21

Ich ließ ihn schnarchend in seinem Büro zurück, schlaff und in sich zusammengesunken. Das Gespräch mit ihm war wirr und schwierig gewesen, aber ich hatte wieder ein Stückchen aus der Familiengeschichte der Cadmus kennen gelernt: Peter hatte ein gefährliches erotisches Spiel betrieben, und sein Tod war aller Wahrscheinlichkeit nach ein Unfall gewesen. Ich fragte mich, ob Souza wohl etwas von dem erotischen Erhängen wusste, kam aber zu dem Schluss, dass dies wahrscheinlich nicht der Fall war. Sonst hätte er dieses Wissen sofort strategisch genutzt, um nachzuweisen, dass sexuelle Perversion ebenso zu den Erbeigenschaften der Familie gehörte wie psychische Labilität.

Als ich nach Norden in Richtung La Brea fahr, wurde mir klar, wie unfreundlich ich zu Robin gewesen war. Oberheim war nicht der Einzige, der sich zu sehr um sich selbst kümmerte. Ich war so beschäftigt gewesen mit dem Fall und meinen Schuldgefühlen, dass ich sie vernachlässigt hatte. Ich hatte sie nur ausgenutzt, um jemanden zum Zuhören zu haben, ohne die geringste Rücksicht darauf zu nehmen, dass auch sie meine Aufmerksamkeit verdiente.

Fest entschlossen, dies wieder gutzumachen, machte ich an der Tankstelle von Fountain kehrt, fuhr Richtung Süden nach Wilshire, dann nach Westen und ins Zentrum von Beverly Hills. Ich hatte noch eine Stunde Zeit, bis die Läden zumachten. Ich stellte meinen Wagen am Beverly Drive ab und benahm mich wie der Gewinner eines Fernsehquiz im Kaufrausch. In einer Boutique kaufte ich Robin eine hundert Jahre alte Spitzenbluse, bei Giorgio Parfüm und Badeseife, Himbeer- und Schokoladeneis aus Dänemark, dann einen riesigen Gourmet-Esskorb, einen kupfernen Kochtopf, den sie sich schon lange wünschte, und zwölf korallenrote Rosen. Das war zwar keine ideale Lösung, aber ein Schritt in die richtige Richtung.

Nachdem ich mich durch ein Meer von Mercedessen manövriert hatte, hielt ich an einem Fischmarkt in der Nähe von Overland. Als ich nach Hause kam, war Robins Lieferwagen nirgendwo zu sehen. Auf dem Anrufbeantworter fand ich die Nachricht vor, dass sie gegen Viertel vor acht nach Hause käme. Jennifer Leavitt hatte angerufen und zwei Nummern hinterlassen. Ich schrieb sie mir auf ein Stück Papier. Die eine war ein Universitätsanschluss, die zweite eine Nummer aus dem Fairfax District. Ich war neugierig, zu erfahren, was Jennifer mir zu sagen hatte, aber nicht neugierig genug, um mich von meinen Plänen abbringen zu lassen. Ich beschloss, sie später am Abend wieder anzurufen, und steckte den Zettel in die Hosentasche.

Ich trug die Geschenke ins Schlafzimmer und verteilte sie auf dem Bett. Nachdem ich Jeans und ein abgetragenes T-Shirt angezogen hatte, ging ich in die Küche, legte Joe Pass auf, zog eine Schürze an und begann, das Essen vorzubereiten. Als Vorspeise sollte es Austernpilze mit Knoblauch und Croûtons geben, danach grünen Salat mit Pfeffer und chinesischen Zwiebeln in Vinaigrette, dann gegrillten norwegischen Salm mit Kapern, gebutterte Prinzessbohnen und eine Flasche Sauvignon, den mir eine Richterin geschenkt hatte. Das dänische Eis war als Nachtisch gedacht.

Als Robin nach Hause kam, machte ich gerade die Salatsauce. Ich nahm ihr Mantel und Tasche ab und führte sie in die Küche, wo ich sie gleich an den Tisch setzte. Dann reichte ich ihr eine Schale und ein Handtuch zum Händewaschen.

»Oh!«, rief sie. »Welchem Umstand verdanke ich das?«

Ich brachte sie mit einem Kuss zum Schweigen, goss ihr Wein ein und servierte die Austernpilze.

»Alex, das ist ja fantastisch!«

»Hau rein, lass es dir richtig schmecken!«

Wir aßen langsam und genussvoll, ohne viel zu reden.

»Herrlich«, sagte Robin und schob ihren Teller zur Seite.

»Wie wär’s mit Nachtisch?«

Sie stöhnte und strich sich über den Bauch.

