29
Bojik hatte vor Wassilis Haustür auf Alexandra gewartet. Sie machte sich Vorwürfe, weil sie ihn völlig vergessen hatte. Seit dem Schneesturm, als er sie nicht hatte finden können, hatte er sie nicht mehr aus den Augen gelassen ... warum hatte sie eigentlich schon wieder die Beherrschung verloren? Es kümmerte sie doch überhaupt nicht, wie viele Frauen Wassili besaß. Andere? Er hatte andere gesagt, der Hundesohn, nein, verdammt, es war ihr egal. Es war klar, dass sie etwas tun muss te, um weiterhin konsequent zu erscheinen, aber sie brauchte es ja nicht ernst zu meinen.
Glücklicherweise hatte er sich nicht mehr an die Konsequenz erinnert, die er ihr angedroht hatte, falls sie noch einmal eine seiner Frauen bedrohen würde. Sie war außerdem heilfroh, dass sie gerade noch rechtzeitig aus seinem Haus entwischt war, denn er war ihr viel zu nah gewesen. Sie hatte schon wieder diese merkwürdigen Gefühle gespürt, die sie jedes Mal überfielen, wenn er in ihre Nähe kam. Und sie wusste , was passieren würde, wenn sie ihren Gefühlen noch einmal nachgab.
Wassili hatte seine Augen fest geschlossen, konnte aber immer noch ihren Geruch riechen, den Zorn in ihren mitternachtsblauen Augen sehen. Diese Leidenschaft ...
Er stöhnte und schlug abermals seinen Kopf an die Wand. Seit sie gegangen war, hatte er sich nicht von der Stelle gerührt. Er konnte diese Situation unter Kontrolle halten, ganz sicher konnte er das. Er durfte nur nicht in ihre Nähe kommen. Bis heute hatte er es auch geschafft. Warum hatte er ihrer Forderung eigentlich nachgegeben? Er hätte sie auf der Straße übernachten lassen sollen. Wenn man sie verhaftete, würde er kein Wort zu ihrer Verteidigung sagen. Aber vor Gericht würde er dafür sorgen, dass sie in seinen Gewahrsam gegeben wurde - die Wachträume, die von diesen Gedanken ausgelöst wurden, brachten ihn erneut zum Stöhnen.
Seine Mutter war jetzt seine einzige Hoffnung. Die Hölle, in der er gefangen war, konnte am Ende dieses Tages schon Vergangenheit sein. Marias erste Begegnung mit Alexandra reichte vielleicht aus, um ... Du lieber Himmel, sie war hinausgestürmt und sicher viel zu wütend gewesen, um draußen auf ihn zu warten. Er stellte sich vor, wie sie durch die Stadt irrte. In ihrem Aufzug und ohne Begleitung würde es nicht lange dauern, bis sie von Männern belästigt wurde. Und er hatte ihre Peitsche. Sie war hilflos.
Er hatte solche Angst um sie, dass ihm der Schweiß ausbrach. Als er draußen war, stellte er fest, dass der Lakai nur sein Pferd am Zügel hielt. Alexandras Pferd war nicht mehr da. »Hat die Dame wenigstens gefragt, wie sie zum Haus meiner Mutter kommt?« fragte er den Mann, als er aufstieg. Der Lakai sah ihn verwirrt an.
»Die Dame?«
»Das Mädchen, das mit mir gekommen ist!« bellte Wassili.
»Nein, Sir, aber ich habe gehört, wie sie zu ihrem Hund sagte, er solle Nina suchen, wer immer das auch sein mag.«
Wassili war nicht gerade erleichtert, als er das hörte. Er ritt los und hoffte, dass er Alexandra einholen konnte, bevor sie in Schwierigkeiten geriet. Er erreichte sein Elternhaus, ohne sie gesehen zu haben, und als er endlich seine Mutter gefunden hatte, die sich im Wintergarten aufhielt, war er völlig außer Atem.
