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Der Nachtdienst der Canyon Oaks-Klinik informierte mich, dass er vor acht Uhr morgens keine Gespräche weitervermitteln könne, also erst in knapp fünf Stunden. Ich erklärte, dass ich Arzt sei und dass es sich um einen Notfall handele. Daraufhin wurde ich weiterverbunden. Es meldete sich eine ausdruckslose Altstimme, die der Dienst habenden Nachtschwester gehörte. Zuerst ließ sie mich reden, dann fragte sie misstrauisch nach meinem Namen.

»Dr. Alex Delaware. Und mit wem spreche ich?«

»Mrs. Vann. Gehören Sie zu unserer Klinik, Doktor?«

»Nein, ich habe Jamey Cadmus vor einigen Jahren behandelt.«

»Aha, und er hat Sie angerufen?«

»Ja, vor ein paar Minuten.«

»Das dürfte kaum möglich sein, Doktor«, sagte sie selbstzufrieden. »Mr. Cadmus ist in der geschloss… er ist telefonisch nicht erreichbar.«

»Er war es aber, Mrs. Vann, und er war in sehr schlechter Verfassung. Wann haben Sie zuletzt nach ihm gesehen?«

»Ich bin in einem anderen Gebäude.« Nach einer kurzen Pause: »Ich könnte dort einmal anrufen.«

»Das sollten Sie unbedingt tun.«

»In Ordnung, Doktor, vielen Dank für die Information und gute Nacht.«

»Bitte sagen Sie mir, wie lange er schon in der Klinik ist.«

»Ich bin nicht befugt, vertrauliche Informationen über Patienten weiterzugeben.«

»Ich verstehe. Welcher Arzt hat Bereitschaftsdienst?«

»Unser Direktor, Mr. Mainwaring. Ich kann ihn aber um diese Zeit nicht stören«, erwiderte sie abweisend.

Im Hintergrund hörte ich gedämpfte Stimmen. Sie unterbrach das Gespräch für eine Weile, meldete sich dann mit nervöser Stimme wieder, um mir mitzuteilen, dass sie keine Zeit mehr habe. Dann legte sie auf. Das passierte mir nun schon zum zweiten Mal innerhalb von zehn Minuten.

Ich machte das Licht aus und ging ins Schlafzimmer zurück. Robin richtete sich auf und stützte sich auf ihre Ellbogen. Ihr kupferfarbenes Haar glänzte in der Dunkelheit violett. Sie hatte ihre mandelförmigen Augen halb geschlossen.

»Alex, was war denn los?«

Ich setzte mich auf die Bettkante und schilderte ihr die Gespräche mit Jamey und der Nachtschwester.

»Wie seltsam!«

»Ja, es ist sehr seltsam.« Ich rieb mir müde die Augen.

»Fünf Jahre habe ich nichts von dem Jungen gehört, und plötzlich, aus heiterem Himmel, ruft er an und erzählt mir diesen Blödsinn.«

Ich stand auf und ging im Zimmer umher.

»Er hatte damals zwar Probleme, war aber nicht verrückt. Eben klang er sehr verwirrt. Sein Verstand war brillant, aber heute Nacht war er in einem schlimmen Zustand: paranoid, er hörte Stimmen, erzählte Verworrenes. Ich kann kaum glauben, dass es der gleiche Junge war.«

Mein Verstand sagte mir jedoch, dass er es war. Was ich am Telefon gehört hatte, klang nach einer Psychose oder dem Einfluss von Drogen. Jamey musste inzwischen ein junger Mann sein, siebzehn oder achtzehn Jahre alt, statistisch in einem Alter, in dem eine Schizophrenie ausbrechen konnte oder in dem man Missbrauch mit Drogen trieb.

Ich ging zum Fenster und sah eine Weile in die Nacht hinaus. Im Tal herrschte Stille. Eine schwache Brise bewegte die Wipfel der Kiefern.

»Warum kommst du nicht ins Bett, Liebling?«

Ich kroch wieder unter die Decke. Wir umarmten uns. Als sich ihr Körper vor Müdigkeit entspannte, küsste ich sie, rollte mich auf die Seite und versuchte einzuschlafen, vergeblich. Ich war zu aufgewühlt, das wussten wir beide.

»Nun rede schon«, forderte sie mich auf und ergriff meine Hand.

