8

«Ich leugne es nicht, ich bin dankbar, daß uns ein schwerer hysterischer Anfall erspart geblieben ist», sagte Miss Trent zum Unvergleichlichen, als am Abend dieses denkwürdigen Tages Miss Colebatch ihren Eltern heil zurückgebracht worden war, «und ich zweifle nicht, daß Sie, Sir, zugeben werden, sich höchst bedenkenlos verhalten zu haben.»

«Ich leugne es», antwortete er kühl. «Ich habe die Szene nicht herbeigeführt, ich habe nicht ein einziges Zweiglein in die Flammen geworfen, und wenn ich mich eingeschaltet habe, so geschah es aus Ritterlichkeit.»

«Woraus?» fragte sie mit zitternder Stimme.

«Aus Ritterlichkeit», wiederholte er, ihrem erstaunten Blick mit ernster Haltung begegnend; doch seine Augen leuchteten so heiter, daß sie das Lachen kaum verbeißen konnte. «Ein so mitleiderweckender Blick hatte mich getroffen ...»

«Nein!» protestierte Miss Trent, «nicht mitleiderweckend! Nicht der meine!»

«Mitleiderweckend!» sagte er erbarmungslos. «Ihre Augen riefen mir <zu Hilfe!> zu. Wie konnte ich anders, als auf diesen Appell reagieren?»

«Nun werden Sie noch sagen, daß es Ihnen sehr gegen den Strich ging», sagte sie in gerechtem Zorn.

«Kein Dienst, Ma'am, den ich Ihnen erweisen kann, würde mir gegen den Strich gehen!»

Röte stieg ihr ins Gesicht, aber sie sagte ruhig: «Ich hätte wetten können, daß Sie eine Antwort parat haben!»

«Sie können ebensogut wetten, daß es mir damit ernst ist!»

Sie war plötzlich ein wenig sprachlos und wünschte zum erstenmal, sie hätte mehr Erfahrung in der Kunst des Flirtens. Zwar lag ein ernster Ton in seiner Stimme, aber Vorsicht warnte sie, sich von einem Mann von Welt, den sie für einen Meister des Flirts hielt, hineinlegen zu lassen. Es gelang ihr, wenn auch zitternd, mit einem Lächeln zu sagen: «Sehr nett gesagt, Sir Waldo. Ich muß es Ihnen auch hoch anrechnen, daß Sie Tiffany in guter Laune und ganz zahm zu uns zurückgebracht haben, wahrhaftig ein Triumph!»

«Sie weichen mir aus?»

Sie schwieg einige Augenblicke, dann sagte sie mit viel Zurückhaltung: «Ich glaube, Sie vergessen meine Stellung, Sir!»

«Im Gegenteil! Ihre Stellung ärgert mich zu sehr, als daß ich sie vergessen könnte.»

Sie blickte ihn erstaunt an: «Sie ärgert Sie?»

«Mehr, als ich ertragen kann! Sie sind erstaunt? Kommt es Ihnen so ungewöhnlich vor, daß ich Sie ungern in einer solchen Stellung sehe?»

«Guter Gott!» rief sie. «Sie glauben wohl, ich sei eine der unglücklichen Gouvernanten, die sich für vierundzwanzig Pfund im Jahr abplagen? Das bin ich nicht, ich bin wirklich sehr teuer!»

«Das sagten Sie mir schon einmal.»

«Es ist auch wahr! Ich prahle nicht gerne, aber ich will nicht, daß Sie glauben, ich friste eine elende Existenz aus Mitleid. Man zahlt mir 150 Pfund im Jahr!»

«Mein liebes Kind, und wenn Sie zehnmal soviel bekämen, es machte mir keinen Unterschied.»

«Das zeigt, daß Sie wenig davon verstehen! Ich versichere Ihnen, das ist ein großer Unterschied. Frauen, die hoch bezahlt sind, werden nicht wie Dienstboten behandelt.»