Er schrie, ohne dass es ihm bewusst war. »Wo ist sie?«
Maria sah ihn erstaunt an und sagte pikiert: »Drei Monate auf Reisen, und das ist jetzt die Begrüßung für ...«
»Mutter, ist Alexandra hier?«
»Nein, sie ist nicht hier«, gab sie ihm beleidigt zur Antwort. »Warum ist sie denn eigentlich nicht bei dir?
Bis jetzt sind nur ihre Bediensteten hier, der letzte kam erst vor ein paar Minuten.«
Das brachte ihn auf die Frage: »Kam zuletzt eine Frau?«
Maria runzelte die Stirn. »Schon möglich. Jetzt, wo du es sagst... ja, es war eine Frau.«
Seine Angst war plötzlich weg. Er fühlte sich so schwach, dass er sich auf eine Bank setzen muss te, die in seiner Nähe stand. Maria, die ihn scharf beobachtete, sagte argwöhnisch: »Du willst mir doch nicht erzählen, dass diese Frau Baronesse Rubliow war.«
Er hätte wütend werden sollen wegen dem, was er gerade durchgemacht hatte, aber zu seiner Überraschung grinste Wassili. »Ich fürchte doch.«
Maria war schockiert. »Ich habe sie zu den anderen Dienstboten geschickt!«
Wassili fing an zu lachen.
»Ich war noch nie im Leben so in Verlegenheit«, sagte Maria später zu Wassili. »Warum hat sie denn nichts gesagt?«
Sie saßen im Salon und warteten darauf, dass Alexandra sich zu ihnen gesellte. Wassili war vorher noch zum Palast gegangen, um seinen Cousin von seiner Rückkehr zu unterrichten, aber Stefan befand sich in einer Konferenz mit seinen Ministern. Er hatte ihm eine Nachricht hinterlassen, dass er am nächsten Tag noch einmal kommen würde. Danach hatte er gerade noch Zeit gehabt, um bei seinem Haus vorbeizureiten und sich für das Abendessen mit seiner Mutter umzuziehen, das er um nichts in der Welt versäumen wollte. Außerdem hatte er versucht, Fatima zu beruhigen.
Es war ein mühevolles Unterfangen gewesen. Sie hatte gar nicht mehr aufgehört zu weinen. Obwohl er ihren Tränen bis jetzt immer nachgegeben hatte, konnte er das dieses Mal nicht tun. Er wusste , dass Alexandra Mittel und Wege zur Verfügung standen, um es herauszufinden. Ihre Leute waren einfach zu schlau. Außerdem war es einfacher für ihn, Fatima erst einmal wegzuschicken, als sich noch einmal einem von Alexandras Wutanfällen zu stellen. Selbst als er Fatima gesagt hatte, dass ihr Auszug nur von vorübergehender Dauer sein würde - so hoffte er zumindest -, hatte sie nicht sehr glücklich ausgesehen.
Wahrscheinlich hätte er sie am einfachsten davon überzeugen können, dass alles in bester Ordnung war, wenn er mit ihr geschlafen hätte. Seltsamerweise verspürte er nicht das geringste Verlangen nach ihr. Fatimas kleiner, zarter Körper reizte ihn einfach nicht mehr so wie früher. Seine Gedanken waren beherrscht von üppigen Formen, er dachte an Brüste, die so groß waren, dass sie nicht in seine Hände passte n ... Du lieber Himmel, nicht schon wieder!
