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Zwei Monate später wusste das arme Mädchen, das Tania so leid tat, immer noch nicht, dass es verlobt war - und ebenso wenig , dass die Ankunft ihres Verlobten unmittelbar bevorstand.

Anna war bei Konstantin, als Bohdan die Nachricht überbrachte, dass der Kardinier in ein paar Stunden bei ihnen sein würde. Der Baron hatte einige Männer entlang der Straßen postiert, die zu seinem Besitz führten, da er nicht überrascht werden wollte. Trotz Annas Bitten - die ihn inständig anflehte, Alexandra alles zu erzählen - wartete er bis zur letzten Minute, um seine Tochter von ihrer bevorstehenden Hochzeit in Kenntnis zu setzen.

»Er hat sich wahrlich Zeit gelassen«, meinte Konstantin sagen zu müssen. »Der Brief der Herzogin, in dem sie mir sein Kommen mitgeteilt hat, ist schon vor über einem Monat bei uns eingetroffen. Er hätte gleich danach ankommen müssen.«

»Und was hat das zu bedeuten?« fragte Anna. Sie erhielt jedoch nur einen finsteren Blick als Antwort. »Genau. Es bedeutet, dass er nicht heiraten will.«

Konstantin war nervös, äußerst nervös. Nicht nur deshalb, weil Graf Petroff bald eintreffen würde, sondern auch, weil er Alexandra noch sagen muss te, dass sie einen Verlobten hatte.

Anna erriet, was er dachte. »Wann willst du es ihr eigentlich sagen nachdem er angekommen ist?«

»Glaubst du, es würde etwas nützen, wenn wir ihr den Grafen vorstellen, ohne dass sie weiß, wer er ist?«

»Bist du verrückt geworden? Dann wird er ihr von der Verlobung erzählen, woraufhin sie ihm ins Gesicht lachen wird - ein geradezu wundervoller Beginn ihrer Beziehung.«

Seine Miene wurde immer finsterer. Seit er Anna von seinem Entschluss erzählt hatte, hatte sie ihm keine Ruhe gelassen. Doch je mehr sie auf seinem schlechten Gewissen herumgeritten war, desto starrköpfiger war er geworden.

Als er jetzt immer noch keine Anstalten machte, Alexandra herbeizurufen und ihr die Neuigkeit mitzuteilen, stieß Anna einen Seufzer der Verzweiflung aus. »Gib ihr wenigstens noch etwas Zeit zum Umziehen, oder soll er sie etwa in ihrer Reithose kennenlernen?«

Sie hatte recht, das durfte nicht passieren. Er hatte überhaupt nicht daran gedacht. Alexandra würde mindestens eine Stunde brauchen, um den Gestank des Pferdestalls abzuwaschen und sich hübsch zu machen. Außerdem wusste er nicht, wie lange ihr Streit davor dauern würde. Die Möglichkeit, dass es keinen Streit geben würde, hatte er erst gar nicht in Erwägung gezogen. Dazu kannte er seine Tochter zu gut.

Konstantin verließ sofort das Esszimmer, wo er und Anna ein spätes Frühstück zu sich genommen hatten. Er schickte einen Diener zu den Stallungen, dann ging er in sein Arbeitszimmer und wartete.

Anna steckte den Kopf zur Tür herein. Trotz der Meinungsverschiedenheiten, die sie zu diesem Thema gehabt hatten, schenkte sie ihm jetzt ein aufmunterndes Lächeln und sagte: »Viel Glück, mein Schatz.«

Etwas von der Anspannung fiel von ihm ab. Eigentlich hatte er ja sehr viel Glück gehabt. Er hatte drei gesunde Kinder, eine ganze Horde von Enkelkindern - und Anna.

»Wenn wir dieses Haus vielleicht bald schon ganz für uns haben«, sagte er, »wirst du mich dann heiraten?«

Ihr Lächeln wurde breiter. »Nein.«

Er schmunzelte, als sie in einen anderen Teil des Hauses ging. Irgendwann einmal würde sie ihn überraschen und ihm die Antwort geben, die er erwartete. In der Zwischenzeit war es sicher kein großes Unglück, nur Geliebter und nicht Ehemann zu sein.

Einige Minuten darauf marschierte Alexandra forsch wie immer in sein Arbeitszimmer. »Es wird doch nicht lange dauern, oder? Ich muss Prinz Mischa noch bewegen.« Sie sprach von einem ihrer Hengste, einem ihrer >Babys<, wie sie alle Nachkommen aus ihrem eigenen Pferdebestand nannte.

