3

Es war vielleicht unausweichlich, daß des Unvergleichlichen Ankunft in Broom Hall den Erwartungen nicht ganz entsprach. Der junge Mr. Mickleby, der Sohn des Gutsherrn, konnte seinen Freunden erzählen, daß Sir Waldo seine Pferde vorausgeschickt hatte, er selbst habe zwei Reitknechte in das Gittertor von Broom Hall einbiegen gesehen. Aber die Pferde waren bloß Ackergäule, gutaussehende, breitsteißige Bauernpferde, nichts Besonderes und nur zwei. Ihnen folgte ein Reisewagen, der – wie sich später herausstellte – bloß zwei einfach gekleidete Diener enthielt und erstaunlich wenig Gepäck. Man erfuhr, daß Sir Waldo die Reise von London in bequemen Abschnitten in der eigenen Kutsche zurücklegte. Im großen ganzen paßte das zu den Ideen der jungen Leute, wie ein bekannter Peitschenschwinger reisen sollte; aber «bequeme Abschnitte» klang zu zahm und zerstörte die Vorstellung von einem sportlichen Fahrzeug, das forsch widerhallte und in einer Staubwolke durch das Dorf wirbelte.

Bloß der Stallknecht der «Krone» war dabei, als Sir Waldo in Oversett eintraf, und sein Bericht über dieses denkwürdige Ereignis war enttäuschend. Statt eines vierspännigen Karriols, das sogar Kleinstädter als den letzten Schrei kannten, lenkte Sir Waldo einen Phaeton, und weit davon entfernt, durch das Dorf zu wirbeln, hielt er das Gespann vor der «Krone» an, um sich nach dem Weg nach Broom Hall zu erkundigen. Mit Sir Waldo fuhr noch ein Herr, und hinten saß ein Reitknecht. Ein angenehmer Mensch, Sir Waldo, aber nicht von dem Schlag, den Stallknecht Tom erwartet hatte. Er war nicht halb so fein herausgeputzt wie Mr. Ash, zum Beispiel, nicht einmal wie Mr. Underhill.

Das war ernüchternd, und Schlimmeres stand bevor. Als der Gutsherr seine Visite machte, war er von Sir Waldo angenehm überrascht; ein Umstand, der den Altersgenossen des Gutsherrn gefallen mochte, aber in den Geistern von Mr. Underhill, Mr. Banningham und vor allem Mr. Arthur Mickleby ein traurig fades Bild heraufbeschwor. Kein Stutzer hätte des Gutsherrn Gefallen erregt. Arthur wagte die Frage: «Ist er ein toller Bursche?»

«Woher, zum Teufel, soll ich das wissen?» sagte sein Vater gereizt. «Er ist nicht der Inbegriff der Vornehmheit, wenn du das meinst.» Er warf einen Blick auf Arthurs tadellos gestärktes Hemd und das erlesene Arrangement seines Halstuchs und fügte mit bitterem Sarkasmus hinzu: «Du stellst ihn in den Schatten. Gegen dich ist er eine Kerze, verglichen mit dem Sonnenlicht.»

Seiner Frau gegenüber war er mitteilsamer. Mrs. Mickleby war ebenso begierig wie ihr Sohn, zu erfahren, wie Sir Waldo eigentlich sei, und weit weniger leicht abzutun. Angeregt sagte der Gutsherr: «Modisch? Nichts dergleichen! Kleidet sich tadellos und sieht wie ein Gentleman aus – zum Unterschied von Arthur, der die Modegecken nachäfft!»

«Ach, sei nicht so gereizt!» sagte Mrs. Mickleby. «Mein Cousin erzählte mir, er wäre der Eleganteste der Eleganten, herausgeputzt wie ein Pfingstochse, sagte er – du kennst seine komischen Redensarten!»

«Nun, er ist nicht herausgeputzt. Es ist nicht seine Art, uns Hinterwäldler durch seinen Kleiderschnitt zu alarmieren, meine Liebe!»

Mrs. Mickleby öffnete den Mund zu einer Antwort, schloß ihn aber wieder, als sie den bösen Blick des Gutsherrn sah.