»Ich kann nicht viel dazu sagen. Ihn so zu erleben war überraschend für mich. Und wie dieser Drache mir die kalte Schulter zeigte! Ein richtiger Eisblock, tat so, als ob ich der Verrückte sei. Aber als sie das Gespräch unterbrach, muss etwas passiert sein, das sie aus der Fassung brachte.«

»Meinst du, dass es mit Jamey zu tun hatte?«

»Wer weiß das schon? Das alles ist sehr merkwürdig.«

Wir lagen ruhig nebeneinander. Die Stille wirkte bedrückend. Die Uhr zeigte auf 3.23 Uhr. Ich küsste Robins Finger und ließ ihre Hand los. Dann stand ich auf.

»Ich kann jetzt nicht schlafen, ich will dich auch nicht vom Schlafen abhalten.«

»Willst du ein Buch lesen?«, fragte sie, denn das machte ich häufig, wenn ich nicht einschlafen konnte.

»Nein«, ich ging zum Schrank und begann, in der Dunkelheit meine Kleider zu suchen. »Ich werde jetzt fahren.«

Sie drehte sich herum und starrte mich an. Nach längerem Tasten fand ich schließlich Flanellhosen, Lederschuhe, Rollkragenpullover und ein Tweedjackett und zog mich schweigend an.

»Du fährst weg? Zu dieser Klinik?«

»Der Junge braucht dringend Hilfe. Wir hatten damals ein sehr gutes Verhältnis. Ich mochte ihn gern. Wahrscheinlich kann ich nichts für ihn tun, aber ich fühle mich besser, wenn ich mehr erfahre.«

Sie sah mich an, wollte etwas sagen, seufzte aber schließlich nur.

»Wo liegt diese Klinik?«

»Draußen im West Valley. Um diese Zeit nur fünfundzwanzig Minuten. Ich bin bald wieder zurück.«

»Sei vorsichtig, Alex.«

»Mach dir keine Sorgen.« Ich küsste sie und sagte: »Schlaf weiter.«

Sie war jedoch hellwach, als ich die Wohnung verließ.

Der Winter war spät über Südkalifornien hereingebrochen und hatte lange über dem Land gelegen. Für den Frühlingsanfang war es entsprechend kalt; ich knöpfte meinen Mantel zu, dann überquerte ich die Terrasse und stieg die Eingangstreppe hinunter. Vor einigen Jahren hatte jemand Jasmin gepflanzt, der nachts blühte. Die Pflanzen hatten sich überall ausgebreitet und füllten die Gegend von März bis September mit ihrem betörenden Duft. Während ich tief einatmete, musste ich an Hawaii denken.

Der Seville stand unter dem überdachten Einstellplatz neben Robins Toyota. Er war staubig, hatte eine Wäsche dringend nötig, startete aber bereitwillig. Das Haus liegt über einem sich windenden Saumpfad; es kostet einige Mühe, einen Cadillac ohne Kratzer durch die von Sträuchern eingezwängten Kurven zu manövrieren. Nach vielen Jahren beherrsche ich das natürlich im Schlaf. Ich fuhr den Wagen zurück, wendete und machte mich an die Talfahrt.

Auf dem Beverly Glen Highway raste ich in Richtung Sunset die Berge hinunter. Wir wohnen in einem Bereich des Valley, der sich durch ländlichen Charme auszeichnet: schindelgedeckte Häuser auf Pfeilern, deren Zwischenräume mit farbigem Glas ausgefüllt sind, »Rettet die Wale«-Aufkleber auf alten Volvos, starker Bedarf an biologischen Naturprodukten. Kurz vor Sunset liegen stattliche Landsitze. Auf dem Boulevard bog ich rechts ein, um auf den San Diego Freeway zu kommen. Ich passierte den Campus der Universität von Los Angeles an seiner nördlichen Grenze, die südliche Landebahn von Belair und fuhr dann an protzigen Haziendas auf Millionen Dollar teuren Grundstücken vorbei. Ein paar Minuten später kam die Zufahrt 405 in Sicht. Ich bog in die Auffahrt ein und schoss dann auf den Freeway.

Auf der rechten Spur krochen ein paar Tanklastzüge, alle anderen fünf Spuren gehörten mir. Schimmernd und leer wand sich das schwarze Asphaltband vor mir und verlor sich in der Ferne. Die 405 ist ein Teilstück der Verkehrsader, die Kalifornien parallel zur Küste von Baja bis zur Grenze von Oregon durchläuft. Sie verschwindet unter dem Gebirgszug von Santa Monica in einem Tunnel. In dieser Nacht hing das Gebirge düster über mir, seine steil aufragenden Flanken trugen das erste Frühlingsgrün.

