»Das Merkwürdige daran ist«, sagte Wassili zu Lazar, als sie den anderen vorausritten, »dass ich überhaupt nicht mit ihr schlafen wollte. Ich wollte nur mir und diesem kleinen Biest beweisen, dass ich es könnte.«
Lazar nickte. Er war nicht im geringsten überrascht. Aber schließlich verstand er Wassili besser als die meisten Menschen, da er alle seine Marotten und Eigenheiten kannte, alle seine Schwächen und Stärken.
Wassili hatte Claudia Schewzenko kennengelernt, als sie gerade die Karpaten überquert hatten und er immer noch von Groll erfüllt gewesen war, dass er diese Reise überhaupt machen muss te. Er war nicht deshalb eine Woche bei ihr geblieben, weil er sie so unwiderstehlich fand, sondern um zu beweisen, dass die Verlobung an seinem hemmungslosen Lebensstil rein gar nichts ändern würde.
Wie die meisten Männer bevorzugte Wassili zwei Arten von Frauen: solche, zu denen er sich wirklich hingezogen fühlte, und Frauen, die er nur für sein Bett haben wollte. Von den letztgenannten hatte er aufgrund seines Aussehen immer eine Menge zur Auswahl. Es waren dies meistens Frauen, die sich ihm ohne Aufforderung anboten. Und Wassili ließ kaum eine Gelegenheit aus, da er schließlich an eine gewisse Zügellosigkeit in seinem Leben gewöhnt war.
Die Gräfin Schewzenko war eine dieser Frauen. Sie war zwar hübsch, aber ausgesprochen mager. Wassili hatte es lieber, wenn seine Frauen üppig und etwas runder waren, so wie Alexandra.
Lazar sagte gerade zu ihm: »Etwas Gutes hat diese dumme Geschichte doch gehabt. Du weißt jetzt, dass die Baronesse mit der Reitpeitsche umgehen kann.«
Dafür warf ihm Wassili einen bösen Blick zu. Lazar wäre über jede andere Reaktion enttäuscht gewesen. Seit dem Vorfall, den er so schnell nicht wieder vergessen würde, waren jetzt fünf Tage vergangen, und er hatte das Ganze mindestens einmal am Tag erwähnt, nur um Wassili zu reizen.
Einer von Alexandras Kosaken hatte sich bei dem Kampf, wie sie es jetzt alle nannten, einen Finger gebrochen. Es war absolut lächerlich gewesen - nicht der Finger, sondern die Rauferei selbst und Lazar hatte sich einfach hingestellt und dem Spektakel zugesehen. Die Sache war erst dann interessanter geworden, als Alexandra festgestellt hatte, dass der Kosake verletzt war.
Sie war mit der Reitpeitsche auf Wassilis Mann losgegangen, und Wassili war als einziger mutig genug - oder genügend verärgert - gewesen, sich in ihre Nähe zu wagen, während sie dieses heimtückische Ding schwang, und es ihr aus den Händen zu reißen. Seitdem warf sie der Wache und Wassili mörderische Blicke zu.
Danach war allen klar, dass Alexandra die Razins wie ihre Familie liebte. Sie behandelte sie, als seien sie ihre Brüder, sie verteidigte sie wie Brüder, sie beschimpfte sie wie Brüder. Lazar konnte nicht verstehen, wie Wassili jemals auf den Gedanken kommen konnte, dass sie ihre Liebhaber seien, aber sein Freund benahm sich sowieso etwas merkwürdig, seit er sein >kleines Biest< getroffen hatte.
Lazar fragte sich, ob Wassili wusste, wie besitz ergreifend er sich inzwischen anhörte, wenn er von Alexandra sprach. Oder ob ihm bewusst war, wie oft er sich im Laufe des Tages umschaute, nur um einen Blick auf sie zu erhaschen.
Wassili ritt auch nicht mehr so häufig alleine weg wie zuvor, und als sie die Berge erreichten, gab er diese Angewohnheit ganz auf. Aber schließlich war bekannt, dass die Karpaten Reisenden kein sehr freundliches Gesicht zeigten, ganz besonders dann, wenn diese etwas von Wert mitzuführen schienen. Einmal war es ihnen gelungen, die Berge ohne Zwischenfall zu überqueren. Ein zweites Mal würde ihnen das wahrscheinlich nicht glücken, besonders jetzt, da sie zwei vollbepackte Karren und eine Herde wertvoller Vollblutpferde mit sich führten.
Sie verstärkten die Sicherheitsvorkehrungen und stellten nachts zwei zusätzliche Wachen auf. Aber mehr als weitere Männer aus einem der Bergdörfer anzuheuern - was Wassili strikt ablehnte, da die Chancen sehr groß waren, dass sie die Männer anheuerten, die sie später ausrauben würden -, konnten sie nicht tun.