Mrs. Underhill sagte, die arme Lizzie tue ihr schrecklich leid, aber überrascht sei sie nicht. Sie und Charlotte hatten miteinander Sträucher gepflanzt, es war sehr heiß gewesen, und diese Arbeit hatte sie sehr erschöpft.

Miss Trent erwähnte Tiffanys Ausbrüche nicht, aber Courtenay gab seiner Mutter einen vollen und empörten Bericht. Er bezeichnete seine Cousine als eine veritable Hexe, deren er sich schäme. Sie sollte endlich aufhören, ihre Netze nach Lindeth auszuwerfen, denn der größte Dummkopf könne sehen, wie schändlich er ihr Benehmen finde.

Mrs. Underhill hielt das alles für schrecklich, aber sie vertraute Miss Trent an, daß jede Wolke ihren Silberstreifen habe: «Nun, meine Liebe, Courtenay sagte mir, daß Seine Lordschaft recht entsetzt war, so daß ich mich frage, ob er sich nicht daraufhin in die Büsche schlagen wird. Hoffentlich hat sie ihn angewidert, denn es gibt nichts, was Männer mehr hassen als den Staub, den Tiffany aufwirbelt, wenn sie Szenen macht. – Glauben Sie nicht auch?»

Miss Trent stimmte zu. Sie glaubte allerdings auch, daß Courtenays Widerwille stärker war als der Lord Lindeth' – aber das sagte sie nicht.

«Und ich bin sicher, Sie waren froh, daß Sir Waldo sie daran hinderte, weiterzureiten, und sie mit nach Bardsey genommen hat. Obwohl ich nicht sicher bin, daß ihm gerade das gelegen kam.»

Der Grundton dieser Anspielung war nicht mißzuverstehen. Miss Trents schöne Augen blickten sie unwillkürlich fragend an.

«Mein Gott! Als ob ich so beschränkt wäre, daß ich nicht wüßte, um wieviel lieber Sie ihm gewesen wären», sagte Mrs. Underhill mit fettem Kichern. «Glauben Sie mir, ich dachte anfangs, daß er sich für Tiffany interessiere; aber wenn ich auch keine Büchergelehrsamkeit besitze, habe ich doch genug Grütze im Kopf, um zu sehen, daß er sich für Sie interessiert.»

«Sie irren sich, Ma'am, Sie müssen sich irren!» stammelte Ancilla.

«Nun, das habe ich selbst geglaubt, als mir zuerst diese Idee kam», gab Mrs. Underhill zu. «Nicht, daß ich glaube, Sie seien nicht vornehm genug – das brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen; ich bin sicher, daß Sie jeder als erstklassige Dame einschätzt. Sie haben eine vornehme Art, die selbst Mrs. Mickleby öfter als einmal mir gegenüber lobend erwähnt hat. Aber andererseits kann man auch erwarten, daß ein so feiner Herr wie Sir Waldo die Augen nach viel Höherem aufschlägt, wenn er nach einer Ehefrau Ausschau hält. Wie mir Mrs. Mickleby sagt, ist er von bester Herkunft, ganz davon zu schweigen, daß er steinreich ist. Der Himmel weiß, wie viele vornehme Damen ihn einfangen wollen!»

«Ma'am», sagte Miss Trent steif, «ich bin weder eine vornehme Dame noch gehe ich auf Fang aus!»

«Nein, meine Liebe, wie gut ich das weiß! Es sollte mich nicht wundern, wenn gerade das nach seinem Geschmack wäre. Wenn Sie mich fragen, ich würde sagen, daß nichts einen Mann schneller vertreibt als das Gefühl, eingefangen zu werden. Mein Gott! Die Weiber, die ihre Netze nach Mr. Underhill ausgeworfen hatten! Natürlich war er keine Attraktion aus der Stadt wie Sir Waldo, aber er galt als gute Partie und konnte unter allen Mädchen von Huddersfield wählen. Und was tat er? Wählte mich, weil ich ihm nicht mehr Aufmerksamkeit schenkte als den anderen.»