Die Fahrbahn stieg aufwärts bis Mulholland und tauchte dann hinunter in das Tal von San Fernando. Ein atemberaubender Anblick bot sich plötzlich meinen Augen: ein pulsierendes, fernes Lichtermeer. So plötzlich, wie es erschienen war, verschwand es auch wieder bei Meilenstein 70. Ich bog nach rechts ab auf den Ventura Freeway und beschleunigte westwärts.

Zwölf Meilen lang raste ich durch die Vorstadt: Encino, Tarzana (nur in Los Angeles benennt man eine Schlafstadt nach dem Urwaldmenschen), Woodland Hills. Ich war hellwach, aufgedreht und zu nervös, um dem Autoradio zuzuhören.

Kurz vor Topanga tauchten aus dem nächtlichen Dunkel farbige Lichter auf, blinkende Kaskaden in leuchtendem Rot, Gelb und Kobaltblau, es sah aus wie ein riesiger Weihnachtsbaum mitten auf dem Freeway. Ich bremste sofort. Um diese Zeit sind gewöhnlich nur wenige Fahrzeuge unterwegs, aber plötzlich war eine ganze Menge da, Stoßstange an Stoßstange, ein Riesenstau.

Eine Weile ließ ich den Motor noch laufen, merkte aber bald, dass die anderen Fahrer ihre abgestellt hatten. Einige waren ausgestiegen, lehnten an ihren Wagen, rauchten, schwatzten oder starrten in den Nachthimmel. Hinter einem silberfarbigen Porsche Targa stellte ich meinen Seville ab, stieg aus und ging auf den rothaarigen Spätdreißiger zu, der auf einer kalten Tabakspfeife herumkaute und eine juristische Zeitschrift studierte.

»Entschuldigen Sie, wissen Sie, was hier los ist?«

Der Porschefahrer sah von seiner Zeitschrift auf und lächelte mich freundlich an. Dem Geruch nach hatte er etwas anderes als gewöhnlichen Tabak in der Pfeife.

»Verkehrsunfall. Alle Spuren sind blockiert.«

»Wie lange warten Sie schon?«

Ein schneller Blick auf seine Uhr: »Halbe Stunde.«

»Wissen Sie, wie lange das noch dauert?«

»Keine Ahnung, schlimmer Unfall.«

Er steckte sich seine Pfeife wieder zwischen die Lippen, lächelte und vertiefte sich in einen Artikel über Seerechtsverträge.

Ich ging auf der linken Fahrbahnseite weiter, an sechs Reihen abgestellter Fahrzeuge entlang. Auf der Gegenfahrbahn staute sich der Verkehr durch langsam fahrende Schaulustige. Der Gestank von Benzin wurde stärker, ich hörte Lautsprecher: Aus zahlreichen Polizeifunkanlagen scholl ein unzusammenhängendes Stimmengewirr. Nach ein paar Metern konnte ich die Szene überschauen.

Ein riesiger Lastzug mit zwei Anhängern, insgesamt neun Achsen, lag über allen Spuren. Der eine Anhänger stand quer zur Fahrtrichtung, der andere war umgestürzt und ragte mit einem guten Drittel über den Rand des Highways. Die Verbindung zwischen beiden war ein Gewirr verbogenen und zerrissenen Metalls. Unter der gestürzten Stahlkarosserie war eine knallrote Limousine eingeklemmt und wie eine Bierdose zerquetscht worden. Wenige Meter entfernt stand ein größerer Tourenwagen, ein brauner Ford mit zerborstenen Scheiben, vorn und hinten wie ein Akkordeon gefaltet.

Die Beleuchtung und den Lärm machten mehrere Löschwagen, ein halbes Dutzend Ambulanzen und ein großes Aufgebot an Feuerwehrautos und Streifenwagen. Um den Ford drängten sich zahlreiche Uniformen. Mithilfe einer eigenartigen Maschine, aus deren Vorderteil überdimensionierte Zangen ragten, versuchten sie immer wieder, die zerbeulte Fondtür zu öffnen. Weiß zugedeckte Körper wurden auf Tragen in Krankenwagen geschoben. Einige davon hingen am Tropf und wurden vorsichtig getragen. Andere Körper wurden in Plastikbeutel gesteckt und wie Gepäck behandelt. Aus einem der Wagen drang ein Stöhnen. Die Fahrbahn war mit Glassplittern, Benzin und Blut bedeckt.