Er zwang sich, die Frage seiner Mutter zu beantworten. »Alexandra hat nichts dazu gesagt, weil ihr solche Dinge nicht wichtig sind. Du hättest sie genauso gut in den Stall schicken können, dort hätte es ihr auch gefallen.«
»Das ist doch geradezu lächerlich«, belehrte ihn Maria. »Warum ist sie denn eigentlich so merkwürdig gekleidet? Hat sie ihre Kleider verloren?«
Er zuckte mit den Schultern. »Sie hat eine Unmenge von Reisekoffern mitgeschleppt, aber auch wenn sich ein Kleid darin befinden sollte, würde ich es nicht wissen. Ich habe sie bis jetzt nur in dem Aufzug, indem du sie gesehen hast, zu Gesicht bekommen.«
Maria runzelte die Stirn, um ihm deutlich zu zeigen, wie verärgert sie über ihn war. »Du scheinst entschlossen zu sein, mich auch weiterhin zu foppen. Also wirklich, Wassili, ich finde das nicht im geringsten amüsant.«
»Ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich ich darüber bin, Mutter. Ich kann dir sogar garantieren, dass du heute Abend rein gar nichts amüsant finden wirst.«
»Was soll das denn nun schon wieder heißen?«
»Damit meint er wahrscheinlich mich, Madame«, sagte Alexandra, die in der Tür stand. »Da er es mit mir nicht aushalten kann, geht er davon aus, dass Ihr das auch nicht könnt.«
»Mein liebes Kind, wie kommt Ihr denn auf solche ... Gedanken?«
Wassili konnte sich das Lachen kaum verkneifen. Seine Mutter hatte deshalb gezögert, weil ihr erst nach einigen Augenblicken aufgefallen war, dass Alexandra immer noch die Kleider trug, in denen sie angekommen war. Ihren Rock und die Mütze hatte sie abgelegt. Wenn er den scharfen Blick richtig interpretierte, den ihm seine Mutter zuwarf, muss te Maria wohl gerade daran denken, dass er ihr erzählt hatte, er habe sie noch nie in einem Kleid gesehen.
Alexandra ignorierte den Blickwechsel zwischen Mutter und Sohn und beantwortete Marias Frage. »Wenn Ihr mir nicht glaubt, Madame, braucht Ihr ihn nur zu fragen. Er verachtet mich.«
Wassili hätte wissen müssen, dass dieser Abend genauso verlaufen würde, wie er sich das erhofft hatte. Alexandras Direktheit würde seine Mutter schockieren, aber dafür würde er seinen Teil abbekommen.
Maria war wieder pikiert. »Wassili, sag ihr, dass das nicht wahr ist.«
Er tat ihr den Gefallen. Er lächelte sogar dabei. »Natürlich ist es nicht wahr. Was immer ich auch für dich empfinde, Alex, ich könnte dich niemals verabscheuen. Das ist ein recht kaltes Gefühl, und meine Gefühle für dich sind sehr viel ... wärmer.«
Sie ignorierte seine Anspielung auf Leidenschaft vollkommen und provozierte ihn mit den Worten: »Wir werden also deiner Mutter zuliebe ein bisschen lügen?«
»Ich verachte dich nicht, verdammt noch mal!«
»Wassili!« ermahnte ihn Maria.
Er seufzte. Wenn er so schnell die Beherrschung verlor, würde er den Abend nie überstehen. Alexandra wollte mit ihrem süffisanten Grinsen nur erreichen, dass er erneut wütend wurde. Diese kleine Hexe. Sie brachte ihn mit voller Absicht in Verlegenheit.
»Verzeih mir, Mutter. Warum sehen wir dieses Thema nicht einfach als beendet an und begeben uns zu Tisch?«
Hastig pflichtete ihm Maria bei. »Ein ausgezeichneter Vorschlag, allerdings ... Alexandra, wollt Ihr Euch denn nicht vorher umziehen?«
Wassili hatte noch nie jemanden mit einer solchen Unschuldsmiene gesehen wie Alexandra, die mit großen Augen erwiderte: »Was umziehen?«
Seine Mutter ging auf ihre Frage ein. »Eure Kleider, meine Liebe. Wir ziehen uns zum Essen immer an.«
Alexandra blickte an sich herunter. »Aber ich bin doch angezogen.«
»Nein, ich meine ...«
»Gib es auf, Mutter«, unterbrach Wassili sie. »Ich glaube nicht, dass sie überhaupt ein Kleid besitzt.«
»Aber natürlich habe ich ein Kleid«, sagte Alexandra. »Was glaubst du wohl, was in all den Reisekoffern war, die wir hierhergeschleppt haben?«
»Peitschen und Dolche«, sagte er mit unbewegtem Gesicht.