Miss Trent ergriff gerne die Gelegenheit, diese Abschweifung zu ermuntern, und sagte: «Ich glaube zwar nicht, daß er deshalb an Ihnen Gefallen fand, Ma'am, aber es scheint, daß Sie zahlreiche Verehrer hatten.»

«Ja, die hatte ich», sagte Mrs. Underhill befriedigt. «Sie würden es nicht glauben, wenn Sie mich jetzt sehen, aber – obwohl es sich nicht gehört, so etwas zu sagen – ich galt als sehr hübsches Mädchen, und man machte mir sehr viele Komplimente – aber das ist es nicht, was ich Ihnen sagen wollte.»

Miss Trent wußte aus Erfahrung: wie weit Mrs. Underhill auch von ihrem Thema abschweifte, sie verlor es selten aus den Augen. Da konnte sie nur resignieren.

«Sie werden es mir nicht übelnehmen, meine Liebe, wenn ich Ihnen sage: sooft ich den Blick in Sir Waldos Augen bemerke, wenn er Sie ansieht – niemand könnte ihn mißverstehen, obwohl es mir schwerfiele, ihn zu beschreiben –, verliere ich die Fassung. Wenn Sie mich fragen – ich bin der Meinung, daß er sich Ihnen erklären wird.»

«Liebe Ma'am, ich – ich bin Ihnen sehr dankbar wegen der Sorge, die Sie sich meinetwegen machen, aber Sie brauchen wirklich nicht die Fassung zu verlieren.»

«Ja, das glaube ich selbst», sagte Mrs. Underhill mit weisem Nicken. «Ich hätte Ihnen sonst einen Wink gegeben – Sie sind ja noch so jung, wenn Sie auch jedem einreden wollen, daß Sie eine alte Jungfer sind. Nein, sagte ich zu mir selbst: Er mag ein Wüstling sein – nicht, daß ich Grund hätte, so etwas zu glauben –, aber er würde Miss Trent nicht hofieren, wenn er nur eine Heirat zur linken Hand im Auge hätte, wo doch ihr Onkel der General Sir Maurdant Trent ist. Nun, das versteht sich von selbst, nicht wahr?» Sie hielt inne und blickte Ancilla erstaunt an. «Was habe ich denn gesagt, daß Sie so außer sich sind?»

«O bitte, verzeihen Sie, Ma'am», sagte Ancilla, ihre vor unterdrückter Heiterkeit feuchten Augen trocknend. «Aber das ist so – so absurd ...»

«Genau das! Aber sagen Sie mir nicht, daß er sie nicht hofiert, denn ich bin nicht blind. Und das müßte ich sein, wenn ich nicht sähe, was sich vor meinen Augen abspielt.»

Mit geröteten Wangen sagte Ancilla zögernd: «Ich glaube, Ma'am, Sie grübeln zu sehr über Sir Waldos Galanterien. Ich bin überzeugt, er hat keine andere Absicht, als sich zu unterhalten.»

Mrs. Underhills Gesicht wurde ernst. Aber nach einer Minute des Nachdenkens heiterte es sich auf, und sie sagte: «Nein, meine Liebe, da irren Sie sich. Wenn er mit Tiffany flirtet, was er natürlich nicht tun sollte – aber mein Gott, das tun sie doch alle, selbst der Gutsherr, und man kann es ihnen nicht übelnehmen, hübsch und keck, wie sie ist –, aber er sieht sie nicht so an, wie er Sie ansieht! Nein! Er spricht auch nicht so zu Ihnen, wie er mit ihr spricht. Und wenn sie nicht im Zimmer ist, sieht er nicht jedesmal nach der Tür, wenn sie geöffnet wird, in der Hoffnung, daß sie hereinkommt.»