»Es wäre vielleicht besser, wenn das heute einer der Razins übernimmt.«

Sie zog eine Augenbraue hoch. »Wird es so lange dauern?«

»Schon möglich.«

Sie nahm ihre Mütze ab, stopfte sie in eine Tasche ihres Rocks und ließ sich mit einem Seufzer in den Stuhl vor seinem Schreibtisch fallen. »Also los, was habe ich jetzt wieder angestellt?«

»Du könntest mir vielleicht zeigen, dass du sehr wohl wie eine Dame sitzen kannst und nicht wie ein ...«

»Ist es so schlimm, dass du erst einen Riesenanlauf nehmen musst?«

Angesichts ihrer gespielten Überraschung runzelte er die Stirn. Wann immer Alexandra lieber etwas anderes tun wollte, zeigte sie einem sehr deutlich, dass ihre Zeit verschwendet wurde. Er beschloss , ihrem Beispiel zu folgen und gleich zum Kern der Sache zu kommen.

»Du hast überhaupt nichts angestellt, Alexandra, aber du wirst heiraten, wahrscheinlich schon in den nächsten

Tagen. Dein Verlobter wird in etwa zwei Stunden hier eintreffen, und ich würde es begrüßen, wenn du dich umziehen ...«

»Du kannst aufhören, Papa. Was immer du diesem Mann dafür versprochen hast, dass er mich heiratet - gib es ihm und schick ihn dahin zurück, wo er hergekommen ist. Ich habe meinen Entschluss seit unserer letzten Unterhaltung über dieses Thema nicht geändert.«

Sie war nicht laut geworden und sah nicht im geringsten verärgert aus. Natürlich hatte sie noch nicht die volle Bedeutung seiner Worte erfasst .

Er log seine Tochter gewöhnlich nicht an. Er konnte sich nicht einmal erinnern, wann er dies das letzte Mal getan hatte. Es trieb ihm die Farbe in die Wangen, als er es jetzt tat. Zum Glück hielt sie es für die Folge von einem seiner Wutanfälle.

»Das hier hat nichts mit unserer letzten Unterhaltung über das Thema Ehe zu tun«, sagte er zu ihr. »Es geht um einen Verlobungsvertrag, den Simeon Petroff und ich vor fünfzehn Jahren unterzeichnet haben, vor seinem Tod. Der Vertrag ist bindend, Alexandra. Er sieht vor, dass du Simeons Sohn heiratest, Graf Wassili Petroff.«

Sie sprang auf und stützte sich auf seinen Schreibtisch. Auch sie war jetzt ganz rot im Gesicht, aber bei ihr war es eindeutig Zornesröte. »Sag mir, dass du lügst!« Als er langsam den Kopf schüttelte, stieß sie einen Wutschrei aus. »Du lügst, ich weiß, dass du lügst! Du kannst mir doch nicht erzählen, dass ich schon mein halbes Leben lang einen Verlobten habe und du es bis jetzt nie für nötig gehalten hast, mir etwas von ihm zu sagen. Das ist gegen jede Vernunft! Du hättest mich an diesen Mann erinnert, als ich dir erzählt habe, dass ich auf Christophers Heiratsantrag warten werde. Du hättest mich nicht sieben Jahre warten lassen, wenn ich bereits mit einem anderen verlobt gewesen wäre! Und warum hast du mir dann all diese anderen Männer vorgeführt und gehofft, dass mich einer davon interessieren würde?«

»Wenn du dich für einen Moment beruhigst, werde ich es dir erklären.«

Sie setzte sich nicht, sie beruhigte sich nicht, aber sie sagte nichts weiter, was gar nicht so leicht war, da sie am liebsten nur noch geschrien hätte. Konstantin war sich dessen bewusst , aber er hatte viel Zeit gehabt, um eine glaubwürdige Erklärung für sein >Schweigen< während all dieser Jahre zu erfinden.

»Ich kann nicht bestreiten, dass ich dich mit Simeons Sohn verheiraten wollte. Du weißt, er war mein bester Freund. Und du warst damals noch so jung, so ... fügsam. Ich konnte ja nicht wissen, dass du so eigensinnig werden würdest, so anmaßend, streitlustig, starrköpfig ...«

»Ich verstehe, was du meinst, Papa«, knurrte sie.