»Können wir damit ein bisschen warten?«

»Klar. Geh und ruh dich aus, während ich aufräume.«

»Ich möchte dir helfen, damit ich mich ein bisschen bewege.«

»Gut, aber geh bitte erst ins Schlafzimmer, und hol mir ein dünneres Hemd.«

»Gern.«

Als sie wiederkam, hielt sie sich das Spitzenhemd vor und strahlte wie ein Kind.

»Ist das lieb!«, sagte sie.

Wir gingen aufeinander zu, umarmten uns und trennten uns an diesem Abend nicht mehr.

Gleich nachdem Robin am nächsten Morgen in ihren Laden gefahren war, hängte ich meine Jeans auf. Dabei fiel der Zettel mit Jennifers Nummern heraus. Zuerst versuchte ich es in der Universität. Eine langsame Baritonstimme teilte mir mit, dass ich mit dem Institut für Verhaltensforschung verbunden sei. Im Hintergrund hörte ich undeutlich Stimmen.

»Hier ist Dr. Delaware. Jennifer Leavitt hat mich um Rückruf gebeten.«

»Wer?«

»Dr. Delaware.«

»Mit wem wollen Sie sprechen?«

»Jennifer Leavitt.« Ich buchstabierte.

»O ja, eine Sekunde.« Er legte den Hörer nieder und rief laut ihren Namen. Als er zurückkam, war seine Stimme noch müder. »Sie ist leider nicht da.«

»Wann wird sie da sein?«

»Ich weiß es nicht, übrigens sind wir hier gerade mitten in einer Sache, rufen Sie doch später wieder an.«

»Kann ich eine Nachricht hinterlassen?«

»Ich weiß nicht, wie ich das …«<

»Schon gut, danke.«

Ich hängte ein und versuchte es mit der Nummer in Fairfax. Eine freundliche Frauenstimme war in der Leitung.

»Mrs. Leavitt?«

»Ja?«

»Hier ist Dr. Delaware. Ich kenne Jennifer aus dem Projekt 160 …«<

»Ach, Sie sind es. Jennifer hat Ihnen etwas Wichtiges zu sagen. Ich soll Ihnen mitteilen, dass sie heute tagsüber nicht zu Hause ist. Sie und Danny, ihr Freund, sind nach La Jolla gefahren. Aber heute Abend ist sie sicher zurück. Wo kann sie Sie erreichen?«

Ich gab ihr meine Privatnummer und bedankte mich.

»Gern geschehen, Doktor. Jennifer hat immer so nett von Ihnen gesprochen. Sie war noch so jung, als sie in das Projekt aufgenommen wurde, Sie haben ihr sehr geholfen, sich zurechtzufinden.«

»Das freut mich zu hören.«

»Und jetzt ist sie bald selbst Doktor. Ist das nicht wunderbar?«

»Sie sind sicher sehr stolz auf sie.«

»Ja, das sind wir wirklich, Doktor.«

Zu Hause räumte ich ein wenig auf, fütterte die Zierkarpfen, absolvierte ein paar Karate-Übungen, machte einen Fünf-Kilometer-Lauf und duschte ausgiebig. In der Morgenpost war nichts Aufregendes, nur eine Zeugenladung in einem Sorgerechtsverfahren, das ich längst beendet geglaubt hatte. Der Termin sollte in vier Wochen sein, so tat ich den Brief in die Ablage.

Es war ein ruhiger, angenehmer Morgen, aber der Gedanke, dass mich jemand beim Kauf der Verwerflichen Tat überboten hatte, ging mir nicht aus dem Sinn. Voids will be Voids diente irgendeinem Arzt dazu, weniger Steuern zu zahlen; es kam ihm nicht darauf an, Geld zu machen. Wieso also fingen die Leute an, sich wegen einer bestimmten Skulptur zu überbieten? Je länger ich darüber nachdachte, desto weniger gefiel mir die Sache.

Es war halb eins, die Galerie machte erst in ein paar Stunden auf. Aber da ich Zeit hatte, fuhr ich in die Stadt, vielleicht würde mir der junge Mann mit dem bunt gestreiften Haar ja irgendwo über den Weg laufen. Ich sah ihn jedoch nirgendwo, und in der Galerie brannte kein Licht. Deshalb fuhr ich zum Essen nach Chinatown.

Als ich um zwei mit wohlgefülltem Bauch zurückkehrte, war Voids immer noch geschlossen, aber ich entdeckte meinen Gesprächspartner vor einem der Trödelläden zwischen den Kleiderständern, eifrig damit beschäftigt, in alten Klamotten zu stöbern. Bis ich geparkt und mich ihm genähert hatte, war er fündig geworden, eine Stretchhose aus künstlichem Tigerfell, ein Oberteil aus Polyäthylen und ein weißes aufknöpfbares T-Shirt.

»Hallo«, sagte ich vorsichtig.