Dieser, zufrieden mit seinem Erfolg, lenkte ein. «Es hat keinen Sinn, mich nach dem Schnitt des Mantels, den er trug, zu fragen, oder wie er sein Halstuch knüpft, denn ich habe mich nicht um so nebensächlichen Unsinn gekümmert; ich hätte es nur dann getan, wenn er mit einer Jacke, wie der Oberdandy Ash sie letztesmal trug, bekleidet gewesen wäre. Ich finde, er sieht so aus, wie er aussehen sollte, nicht außergewöhnlich.» Er hielt inne, um die Sache zu überdenken. «Es ist etwas an ihm», sagte er nachdenklich, «ich weiß nicht, was es ist. Lade ihn zum Dinner ein, und du wirst selbst sehen. Ich sagte ihm, ich hoff°, daß er eines Tages sein Lämmernes mit uns essen wird.»

«Du sagtest ihm – Mr. Mickleby! Das ist nicht wahr! Sein Lämmernes mit uns essen! So etwas Gewöhnliches, Schäbiges – was hat er dazu gesagt?»

«Er sagte, er wird sich darüber sehr freuen», erwiderte der Gutsherr und genoß seinen Triumph.

«Sehr freundlich von ihm! Ich hoffe, ich kann ihm zeigen, daß wir, obgleich Hinterwäldler, mein lieber Ned, nicht gerade Wilde sind. Wer ist der junge Mann, den er mitgebracht hat?»

Außer der Bemerkung Sir Waldos, daß sein Cousin ihm Gesellschaft leiste, konnte der Gutsherr nichts zur Aufklärung beitragen. Er hatte den jungen Mann nicht gesehen, und es schien ihm nicht schicklich, Einzelheiten zu erfragen. Tatsächlich – wie seine Gattin später Mrs. Chartley mit einiger Erbitterung erzählte – schien es ihm offensichtlich nicht schicklich, überhaupt etwas über Sir Waldo zu erfahren. Sie konnte sich nicht vorstellen, worüber die beiden eine ganze Stunde gesprochen hatten.

Der nächste, der Sir Waldo sah, war Courtenay Underhill, und das unter Umständen, die alle Zweifel ausschlossen. Ihm wurde der seltene Glücksfall zuteil, zu sehen, wie der Unvergleichliche gerade ein solches Kutschierkunststück ausführte, das Courtenay zu schauen ersehnte; und davon konnte er nun seinen Freunden erzählen. Er ritt die Straße entlang, als er Sir Waldos Phaeton näher kommen sah. Er wußte sofort, daß es seiner war, denn er erkannte die Pferde. «Welch ein Gespann! Ich habe nie so vollendete Traber gesehen, so aufeinander abgestimmt! Ich hatte einen wunderbaren Ausblick, denn es war auf der langen Strecke, gerade eine Meile von der Abzweigung nach Leeds. Nun, der Unvergleichliche kam in schnellem Trab und überholte einen Bauernwagen, dem ich gerade begegnet war. Der Knecht, der ihn lenkte, wich zur Seite, soweit er konnte, aber ihr wißt, wie schmal der Weg ist, der außerdem an jeder Seite einen Graben hat. Ich war sicher, daß der Unvergleichliche anhalten müsse, aber er fuhr ruhig weiter. Als er vorbei war, hielt ich an und blickte zurück – nun, ich muß sagen, ich dachte: Entweder er stoppt oder er kippt um in den Graben.»

«Er fuhr an dem Wagen vorbei – auf diesem Weg?!» entsetzte sich Mr. Banningham.

Der junge Mickleby schüttelte staunend den Kopf. «Ich hätte nicht einmal den Versuch gemacht, nicht gerade an dieser Stelle!»

«Du gewiß nicht», sagte Mr. Banningham mit gefühllosem Lachen. Zu dieser groben Anspielung auf sein Pech vor noch nicht langer Zeit errötete Arthur zornig. Aber ehe er eine geeignete Antwort finden konnte, sagte Courtenay ungeduldig: «Ach, laßt das! Er fuhr also vorbei, als ob – als ob Ellen zwischen ihnen lägen, nicht Zoll? So etwas habe ich mein Lebtag nicht gesehen. Ich sage euch noch etwas: er fängt den Peitschenriemen über seinem Kopf auf – das muß ich üben!»