Er sprach weiter. »Nach deiner ersten Saison wurde mir klar, dass du dich gegen einen Ehemann, den jemand für dich ausgesucht hatte, sträuben würdest. Und so habe ich eher an dein Glück als an meine Ehre gedacht und beschlossen, dir Zeit zu geben, selbst einen Ehemann zu wählen - und gehofft, dass Graf Petroff so unehrenhaft sein würde, eine andere Frau zu heiraten und damit die Verlobung zu brechen.«

»Und was wäre passiert, wenn ich einen anderen Mann geheiratet hätte?«

Auf diese Frage war er vorbereitet. »Du musst wissen, dass mir der junge Wassili nie geschrieben hat. Daher habe ich mich gefragt, ob Simeon seine Familie vor seinem Tod noch informieren konnte. Es wäre möglich, dass er ihnen nichts von der Verlobung gesagt hat, und darauf habe ich damals vertraut, besonders, als du so großes Interesse an diesem Engländer gezeigt hast.«

»Du hast darauf vertraut? O nein, du hast Christopher verabscheut!«

»Aber wenn er dich glücklich gemacht hätte ...«

»Das tut jetzt nichts zur Sache«, unterbrach sie ihn ungeduldig. »Wenn die Familie deines Freundes nie davon gewusst hat ...«

»Das habe ich nicht gesagt«, unterbrach er sie. »Ich habe nur gesagt, es wäre möglich, dass sie nichts davon wusste n. Aber wenn du den Heiratsantrag eines anderen Mannes angenommen hättest, hätte ich natürlich an Wassili Petroff schreiben und ihn davon in Kenntnis setzen müssen. Und ich war bereit, ihn anzuflehen, dich von deiner Verpflichtung zu entbinden.«

Als Konstantin diese Unterhaltung in Gedanken geübt hatte, hatte er das Wort >anflehen< brillant gefunden. Damit konnte er ihr zeigen, dass er in dieser Angelegenheit völlig auf ihrer Seite gewesen war, bevor sie so unvernünftig geworden war und alle Heiratsanträge abgelehnt hatte. Aber ihr Gesichtsausdruck sagte ihm jetzt, dass es ihr völlig egal war.

»Wann hat er dir geschrieben?« wollte sie wissen.

Diese Frage hatte er die ganze Zeit mit Schrecken erwartet. Er hatte gehofft, sie würde sie nicht stellen. Jetzt würde ihr ganzer Zorn auf ihn niedergehen, denn er konnte sie nicht anlügen, da sie die Wahrheit wahrscheinlich von Graf Petroff erfahren würde. »Er hat mir nicht geschrieben.«

»Du hast ihm geschrieben?!«

»Du hast mir ja keine Wahl gelassen«, sagte er zu seiner Verteidigung. »Du bist fünfundzwanzig Jahre alt und hast immer noch keinen Mann. Wenn du dich nur ein bisschen bemüht hättest, diesen Umstand zu ändern ...«

»Ich brauche keinen Mann!«

»Jede Frau braucht einen Mann!«

»Wer sagt das?«

»Gott in Seiner Weisheit ...«

»Du meinst wohl Konstantin Rubliow in der seinen!«

Sie stritten sich jetzt über Dinge, über die sie schon oft gestritten hatten. Er fand sich auf vertrauterem Boden wieder. »Du brauchst einen Mann, um Kinder zu bekommen.«

»Ich will keine Kinder!«

Die Lüge war so offensichtlich, dass er ihr das sagen musste, aber seine Stimme wurde so leise, dass er beinahe flüsterte. »Alex, du weißt, dass das nicht wahr ist.«

Alexandra war kurz davor, vor Zorn in Tränen auszubrechen - zumindest sagte sie sich, dass es ihre Wut war, die ihre Gefühle so durcheinanderbrachte, und nicht die Tatsache, dass sie keine Kinder und das heiratsfähige Alter schon so weit überschritten hatte, dass es beinahe lächerlich war. In solchen Situationen hasste sie den Mann beinahe, auf den sie warten wollte. Obwohl ihr Christopher immer noch regelmäßig schrieb, seit er Russland vor drei Jahren verlassen hatte, enthielt keiner seiner Briefe den Heiratsantrag, den sie so sehnsüchtig erwartete.

Sie war schon fast im Begriff, Christopher endgültig aufzugeben; allerdings hatte sie ihrem Vater noch nichts von ihrem Entschluss gesagt. Das hätte sie offenbar tun sollen. Was ihr Vater jedoch getan hatte, ließ sie ihre Entscheidung ändern. Selbst wenn sie nicht in einen anderen Mann verliebt gewesen wäre, würde sie keinen völlig Fremden als Ehemann akzeptieren. Verlobungen gehörten der Vergangenheit an. Dass ihr Vater eine Verlobung für sie arrangiert hatte, war nicht nur unerträglich, sondern geradezu abscheulich.

Sie versuchte, ihre Stimme zu mäßigen, was ihr jedoch nicht vollkommen gelang. »Wenn dieser Mann hier eintrifft, kannst du ja tun, was du dir vorgenommen hattest: Flehe ihn an und werde ihn wieder los. Du kannst ihm Sultan für die Mühe seines Kommens geben.«

Sie hatte es fertiggebracht, ihn zu schockieren. »Du würdest ihm deinen besten Zuchthengst geben?«

»Begreifst du jetzt endlich, dass ich keinen Fremden heiraten will?« entgegnete sie, obwohl ihr die Worte beinahe im Hals steckenblieben. Sie hatte Sultan aufgezogen und hing sehr an ihm.