Sie lachte. Ihr Lachen war echt, und das überraschte Wassili. Es wärmte ihn und zauberte ein Lächeln auf seine Lippen. Maria fand es ganz und gar nicht amüsant.
Mit strenger Miene sagte sie: »Wir werden morgen über das Thema Kleidung weiterreden, Alexandra. Wassili, würdest du uns bitte ins Esszimmer führen?«
Das tat er dann auch, aber er fragte sich, ob er seine Mutter nicht vielleicht vor Alexandras Tischmanieren hätte warnen müssen. Wenn Maria so schockiert war, dass sie die Beherrschung verlor und Alexandra irgendwie beleidigte, war nicht vorauszusehen, wie sie reagieren würde.
Wie sich herausstellte, hätte er sich deswegen keine Gedanken machen müssen. Er hätte sich daran erinnern müssen, dass Menschen in Alexandras Umgebung selten Anstoß an ihren merkwürdigen Gewohnheiten nahmen. Es verging einige Zeit, bis Maria bemerkte, dass Alexandra mit den Fingern aß. Sie war nicht schockiert, sondern eher peinlich berührt, obwohl sie nicht um den heißen Brei herumschlich, als sie das Thema ansprach. Auch Maria konnte zuweilen sehr direkt sein.
»Hat Ihnen denn niemand korrekte Tischmanieren beigebracht, meine Liebe?«
Alexandra zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, ja, aber das ist schon so lange her, dass ich alles wieder vergessen habe.«
»Warum wurde der Unterricht denn nicht fortgesetzt?«
»Das meint Ihr doch nicht im Ernst.« Alexandra lachte. »Es ist die reinste Zeitverschwendung, sich mit diesem ganzen Zeug abzumühen, wenn ich statt dessen die Zeit mit meinen Babys verbringen kann.«
Jetzt war Maria schockiert. Ihre honiggoldenen Augen suchten Wassilis Blick. »Ihre Babys?«
»Pferde, Mutter.«
Völliges Entsetzen. »Du nennst ihre Babys >Pferde<?«
»Nein, Mutter«, erwiderte er geduldig. »Sie nennt ihre Pferde >Babys<. Sie züchtet sie.«
»Wassili, das ist nicht witzig.«
»Es sollte auch gar nicht witzig sein.«
Alexandra spürte wieder Marias ungläubigen Blick auf sich, aber das war ihr egal. Ihr bisheriges Benehmen auch in Marias Gegenwart an den Tag zu legen, war viel leichter, als sie gedacht hatte, wenn Wassili anwesend war. Er würde natürlich nicht immer hier sein. Nach dem Essen würde er in sein eigenes Haus zurückkehren und ...
»Petroff, wie viele andere hast du denn eigentlich noch, außer der Konkubine in deinem Haus?«
Maria rang um Atem. Wassili verschluckte sich beinahe. Er konnte nicht glauben, dass Alexandra, so direkt sie auch war, dieses Thema in Gegenwart seiner Mutter anschneiden würde. Wie war sie überhaupt auf diesen Gedanken gekommen? Wenigstens ging sie auf ihn los und nicht auf seine Mutter. Selbst er hätte es nicht besser arrangieren können. Das würde der krönende Abschluss sein und den Ausschlag geben.
»Nur noch drei andere«, antwortete er. Ihm war bewusst, dass der Blick seiner Mutter jetzt wieder auf ihm ruhte, aber er wandte seine Augen nicht von Alexandra ab. Sie schäumte vor Wut. Das konnte nur noch besser werden. Seine Hoffnungen wurden erfüllt.
»Nur drei andere? Und du willst alle behalten, für alle bezahlen, mit allen herumhuren?«
Er verschluckte sich beinahe noch einmal. Seine Mutter hörte sich an, als ob sie sich ebenfalls verschluckt hätte. Wassili wagte es nicht, sie anzusehen. Er hatte zwar etwas in der Richtung erwartet, aber trotzdem stieg ihm die Hitze ins Gesicht. Und er hatte gedacht, es gäbe nichts mehr, womit Alexandra ihn noch schockieren könnte.