Verkehrspolizisten riegelten in lockerer Formation die Fahrbahn ab. Das Blutbad im Rücken, beobachteten sie aufmerksam die wartenden Autofahrer. Einer von ihnen sah mich kommen und wollte mich mit einer schroffen Handbewegung zurückwinken. Als ich mich darum nicht kümmerte, kam er mit grimmigem Gesicht auf mich zu.

»Gehen Sie sofort zu Ihrem Fahrzeug zurück!«

Er war jung und hoch gewachsen, hatte ein längliches rotes Gesicht mit einem schmalen rehbraunen Schnurrbart, seine dünnen Lippen waren verkniffen. Eine eng sitzende Uniform ließ seinen muskulösen Körperbau erkennen; er trug ein winziges knallblaues Halstuch. Auf seinem Namensschild stand BJÖRSTADT.

»Wie lange wird das hier noch dauern, Officer?«

Die Hand an seinem Revolver, trat er näher. Er kaute eine Magentablette und duftete nach einer Mischung aus Schweiß und Fichtennadeln.

»Gehen Sie sofort zu Ihrem Fahrzeug zurück!«

»Ich bin Arzt, Officer. Ich muss zu einem Notfall, Sie müssen mich durchlassen.«

»Was für ein Doktor sind Sie?«

»Psychotherapeut.«

Diese Antwort schien ihm zu missfallen.

»Was ist das für ein Notfall?«

»Ein Patient rief mich gerade an, er ist in einer Krise, es besteht Selbstmordgefahr. Ich muss so schnell wie möglich zu ihm.«

»Müssen Sie zu ihm nach Hause?«

»Nein, er ist in einer Klinik.«

»In welcher Klinik?«

»Psychiatrie, Canyon Oaks, ein paar Meilen entfernt.«

»Zeigen Sie mir Ihre Lizenz.«

Ich gab sie ihm und hoffte, dass er die Klinik nicht anrufen würde. Ein Palaver zwischen Officer Björstadt und Mrs. Vann hätte mir gerade noch gefehlt.

Er studierte das Papier, reichte es mir zurück, wobei er mich mit misstrauischen Augen ansah.

»Ich schlage vor, Dr. Delaware, dass ich Ihnen zur Klinik folge. Sie werden dort sicher den Notfall bestätigen, oder?«

»Natürlich, fahren wir also.«

Nachdenklich zwirbelte er seinen Schnurrbart.

»Was für einen Wagen fahren Sie?«

»Einen 79er Seville, dunkelgrün, braunes Dach.«

Er betrachtete mich argwöhnisch und sagte schließlich:

»Okay, Doktor, kommen Sie langsam auf der Standspur nach vorn. Wenn Sie hier sind, halten Sie an, bis ich Ihnen die Weiterfahrt erlaube. Ein Unfall reicht für heute Nacht.«

Ich bedankte mich und lief zu meinem Wagen zurück. Unter den feindlichen Blicken der anderen Fahrer rollte ich nach vorn.

Auf der Fahrbahn waren hunderte von Lampen verteilt, sie sah aus wie eine kerzengeschmückte Geburtstagstorte. Kaum war das Lichtermeer aus meinem Rückspiegel verschwunden, gab ich Gas.

Bei Calabasas wich der Vorstadtcharakter der Landschaft, sanft gewellte, mit uraltem knorrigem Eichengestrüpp bewachsene Hügel bestimmten das Bild.

Die großen Ranches von früher waren inzwischen aufgeteilt, Pferde gab es jedoch immer noch, sie dienten jetzt dem Freizeitvergnügen der feinen Gesellschaft. Die Grundstückspreise waren sündhaft hoch, die umzäunten Anwesen einige Hektar groß - Spielwiesen für die Wochenendcowboys von heute. Kurz vor Ventura fuhr ich vom Freeway ab und folgte einem Wegweiser, der mich südwärts über eine Betonbrücke zum Canyon Oaks Psychiatric Hospital wies. Nachdem ich an einer Selbstbedienungstankstelle, einer Baumschule und einer christlichen Grundschule vorbeigefahren war, folgte ich ein paar Meilen einer steilen einspurigen Straße, bis ein weiteres Schild mich westwärts wies. Der durchdringende Gestank frisch gedüngter Felder lag in der Luft.

Das Gelände von Canyon Oaks kündigte sich mit einem riesigen blühenden Pfirsichbaum an, der einen langen Schatten warf; das offene Tor wirkte eher malerisch als abschirmend. Von Buchsbaumhecken eingefasst, hinter denen sich Eukalyptusbäume abzeichneten, wand sich ein endloser Weg auf einen Hügel hinauf.