Ancilla, nun ernstlich aus der Fassung gebracht, sagte unwillkürlich: «Oh, Mrs. Underhill, tut er das denn? Aber nein, sicher nicht!»

«O ja, meine Liebe, sicher tut er das!» Mrs. Underhill lachte fröhlich. «Und wenn Sie es dann sind – nun, wie oft habe ich mir gedacht: Wenn er mich so anlachen würde, mein Herz müßte höher schlagen, so alt ich bin!»

Miss Trent preßte ihr schlanken Hände gegen ihre glühenden Wangen. «Er hat ein reizendes Lächeln, ich weiß!»

«Natürlich wissen Sie es! Denken Sie an meine Worte: Er könnte mit der Frage herausplatzen, ehe wir Zeit haben, uns umzusehen. Und ich sage Ihnen, meine Liebe, es könnte mir nicht mehr Freude machen, wenn Sie meine eigene Tochter wären. Nicht daß er etwas für Charlotte wäre, auch wenn sie alt genug wäre, natürlich, aber sie ist nichts für ihn, denn soviel ich weiß, ist er verrückt nach Pferden, und Sie wissen, Charlotte kann die nicht ausstehen!»

Miss Trent versuchte zu lachen. «Ja, das weiß ich wirklich. Aber, liebe Mrs. Underhill, ich flehe Sie an, sprechen Sie nicht mehr darüber! Sie dürfen mich nicht zu lächerlichen Träumen ermuntern. Sir Waldo versteht es sehr gut, sich den Damen angenehm zu machen, und ich glaube, er hat schon viele Herzen gebrochen. Ich bin entschlossen, meines nicht brechen zu lassen. Sich vorzustellen, daß er – ein Traumgatte – nur einen Augenblick lang daran denken könnte, eine so ungleiche Verbindung einzugehen ...» Ihre Stimme versagte. Als sie sie wiedergewann, sagte sie mit dem Versuch eines Lächelns: «Ich weiß, Sie werden zu niemandem darüber sprechen!»

«Gewiß nicht! Aber benehmen Sie sich nicht altjüngferlich und versuchen Sie ihn nicht abzuwinken, weil sie glauben, Sie seien nicht gut genug für ihn. Das ist seine Sache! Verlassen Sie sich darauf, daß ein Mann von fünf- oder sechsunddreißig weiß, was für ihn das Richtige ist. Es wäre doch herrlich für Sie – abgesehen davon, daß es die Dame vom Gutshof und Mrs. Banningham verrückt machen würde.»

Nach diesem belebenden Gespräch ging sie und überließ Miss Trent ihren Gedanken.

Diese Nacht dauerte es lange, ehe sie einschlafen konnte. Mrs. Underhills offene Worte zwangen sie, der Wahrheit – der sie bis jetzt auszuweichen versucht hatte – ins Auge zu sehen; sie liebte den Unvergleichlichen seit Wochen.

Wie ein dummes, schwärmerisches Schulmädchen kam sie sich vor, das in dem prominenten, mit der Aureole der Unvergleichlichkeit umgebenen Korinthier so etwas wie einen Helden sah, weil er ein hübsches Gesicht und eine prächtige Gestalt hatte, weil er seine mutigen Pferde mit müheloser Meisterschaft beherrschte, weil er sich mit selbstverständlicher Sicherheit bewegte, die dumme Gänse – wie sie selbst eine war – verleitete, in ihm einen Halbgott zu sehen.

Natürlich war sie nicht ganz so einfältig. Sie konnte nicht anders, als seine Erscheinung bewundern, aber sie hatte sich nicht in sein Gesicht oder in seine Gestalt verliebt und bestimmt nicht in die Eleganz, mit der er sich trug. Seine Manieren hatten einen besonderen Charme – aber sie entschied, daß es auch nicht das war. Sie dachte, es könnte der Humor sein, der in seinen Augen lauerte – oder vielleicht sein Lächeln? Aber auch Lord Lindeth hatte ein reizendes Lachen, und sie war durchaus nicht in ihn verliebt.

