31

Als Souza die Polizisten vor sich stehen sah, schwankte er, und sein selbstsicheres Anwaltsgehabe löste sich in Luft auf. Dennoch fand er erstaunlich schnell seine Contenance wieder, sein Gesicht erstarrte zu einer Maske von kaltem Ehrgefühl, ähnlich wie die Marmorbüsten, welche die Ecken des Raumes zierten.

»Was hat das zu bedeuten, Sergeant?«, fragte er Milo.

»Das weiß ich selbst noch nicht«, sagte der Detective und betrat mit einer großen Aktentasche in der Hand den Raum. Dann langte er nach dem Dimmer neben der Tür und drehte das Licht voll auf. Mit steigender Helligkeit schien der Raum nackter und kahler zu werden. Seine verschwiegene private Atmosphäre geriet ins Klischeehafte, jede Geschmacklosigkeit, jeder kleinste Fehler oder Schmutzfleck wurde durch die kalte, gleißende Lichtflut erbarmungslos enthüllt.

Cash trat ein und schloss die Tür, die Männer in Uniform ließ er draußen. Er nahm seine Sonnenbrille ab und steckte sie ein, zog seine Krawatte gerade und sah sich wohlgefällig im Raum um, sein Blick verharrte auf einem Druck oberhalb des Kamins.

»Currier und Ives«, sagte er. »Sehr hübsch.« Milo stand hinter Souza, der Detective der Beverly Hills Police ging zu den Cadmus hinüber. Auf dem Weg dahin berührte er mal diesen, mal jenen Gegenstand, Marmor, Porzellan und vergoldetes Holz, bevor er die Hand an dem unteren Saum seiner Anzugsjacke ruhen ließ.

Die Cadmus reagierten auf das Eindringen der Polizei, wie ich erwartet hatte: Dwight war ärgerlich und angewidert, Heather steif und ließ sich keinerlei Gefühlsregung anmerken. Ich bemerkte, wie sie Souza einen raschen Blick zuwarf, sich aber dann wieder ihrem Mann zuwandte, der leicht zitterte. Seine Kiefer waren gespannt, und sie legte ihm wieder ihre zarte Hand auf den Arm. Er schien es jedoch nicht zu bemerken.

»Horace«, sagte er, »was hat das zu bedeuten?«

Souza versuchte, ihn zum Schweigen zu bringen, indem er eine Augenbraue hob. Er sah Milo an und zeigte auf die Karaffen.

»Ich würde Ihnen gerne etwas zu trinken anbieten, meine Herren, aber das verstößt ja wohl gegen die Vorschriften.«

»Haben Sie vielleicht Mineralwasser?«, fragte Milo. »Willst du nicht auch welches, Dick?«

»Gerne«, sagte Cash. »On the rocks und mit etwas Zitrone, bitte.«

»Selbstverständlich«, sagte Souza und lächelte, um sich den Groll nicht anmerken zu lassen.

Die Detectives nahmen ihre Drinks. Milo ließ sich auf einen Sitz zwischen Souza und mir fallen und stellte seine Aktentasche neben meine Beine. Cash setzte sich neben Heather, betrachtete gierig ihren Schmuck und ließ seinen Blick langsam auf ihre Brust gleiten. Sie tat zunächst, als merke sie nichts, aber nach einer Weile durchdringenden Starrens wurde sie doch etwas verlegen. Dwight bemerkte es und wandte schnell den Kopf zur Seite. Cash sah ihn herausfordernd an, lächelte und wurde wieder ernst. Dwight sah verärgert weg, blickte auf die Uhr und dann zu mir.

»Sie haben sie geholt, nicht wahr, Delaware? Haben den Helden gespielt, ohne uns zu informieren, und das wegen einer halb garen Theorie.« Er setzte sich die Brille auf und sagte im Befehlston zu Souza: »Horace, morgen wirst du bitte als Erstes ein Verfahren gegen diesen …«<

»Dwight«, sagte Souza ruhig, »eins nach dem anderen.«

»In Ordnung, solange du noch weißt, mit wem du es zu tun hast.« Er sah Milo an: »Wir müssen demnächst fort, Officer, wir haben eine wichtige Wohltätigkeitsveranstaltung im Biltmore. Ich habe eine wichtige Aufgabe dabei.«

»Den Abend heute können Sie vergessen«, sagte Milo.

Dwight starrte ihn ungläubig an.

»Jetzt reicht’s mir aber …«<

»In Wirklichkeit«, warf Cash ein, »können Sie eine ganze Reihe von Abenden vergessen.«

Dwight schlug seine Fingernägel in die Armlehnen. Dann machte er Anstalten aufzustehen.

»Bleiben Sie sitzen«, sagte Cash.

»Liebling«, sagte Heather und berührte wieder seinen Ärmel. »Bitte, tu, was er sagt.«

Dwight ließ sich in den Sessel fallen. Sein wütendes Gesicht, eben noch starr und unnachgiebig, verwandelte sich und nahm einen angstvollen Ausdruck an.

»Horace, wovon zum Teufel ist hier die Rede?«, fragte er.

Souza versuchte, ihn mit einem väterlichen Lächeln zu beruhigen.

»Sergeant«, sagte er zu Milo. »Ich bin Mr. und Mrs. Cadmus’ Anwalt. Sollte es irgendetwas Wichtiges zu besprechen geben, so stehe ich Ihnen zur Verfügung, damit sie ihren sozialen Verpflichtungen nachkommen können.«

Milo hatte sein Mineralwasser nicht angerührt. Er hob das Glas in die Höhe, sah es prüfend an, als suche er nach irgendeinem Makel, und stellte es wieder ab.

»Tut mir Leid, das wäre wirklich gegen die Vorschriften.«

»Ich verstehe nicht recht«, sagte der Anwalt.

Statt einer Antwort stand Milo auf, ging zur Tür, öffnete und ließ einen jungen Polizisten herein, der einen Fernsehmonitor in den Raum rollte. Obendrauf stand ein Videorekorder, beide waren an eine Batterie angeschlossen.

»Bringen Sie ihn hierher«, sagte Milo und deutete auf das eine Ende des Tisches.

Der Beamte gehorchte, stellte das Gerät geschickt und schnell auf. Er reichte Milo einen automatischen Schalter und fragte, ob er noch Weiteres wünsche.

»Im Moment nichts, Frank. Aber bleiben Sie in der Nähe.«

»Sehr wohl, Sir.«

Dwight hatte die Szene mit Staunen beobachtet. Er füllte sein Glas mit Scotch und stürzte es herunter. Seine Frau bemerkte es und warf ihm einen kurzen, hasserfüllten Blick zu. Sie zog ein seidenes Tüchlein aus ihrer Handtasche, betupfte sich die Lippen und hielt es dann dagegen, sodass es ihre untere Gesichtshälfte verschleierte. Der Ausdruck ihrer grauen Augen war ruhig, aber aufmerksam. Ihren Mann beachtete sie nicht mehr, und als er sprach, blickte sie ihn nicht einmal an.

»Dies ist ungeheuer unverschämt«, sagte er bemüht eindrucksvoll. Seine Stimme war jedoch schrill und voller Angst.

Milo drückte auf einen Knopf, und der Monitor schaltete sich ein. Das Band lief. Zuerst sah man nur Zahlen, dann wurde ein kleiner gelber Raum sichtbar, in dem nichts stand als ein Tisch aus Metall und ein Stuhl.

Auf dem Tisch stand ein Aschenbecher, daneben lagen ein paar Polaroidfotos. Auf dem Stuhl saß Tully Antrim in einem blauen Overall, mit einem ausweichenden Blick und einer Zigarette in einer Hand. Die andere hatte er auf den Tisch gelegt, grobknochig, verkrampft, mit derben Fingerkuppen und schmutzigen Nägeln. Rechts oben im Bild sah man einen dunklen, unscharfen Schatten, offensichtlich den eines Kopfes.

Antrim zog an seiner Zigarette und atmete den Rauch ein. Blau quoll er wieder aus den Nasenlöchern heraus. Dann wischte er sich etwas aus dem Auge, hustete und streckte sich.

»Also gut, Tully«, sagte der Schatten, der mit Milos Stimme sprach. »Gehen wir die Sache noch mal durch. Wer war der Erste?«

»Dieser hier.«

»Dies ist Darrel Gonzales.«

»Ist mir egal.«

»Kennst du seinen Namen nicht?«

»Nee.«

»Was ist mit Little D und Tinkerbell?«

Antrim hielt im Rauchen inne und schüttelte den Kopf:

»Nie gehört.«

»Wo bist du ihm begegnet?«

»In Boystown.«

»Wo in Boystown?«

Antrim zeigte die Zähne, offensichtlich amüsiert.

»Ich glaube, es war in der Nähe von Larabee. Gleich hinter Santa Monica. Hab ich das beim ersten Mal auch gesagt?«

»Erzähl mir, wie du ihn entführt hast.«

Antrim gähnte.

»Schon wieder?«

»Ja.«

»Also gut. Wir fuhren durch Boystown und suchten nach einem, den wir mitnehmen könnten. Irgendeinen Ausgeflippten, einen Strichjungen, der leicht in den Wagen zu kriegen war. Also fanden wir den, einigten uns über den Preis, dann stieg er ein.«

»Was passierte danach?«

»Wir fuhren durch die Gegend, verpassten ihm Betäubungsmittel, machten ein bisschen mit ihm rum und luden ihn in den Kofferraum.«

»Du und Skull?«

Plötzlich wurde sein Blick wild. Er nahm die Zigarette aus dem Mund, drückte sie auf der Tischplatte aus, beugte sich vor und ballte die Hände zu Fäusten. Sein Unterkiefer schob sich drohend nach vorne.

»Ich habe Ihnen gesagt«, sagte er zwischen zusammengebissenen Zähnen, »dass ich es war. Sie ist nur gefahren, klar?«

Milo sagte: »Ja, ja.« Bevor er die nächste Frage stellte, ließ er Antrim erst zur Ruhe kommen.

»Wie hast du ihn getötet?«

Antrim nickte zum Zeichen, dass er mit der Frage zufrieden war.