Er schreckte hoch und ließ die Kleider auf den Bürgersteig fallen. Ich hob sie auf und klopfte sie aus. Der Ladenbesitzer schaute argwöhnisch aus der Tür. Der Streifenkopf war auch argwöhnisch, mir gegenüber.

»Was wollen Sie denn schon wieder?«

»Noch ein Geschäft mit Ihnen machen.«

»Wir fangen erst um vier an.« Er tat, als betrachte er das Oberteil.

»Es geht nicht um Kunst, ich brauche neue Informationen.«

»Dann rufen Sie ein Auskunftsbüro an.«

Der Ladenbesitzer kam nach draußen und fragte:

»Kaufen oder nur angucken?«

Bevor Streifenkopf irgendetwas sagen konnte, antwortete ich:

»Kaufen. Was kostet es?«

Er nannte eine Summe, ich bot ihm die Hälfte an, und wir trafen uns in der Mitte. Streifenkopf sah mir ungläubig zu, dann reichte er mir die Kleider.

»Behalten Sie sie«, sagte ich. »Frohe Weihnachten.«

Er ging zur Galerie hinüber, und ich folgte ihm.

»Sind Sie Jude oder so was?«, fragte er.

»Nein, warum?«

»Sie machen Geschäfte wie ein Chinese oder Jude, und ein Chinese können Sie ja schließlich nicht sein.«

»Da haben Sie Recht.«

»Was?«

»Schon gut.«

Wir waren an der Galerie angekommen. Er stellte sich mit dem Rücken vor das Eisengitter, die Kleider hielt er fest umklammert, offenbar aus Angst, dass ich sie ihm wieder wegnehmen könnte.

»Ich möchte wissen, wer Die Verwerfliche Tat gekauft hat.«

»Habe ich Ihnen doch schon gesagt, irgendeiner mit Anzug.«

»Wie hieß er denn?«

»Er hat keinen Namen genannt.«

»Wollte er keine Quittung?«

»Er machte es wie Sie: Cash and carry.«

»Wie sah er denn aus?«

»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass ich die Leute nicht …«<

Der Zwanzigdollarschein, den ich ihm unter die Nase hielt, brachte ihn mitten im Satz zum Schweigen.

»Fünfzig«, sagte er.

Ich zog die Hand mit dem Geld zurück.

»Lassen wir’s. Ich habe einen Freund bei der Polizei, den rufe ich gleich an und sage ihm, dass Sie betrügerische Geschäfte machen.«

»He, ich mache doch gar nichts!«

»Das ist ja möglich, aber wenn die kommen, machen sie als Erstes eine Leibesvisitation.«

Ich wandte mich zum Gehen, aber er hielt mich mit einem festen Griff zurück.

»Hören Sie mal, ich wollte doch nur fair sein. Der andere hat mir fünfzig gezahlt, damit ich die Schnauze halte, Sie sollten nicht weniger zahlen als er.«

Ich befreite mich aus seinem Griff und machte mich auf den Weg.

»Leck mich doch! Na gut, also meinetwegen zwanzig.«

Ich blieb stehen und wandte mich um.

»Erst möchte ich hören, was Sie zu sagen haben.«

»Er hatte einen riesigen, total bescheuerten Mund.«

»Ich brauche eine Beschreibung; wie er Ihnen gefällt, ist mir egal.«

»Also gut. Er war ein Weißer, braun gebrannt. Wie die Typen, die sich den ganzen Tag auf die Sonnenbank legen.«

»Wie groß?«

»Wie Sie, aber schwerer.«

»Dick?«

»Viele Muskeln.«

»Und sein Haar?«

»Kurz, wie die Typen, die Gewichtheben machen und sich den ganzen Tag über pflegen.«

»Was noch?«

Er verzog nachdenklich das Gesicht, versuchte sich zu erinnern.

»Er hatte einen Bart. Das ist alles.«

»Was für eine Farbe?«

»Dunkel.«

Aus seiner Beschreibung erstand vor meinen Augen das Bild von Erno Radovic.

»Hat er gesagt, warum er die Skulptur kaufen wollte?«

»Nein, ja doch. Er sagte, dass er Kunstliebhaber sei.«

Ich schob ihm noch einen Zwanziger hin.

»Los, sagen Sie schon.«

»Lassen Sie mich, ich will mich nicht in die Nesseln setzen. Der Mann war ein echtes Ekel.«

»Er wird es nie erfahren.«

Er sah auf die Straße in beide Richtungen, dann wieder auf das Geld.