Tatsächlich – sie wußte nicht, warum sie den Unvergleichlichen liebte. Sie wußte nur, daß sie vom ersten Augenblick an, da sie ihn sah, sich so sehr zu ihm hingezogen fühlte, daß sie erschrak, denn er war zweifellos das Musterexemplar einer Gruppe von Personen, die sie ablehnte.

Die Vorsicht befahl ihr, sich auf das, was Mrs. Underhill sagte, nicht zu sehr zu verlassen. Viel besser als Mrs. Underhill wußte sie selbst, wie unwahrscheinlich es wäre, daß ein Mann von Sir Waldos Möglichkeiten, der eine Gattin aus den höchsten Kreisen wählen könnte und schon dem Alter entwachsen war, eine voreilige Verbindung einzugehen, die Absicht haben sollte, seine Hand einer Unbekannten anzubieten, die weder große Bedeutung noch besondere Schönheit aufzuweisen hatte. Andererseits schien das, was er ihr sagte, als sie sich am Tor von Staples trennten, anzudeuten, daß er mehr als einen Flirt beabsichtigte. Wenn er nur einen Flirt im Sinne hatte, warum sollte ihn dann ihre untergeordnete Stellung ärgern? Das konnte sie nicht begreifen. Oder, wenn es nicht ernst gemeint war, warum sollte er dann vorgeben, daß es ihn ärgere?

Wenn sie die Sache überdachte, mußte sie zugeben, daß sie sehr wenig von der Kunst des Flirtens verstand. Und gleich danach kam die Erkenntnis, daß sie auch sehr wenig von Sir Waldo wußte. Er hatte sich immer wie ein Gentleman benommen, gab sich weder überheblich noch gelangweilt und versuchte nie seine Gesprächspartner durch prahlerisches Gehaben zu beeindrucken. Weit davon entfernt, einen schlechten Einfluß auf seine jugendlichen Bewunderer auszuüben, hatte – nach den maßgeblichen Worten des Gutsherrn – sein Erscheinen in Broom Hall nur Gutes bewirkt. Zugleich mit ihren extravaganten Westen und enormen Halstüchern gaben sie auch waghalsige Sportübungen wie Eichkätzchen jagen oder die Treppen im Elternhaus mit ihren Pferden erklimmen, auf. Der Unvergleichliche trug niemals auffällige Kleidung, und er zeigte, daß er nichts von Draufgängern und ihren halsbrecherischen Eskapaden hielt. Anstelle wilder Exzesse als Folge seines Erscheines unter den jungen Aspiranten auf korinthischen Ruhm (wie sie der Gutsherr kichernd nannte) waren sie beflissen, sich so zu geben, wie es ihr Held für anständig hielt.

Allerdings war es möglich, daß Sir Waldo in seiner eigenen Sphäre eine andere Seite seines Charakters zeigen mochte, aber keinen Augenblick lang glaubte Ancilla, daß er Jugendliche irreleiten könnte. Doch konnte sie, soweit sie ihn kannte, annehmen, daß sein Pfad mit gebrochenen Frauenherzen gepflastert war. Kein Zweifel: er war ein Meister des Flirts, und sie war sich seiner verhängnisvollen Faszination wohl bewußt. Sie beschloß, das Beste wäre, nicht mehr an ihn zu denken. Nach diesem Entschluß dachte sie an ihn, bis sie einschlief.

