18

Alexandra schämte sich zwei Tage lang. Sie hätte Wassili glauben sollen, aber nein, sie musste unbedingt zu dem Bauernhaus reiten, von dem er gesprochen hatte, und herausfinden, dass die einzigen Bewohner ein altes Ehepaar und ihre beiden Enkelsöhne waren.

Außer der alten Frau gab es niemanden, dem er Avancen hätte machen können, aber dazu hätte er wirklich verzweifelt sein müssen. Anscheinend war er das nicht gewesen, denn er hatte gelacht, als Alexandra herausgekommen und wieder auf ihr Pferd gestiegen war. Diese Runde hatte er gewonnen.

Aber es kam noch schlimmer. Als sie gestern Abend in einem Gasthof eingekehrt waren, hatte er einen Bottich voll heißem Wasser zu ihr aufs Zimmer schicken lassen, zusammen mit einer Nachricht, die sie einfach nicht ignorieren konnte. Badet, oder ich werde Euch dabei helfen. Als sie anschließend zum Essen nach unten gegangen war, hatte dieser Lackaffe doch tatsächlich an ihr geschnuppert.

Aber als sich schließlich eine Chance ergab, es ihm heimzuzahlen, stürzte sie sich sofort darauf, wobei ihr nicht einmal bewusst war, welchen Erfolg sie damit haben würde.

In der Stadt, die sie gegen Ende der Woche erreichten, gab es ein kleines, aber elegantes Hotel, das Wassili natürlich schon kannte, da er für die Rückreise nach Kardi nien dieselbe Route gewählt hatte wie für seine Hinreise. Sie hatte zuerst befürchtet, dass in dem Hotel mehr weibliche Angestellte sein würden, als sie im Auge behalten konnte, daher hatte sie beschlossen, statt dessen eben Wassili im Auge zu behalten.

Aber dann hatte sie herausgefunden, dass er nur eine Nacht in dem Hotel verbracht hatte, als er das letzte Mal hier gewesen war, obwohl der Rest seines Gefolges viel länger geblieben war. In dieser Stadt waren sie länger als eine Woche geblieben, und ganz bestimmt nicht deswegen, weil einer der Mitreisenden krank geworden war. Wassili hatte ihren Vater angelogen. Er hatte ihr nur einen Tag Zeit gelassen, um zu packen und von ihrem Zuhause Abschied zu nehmen. Warum?

Die Dame hieß Claudia Schewzenko, eine junge, verwitwete Gräfin, und Wassili hatte die ganze Woche in ihrem Bett oder nicht weit davon entfernt verbracht. Ihr Haus stand nahe dem Hotel, ein Stück die Straße hinunter, und er hatte sie am Tag seiner Ankunft in der Stadt kennengelernt, als sie gerade mit einigen Freunden im Hotel zu Abend gegessen hatte.

Es war recht einfach gewesen, die ganze Geschichte in Erfahrung zu bringen, denn die beiden hatten einen Riesen Skandal verursacht. Die Stadt war schließlich nicht sehr groß und die Witwe recht bekannt - und angeblich sehr keusch. Zumindest war sie das gewesen, bevor sie einen außerordentlich gutaussehenden Kardinier kennengelernt hatte, der einen Engel verführen konnte, wenn er es darauf anlegte. Das sagten die Leute hier zumindest.

Alexandra war daher sehr überrascht, als Wassili am Abend keinen Versuch machte, das Hotel zu verlassen. Er ging zu Bett und blieb dort auch. Das berichtete ihr Timofee am nächsten Morgen, nachdem sie ihr Zimmer verlassen hatte. Was sie nicht überraschte, war die Tatsache, dass Wassili nirgends zu finden war, als sich alle vor dem Hotel versammelten, um aufzubrechen.

Schließlich sagte Lazar, der sich sichtlich unwohl fühlte und wohl als Überbringer der Nachricht auserwählt worden war, zu ihr: »Wassili ist bereits aufgebrochen.«

»Ach, tatsächlich? Und wann?«

»Vor zehn Minuten.«

Sie bezweifelte nicht, dass sich Lazar bereits eine ganze Reihe von Erklärungen überlegt hatte, um diesem ungewöhnlichen Verhalten einen harmlosen Anschein zu verleihen. Aber sie wollte keine davon hören. Sie sah zu Konrad hinüber, der ihr mit einem Kopfnicken bestätigte, dass Wassili wirklich erst vor zehn Minuten aufgebrochen war. Dann lächelte sie und ritt zur Stadt hinaus.

