Kapitel 12

Er fühlt sich elend, Malachi, ich merke es doch.« Ich hatte mich aus dem Fenster gebeugt, um mir die Frühlingssonne aufs Gesicht scheinen zu lassen. Hierzulande setzte die Sommerhitze früh ein, und in dem Zimmer unter der Dachtraufe war es zum Ersticken. Allmählich drehte ich durch; so lange war ich nun schon eingesperrt und hatte kaum mehr zu tun gehabt, als Gregorys keuchendem Atem zu lauschen oder den seltsamen Worten, die er von sich gab, wenn sein Geist sich verwirrte. Als ich dann Malachi die Außentreppe zu unserer Dachstube hochkeuchen sah, brannte ich nur so darauf, ihm von meiner Idee zu erzählen.

»Elend?« Selbst Malachi mußte den Kopf einziehen, als er über die Schwelle des kleinen Zimmers trat. »Du machst dir Sorgen, weil er sich elend fühlt? Er lebt! Wenn das nicht Grund zur Freude ist, dann weiß ich nicht was!« Sein Blick wanderte kurz zu der schlafenden Gestalt auf dem Bett. »Und ich zerbreche mir alleweil den Kopf, habe ernste Sorgen, weil wir beispielsweise kein Geld oder andere Mittel für die Heimfahrt haben. Fühle ich mich etwa elend? Nein! Mein Kopf brodelt nur so von Plänen. Ich beschäftige mich mit nützlichen Gedanken. Und dabei dürfte ausgerechnet ich mich elend fühlen! Mir würde es zukommen, mich elend zu fühlen und den lieben langen Tag im Bett zu liegen, damit sich alle um mich sorgen und mir Wein und Obst anbieten könnten. Mein Buch, mein wunderbarer Schatz, der mich zu dieser albernen Suche verleitet hat, ist eine wertlose Fälschung. Sag an, was sonst könnte eine empfindsame Seele wie meine noch elender machen?«

Wenn Bruder Malachi in dieser Stimmung ist, ist mit ihm nichts anzufangen, man muß ihn einfach ablenken.

»Bruder Malachi, ich brauche Eure Hilfe. Hilde und mir ist da eine Idee gekommen, und jetzt wollen wir einkaufen. Aber wir brauchen einen Fachmann wie Euch, der uns dabei hilft.«

»Glaub ja nicht, daß du mich mit diesen schlauen, schmeichlerischen Worten ablenken kannst, Margaret. Woher hast du Geld, abgesehen von dem, was du mir gegeben hast?«

»Ich habe ein paar Sachen verkauft, die ich nicht brauche.«

»Was –?« Er musterte mich eingehend, wollte sehen, was ich abgestoßen hatte.

»Ich will ihm ein Geschenk kaufen. Er braucht ein Buch.«

»Margaret, dein Überwurf fehlt, doch dafür bekommt man noch kein Buch.«

»Es ist Sommer. Wir brechen bald auf, also brauche ich ihn nicht mehr.«

»Was sonst noch, törichtes Frauenzimmer?«

»Die gräßliche Trauerkleidung. Ich habe sie ausgebessert und verkauft. Alle Welt braucht Trauerkleider, es ist Sommer und Pestzeit. Alle außer mir. Ich bin nicht mehr traurig. Ich habe einen guten Preis dafür bekommen – mit diesem ekelhaften Fliederduft wirkten sie vornehmer. Pu. Fliederwasser.« Unwillkürlich schauderte mich.

»Ts, ts. Dich fröstelt, Margaret«, bemerkte Malachi. »Ich fürchte, es war ziemlich voreilig, die Kleider wegzugeben. Aber an deiner Miene sehe ich, daß es hinter meinem Rücken geschehen ist. Was hast du sonst noch verkauft?«

»Nur die Tragesänfte.«

»Nur die – was? Und wie, mit Verlaub, willst du ihn nach Haus bekommen?«

»Er kann reiten, wenn wir aufbrechen, weil er dann gesund ist. Wenn er erst wieder obenauf ist, wird er nur noch reiten wollen.«

Bruder Malachi schüttelte den Kopf. »Margaret, du bist hoffnungslos, eine Träumerin, eine Irre. Das Fieber kommt und geht; er halluziniert immer noch, und wenn er bei Trost ist, bläst er derart Trübsal, daß er kein Wort redet. Und durch deine wahnwitzige Idee, ihn mit Hilfe eines Buches zu heilen, hast du nun deine letzten weltlichen Güter weggegeben. Du bist so rund wie ein kleiner Berg geworden. Findest du nicht, du hättest klugerweise Wiege und Windeln kaufen sollen.«

»Darum müßt Ihr mir auch bei der Suche nach dem Buch helfen. Es muß genau das Richtige sein. So begreift doch. Da ist ja auch Hilde wieder, wir können also gehen.« Mutter Hilde war in der Tat mit einem Eimer Wasser zurückgekommen. Nachdem sie ihn an Gregorys Bett abgestellt hatte, fühlte sie ihm die Stirn, aber er schlief mit geschlossenen, tief eingesunkenen Augen weiter, derweil sie ein Tuch in dem kalten Wasser auswrang. Das legte sie ihm auf die Stirn und bedeutete Sim, sich neben ihn zu setzen und das Handtuch zu wechseln, wann immer es nötig wäre. Sim nickte, aber ich merkte, er verargte es uns, daß wir ausgingen und er daheimbleiben mußte.

Der herrliche Aprilsonnenschein belebte die ganze Welt. Im Süden kommt der Frühling früh. Er ist eher wie der Sommer zu Hause. Hoch am blauen Himmel zogen weiße Wolken dahin. Die Türme des Papstpalastes schimmerten wie das leibhaftige Himmlische Jerusalem. Die engen Gassen zu Füßen des Palastes wimmelten von Obst- und Blumenverkäufern, Spaziergängern und großen Herren, wie es sie hier zuhauf gab.

»Oh, Malachi, sieh doch nur«, rief Mutter Hilde. »Wer ist das? Der Papst?« Zwanzig Vorreiter drängten die Menge beiseite, schafften einer kunstvoll vergoldeten Tragesänfte Platz. Drinnen saß ein ältlicher Edelmann ganz in Seide gekleidet wie der Himmelskönig und roch an einer Ambrakugel, um nicht den Gestank der Straße einatmen zu müssen. Gemessen an den Jagdhunden und Pferden und dem livrierten Gesinde in seiner Begleitung sah er tatsächlich wie ein sehr hoher Herr aus. Ein halbes Dutzend dicht verhüllter Mauleselsänften und eine lange Reihe von Packeseln und Dienern aller Arten zu Fuß und zu Pferd folgten seiner bewaffneten Eskorte. Es war ein äußerst prächtiger Zug; alles stand still und gaffte.