Die Klinik war der Traum eines Bauhaus-Architekten: Quader aus weißem Beton fügten sich in Gruppen zusammen; überall blinkten Stahl und verspiegeltes Glas. Das umliegende Grundstück hatte man für mehrere hundert Jahre vom Unkraut befreit, es betonte die Strenge der Formen und Winkel. Das aufgereihte Ensemble von Kuben wirkte wie eine kalte, glitzernde Schlange. Vor dem Berg, der sich im Hintergrund schwarz abzeichnete, bewegten sich funkelnde Lichtpunkte. Taschenlampen. Ich stellte meinen Wagen auf dem fast leeren Parkplatz ab und ging auf den Eingang zu: eine Doppeltür aus mattem Stahl, die in eine Glaswand eingesetzt war. Sie war verschlossen. Ich drückte auf die Klingel.

Ein Wachmann spähte durch das Glas, kam herangeschlurft und steckte seinen Kopf aus der Tür. Er war in mittleren Jahren, schmerbäuchig, sogar im Dunkeln konnte ich die blauroten Adern auf seiner Nase erkennen.

»Was wollen Sie?« Er zog seine Hosen hoch.

»Ich bin Dr. Delaware. Einer meiner Patienten, James Cadmus, hat mich angerufen, er scheint in einer Krise zu sein, ich möchte sehen, wie es ihm geht.«

»Ach, den meinen Sie.« Der Mann blickte mich finster an und ließ mich herein.

»Hier entlang, Doktor.«

Er führte mich durch einen leeren Empfangsraum, der in einem faden Blaugrün und Grau gehalten war und in dem es nach verwelkten Blumen roch. Er ging nach links auf eine Tür mit der Aufschrift STATION C zu, entriegelte sie und ließ mich durch. Wir kamen in eine unbesetzte Pflegestation, die mit PCs und dem Monitor der Hausüberwachungsanlage ausgestattet war. Der Wachmann durchquerte den Raum und wandte sich nach rechts. Wir betraten einen kleinen Flur, dessen helle Wände von blaugrünen Türen unterbrochen wurden; in jede dieser Türen war ein Guckloch eingelassen. Der Mann deutete auf eine Tür, die offen stand.

»Gehen Sie da hinein, Doktor.«

Der Raum war ungefähr zwei mal zwei Meter groß und nicht sehr hoch, die Wände waren mit weißem, weichem Schaumstoff bedeckt. Den meisten Platz nahm ein Krankenbett ein, an dem lederne Schlingen befestigt waren. Nur ein einziges Fenster war hoch in einer Wand angebracht. Es war undurchsichtig wie altes Plexiglas und mit einem Stahlgitter gesichert. Alle Einrichtungen, von der Kommode bis zum Nachttisch, waren eingebaut, festgebolzt und mit blaugrünem Schaumstoff bezogen. Auf dem Boden lag ein zerknüllter Schlafanzug.

Drei Personen in steifem Weiß befanden sich im Raum. Eine korpulente blonde Frau, Mitte vierzig, saß mit aufgestütztem Kopf auf dem Bett. Neben ihr stand ein großer untersetzter Schwarzer mit Hornbrille. Eine zweite Frau, jung, dunkelhaarig und sinnlich, so etwas wie Sophia Lorens jüngere Schwester, stand etwas abseits von den anderen. Beide Frauen trugen Schwesternhauben, der Mann war mit einem zugeknöpften Kittel bekleidet.

»Hier ist sein Arzt«, verkündete der Wachmann, worauf mich die drei verdutzt anstarrten. Die Korpulente hatte ein verheultes Gesicht und wirkte verängstigt. Der große Schwarze kniff verwundert die Augen zusammen und versank wieder in Lethargie.

Die Schöne blitzte mich wütend an, stieß den Schwarzen zur Seite und fuhr mit geballten Fäusten und wogendem Busen auf uns los.

»Was zum Teufel hat das zu bedeuten, Edwards?«, herrschte sie den Wachmann an. »Wer ist dieser Mann?« Dessen Schmerbauch fiel gleich einige Zentimeter in sich zusammen.

»Äh … er hat gesagt, er sei der Arzt von Cadmus, Mrs. Vann, und, äh … da habe ich …«<

»Das war ein Missverständnis.« Ich lächelte sie an. »Ich bin Dr. Delaware, wir telefonierten vorhin miteinander.«

Sie sah mich verblüfft an und wandte sich dann wieder dem Wachmann zu.