Sie würde Wassili zwanzig Minuten geben und keine Minute länger. Wenn er dann nicht aufgetaucht war, würde sie zurückreiten und ihn holen, denn sie glaubte nicht eine Sekunde lang, dass er auf der Straße war und ihnen wie üblich vorausgeritten war.

Wassili klopfte in diesem Moment gerade an die Tür der Rothaarigen, die ihn das erste Mal, als er durch die Stadt gekommen war, so gut unterhalten hatte. Anscheinend hatte er Glück, denn anstelle eines Dieners öffnete sie selbst die Tür - und knallte sie ihm vor der Nase wieder zu.

»Geh weg!« schrie sie hysterisch durch die schwere und jetzt wieder fest verschlossene Tür.

Einen Moment lang glaubte er, sich verhört zu haben. Aber dann ballten sich seine Finger langsam zu Fäusten, Röte überzog sein Gesicht, und aus seiner Brust kam ein gefährlich leises Brummen.

Er erreichte Alexandra in weniger als den zwanzig Minuten, die sie ihm zugestanden hatte.

Sie hörte, wie er herangaloppiert kam, und riss Sultan herum. Beinahe wären sie zusammengeprallt.

»Da hinüber«, sagte er in unheilverkündendem Ton. »Sofort! Sonst ist hier der Teufel los.«

Er hatte zu einem einsamen Baum gedeutet, der mehrere hundert Meter entfernt war, und ritt nun direkt darauf zu, ohne abzuwarten, ob sie ihm folgte. Angesichts seines Zorns wäre sie lieber geblieben, wo sie gerade war - aber nein, sie hoffte zu sehr, dass sie jetzt endlich am Ziel ihrer Wünsche angelangt war. Ihre Freunde waren nicht so optimistisch. Sie hatte ihnen befohlen, bei den Karren zu bleiben.

Sultan erreichte Wassili im Handumdrehen. Er war bereits abgestiegen und ging unter dem Baum hin und her. Er ließ ihr keine Chance, aus dem Sattel zu steigen, sondern zog sie einfach von ihrem Pferd herunter. Dann ließ er sie sofort wieder los und ging abermals hin und her.

Sie hatte ihn noch nie so gesehen, ja, sie hatte sich nicht einmal vorstellen können, dass ein Lackaffe wie er überhaupt fähig war, so wütend zu werden. Er war eindeutig wütend.

Vorsichtig versuchte sie, sich etwas weiter von ihm zu entfernen, da sie nicht sehr erpicht war zu hören, was er ihr zu sagen hatte. Aber als sie sich in Bewegung setzte, kam er wie der Blitz herangeschossen und stellte sich vor sie hin. Seine Augen schienen Funken zu sprühen.

»Das lasse ich mir nicht länger bieten«, sagte er. Es fehlte nur wenig, und er hätte geschrien. »Ich werde Eure Drohungen nicht mehr dulden, Alexandra. Ich werde mit jeder Frau schlafen, mit der ich schlafen will, und wenn Ihr noch eine einzige dazu bringt, sich in panischer Angst vor mir zu verstecken, werde ich statt dessen mit Euch schlafen.«

Das war zwar nicht gerade das, was sie hören wollte, aber ganz so schlecht war es auch wieder nicht. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und erwiderte kühl: »Nein, das werdet Ihr nicht tun. Solange Ihr mir gehört, werdet Ihr mir treu sein. Ich weiß nicht, warum ich das dauernd wiederholen muss . Und mit mir werdet Ihr erst nach der Hochzeit schlafen. Wenn Ihr Eure Frauen zurückhaben wollt, Wassili, dann wisst Ihr ja, was Ihr tun müsst .«

»Ihr glaubt doch wohl nicht, dass ich mich daran halten werde?« Dieses Mal brüllte er, und zwar recht laut.