»Erst habe ich ein bisschen geschnippelt«, sagte er munter. »Dann nahm ich das Seidentuch, damit er erstickt, dann habe ich noch mal ein bisschen was mit dem Messer gemacht - das war mein Auftrag. Es sollte so aussehen, als ob es ein Verrückter getan hätte. Danach warf ich ihn raus.«

»Wo?«

»Irgendwo in einem Hinterhof von Santa Monica, bei Citrus, glaube ich.«

»Warum gerade dort?«

»Weil ich es sollte. Zwischen zwei ganz bestimmten Straßen.«

»Welchen?«

»La Brea und Highland.«

»Das war der Bereich, in dem du die Leiche abwerfen solltest?«

»Genau.«

»Galt der für alle Leichen?«

»Ja. Nur einmal hatten wir andere Anweisungen.«

Milo holte eine Karte raus, entfaltete sie und zeigte darauf.

»An diesen Stellen haben wir die Leichen gefunden, Tully. Die Nummern entsprechen der Abfolge der Morde, eins für den ersten, zwei für den zweiten und so weiter. Du hast im Osten angefangen und bist immer weiter nach Westen gegangen.«

Antrim nickte.

»Wieso?«

»Ich sollte es so machen.«

»Hast du eine Ahnung, warum?«

»Nee.«

Milo legte die Karte weg und sagte:

»Was ist mit dem Blut?«

»Wie mit dem Blut?«

»Das Blut im Auto. Was hast du damit gemacht?«

»Wir hatten Planen, die verbrannten wir hinterher. Das Metall war nicht schwer sauber zu kriegen.«

»Wer kam als Zweiter dran?«

Antrim sah auf die Bilder, nahm zwei in die Hand.

»Einer von diesen hier. Sie sehen ziemlich gleich aus.«

»Sieh genau hin. Versuch, dich zu erinnern.«

Antrim beugte sich darüber, kaute auf seinem Schnurrbart, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Eine Haarsträhne fiel ihm in die Stirn. Dann ließ er ein Foto auf den Tisch fallen und hielt das andere hoch.

»Der hier ist es. Der Größere.«

Milo sah auf das Bild.

»Dies ist Andrew Terrence Boyle.«

»Wenn Sie’s sagen, wird es wohl stimmen.«

»Kannten Sie auch ihn nicht mit Namen?«

»Nein. Ich kannte den Namen von keinem, nur den des Niggers.«

»Rayford Bunker.«

»Nicht den richtigen Namen, er wurde Quarterflash genannt.«

»Woher weißt du das?«

Antrim lächelte.

»Er gab an wie verrückt, prahlte rum, klapperte mit den Wimpern und sang: ›Ich heiße Quarterflash, ich bin ganz heiß, ich lutsch an deinem Schwanz, dass dir Hören und Sehen vergeht.‹ Irgend so was.«

Antrim schaute verächtlich, nahm einen Zug aus seiner Zigarette. »Kleiner dummer Negerschwanz. An ihm habe ich mehr geschnippelt als an den anderen, bevor ich ihn erwürgte. Dem hab ich’s gezeigt, Sie wissen schon.«

Man hörte ein kratzendes Geräusch und sah, wie Milos Arm sich bewegte. Als er fertig geschrieben hatte, fragte er:

»Wer war der Dritte?«

Antrim sah die Fotos durch.

»Der hier. Er hatte Sommersprossen, war noch ein richtiges Kind.«

»Rolf Pieper, er war sechzehn Jahre alt.«

»Kann sein«, antwortete Antrim.

So ging es immer weiter. Milo stellte Fragen, Antrim berichtete ohne Umschweife über Einzelheiten seiner Morde. Dann fragte Milo nach Datum, Zeitpunkt, Waffen und den Kleidern der Opfer.

»Hat sich einer von ihnen gewehrt, Tully?«

»Nein.«

»Überhaupt niemand, nicht der kleinste Versuch?«

»Zwei wollten mit mir handeln.«

»Mit was?«

»Speed, Hasch, Wein. Irgendwas.«

»Wer von ihnen trank Wein?«

»Weiß ich nicht mehr.«

»Denk mal nach.«

Eine Minute verging, in der Antrim sich mit dem Ärmel die Nase abwischte.

»Also, ist dir was eingefallen?«

»Nichts.«

»Was hast du hinterher gemacht, Tully?«

»Hinterher? Aufgeräumt, habe ich doch schon erzählt.«

»Wo?«

»Bei unserer Hütte.«

»Was für einer Hütte?«

»Sie kennen die doch, Sie waren doch selber da.«

»Sag es mir trotzdem.«

»In Tujunga, bei La Tuna.«

»Wem gehört die Hütte?«

»Souza.«

Der Anwalt zuckte, als sein Name erwähnt wurde, aber er blieb ruhig sitzen und stützte sich mit den Händen am Tisch ab. Dwight wandte sich zu ihm und warf ihm wilde Blicke zu, aber Souza kümmerte sich nicht darum.

»Horace Souza, dem Anwalt?«, fragte Milo.

»Genau.«

»Hatte Horace Souza sie dir vermietet?«

»Nein, wir lebten dort umsonst.«

»Wie kam es dazu?«

»Das gehörte zu den Abmachungen. Wissen Sie das nicht mehr?« Antrim fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und sah sich gelangweilt im Raum um.

»Hast du Durst, Tully?«

»Mein Mund ist ganz trocken von dem vielen Quatschen.«

»Wie wär’s mit einem Kaffee?«

»Kann ich’ne Suppe haben?«

»Ich kann eine im Automaten ziehen.«

»Was für eine?«

»Ich glaube, Hühnersuppe.«

Antrim dachte eine Weile nach.

»Gibt es keine Gemüsesuppe?«

»Ich sehe nach. Kommt auch Hühnersuppe infrage?«

Antrim wägte sorgfältig die Möglichkeiten ab.

»Dann nehme ich lieber nur ein Glas Wasser.«

Milo verschwand aus dem Bild. Antrim nutzte den Augenblick, um sich zurückzulehnen, die Augen zu schließen und ein wenig zu dösen. Dann kam Milo zurück und reichte ihm einen Pappbecher.

»Suppe gab es nicht, Tully. Hier ist dein Wasser.«

»Toll«, sagte Antrim und leerte den Becher mit lauten Schlucken. Dann atmete er zufrieden aus und stellte den Becher ab.

»Noch mehr?«

»Nein.«

»Also, machen wir weiter. Du sagtest, wenn du die Leichen herausgeworfen hattest, habt ihr aufgeräumt, Skull und du. Wie habt ihr das gemacht?«

»Wir haben geputzt und alles Brennbare verbrannt.«

»Wo habt ihr die Sachen verbrannt?«

»Auf dem Grill bei der Hütte, den hab ich Ihnen doch gezeigt.«

»Was habt ihr danach gemacht?«

Antrim sah Milo erstaunt an.

»Warum bist du so überrascht, Tully?«

»Nichts. Ich kann mich nur schwer erinnern.«

»Warum?«

»Wir haben danach nichts Besonderes gemacht. Manchmal haben wir gegessen, manchmal gefeiert. Je nachdem.«

»Ihr habt also gegessen und gefeiert, nachdem ihr die Leichen rausgeworfen hattet.«

»Ja. Einmal, nach dem Neger, sind wir in der Stadt ins Kino gegangen.«

»In welches Kino?«

»Es war in einer Nebenstraße der Spring Avenue, bei der Fünften Straße.«

»Seid ihr mit dem Lieferwagen hingefahren?«

»Nein, mit dem Motorrad.«

»Mit deiner Harley?«

»Ja.«

»Welchen Film habt ihr gesehen?«

»Irgendwas mit Sex.«

»Okay«, sagte Milo. »Willst du mir noch irgendwas von dir aus über die Morde erzählen?«

Antrim sah nachdenklich aus.

»Nur, dass das nichts Persönliches war.«

»Was willst du damit sagen?«

»Wir kannten diese schwulen Typen nicht. Wir haben nur unseren Job gemacht.«

»Genau nach Anweisung?«

»Ja.« Der Monitor wurde dunkel, wieder folgte eine Reihe von Zahlen. Dann wieder der Raum, diesmal mit Cash und Whitehead. Sie standen an den Seiten und schrieben mit.

»Heute ist Donnerstag, der zehnte Dezember 1988. Viertes Verhör von William Tull Bonney, auch bekannt als William Antrim. Es geht um seine Beteiligung an mehreren Morden, deren Einzelheiten auf den vorherigen Bändern festgehalten sind. Dieses Verhör findet im Parker Center statt. Mr. Bonney ist über seine Rechte belehrt worden und hat bestätigt, dass er alles zur Kenntnis genommen hat. Wiederholt haben wir ihn darauf hingewiesen, dass er Anspruch auf einen Anwalt hat, aber er hat jedes Mal abgelehnt. Er wurde psychiatrisch untersucht und ist voll zurechnungsfähig. Er hat schriftlich seine Einwilligung gegeben, dass die Verhöre aufgezeichnet werden. Haben Sie noch etwas zu bemerken, Mr. Bonney?«

»Sie haben schon alles selber gesagt.«

»Wollen Sie immer noch keinen Anwalt?«

»Auf keinen Fall. Ein Anwalt hat mich hierher gebracht, das reicht.«

»Mr. Antrim, bitte informieren Sie uns, sobald Sie Ihre Meinung ändern, und wir bestellen einen Anwalt.«

»Nein, genug davon.«

Milo fuhr fort:

»Es sind beim Verhör anwesend Calvin W. Whitehead von der Bezirkspolizei Los Angeles und Detective Sergeant Richard A. Cash vom Beverly Hills Police Department.« Als sein Name fiel, hob Cash zwei Finger, berührte damit seine Stirn und grüßte kurz.

»Ich selbst bin Detective Sergeant Milo B. Sturgis vom Los Angeles Police Department, Abteilung West Los Angeles.«

Antrim war diesmal lebhafter als beim vorherigen Verhör. Er bewegte sich viel und stellte sich ein wenig zur Schau. Er zündete eine Zigarette an und fuhr sich durchs Haar. Dann lächelte er in die Kamera.

»Also, Tully«, sagte Milo, »Sie haben uns bisher berichtet, wie und wann Sie Darrel Gonzales, Matthew Alan Higbie, Rolf Pieper, John Henry Spinola, Andrew Terrence Boyle und Rayford Antoine Bunker getötet haben.«

»Ja, die waren es.«

»Wir wollen heute besonders über zwei Morde sprechen, die an Richard Emmet Ford und Ivar Digby Chancellor.«

»Gut«, sagte Antrim, »was wollen Sie wissen?«

»Alles«, sagte Whitehead brummig.