«Oh!» sagte Mr. Banningham kennerhaft. «Nervöse Radpferde! Mein Cousin sagt, das wäre die geräuschloseste Art, aber es gibt nicht viele, die es können. Glaube nicht, daß ihr es könnt! Trug der Unvergleichliche F.H.C.-Kleidung?»

«Nein, zumindest weiß ich es nicht. Er trug einen sandfarbenen Kutschiermantel, eine Art eleganten Sportmantel, aber weiter nicht aufregend. Greg sagt, die ganz Eleganten haben ein Dutzend und mehr Kragencapes an ihren Kutschiermänteln, aber ich habe nichts dergleichen wahrgenommen. Auch keine Blume im Knopfloch, nur ein paar Peitschenspitzen durchgezogen.»

Der Unvergleichliche, der nicht bemerkte, welches Interesse er hervorrief, fand mittlerweile genug Arbeit in Broom Hall, die ihn viel länger in Yorkshire zurückhielt, als er vorausgesehen hatte. Das Haus war in besserem Zustand als erwartet, der Haupttrakt, obwohl renovierungsbedürftig, war, wie Wedmore eifrig versicherte, ganz trocken. Das konnte Wedmore allerdings vom Ostflügel, der einige Zimmer ohne jedes Mobiliar enthielt, und vom Dienertrakt nicht behaupten. In den letzten Jahren, sagte er, hätte der gnädige Herr sich nicht viel darum gekümmert. Dachziegel fehlten; zwar tat er sein Bestes, den Regen mit Eimern aufzufangen, aber er konnte nicht leugnen, daß diese Teile des Hauses feucht waren.

«Ich kann nur hoffen, daß sie nicht von Trockenfäule befallen sind», sagte Sir Waldo. «Wir müssen sofort einen Baumeister kommen lassen, der alles gründlich untersucht. Beschäftigte Mr. Calver einen Verwalter?»

«Nein, Sir», sagte Wedmore entschuldigend. «Wir hatten einen – Mr. Hucking, einen sehr anständigen Herrn – aber – aber ...»

«Nicht in den letzten Jahren», ergänzte Sir Waldo.

Weder das schandhafte Dach noch das Fehlen eines Verwalters waren Wedmores Schuld; aber er war ein scheuer, nervöser Mann, gewöhnt, für alle Unzulänglichkeiten in dem Hause die Schuld angelastet zu bekommen, so daß einige Augenblicke vergingen, ehe er begriff, daß Sir Waldo tatsächlich lächelte. Dann sagte er: «Der gnädige Herr wurde immer eigenartiger – wenn Sie mir den Ausdruck verzeihen. Mr. Hukking meinte, daß einige Sachen gemacht werden müßten, aber er konnte den gnädigen Herrn nicht dazu bringen, das Geld zur Verfügung zu stellen, und so gab er es auf. Er pflegte zu sagen, daß schlechte Hausherren schlechte Mieter machen, und ich muß gestehen – nun, Sir, ich muß sagen – Sie sehen ja selbst, wie es ist!»

«Ich habe genug gesehen, um zu wissen, daß ich die nächsten Wochen sehr beschäftigt sein werde», sagte Sir Waldo bitter. «Jetzt möchte ich mit Mrs. Wedmore die wichtigsten Angelegenheiten besprechen; bitten Sie sie, zu mir zu kommen.»

«Waldo, du wirst doch nicht mit deinem Säckel herhalten, um dieses gottverlassene Gemäuer in Ordnung zu bringen?» fragte Lord Lindeth, sobald Wedmore gegangen war. «Ich bin vielleicht ein Grünschnabel und sitze noch nicht lange im Sattel, aber ich bin kein Esel; und nur ein Esel kann übersehen, daß der alte Geizkragen, unser Cousin, das Gut zugrunde gehen ließ. Gewiß, wir hatten nicht mehr Zeit, als einen Blick darauf zu werfen, aber erzähl mir nicht, daß der alte Joseph jemals einen Penny für seinen Besitz ausgegeben hat, der ihm nicht herausgepreßt wurde, oder daß er die Äcker nicht kurzfristig an Gauner verpachtete, die aus dem Boden herausgezogen haben, was er hergeben konnte, ohne auch nur einen Penny hineinzupflügen. Ich kann es ihnen nicht verübeln. Wenn einer meiner Pächter in einer so baufälligen Ruine gehaust hätte, wie wir sie sahen, als wir gestern über das Land ritten – ich – Herrgott! – ich könnte meinen Kopf nicht aufrecht tragen!»