»Nein, das ist ein Kardinal«, sagte Bruder Malachi. »Das kann man am Wappen erkennen. Er dürfte seinen Haushalt auf sein Sommerschloß im Venaissin verlegen, jetzt wo mit der Hitze auch die Krankheit in die Stadt zurückgekehrt ist.«

»Malachi, seht doch, Frauen.«

»Margaret, ich hatte gedacht, du wärst unterdes so weltläufig geworden, daß dich derlei Nichtigkeiten nicht mehr entsetzten – oh, du liebe Zeit –« Bruder Malachi hatte gesehen, was auch ich gesehen hatte. Mitten in der fröhlichen Kavalkade saß in einer Mauleselsänfte mit dem Wappen des Kardinals in vergoldeter Schnitzerei eine Frau. Die Vorhänge der Sänfte waren zurückgezogen, um ihr Luft zu verschaffen. Sie war ganz blond und weiß, glitzerte von Geschmeide und hielt zwei winzige, weiße Hündchen auf dem Schoß. Hinter ihr liefen zwei kleine, schwarze Knaben mit Turban und ein halbes Dutzend Lakaien in Livree. Ich gaffte wie eine Blöde, dann lächelte ich und winkte, ich konnte einfach nicht anders. Sie wandte den Kopf – sie hatte mich gesehen, doch sie nickte nicht einmal, sondern blickte einfach geradeaus, damit alle ihr Profil und den juwelenbesetzten Kopfputz bewundern konnten. Es war Cis.

»Nun ja«, sagte Bruder Malachi. »Die Welt ist voller Wunder. Da, Margaret. Hier kommen Pflastersteine, nimm bitte meinen Arm – du mußt zugeben, daß du letztens ausnehmend unhandlich geworden bist. Wer hätte gedacht, daß ein so schlankes, rankes Ding wie du nicht einmal mehr seine eigenen Zehen sehen könnte?«

»Das ist in diesem Zustand eigentlich immer so, Malachi, Schatz«, bemerkte Mutter Hilde. »Du bist mit deinen eigenen Gedanken beschäftigt gewesen, daher ist es dir nicht früher aufgefallen.«

»So ist es, Hilde. Auf diesem Gebiet beuge ich mich deiner höheren Weisheit. Werden alle so riesig wie unsere Margaret hier?«

»Noch riesiger«, erwiderte sie.

Eine Frau mit einem großen Korb Erdbeeren auf dem Kopf schob sich an uns vorbei.

»Oh, Erdbeeren«, rief ich. »Mein Gott, wo hat sie die um diese Jahreszeit nur her? Ich könnte den ganzen Korb voll aufessen. Ich muß welche haben.«

»Zuerst Knoblauch, dann junger Löwenzahn, wo soll das noch hinführen. Ach, diese Frauen mit ihren ewigen Wünschen! Margaret, du mußt deine irre Eßlust bezähmen, sonst bekommt dein Kleines ein Geburtsmal.«

»Malachi«, Mutter Hilde zupfte ihn am Ärmel. »Ich möchte auch welche. Es ist so lange her –« Und während wir im Schatten des kühlen Steinbogens einer langen Arkade warteten, setzte Bruder Malachi der Frau nach und kehrte völlig außer Atem mit dem ganzen Korb zurück.

»Hoffentlich stellt das die gierigen Damen zufrieden; wir werden uns noch überall Erdbeerflecke machen.«

Doch schon bald hatte er uns, Erdbeeren hin, Erdbeeren her, in die Straße der Gelehrten geführt, wo sich der Laden eines der zahlreichen Literaturvermittlers aus Avignon befand. Dieser wäre der beste und größte, so erklärte er uns. Der Besitzer hatte sein eigenes Skriptorium und lieh auch Bücher an die Magister der Universität aus, bot desgleichen aber schöne Kopien aller neuen und gelehrten Werke an, neu wie auch aus zweiter Hand gefertigte. Die Anwesenheit des Papstes hatte Avignon zur gelehrtesten Stadt der Christenheit gemacht, wo es von Illuminatoren, Malern und Meistern der Schönschrift aller Arten nur so wimmelte. Wir kamen an Reihen von Schreibtischen für die ganztags arbeitenden Kopisten des Skriptoriums vorbei, an Auslagen mit Federn und Papier und blieben vor den breiten, schräg geneigten Borden stehen, auf denen die fertigen Bücher flach auslagen. Der Mann hier ging kein Risiko ein; er hatte seine Kostbarkeiten an die Borde gekettet. Viele waren ohnedies für mich zu breit und zu schwer zum Aufheben, einige gar märchenhaft gebunden und verziert. Zu teuer, dachte ich, und suchte nach bescheideneren. Der Besitzer, der an dem Korb mit den Erdbeeren erkannt hatte, daß wir keine sehr ehrbaren Bürger waren, schlich um uns herum.

»Ihr wünscht?« fragte er Bruder Malachi in Latein. Er hatte dunkles, kurz geschnittenes Haar, eine Gelehrtentonsur und ein langes, ausdrucksvolles, olivfarbenes Gesicht.

»Ich will ein Buch kaufen«, wandte ich mich im Französisch des Nordens an ihn. Er wechselte zu dieser Sprache, richtete sich jedoch an Bruder Malachi.

»Ihr wollt ein Buch kaufen?«

»Sie will ein Buch kaufen«, gab Bruder Malachi zurück. »Ich helfe ihr nur dabei.«

»Das Buch soll ein Geschenk sein«, sagte ich.

»Das Buch soll ein Geschenk sein?« fragte der Mann Bruder Malachi, als wäre er ein Übersetzer und als müßten die Worte von Frauen erst entschlüsselt werden, ehe ein anderer Mann sie verstehen konnte. Ich musterte die Bücher. Die dickeren, selbst die schlicht gebundenen, wirkten zu teuer. Ich würde es mit den dünnen versuchen, die abgegriffen aussahen. Das erste war in Latein.

»Das ist eine theologische Abhandlung über die Verdammnis, Margaret«, sagte Bruder Malachi auf Englisch. »Ich könnte mir denken, daß ihm die nicht zusagt.« Ich betrachtete ein anderes Buch. Der schlichte Kalbslederband sah abgewetzt aus. Die Zeilen waren kurz, es schien sich um Gedichte zu handeln. Latein war es jedoch nicht.

»Sind das hier Gedichte?« fragte ich. Es war das dünnste Buch von allen. Vielleicht von einem Rittergut verkauft oder von einem Studenten, der Geld für die Heimfahrt brauchte. Da war vielleicht ein gutes Geschäft zu machen. Außerdem mochte Gregory Gedichte, früher jedenfalls.

Der Mann überschüttete Bruder Malachi mit einem Wortschwall in Latein. Er fuchtelte mit den Armen. Er verdrehte die Augen.

»Margaret, der Mann sagt, das hier ist ein Werk des göttlichen Petrarca, den er persönlich gekannt hat. Er selber bezeichnet sich als leidenschaftlichen Musenjünger und will in seinen eigenen Gedichten die zartesten, leidenschaftlichsten Gefühle eingefangen haben, Gedichte, zu denen ihn der große Petrarca selbst ermutigt und angeregt hat, denn einst saß er zu dessen Füßen. Er sagt, wenn du Petrarcas Sonette magst, wirst du seine himmlisch finden, und die bekommst du noch billiger.« Bruder Malachi redete im Französisch des Nordens, damit alle Parteien des Handels mitbekamen, was er sagte.

»Fragt ihn«, gab ich in ebendieser Sprache zurück, »wie lange genau er zu Füßen dieses Petrarca gesessen hat.« Der Mann hörte zwar alles, doch Bruder Malachi mußte ihm die Worte einer Frau schon wieder übersetzen. Am Ende antwortete der Mann Bruder Malachi unter heftigem Armgefuchtel.