Antrim blickte zu ihm hinüber, sah Milo an, als wolle er sagen: Was hat der denn? Dann steckte er sich eine Zigarette zwischen die Lippen. Milo zündete sie für ihn an und sagte:

»Fang ganz vorne an.«

»Was heißt hier vorne, es fing ja nicht nur einmal an?«

»Was willst du damit sagen?«

»Der Job begann, als wir den Jungen aus dem Krankenhaus rausholten. Die Schnippelei begann …«

»Welchen Jungen meinst du?«

»Den Cadmus, der in der Klapsmühle war.«

»James Cadmus.«

»Ja, den.«

»Also fangen wir bei ihm an.«

»Ja, ich fuhr also raus zum Krankenhaus …«<

»Wann?«, fragte Whitehead.

»Ich weiß nicht, wann das war, vor ungefähr vier oder fünf Wochen.«

»Was für ein Wochentag war es?«, fragte Cash.

»Donnerstag.«

»Woher weißt du das so genau?«, fragte Whitehead.

»Es passierte immer donnerstags.«

»Warum?«

»So war es ausgemacht. Donnerstags sollten wir losfahren und einen Schwulen aufgabeln.«

»Hast du nie gefragt, warum?«, fragte Whitehead.

Antrim schüttelte den Kopf.

»Warum nicht?«, wollte Whitehead wissen.

Antrim kniff die Augen zusammen und grinste.

»Es war mein Job, und den machte ich auch.«

Whitehead machte ein Gesicht, als hätte er saure Milch getrunken. Er kreuzte die Arme über der Brust, sah auf Antrim herunter und schnaubte verächtlich.

»Was ist denn los?«, fragte Antrim und machte ein beleidigtes Gesicht. »Ich habe Ihnen alles erzählt, und immer noch geben Sie keine Ruhe.«

Whitehead beugte sich zu ihm.

»Tully, du Scheißkerl, ich lass mich nicht von dir verarschen.«

Antrims Unterkiefer schob sich nach vorne. Eine Hand ballte sich zur Faust. Er legte die andere darüber und presste sie, als bändige er ein wildes Tier. Sein Gesicht wurde starr, seine Augen blitzten.

»Los«, sagte Whitehead und schubste ihn am Kopf. »Ich will weiterkommen.«

Cash und Milo starrten Whitehead an.

»Abschaum«, sagte der.

Antrim spuckte auf den Boden und drehte den drei Polizisten den Rücken zu.

»Ich will in meine Zelle«, sagte er.

Niemand reagierte.

»Komm, Tully, lass gut sein«, sagte schließlich Milo.

»Verdammt, ich will weg hier, ich sage kein Wort mehr.«

»Habe ich dich vielleicht verletzt?«, fragte Whitehead spöttisch.

Der Monitor wurde für ein paar Sekunden dunkel. Dann wurde er wieder hell, und man sah Antrim allein mit Milo. Der Gefangene saß am Tisch und löffelte etwas aus einer Schale. Er schlürfte, wischte sich den Mund ab und legte den Löffel hin. Der Aschenbecher quoll von Kippen über. Daneben stand eine Dose Pepsi.

Milo wiederholte seine Vorrede, ließ Antrim wieder erklären, dass er keinen Anwalt wolle, und fragte dann:

»Können wir anfangen, Tully?«

»Gut. Aber wenn dieser Sack wieder reinkommt, höre ich sofort auf zu quatschen.«

»Gut, Tully, nur du und ich reden. Klar?«

»Dieser arrogante Arsch, dem müsste man mal gewaltig in die Fresse hauen.«

»Noch ein bisschen Suppe?«

»Nein, danke. Fragen Sie schon.«

»Wir sprachen über die Morde an Richard Emmet Ford und Ivar Digby Chancellor. Du hast erzählt, dass du ins Krankenhaus gefahren bist und James Cadmus dort rausgeholt hast. Welche Klinik war das?«

»Die Klapsmühle in Agoura.«

»Wie war der Name?«

»Canyon Oaks.«

»Weiter.«

»Ich fuhr so um zwei dorthin.«

»Nachmittags oder nachts?«

»Nachts. Es war schon spät. Auf der Autobahn war ein Stau, irgendein Unfall. Ich hörte im Autoradio davon, deshalb fuhr ich in Canoga Park ab und nahm kleinere Straßen. Ich habe länger nach einem guten Parkplatz gesucht, aber schließlich hatte ich einen. Ich wartete dort. Skull sollte dem Jungen ein Beruhigungsmittel geben, das ihn betäubte, aber nur so, dass er noch gehen konnte. Nur so konnte sie unauffällig mit ihm raus und ihn zum Wagen begleiten. Als sie in sein Zimmer kam, sah er aus, als würde er schlafen. Bevor sie ihm die Spritze gab, nahm sie seine Fesseln ab. Aber als sie ihn piekte, begann er zu toben, riss die Nadel raus, verprügelte sie, bis sie ohnmächtig wurde. Nur für einen kleinen Moment, aber der genügte schon, um abzuhauen. Als sie aufwachte, war er weg. Sie suchte ihn und fand ihn schließlich in einem Konferenzraum. Er war am Telefon und redete mit dem Seelenklempner.«

»Was für ein Seelenklempner?«

»Delaware.«

»Woher weißt du, dass es Delaware war?«

»Sie hörte, wie er ihn beim Namen nannte. Er versuchte, ihn zu Hilfe zu holen. Sie stellte sich hinter ihn, packte ihn am Arm und gab ihm schnell die Spritze. Wahrscheinlich war zu viel Zeug drin, denn sie musste ihn tragen. Als ich sie kommen sah, sprang ich aus dem Wagen und warf ihn mir über die Schulter. Es war richtig schwer; er war eigentlich dünn und leicht, aber er hing wie ein Sack an mir runter. Es dauerte eine Weile, bis ich ihn im Wagen und richtig gefesselt und geknebelt hatte. Dann fuhr ich schnellstens weg.«

»Zusammen mit Skull?«

»Nein, ohne sie. Wir trafen uns erst später, in der Nähe von Chancellors Villa.«

»Wann?«

»Wann wir uns trafen?«

»Wann du von Canyon Oaks weggefahren bist.«

»Ungefähr um halb vier.«

»Und wann hast du Skull getroffen?«

»Ungefähr um halb fünf.«

»Wie war es möglich, dass Skull ihn unbemerkt aus der Klinik schleppte?«

»Es war keiner da. Die Dienst habende Ziege hatte Geld gekriegt, damit alles klappt. Zehn Tausender, zweimal fünftausend. Ich weiß es, weil ich das Geld in ihre Wohnung brachte.«

»Wer ist diese Frau?«

»Die Vann, eine echte Hure. Sie behandelte Skull wie den letzten Dreck.« Er schloss einen Moment die Augen und sagte dann verträumt: »Wir hatten was Schönes mit ihr vor.«

»Wo bist du hingefahren, nachdem du das Klinikgelände verlassen hattest?«

»Zurück nach Los Angeles.«

»Wohin genau?«

»Nach Boystown.«

»Welchen Weg bist du da gefahren?«

»Auf der Autobahn war immer noch Stau, deshalb fuhr ich über kleinere Straßen bis Reseda, dann ein Stück zurück und fuhr in Laurel raus. Ich fuhr nach Santa Monica und bog nach links ab.«

»Richtung Osten?«

»Ja.«

»Weiter.«

»Ich fuhr durch Santa Monica und sammelte den Strichjungen, den Ford, ein.«

»Wo hattest du den her?«

»Er stand an einer Straßenecke bei der Western Avenue.«

»Was hast du mit ihm gemacht?«

»Dasselbe wie mit den anderen. Ich habe ihm Geld angeboten, dann stieg er ein. Ich gab ihm die Spritze und würgte ihn.«

»War er gleich tot?«

»Nein, nur ohnmächtig. Dann knebelte und fesselte ich ihn und legte ihn neben Cadmus.« Antrim brach in Lachen aus.

»Was ist komisch daran?«, fragte Milo.

»Ich bin mal für eine Metzgerei gefahren, Fleischtransporte. Lauter Schweine. Das war irgendwie ähnlich.«

»Wohin bist du gefahren, nachdem du Ford gefesselt hattest? Erinnerst du dich an die Strecke?«

»Von Santa Monica nach Sunset, von Westen nach Beverly Hills bis zum Hotel, dann nach Norden und den Berg hoch. Riesiges weißes Haus hinter Mauern.«

»Wo war Skull?«

»Die habe ich in der Nähe der Doheny Street aufgegabelt.«

»Was habt ihr gemacht, als ihr oben ankamt?«

»Alles war zu, elektrisch gesichert. Wir hatten schon einen Plan, wie wir reinkommen konnten - so war es ausgemacht. Wir klingelten viele Male, bis Chancellor endlich reagierte. Er schien geschlafen zu haben. ›Was ist denn los?‹, fragte er, und Skull antwortete mit einer Kinderstimme …«

»Kinderstimme?«

»Sie kann alles und jeden nachmachen: Bugs Bunny, Elvis, Sie sollten das mal hören! Es klang wie die Stimme eines Mädchens von sechzehn.«

»Ich werde es bestimmt noch mitkriegen. Was hat sie zu Chancellor gesagt?«

»Sie sagte ihm, dass sie eine Freundin von Jamey wäre, dass sie einen Unfall gehabt hätten, dass sie mit ihm da wäre, schwer verletzt. Man konnte richtig hören, wie er sich aufregte und keuchte. Er sagte, dass er sofort käme. Wir zogen Cadmus aus dem Wagen und legten ihn vor das Gitter. Skull fuhr mit dem Wagen weg, fuhr kreuz und quer, weil man nachts nicht in Beverly Hills parken kann, ohne dass man auffällt. Es dauerte ein paar Minuten, dann kam Chancellor. Das Tor ging auf, und da stand er mit seinem schwulen Morgenrock. Als er Cadmus sah, schrie er auf. Ich sprang auf ihn zu, schlug ihn und würgte ihn mit einem Tuch genau wie Ford. Dann kam Skull mit dem Wagen zurück, und ich tat Chancellor und Cadmus rein. Ich fesselte Chancellor und fuhr durchs Tor. Ich schloss es wieder und brachte sie alle ins Haus. Er war besonders schwer.«

Antrim reckte sich, nahm eine Zigarette, zündete sie an. Er sah zufrieden aus, ganz, als hätte er die Zigarette redlich verdient. Da er offenbar mehr nicht sagen wollte, fragte Milo:

»Was hast du gemacht, als ihr am Haus angekommen wart?«

»Ich schleppte sie alle rein.«

Er blies blaue Rauchkringel in die Luft.