«Wohl wahr, du hast recht. Aber wenn man das Gut richtig bewirtschaftet, sehe ich nicht ein, warum es nicht halbwegs ertragreich sein sollte. Jedenfalls so weit ertragreich, daß es sich selbst erhält.»

«Nicht ohne viel Geld hineinzustecken», entgegnete Julian.

«Nein, mein Nestor! Aber kannst du dir vorstellen, daß ich das Gut in seinem jetzigen Zustand zum Verkauf anbiete? Du mußt eine schlechte Meinung von mir haben!»

«Ja!» sagte Julian lachend. «Du willst mich wohl glauben machen, du bringst das Gut nur in Ordnung, um es sofort mit Gewinn zu verkaufen; das kannst du mir aber nicht weismachen! Ich kenne dich viel zu gut, um mich von dir anschwindeln zu lassen. Du bringst es auf Glanz, um noch einige von deinen armseligen Waisen unterzubringen. Mag sein, daß es profitabel wird, aber ich wage zu wetten, daß du nicht das herauskriegen wirst, was du hineinsteckst.»

«Wenn der alte Joseph nur gewußt hätte, wie sehr du seines Geistes bist!» sagte Waldo, den Kopf schüttelnd. «Nein, nein, versuche nicht, mich breitzuschlagen, du weißt, es wird dir nicht gelingen – und wir werden sofort Mrs. Wedmore hierhaben. Wenn es dir ein Trost ist: ich habe mich noch nicht entschieden, ob das Gut das ist, was ich für meine <armseligen Waisen> brauche. Hingegen habe ich mich entschieden, daß es mir zu sehr gegen den Strich gehen würde, dieser Versuchung zu widerstehen.»

«Versuchung? Mir scheint, es ist mehr eine Verantwortung», rief Julian aus.

«Gerade deshalb!» stimmte Sir Waldo neckend bei. «Du hast, wie immer, ins Schwarze getroffen. Nein, du prätentiöser, junger Alleswisser, das werde ich nicht.»

Lord Lindeth, der seine Versuche, Sir Waldo umzustimmen, gescheitert sah, sagte mit einem Rest von Hoffnung: «Aber ich bin der Wahrheit recht nahegekommen, nicht wahr?»

«Pfuscharbeit!» neckte Sir Waldo und ließ seines Cousins Handgelenke los, als die Tür geöffnet wurde. «Oh, Mrs. Wedmore, kommen Sie nur herein!»

«Bitte, Sir!» sagte die Haushälterin mit einem Knicks. «Wenn es sich um das Laken handelt, das Seine Lordschaft gestern nacht mit dem Fuß durchgestoßen hat, es tut mir wirklich leid, aber sie ist so abgenützt, die Wäsche ...»

«Darum und noch um vieles andere», unterbrach er sie und lächelte ihr vertrauensvoll zu. «Lindeth, warum hast du's nicht mannhaft eingestanden? Hast wohl Angst gehabt, Mrs. Wedmore wird dir den Kopf waschen? Verlaß uns, und ich werde versuchen, sie wieder zu versöhnen!»

«Oh, Sir!» protestierte Mrs. Wedmore sehr verwirrt. «Als ob mir so etwas einfiele! Ich wollte Ihnen nur erklären ...»

«Natürlich wollten Sie! Aber das ist gar nicht nötig. Ich möchte, daß Sie mir sagen, was angeschafft werden muß, damit das Haus wohnlich wird, und wo man die Sachen schnell bekommen kann.»

Das klang wie Musik in Mrs. Wedmores Ohren. Sie schnappte nach Luft und sagte mit erstickter Stimme, die ihre Erregung nicht verbergen konnte: «Oh, Sir! Ich bin glücklich, wenn Sie das im Ernst sagen, Sir.» Da sie in seinem Gesicht Zustimmung las, holte sie tief Atem und brachte eine Reihe der dringendsten Anschaffungen hervor.