»Ich habe ihn verfolgt. Und wie das scheue Damwild ist er verschwunden. Aus seiner Herberge, aus dem Kreise seiner Anbeter hat er sich durch die Hintertür davongemacht. ›Meine Gedichte!‹ rief ich ihm nach, als er sich um Mitternacht heimlich aus dem Hinterfenster schwang. ›Ihr müßt sie noch lesen! Sagt an, großer Meister, sollte ich weitermachen?‹ ›Weitermachen!‹ rief er und entfloh hoch zu Roß. Und so habe ich weitergemacht. Bald hatte ich mehrere, dünne Bände zusammen. Meine Liebesgedichte. Meine Oden. Mein Epos über die Eroberung Konstantinopels. Und ich wußte, wo ich ihn finden konnte. Er hielt sich im Vaucluse verborgen. Ich machte eine Wallfahrt zu seinem Heiligtum. Welch göttliche Schlichtheit! Wie die alten Römer! Er wohnte allein mit einem Hund. Ich klopfte an die Tür. ›Mein Gott, nicht schon wieder Ihr!‹ rief er. Da wußte ich, daß der Schein meiner aufgehenden Sonne ihn über alle Maßen blendete. ›Meine Gedichte!‹ rief ich. ›Lest meine Gedichte. Ihr müßt mir sagen, was Ihr davon haltet!‹ Er mußte sie lesen, doch ich merkte, wie es ihn schmerzte, daß ich ihn übertroffen hatte. ›Diese Liebesgedichte‹, gab er widerstrebend zu, ›sind – einzigartig.‹ ›Meine Oden?‹ fragte ich. ›Noch einzigartiger.‹ Ah! Selbst der hehrste Geist muß mit der Schlange des Neides ringen. Aber er, der große Mann, das Genie, er obsiegte! ›Und mein Epos?‹ fragte ich. »Einzigartiger geht es nicht.‹ ›Gott segne Euch, Gott segne Euch, Maestro!‹ Ich küßte ihm Hände und Füße. Ich machte mich verzückt von dannen und nahm meine Gedichte mit, damit er mir nicht meine Ideen stahl.«

»Wie kann man zu jemandes Füßen sitzen, der am Laufen ist, Malachi?« fragte ich in Englisch.

»Komm, Margaret. Werde nicht keck«, gab Bruder Malachi in derselben Sprache zurück.

»Fragt ihn, Bruder Malachi«, fuhr ich auf Französisch fort, »ob er mit diesem altmodischen Kerl nicht ein gutes Geschäft machen möchte, da er selber ihn übertroffen hat – eigentlich dürfte er, sagen wir, weniger als sein eigenes Buch kosten, welches um so vieles besser ist.«

»Margaret –« mahnte Bruder Malachi, »du gehst zu weit.«

Der Mann verdrehte die Augen gen Himmel, und es standen Tränen darin. »Macht ihr klar«, sagte er, »daß mich nichts schlimmer trifft als die Tatsache, daß meine Gedichte keine weltweite Verbreitung finden. Wenn ich mich nicht selber bemühen müßte, ihnen Weltgeltung zu verschaffen, ich würde sie wohl kaum mit einem Nachlaß an Fremde verscherbeln.«

»Übermittelt ihm«, sagte ich und betupfte mir dabei gekonnt die Augen mit dem Ärmel, »daß mein armer Mann so krank daniederliegt, daß ihn nur noch die Poesie zu trösten vermag, er aber so schwach ist, daß er an seinen Gefühlen dahinscheiden könnte, falls er die machtvolleren Gedichte zuerst liest. Wenn er jedoch mit den schwächeren Versen beginnt, kann er so an Kräften zunehmen, daß er das größere Werk gefahrlos lesen kann. Also sollte er mir den Petrarca für weniger lassen, damit ich später wiederkommen und mir sein eigenes Werk holen kann.«

»Bedeutet ihr, sie bekommt es zum gleichen Preis, nicht mehr, nicht weniger.« Natürlich ließ ich Bruder Malachi keine Zeit, irgend jemandem irgend etwas zu bedeuten.

»Abgemacht«, sagte ich. Und der Mann sagte zu Bruder Malachi: »Erklärt ihr, daß ich ein Narr bin und daß meine kleinen Kinder Hungers sterben müssen.«

»Übermittelt ihm, daß die kleinen Kinder einer hehren Seele nie Hungers sterben müssen.«

»Hilde, Margaret«, wandte sich Bruder Malachi mit strahlendem Gesicht an uns. »Eben bin ich darauf gekommen, wie wir nach Hause gelangen können.«

Anfangs war Sim fest entschlossen, sich nicht vom Fleck zu rühren. Zwar war es nicht zum Aushalten, welches Aufhebens Margaret von diesem nutzlosen Kerl machte, aber er hatte es ihr nun einmal versprochen. Wochenlang hatte der Kerl, dieser unsägliche Langweiler, der kaum mehr tat als atmen, nur so herumgelegen. In manchen Nächten schreckte er mit weit aufgerissenen Augen hoch und kreischte, als sähe er Gräßliches; dann war er zumindest noch interessant, wenn auch etwas gefährlich, da er um sich schlagen konnte, sich Dinge vom Leibe halten wollte und sich dabei blutig kratzte. Aber wach war er einfach unausstehlich. Eine wahre Gewitterwolke, der Kerl. Nicht einmal Sims schöne Neuerwerbungen heiterten ihn auf, die mit glänzender Schädeldecke und leeren Augenhöhlen auf der langen Bank thronten, mit der das Zimmer möbliert war.

»Von Kerls wie euch habe ich die Nase voll«, murmelte Gregory dann wohl, wenn er die Augen aufschlug und die Schädel gewahrte. »Armselige Gesellschafter seid ihr mir die ganzen Wochen gewesen. Müßt ihr mich denn überall mit euren Glotzaugen verfolgen? Ich werde euch noch schnell genug Gesellschaft leisten.« Den ganzen Nachmittag mit diesem Langweiler eingesperrt, dachte Sim und ging zum Fenster.

Zwei Stockwerke tiefer erspähte er im Hof des Téte du Maure etwas Wundersames. Gleich neben der Stalltür war ein Mann, der sein Pferd einstellte. Hinter ihm standen zwei Windhunde. Und neben sich hatte er an einer Leine, die an einem Halsband mit kleinen Glöckchen befestigt war, einen Affen. Einen echten Berberaffen mit Haar am ganzen Körper und langen, ledrigen Händen und Füßen.

»Wo kommt denn der her?« Bewunderung schwang in Sims Stimme mit, und schon wollte er in den Hof laufen. Dann fiel ihm sein Versprechen ein. ›Nach jemand sehen‹ heißt nicht ›ansehen‹, oder? dachte er bei sich. Aber sie werden böse, wenn er herumtobt und Sachen zerschlägt. Und so wechselte er das Handtuch, falls dergleichen passieren sollte, was aber unwahrscheinlich war, dann band er der schlafenden Gestalt mit dem Seil vom Packsattel die Hände fest zusammen und verknotete die losen Enden am Bettgestell.

»Mit ein bißchen Glück wachst du gar nicht auf«, sagte er zu dem Schlafenden. »Und wenn, dann läufst du mir nicht durch die Gegend und tust dir etwas. Ich bin ohnedies rechtzeitig wieder da. Die erwischen mich schon nicht. Und wir sind quitt, was? Ich habe mich gut um Euch gekümmert, Sir Griesgram!« Und schon sprang er mit großen Sätzen wie ein Hase die Treppe hinunter.