»Und dann?«

»Ich gab Cadmus Drogen, erwürgte Ford und Chancellor mit den Tüchern, schnitt sie auf und hängte Chancellor an der Decke auf.«

»Warum hast du ihn denn aufgehängt?«

»Ich hatte den Auftrag, sollte ihn mit dem Seil aus dem Swimmingpool festbinden. Das war ganz schön hart, der war ein großer Kerl.«

»Was war mit der Stellung seiner Hände?«

»Mit was?«

»Die Art, wie du ihm die Hände zurechtgelegt hast, nachdem er hing. Gehörte das auch zum Auftrag?«

»Ach das, ja klar. Ich sollte ihn aufhängen und die Hände an seinen Schwanz legen.«

»Weißt du, was der Grund dafür war?«

»Nein, vielleicht sollte es nur ein Witz sein«, sagte Antrim.

»Wer hatte diese Idee?«

»Souza. Dabei war er eigentlich kein Mann, der Witze macht.«

Milo stellte den Monitor aus und blickte um den Tisch herum. Dwight war kalkweiß im Gesicht. Heather hielt immer noch ihr Taschentuch über den Mund. Souza saß stumm und scheinbar ungerührt da.

»Haben Sie etwas dazu zu sagen?«, fragte ihn Milo.

»Nicht das Geringste«, antwortete er.

»Horace«, sagte Dwight mit zitternder Stimme, »ist, was er sagt …«

»Es ist blanker Unsinn«, sagte Souza scharf. »Tully war immer unzuverlässig und labil, er erzählte die verrücktesten Lügen. Ich wusste es von Anfang an, aber ich habe ihn aus Mitleid eingestellt und um ihn bei der Stange zu halten. Jedenfalls bis jetzt.«

Dwight sah Milo an.

»Er ist äußerst glaubwürdig«, sagte er. »Er weiß Dinge, die nur ein Täter und Augenzeuge wissen kann. Es gibt genügend Beweise, die seine Aussagen belegen, und Marthe Brown hat alles bestätigt, unabhängig von ihm.«

»Dwight«, sagte Souza fest, »das ist absurd. Eine Komödie, deren Hintergründe ich aufklären werde. Bis dahin rate ich dir als dein Freund und dein Anwalt, kein weiteres Wort zu sagen.«

»Er kann Sie in dieser Angelegenheit nicht vertreten«, sagte Milo, »weil er zu den Verdächtigen gehört.«

»Und ein besonders guter Freund ist er wohl auch nicht«, fügte Cash hinzu.

Heather ließ ihr Tuch fallen und berührte den Arm ihres Mannes mit zwei Fingern.

»Liebling«, sagte sie, »hör auf Horace.«

»Liebling«, ahmte Cash sie nach, »dass ich nicht lache!«

»Ich wünsche nicht, dass Sie so mit meiner Frau sprechen«, sagte Dwight.

Cash warf ihm einen verächtlichen Blick zu, wandte sich an Milo und sagte:

»Reiches Pack! Sitzt bis zum Hals in der Scheiße und glaubt, es badet in Eselsmilch!«

»Horace, was zum Teufel geht hier vor?«, fragte Dwight.

»Das werde ich Ihnen sagen«, sagte Milo, stand auf, nahm seine Aktentasche und ging ans andere Tischende.

»Auf den ersten Blick scheint es verwirrend, aber wenn man der Sache auf den Grund geht, findet man heraus, dass es nichts ist als ein kleiner, schmutziger Familienstreit. Stoff für eine Seifenoper. Dr. Delaware könnte Sie über die psychologischen Hintergründe aufklären, ich halte mich an die Fakten.«

Er öffnete die Aktentasche, holte einen Stoß Papiere heraus und breitete sie auf dem Tisch aus.

»Ich habe Ihren Vater nicht kennen gelernt«, sagte er zu Dwight gewandt, »aber nach dem, was ich erfahren habe, war er jemand, der Klarheit in seinen Angelegenheiten haben wollte. Ich denke zum Beispiel an sein Testament. Ein Riesenvermögen an Landbesitz, und man könnte meinen, dass das eine Menge Komplikationen mit sich bringt. Aber nein, es war ganz einfach. Er hatte zwei Söhne, und er verteilte alles unter sie, beinah zu gleichen Teilen. Beinahe. Einundfünfzig Prozent bekam Ihr Bruder und neunundvierzig Sie.« Er schwieg einen Augenblick. »Muss auf Sie ganz schön unfair gewirkt haben, vor allem, wo Sie doch der brave, angepasste Junge waren und Ihr Bruder so ein Versager.«

»Vater hätte möglicherweise sein Testament zu meinen Gunsten geändert«, sagte Dwight nachdenklich, »wenn er nur lange genug gelebt hätte.«

»Ach was«, sagte Souza.

Milo lächelte. »Wenn Sie das glauben wollen, bitte sehr«, sagte er.

Heathers Gesicht war verärgert und angespannt. Sie verkrallte sich in den Ärmel ihres Mannes und sagte:

»Liebling, antworte ihm doch nicht. Lass dich doch nicht von ihm täuschen.«

»Oh, er hat sich schon sehr oft täuschen lassen«, sagte Milo, »aber nicht von mir.«

Sie ließ den Ärmel los und sagte nichts darauf. Daraufhin hob Dwight den Kopf und sah seine Frau fragend an.

»Ich möchte wissen, wovon hier die Rede ist«, sagte er mit schwacher Stimme.

Heather mied seinen Blick und wandte sich ab. Sie fasste in ihre Abendtasche und begann, darin nach etwas zu suchen.

»Es hat wenig Sinn, darüber zu spekulieren, was vielleicht geschehen wäre. Ihr Vater hat nicht lange genug gelebt, um sein Testament zu ändern, und Peter bekam den Löwenanteil. Das hätte für Sie zur Katastrophe werden können, auch wenn Sie und Ihr ehrenwerter Freund Horace sich noch so viel Mühe gaben. Peter hätte, wenn er gewollt hätte, die Firma an einen Fremden verkaufen, sie zugrunde richten können oder anderes mehr. Zu Ihrem Glück war er höflich genug, frühzeitig aus dem Leben zu scheiden.«

Dwight wies mit dem Finger auf Milo und sagte: »Wenn Sie behaupten wollen, dass ich den Tod meines Bruder als Glück betrachtet habe, dann sind Sie ein verdammter …«<

»Regen Sie sich doch nicht so auf, ich behaupte doch gar nichts, Sie allein wissen, wie Sie damals empfanden. Ich beschäftige mich nur mit bewiesenen Tatsachen.«

Er nahm ein paar Seiten Papier zur Hand.

»Da wäre zum Beispiel Peters Testament. Ebenso klar und prägnant wie das Ihres Vaters. Er vermachte sein gesamtes Vermögen seinem Sohn James. Was mich erstaunt hat, ist, dass alle Familienangelegenheiten der Cadmus anwaltlich von Souza betreut worden sind. Dieses Dokument nicht. Der Anwalt, den Peter wählte, hieß Seymour Chereskin.«

»Einer von seinen Hippie-Freunden«, sagte Dwight. »Lange Haare, Bart, Lederweste und bunte Ketten um den Hals.«

»Er ist inzwischen Rechtsprofessor in Berkeley. Und er erinnert sich noch genau daran, dass er das Testament entwarf. Und auch an den Druck, den Souza auf ihn ausübte, um ihn daran zu hindern. Auch an fünftausend Dollar, die er dafür erhalten sollte.«

Dwight sah Souza an.

»Es war wichtig für unsere Firma, dass ich das Testament verfasse«, sagte der Anwalt. »Peters Anteile waren verwoben mit deinem Besitz, Dwight. Ich wollte, dass alles in einer Hand bleibt, um eine Katastrophe zu verhindern. Chereskin sah aus wie Charles Manson. Ihm war alles zuzutrauen.«

»Er hat in Harvard promoviert«, sagte Milo.

»Das bedeutete damals nicht viel, Sergeant. Ich hatte Angst, dass er Hippie-Akrobatik betreibt.«

»Er redet sehr anders darüber. Er sagte, dass er genau wusste, was er zu tun hatte, dass er Ihnen zur Kenntnis gab, was er vorhatte, und Ihnen sogar eine Kopie zusandte. Trotzdem übten Sie weiter Druck auf ihn aus. Sie flogen zu ihm hin, und er hatte das Gefühl, dass Sie ihn kontrollieren und bevormunden wollten.«

»Das ist doch lächerlich! Peter war jahrelang von irgendwelchen schrägen Typen beeinflusst worden, und ich wollte ihn nur davor bewahren.«

»Das ist sehr nobel von Ihnen«, gab Milo zurück. »Mein Rechtsberater hat das Dokument geprüft und festgestellt, dass Chereskin sehr gründliche und umsichtige Arbeit geleistet hat.«

»Er hat sich bemüht, sagen wir so«, entgegnete Souza.

»Es war alles sehr klar. Onkel Dwight wurde als Jameys Vormund damit betraut, das gesamte Vermögen zu verwalten. Die ersten Zahlungen sollten Jamey mit achtzehn Jahren und in der Folge bis zu seinem fünfunddreißigsten Lebensjahr überwiesen werden. Danach sollte sein Eigentum ganz an ihn übergehen. Die Vorsichtsmaßnahmen im Fall von Verschwendungssucht des Erben oder bei Krankheit entsprachen dem üblichen Standard. Chereskin schlug deswegen Sie als Vermögensverwalter vor, weil Ihre eigenen Anteile zur selben Firma gehörten. Also war Ihre Angst doch ganz unbegründet, oder? Es sei denn, Sie hätten was anderes im Sinn gehabt.«

»Und das wäre?«

»Das können Sie mir besser erzählen.«

»Sergeant«, sagte Souza, »Sie sind hier einfach eingedrungen und haben uns den Abend zerstört mit der fadenscheinigen Begründung, uns Fakten zu präsentieren. Alles, was wir bisher zu hören bekamen, war nichts als bösartige Unterstellungen und üble Verleumdungen.«

»Oh, das tut mir aber Leid«, sagte Milo.