Einiges hatte sich verändert, aber selbst angesichts der Gefahren, die bei der Überquerung der Berge drohten, hatte Wassili seinen persönlichen Feldzug nicht aufgegeben. Er schien seine Bemühungen, Alexandra zu beleidigen und lächerlich zu machen und sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu reizen, sogar noch zu verstärken. Der Grund hierfür war wahrscheinlich der, dass sie Kardinien - je nach Wetterlage - in ungefähr einer Woche erreichen würden. Aber wer hätte gedacht, dass er es so lange durchhalten würde?
Lazar fand das Ganze eigentlich recht amüsant, allerdings stand er damit wahrscheinlich alleine da. Es war ihm ziemlich langweilig gewesen, als Wassili und Alexandra versucht hatten, sich gegenseitig aus dem Weg zu gehen. Aber jetzt gerieten sie mindestens einmal pro Tag aneinander. Und immer noch sagte keiner von beiden die magischen Worte, die ihre Verlobung beenden würden. Statt dessen bemühten sich beide, dem Wort >stur< eine neue Bedeutung zu geben.
Trotz der Sonne, die in regelmäßigen Abständen hervorbrach, war es eiskalt. Sie hatten jedoch noch keinen Schneesturm erlebt, der - wie Wassili hoffte - Alexandra wieder nach Hause treiben würde. Und dies war ein weiteres Beispiel für Wassilis Verzweiflung. In Kard i nien gab es zwar wie in jedem anderen Land auf diesem Breitengrad zuweilen recht strenge Winter, aber Wassili verließ in dieser Jahreszeit nur sehr selten das warme Kaminfeuer. Wenn jemand unter der eisigen Kälte eines Schneesturms leiden würde, so würde das wahrscheinlich nicht Alexandra sein, sondern er.
Natürlich muss man gerechterweise zugeben, dass er und Lazar angenommen hatten, Wassilis Verlobte sei eine normal empfindende Dame. Sie konnten ja nicht wissen, dass sie ein Kind der Natur war und sich draußen wohler fühlte als im Haus, und das offensichtlich zu jeder Jahreszeit. Über einen Schneesturm würde sie sich genauso wenig beschweren wie über die Tatsache, dass sie seit dreieinhalb Wochen ununterbrochen im Sattel saß.
Es war früher Nachmittag, als sie endlich den Bergpass erreichten und mit dem Abstieg begannen. Während ihres Aufstiegs am Morgen hatte fast die ganze Zeit über die Sonne geschienen. Und da jetzt die Gefahr zumindest schon halb überstanden war, atmeten alle ein wenig auf, trotz der bedrohlich aussehenden Wolken, die heranzogen und über der Westseite des Berges hingen.
Aber kaum eine Stunde später fing es an zu schneien. Ihre Glückssträhne war vorbei. Nach dreißig Minuten schneite es so stark, dass sie den Pfad vor sich nicht mehr sehen konnten und ein Lager aufschlagen muss ten.
Während die Zelte aufgestellt wurden, arbeitete Alexandra fieberhaft daran, einen Windschutz für die Pferde zu schaffen, die jetzt ihre größte Sorge waren. Dazu verwendete sie die Karren, alle Gepäckstücke daraus und mindestens die Hälfte der zusätzlichen Decken, die sie für einen solchen Notfall mitgenommen hatte. Die ganze Zeit über schimpfte sie auf Wassili und gab ihm und seiner mit der Gräfin Schewzenko verschwendeten Woche die Schuld daran, dass es sie jetzt auf einen Berggipfel verschlagen hatte und sie nirgendwo Schutz suchen konnten.
Alexandra hielt jedoch überrascht inne, als sie sah, wie Wassili ihr half, anstatt sich um sein Zelt und sein Wohlergehen zu kümmern. Sie fuhr fort, auf ihn zu schimpfen, aber es machte nicht mehr soviel Spaß wie sonst. Als sich in ihr so etwas wie Schuldgefühle regten, hörte sie mit der Schimpferei ganz auf.
Er konnte also doch uneigennützig handeln. Das reichte natürlich nicht, um seine vielen schlechten Eigenschaften zu entschuldigen. Aber er half ihr dabei, ihre Pferde zu schützen, ihre Babys. Dafür muss te sie ihm zumindest danken, wenn sie Zeit dazu hatte.
Der Sturm tobte den ganzen Nachmittag über mit unverminderter Kraft, und Alexandra machte sich Sorgen um ihre Pferde. Sie waren zwar - genau wie sie selbst - an Kälte gewöhnt, konnten aber normalerweise in einen warmen Stall zurückkehren. Jetzt war das anders. Um die Pferde und auch sich selbst zu beruhigen, verließ sie einmal pro Stunde ihr Zelt, um nach ihnen zu sehen.
Sie war bereits zweimal bei ihnen gewesen. Als sie das dritte Mal zu ihnen ging, war schon jemand dort. Sie hörte, wie er >0 nein< sagte, bevor sie erkannte, dass es Wassili war, der, in einen langen Pelzmantel gehüllt, vor ihr stand. Sie dachte, er würde über das Wetter jammern, bis sie ihn erreichte und sah, dass der provisorische Unterstand, den sie errichtet hatte, halb leer war.