Sie wusste, dass es ihn beleidigen würde, wenn sie angesichts seines Zorns ruhig und beherrscht weitersprach, aber genau das tat sie. »Niemand verlangt von Euch, dass Ihr Euch daran haltet, Petroff. Ihr müsst Euch lediglich mit den Konsequenzen abfinden, wenn Ihr Euch nicht daran haltet.«

Daraufhin fing er wieder an, hin und her zu gehen. Es war faszinierend, ihm dabei zuzusehen. Er war so impulsiv, ja, sogar unberechenbar. Eigentlich hätte sie Angst haben müssen, aber merkwürdigerweise empfand sie keine Furcht. Nervosität, ja, aber das war auch alles. Dann fiel ihr ein, dass sie diese Unterhaltung nicht führen würden, wenn er nicht zu dieser Frau gegangen wäre. Er war zu ihr gegangen, um mit ihr zu schlafen, und er hätte es auch getan, wenn sie - Alexandra - nicht die ganze Geschichte erfahren und der Gräfin eine kleine Nachricht geschickt hätte. Schon der Vorsatz allein zählte. Was sie empfand, ließ sich nicht beschreiben.

Plötzlich wollte er wissen: »Wie zum Teufel habt Ihr das herausgefunden? Das mit...?«

»... Claudia?« soufflierte sie ihm.

»Ja, Claudia, oder wie immer sie heißen mag.«

Dass er nicht einmal wusste, wie die Frau hieß, hätte Alexandra etwas beschwichtigen sollen, aber es widerte sie nur noch mehr an. Dieser Mann hatte offensichtlich so viele Frauen, dass er den Überblick verloren hatte. Das hatte sie sich zwar schon gedacht, aber sie fand es unerträglich, dass er ihren Verdacht jetzt bestätigte.

Doch er sollte nicht erfahren, wie beunruhigt sie war, daher zuckte sie mit den Schultern, bevor sie antwortete: »Ihr wäret erstaunt, wenn Ihr wüsstet , wie viele Informationen man erhalten kann, wenn man ein paar Münzen in die richtigen Taschen steckt.«

»Und Ihr wart bei ihr? Wann? Ihr habt das Hotel doch gar nicht verlassen.«

Anscheinend hatten auch seine Spione in der letzten Nacht recht wenig geschlafen. »Um so etwas kümmere ich mich doch nicht selbst«, sagte sie, wobei sie sich bemühte, gleichgültig zu klingen. »Ich habe jemanden mit einer Nachricht zu ihr geschickt. Sie muss wohl richtig angekommen sein.«

»Oh, das bezweifle ich nicht«, schnaubte er. »Eure Leute sind gründlich.«

»Das nennt man Loyalität.«

»Wollt Ihr damit etwa sagen, diese Tugend wäre mir fremd?«

Sie lächelte ihn an. »Das habt Ihr gesagt, nicht ich.«

Obwohl er nur ein wenig ungehalten klang, ärgerte er sich in Wahrheit sehr darüber. »Meine Loyalität ist über jeden Verdacht erhaben. Sie gehört jedoch nur einigen wenigen Auserwählten.«

Sie kannte die Antwort schon im Voraus, aber trotzdem wollte sie eine Bestätigung. »Und ich gehöre nicht zu diesen Auserwählten?«

»Das habt Ihr gesagt, nicht ich«, schleuderte er ihr mit einem bösen Lächeln entgegen.

Jetzt fing auch sie an zu schreien. »Nicht einmal darin, wenn ich Eure Frau werde?«

»Ich hoffe nur, Ihr gelangt endlich zur Besinnung, bevor es dazu kommt«, brüllte er.

»Das hoffe ich von Euch allerdings auch, Petroff!«

Wieder einmal standen sie sich gegenüber. Sie starrte ihn böse an, er warf ihr finstere Blicke zu. Ihr Busen hob und senkte sich. Er bemerkte es, und dieses Mal schlug ihm kein ungewöhnlicher Geruch entgegen, der ihn ablenken konnte.

Aus ihrer beider Wut wurde unvermittelt Leidenschaft. Plötzlich spürte Wassili, dass er sterben würde, wenn er sie nicht küssen konnte. Plötzlich konnte Alexandra ihren Blick nicht mehr von seinem sinnlichen Mund abwenden.

Und dann, als ob sie es gewollt hätte, spürte sie auf einmal seinen Kuss, glühend heiß und wild. Es war noch besser als in ihrer Erinnerung. Er presste sie an sich, und auch das war besser als in ihrer Erinnerung.

Ihre Finger krallten sich in seine Arme, gruben sich in seine Muskeln, aber nicht, um ihn wegzustoßen. Seine Hand auf ihrem Po hob sie hoch und presste sie an seine Mitte, bis sie das Gefühl hatte zu schmelzen und sich nach etwas sehnte, das sie nicht verstand.