»Mir auch«, sagte Cash.

Souza lehnte sich zurück, bemühte sich, gelassen zu bleiben, was ihm auch gelang. Das Licht im Zimmer warf weiße Streifen auf seine rosa Glatze.

»Machen wir weiter«, sagte Milo. »Nach Peters Tod wurde sein Testament eröffnet. Sie erfuhren, dass nun ein kleiner Junge die Mehrheit der Cadmus Construction geerbt hatte. Was empfanden Sie dabei, Mr. Cadmus?«

»Ich fand es wunderbar. Wir sind schließlich ein Familienunternehmen«, sagte Dwight.

»Das kann ich verstehen«, antwortete Milo. »Ich frage mich jedoch, ob Ihnen die Tatsache, dass Sie sich jahrelang für die Firma abmühten und jetzt wieder nur die zweite Geige spielen durften, nicht einen Stich versetzt hat. Es konnte doch passieren, dass Jamey eines Tages die Macht übernahm?«

Dwight zuckte die Achseln.

»Erstens war er noch sehr jung, und ich stellte mir vor, dass ich den Graben zwischen uns überwinden und mit ihm schon einig werden würde.«

»Wie reizend von ihm, dass er den Graben überwand, indem er verrückt wurde. So lösten sich die Probleme von selbst.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Ich spreche von der Klausel über Krankheit des Erben«, sagte Milo, »im Fall psychischer Krankheit gehen dessen Anteile an den Vormund zurück. Vor einem Monat haben Sie und Souza sie in Kraft treten lassen. Und damit haben Sie hundertprozentige Kontrolle über das Vermögen der Familie.«

»Ich habe nichts Derartiges getan.«

»Sind Sie da sicher?«

»Natürlich bin ich das.«

Milo zog ein weiteres Papier aus seiner Aktentasche.

»Hier, sehen Sie sich das an.«

Er reichte es Dwight, der mit weit aufgerissenen Augen las.

»Ich habe dieses Dokument noch nie gesehen«, sagte er.

»Aber es trägt Ihre Unterschrift, vom Notar beglaubigt.«

»Ich versichere, dass ich dies nie unterzeichnet habe.«

Milo lehnte sich zurück und sah Dwight herausfordernd an.

Dwight starrte auf das Blatt, als hoffe er, eine Erklärung zu finden. Dann legte er es auf den Tisch, schüttelte den Kopf und sah sich fragend im Raum um.

»Ich habe es unterschrieben«, sagte Heather mit sanfter Stimme.

»Wie bitte?«

»Ich wollte dir Ärger ersparen, Liebling. Es war ja nur eine Frage der Zeit, und dann hättest du es tun müssen.«

»Und du hast es getan, ohne mich zu fragen?«

»Ich dachte, es würde zu schwer für dich sein. Ich wollte dir Kummer ersparen.«

Dwight schüttelte ungläubig den Kopf.

»Und woher hast du die notarielle Beglaubigung?«

Sie biss sich auf die Lippen.

»Unser lieber Freund Horace war so nett, einen seiner Leute zu bitten«, sagte Milo. »Zu Ihrem Besten, selbstverständlich.«

Dwight blitzte Souza an, dann warf er seiner Frau einen Blick zu, als sähe er sie zum ersten Mal.

»Was geht hier vor, Heather?«

»Nichts, mein Liebling«, sagte sie angespannt. »Bitte beantworte ihm keine Fragen mehr. Merkst du denn nicht, was er mit dir machen will?«

»Eine hübsche Überraschung, finden Sie nicht?«, sagte Milo. »Aber warten Sie nur, ich habe noch mehr davon.«

»Heraus damit, zum Teufel noch mal«, sagte Dwight.

»Ich nehme es Ihnen nicht übel, dass Sie verärgert sind«, sagte Milo. »Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, ginge es mir genauso. Sie rackern sich ab, damit die Firma läuft, aber einundfünfzig Prozent des Gewinns bekommt ein Playboy von einem Bruder, der nie einen Finger gerührt hat. Dann stirbt er, und alles Geld geht an seinen Sohn über, den Sie auch noch gezwungen waren großzuziehen.«

»Ich war dazu nicht gezwungen. Er gehörte zur Familie, und ich tat es freiwillig.«

»Klingt schön«, sagte Milo. »Aber wie sah Ihre Frau das?«

Heather sah Milo hasserfüllt an.

»Im Übrigen war es ja kein Zuckerschlecken mit dem Jungen«, fuhr Milo fort. »Er war intelligenter, als für ihn gut war, er hatte eine Lästerzunge, war unsozial - und was das Schlimmste ist, er war auch noch schwul. Als er immer zu Chancellor ging, müssen Sie sich gefragt haben: Was habe ich nur falsch gemacht?«

»Na, da kennen Sie sich ja bestens aus, Sergeant«, sagte Souza bissig.

»Aber das«, fuhr Milo fort, »konnten Sie ja noch alles hinnehmen. Nur nicht, dass er sie finanziell ruinieren wollte.«

Dwights Gesichtsausdruck zeigte deutlich, dass er Milo verstand.

»Ich weiß wirklich nicht, wovon Sie reden«, sagte er.

»Natürlich wissen Sie das. Dieselbe alte Geschichte. Sie setzten alles auf eine Karte und hatten Pech. Das Projekt im Bitter Canyon war für Sie der Clou. Papi hatte Ihnen ein riesiges Landstück hinterlassen, auf dem noch nicht investiert worden war. Eine große Chance für Sie. Sie konnten das Land so billig an den Staat verkaufen, dass Sie auch noch den Bauauftrag bekamen, und so einen dicken Gewinn erzielen. Es war ein Spiel, bei dem Sie sicher gewannen. Digby Chancellor fand das auch sehr verlockend. Er kaufte eine Mehrheit der Aktien zum Nennwert und bereitete sich auf einen großen Profit vor. Was muss in ihm vorgegangen sein, als er erfuhr, dass er in Giftgas investiert hatte?«

»Nach allen Gutachten, die mir vorlagen, war das Land in Ordnung«, sagte Dwight. »Wie hätte ich es wissen sollen?«

»Hör auf zu schwätzen, Dwight! Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen«, sagte Souza wütend.

»Nein, er konnte es nicht wissen«, sagte Milo in mitleidvollem Ton. »Wie ich schon sagte, es war einfach Pech. Und hätte Jamey nicht das alte Tagebuch seines Großvaters gefunden, hätte es überhaupt niemand erfahren. Aber er fand es nun mal und erzählte Chancellor davon. Und der begann, Druck auszuüben.«

Dwight lachte bitter.

»Ach daher wusste er es, aus einem Tagebuch, ich wusste gar nicht, dass der Alte eines geführt hatte.«

»Was gab Chancellor denn als Informationsquelle an?«

»Er …«<

»O mein Gott«, sagte Souza verächtlich.

Dwight sah den Anwalt herausfordernd an. Er spielte mit seinem Glas und sagte dann:

»Er sagte, er hätte es aus alten Unterlagen. Er wollte nichts Genaueres sagen, aber ich verdächtigte Jamey sofort, weil er ein verdammter Schnüffler ist, der sich immer in Dinge mischt, die ihn nichts angehen. Als ich Dig nach Beweisen fragte, gab er mir die Kopie einer von Daddy geschriebenen Seite: die Beschreibung der Gaslagerung. Er verlangte von mir, dass ich seine Aktien gegen Aufpreis zurückkaufe. Ich sagte ihm, er sei wohl wahnsinnig. Er drohte, an die Öffentlichkeit zu gehen, wenn ich mich weigerte, und versprach, die Firma völlig zu ruinieren. Ich lachte und sagte, das werde er nie tun, weil er sich ja gleich mit ruiniere. Aber er sagte, er werde mich wegen betrügerischer Bereicherung anklagen. Jamey werde als Nebenkläger auftreten, das Gericht die Firma auflösen und ihnen die Anteile zusprechen. Er sagte immer wir und uns, als ob sie verheiratet wären. Er war ein ruchloses, perverses Schwein.«

»Wer wusste noch von seiner Erpresserei?«, fragte Milo.

Dwight sah Souza an.

»Horace. Ich bat ihn um Rat, sagte ihm, dass wir noch nicht zu bauen begonnen hätten und uns noch aus der Sache rausziehen könnten.«

»Welchen Rat gab er Ihnen?«

»Er meinte, dass wir die Firma für immer schädigen würden, wenn wir die Sache aufgäben. Wir sollten so weitermachen, als ob nichts geschehen sei. Er würde schon einen Ausweg finden, aber ich sollte anfangen zu zahlen.«

»Und taten Sie es?«

»Ja.«

»Wie lange?«

»Über ein Jahr.«

»Wie häufig tätigten Sie die Zahlungen?«

»Nicht regelmäßig, nur wenn Dig anrief. Wir handelten dann immer eine bestimmte Summe aus.«

»Bargeld gegen Aktien?«

»Genau.«

»Wie wurde das Geld gezahlt?«

»Ich hatte einige Konten auf seiner Bank. Wir trafen uns in seinem Büro, ich unterschrieb einen Scheck, und er löste ihn ein.«

»Was geschah mit den Aktien?«

»Sie landeten in meinem Safe.«

»Das muss hart für Sie gewesen sein«, sagte Milo.

»Es wurde mit der Zeit immer schlimmer«, sagte Dwight. »Ich sollte mehr und mehr kaufen.«

»Wer außer Souza wusste davon?«

»Niemand.«

»Auch kein Firmenangehöriger?«

»Nein, es lief über mein Privatkonto.«

»Und Ihre Frau?«

»Auch sie wusste es nicht.«

»Wollen Sie sagen, dass Sie über so wichtige Dinge geschwiegen haben?«

»Ich kümmere mich allein um die Finanzen. Wir reden nie über Geschäftliches.«

»Wann beschlossen Sie, Chancellor aus dem Weg zu räumen?«

Dwight sprang auf. »Davon weiß ich nichts, zum Teufel noch mal!«

Er stützte sich am Tisch auf, kippte seinen Becher um. Dann stellte er sich gegen die Wand und sah nach rechts und links, als suche er einen Fluchtweg. Cash sah Milo fragend an, der aber schüttelte den Kopf. Der Detective aus Beverly Hills blieb unbeweglich stehen, richtete aber wachsame Blicke auf Dwight.