Gregory wäre vielleicht wirklich nicht aufgewacht, wenn sich ihm nicht ein Teufel auf die Brust gesetzt hätte. Groß, grau und formlos war er und so schwer, daß Gregory beinahe keine Luft mehr bekam. Weg da, sagte er bei sich, doch der Kerl wich und wankte nicht, auch wenn er noch so heftig Luft holte. Er wollte ihn fortschieben, mußte aber feststellen, daß seine Hände gelähmt waren. Er fing an zu schreien und sich zu winden, aber er konnte sich nicht bewegen. Er riß die Augen weit auf und blickte sich im ganzen Zimmer nach Hilfe um. Keine Menschenseele da. Margaret hatte ihn verlassen. Als ob er es nicht gewußt hätte. Und der Teufel, der war so schwer, daß er ihm die Luft abdrückte.

»So sei es denn«, flüsterte er und wandte das Gesicht zur Wand. Doch gerade als er das tat, hörte er den Riegel klicken und die Tür aufgehen. Die Neugier war schon immer seine stärkste Triebfeder gewesen. »Sterben kann ich später auch noch«, murmelte er. »Erst will ich einmal sehen, wer das ist.« Der Teufel wirkte recht durchscheinend; er konnte jetzt geradewegs durch ihn hindurchblicken, und während er zusah, wie die Gestalt zur Tür hereinkam, schien das graue Etwas zu verblassen und zu vergehen, als wäre es nie dagewesen. Die Luft fühlte sich gut an. Er atmete tief durch und blickte dem eintretenden Fremden mit großen Augen entgegen.

Der Mann wirkte recht angenehm, war nicht viel älter als Gregory, trug den Bart kurz, die Haare jedoch ein wenig zu lang – wahrscheinlich um Geld zu sparen, jedenfalls nach seiner Kleidung zu schließen. Er trug Arztgewand und Arzthut, doch beides reichlich fadenscheinig. Gregory entdeckte mehrere säuberlich, beinahe unsichtbar aufgesetzte Flicken auf den durchscheinendsten Stellen des Gewandes. Er lächelte. Zweifellos jemand, den Margaret aufgetrieben hatte. So hatte sie ihn doch nicht verlassen. Sie hatte einen Arzt geholt. Sie hatte wirklich eine Begabung dafür, sich unter schäbigen Menschen Freunde zu machen. Wahrscheinlich hatte sie etwas dafür eingetauscht oder ihn angefleht zu kommen. Für einen erfolgreichen Arzt langte das Geld nicht. Er spürte, wie ihn der Fremde mit dunklen, lustigen Augen musterte.

»Margaret hat Euch zu mir geschickt, nicht wahr?« fragte Gregory.

»Nun ja, sie hat mich gebeten zu kommen, ja – aber in Wirklichkeit bin ich da, weil Ihr mich gerufen habt. Ihr wolltet, daß ich komme.« Er setzte sich auf das Bett, als wären sie gute, alte Bekannte.

»Tut mir leid, daß ich Euch im Liegen empfangen muß. Seht nur, was sie mit mir gemacht haben.«

»Es war nur die Angst, Ihr könntet Euch etwas antun«, sagte der Fremde, »aber ich weiß, dergleichen macht Ihr nicht.« Seine Finger beschäftigten sich mit Sims ungeschickten Knoten.

»Ich bin nicht bei Trost gewesen«, sagte Gregory. »Aber ich habe doch niemandem etwas getan, oder?« Der Fremde war fertig, ergriff Gregorys Handgelenk und fühlte ihm den Puls.

»Nicht wirklich«, sagte er. »Noch nicht.«

»Das ist aber eine häßliche Narbe da auf Eurer Hand. Daran bin doch nicht ich schuld, oder?«

»Nun ja, sozusagen doch. Aber das zählt im Augenblick nicht.«

»Tut mir sehr leid. Wart Ihr schon früher hier?«

»Die ganze Zeit.«

»Dann bin ich wirklich nicht ganz bei Trost gewesen, nicht wahr – ich kann mich nämlich überhaupt nicht an Euch erinnern.«

Der Arzt seufzte. »Damit steht Ihr nicht allein da. So geht es den meisten Menschen.«

»Auch das tut mir sehr leid. Eure Geschäfte gehen hier wohl nicht sehr gut? Nur nicht verzagen! Dergleichen habe ich auch schon durchgemacht. Überall gern gesehen, wenn es etwas zu feiern gab, aber keine richtige Arbeit. Nicht einmal mein Vater mochte mich.«

»Ach, da kann ich auch mitreden. Aber in dieser Stadt bin ich besonders schlecht gefahren, und dabei habe ich das Geschäft meines Vaters übernommen.«

Gregory fühlte sich schon viel besser. Er setzte sich auf.

»Hier gibt es nämlich nur Quacksalber. Die Menschen mögen viel Brimborium. Von den Ärzten erwarten sie, daß sie sich in Latein über Urin in einem Glasgefäß auslassen und ekelhafte, teure Arzneien verschreiben, die den Leib vergiften oder einem Schmerzen zufügen wie Schröpfen und zur Ader lassen.«

»Wollt Ihr mir sagen, wie ich mein Geschäft betreiben soll?« Der Arzt verzog keine Miene, aber in seinen Augen funkelte es belustigt.

»O nein, so war es ganz und gar nicht gemeint. Aber ein ehrlicher Arzt wie Ihr, der ohne Tricks arbeitet – merkt Ihr beispielsweise, wieviel besser ich mich bereits fühle, und Ihr habt mich noch nicht einmal zur Ader gelassen – nun ja, Ihr werdet nicht viel zahlende Patienten bekommen, wenn Ihr mit den – ah – Blendern wetteifert. Ihr werdet Euch demütigen und den Abschaum umsonst behandeln müssen.«

»Ach, wirklich, den Abschaum – so wie Euch?«

»Richtig, so wie mich.« Gregorys Miene zeigte einen Anflug von Trauer. Doch dann beugte er sich vor. »Sagt mir, wie hat sie Euch dazu gebracht, daß Ihr gekommen seid? Ihr wißt doch, daß wir Euch nicht bezahlen können.«

»O doch, Ihr könnt zahlen. Erzählt Margaret einfach, daß Ihr sie liebt. Ich möchte ihr Gesicht sehen, wenn Ihr das sagt.«

»Es geht nicht. Außerdem weiß sie, was ich für sie fühle. Das muß ich ihr nicht ausdrücklich sagen.«

»Warum könnt Ihr es ihr nicht sagen?«

»Weil es falsch ist, ganz falsch. Ich hätte sie einfach nicht heiraten dürfen. Ich – ich hatte nämlich eine Berufung.« Gregory klang verlegen.

»Ach, wirklich, eine Berufung? Wie geartet?«

»Von der richtigen Art. Ich wollte Gott dienen.«

»Aha. Andere Berufungen dienen Gott also nicht. Und wenn Ihr Gott dient, dann könnt Ihr nichts lieben, was Er geschaffen hat. Und um Gott zu beweisen, daß Ihr Ihn immer noch liebt, wollt Ihr Margaret nicht sagen, daß Ihr sie liebt, obwohl es so ist.«

»So formuliert klingt es wohl ziemlich wirr und engstirnig.«

»Das habt Ihr gesagt.«

Während Gregory darüber nachdachte, wurde seine Miene besorgt. »Aber wenn sie mich nun verläßt – fortgeht oder – oder stirbt? Darum sollten die Menschen ihr Herz nicht an Weltliches hängen, sondern nur – nun ja, Unvergängliches wie Gott lieben«, sagte Gregory.