Am nächsten Tag ließ sie sich in Mrs. Underhills hübscher neuer Barutsche nach Colby Place fahren, um sich nach Elizabeths Gesundheit zu erkundigen. Sie wählte Charlotte zu ihrer Begleiterin. Als aber Tiffany davon hörte, erklärte sie, daß sie genau dasselbe tun wollte, und bat Miss Trent sehr freundlich, ihr doch einen Sitz in der Barutsche zu überlassen. Charlotte, die sich keine Illusionen machte, sagte sofort ab und wollte lieber ihrer Mama Gesellschaft leisten, als den Sitz gegen die Fahrtrichtung einzunehmen. So kam es, daß Tiffany mit Miss Trent fuhr. In einem Kleid aus geblumten Musselin, mit einem reizenden Strohhut, der unter dem Kinn mit blauen Schleifen gehalten war, glich sie einem Bild lieblicher Unschuld. Ein Schirmchen schützte ihren Teint vor der Sonne. Auf dem Vordersitz stand ein Korb voll Trauben, den Mrs. Underhill aus ihrem Glashaus (das den Neid aller Bekannten erregte) gespendet hatte. Miss Trent, die noch weniger Illusionen als Charlotte hatte, hätte nicht einmal einen Penny dagegen gewettet, daß Tiffany die Trauben als Zeichen ihrer eigenen Fürsorge überreichen werde. Zweifel, die sie noch hegen mochte, wurden durch die entwaffnend naive Erklärung des Mädchens zerstreut.

«Jetzt kann niemand glauben, ich wäre zur armen Lizzie unfreundlich gewesen, nicht wahr? Und noch etwas, Ancilla, ich habe Patience eingeladen, am Freitag mit uns nach Leeds zu fahren, weil sie nächste Woche für den Ball bei den Colebatchs Handschuhe und Sandalen kaufen will. Auch ich möchte Einkäufe machen. Sie wußte nicht, wie es anzustellen, da Mrs. Colebatch mit einer Kolik zu Bett liegt.»

«Das ist aber nett von dir», sagte Miss Trent bewundernd.

«Ja, ich glaube, es ist nett von mir», sagte Tiffany, «denn nichts ist so unbequem, wie eine dritte Person im Wagen zu haben. Das bedeutet also, daß Sie gegen die Fahrtrichtung werden sitzen müssen – aber ich wußte, Sie würden nichts dagegen haben.»

«Nein, wirklich nicht», sagte Miss Trent mit großer Herzlichkeit. «Ich bin sehr glücklich, daß du mir gestattest, mein Scherflein zu deiner Großmut beizutragen.»

«Ja», sagte Tiffany, die den Spott in Miss Trents Worten nicht bemerkte. «Ich war sicher, Sie würden sagen, daß ich vollkommen richtig gehandelt habe.»

In Colby Place stellten sie fest, daß sie keineswegs die einzigen Besucher waren. Im Schatten einer mächtigen Ulme stand ein Phaeton mit einem prächtigen Gespann. Ein Stallbursch in einfacher Livree grüßte die Damen, eine Hand an den Hut gelegt.

Tiffany rief aus: «Oh, Sir Waldo ist hier!»

Aber als sie das Haus betraten, bemerkten sie, daß nicht Sir Waldo, sondern Lindeth mit Lady Colebatch in ihrem Boudoir plauderte. Er sprang auf, als sie hereingeführt wurden, und seine Augen leuchteten auf, als er Tiffany erspähte. Als sie die Hausfrau begrüßt hatte und sich umwandte, um ihm die Hand zu reichen, sagte er: «Das ist schön! Ich wußte, daß Sie kommen werden!»

«Natürlich», sagte sie und strahlte ihn an. «Die arme Lizzie! Geht es ihr besser? Ich habe ihr Trauben mitgebracht.»

Lady Colebatch nahm den Korb dankend entgegen und antwortete freundlich, daß Lizzie weiter nichts fehle und daß sie nach einem Ruhetag wiederhergestellt sein werde. Dann lud sie Tiffany ein, in Miss Colebatch' Schlafzimmer zu gehen.