»Dies ist eine geschlossene Abteilung, Edwards. Sie ist aus zwei Gründen geschlossen.« Sie lächelte ihn kühl und herablassend an. »Ist Ihnen das bekannt?«

»Ja, Ma’am …«<

»Welche Gründe sind das wohl, Edwards?«

»Äh, um die Klapsmü…, um die Sicherheit zu gewährleisten, Ma’am, und, äh …«<

»Um die Patienten drin und Fremde draußen zu halten!« Sie funkelte ihn wütend an. »Sie sind wohl heute Nacht etwas aus dem Tritt.«

»Ja, Ma’am, ich dachte, seit der Junge …«

»Sie haben für heute Nacht genug gedacht«, blaffte sie zurück. »Gehen Sie wieder auf Ihren Platz!«

Der Wachmann sah verschnupft in meine Richtung.

»Soll ich ihn wieder mit…«

»Gehen Sie, Edwards!«

Er sah mich hasserfüllt an und schlurfte los. Die Korpulente auf dem Bett legte ihr Gesicht in die Hände und fing an zu heulen. Mrs. Vann bedachte sie mit einem verächtlichen Seitenblick, schwenkte ihre schwarze Mähne in meine Richtung, und sie reichte mir eine feingliedrige Hand.

»Hallo, Dr. Delaware.«

Ich versuchte, meine Gegenwart zu erklären.

»Sie sind sehr engagiert, Doktor, man kann Ihnen keinen Vorwurf machen.« Sie lächelte kalt.

»Ich bin Ihnen sehr dankbar, wie geht es …«<

»Man durfte Sie nicht einlassen. Edwards wird sich dafür verantworten müssen, aber solange Sie hier sind, werden Sie weder schaden noch nützen.« Sie machte eine Pause.

»Ihr ehemaliger Patient ist nicht mehr da.«

Bevor ich antworten konnte, fuhr sie fort:

»Mr. Cadmus ist entflohen, nachdem er die arme Miss Brown angegriffen hat.«

Die dicke Blonde sah auf. Toupiertes weißblondes Haar krönte sie wie eine Sahnehaube. Das Gesicht darunter war bleich und teigig mit rosa Flecken. Unter schmal gezupften Brauen blickten kleine olivbraune Schweinsaugen hervor, die rot gerieben waren. Ihre dicken, rot verschmierten Lippen zitterten nervös.

»Ich wollte nach ihm sehen«, schniefte sie, »wie ich das jeden Abend mache. Er war immer so ein netter Junge, und ich habe ihm die Fesseln abgemacht, wie immer. Der Junge sollte doch ein bisschen Freiheit haben, verstehen Sie? Ein wenig Mitleid schadet doch nicht, oder? Dann habe ich ihn massiert, Handgelenke und Fußknöchel. Dabei entspannt er sich und fängt an zu lächeln wie ein Baby. Er kann manchmal gut einschlafen danach. Aber heute ist er hochgesprungen, völlig verrückt, hat geschrien, Schaum vor dem Mund. Hat mich in den Magen geschlagen, mit dem Betttuch gefesselt und mit dem Handtuch geknebelt. Ich hatte Angst, dass er mich erwürgt, er hat aber nur meinen Schlüssel mitgenommen und …«<

»Das reicht, Marthe«, fiel ihr Mrs. Vann ins Wort. »Regen Sie sich doch nicht schon wieder auf. Antoine, bringen Sie sie zur Schwesternstation, und geben Sie ihr Suppe zu essen.«

Der Schwarze nickte und führte die Korpulente aus dem Raum.

»Eine Privatschwester«, sagte Mrs. Vann abfällig, als sie verschwunden waren. »Wir beschäftigen so was nie, aber die Familie bestand darauf, und wenn großes Geld im Spiel ist, sind die Vorschriften nichts mehr wert.« Ihr steifes Schwesternhäubchen raschelte, als sie den Kopf schüttelte. »Sie ist Springerin, nicht fest angestellt, Personalvermittlung. Sie haben gerade gehört, was sie angerichtet hat.«

»Wie lange ist Jamey schon hier?«

Sie kam auf mich zu und stach mir mit den Fingerspitzen über die Schläfe. Auf ihrem Namensschild befand sich ein Foto, das jedoch die Wirklichkeit nur ungenügend wiedergab. Darunter stand ihr Name: Andrea Vann, staatl. gepr. Krankenschwester.

»Mein Gott, was sind Sie hartnäckig«, sagte sie schelmisch. »Meinen Sie, dass eine solche Information jetzt weniger vertraulich ist als vor einer Stunde?«

Ich zuckte mit den Schultern.

