand gebraucht hätte. Aber sein Vater war ein herzloser Mann, den seine Kinder langweilten und dem es um jeden Penny leid tat, den er für sie ausgeben mußte; so war es natürlich, daß Laurence sich in jeder mißlichen Lage lieber an den Cousin wandte.
Vielleicht wäre es klüger gewesen, Laurie nicht aufzufordern, in Broom Hall zu bleiben, aber Sir Waldo konnte ihn unmöglich so unfreundlich behandeln, um so mehr, als Julian hier lebte; schon deshalb mußte er Laurence willkommen heißen. Natürlich war Laurence auf Waldos Zuneigung zu Julian eifersüchtig, nicht aus Ergebenheit, sondern weil er vermutete, daß Waldo für Julian Geld verschwende. «Hätte Julian dich darum gebeten, du hättest ihm nichts verweigert!» hatte ihm Laurence einmal an den Kopf geworfen.
«Lindeth verlangt nichts!» hatte er ihm geantwortet.
«Nein, das hat er nicht nötig, er kann alles von dir haben, wenn er dich nur ansieht! Das wissen wir alle.»
«Dann seid ihr alle im Irrtum!»
Aber darin irrte Laurence nicht, daß Julian sein Lieblingscousin war. Und gerade weil das so war, konnte Sir Waldo Laurence nicht von der Tür weisen, während es Julian freistand, so lange zu bleiben, wie es ihm beliebte. Er dachte an Laurences Eifersucht und wie lange es wohl dauern würde, bis er und Julian in Streit gerieten. Nun hörte er den Lärm von Rädern und auch, daß Julian zu jemandem gute Nacht sagte. Einige Minuten später betrat er das Zimmer.
«Waldo, ach, da bist du ja! Hast du mich schon verlorengegeben? Entschuldige vielmals, aber ich wußte, du würdest nicht in Sorge sein.»
«Nicht in Sorge? Wo ich seit Stunden in größter Aufregung auf und ab gehe!»
Julian kicherte. «Du machst aber einen beruhigenden Eindruck!»
«Ganz erschöpft! Hast du gegessen?»
«Ja, im Pfarrhaus. Sie setzten sich gerade zum Dinner, als wir eintrafen, und Mrs. Chartley wollte, daß ich bleibe. Miss Trent lehnte ab. Der Rektor sagte, ich brauche nicht zu fürchten, daß ich zu Fuß nach Hause würde gehen müssen, der Kutscher würde mich nach Broom Hall bringen. So blieb ich. Ich hatte nicht die Absicht, so lange zu bleiben, aber wir sprachen über alles mögliche – du weißt, wie das ist – und beachteten gar nicht, daß es so spät wurde. Du hast nicht auf mich gewartet, nicht wahr?»
«Nein, nicht eine Sekunde. Hast du deinen jungen Galgenvogel seinen Eltern übergeben?»
«Ja, aber nenne den armen kleinen Teufel nicht einen Galgenvogel – guter Gott, er ist erst sechs Jahre alt, und alles, was er gestohlen hat, war ein Apfel! Miss Trent hat dir doch erzählt, was geschehen ist, nicht wahr? Es war ein schrecklicher Augenblick!»
«In der Tat! Ich nehme an, Miss Chartley zeigte größte Geistesgegenwart?»
«Ja, und solchen Mut! Und sie machte kein Wesens daraus, ihre ganze Aufmerksamkeit gehörte dem Kind. Ich konnte nur über sie staunen! Sie ist doch so ruhig und scheu, daß man nicht annehmen konnte, daß sie mit so viel Unerschrockenheit und dabei so gelassen handeln würde! Wenn schon die Gefahr, in der sie sich befand, sie nicht aufregte, so doch die Leute, die sie umringten. Aber sie beachtete sie nicht, fürchtete sich nicht einmal vor dem Kerl, der zeterte, daß er den Jungen dem Gericht übergeben werde. Herrgott! Waldo, ich hätte dich nie im Leben nötiger gebraucht!»
«Warum konntest du mit dem blutrünstigen Bürger nicht ohne meine Hilfe fertig werden?»