Wassili stand über sie gebeugt und schien sie allein durch die Kraft seiner Lippen immer weiter auf die Erde sinken zu lassen. Sein brennendes Verlangen nach ihr ließ ihn alle goldenen Verführungsregeln vergessen, an die er sich in der Vergangenheit immer gehalten hatte.

Das hier war keine Verführung, bei der er jede Bewegung und jede Nuance bis zum gewünschten Ende kontrollierte. Er hatte überhaupt keine Kontrolle mehr, sondern war gefangen von purer Leidenschaft, von ihrem Geruch, der alle seine Sinne erfüllte, von dem Gefühl, dass sie ihn berauschte und über jene Grenze trieb, hinter der es keine Vernunft mehr gab.

Und dann lagen sie beide tatsächlich auf der Erde. Keiner von beiden bemerkte es. Wassili steuerte auf ein einziges Ziel zu, und Alexandra wurde von den Empfindungen verzehrt, die in ihr tobten, von dem puren Genuss , den seine Berührungen auslösten, sein Gewicht auf ihr, seine Hand, die langsam an ihrem Schenkel nach oben glitt, bis ...

Ihr Stöhnen wurde von seinem Kuss erstickt, seine Hand zwischen ihren Schenkeln trieb sie bis an den Rand des Abgrunds. Noch nie zuvor hatte er eine solche Befriedigung angesichts der Hingabe einer Frau gespürt.

Er hätte sie auch dort auf der Erde genommen, und sie hätte es zugelassen. Dies wurde ihnen mit erschreckender Deutlichkeit klar, als Sultan sie einige atemlose Momente später mit seiner Nase anstupste und beide sofort aufstanden.

Alexandra wäre am liebsten im Boden versunken, weil Wassili wieder diese sonderbaren Empfindungen in ihr ausgelöst hatte. Sie versetzte ihm eine Ohrfeige. Das hätte sie sich jedoch besser überlegen sollen, da er zurückschlug - nicht sehr hart, aber gerade so fest, dass es sie schockierte.

»Das war wohl nicht angebracht«, bemerkte sie trocken.

Wassili zitterte immer noch, doch er dachte nur daran, sie zurück in seine Arme zu reißen. Wie konnte sie es wagen, einfach nur dazustehen und völlig unbeeindruckt von dem zu sein, was gerade zwischen ihnen vorgefallen war? Was die Ohrfeige anging, nun, sie hätte ihn eben nicht überraschen sollen, wenn er so ... außer sich war.

»Ihr könnt mich anschreien, solange Ihr wollt, meine Liebe, aber wenn Ihr das nächste Mal gewalttätig werdet, könnt Ihr sicher sein, dass ich nicht zurückschlage«, versprach er ihr.

»Ihr werdet nicht zurückschlagen?«

Er schüttelte langsam den Kopf. »Nein. Ich werde euch statt dessen hinter die Büsche schleifen und mit Euch schlafen.«

Sie musste wohl völlig verrückt geworden sein, weil sie nicht einmal versuchte, das Thema zu wechseln. »Warum habt Ihr das denn gerade eben nicht getan?«

»Ich bin der Meinung, dass eine kleine Vorwarnung angebracht ist - bevor einem keine Wahl mehr gelassen wird.«

»Ihr würdet es selbst dann tun, wenn ich mich wehre?«

Mit einem kalten Lächeln sah er sie an. »Genau.«

»Ihr wisst, wie man das nennt, nicht wahr?« sagte sie mit beißender Verachtung.

»Nachdem ich Euch gewarnt habe? Ich würde es eine Einladung nennen.«

Sie war sicher, dass er diese erschreckende Drohung nur aus sexueller Frustration ausgestoßen hatte. Und sie wusste plötzlich nicht mehr, wie sie wieder die Oberhand gewinnen konnte, nachdem die Konsequenzen, die er ihr angedroht hatte, weitaus schlimmer waren als alles, womit sie selbst drohen konnte. Aber sie machte sich keine Sorgen, dass sie ihn wieder ohrfeigen würde. Sie würde sich beherrschen können. Es war das Küssen, zu dem es nie wieder kommen durfte, das Küssen, das durch seine Frustration ausgelöst wurde, das Küssen, dem sie sich so hemmungslos hingegeben hatte.

Sie würde nachgeben müssen. Andernfalls riskierte sie, dass seine Frustration noch größer wurde, riskierte, dass er wieder über seine Rechte nachzudenken begann. Du lieber Himmel, er würde vielleicht sogar versuchen, sie zu verführen. Sie konnte sich noch gut an das Lächeln erinnern, mit dem er die Magd im Gasthof bedacht hatte. Sie wollte nicht herausfinden, ob sie ihm widerstehen konnte, wenn er sie genauso anlächelte.