»Setzen Sie sich doch wieder«, sagte Milo.

»Ich habe nichts weiter getan, als einer Erpressung nachzugeben«, sagte Dwight. »Ich bin ausgebeutet worden. Ich habe mit nichts anderem zu tun.«

»Zwei Menschen drohen, Ihr Leben zu ruinieren. Plötzlich ist einer von ihnen tot, der zweite hinter Schloss und Riegel. Passt doch prima.«

Dwight schwieg einen Moment. Dann lächelte er auf seltsame Weise und sagte:

»Ich dachte damals, dass ich nun doch eine Glückssträhne erwischt hätte.«

Milo sah ihn an und zuckte die Achseln.

»Wenn Sie damit leben können, ich kann es.« Dann zog er einen Kassettenrekorder aus der Aktentasche und stellte ihn auf den Tisch. Erst hörte man ein Rauschen und dann das Klingeln eines Telefons. Nach dem dritten Läuten wurde der Hörer abgenommen.

»Hallo«, sagte eine bekannte Stimme.

»Hier ist Tully, Mr. Souza.«

»Hallo, Tully!«

»Ich rufe nur an, um Ihnen zu sagen, dass alles bestens geklappt hat.«

»Das freut mich zu hören.«

»Ja, es waren zwei Fliegen mit einer Klappe. Die Nutte, die Vann, lag gerade mit Mainwaring im Bett. Wir haben uns um beide gekümmert …«

»Du brauchst nicht ins Detail zu gehen, Tully.«

»Schon klar, Mr. Souza, ich wollte nur, dass Sie erfahren, dass alles ganz sauber gelaufen ist. Ich hab’s mit den Händen gemacht, ganz ohne Waffe.«

»Das reicht, Tully«, sagte Souza.

Schweigen.

»Danke für den Anruf, Tully, das hast du gut gemacht.«

»Soll ich sonst noch etwas tun, Mr. Souza?«

»Im Moment nicht. Nimm dir doch einfach ein paar Tage frei. Ruh dich ein bisschen aus.«

»Ich könnte wirklich etwas Ruhe brauchen, Mr. Souza, meine Knöchel sind ganz schön strapaziert.«

Breites Lachen.

»Das glaube ich dir, mein Junge.«

»Bis dann, Mr. Souza.«

»Auf Wiedersehen.«

Milo stellte das Gerät ab.

»Du elender Schweinehund!«, rief Dwight und wollte auf Souza losgehen. Cash sprang auf, packte ihn am Arm und hielt ihn fest.

»Setzen Sie sich«, sagte er und schob ihn an das vordere Tischende, gleich neben den Monitor. Dann drückte er ihn kraftvoll in einen Sessel. Er selbst blieb stehen und beobachtete Dwight sorgfältig.

Dwight erhob eine Faust gegen Souza und schrie wieder: »Elender Schweinehund!«

Souza grinste ihn an.

»Haben Sie etwas dazu zu sagen?«, fragte Milo den Anwalt.

Souza schüttelte den Kopf.

»Wünschen Sie die Anwesenheit eines Anwalts, bevor wir fortfahren?«

»Keineswegs. Einen Martini hätte ich gerne. Kann ich ihn mir holen?«

»Bitte sehr«, sagte Milo.

»Möchte sonst noch jemand einen Drink?«, fragte Souza.

Als niemand antwortete, ging er zu der Bar, mischte sich Gin und Vermouth und gab eine Olive hinein, die er aus einem silbernen Gefäß genommen hatte. Dann setzte er sich wieder. Er nahm einen Schluck und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.

»Horace, du verfluchter, elender …«, krächzte Dwight.

»Halt endlich den Mund«, sagte Souza, »du fängst an, mir auf die Nerven zu gehen.«

»Der Grund, weshalb das alles passierte, ist ziemlich banal«, sagte Milo. »Geld, Macht, das Übliche. Interessant ist, wie es geschah. Wir haben da etwas Bedeutsames gefunden: Mrs. Cadmus’ spezielles Wissen über Drogen.«

Dwights Gesicht überlief ein Schauer. Er starrte seine Frau an, hoffte, dass sie widersprechen würde. Stattdessen warf sie ihm nur einen kalten, verächtlichen Blick zu.

»Wann ist Ihnen diese Idee gekommen?«, fragte Milo Heather. Sie reagierte nicht, und er fuhr fort:

»Meiner Meinung nach müssen Sie Jamey schon seit langer Zeit hassen. Und Sie hatten öfter daran gedacht, dass Sie ihn gerne loswürden. Als Ihnen Souza dann von Chancellors Erpresserei erzählte, beschlossen Sie beide, dass jetzt die Zeit reif sei.«

Heathers Mund begann zu zittern, und es sah so aus, als ob sie reden wollte. Aber Souza räusperte sich laut, und sie wandte sich zu ihm um. Sie tauschten einen Blick aus, der Heathers Widerstand bestärkte. Ihre Augen verengten sich, blickten abweisend und wurden tiefschwarz wie eine Sturmwolke. Sie setzte sich aufrecht und sah durch Milo hindurch, so als existiere er nicht. All dies dauerte nur ein paar Sekunden, aber es war Dwight nicht entgangen. Er stieß einen tiefen Seufzer aus und sackte in sich zusammen.

»Jetzt zu euch zwei Vögeln«, sagte Milo. »Natürlich habt ihr auch erwogen, gleich beide zu töten, aber das habt ihr lieber gelassen, es wäre vielleicht ein bisschen zu auffällig gewesen und hätte die Polizei veranlassen können, ihre Nase in die Vermögensangelegenheiten der Familie zu stecken. Vom Nachlassgericht und der Erbschaftssteuer ganz zu schweigen. Wenn aber nur Chancellor ermordet und Jamey als psychotischer Mörder in Szene gesetzt wurde, konnte der liebe Ehemann ohne große Probleme an das Geld. Ein Jahr später könnte ja Jamey im Knast oder in einer Heilanstalt irgendwo weit draußen sterben, das hätte den gleichen Effekt. Wieder ein paar Jahre später könnte es den lieben Gatten bei einem Unfall erwischen, er könnte auch wahnsinnig werden und sich vielleicht sogar das Leben nehmen, denn das kommt doch in der Familie häufiger vor, nicht wahr? Und so blieb das ganze Geld für euch beide.«

Heather lachte spöttisch, und Souza sagte: »Das ist ja lächerlich.«

Milo nickte mir zu.

»Wenn irgendwer in der Lage war, jemanden in den Wahnsinn zu treiben, dann waren Sie es«, sagte ich und fasste die Ergebnisse ihrer wissenschaftlichen Studien zusammen. Sie schien unbeeindruckt. An Dwights überraschtem und zugleich gequältem Gesichtsausdruck konnte ich ablesen, dass er sich nie um die Studien seiner Frau gekümmert hatte. Er hatte in ihr immer nur die hilfreiche Hausfrau und Gattin gesehen.

»Sie haben es sehr vorsichtig getan«, fuhr ich fort. »Über ein Jahr haben Sie ihn mit Belladonna vergiftet, gaben das Gift in sein Essen, seine Milch, sein Mundwasser und seine Zahnpasta. Langsam steigerten Sie die Dosis. Ihr genaues Wissen über Anticholinergika ermöglichte es Ihnen, immer die richtigen Substanzen beizumischen, um einen bestimmten Effekt zu erzielen: starke Erregung an einem Tag, Depression am folgenden. Paranoia, Geräusch-Halluzinationen, Sehstörungen, Starre, Sie wussten von den Dschungelindianern genau, wie man diese Zustände hervorrufen konnte. Und wenn Sie etwas anderes wollten, mischten Sie einen bestimmten chemischen Stoff bei, LSD, PCP, Amphetamin. Sie kamen leicht an diese Sachen ran, weil Sie in einem Drogen-Rehabilitationszentrum arbeiteten. Die Polizei hat zwei Jugendliche gefunden, die gestanden haben, Ihnen solche Drogen verkauft zu haben.«

Sie zwinkerte aufgeregt mit den Augen. Aber sie schwieg.

»Mein Gott«, seufzte Dwight, immer noch genau von Cash bewacht.

»Jameys seelische Störungen machten Ihnen die Sache leicht«, fuhr ich fort. »Sein Verhalten war immer auffällig gewesen, so wunderte es niemanden, dass es immer weiter mit ihm bergab ging. Sie brachten ihn so weit, dass er wahnsinnig wurde, und schafften ihn in eine Nervenklinik. Sie suchten Canyon Oaks aus, weil Souza wusste, dass Mainwaring bereit ist, gegen Geld ein paar Zugeständnisse zu machen. Und das nutzten Sie aus. Sie engagierten Marthe Brown als private Schwester, und sie verabreichte Jamey das Gift nach Ihren Anweisungen. Inzwischen behandelte Mainwaring Jamey auf Schizophrenie mit Phenotiazin, das in Zusammenwirkung mit Anticholinergika sein Nervensystem noch weiter angriff. Miss Brown sagte, dass sie Ihnen jeden Tag über seinen Zustand berichtete. Als es immer schlimmer wurde, sagten Sie, sie solle eine Pause einlegen. Als es Jamey besser ging, erhielt sie Anweisung weiterzumachen. Selbst im Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses ging es weiter. Brown wurde abgelöst von jemandem, der gute Gründe hatte, Jamey täglich zu besuchen. Er konnte bei ihm stundenlang bleiben, ohne dass es besonders aufgefallen wäre. Er konnte väterlich den Arm um ihn legen und ihm Saft zu trinken geben. Souza, den alle für seinen Anwalt hielten.«

»Absurd«, sagte Souza, »das ist wildeste Spekulation!«

Heather nickte mechanisch.