»Als wir vorhin telefonierten, hatte ich den Eindruck, dass Sie mich für einen Spinner halten.«

Sie lächelte wieder kühl.

»Und weil Sie mir jetzt persönlich gegenüberstehen, glauben Sie, ich sei tief beeindruckt?«

Ich grinste so charmant wie möglich.

»Wenn ich so aussehe, wie ich mich fühle, kann ich das kaum erwarten. Ich versuche nur, irgendeinen Sinn in dem zu finden, was ich in den letzten Stunden erleben musste.«

Ihr Lächeln wirkte gequält, aber trotzdem ein wenig freundlicher.

»Wir verlassen am besten die Station«, erwiderte sie. »Die Zellen sind zwar schallgedämpft, aber die Patienten haben einen unheimlichen Sinn für besondere Ereignisse, so eine Art tierischen Instinkt. Dann fangen sie an zu schreien und werfen sich gegen die Wand.«

Wir gingen zum Empfangsraum und setzten uns hin. Edwards schlurfte missmutig herum und bekam den Auftrag, Kaffee zu holen. Er verzog den Mund, schluckte seinen Ärger hinunter und gehorchte.

Sie nahm einen Schluck und stellte die Tasse ab.

»Ich habe Sie wirklich für einen Spinner gehalten, wir haben viele hier. Als ich Sie dann aber sah, habe ich Sie gleich erkannt. Vor ein paar Jahren habe ich Ihre Vorlesungen über kindliche Ängste besucht. Sie waren sehr gut.«

»Danke.«

»Mein Sohn hatte damals Albträume, und ich habe ihm mit einigen Ihrer Ratschläge helfen können.«

»Das freut mich.«

Sie zog eine Packung Zigaretten aus ihrem Kittel und steckte sich eine an.

»Jamey hat Sie sehr geschätzt. Er hat Sie ab und zu erwähnt. Wenn er bei Sinnen war.«

Sie zog die Stirn düster in Falten. Ich fasste nach: »Und das geschah nicht oft?«

»Nein, nicht oft. Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?«

»Vor fünf Jahren.«

»Sie würden ihn kaum wiedererkennen. Er …«, sie brach ab. »Ich darf Ihnen nicht mehr sagen. Heute Nacht sind schon genug Vorschriften missachtet worden.«

»Das verstehe ich. Können Sie mir nur noch sagen, wie lange er schon vermisst wird?«

»Ungefähr eine halbe Stunde. Die Wärter suchen ihn draußen mit Taschenlampen.«

Dann saßen wir da und tranken Kaffee. Ich fragte sie, welche Art von Patienten in der Klinik behandelt würde. Bevor sie antwortete, steckte sie sich die nächste Zigarette an.

»Wenn Sie damit herausbekommen wollen, ob hier viele Patienten abhauen, muss ich leider die Antwort verweigern.«

Ich beteuerte, dass ich das überhaupt nicht gemeint hätte, aber sie unterbrach mich.

»Wir sind kein Gefängnis. Die meisten Stationen sind offen. Hier ist die übliche Kundschaft: übergeschnappte Jugendliche, Depressive nach einem gefährlichen Schub, Magersüchtige, weniger Manische, Alzheimersche, Kokainsüchtige und Alkoholiker zum Entzug. Die Station C ist klein, sie hat nur zehn Betten, die selten voll belegt sind. Aber wir haben dort den meisten Ärger. Die Patienten dort sind unberechenbar, unruhige Schizophrene, die sich nicht im Griff haben, reiche Verbrecher mit guten Beziehungen, die sich ein paar Monate untersuchen lassen, um sich vorm Gefängnis zu retten, Rauschgiftsüchtige, die paranoid geworden sind. Aber mit Phenotiazin halten wir auch die ruhig.« Ihre Laune hatte sich wieder verschlechtert, sie stand auf, richtete das Häubchen und ließ ihre Zigarette in den kalten Kaffee fallen.

»Ich muss nachsehen, ob sie ihn schon gefunden haben. Kann ich noch etwas für Sie tun?«

»Nein, danke.«

»Dann gute Heimfahrt.«

»Ich würde gern hier bleiben und auf Dr. Mainwaring warten.«

»Das würde ich an Ihrer Stelle nicht tun. Ich habe ihn angerufen, kurz nachdem wir bemerkt hatten, dass Jamey weg ist, aber er ist mit seinen Kindern in Redondo Beach. Das ist eine lange Fahrt von dort. Sie werden hier eine Weile festsitzen.«

»Ich werde auf ihn warten.«

Sie nestelte an ihrem Häubchen und zuckte die Achseln.

