Prolog
Es war Sommerszeit und im Jahre des Herrn 1358, genau zwei Tage vor dem Tag des hl. Barnabas, da sprach eine Stimme aus dem Himmel in meinem Ohr.
»Margaret«, sagte die Stimme, »was genau tust du da?« Meine Feder hielt inne, und ich blickte auf.
»Als ob Du das nicht wüßtest«, sagte ich zu der stillen Luft.
»Natürlich weiß Ich das, aber Ich will es von dir hören, denn das ist etwas ganz etwas anderes«, antwortete die Stimme.
Wenn ich aber bei der richtigen Stelle anfangen soll, so muß ich damit anfangen, daß Gott mich mit Töchtern gesegnet oder eher geschlagen hat, denn die sind für Mütter Strafe und Prüfung zugleich. Und wenn wir uns einst am Tag des Jüngsten Gerichts für all unser Tun verantworten müssen, was werden wir sagen, wenn sich unsere Töchter als zu störrisch und ungeduldig zum Handarbeiten erwiesen haben? So stellt Gott uns auf die Probe und straft uns gleichermaßen für unsere Eitelkeit, denn Mütter von unlenkbaren Kindern müssen stets demütig sein.
Der Tag jedoch, an dem die Stimme zu mir sprach, war rundherum schön und warm, und alles grünte und blühte. Wieder einmal waren wir für den Sommer mit dem gesamten Haushalt von London aufs Land gezogen; in den Küchen des Herrenhauses von Withill konnte man endlich wieder wirtschaften, und so störte nur noch das stetige Gehämmere der Zimmerleute, welche die niedergebrannten Ställe und Nebengebäude neu errichteten. Die Luft war so frisch, und die grüne Flur so einladend, daß nur ein Einfaltspinsel auf den Gedanken kommen konnte, zwei so eigensinnige, kleine Mädchen wie Cecily und Alison würden sich an ihre Pflichten erinnern. Und nur ein Obereinfaltspinsel mochte wähnen, daß zwei Mädchen, so listig wie die Schlangen, nicht auch noch ihre Kinderfrau herumbekommen könnten. Doch als ich die lange Außenstiege hochkletterte, um rasch einen Blick in die Kemenate unter dem Dachgesims zu werfen, da ahnte ich noch nicht, was ich vorfinden würde. Leer! Mir war sofort klar, was sich hier abgespielt hatte – unter dem Stickrahmen standen zwei paar kleine Schuhe herum, die Arbeit von Monaten wies ein paar Dutzend schlampige Stiche mehr auf, und auf dem Fensterbrett lag verlassen Mutter Sarahs Kunkel.
»Sie ist um keinen Deut besser als die beiden! Wie konnte sie nur?« Ich rief aus dem Fenster: »Cecily! Alison!« und mich dünkte, ich hörte in der Ferne als Antwort schrilles Kindergelächter. Oh, schon wieder nicht bestanden, dachte ich trübsinnig. Wie soll ich aus ihnen jemals Damen machen? Und beim Jüngsten Gericht sagt Gott dann wohl: »Margaret, du hast zugelassen, daß deine Töchter verwildern. Ihre französischen Knoten halten nicht. Und die Gänseblümchen da? Pfui. Haargenau wie Pilze. Zu meiner Linken, du Unwürdige.«
Die Stille in der verlassenen Kemenate war jedoch so einladend, daß ich auf einmal wußte, solch eine herrliche Gelegenheit zum Schreiben würde sich so schnell nicht wieder bieten. Mein, alles mein, jauchzte mein sorgloses Herz. Raum, Ruhe und Stille! Und ehe ich wußte wie, hatte ich schon Feder und Papier aus der Truhe geholt und meine Aufzeichnungen über Hauswirtschaft rings um mich ausgebreitet.
Dazu muß ich sagen, daß ich vor langer Zeit den Plan faßte, alles aufzuschreiben, was mich Mutter Hilde gelehrt hat, damit nichts davon verlorengeht. Und nach mir soll dieses Wissen auf meine Mädchen kommen, damit sie einmal berühmt für ihre Kunstfertigkeit im Heilen, Kochen und der Hauswirtschaft werden. Daher ist es sehr gut, wenn das Ganze zu Papier gebracht wird, auch wenn wirklich alles Geheimnisse sind, denn falls mir etwas zustößt – wie kämen sie dann wohl zurecht? Denn das muß man ihnen lassen, mit der Nadel sind sie zwar langsam, aber in der Kunst des Lesens zeigen sie eine rasche Auffassungsgabe, und das findet man bei Frauen äußerst selten.