»Sie sind wirklich ein nettes Pärchen«, sagte ich und sah Souza durchdringend an. »Während sie Jamey fertig machte, ließen Sie Antrim die Lavendelmorde ausführen. Diese sieben Jungen waren zufällig aufgelesene Opfer, die hinterher wie Müll weggeworfen wurden. Sie starben in einer Weise, dass es einfach für Sie war, Chancellor und Jamey zu Sexualmördern zu stempeln. Und so wirkte Chancellors Tod wie eine ausgeuferte Party. Alles war genau vorher überlegt und geplant. Die Opfer wurden in einer bestimmten Reihenfolge abgelegt, sodass es so aussah, als sei im Falle Chancellor eine gewisse Ordnung durchbrochen worden. Die Morde fanden alle donnerstags statt, denn das war der freie Abend des Bodyguards. Und Sie hatten sogar ein Beweisstück, das Jamey mit dem Mord in Zusammenhang brachte, Streifen von Heathers lavendelfarbenem Kleid, von dem sie mir ausführlich berichtet hatte. Alles lief wunderbar nach Plan, bis Jamey unerwarteterweise Miss Brown niederschlug und mich anrief.«

»Dr. Delaware«, sagte Souza schnaubend, »was bilden Sie sich eigentlich ein? Sie messen sich entschieden zu viel Bedeutung bei.«

»Das glaube ich nicht«, antwortete ich ruhig. »Mir ist völlig klar, dass Sie auch mich für Ihr Spiel brauchten. Sie wussten, dass ich Jameys Therapeut gewesen war, Sie wussten auch, dass er eine hohe Meinung von mir hatte, und Sie waren nicht sicher, ob er mir in jener Nacht nicht vielleicht irgendeinen Hinweis gegeben hatte. Und so beschlossen Sie, mich zu Ihrem Mitarbeiter zu machen. Für Sie ist das Leben ein Spiel, ein großes Theater mit austauschbaren Figuren. Nachdem ich mich zur Mitarbeit bereit erklärt hatte, unterstrichen Sie, dass alles vertraulich behandelt werden müsse - um Ihren Klienten zu schützen. In Wirklichkeit ging es jedoch um Ihren eigenen Schutz.«

»Ich habe Sie nur an wichtige Prinzipien Ihres Berufsethos erinnert«, sagte Souza. »Und Sie haben sie in erheblicher Weise verletzt.«

»Sie verwendeten mich, bis Sie ganz sicher waren, dass ich nichts wusste, das mit Ihren Machenschaften zusammenhing. Dann warfen Sie mich raus. Durch mich brachten Sie sich ein neues Hindernis an den Hals: Erno Radovic.«

Dwight riss die Augen weit auf, als er den Namen des Leibwächters hörte. Cash hatte immer noch ein wachsames Auge auf ihn.

»Wir werden nie genau erfahren, warum Radovic sich in die Sache reinhängte«, sagte ich. »Wahrscheinlich war es nur aus Anhänglichkeit an Chancellor. Vielleicht hatte er auch Chancellor und Jamey über Bitter Canyon reden hören, glaubte, es könne etwas mit dem Mord zu tun haben, und beschloss, der Sache nachzugehen, um andere erpressen zu können. Vielleicht wusste er sogar etwas von dem Tagebuch und suchte danach, ohne es zu finden. Als Sie mich in Ihre Dienste nahmen, stellte er Nachforschungen an, bekam heraus, dass ich Jameys Therapeut gewesen war, und vermutete dasselbe wie Sie, nämlich, dass ich geheime Informationen besäße. Er folgte mir auf Schritt und Tritt, und ich brachte ihn, ohne dass ich es wollte, auf die Spur des Tagebuchs. Als er es gelesen hatte, begriff er, dass er einen dicken Fisch gefangen hatte. Er rief Dwight an, verlangte Geld und teilte ihm mit, die Übergabe solle auf der Straße zum Bitter Canyon stattfinden. Dwight rief Sie an, und Sie beauftragten Antrim und Brown, sich der Sache auf die übliche Weise anzunehmen.«

»Das ist Beihilfe zum Mord«, sagte Milo zu Dwight. Dieser wich seinem Blick aus, indem er das Gesicht in seinen Händen verbarg. »Was dachten Sie, als Sie erfuhren, dass Radovic hingemetzelt worden war? Wieder eine kleine Glückssträhne?«

Keine Antwort. Das Schweigen zog sich eine Weile hin.

Souza brach es schließlich: »Sergeant«, sagte er und stellte sein Glas auf den Tisch, »das war ja wirklich faszinierend. Können wir jetzt bitte gehen?«

»Gehen?«

»Raus hier, das Haus verlassen, unseren sozialen Verpflichtungen nachkommen.«

Milo verbarg sein Staunen durch ein verärgertes Lachen.

»Ist das alles, was Sie zu sagen haben?«

»Aber selbstverständlich«, sagte der Anwalt. »Sie erwarten doch wohl nicht von mir, dass ich irgendetwas von alldem ernst nehme?«

»Sind wohl nicht weiter beeindruckt, was?«

»Wohl kaum. Sie kommen hier herein mit Ihrem ganzen Krimskrams und Ihrem Bataillon von Leuten und führen uns hier einen Cocktail von dummen Behauptungen, Lügen und wilder Spekulation vor. Bei solchen Beweisen erreiche ich im Allgemeinen ohne Schwierigkeiten bereits in der Vorverhandlung eine Klageabweisung.«

»Ich verstehe«, sagte Milo und nahm die übliche Rechtsbelehrung vor.

Souza hörte ihm zu, nickte zustimmend wie ein Schulmeister, der einer mündlichen Prüfung folgt, und blieb selbst dann noch gelassen, als Milo ihm die Arme auf den Rücken gelegt und die Handschellen geschlossen hatte. In diesem Moment wurde mir klar, was für ein gestörter Mensch er war.

Ich hätte nicht überrascht zu sein brauchen, denn dieser Mann war immerhin vierzig Jahre lang großen Demütigungen ausgesetzt gewesen. Immer hatte er im Schatten eines anderen gestanden, er hatte die Frau, die er liebte, verloren und sie hinterher krank werden und sterben sehen, er hatte wie ein Wahnsinniger darum gekämpft, ihre Schwester für sich zu gewinnen, aber auch hier wurde er abgewiesen. Auch sein Wunsch, als gleichwertiger Geschäftspartner anerkannt zu werden, war nie erfüllt worden. Er hatte nichts anderes erlebt, als ständig in den zweiten Rang zurückverwiesen zu werden.

Black Jack Cadmus hatte begriffen, was dies zur Folge haben könnte, und er hatte sich deswegen Sorgen gemacht.

»Ich bin ziemlich sicher, dass er mich aus tiefster Seele hasst«, hatte er geschrieben, »und ich frage mich, wie ich seinen Hass zerstreuen kann.« Seine Lösung war zynisch und pragmatisch zugleich gewesen. »Ein bisschen Nächstenliebe getarnt als Dankbarkeit könnte sehr nützlich sein. Ich muss H. dort lassen, wo er ist, aber ihm das Gefühl geben, wichtig zu sein.«

Schließlich war es Souza selbst gewesen, der seinen Hass abgewehrt hatte, indem er alle seine Gefühle für eine Sache hingab. Er vergötterte den Mann, den er eigentlich verachtete, und dies tat er sogar über dessen Tod hinaus. Der treu ergebene Sachwalter Horace, der keine eigene Familie hatte, aber immer zur Stelle war, wenn es irgendwelche Schwierigkeiten zu meistern galt, an denen es in der Familie Cadmus wahrlich nicht mangelte. Tag und Nacht war er bereit, alle verlangten Dienste zu leisten.

Ein psychischer Mechanismus war hier am Werk, der zerstörerische Impulse in gute Taten umwandelte, schwieriger zu realisieren als Rückwärtsgehen auf einem Seil, aber er hatte für lange Zeit Souzas Leben bestimmt.

Der Zorn, der in ihm aufstieg, als ich ihn nach seinen Beziehungen zur Familie Cadmus fragte, war ein Zeichen dafür, dass der Schutzwall, den er um sich gebaut hatte, zu bröckeln begann. Er hatte der Zeit nicht standgehalten, vor allem aber nicht der Möglichkeit, wieder eine Cadmus-Frau für sich zu gewinnen. Als seine Leidenschaften endlich aus ihrem Gefängnis herauskamen, war er zum brutalen Mörder geworden, ohne sich darüber klarzuwerden.

Jetzt wurde ihm der Spiegel vorgehalten, und sogleich hatte er sich hinter einer Mauer von Lügen und Abwehr verschanzt. Er tat dies mit einer Gelassenheit, auf die Marie-Antoinette am Tag ihres Prozesses stolz gewesen wäre.

Milo hatte die Rechtsbelehrung beendet und sah nun abwechselnd von Heather zu Dwight.

»Ib, dib, dab, und du bist ab«, sagte Cash, der seine Unschlüssigkeit erriet.

Bevor Milo sich entschieden hatte, ging die Tür auf, und Cal Whitehead kam herein, in einem grünen Anzug mit weißen Aufschlägen, in der Hand einen grünen Koffer aus Schlangenhaut, dessen Griff mit Plastik umwickelt war. Er kaute Kaugummi und grinste. Er warf den Koffer mit einem Schwung auf den Tisch und sagte: »Was ist denn hier los? Was sehe ich denn für Gesichter?«

»Wir räumen nur eben auf«, sagte Milo. »Mr. Souza ist gar nicht beeindruckt von unseren Geschichten.«

»Na ja, vielleicht hilft das uns ja weiter.«

Er zog sich Plastikhandschuhe an, holte einen plastikumwickelten Schlüssel aus der Tasche und schloss den Koffer auf.

»Sie sind wirklich sehr vertrauensselig, meine Dame«, sagte er zu Heather, »wie konnten Sie dies nur so einfach in Ihrer Kommode liegen lassen, unter der hübschen seidenen Unterwäsche und gleich neben Ihrem Diaphragma?«

Mit einer Handumdrehung öffnete er den Koffer. Dieser war innen mit lavendelfarbenem Samt ausgeschlagen, in den zwanzig sechseckige Vertiefungen eingelassen waren. Darin steckten zwanzig kristallene Gläschen, die durch Streifen aus Samt festgehalten wurden und braune und graue Puder und körnige Substanzen enthielten, offenbar getrocknete Blätter und Zweige.

Im Deckel waren ein Stößel und ein Mörser aus Porzellan befestigt, sowie eine kleine Schale, drei metallene Spritzen und ein Feuerzeug aus Platin.

»Das ist wirklich edel und einer Dame würdig«, sagte Whitehead. Heather bedeckte ihren Mund wieder mit dem Taschentuch und starrte auf ihr Abendtäschchen. Souza blickte teilnahmslos zur Decke.