»Was habt Ihr getan?« flüsterte sie entsetzt, wobei sie automatisch ihm die Schuld gab.
»Ich wünschte, ich könnte sagen, ich hätte es getan, aber leider ist es nicht so.« Mit derselben Automatik schlug er einen spöttischen Ton an, aber als er ihren Gesichtsausdruck sah, hätte Wassili seine Worte am liebsten wieder zurückgenommen. »Ich wusste , dass so etwas passieren würde. Wenn Ihr so wertvolle Pferde in diese von Räubern bevölkerten Berge bringt, müsst Ihr einfach damit rechnen, ein paar von ihnen zu verlieren.«
»Ein paar? Alle meine Schimmel sind weg!« rief sie, und dann: »O Gott, das ist alles meine Schuld. Ich habe die Wachen hereingerufen. Ich dachte doch nicht, dass mitten in einem Sturm etwas passieren würde.«
»Obwohl dieser Schnee eine perfekte Deckung bietet und die Bewohner dieser Gegend ein solches Wetter gewohnt sind?«
Er hätte genausogut sagen können, dass er noch nie etwas so Dummes gehört hatte. Sie wusste schon, was er meinte. Und sie stimmte ihm sogar zu. Sie hatte nicht einmal an Räuber gedacht, sondern nur an den Sturm und daran, dass sie seine und ihre Männer nicht Wache stehen lassen wollte, zumindest nicht bis zum Abend, wenn vielleicht das Schlimmste vorüber gewesen wäre.
Aber das war keine Entschuldigung, deswegen erklärte sie es ihm erst gar nicht. Sie dachte schon nicht mehr an Wassili, als sie unter dem Seil hindurchkroch, das die Tiere zurückgehalten hatte, und zur Rückseite der provisorischen Koppel ging, wo das Seil durchgeschnitten worden war.
Keines der anderen Pferde war weggelaufen, alle hatten es vorgezogen, nahe bei dem Unterstand zu bleiben. Da alle anderen Pferde und auch Wassilis Rotschimmel noch da waren, sah es so aus, als ob nur ihre wertvollen Schimmel gestohlen worden waren.
Die Spur war zwar breit, aber kaum zu sehen, da sie allmählich von dem fallenden Schnee verwischt wurde. In ein paar Minuten würde man sie nicht mehr erkennen können. Es blieb keine Zeit, ihre oder seine Leute herbeizurufen. Selbst wenn sie schreien würde, man würde sie im Heulen des Windes nicht hören können. Sie muss te der Spur selbst folgen und herausfinden, wohin ihre Pferde gebracht worden waren. Dann würde sie zurückkommen und ...
»Wo zum Teufel wollt Ihr eigentlich hin?«
Sie wollte gerade eines der Pferde besteigen - keines der Pferde, die einen Sattel getragen hatten, war abgesattelt worden, damit sie noch etwas zusätzliche Wärme bekamen -, als Wassili sie mit einem Ruck zu Boden zog und eine Antwort auf seine idiotische Frage forderte. »Ich habe jetzt keine Zeit für so etwas, Petroff.«
»Ich werde Eure Pferde zurückholen.«
»Wie?«
»Ich werde sie zurückkaufen. Mein Cousin und ich sind diesen Räubern schon mehrmals begegnet. Sie sind immer bereit, ihre Beute wieder herzugeben, wenn man sie anständig dafür bezahlt.«
»Macht Euch nicht lächerlich«, erwiderte sie. »Dann wäre ich Euch ja verpflichtet! Ich werde sie selbst zurückholen, und mich wird das überhaupt nichts kosten. Die Räuber wird es allerdings ihr Leben kosten.«
»Alex, Ihr redet hier aller Wahrscheinlichkeit nach von einem ganzen Dorf voller Räuber, nicht nur von ein paar Wegelagerern.«
»Ich rede davon, meine Pferde zurückzubekommen meine Pferde, meine Verantwortung. Und während wir hier reden, verschwindet die Spur, die sie zurückgelassen haben. Wenn Ihr mir helfen wollt, holt die anderen und folgt mir, aber ich werde jetzt gehen.«
Sie musste ihm einen kleinen Stoß versetzen, damit er sie losließ. Ärgerlich dachte sie, dass er sie wahrscheinlich nicht losgelassen hätte, wenn er in dem Schnee nicht das Gleichgewicht verloren hätte. Seine Überheblichkeit war unerträglich. Sie wünschte, sie hätte genug Zeit gehabt, um ihm das zu sagen, aber die hatte sie jetzt nicht.
Wassili stürzte zwar nicht, aber als er sich wieder gefangen hatte, war Alexandra schon am Ende der Koppel und verschwand im wirbelnden Schnee. Er rief nach den anderen, aber nur während der kurzen Zeit, die er brauchte, um seinen Hengst zu besteigen und ihr nachzureiten.
Er bezweifelte, dass jemand ihn gehört hatte, doch das war ihm in diesem Moment eigentlich auch egal. Wenn er diese verrückte Frau erreichte, würde er ihr den Hals umdrehen - und dazu brauchte er keine Hilfe.