«Patience, nein! Was hat sie veranlaßt zu kommen?» fragte Tiffany erstaunt und keineswegs erfreut, als sie entdeckte, daß des Rektors Tochter schon vor ihr einen Krankenbesuch gemacht hatte.

Noch weniger erfreut war sie, zu erfahren, daß Patience, als sie durch die geheimen, aber unvermeidlichen Verbindungen im Dorfe von Lizzies Unpäßlichkeit gehört hatte, den Weg von drei Meilen nach Colby Place zu Fuß antrat. Lindeth, der in Sir Waldos Phaeton zu demselben Krankenbesuch unterwegs war, überholte Patience und lud sie ein, sich neben ihn zu setzen. Lady Colebatch sagte mit ahnungsloser Heiterkeit, wie sehr sie das beruhige; obwohl sie Patience als unermüdliche Fußgängerin kenne, hätte sie der Gedanke mit Sorge erfüllt, daß diese in der Hitze so weit wandern mußte.

Es schien, daß Julian während der kurzen Fahrt seine Zeit nicht ungenützt gelassen hatte. Zufällig erwähnte Miss Chartley die geplante Einkaufsexpedition nach Leeds, und er hatte sofort einen grandiosen Plan parat, den er jetzt Miss Trent vorlegte. «Ich weiß, daß mein Cousin am Freitag geschäftlich in Leeds zu tun hat, und somit lade ich Sie alle zu einem Lunch im King's Arms ein», sagte er heiter. «Bitte, sagen Sie doch zu, Ma'am. Von Miss Chartley habe ich schon eine Zusage – wenn ihre Mama nichts dagegen hat.»

«Nun ja», neckte ihn Miss Trent, «sie würde etwas dagegen haben, wenn ich nicht als Anstandsdame dabei wäre. Mein lieber Lord Lindeth, wo finde ich Worte, Ihnen für die so überaus schmeichelhafte Einladung zu danken? Ich bin überwältigt!»

Er wurde rot und lachte. «Nein, so habe ich es nicht gemeint, das wissen Sie genau. Miss Wield, was halten Sie davon?» Und sanft fügte er hinzu: «Als Ersatz für den Lunch, den wir in Knaresborough nicht hatten. Sie werden doch nicht so grausam sein abzulehnen?»

Zwar wurmte es sie, daß sie die letzte war, die die Einladung erhielt, aber da sie einen guten Tag hatte, sagte sie sofort: «O nein, das ist ein wunderbarer Plan und das Beste, uns nach dem Shopping zu erholen.»

Dann ging sie, sichtlich guter Laune, Elizabeth besuchen. Lady Colebatch bemerkte, sie wisse nicht, warum Lizzie so liebevolle Freunde verdiene.

Als Tiffany in Begleitung Miss Chartleys herunterkam, verabschiedeten sich alle. Miss Trent war neugierig, ob Lindeth' Verblendung so weit reichte, daß er Tiffany anstelle von Patience in seinen Wagen einlud; und sie wußte nicht, ob sie betrübt oder froh sein sollte, als er keinen entsprechenden Vorschlag machte. Als Patience vor dem Wagen wartete, damit er ihr beim Aufsteigen behilflich sei, zögerte er. Dabei richtete sie ihren fragenden Blick auf Tiffany und sagte in ihrer freundlichen Art: «Würdest du lieber im Phaeton fahren, Tiffany?»

Zweifellos wollte Tiffany das, und hätte Julian sie aufgefordert, wäre sie nach einiger Ziererei gnädig eingestiegen. Aber Julian forderte sie nicht auf und unterstützte auch nicht Patiences Einladung. Daß dies kaum höflich von ihm gewesen wäre, kam Tiffany gar nicht zum Bewußtsein; hätte sie es aber verstanden, dann würde sie ein solches Bedenken einfach beiseite geschoben haben; er war gegen Patience auf ihre Kosten höflich, und das war in ihren Augen eine unverzeihliche Beleidigung. Aber ehe sie Patience einen Sitz im Phaeton verdankte, wäre sie lieber zu Fuß nach Staples gegangen.