»Sagt«, meinte der Arzt, »ist Euch schon aufgefallen, wie Margaret liebt?«

»Wie sie – was meint Ihr damit?«

»Wie sie ihr Herz in die Waagschale wirft, ohne an die Kosten zu denken? Glaubt Ihr etwa, sie weiß nicht genau, daß ein Kinderlächeln oder ein Menschenleben das Vergänglichste auf dieser Erde ist? Wer, meint Ihr wohl, hat sie so lieben gelehrt?«

Gregory schwieg lange Zeit. Der Arzt sah ihm beim Nachdenken zu.

»Liebt Gott selber nicht auch vorbehaltlos? Selbst noch seine verirrten Schafe?« Der Arzt sah Gregory ins bekümmerte Gesicht. Gregory wandte ihm die dunklen Augen zu und blickte ihn lange und durchdringend an. »Findet Ihr es nicht auch ziemlich anmaßend, vollkommen und ohne Risiko lieben zu wollen?« Die Stimme des Fragers klang nicht unfreundlich.

»Aber mein Herz könnte Schaden nehmen«, sagte Gregory jetzt auf einmal ehrlich.

»Das tut es so auch«, gab der Arzt zurück.

Gregory ließ den Kopf hängen.

Nach einem langen Schweigen, in dessen Verlauf Gregory heftig nachzudenken schien, fing er wieder an zu husten. Als er sich vornüberbeugte, stützte ihn der Arzt. Dann stand der Fremde auf und stöberte im Zimmer herum, als wäre es sein eigenes, bis er einen halb geleerten Krug mit Wein fand. Einen Augenblick später saß Gregory auch schon mit einem Becher in der Hand da, und der Arzt half ihm beim Trinken.

»Trinkt ein wenig, davon läßt der Husten nach.« Der Arzt war schon genauso lästig wie Margaret. Gregory hörte auf zu trinken.

»Ich hätte lieber in der Normandie sterben sollen. Das wäre besser gewesen. Ihr wißt doch, was der Dichter sagt: ›Ein Mann ist besser tot, als lebend und geschlagen.‹«

»Von welchem Dichter ist das?« fragte der Arzt und nahm ihm den Becher ab.

»Bertran de Born – einer der wenigen, die mein Vater schätzt. Aber der Husten ist besser geworden. Und was habt Ihr mit dem Teufel von vorhin gemacht? Er war zu groß, als daß er sich in diesem Zimmer verstecken könnte.« Gregory blickte sich um, doch jeder Winkel des Raumes war voller Sonnenschein.

»Ach, den bin ich losgeworden. Wie bei Teufeln so üblich, war er gar nicht so groß. Wie kommt Ihr auf die Idee, daß keiner Euch wiederhaben will? Wißt Ihr denn nicht, welche Mühsal Margaret auf sich genommen hat: Schwangere Frauen sollten zu Haus bleiben dürfen, Kinderkleider nähen und Obst essen. Und sie ist zu Fuß durchs Gebirge gewandert, hat ein Loch in Meiner Schöpfung geflickt und Euch herausgeholt, und das unter unendlichen Mühen.«

»Sie hat Flickarbeiten für Euch gemacht? So also hat sie Euch hierhergelockt. Tief sind wir gesunken! Flickarbeit in einer fremden Stadt anzunehmen! Habe ich Euch schon erzählt, wie reich sie war, als ich sie kennenlernte? Ihr seliger Mann hat ihr ein angenehmes Leben bereitet und ich nur Scherereien. Und doch hat sie nicht gezögert, sich zu erniedrigen, um die Arztgebühr zu bezahlen und Euch hierherzuholen. Es ist eine Schande. Eine Rittersfrau und Flickarbeit. Selbst wenn die Ritterwürde nur gekauft ist.« Gregory schüttelte den Kopf. Der Arzt stellte den Becher weg. »Nicht zu fassen, daß ich so hartherzig gewesen bin und ihr nicht gesagt habe, was sie hören wollte. Schließlich habe ich sie geheiratet, also bin ich der Sünder.«

Der Arzt setzte sich wieder hin und fühlte ihm noch einmal den Puls. »Viel besser«, sagte er.

»Ich bin undankbar gewesen. Ja, das bin ich«, fuhr Gregory ernst fort, so als disputierte er mit einem unsichtbaren Scholastiker, »vor allem wenn man bedenkt, was sie für mich getan hat. Wirklich ungewöhnlich, selbst wenn sie keine Frau wäre. Also, dieser Blondel, der ist in einer Ballade verewigt worden, wie er König Richard Löwenherz gerettet hat. Und niemand hat gesagt, es wäre besser, wenn König Richard tot wäre; alle waren froh, daß er wieder da war.«

Der Arzt musterte Gregory mit einem scharfen, schlauen Blick. »So ganz habt Ihr es noch nicht durchschaut, aber Ihr seid auf dem richtigen Weg. Fühlt Ihr Euch besser? Noch weitere Fragen?«

»Wohl nur noch eine. Ich habe Alpträume – Sinnestäuschungen, in denen mein Bruder Hugo vorkommt. Sie sind so echt, daß ich fast meinen möchte, er wäre hier. Ich höre entsetzliche Musik, und dann taucht sein Gesicht auf und rezitiert gräßliche Gedichte. Hat das irgendeine Bedeutung? Ist es ein schlimmes Zeichen?«

»Er ist wirklich hier. Euer Vater hat ihn hinter Euch hergeschickt, und er hat Margaret eingeholt, nachdem sie Euch schon gefunden hatte. So wie er geartet ist, bildet er sich natürlich ein, daß er Euch gerettet hat, obwohl er sich noch nicht ganz ausgedacht hat, wie. Was die Gedichte angeht, daran kann ich nichts ändern. Es steht dem Menschen frei, sich etwas zu eigen zu machen, selbst gräßliche Gedichte. Und nun, lebt wohl.«

»Hugo? Und von Vater geschickt?« Gregorys Stimme klang verwundert. »Geht noch nicht – bitte, verweilt ein wenig.«

»Ich muß mich noch um andere kümmern«, sagte der Arzt lächelnd, stand auf und hinterließ eine zerknautschte Stelle auf dem Bettlaken.

»Aber Ihr kommt doch wieder?«

»Wann immer Ihr darum bittet.«

»Muß ich noch mehr tun? Etwas einnehmen? Eklige Arznei? Klistiere? Dampfbäder? Eine scheußliche Diät?«

»Noch mehr?« Der Arzt drehte sich um, und dabei hatte er noch den Türriegel in der Hand. »Ja doch. Ich kenne da zwei einsame, kleine Mädchen, die einen Vater aus Fleisch und Blut brauchen. Denkt daran, wenn Ihr wieder zu Haus seid. Es wird Tage geben, da werdet Ihr Euch statt dessen nach bitterer Arznei sehnen. Zu solchen Zeiten mögt Ihr sie als Buße ansehen und Euch daran erinnern, daß ich Euch darum gebeten habe.«

Als der Arzt sich unter dem niedrigen Türsturz bückte, lächelte Gregory und schüttelte den Kopf. Wo um alles hatte Margaret nur einen Arzt aufgetrieben, der geschäftlich eine solche Niete war? Er hatte sich aber auch gar nichts einfallen lassen, um sein Honorar in die Höhe zu treiben, und dabei hätte er reichlich Gelegenheit dazu gehabt. Und als er die Tür aufmachte, sah Gregory, daß er unter dem ausgefransten Saum seines Gewandes barfuß ging wie ein Bauer am Alltag.