«Das war es nicht! Natürlich konnte ich das, aber ich wußte nicht, was, zum Teufel, mit dem Kirid tun. Jedenfalls, Miss Chartley wußte es, auch was sie dem Vater und der Mutter zu sagen hatte. Das einzige, was sie einige Minuten lang aufregte ...» Er brach abrupt ab.
«Ich kann es erraten», sprang Sir Waldo ein.
Julian warf ihm einen kurzen, entschuldigenden Blick zu und sagte nach einer Pause mit einem erzwungenen Lächeln und gerötetem Gesicht: «Ich nehme an, daß du sie nach Staples zurückgebracht hast. Ich bin dir sehr dankbar! Hat sie sich übrigens dir gegenüber ausgetobt?»
«O ja, aber nicht schlimmer, als ich erwartet hatte. weißt du, anerkannte Schönheiten können es nicht ertragen, übersehen zu werden. Es war meine Pflicht, sie von dem Schauplatz wegzubringen, aber ich werde es immer bedauern, daß mir der Vorzug entgangen ist, den <gewöhnlichen, ordinären und widerlich unmanierlichen Mann im Tilbury> kennenzulernen.»
Julian mußte unwillkürlich lachen. «Baldock! Zuerst sagte er, er sehe nicht ein, warum sie ohnmächtig werden sollte, und dann nannte er sie eine Keifzange. Ich weiß nicht, warum ich das jetzt lächerlich finde, denn – weiß Gott – ich habe damals nicht gelacht. Ach, was bin ich für ein Schwächling!» Er schwieg eine Minute und sagte dann zögernd: «Nicht wahr, du hältst mich doch für einen Schwächling? Aber schon seit dem verunglückten Ausflug nach Knaresborough war es mir klar ... zuerst dachte ich – weil – weil sie noch so jung ist – und weil man mit ihr immer so nachsichtig war, aber – aber hinter diesen' schönen Gesicht wohnt kein Herz, Waldo! Nichts als – na gut Was bin ich doch für ein Kerl, so etwas zu sagen, selbst zu dir! Aber ich kann mir vorstellen, daß du das erwartet hast – es hat mich umgeworfen, als ich sie das erste Mal sah!»
«Es hätte mich gewundert, wenn es dich nicht umgeworfen hätte», antwortete Sir Waldo in gleichgültigem Ton. «Ich kann mich nicht erinnern, je ein schöneres Mädchen gesehen zu haben. Es ist schade, daß sie weder den Verstand noch das Wesen hat, die einer solchen Schönheit gleichkämen. Aber ich bin sicher, sie wird auch ohne diese ihren Weg machen. Wenn ihr Vermögen hoch genug ist, wird sie vielleicht auch ihren Marquis einfangen.»
«Ihren Marquis einfangen?» rief Julian verwirrt. «Welchen Marquis?»
«Einen, der ihr einen Antrag macht. Ich weiß, es klingt unsinnig, aber sie hat offenbar in ihrem Herzen beschlossen, zumindest eine Marquise zu werden. Es wird mich nicht überraschen, wenn sie ihr ehrgeiziges Ziel erreicht. Übrigens, was sagten die Chartleys zu diesem aufregenden Abenteuer?»
«Mrs. Chartley war natürlich sehr entsetzt, aber der Rektor sagte, daß Patience – Miss Chartley meine ich – genau das Richtige getan habe. Natürlich konnte Mrs. Chartley nur wünschen, das Ganze wäre nicht passiert. Sie machte niemandem Vorwürfe. Eigentlich haben sie und der Rektor der Sache nicht mehr Bedeutung beigemessen als Miss Chartley selbst. Du kannst dich darauf verlassen, daß ich mein Bestes getan habe, ihnen zu versichern, daß Miss Chartley den Schuppen, der das Heim des Kindes war, nicht betreten hat. Miss Chartley sagt zwar, daß sie dort noch schlechtere gesehen habe, aber ich schwöre dir, Waldo, meine Schweine sind besser untergebracht; und Mrs. Chartley sagte, die Tochter eines Priesters sei es gewöhnt, zu Armen zu gehen. Ich dachte zuerst, sie wird sehr ärgerlich sein, sie war es aber nicht ein bißchen. Wir haben einen so gemütlichen Abend verbracht! Stell dir meine Überraschung vor, als wir entdeckten, daß sie eine Yateley ist! Irgendwie sind wir auf Timperley zu sprechen gekommen, und Mrs. Chartley sagte, daß sie nicht sehr weit von dort geboren wurde. Im benachbarten Bezirk jedenfalls, in Warwick. Kannst du dir vorstellen, wie verblüfft ich war, als sie ihren Mädchennamen nannte?!»