Das Resultat dieser Unterredung hätte ihn sehr gequält, wäre es ihm bekannt geworden. Sein Personal in Manifold nahm es für selbstverständlich, daß das, was nötig war, immer sofort bestellt wurde. Keiner seiner Nachbarn schenkte der (noch von seiner Mutter veranlaßten) Aufstellung eines neuen, hochmodernen, geschlossenen Küchenherdes die geringste Beachtung, und er konnte sich nicht vorstellen, daß die carte blanche, die er Mrs. Wedmore gab, das Gesprächsthema des Bezirks werden könnte.

Mrs. Underhill war es, die die Neuigkeit nach Staples mitbrachte, als sie von einem gemütlichen Plausch mit Mrs. Chartley vom Pfarrhaus heimkehrte. Mrs. Wedmore und Mrs. Honeywick vom Pfarrhaus waren alte Bekannte, und in das willige Ohr ihrer Freundin ergoß Mrs. Wedmore alle Einzelheiten dieser bis an Lebensende unvergeßlichen Kauforgie in Leeds. «Abgesehen von der Wäsche und dem Geschirr und dergleichen, hat er den Baumeister bestellt, damit dieser feststellt, was mit dem Dach zu geschehen hat, und jedes Brett im Haus soll er prüfen. Scheint also, daß er zu bleiben gedenkt, nicht wahr?» sagte Mrs. Underhill.

Miss Trent stimmte dem zu.

«Ja, aber andererseits», bedachte Mrs. Underhill, «sagte er zu Mrs. Wedmore, daß er keine Gäste einladen werde, und dingte deshalb auch keinen netten Lakai. Natürlich, er ist ein lediger Mann – aber man würde doch erwarten, daß er seine Freunde einladen wird, um bei ihm zu logieren – würden Sie das nicht?»

Da Miss Trent noch nicht darüber nachgedacht hatte, knüpfte sie auch keine Erwartungen daran, doch sie stimmte Mrs. Underhill abermals zu.

«Ja», nickte Mrs. Underhill mit bewölkter Stirne. «Aber etwas gefällt mir nicht, Miss Trent, er hat einen Lord bei sich!»

«Wirklich?» sagte Miss Trent und versuchte Haltung zu bewahren. «Was für einen – ich meine – welchen Lord, Ma'am?»

«Das kann ich Ihnen nicht sagen, denn Mrs. Honeywick erinnerte sich nicht seines Namens und konnte ihn daher ihrer Gnädigen nicht nennen; nur so viel wußte sie, daß er ein Cousin von Sir Waldo und sehr jung und hübsch ist. Nun, die Gattin des Gutsherrn wird wohl jubeln – Sie wissen ja, sie hält sich für einen Ausbund der Vornehmheit –, ich aber für mein Teil möchte nicht, daß junge Lords in unserer Nachbarschaft herumstreifen. Nicht, daß ich mir nichts aus guter Gesellschaft mache. Als Mr. Underhill noch lebte, haben wir immer wieder die Gedecke für unsere Gäste vermehrt, gar nicht zu sprechen von den Gesellschaften in Harrogate und die Rennen in York, und ich verbrachte manche Zeit nicht nur mit einem Lord, sondern mit Dutzenden. Und überdies, meine Liebe, wenn Mrs. Mickleby sich noch so aufspielt, ein Dinner, wie ich es geben werde, kann sie nicht auf den Tisch stellen, darauf können Sie sich verlassen! Ja, und da fällt mir noch etwas ein! Sie schickt ihre Dinnereinladungen aus, und auf meiner steht kein Wort von Tiffany. Sie sagte zu Mrs. Chartley, sie wisse, daß ich es nicht gerne habe, wenn sie Tiffany zu einer formellen Party einlädt, da sie ja noch nicht genug reif ist. Also, wenn sie dieser Meinung ist, dann hat sie Tiffany noch nicht in einer ihrer üblen Launen gesehen! Aber das ist auch nicht der wahre Grund! Sie will Tiffany nicht dabei haben, da sie ihre Töchter in den Schatten stellt – ich muß sagen, ich nehme es ihr nicht übel, ein reizloseres Paar Mädchen wird man schwerlich finden!»