»Na, macht das keinen Eindruck auf Sie?«, fragte Whitehead zunächst spaßig. Aber gleich darauf wurde er von Wut gepackt.

Er fasste in seine Jackettasche und zog einen Stapel Fotos heraus.

»Detective Whitehead«, sagte Milo, aber bevor er seinen Satz beenden konnte, hatte Whitehead die Fotos wie Spielkarten aufgefächert und begann sie zu verteilen. Die ersten bekam Souza, der sie keines Blickes würdigte, die nächsten warf er vor Heather hin. Sie sah sich die Bilder an und gab einen tiefen Schluchzer von sich, so schmerzerfüllt und heftig, dass es kaum zu ertragen war.

Sie packte die Fotos, um sie zu zerreißen, aber ihre Hände waren steif, und die Bilder wurden nur leicht geknickt. Wieder schluchzte sie, dann ließ sie den Kopf auf die Tischplatte fallen und begann zu würgen.

»Was sind das für Fotos?«, fragte Dwight hastig.

»Wollen Sie die auch sehen?«, sagte Whitehead.

»Cal«, sagte Milo warnend.

Whitehead machte nur eine abschätzige Handbewegung. »Natürlich, warum denn nicht?« Dann warf er auch Dwight ein paar Bilder zu, worauf dieser sie schnell ergriff, betrachtete und heftig zu zittern anfing.

Ich konnte seine Reaktion verstehen, denn ich kannte die Bilder bereits. Es waren grobkörnige Schwarzweißfotos, aufgenommen durch Schlüssellöcher und Tüllgardinen, aber dennoch deutlich erkennbar. Heather und Souza in heftigen Sexszenen. In seinem Büro, in seinem Schlafzimmer, auf einem Himmelbett, auf dem Rücksitz seines Rolls, in allen denkbaren Positionen. Es war die Chronik eines Ehebruchs, abscheulich und zugleich von pornografischem Reiz.

Antrim hatte diese Bilder immer als seine Versicherungspolice bezeichnet. Er hatte diese Sammlung im Zeitraum von zwei Jahren angelegt. Dies war nicht schwer gewesen für einen Diener wie ihn, denn Diener gelten als unsichtbar, auch wenn sie ständig anwesend sind. Schon während der Fälschung der Unterschrift beim Notar hatten sie seine Anwesenheit übersehen. Genauso vergaßen sie seine Existenz im Augenblick der Lust.

Heather würgte erneut.

Dwight stand auf und zeigte mit dem Finger auf sie.

»Du verdammtes Flittchen!«, schrie er über den Tisch. »Du verlogene, nichtswürdige Hure!«

Diese Beschimpfungen rissen sie aus ihrem Zustand. Sie stand mühsam auf, zitterte dabei. Mit wilden Blicken, fleckigen Wangen, lose herunterhängendem Haar griff sie nach ihrer Abendtasche. Sie schluchzte und atmete schwer.

»Hexe mit zwei Gesichtern«, fuhr Dwight fort und hob drohend die Faust.

»Das kann man wohl sagen«, sagte Cash lässig und legte Dwight eine Hand auf die Schulter.

»Du … wagst es, mir Moral zu predigen!«, schrie Heather außer sich.

»Janusköpfige Hure!«, brüllte Dwight. »Das ist der Dank, du Schlampe!«

»Wer bist du denn, dass du über mich urteilst?«, schrie sie und bohrte ihre Fingernägel in die Handflächen.

Er hielt ein Foto in die Höhe. »Ich bringe mich für dich um, und das ist der Dank!«

»Ich schulde dir nicht das Geringste!«

Er nahm die Karaffe vom Tisch und schüttete ihr Whisky ins Gesicht.

Sie stand da, völlig durchnässt, schlotternd und bewegte lautlos die Lippen.

»Genug jetzt«, sagte Milo.

»Regen Sie sich ab, und setzen Sie sich wieder«, sagte Cash zu Dwight.

Heather heulte und schrie und zog etwas aus ihrer Abendtasche. Einen kleinen glänzenden Revolver, versilbert und mit Monogramm versehen, wie ein hübsches Spielzeug. Sie nahm ihn in beide Hände und zielte auf ihren Mann.

Sekunden später waren drei.38er auf sie gerichtet.

»Legen Sie die Waffe hin!«, forderte Milo sie auf. »Los, runter damit!«

»Du elender Wurm«, sagte sie zu Dwight, bemüht, die Selbstkontrolle zu wahren.

»Jetzt hör mir mal zu«, sagte er mit schwacher Stimme.

»Dass du die Nerven hast, mir Vorwürfe zu machen, elender Wurm! Ein Wurm ist er, sonst nichts!« Sie zitterte und bewegte den Revolver ziellos hin und her.

»Jetzt legen Sie endlich die Waffe hin«, rief Milo.

»Heather, ich bitte dich«, sagte Dwight, dem der Schweiß auf der Stirn stand. Eine Hand hielt er vor die Brust, offenbar im Glauben, sich so zu schützen. »Lass das, es ist doch wirklich unnötig, dass …«<

»Oh! Jetzt hat er Angst. Jetzt soll ich aufhören. Du kastrierter, gefühlloser Wurm. Ein Eunuch bist du, jawohl, und ein Mörder dazu!«, schrie Heather.

»Bitte, lass es doch!«

»Wie sonst soll man jemanden nennen, der seinen Bruder, seinen eigenen Bruder findet, den Kopf in der Schlinge, dabei, zu ersticken! Er spielte nur ein Spiel, er wollte gar nicht sterben. Wer fand seinen Bruder so und befreite ihn nicht? Wer ließ ihn einfach sterben? Wie finden Sie das?«

»Ganz schön mies«, sagte Whitehead, legte seine.38er auf den Tisch und stellte sich lässig zwischen Heather und Dwight. Er lächelte dazu und kaute sein Kaugummi.

Milo unterdrückte ein Fluchen, Cash hielt seine Waffe ausgestreckt in der Rechten, mit der Linken hielt er Dwights Kopf, bereit, ihn jederzeit nach unten zu stoßen.

»Versuchen Sie nicht, ihn zu retten«, sagte Heather, »dann töte ich Sie auch.«

Cash erstarrte.

»Legen Sie die Waffe fort«, sagte Heather.

Cash schüttelte den Kopf. »Das kann ich beim besten Willen nicht.«

Seine Weigerung schien ihr nichts auszumachen.

»Wurm«, fauchte sie. »Besäuft sich und heult sich bei mir aus. ›Ich hab meinen Bruder getötet, meinen Bruder!‹ Flennte wie ein Säugling. ›Ich muss es wieder gutmachen und mich um seinen Sohn kümmern. Ich muss es an Jamey wieder gutmachen.‹«

Jetzt wurde ihre Stimme hoch und schrill: »Und wer hat sich um den kleinen Bastard gekümmert? Du vielleicht? Wer musste mit seinen Macken und seiner spitzen Zunge fertig werden? Du wolltest bereuen, aber ich bekam die Strafe!«

Sie zielte wieder auf ihn.

»Meine liebe gnädige Frau«, sagte Whitehead lächelnd. »Revolver sind nichts für hübsche kleine Damen …«<

»Halten Sie den Mund!«, schrie sie und versuchte, an seinem fülligen Körper vorbeizuzielen. »Ich will den Wurm!«

Whitehead lachte herzlich.

»Nun lassen Sie’s gut sein.«

»Sie sind jetzt endlich ruhig«, sagte Heather. Whitehead verzog irritiert die Stirn und bemühte sich zu lächeln.

»Also wirklich, meine Liebe, wir führen doch kein Fernsehdrama auf, jetzt lassen Sie’s mal genug sein.«

»Halten Sie Ihren Mund, Sie Idiot!«, schrie Heather.

Whitehead wurde wütend und ging auf sie zu.

»Jetzt lassen Sie den Quatsch …«<

Sie sah ihn spöttisch an und schoss ihm in den Mund. Dann zielte sie auf Dwight, aber sie kam nicht mehr zum Schießen. Kugel auf Kugel durchbohrte ihren zierlichen Leib, zerriss und durchlöcherte ihn. Der dunkelblaue Chiffon färbte sich rot, dann schwarz, eine Rauchwolke umgab sie, als sie zu Boden sank.

Die Türen des Esszimmers wurden aufgestoßen, ein Heer von blauen Uniformen mit gezückten Pistolen füllte den Raum. Entsetzte Blicke, schreckensbleiche Gesichter. Milo rief den Leuten Anweisungen zu und untersuchte Whitehead, der mit dem Bauch nach unten dalag. Er ließ einen Krankenwagen holen.

Cash überließ Dwight zwei Polizisten, er sagte kein Wort und war kalkweiß im Gesicht. Er steckte seine Pistole ins Halfter und lockerte seine Krawatte. Dwight starrte auf die Leiche seiner Frau und auf die roten Spritzer überall auf der Holztäfelung. Auf dem Tisch war eine riesige Blutlache. Dwight verlor das Bewusstsein und wurde weggebracht.

Souza hatte die ganze Zeit über unbeweglich dagesessen, als habe er mit alldem nichts zu tun. Vier Hände packten ihn an den Ellbogen und hielten ihn hoch. Er sah sich das Schlachtfeld an und schnalzte mit der Zunge.

»Los, gehen wir«, sagte einer der Beamten.

»Eine Sekunde, junger Mann.« Er sagte es mit einer Stimme, die den Polizisten in Ehrfurcht erstarren ließ.

»Was wollen Sie?«, fragte er. »Wohin bringen Sie mich?«

»Ins Gefängnis.«

»Das weiß ich. Ich möchte wissen, in welches.«

»Ins Bezirksgefängnis.«

»Ausgezeichnet. Bevor wir gehen, wünsche ich, dass Sie ein Telefonat für mich erledigen. Rufen Sie Christopher Hauser an, von Hauser, Simpson & Bain. Die Nummer ist auf der Karte in meiner Brieftasche. Sagen Sie ihm, dass sich der Treffpunkt für unser Frühstück geändert hat. Nicht im California Club, sondern im Bezirksgefängnis. Er soll etwas zu schreiben mitbringen. Es ist ein Arbeitstreffen. Haben Sie das?«

»Jawohl«, sagte der Beamte und rollte die Augen.

»Dann wiederholen Sie bitte. Damit auch nichts schief geht.«