»Wenn du ihn kennengelernt hast, wird er kein Fremder mehr sein. Alexandra, Simeons Sohn ist der Cousin von König Stefan von Kardinien. Ist dir eigentlich klar, was für eine gute Partie er ist?«

»Sollte das etwa wichtig für mich sein?«

Er stand auf und warf ihr einen ärgerlichen Blick zu. »Ja, und es ist ganz sicher wichtig für mich. Außerdem ignorierst du absichtlich die Tatsache, dass eine Verlobung genauso bindend ist wie eine Heirat. Diese Verlobung wurde in gutem Glauben und mit den besten Absichten geschlossen. Simeon und ich haben unser Wort gegeben. Nach all diesen Jahren ist Wassili Petroff immer noch unverheiratet. Du bist auch immer noch unverheiratet. Wir können die Hochzeit nicht guten Gewissens noch länger hinauszögern.«

»Du könntest ihn wenigstens bitten, diesen verdammten Vertrag zu zerreißen!« rief sie.

»Du könntest diesem Mann wenigstens eine Chance geben. Er kommt hierher, um dich zu heiraten und das Wort seines Vaters einzuhalten. Und das solltest du auch tun!«

»Ehre«, stieß sie hervor. »Du würdest es als Ehrensache ansehen?«

Konstantin zögerte. Er hatte gewusst, dass sie wütend sein würde, aber jetzt sah sie aus, als ob sie gleich anfangen würde zu weinen. Er konnte es nicht ertragen, sie weinen zu sehen. Daran war nur dieser verdammte Engländer schuld, dachte er voller Zorn. Sie hoffte immer noch, dass er sie heiraten würde. Was für eine törichte Treue. Aber als Vater hatte er die Pflicht, seine Tochter vor ihrer eigenen Torheit zu bewahren. Er würde die Verlobung jedoch auflösen - selbst wenn er dazu die Wahrheit sagen müsste -, wenn keine Aussicht darauf bestand, dass Petroff sie glücklich machen würde. Aber er würde sie nicht auflösen, bevor er sich Klarheit über diesen Umstand verschafft hatte.

»Es ist bereits eine Ehrensache. Ich habe mein Wort gegeben, als ich den Verlobungsvertrag unterzeichnet habe.«

Ihre Hände ballten sich zu Fäusten, die auf seinen Schreibtisch niedersausten, bevor sie ihm den Rücken zudrehte. Dann trat sie gegen den Stuhl, in dem sie gerade noch gesessen hatte, und brachte ihn zum Umkippen.

»Es besteht keine Veranlassung dazu, mein Arbeitszimmer zu ruinieren«, sagte ihr Vater steif.

»Du ruinierst mein Leben«, erwiderte sie verzweifelt.

»Was für ein Leben? Dir sind nur deine Pferde wichtig. Du verbringst praktisch deine gesamte Zeit im Stall. Manchmal frage ich mich wirklich, ob du nicht vergißt, dass du eine Frau bist.«

Bei dieser Bemerkung traten die Tränen, die sie bis dahin zurückgehalten hatte, in ihre Augen. Aber ihr Vater würde sie nicht sehen. Er hatte sie hintergangen. Es spielte keine Rolle, dass er es schon vor fünfzehn Jahren getan hatte mit den besten Absichten. Gerade das, was er jetzt anprangerte - ihr sogenannter Mangel an Weiblichkeit -, trug ihm den Sieg ein. Wie vielen Frauen war Ehre schon wichtig? Ihr war sie wichtig, und ihr Vater wusste , dass es so war.

»Also schön, ich werde mich nicht weigern, diesen Kardinier zu heiraten.« Sie war schon fast aus der Tür, als sie nur für sich hinzufügte: Aber ich verspreche dir, dass er sich weigern wird, mich zu heiraten.

»Wirst du dich jetzt ein wenig zurechtmachen? Zieh dich wenigstens um.«

»O nein. Wenn er mich heiraten will, soll er mich auch so sehen, wie ich bin, und nicht so, wie ich nur selten aussehe.«

Mit rotem Gesicht schrie Konstantin ihr nach, sie solle zurückkommen, aber sie ging hinaus und knallte die Haustür hinter sich zu. Er ließ sich in seinen Stuhl fallen und fragte sich, ob er wohl gewonnen hatte. Er machte sich Sorgen, weil ihr Streit so kurz gewesen war. Man konnte Alexandra nicht trauen, wenn sie zu leicht nachgab.