Irgendwie brachte er es fertig, ihr mit ruhiger Stimme zu antworten: »So ähnlich, ja.«
»Ich werde sie finden, Petroff, jede einzelne von ihnen, darauf kannst du dich verlassen. Du wirst dich nicht mehr sehr lange mit ihnen vergnügen.«
»Dann darf ich wohl davon ausgehen, dass ich sehr oft dein Gast sein werde.«
»Im Haus deiner Mutter?« schleuderte sie ihm triumphierend entgegen. »Das glaube ich nicht.«
»Alex, du denkst doch nicht, dass mich das davon abhält, mein Versprechen zu halten?« sagte er leise. Sein Ton war drohend.
»Einen Lüstling wie dich wahrscheinlich nicht. Aber Bojik wird dich davon abhalten, und von jetzt an schläft er bei mir.«
Maria, die endlich ihre Stimme wiedergefunden hatte, fragte etwas zu laut: »Wer ... ist ... Bojik?«
Wieder stieg Wassili die Hitze ins Gesicht. Alexandra hatte ihn dermaßen gereizt, dass er tatsächlich für kurze Zeit seine Mutter vergessen hatte, die immer noch anwesend war. Als er sie schließlich ansah, befürchtete er, dass er es Alexandra gleichgetan und sie ebenfalls schockiert hatte.
»Bojik ist ihr Hund, Mutter.«
»Ich dulde keine Hunde in meinem ... also, wenn ich darüber nachdenke ... o du meine Güte.« Maria begann, sich mit ihrem Fächer Luft zuzuwedeln. »Wassili, du wirst dich nicht in ihr Zimmer schleichen, erst nach der ... o du meine Güte. Das kann doch nicht ... sie ist ... o du meine Güte.«
»Ich weiß, Mutter«, pflichtete ihr Wassili bei.
»Hast du es gewusst?« fragte sie mit anklagender Stimme.
»Nicht alles. Unsere Reise war recht aufschlussreich.«
»Und warum hast du sie dann nicht zurückgebracht?«
»Du hast mir doch gesagt, dass das nicht in Frage kommt«, erinnerte er sie.
»Nein, natürlich nicht, aber ... o du meine Güte, das kommt alles so unerwartet. Eine Dame, die der Meinung ist, ihre Pferde seien wichtiger als ...«
Wassili wünschte, seine Mutter hätte ihre Tiraden nicht ausgerechnet mit diesem Thema begonnen, denn jetzt musste er sie unterbrechen, bevor sie zu weit vorpreschte. Aber er wusste , dass Alexandra keine rüden Bemerkungen tolerieren würde, die sich auf ihre Pferde bezogen.
»Sie hat nun mal ihren eigenen Kopf, Mutter.« Er grinste Alexandra an. »Das stimmt doch, nicht wahr, Liebling?«
»Ich muss ihn gerade verlegt haben, weil ich hier sitzen bleibe und zuhöre, wie ich seziert werde«, erwiderte Alexandra und stand auf. Sie klang aber gar nicht wütend und leckte sich geräuschvoll die Finger ab, bevor sie hinzufügte: »Wenn du mir noch etwas zu sagen hast, Petroff ... ich bin im Stall. Du brauchst aber nur zu kommen, wenn du sagst, was ich hören will.«
Alexandra ging hinaus. Als Wassili ihr nachblickte, wurde ihm klar, dass sie von ihm erwartete, heute Abend die Verlobung aufzulösen. Alles, was sie heute Abend gesagt und getan hatte, war mit voller Absicht geschehen. Du lieber Himmel, hatte sie etwa das gleiche gedacht wie er: dass seine Mutter die ganze Sache für sie beide beenden konnte? Nein, sie vermutete es wahrscheinlich nur. Als ihm einige der Schimpfworte einfielen, die sie während der Reise gebraucht hatte, wusste er, dass sie sehr viel unflätiger hätte sein können. Vielleicht hatte sie nur versucht, sich Maria von ihrer schlechtesten Seite zu zeigen, damit diese von ihrem >normalen< Benehmen nicht so überrascht war wie anfangs er.
