26

Wie sich später herausstellte, wären sie wahrscheinlich gerettet worden, wenn sie noch ein wenig länger im Dorf geblieben wären. Zumindest wollte sich Alexandra das einreden, denn sie hasste es, in Wassilis Schuld zu sein, weil er sie wieder herausgebracht hatte. Auf dem engen Bergpfad, nicht weit vom Dorf entfernt, trafen sie auf Lazar und drei von Wassilis Wachen.

»Ihr habt ganz schön lange gebraucht«, begrüßte Wassili sie missmutig.

Sein Freund runzelte die Stirn. »Glaubst du etwa, ich kann einer Spur folgen, die unter mehreren Zentimetern Schnee begraben ist? Selbst der russische Wolfshund von Alexandra konnte ihre Spur nicht finden. Warum sollte ich es dann können?«

»Was hat dich dann hierhergeführt?«

»Ich wusste noch, wo Latzkos Dorf ist. Ich wollte ihn um Hilfe bitten oder sie kaufen, was wohl wahrscheinlicher gewesen wäre. Ich hatte nicht erwartet, euch hier zu finden.«

»Und warum nicht?« entgegnete Wassili. »Er hält diese Berge ja schließlich für sein Territorium.«

»Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er verrückt genug ist, das Königshaus von Kardinien erneut zu provozieren.«

Wassili musste ihm zustimmen. »Er wahrscheinlich nicht, aber Pawel ganz sicher. Unglücklicherweise ist Pawel vorübergehend der Anführer des Haufens.«

»Nun, das erklärt alles«, sagte Lazar. »Wahrscheinlich hat er gedacht, Stefan würde mit uns reisen.«

»Eigentlich hatte er es nur auf die Pferde abgesehen. Er hatte keine Ahnung, zu welcher Reisegesellschaft sie gehörten.«

Lazar runzelte die Stirn. »Und wieso hat er dann dich und Alexandra auch noch erwischt?«

Wassili sah kurz zu Alexandra hinüber, bevor er mit sarkastischem Unterton antwortete: »Weil meiner süßen kleinen Verlobten hier nichts anderes eingefallen ist, als ganz allein sechs Räuber anzugreifen, und zwar genau vor deren Haustür.«

»Ich konnte doch nicht wissen, dass wir ihr Dorf schon erreicht hatten«, murmelte Alexandra zu ihrer Verteidigung.

Daraufhin erwiderte Wassili nichts, was eine ganze Menge sagte, da er sie immer noch ansah. Lazar versuchte, ein Grinsen zu unterdrücken, aber er gab auf, als er sah, dass die Wachen ebenfalls lächelten. Alexandra bemerkte es, und ihr Gesicht, das sowieso schon glühte, wurde dunkelrot.

Lazar räusperte sich, um Wassilis Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Wo sind die Pferde denn überhaupt?«

»Sie haben sie die Nacht über eingesperrt.«

»Aber nicht mehr lange«, fügte Alexandra hinzu. »Ihr seid doch jetzt zu fünft ...«

»Alex, hör auf«, unterbrach sie Wassili, der mit seiner Geduld am Ende war. »Dich hat es ja vielleicht nicht ermüdet, gegen diesen Sturm von heute anzukämpfen - mich schon. Ich bin müde.«

»Das hätte ich mir denken können«, sagte sie verächtlich.

Der böse Blick, den er ihr daraufhin zuwarf, hätte sie vom Pferd schleudern sollen. Sie jedoch reckte nur ihr Kinn ein bisschen mehr in die Höhe und blickte ihn genauso böse an. Wassili fror viel zu sehr, um sich auf eine Diskussion mit ihr einzulassen, die er wahrscheinlich sowieso verlieren würde.

Er seufzte. »Es mag ja sein, dass Pawel inzwischen so betrunken ist, dass er uns für mehr hält, als wir sind, aber dann ist er auch zu betrunken, um mit dem Preis herunterzugehen. Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, dass ich ihm die Summe zahle, die er für die Tiere verlangt.«

Am liebsten wäre es ihr gewesen, wenn er überhaupt nichts für ihre Pferde bezahlen müsste, damit sie nicht noch tiefer in seine Schuld geriet. »Und was ist aus deinem >Wir bekommen sie zurück, so oder so< geworden?«

»Du lieber Himmel, jetzt hör endlich auf. Kardinien ist zufällig eines der reichsten Länder Europas. Wir versuchen es immer zuerst mit Geld. Waffen werden nur eingesetzt, wenn nichts anderes mehr geht. Und wir haben noch gar nicht alles versucht. Ich halte es immer noch für das beste, morgen früh wiederzukommen, wenn alle ihren Rausch ausschlafen.«

»Und was ist, wenn ich damit nicht einverstanden bin?« fragte sie störrisch.

»Ist es dir lieber, wenn wir deine Babys wieder hinaus in die Kälte treiben, anstatt sie die Nacht über in diesem warmen Stall zu lassen?« Es war gemein von ihm, dass er ihre Liebe zu den Tieren ausnutzte, aber er war noch nicht fertig. »Wir können bis morgen Abend eine von Stefans Jagdhütten erreichen, dann haben wir eine ordentliche Unterkunft. Das ist zwar die letzte Nacht, die wir unter freiem Himmel verbringen müssen, aber es ist auch ganz zufällig die kälteste Nacht, die wir bis jetzt erlebt haben. Das hast du mir selbst gesagt. Außerdem könnte der Sturm wieder aufleben, bevor es hell wird.«

Sie hatte von seinen Worten nur so viel mitbekommen, dass sein Cousin hier in der Nähe eine Jagdhütte besaß. Wie vorhin, als in der Dunkelheit niemand ihre verlegene Miene gesehen hatte, bemerkte auch jetzt niemand, dass alle Farbe aus ihrem Gesicht gewichen war.

»Wir sind schon so nah bei Kardinien?« flüsterte sie.

Ihm fiel nicht auf, dass sie ganz leise sprach. »In ein paar Tagen sind wir dort, es sei denn, wir bekommen es noch einmal mit einem Sturm oder mit Räubern zu tun. Wir werden jetzt zu unseren Zelten zurückgehen und versuchen, noch etwas zu schlafen. Und ich möchte keine Widerrede hören.« Er wandte sich Lazar zu. »Ihr habt das Lager doch hoffentlich nicht da gelassen, wo es war.«

Lazar war so vertieft in die Unterhaltung der beiden gewesen, dass er erschrocken zusammenfuhr, als Wassili jetzt so plötzlich das Wort an ihn richtete. »Wir sind etwa dreißig Minuten von hier entfernt, an der Stelle, wo der kleine Pfad von der Straße abgeht.« Er konnte es sich nicht verkneifen hinzuzufügen: »Willst du wirklich dahin?«

Alexandra hob sofort den Kopf, als sie das hörte. Daraufhin zischte Wassili: »Er hat nur Spaß gemacht!« und warf Lazar einen Blick zu, der ahnen ließ, dass er ihm das heimzahlen würde. Dann brachen sie zum Lager auf.