Es war offensichtlich, daß sie zwischen der Hoffnung, die Erbin für ihren Sohn zu angeln, und dem Wunsch, die Gutsfrau zu übertreffen, zerrissen wurde. Ihre Intelligenz war nicht überragend, aber sie hatte den gewissen gesunden Hausverstand, der ihr sagte, daß das freundliche Benehmen von Mrs. Mickleby nicht ein Ausdruck von Höflichkeit, sondern von Herablassung war. Mrs. Mickleby spielte sich ihr gegenüber als die grande dame auf, und das (wie sie in einem mitteilsamen Augenblick schon einmal zu Miss Trent gesagt hatte) war etwas, das sie nicht hinnehmen werde. Mochte Mrs. Mickleby noch so sehr mit Persönlichkeiten von Rang verwandt sein, und gewiß war sie die Gattin des Gutsherrn, aber Staples sei ein viel größeres Haus als das Herrschaftshaus, und wenn sie selbst auch von niedriger Herkunft sei, würde sie nie eine Frauensperson engagieren, die für sie oder ihre Gäste zu kochen habe.

Miss Trent zweifelte keinen Augenblick, worauf das hinaussollte. Sie war daher nicht überrascht, als Mrs. Underhill sofort das Gespräch darauf lenkte, wie viele Personen sie zum Dinner einladen sollte, wie viele Gänge serviert und ob – oder nicht – dem Dinner ein Tanz folgen sollte. Die Frage war, was Sir Waldo vorziehen würde. Was glaubte Miss Trent?

«Was Sir Waldo vorziehen würde, ist nicht so wichtig, Ma'am», sagte Miss Trent frei heraus. «Wichtig ist, was Sie vorziehen!»

«Nun, ich hätte nie erwartet, Sie einen solchen Unsinn reden zu hören!» rief Mrs. Underhill. «Wo die Party doch zu seinen Ehren gegeben wird! Nie würde ich meinen eigenen Geschmack zu Rate ziehen. Man gibt doch nicht Parties, um sich selbst zu unterhalten – ich zumindest nicht!»

«Nein, gewiß, Ma'am, Sie würden das nicht tun», sagte Ancilla herzlich. In ihren Augen tanzte ein Lächeln, das sie jünger und ausgesprochen schelmisch aussehen machte. «Gewöhnlich geben Sie sie, um Tiffany zu gefallen. Wissen Sie, das sollten Sie nicht!»

«Ja, Sie haben leicht reden, meine Liebe, aber ich halte es für ganz natürlich, daß sie ein bißchen Fröhlichkeit braucht, auch wenn ihre Tante Burford es nicht für schicklich gefunden hat, sie schon dieses Jahr in die Gesellschaft einzuführen. Und überdies – ich zögere nicht zu gestehen – denn ich weiß sehr wohl, daß ich zu Ihnen unbesorgt reden kann, wie ich denke –, wenn Tiffany es hier zu langweilig findet, wird sie kurzerhand ihren Onkel bitten, sie von hier wegzunehmen. Und das wird er tun, denn er hat sie nicht gerne wieder zu mir geschickt – das glaube ich sicher und es wundert mich nicht.»

Ancilla zögerte einen Augenblick. Dann hob sie den Blick und sagte schüchtern: «Ich verstehe Sie, Ma'am – natürlich! Aber – aber glauben Sie, daß Mr. Courtenay Underhill die geringste Neigung zeigt, sein Interesse – an – an seine Cousine zu binden? Und würden Sie sich mit ihr als Schwiegertochter wohl fühlen?»

«Nein! Aber das hat nichts damit zu tun. Es war der Wunsch ihrer beiden Familien – und sie ist noch so jung! Ich möchte sagen, sie wird mit den Jahren angenehmer werden», sagte Mrs. Underhill optimistisch.

Ihre Gedanken schalteten zu einem näherliegenden Problem um, nach einigen Augenblicken reiflicher Überlegung sagte sie: «Vierundzwanzig Paare haben in meinem Salon Platz, wahrscheinlich mehr; aber leider sind nicht genug junge Leute in diesem Bezirk. Außer ich würde Leute wie die Butterlaws einladen – was ich nie im Leben täte. Möglicherweise möchte Sir Waldo sich zu einem Rubber Whist niedersetzen? Was macht aber dann sein junger Lord? Wie ich das am besten arrangieren soll, macht mir viel Sorge.»