Im Hof der Herberge dünkte mich, ich hätte jemand erblickt, der Sim sehr ähnelte und sich in die andere Richtung davonstahl. Hätte ich jedoch den Affen gesehen, mir wäre klar gewesen, daß es sich um Sim handelte, denn der Junge ließ wirklich keine Sehenswürdigkeit aus.

»Nein, dieser Bengel«, sagte Mutter Hilde und hob den Korb auf die andere Hüfte. Malachi, der seine Einkäufe wohlbehalten vorn im Gewand barg, folgte ihr und holte sich Erdbeeren aus ihrem Korb. Jetzt nahm er eine letzte, zupfte die Blätter ab und steckte sie in den Mund.

»Malachi«, sagte Mutter Hilde lachend und blickte sich dabei um, »wenn uns ein Feind verfolgte, er brauchte nur der Spur nachzugehen, die du ausgelegt hast.« Wir blickten uns um und sahen die ganze staubige Straße entlang immer wieder verräterische, grüne Blätter liegen.

»Und Ihr habt gesagt, wir würden uns Flecken machen!« rief ich.

»Nur ein paar«, sagte er schuldbewußt mit vollem Mund. »Ich wollte nur prüfen, ob sie reif genug für dich sind. Unreife Erdbeeren sind nämlich ungesund. Du darfst uns doch nicht krank werden, oder?«

»Oh, Bruder Malachi«, sagte ich übertrieben ernst. »Wie lieb von Euch, daß Ihr meinetwegen eine solche Gefahr auf Euch genommen habt.«

»Danke«, gab er zurück und stieg kauend die Außenstiege hoch. »Ich wußte doch, daß du meine Bemühungen zu schätzen weißt.«

Ich war die erste an der Tür, bangend und hoffend zugleich, welcher Anblick sich mir bieten würde. Was es auch immer war, ich wollte die erste sein. Vielleicht hatte er gut geschlafen. Vielleicht hatte er wieder Erscheinungen gehabt, und seine Augen zuckten hin und her wie die eines Wahnsinnigen. Statt dessen war etwas Wunderbares geschehen. Gregory saß im Bett. Sein Gesicht hatte die graue Farbe verloren, und die dunklen Ringe unter seinen Augen waren verschwunden. Er war immer noch geisterhaft dünn, aber endlich sah er aus, als wäre er auf dem Wege der Besserung. Seine Augen strahlten, als er mich sah. Und er redete, als ob er wieder bei Sinnen wäre.

»Margaret«, sagte er beinahe zaghaft. »Dann bist du doch zurückgekommen, ja?«

»Gregory, was ist geschehen? Du siehst soviel besser aus! Da, sieh, ich habe dir ein Geschenk mitgebracht. Das mußt du geahnt haben. Ich habe doch immer gesagt, daß du bald gesund bist!«

»Du willst dir wohl auch Flecken machen«, jammerte Bruder Malachi, doch seiner Stimme war die Erleichterung anzuhören. »Wie gut, daß ich einen ganzen Korb voll gekauft habe.«

»Was ist das, Erdbeeren? Ist schon Erdbeerzeit?«

»Die kommt hier früher, Gregory. Es ist noch nicht Juni. Komm, ich zupfe dir die Blätter ab.«

»Glaubst du, ich kann mir die Blätter nicht selbst abzupfen? Margaret, ich esse schon länger Erdbeeren als du.«

»Ei, das muß gefeiert werden!« rief Mutter Hilde. Malachi rückte die Bank heran, damit wir alle bei Gregory und um den Korb herum Platz hatten.

»Wenn ihr feiert, dann seid ihr wohl nicht böse auf mich?« kam Sims Stimme sehr kläglich von der Tür.

»Nicht wenn du nach unten gehst und Abendessen für uns aus der Küche holst«, sagte Bruder Malachi ohne aufzublicken.

»Ihr wißt doch, wie die Frau immer schimpft. Ich kenne mich mit den Worten nicht aus, aber freundlich sind sie nicht. Sie möchte ihre Rechnung bezahlt haben.«

»Na gut, ich komme mit und schwöre, daß sie ihr Geld bekommt, noch ehe die Woche herum ist. Mir ist da eine prächtige Idee gekommen.« Und damit verabschiedete sich Malachi mit einer Handvoll Erdbeeren, begleitete Sim nach unten und teilte mit ihm.

»He, nicht alles aufessen, bis ich wieder da bin«, rief Sim die Stiege hoch.

»Jetzt will ich dir zeigen, was ich dir mitgebracht habe«, sagte ich und wischte mir die Hände ab. »Das macht dich gesund. Es ist ein Buch.«

»Ein Buch?« sagte er mit einem neugierigen und freudig aufstrahlenden Blick. »Was für ein Buch?«

»Ei, Gedichte.«

»Gedichte?« Er sah entsetzt aus. »Gute Gedichte?«

»Ei, die besten. Sie sind von einem Mann, einem gewissen Francesco Petrarca, der hier einmal gelebt hat. Alle hier reden noch von ihm.« Gregory blickte mich durchdringend an.

»Petrarca? Der größte lebende Dichter auf der ganzen Welt? Sag an, Margaret, hast du das Buch gekauft, weil du gewußt hast, daß es gut ist, oder weil es sehr dünn ist und du ein gutes Geschäft gewittert hast?«

Mutter Hilde schlug die Hände vors Gesicht, aber ich konnte sie doch noch lachen hören.

»Woher weißt du, daß ich ein gutes Geschäft gemacht habe?«

»Margaret, du vergißt, wie gut ich dich kenne. Du hast noch nie ein gutes Geschäft ausschlagen können. Nicht einmal mich. Weißt du noch, wie wir uns kennengelernt haben? Ich bin auch eines von deinen guten Geschäften gewesen.«

»Ich feilsche eben sehr gut, Gregory. Ich bekomme nur das Beste. Das mußt du doch zugeben«, sagte ich und reichte ihm das Buch. Nun wischte er sich die Hände ab und nahm das Büchlein, drehte es zärtlich hin und her und betrachtete den Einband.

»Oh, Margaret, weißt du, was du da gekauft hast?« fragte er.

»Na ja – nicht so ganz. Ich kann kein Wort lesen. Aber Bruder Malachi sagt, du kannst es lesen. Und ich weiß doch, daß dich nichts so glücklich macht wie Bücher.«

»Margaret, das sind Liebesgedichte. Petrarcas Sonette an seine Laura.« Er blickte auf seine Hände und errötete. Die rosige Farbe machte, daß er noch gesünder aussah.

»Ja, Margaret, es gibt etwas, das ich dir schon seit langem sagen wollte. Ich liebe dich, Margaret. Ich habe dich immer geliebt, aber anfangs habe ich das selber nicht gewußt. Und als es mir klar war, da wußte ich nicht, wie ich es dir sagen sollte. Ich dachte, wenn ich Heldentaten vollbringe, dann weißt du es, ohne daß ich es sagen muß. Ich hatte wohl Angst, ich würde albern wirken, wenn ich es dir einfach so sagte. Oder daß du mich vielleicht nicht lieben könntest.«

Da mußte ich einfach weinen.