Aber sie hasste es, nachgeben zu müssen. Ungehalten schleuderte sie ihm entgegen: »Dann geht doch! Geht zurück in die Stadt und sucht Euch eine Hure. Verbringt den ganzen Tag mit ihr. Wir werden in der nächsten Stadt auf Euch warten.«

Ob es nun das war, was Wassili hören wollte, oder nicht - er dachte gar nicht daran, mit ihrer Erlaubnis zu gehen.

»Nein, das glaube ich nicht«, sagte er nachdenklich, wobei sein Blick an ihren Brüsten hängenblieb. »Ich glaube, ich werde warten, bis Ihr mich wieder ohrfeigt.«

Alexandra spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Genau das wollte sie jetzt tun - ihn wieder ohrfeigen. Sie kannte niemanden, der es mehr verdient hätte als er.

Stattdessen gab sie ihm noch eine Warnung mit auf den Weg und sagte spöttisch: »Eine kluge Entscheidung, Petroff, von der Ihr natürlich nicht sehr viel haben werdet, aber trotzdem sehr klug - weil ich meinen Entschluss wahrscheinlich geändert hätte, sobald Ihr gegangen wäret. Es wäre doch mehr als peinlich gewesen, wenn ich Euch und Eure Hure gestört hätte - hoffentlich im entscheidenden Moment.«

»Hat Euch schon einmal jemand gesagt, was für ein Biest Ihr sein könnt, meine Liebe?« fragte er sie betont freundlich. In seinen Augen sah sie wieder das vertraute Funkeln.

Ihre Stimme klang so freundlich und so falsch wie die seine. »Ich tue mein Bestes.«

Dann drehte sie sich um und ging auf ihr Pferd zu. Wassili versuchte, sie aufzuhalten, was sie jedoch nicht bemerkte. Aber was immer auch als nächstes geschehen wäre, es passierte nicht, da beide abgelenkt wurden.

Alexandra bemerkte als erste, warum Sultan sie angestupst hatte. Er wollte ihre Aufmerksamkeit wecken, weil Wassilis Hengst frech geworden war und nach ihm schnappte. Dann sah sie etwas viel Schlimmeres, das sie eigentlich hätte erwarten sollen.

Die Razin-Brüder waren ihr nachgeritten. Und anscheinend waren den Kosaken Wassilis Wachen hinterher geritten, um ihr Eingreifen zu verhindern. Jetzt jedenfalls lagen die Männer auf halbem Weg zwischen der Straße und dem Baum auf der Erde und wälzten sich prügelnd im Staub.

Wassili unterdrückte einen Fluch und warf Alexandra einen finsteren Blick zu. »Seht Euch an, was Ihr angerichtet habt«, sagte er anklagend.

»Ich? Habt Ihr etwa geglaubt, meine Kosaken würden sich einfach hinstellen und zusehen, wie Ihr mich schlagt?«

»Ich habe Euch nicht geschlagen.«

»Ach, und was war das gerade eben?« fragte sie ihn, als sie auf ihr Pferd stieg.

»Ein Klaps auf die Wange, um Eure Aufmerksamkeit auf mich zu lenken«, sagte er, als er ebenfalls aufstieg. »Wenn ich Euch geschlagen hätte, würdet Ihr jetzt flach auf dem Rücken liegen - was eigentlich gar keine so schlechte Idee ist.«

Das war zu viel. »Ihr hattet Glück, dass Bojik mir nicht gefolgt ist, sonst würden Eure Männer den Rest des Morgens damit verbringen, Euch zu begraben, und hätten keine Zeit, sich um ihre blauen Augen zu kümmern. Und Ihr sorgt besser dafür, dass sich Euer Pferd benimmt!« Sie muss te schreien, da sie jetzt beide zurückritten, um die Männer auseinanderzubringen. Sie hatte bereits einen leichten Vorsprung. »Wenn er noch einmal nach meinem Pferd schnappt, lasse ich Sultan auf ihn losgehen - und ich hoffe, dass Ihr dann gerade im Sattel sitzt!«

»Alex?«

»Was?«

»Ich werde jede Gewalttätigkeit - von Euch oder auf Euren Befehl hin - als Ohrfeige betrachten.«

Sie sagte kein Wort mehr.