«Wie wäre es, Ma'am, wenn Sie keinerlei Entscheidung träfen, sondern alles dem Zufall überließen? Wenn Sie dann meinen, Ihre Gäste würden gerne ein wenig tanzen, könnte ich die Musik dazu machen.»

Das lehnte Mrs. Underhill entschieden ab. «Wenn ich eine Tanzparty mache, miete ich die Musikanten aus Harrogate, wie ich es zu Weihnachten getan habe», erklärte sie. «Meine Partys waren nichts Halbes und werden es auch nie sein. Außerdem will ich nicht, daß Sie sich herabwürdigen, als wären Sie nicht mehr als das Mondgesicht, das wir vor Ihnen hatten. Nein! Sie nehmen Ihren Platz am Tisch ein und helfen mir die Gäste unterhalten, als ob Sie zur Familie gehörten, was Sie meinem Gefühl nach wirklich tun, da Sie immer so freundlich und gefällig sind, meine Liebe.»

Ancilla errötete, aber sie schüttelte den Kopf. «Danke, Ma'am, Sie sind viel zu gütig, aber das ginge nicht gut aus. Denken Sie nur, welche Augen Mrs. Mickleby machen würde! Charlotte und ich werden unser Dinner im Schulzimmer essen, und ich bringe sie dann hinunter in den Salon, wie es sich für eine gute Gouvernante gehört.»

«Kein dummes Geschwätz!» bat Mrs. Underhill. «Sie wurden als Gouvernante und Gefährtin für Tiffany engagiert, und das ist etwas ganz anderes, auch wenn Sie so lieb waren, meine Charlotte zu unterrichten. Ich werde Ihnen immer dankbar sein, das verspreche ich Ihnen!»

«Ich glaube nicht, daß ich Dankbarkeit verdiene», sagte Ancilla traurig. «Ich hatte nicht viel Erfolg mit dem Unterricht.»

«Ach Gott», sagte Mrs. Underhill leichthin, «ich halte nicht viel davon, Mädchen in das Schulzimmer einzusperren, und ich halte auch nicht viel davon, ihnen den Kopf mit gelehrtem Zeug vollzustopfen. Wenn Sie ihnen beibringen, sich gefällig zu benehmen, werden Sie von mir keine Klage hören. Und was die Gattin des Gutsherrn betrifft – lassen Sie sie die Augen aufreißen! Übrigens glaube ich gar nicht, daß sie es tun wird, denn sie hat sich immer sehr für Sie eingenommen gezeigt, da Ihr Onkel ein General ist. Es hätte mich durchaus nicht gewundert, wenn sie Sie zu ihrer Party eingeladen hätte.»

Sie hielt inne, ihre eigene Rede brachte ihr das dringendste ihrer Probleme nahe. «Diese Party! Mein Gott, was sollen wir nur tun, Miss Trent? Tiffany wird wütend sein, wenn sie erfährt, daß sie nicht hingehen darf. Wird sie einen Wirbel machen! Ich gestehe, ich zittere, wenn ich nur daran denke!»

«Sie wird sicher einen Tobsuchtsanfall bekommen», stimmte Ancilla bei, «aber ich hoffe, ich werde sie beruhigen können. In keiner sehr korrekten Art, natürlich, aber es hat gar keinen Sinn, an ihren Verstand zu appellieren, denn leider hat sie keinen oder auch nur das geringste Verständnis für andere.»

Mrs. Underhills Protest war schwach. Sie konnte nicht leugnen, daß Tiffany, trotz ihrer zärtlichen Art, auf niemanden die geringste Rücksicht nahm. Sie untersuchte nicht, ob Miss Trents Methode, das oberflächliche Mädchen bei guter Laune zu halten, die richtige war, und Miss Trent selbst gab keine Erklärung ab. Jedenfalls war die Methode unorthodox und mußte das Mißtrauen jeder Mutter erregen, die ihre Tochter zu einer bescheidenen Dame von innerer und äußerer Schönheit heranwachsen sehen wollte. Aber Miss Trent hatte bald erkannt, daß ihr reizender Zögling von Eigennutz beherrscht war. Vielleicht würde ihre Natur sich ändern, wenn sie sich einmal richtig verliebte? Jetzt aber konnte eine gewissenhafte Lehrerin nichts anderes tun, als ihr beibringen, daß gute Manieren für den gesellschaftlichen Erfolg ebenso notwendig seien wie ein hübsches Gesicht, und sie davon abzuhalten, die Grenzen des Schicklichen zu überschreiten und mit jedem zu schelten, wenn etwas nicht nach ihrem Willen ging.