Ich setzte die Feder an der Stelle an, wo ich aufgehört hatte. »Wer keine Motten in seinen Wollsachen haben will…« hatte ich vor vielen, vielen Monden in London geschrieben. Was hatte sich seitdem nicht alles zugetragen! Ihr Vater tot, die ganzen Veränderungen dann. Ein heller Sonnenstrahl kam von dem kleinen Fenster und fiel als warme Lichtlache auf das Papier. Motten. Wie kann Mottenbekämpfung meine Mädchen glücklich machen?
»Zum Kuckuck mit den Motten! Was sollen mir Motten? Was ist nur in mich gefahren, daß ich überhaupt über Motten geschrieben habe?«
»Gewiß nicht Ich, Margaret.« Die Stimme klang warm und freundlich, so als wäre sie irgendwie mitten im Sonnenstrahl. Ich blickte vom Papier auf und musterte ihn eingehend. Aber ich konnte nur Tausende von tanzenden Staubkörnchen sehen, die allesamt golden schimmerten.
»Damals hielt ich es für eine gute Idee«, sagte ich zu dem Sonnenstrahl. »Aber jetzt besteht das Ganze nur noch aus Motten und Fischrezepten. Und dabei mag ich Fisch nicht einmal.«
»Warum schreibst du dann darüber?«
»Ich dachte, es geziemt sich so.«
»Bleib bei dem, wovon du am meisten verstehst, Margaret, denn das geziemt sich.«
Jetzt war natürlich alles klar. Gott sei Dank, ich mußte nun doch nicht über Fisch und Motten schreiben. Es ging um weitaus Wichtigeres. Und noch dazu um etwas, worüber meine Mädchen Bescheid wissen sollten, denn von der Welt bekommen sie nichts als Lügen aufgetischt und bleiben vollkommen nichtsahnend.
»Warum so geschäftig und so tintenklecksig?« fragte mein Herr Gemahl an eben diesem Abend. »Hast du dich wieder an dein Rezeptbuch gemacht? Vergiß ja nicht das Rezept für deine leckeren Fruchttörtchen aus Blätterteig – die wären wirklich ein Verlust für die Menschheit. Oh, wie werden mich meine künftigen Eidame preisen.«
»Ich schreibe eine Liebesgeschichte.«
»Noch so eine Erzählung über höfische Minne, auf daß Lug und Trug in der Welt weiter zunehmen? Damit führst du die Menschheit nur auf Abwege. Bleib du schön bei deinen Kuchen.«
»Nein, über dieses falsche, blumige Zeug wie Turniere und Liebespfänder und Lautenspiel in rosenüberrankten Liebeslauben will ich nicht schreiben. Ich schreibe über den Teil ›Und sie lebten glücklich bis an ihr seliges Ende‹. Ich schreibe über wahre Liebe.«
»Wahre Liebe? Oh, noch viel schlimmer, Margaret. Kein Mensch schreibt über dergleichen. Zum einen gehört es sich nicht. Zum anderen ist es unsäglich langweilig. Nein, wenn du über die Liebe schreiben willst, mußt du dich schon an die Konventionen halten. Interessant ist doch nur, wie man sie erringt, nicht wie man sie lebt. Sieh dir Tristan an! Und Lancelot! Was für eine Liebesgeschichte hätte das wohl abgegeben, hätten sie bekommen, wonach sie begehrten. Tristan ehelicht Isolde, und dann setzen sie ein Dutzend mondgesichtiger Bälger in die Welt! Lancelot und Ginevra brennen durch und gründen einen Hausstand, und sie schimpft mit ihm, weil er Schmutz ins Haus schleppt! Was hat das noch mit ritterlicher Minne zu tun? Nichts, gar nichts! Daraus läßt sich keine Liebesgeschichte machen. Darum hören die Geschichten der trouvères, die im Gegensatz zu dir wissen, daß Eheleute nur noch Fett ansetzen, immer vor der Hochzeit auf. Blick den Tatsachen ins Auge, Margaret. Du hast nicht die geringste Ahnung, wie man Liebesgeschichten schreibt. Bleib du bei Rezepten.«
Natürlich machte ich mich auf der Stelle an die Arbeit. Auch wenn sich mein Herr Gemahl, der eine Reihe von Gedichten zu diesem Thema geschrieben hat, für eine Autorität in Sachen Liebe hält, ich, ja, ich habe weitaus mehr geliebt.