«Nein, danke!» sagte sie mit einem spröden Lachen. «Ich hasse es, in einem Phaeton zu fahren! Ich zittere die ganze Fahrt vor Angst – außer er wird von jemandem gelenkt, von dem ich weiß, daß wir nicht im Graben landen werden!»

Miss Trent, die eines der Leitpferde streichelte, sagte mit einer Stimme, die schon oft vorlaute Schüler zur Besinnung gebracht hatte: «Meine liebe Tiffany, du kannst doch sicher einen Herrenphaeton von einem Langbaumphaeton unterscheiden?» Damit ließ sie Tiffany stehen und wandte sich an Lindeth: «Die Tatsache, daß Sie Ihres Cousins Pferde lenken, sagt mir, daß Sie kein Stümper sind, Lord Lindeth. Oder haben Sie sie hinter seinem Rücken gestohlen?»

Er lachte. «Nein, das würde ich nicht wagen. Waldo überläßt mir immer seine Pferde, denn er lehrte mich die Zügel richtig zu gebrauchen. Bedenken Sie die Wunde, die sein Stolz erlitte, müßte er zugeben, daß er seinem Schüler seine Pferde nicht anvertrauen kann. Haben Sie keine Angst, Miss Chartley, ich bin kein Rennfahrer, aber umwerfen werde ich nicht!»

«Wirklich, ich habe kein bißchen Angst davor», antwortete sie und blickte scheu zu ihm auf. «Sie haben mich so angenehm hierher gebracht!»

«Danke!» Er sah, daß Tiffany im Begriffe war, die Barutsche zu besteigen, und ging hinüber, um ihr behilflich zu sein.

«Einmal werde ich Ihnen solche Reden abgewöhnen!» sagte er scherzend. «Die größte Ungerechtigkeit! Ich wollte, wir müßten uns nicht schon trennen, ich habe kaum mit Ihnen gesprochen. Haben Sie Miss Colebatch besser gefunden? Ihre Mama sagte mir, wir brauchen nicht zu befürchten, daß der Ball von nächster Woche verschoben werden muß. Wollen Sie den Walzer mit mir tanzen?»

«Wie?» rief sie. Ihren Trotz hatte sie schon vergessen. «Sie meinen das im Ernst? Sie wollen mit mir Walzer tanzen? Oh, halten Sie mich wirklich nicht zum besten?»

«Nein, das tue ich nicht! Ist das nicht herrlich?»

«O ja, und ein solcher Spaß!» rief sie und klatschte in die Hände. «Ich gestehe, ich bin vernarrt in Lady Colebatch! Aber wie wagt sie es, so modern zu sein? Stellen Sie sich die Augen von Mrs. Mickleby vor!»

«Der Walzer hat ihre Erlaubnis – fast ihren Segen!»

«Unmöglich.»

«Ich versichere es Ihnen.» Seine Augen funkelten. «Lady Colebatch beriet sich mit ihr, und sie fragte natürlich bei ihren modischen Londoner Cousins an, und die informierten wieder sie, daß der Walzer jetzt der letzte Schrei sei und selbst bei Almack's erlaubt wird. Nur Bauern sehen ihn noch scheel an. So ...»

«Oh, herrlich, herrlich!» rief Tiffany. «Die vornehme Mrs. Mickleby eine Bäuerin! Jetzt verstehe ich!»

«Und Sie werden mit mir antreten?»

«Wenn meine Tante es erlaubt», antwortete sie zimperlich.

Er lächelte, preßte ihre Hand flüchtig und ging zu seinem Wagen. Tiffany war so entzückt, daß sie es nicht nur ertrug, ihn an Patiences Seite losfahren zu sehen, sondern auch lustig mit Miss Trent über alle bevorstehenden Freuden plauderte, bis sie in Staples angelangt waren.