Als Tiffany (wie Miss Trent vorausgesehen hatte) wütend in das Schulzimmer kam, um sich über Mrs. Micklebys unverschämtes Benehmen zu beklagen, hörte sie ihr mit dem Ausdruck großen Erstaunens zu und rief: «Aber, guter Gott! – Tiffany, du wirst mir doch nicht erzählen, daß du zu dieser Party gehen wolltest? Das kann nicht dein Ernst sein!»

Tiffany atmete schwer, heftete aber einen neugierig fragenden Blick auf Miss Trent. «Wie meinen Sie das?»

Miss Trent hob die Brauen und sagte ungläubig: «Du in einem solchen abgeschmackten Gedränge? Oh, meine Liebe, wie ungehörig von mir, so etwas zu sagen! Charlotte, sitz nicht mit offenem Mund da! Du hast nichts gehört – und wenn du es wagst, zu wiederholen, was ich gesagt habe, treibe ich dich über eine Weide voller Kühe!»

Charlotte kicherte, aber Tiffany stampfte ärgerlich mit dem Fuß. «Es handelt sich um eine Party für Sir Waldo und seinen Cousin, und jeder wird dort sein!»

«Richtig! Nun, friß mich nicht gleich auf, aber ich muß leider sagen, das ist wirklich nicht eine Party, auf der ich erscheinen wollte. Du wärest die jüngste der Damen, und du kannst dich darauf verlassen, daß Mrs. Mickleby – wenn sie dich gebeten hätte – dir deinen Platz so weit entfernt wie möglich von ihren vornehmen Gästen angewiesen hätte. Ich kann mir vorstellen, daß du Humphrey Colebatch, den armen Jungen mit der schweren Zunge, als Tischherrn bekommen hättest. Außerdem – was man natürlich nicht erwägen sollte – könntest du nicht das Kleid tragen, was dir am besten steht – ich meine das mit den Schleifen und Bändern in der Farbe deiner Augen.»

«Doch, das könnte ich!»

«Nicht in Mrs. Micklebys Salon», sagte Ancilla. «Denke doch an die grünen Vorhänge und Sesselbezüge! Aller Effekt wäre verdorben!»

Tiffany wurde nachdenklich, sagte aber mit leichtem Schmollen: «Ja, aber ich sehe nicht ein, warum Mary Mickleby oder Sophia Banningham auf der Party sein dürfen, und ich nicht. Sie sind auch noch nicht offiziell bei Hof vorgestellt – zumindest hatten sie noch keine Saison in London.»

«Nein, aber ich könnte wetten, daß Mrs. Mickleby nur darauf wartet, bis das Dinner vorüber ist, um die Jugend in den Damensalon zu verfrachten, damit sie dort Gesellschaftsspiele oder was Ähnliches spielt. Du weißt, daß auch nicht getanzt wird, bloß geplaudert, und von den Herren ein bißchen Whist gespielt wird.»

«Nein, wie schäbig! Glauben Sie wirklich, daß es so sein wird? Sir Waldo und sein Cousin werden sich langweilen!»

«Zweifellos werden sie das. Aber wie angenehm wird dafür die Überraschung sein, wenn sie zur Party deiner Tante kommen werden!»

«Das ist wahr!» rief Tiffany mit strahlenden Augen.

«Sir Waldo!» rief Charlotte verächtlich. «Ich halte das für so dumm, jeder ist verrückt nach ihm, außer Miss Trent und mir! Sie machen sich doch nichts daraus, ihn kennenzulernen, Ma'am?»

«Nein, nicht besonders. Aber das ist gut so, denn ich vermute, daß er mich nicht interessanter finden wird als ich ihn.»