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Am nächsten Morgen war Wassili schon wieder im Stall seiner Mutter, dieses Mal aber mit Stefan. »Du hattest recht«, sagte Stefan, als sie zur nächsten Box gingen. »Ich habe noch nie so prächtige Schimmel gesehen. Bist du sicher, dass sie mir keines der Tiere für Tania verkaufen würde?«

»Ich kenne meine Alex«, erwiderte Wassili. »Sie ist so stur wie ein Esel. Ich hätte gerne eines für mich gehabt, aber ich habe erst gar nicht gefragt. Sie weiß nicht einmal, wie sehr ich ihre Babys bewundere, und ich werde ihr ganz bestimmt nicht sagen, wie gerne ich Prinz Mischa hätte.«

»Aber du, mein lieber Cousin, bist nur ein Graf, ich dagegen bin zufällig der König. Wenn ich schon so viele Unannehmlichkeiten durch diesen Titel habe, kann er mir doch auch einmal einen Vorteil verschaffen.«

Stefan scherzte, aber Wassili nahm das Thema ernst. »Darauf würde ich mich nicht verlassen. Sie ließ sich nicht im geringsten davon beeindrucken, dass ich mit dem Königshaus verwandt bin. Warum sollte sie dann also von deinem Titel beeindruckt sein? Stefan, frag sie lieber nicht, es würde mir leid tun, wenn du ein Nein zur Antwort bekommst.«

Stefan schmunzelte. »Denk bloß nicht, dass mir das nie passiert. Im Vertrauen, Tania hat überhaupt keine Skrupel, recht häufig nein zu sagen.«

»Das ist etwas anderes. Tania hat schließlich besondere Vorrechte. Ich habe noch nie gehört, dass der Rest von uns es gewagt hat, Euch zu beleidigen, Majestät.«

Als Antwort erhielt Wassili einen Boxschlag, der nicht gerade sanft ausfiel. »Wen soll das denn nun wieder beeindrucken? Soll ich dir Namen und Zeiten nennen, wo du dich geweigert hast, mir zu gehorchen?«

»Das war alles in deinem Interesse.«

Stefan schnaubte verächtlich. Wassili grinste und rieb sich die Schulter. Sie hatten den Morgen zusammen verbracht, und Wassili hatte ihm alles erzählt. Aber am Abend zuvor war Lazar bei Stefan gewesen und hatte ihm eine Reihe von Dingen erzählt, an die Wassili lieber nicht erinnert werden wollte. Als Folge davon muss te er am nächsten Morgen einigen Spott ertragen. Stefan war der Meinung, dass er diese >kleine Barbarin<, die eine seiner besten Leibwachen für einen Hofdandy hielt, unbedingt kennenlernen muss te.

Als er das Haus seiner Mutter erreicht hatte, musste Wassili jedoch feststellen, dass Alexandra an diesem Morgen zwar brav mehrere Stunden Unterricht bei seiner Mutter abgesessen hatte, dann aber in den Stall geflüchtet war. Im Stall hatte man ihm gesagt, dass sie und die Brüder Razin einige der Pferde im nahegelegenen Park bewegten.

»Ich kann auch warten, bis du mit ihr verheiratet bist«, sagte Stefan jetzt, »dann werde ich eine der Stuten von dir kaufen.«

»Auf gar keinen Fall. Wenn ich sie wirklich heiraten muss, bleiben die Pferde ihr Eigentum.«

»Lazar hat mir aber etwas ganz anderes erzählt.«

»Lazar weiß ganz genau, dass ich es nicht ernst meinte, als ich zu ihr sagte, ich würde sie verkaufen. Du solltest mich eigentlich besser kennen, Stefan. Außerdem wäre mein Leben in Gefahr, wenn ich irgendwelche Ansprüche auf sie erheben würde. Und glaub bloß nicht, ich mache Witze. Es ist mein voller Ernst.«

»Sie kann doch nicht so ... ach, vergiss es einfach.« Stefan zuckte mit den Schultern. »Wenn ich eines dieser Pferde haben will, kann ich ja immer noch ein Tier von ihrem Vater kaufen, so wie Lazar.«

»Ihre sind besser«, sagte Wassili mit unverhohlenem Stolz.

»Fang jetzt bloß nicht damit an, nachdem du mir versichert hast, dass ich keines ihrer Tiere bekommen kann. Wenn ich die Dame kennenlernen soll, könnten wir doch jetzt durch den Park zurückreiten ... du lieber Himmel, ist sie das?«

Wassili fuhr herum. Er fragte sich, wie lange Alexandra schon hinter ihnen stand. Als ihm einiges von dem, was er zu Stefan gesagt hatte, einfiel, stieg ihm die Hitze ins Gesicht. Aber ihr Gesichtsausdruck verriet ihm nichts. Sie hatte bestimmt nichts gehört, sonst wäre sie jetzt ganz sicher wütend gewesen.

Stefans Überraschung war berechtigt. Man hatte ihm zwar gesagt, dass sie ständig Reithosen trug, aber bei dem Anblick ihrer üppigen Formen, die in dieser Kleidung deutlich zu erkennen waren, hätte jeder Mann innegehalten. Sie hatte ihren Rock ausgezogen und über die Schulter geworfen, wo sie ihn mit einer Hand festhielt. Die andere Hand steckte in einer Hosentasche. Ihre Wangen hatten einen rosigen Schimmer von der Kälte draußen. Und wie üblich hingen einige lange Strähnen ihres aschblonden Haars unter ihrer Mütze hervor. Für eine Baronesse sah sie hinreißend verrucht aus.

»Alex, komm her, ich möchte dir meinen erlauchten Cousin vorstellen«, sagte Wassili.