»Beim ersten Mal kam er gerade, nachdem Sie gegangen waren. Fragte mich, was Sie gewollt hatten. Ich sagte zu ihm: ›He, hier ist Voids, wir sind kein Detektivbüro.‹ Dann kriegte er einen komischen Gesichtsausdruck und gab mir Cash. Ich sagte ihm, ich hätte Sie nie zuvor gesehen und Sie wollten irgendwelchen Plunder kaufen. Ich zeigte ihm, welchen, und da überbot er Sie. Das war’s. Zufrieden?«

Milo hatte mich gebeten, ihm Bescheid zu sagen, sobald der Bodyguard irgendwo auftauchte. Ich ging in eine Telefonzelle und rief seine Nummer in West Los Angeles an.

Da er nicht dort war, fragte ich nach Del Hardy, seinem Mitarbeiter. Es dauerte eine Weile, bis sie ihn gefunden hatten; außer Atem kam er ans Telefon.

»Hallo, Doc«, keuchte er.

»Hi, Del. Geht’s Ihnen gut?«

»Aerobic, Antistressprogramm, Befehle von oben, wir fallen wie die Fliegen, verlieren’ne Menge guter Leute.«

»Ist Milo auch beteiligt?«

»Angeblich ja, aber er hält sich, ihm fallen immer Entschuldigungen ein. Dass er Verbrechen aufklärt und so.«

Ich lachte.

»Ich möchte mit ihm sprechen, wenn er zurück ist. Ist nichts Dringendes, nur etwas wegen Erno Radovic.«

Ich hörte ihn laut atmen, seine Stimme klang erregt.

»Das rassistische Schwein? Ist er schon wieder hinter Ihnen her?«

»Im Moment nicht, aber es gibt Gründe, anzunehmen, dass er es getan hat.«

»Brauchen Sie Hilfe?«

»Nein, nein, wie ich schon sagte, ist nichts Dringendes.«

»Gut. Milo war heute noch gar nicht hier. Er wurde irgendwo hingerufen. Aber er wird sich etwa in einer Stunde wieder melden, ich gebe ihm Ihre Nachricht weiter. Sollte der Hurenbock wieder auftauchen, bitte geben Sie sofort Bescheid.«

»Danke, Del.«

Ich fuhr nach Hause, nahm mir ein paar Fachzeitschriften vor und begann zu lesen. Ich hatte mich gerade in einen Artikel über die seelische Entwicklung frühreifer Kinder vertieft, als das Telefon läutete.

»Gut, dass Sie zu Hause sind. In der Leitung ist Sergeant Milo Sturgis. Er hat schon zweimal angerufen.«

»Stellen Sie ihn bitte durch.«

»Gerne, Doktor …«<

»Alex?« Die Verbindung war gestört, aber ich hörte aus Milos Stimme, dass es dringend war.

»Was ist los?«, fragte ich.

»Del sagte, du weißt etwas über Radovic. Leg los!«

Ich erzählte ihm, dass er mich verfolgt hatte und hinter der Verwerflichen Tat her gewesen war.

»Was, eine Skulptur?«

»Eine ganz besondere Skulptur, Milo. Sie enthält Elemente von Chancellors Ermordung und dem Tod von Jameys Vater. Radovic hat eine Menge Geld dafür gezahlt. Frag ihn mal danach, wenn du ihn siehst.«

Ich hörte Krachen in der Leitung.

»Milo?«, rief ich, denn ich glaubte, dass wir getrennt worden waren.

»Ich sehe ihn bereits«, sagte er leise, »er liegt hier, nur ein paar Meter weg, abgestochen wie ein Schwein.«

»So eine Scheiße!«

»Wir haben einen Augenzeugen, der die Mörder beobachtet hat. Es waren zwei, Rocker. Der eine dünn, der andere riesig und fett.«

»Wo ist es passiert?«

»In der Nähe des Bitter Canyon, beim Antelope Valley Highway. Ich muss dich dringend sprechen, Alex.«

»Worum geht’s?«

»Whitehead und Cash sind noch hier bei der Leiche, aber in ein paar Minuten hauen sie ab. Ich habe mich freiwillig für den Schreibkram gemeldet, deshalb bin ich noch’ne Weile hier. Du brauchst hierher etwa vierzig Minuten. Fahr in einer Stunde los, dann begegnest du niemandem auf dem Freeway. Man sieht dort jedes Auto. Kennst du den Weg?«

»Vierhundertfünf Richtung Norden, oder?«

»Stimmt. Hinter der Abzweigung biegst du nach Osten ab auf die Vierhundertfünfzehn Richtung Lancastere und Mojave. Du kommst am Soledad Canyon vorbei, an Agua Dulce und dem Los-Angeles-Aquädukt. Bitter Canyon liegt ein paar Meilen vor Palmdale. Der Highway führt durch die Wüste, auf der Ausfahrt fährst du etwa zwei Kilometer geradeaus. Es ist verdammt einsam hier, komm also nicht unter die Räder. Fahr immer weiter, bis du eine alte Texaco-Tankstelle siehst. Der Leichenwagen steht bestimmt dort, den kannst du nicht übersehen.«