»Margaret, habe ich es nicht richtig gemacht? Ich habe dich doch nicht erzürnt, oder?«

»O nein, Gregory, du verstehst einfach nicht. Ich habe immer gewußt, daß alles gut wird, Hauptsache, du sagst es. Und jetzt hast du es gesagt, und nun weiß ich, daß alles gut wird.« Als er das Buch auf seinen Schoß legte und sich vorbeugte, um mich in die Arme zu nehmen, da merkte ich, daß Mutter Hilde sich taktvoll verzogen hatte und aus dem Fenster sah. Ich habe, glaube ich, lange geweint und ihn ganz fest in die Arme genommen, während er mich tröstete. Er wirkte immer noch verwirrt und verblüfft.

Am Ende sagte er sehr sanft: »Er hätte mich ruhig darauf vorbereiten können, daß dergleichen geschehen würde. Da begreife einer die Frauen.«

»Er? Wen meinst du?« fragte ich und sah ihn an.

»Den Arzt, den du geschickt hast, Margaret.«

»Ich habe doch keinen Arzt geschickt, Gregory. Die sind viel zu teuer. Und in der Regel bringen sie die Menschen nur um. Warum Geld ausgeben, damit man umgebracht wird?«

»Er hat gesagt, du hättest Flickarbeiten für ihn gemacht.«

»Flickarbeiten? Ich und Flickarbeiten? Du mußt wieder Sinnestäuschungen gehabt haben.«

»Komisch. Er schien mir durchaus wirklich. Ein sehr angenehmer Mensch. Überhaupt nicht hochfahrend. Aber wie sollte er auch? Noch nie habe ich einen so ärmlich wirkenden Arzt gesehen. Deshalb habe ich ja auch gedacht, daß du ihn geschickt hättest. Du weißt schon, wieder eines von deinen guten Geschäften. Ei, der ging doch barfuß wie ein Bauer, um seine Schuhe zu schonen. Einfach nicht zu fassen. Aber nachdem er mir alles erklärt hatte, ging es mir gleich besser. Er konnte allerdings nicht bleiben. Mußte noch eine Menge Besuche machen. Er war gerade aus der Tür, als ihr zurückgekommen seid.«

»Aber wir haben wirklich niemanden die Stiege herunterkommen sehen«, sagte ich und musterte die Tür, als könnte die mir etwas erzählen.

»Nein, keine Menschenseele«, sagte Mutter Hilde vom Fenster her.

»Gregory, lies uns aus dem Buch vor, Hilde und mir«, sagte ich. »Wir wollen hören, wovon alle in der Stadt soviel Aufhebens machen.«

»Wie möchtest du es haben? Soll ich es dir ins Englische übersetzen?«

»Zuerst auf Italienisch, damit wir die Musik darin hören, und dann auf Englisch, damit wir es verstehen. Hilde und ich, wir kennen uns mit der Liebe aus, und wir möchten hören, was der Dichter dazu sagt.« Gregory las mit seiner schönen, kräftigen Stimme zunächst in den rollenden Lauten der italienischen Sprache. Dann hielt er inne und brachte das Gedicht langsam ins Englische, legte jedoch bei schwierigeren Wörtern und Sätzen eine Pause ein.

»›Trovommi Amor del tutto disarmato

et aperta la via per gli occhi al core,

che di lagrime son fatti uscio e varco.‹«

Die Stimme brach ihm, und für mich klang es sehr schön, auch ehe er noch gesagt hatte, was es bedeutete. »Da Amor mich – ganz und gar bezwungen hat«, übersetzte er, und sein Gesicht sah dabei so ernst aus und strahlte vor Liebe, daß ich spürte, auch mein Herz war völlig bezwungen. »Und fand den Weg durch meine Augen ins Herz – ehem – welche nun der Tränen Tor und Tür sind.« Oh, ja. Wie ganz und gar anders. Dieser Dichter wußte alles über die Liebe.

»Diese Laura – hat sie ihn auch geliebt?«

»Also, nur im geistigen Sinne. Sie ist ihm im Traum erschienen.«

»Aber sie hat ihm doch ein Liebespfand gegeben, oder?«

»Einen Handschuh – den hat sie fallenlassen, und er hat ihn aufgehoben. Aber dann hat sie ihn wieder an sich genommen.«

»Was – sie hat ihren Handschuh zurückgefordert, ist böse geworden, als er sie im Bad überrascht hat, und hat ihm nie mehr als ein Lächeln geschenkt – jedenfalls bildet er sich das ein, und das einundzwanzig Jahre lang? Ich finde, er hätte sich eine andere Herrin suchen sollen – eine, die ihn auch geliebt hätte.«

»Margaret, du verstehst einfach nichts von höherer, geistiger Liebe.«

»Höhere Liebe? Wenn mir ein Mann einundzwanzig Jahre lang nachsteigen würde, immer versuchen würde, mir auf der Straße zu begegnen, mich heimlich beim Baden sehen wollte und mir die Handschuhe oder sonst etwas stehlen wollte, was ich kurz abgelegt hätte, und ich hätte ihn nicht im geringsten ermutigt, weißt du, wie ich das nennen würde? Verliebt, ja! Er benimmt sich wie ein dummer Junge, spielt die ganze Nacht die Laute unter dem Fenster einer verheirateten Frau mit Kindern, die schon zu Bett gegangen ist.«

»Die ideale Liebe ohne niedrige Fleischeslust – und du nennst das verliebt?« Gregory klang empört.

»Also, wenn sie so ideal war, dann hat er vermutlich nie jemand anders geliebt?«

»Ah – hm – er hatte in der Tat eine Geliebte und Kinder.«

»Und die hat er nicht geliebt, sondern ist dieser Frau nachgelaufen, die ihn nicht geliebt hat? Verrückt!«

»Du nennst den größten lebenden Dichter von heute verrückt? Du bist hoffnungslos bürgerlich!«

»Also, meiner Meinung nach ist er verrückt, wenn er sein Leben lang einer Frau nachsteigt, die ihn nicht liebt. So benimmt sich doch kein erwachsener Mensch. Was meinst du, Mutter Hilde?«

»Ich finde, es geht euch beiden viel besser, ihr streitet nämlich schon wieder.«

»Streiten? Ich streite mich überhaupt nicht. Ich habe recht. Italiener sind verrückt.« Jetzt war ich sehr empört. Mutter Hilde hätte meine Partei ergreifen müssen.

»Du willst ausweichen, Margaret. Das tust du immer, wenn du im Unrecht bist.« Gregory klang rechthaberisch. »Du willst nur nicht zugeben, daß ich recht habe.« Ich sah ihn an. Mutter Hilde hatte recht. Der Streit machte, daß seine Augen strahlten. Er hatte eine gute Farbe. Ganz der Alte mit seiner lieben, vertrauten Überheblichkeit. Natürlich hatte er ganz und gar unrecht. Haben die meisten Männer in wichtigen Dingen wie der Liebe. Ich lachte ihn aus.