Sie kam näher, aber nur zögernd. »Soll ich Euch Majestät nennen oder - da wir ja offensichtlich bald miteinander verwandt sein werden - nur Stefan?«

»Stefan ist mir lieber.«

»Und wie sieht es mit einem Hofknicks aus?«

Wassili antwortete auf ihre Frage. »Ohne Kleid? Eine Verbeugung passt vielleicht besser.«

Sie ließ sich nicht ködern. Stefan beeilte sich zu sagen: »Keines von beiden ist erforderlich. Ich freue mich, Euch kennenzulernen, Alexandra. Meine Frau ist allerdings noch viel gespannter auf Euch, sie hat Euch für heute nachmittag in den Palast eingeladen.«

»Ich habe zu tu ...«

»Sie wird da sein«, unterbrach Wassili sie. Sein Blick sagte ihr, dass sie ihm jetzt besser nicht widersprach.

Sie ging darauf ein, obwohl sie nicht die Absicht hatte, sich ihm zu fügen. Es war ihr viel zu peinlich, ihre rustikalen Manieren auch am kardinischen Hof vorzuführen. Sie hatte sich während der ganzen Reise seinem Freund gegenüber sehr zurückhaltend verhalten und hatte vor, diese Distanz auch seinen königlichen Verwandten gegenüber zu wahren. Aber sie war nicht verrückt. Sie hatte Respekt vor einem König, wie jeder andere auch. Und König Stefan von Kardinien mit seinem Gesicht voller Narben und mit goldenen Augen, die noch auffälliger als die von Wassili waren, hätte ihr auch dann Respekt eingeflößt, wenn er nicht der König gewesen wäre. Je weniger sie mit ihm und seiner Frau zu tun hatte, desto besser.

Er musste ihr Misstrauen gespürt haben, aber vielleicht war er auch so an diese Reaktion gewöhnt, dass er Vorstellungen immer kurzhielt. Jedenfalls nahm er ihre Hand - dazu muss te er sie erst aus der Hosentasche holen - und küsste ihren Handrücken. Dann sagte er: »Ich hoffe, dass ich Euch bald in meiner Familie willkommen heißen kann, Alexandra. Doch jetzt muss ich in den Palast zurück. Ich würde mir aber gerne noch Eure Hengste anschauen. Sie sind doch mit Euch zurückgekommen, nicht wahr?«

Sie nickte nur kurz. Stefan lächelte sie zum Abschied an und ging nach draußen, wo die Hengste nach dem scharfen Ritt noch ein wenig bewegt wurden. Sie sah ihm nach und hatte das unbehagliche Gefühl, dass sie ihn gern haben könnte, wenn sie wollte. Erst jetzt wurde ihr bewusst , dass Wassili immer noch neben ihr stand.

Sie wünschte, er wäre hinausgegangen. Alexandra fühlte sich in seiner Gegenwart nicht wohl, aber das war ja nie anders gewesen. Jetzt jedoch war sie ganz verwirrt von dem, was sie mitangehört hatte. Er hatte gelogen, als er behauptet hatte, er würde ihre Pferde verkaufen. Er hatte seine Bewunderung für ihre Tiere vor ihr verborgen, und auch die Tatsache, dass er ein ebenso großer Pferdekenner wie Lazar war. Er hatte wohl gedacht, dass er - wenn sie es gewusst hätte - in ihrer Achtung steigen würde und dass sie niemanden hassen könnte, der Pferde so liebte wie sie.

Sie würde ihm nicht sagen, dass sie seine Worte gehört hatte. Sie brauchte Zeit, um herauszufinden, warum er sie angelogen hatte. Und sie fragte sich, was er noch vor ihr verbergen mochte. Selbst dass er sie >meine Alex< genannt hatte - auf diese Worte hin war sie wie versteinert stehengeblieben -, ergab keinen Sinn für sie. Sie war beunruhigt über das kribbelnde Gefühl, dass sie dabei gespürt hatte.

Doch sie weigerte sich, an die Gefühle zu denken, die sie für ihn hegte, und kam zu dem Schluss, dass es sehr viel einfacher gewesen war, als sie ihn noch mit völliger Verachtung hatte behandeln können.

»Für heute nachmittag wirst du wohl eines dieser Kleider ausgraben müssen, die du angeblich besitzt«, sagte er zu ihr.

»Das werde ich nicht tun. Entschuldige mich bei ...«

»Du wirst hingehen, Alex. Du kannst die Einladung einer Königin genauso wenig ablehnen wie die eines Königs. Selbst du solltest das wissen.«

Auch jetzt wieder ließ sie sich nicht ködern, obwohl sein herablassender Ton es ihr sehr schwermachte. »Deine Mutter ist fest entschlossen, meine Vormittage mit komplettem Unsinn zu füllen, Petroff. Das lässt mir überhaupt keine Zeit für Besuche. Sag das deiner Königin.«

»Das werde ich ganz bestimmt nicht tun. Hast du bei meiner Mutter etwa die Geduld verloren?«

»Nein, ich habe mich ihren Wünschen gefügt, allerdings weiß ich nicht, wie lange ich das noch mitmachen werde. Sie ist jedenfalls der Meinung, wir hätten Fortschritte gemacht.«

»Ach ja?«

Alexandra schnaubte verächtlich. »Was glaubst du denn?«

Er grinste sie an. »Ich glaube, dass du machst, was du willst, trotz aller wohlmeinenden Ratschläge - mit Ausnahme von heute. Alex, du wirst um zwei Uhr entsprechend gekleidet auf mich warten. Ich werde dich in meiner Kutsche abholen ...«

»Nein ...«

»Du kannst dich auch von Stefans Soldaten hinbringen lassen.«