»Mein Gott, Wassili, dieses Mädchen ist grauenhaft«, sagte Maria, sobald sie allein waren.
»Ja, das finde ich auch.«
»Du kannst sie nicht heiraten, nicht in diesem Zustand.«
»Nein?«
»Natürlich nicht. Sie würde uns beide blamieren. Man muss ihr zuerst korrektes Benehmen beibringen.«
Das hatte er nicht erwartet. Aber seine Überraschung verwandelte sich schnell in Belustigung. Alexandra beibringen, eine Dame zu sein? Niemals.
»Du weißt nicht, auf was du dich da einlässt, Mutter. Wäre es nicht am besten, wenn wir sie wieder nach Hause schicken?«
Er musste zugeben, dass sie einen Augenblick lang darüber nachdachte. Aber er wusste , welche Richtung ihre Gedanken nahmen. Das hier war vielleicht ihre letzte Chance, ihn zu einer Heirat zu zwingen. Nein, sie würde noch nicht aufgeben.
»Nein, das Mädchen braucht nur ein wenig Hilfe. Sie hat zweifellos bereits einmal Unterricht bekommen, sie ist schließlich eine Baronesse. Sie hat es nur vergessen. Das hat sie uns ja auch gesagt. Ihr Vater hat sie nach dem Tod seiner Frau wohl ein wenig verwildern lassen.«
Die Geliebte ihres Vaters wohnte bei ihnen im Haus. Warum hatte sie denn nichts wegen Alexandras Manieren unternommen?
»Sie flucht wie ein betrunkener Matrose, sie schlägt mit einer Peitsche um sich, sie droht, jeder Frau, die in meine Nähe kommt, die Ohren abzuschneiden. Und du willst aus ihr eine Dame machen?«
Der Gesichtsausdruck seiner Mutter sagte ihm, dass sie ihm kein Wort glaubte. Sie ging auch überhaupt nicht darauf ein, sondern fragte statt dessen: »Warum ist denn Alexandra um diese Zeit in den Stall gegangen?«
Er seufzte. »Weil sie jeden freien Moment bei ihren Pferden verbringt. Ich habe keinen Witz gemacht, als ich sagte, sie züchtet sie. Sie arbeitet mit ihnen, sie sorgt für sie, und sie hat ihre ganze Herde mitgebracht.«
»Nun, das wird aufhören. Es schickt sich nicht für eine Dame.«
»Diese Pferde sind ihr ein und alles, Mutter. Sie wird gewalttätig, wenn es um die Tiere geht. Du kannst versuchen, aus ihr eine Dame zu machen, aber ich rate dir, nicht einmal anzudeuten, dass du sie von ihren Babys fernhalten willst.«
»Wir werden sehen«, gab Maria zurück, allerdings nur, um ihren Standpunkt deutlich zu machen. Sie würde sich seine Warnung zu Herzen nehmen und die Pferde vorläufig nicht erwähnen. Aber das galt nicht für ihn, deshalb fügte sie mit strenger Miene hinzu: »Und du, mein Sohn, wirst dich von ihrem Schlafzimmer fernhalten. Glaub nur nicht, ich hätte diese kleine Plänkelei zwischen euch beiden nicht verstanden.«
Ihm fiel ihr >Wenn ich darüber nachdenke< wieder ein. Er musste lächeln. »Mutter, du hast wohl ihren Hund noch nicht gesehen. Glaub mir, ich werde mich nicht mit ihm anlegen.«
»Das hoffe ich allerdings auch.« Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. »Hunde in meinem Haus. Was tue ich nicht alles, damit...«
Sie beendete ihren Satz nicht. Er wusste auch so, was sie meinte.