«Verzeih mir», sagte Sir Waldo höflich. «Entweder ich bin sehr dumm oder vergeßlich; aber ich habe keine Ahnung – wer sind die Yateleys?»
«Oh, eine Familie aus Warwickshire. Ich weiß nicht viel von ihr. Aber du hast sicher schon Mama von ihrer Freundin Maria Yateley sprechen hören. Es ist Lady Stone – eine muffige Person –, aber Mama kennt sie, seit sie lebt, und spricht immer von ihr als Maria Yateley. Also kannst du das glauben, Mrs. Chartley ist ihre richtige Cousine!»
Sir Waldo legte dieser Entdeckung nicht sehr viel Bedeutung bei, er nahm sie zur Kenntnis. Aber Julian plauderte glücklich weiter und hatte über den vergnügten Abend seine traurige Enttäuschung vergessen. Er erzählte auch, daß Miss Chartleys Schützling, der jetzt mit seinen Eltern und seiner Großmutter zusammen lebte, ein geeigneter Kandidat für das Broom-Hall-Waisenhaus wäre. Sollte es aber nicht dazu kommen, werde er mit dem Rektor sprechen, ob das Kind vielleicht in die Armenschule aufgenommen werden könne. «Ich habe das Gefühl, daß man etwas tun muß», sagte er und dachte sichtlich über das Problem nach. «Nachdem Miss Chartley ihn davor gerettet hat, zertrampelt zu werden, wäre es schade, wenn man ihn in eine Fabrik steckte, den armen kleinen Teufel! Darf ich dich bitten, mit dem Leiter oder dem Aufseher – oder wie man sie nennt ...»
«Nein, besprich es mit dem Rektor», sagte Sir Waldo.
«Gut, ich werde es tun!» Er gähnte. «Herrgott, bin ich schläfrig! Wenn du nichts einzuwenden hast, gehe ich zu Bett.»
«Durchaus nicht. Oh, übrigens, Laurie ist hier, er ging auch früh zu Bett.»
Julian, der schon an der Tür war, machte eine scharfe Wendung und rief: «Laurie? Was, zum Teufel, will der hier?»
«Er sagte, er hätte Freunde in Yorkshire besucht, und sei nur hergekommen, um zu sehen, wie es uns geht.»
«Schwindel! Verflucht! Was will er hier?»
Sir Waldo hob die Brauen. «Frag ihn doch selbst!» sagte er betont.
Julian wurde rot. «Ich wollte nicht – ich meine – es ist ja dein Haus – und es geht mich nichts an, wen du inlädst, hier zu wohnen, aber – o Gott! Waldo, welche Zumutung! Du hast ihn doch nicht eingeladen?»
«Nein, ich habe ihn nicht eingeladen», gab Waldo mit gezwungenem Lächeln zurück. «Es tut mir leid, Julian, aber du mußt verstehen, ich konnte ihn doch nicht hinauswerfen.»
«Nein, wahrscheinlich nicht. Na gut, solange er dich nicht ausnützt.»
«Ich glaube nicht, daß er die Absicht hat. Aber wenn er irgendwelche Schmerzen haben sollte, bitte ich dich, zwei Dinge nicht zu vergessen: er lebt nicht unter deinem Dach, und ich bin sehr wohl in der Lage, meine eigene Schlacht zu schlagen.»
«Das weiß ich zu gut», gab Julian zurück. « Und häßliche Abfuhren zu erteilen! Gut! Also ich werde mich mit den besten Anstandsformen der Welt benehmen – wenn ich kann.» Er öffnete die Tür, blick& aber über die Schulter zurück und sagte in einem plötzlichen Einfall mit breitem Lachen: «Beim Jupiter! Unser Beau wird Unruhe in der Nachbarschaft stiften!»