»Und jetzt lachst du. Bislang hat noch keine Frau gewagt, etwas gegen den größten Liebesdichter auf der ganzen Welt zu sagen. Und eine, möchte ich hinzufügen, die seine Werke nicht einmal lesen kann.«

»Diese Laura – die dürfte blond gewesen sein, ja?«

»Natürlich. So steht es hier: ›i cape d'oro fin‹ – daß heißt ›von Gold des Haares Wellen.‹

»Na ja, das erklärt alles.«

»Und wie das, mit Verlaub? Die Bemerkung ist durch und durch unlogisch! Frauen!«

Wie gut, daß wir im gleichen Augenblick Schritte auf der Treppe hörten, dann wurde angeklopft.

»Aufmachen! Aufmachen! Das Abendessen ist da, und es ist heiß!«

»Ei, Malachi«, rief Hilde und machte die Tür weit auf. »Woher hast du soviel bekommen?«

Da in der Tür stand Bruder Malachi und hielt einen großen, eisernen Kochtopf in der Hand, um dessen Griffe er ein Handtuch gewickelt hatte. Aus der Tiefe seines Gewandes lugte eine Weinflasche hervor. Sim hielt einen riesigen Brotlaib, ein Stück Käse und die langen, grünen Enden von zwei großen Zwiebeln, die ihm fast bis zum Knie gingen. Auf dem Kopf balancierte er vorsichtig einen Stapel Holzschüsseln.

»Meine Silberzunge, Schatz. Und als sie mir keinen Glauben schenken wollte, da offenbarte ich ihr, daß ich demnächst ein seltenes, alchimistisches Buch für eine märchenhafte Summe an den Mann bringen würde.«

»Malachi, du willst dein Buch verkaufen?« fragte Mutter Hilde, und die Tränen liefen ihr beim Zwiebelschneiden übers Gesicht.

»Nein, ganz und gar nicht. Das hier dient nur als Vorlage. Ich will ein paar herstellen. Mit Gilberts Hilfe kann ich sogar noch mehr schaffen. Überall sind Adepten auf der Suche nach dem Geheimnis der Geheimnisse. Jeder von ihnen würde sich für dieses kostbare Werk liebend gern von einer nicht unbeträchtlichen Summe trennen. Und weil es das Geheimnis des Universums enthält, wird keiner von ihnen einer Menschenseele verraten, daß er es besitzt. Außer natürlich Abraham und seinesgleichen. Und wenn der ihnen sagt, daß es wertlos ist, dann glauben sie einfach, daß es noch geheimnisvoller verschlüsselt ist und er es nur nicht übersetzen kann. Die brillanteste Idee meines Lebens – wer verfolgt schon einen ehrlichen Handwerker mit Heugabel und Fackeln und fordert seine Haut? Niemand. Alle werden sie ihre Schande verbergen, so wie ich die meine. Und wir reisen in großem Stil heim und verkaufen in jeder Stadt, in der wir halt machen, ein Buch. Und jetzt essen wir zu Abend. Gilbert muß zu Kräften kommen, damit wir uns an unser großes Werk begeben können.«

Während das Abendessen verschwand, blickte Gregory auf und sagte: »Theophilus, du alter Schurke, wo bist du eigentlich eine ehrliche Haut?«

»Überall, überall, Gilbert, du griesgrämiger, junger Zweifler. Ich verkaufe Glück und Hoffnung – und zu weitaus niedrigeren Preisen als gewisse große, kirchliche Institutionen, die ich nicht nennen möchte. Das kommt daher, daß ich weniger zu hören bekommen habe. Man sollte immer mit leichtem Gepäck reisen – ›Leichter Fuß und leichter Sinn‹, das ist meine Devise.«

»Oh, Malachi, was hast du doch für ein großherziges Gemüt!« rief Mutter Hilde.

»Wenn es hier mehr großherzige Gemüter geben würde, so hätten sie mir mehr als nur ein halbes Dutzend Erdbeeren übriggelassen, die obendrein auch noch unreif waren«, murrte Sim.

»Du, Sim«, hob Bruder Malachi an, »da ist immer noch die Sache mit dem Berberaffen, für die wir dich noch nicht ins Gebet genommen haben. Gib lieber Ruhe.«

»Und meine Schädel teile ich auch mit niemand. Und glaubt ja nicht, daß Ihr sie als Reliquien verkaufen könnt.«

»Reliquien? Mein liebes Kind. Das ist ein gefährliches und unersprießliches Gewerbe. Ich habe eine höhere Berufung gefunden. – Gilbert, wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, so warst du immer gut im Zeichnen. Für diese Unternehmung brauche ich allegorische Bilder. Hübsch kolorierte. Ich denke immer noch an die hervorragende Zeichnung, die du einst vom Rektor gemacht hast – die, auf der du ihn mit einem Eselskopf abgebildet hast, wenn ich mich recht entsinne.«

»Hast du Farben?« fragte Gilbert fröhlich.

»Nur drei, dazu noch Schwarz und Weiß. Mehr konnte ich mir nicht leisten. Blattgold nicht. Du kannst sie doch mischen, oder? Ich brauche Qualitätsarbeit.«

»Soll ich mir die Allegorien selber ausdenken?«

»Na, na – komm mir nicht komisch. Halte dich immer an die Vorbilder in dem Buch hier.«

»Zeig her.«

Bis das Licht sie im Stich ließ, berieten sich Gregory und Bruder Malachi frohgemut über die neuen Bücher.

»Das ist eine Menge Kopierarbeit.«

»Na ja, du mußt ja nicht genau sein.«

»Es wäre leichter, wenn man irgendwo Latein einflechten könnte. Wie wäre es mit einem Fluch?«

»Einen Fluch? Ein Geniestreich, Gilbert. ›Fluch über jeden, der das Geheimnis dieses Buches preisgibt.‹ Wunderbar. Das gibt Farbe.«

»Du könntest die Seiten auch – in rätselhafte Gruppen einteilen. Sieben Mal drei oder so ähnlich. Und noch mehr Diagramme einfügen. Die brauchen viel Platz.«

»Hervorragend. Die Diagramme mache ich. Mit der Sorte, die hier gebraucht wird, kenne ich mich aus.«

»Das Bild hier ist hübsch. Der Grüne Löwe. Wenn ich in einem Stück nach Hause komme, werde ich ihn in mein Wappen aufnehmen.«

»Gilbert, halte an dich. Dafür könnte man dich verfolgen. Bleibe du lieber bei roten Löwen und einem Sortiment von Todeswerkzeugen. Beim Adel ist Alchimie nicht immer die große Mode.«

»Schon wieder, Malachi, immer diese Ermahnungen. Mußt du mich denn immer umsorgen wie eine alte Amme?«

»Nur wenn du dich wie ein unausstehlicher, junger Laffe aufführst.«

»Was tust du da, Mutter Hilde?« fragte ich Mutter Hilde, die mit einem Lappen vor der Tür kniete.

»Malachi hat beim Eintreten etwas verschüttet, das will ich aufwischen, bevor es zu fest wird. Ich möchte nicht, daß Fremde uns nachsagen, wir sind schmutzig gewesen – oh!«

Sie hockte sich kurz auf die Hacken und betrachtete den Fleck. Meine Augen folgten ihrem Blick. Niemand außer uns war aufgefallen, daß der Fleck vor der Tür keine verschüttete Soße war. Es war ein blutiger Fußabdruck von jemand, der barfuß ging. Ich sah zu, wie Mutter Hilde ihn sorgsam aufwischte, den noch feuchten Lappen zusammenfaltete und in ihre Pilgertasche steckte.