»Wie Sie meinen.«

Dann war ich allein, sank auf meinen Sessel und versuchte, Ordnung in meine Gedanken zu bringen, jedoch ohne Erfolg. Eine Weile saß ich nervös herum, stand dann auf, um mir in der Toilette das Gesicht zu waschen. Im Spiegel sah ich müde aus, trotzdem fühlte ich mich energiegeladen. Vermutlich lief ich auf Reservetank.

Die Uhr im Empfangsraum zeigte vier Uhr siebenunddreißig. Ich stellte mir vor, wie Jamey starr vor Angst in der Dunkelheit herumirrte.

Um nicht an ihn denken zu müssen, setzte ich mich wieder hin und las ein Exemplar der Klinikzeitung The Canyon Oaks Quarterly. Der Leitartikel behandelte Finanzierungsprobleme bei Geisteskrankheiten, viel Gerede. Der Kern der Sache war, dass die Familien der Patienten gedrängt wurden, von Abgeordneten und Versicherungsträgern mehr Geld zu fordern. Kleinere Artikel handelten vom anticholinergischen Syndrom im Alter - Fehldiagnosen bei älteren Menschen durch drogeninduzierte Psychosen -, von den Hauptregeln der Beschäftigungstherapie, von der Klinikapotheke und von einem neuen Programm zur Behandlung von Essstörungen. Die ganze Rückseite enthielt eine Abhandlung von Dr. Guy Mainwaring, mit dem Titel »Die Veränderungen der Aufgabe des Psychiaters«. Er führte darin aus, dass Psychotherapie bei ernsthaften geistigen Störungen von minderer Bedeutung sei und den medizinisch nicht ausgebildeten Therapeuten überlassen werden könne. Er unterstrich, dass Psychiater Ärzte seien und als »biochemische Ingenieure« zur klassischen Medizin zurückkehren müssten. Der Artikel schloss mit einem Lobgesang auf die moderne Psychopharmakologie.

Ich legte das Blättchen weg und wartete zunehmend nervöser. Nach einer halben Stunde hörte ich schließlich Motorgeräusche und das Knirschen von Reifen auf dem Kies. Grelles Scheinwerferlicht fiel durch die Scheiben des Eingangs und blendete mich. Als das Licht erlosch, konnte ich das Waffelmuster eines Mercedeskühlers erkennen. Dann öffnete sich die Tür, und ein Mann stürmte herein.

Er war Mitte fünfzig, eine hagere Gestalt mit einem zerklüfteten Gesicht. Graubraune, schüttere Haare waren sorgfältig über einen gewaltigen Schädel zurückgebürstet. Über einer seiner starken geschwungenen Brauen hatte er einen Leberfleck. Die lange und scharf geschnittene Nase saß etwas schief im Gesicht, unruhige braune Augen steckten wie Glaskugeln in tiefen Höhlen. Er trug einen grauen Anzug, der vor Jahren einmal viel Geld gekostet haben musste, dazu ein weißes Hemd mit grauer Krawatte. Das Jackett war weit und bequem, die Hosen beulten sich über derben schwarzen Halbschuhen. Diesem Mann waren modische Details gleichgültig, er war das passende Gegenstück zur Bauhaus-Architektur der Klinik.

»Wer sind Sie?« Er sprach lebhaft, mit britischem Akzent, Oxford oder Cambridge.

Ich erhob mich und stellte mich vor.

»Ach, der Psychotherapeut. Mrs. Vann hat mir berichtet, dass Jamey Sie angerufen hat. Ich bin Dr. Mainwaring.«

Er drückte mir kräftig, aber distanziert die Hand.

»Schön von Ihnen, dass Sie den langen Weg hier heraufgekommen sind, aber ich habe leider nicht viel Zeit für Sie. Ich muss dringend einige Sachen regeln.« Trotzdem fragte er neugierig: »Was hat der Junge Ihnen am Telefon erzählt?«

»Nichts, was einen Sinn ergeben hätte. Er hatte furchtbare Angst, schien Stimmen zu hören und war völlig außer Kontrolle.«

Mainwaring hörte mir aufmerksam zu, schien aber offensichtlich von meinem Bericht nicht überrascht zu sein.

»Wie lange ist er schon in diesem Zustand?«

»Schon einige Zeit.« Er sah auf seine Armbanduhr. »Ein trauriger Fall. Er war offenbar früher sehr intelligent.«

»Er war ein kleines Genie, außerhalb jeden Maßstabs.«

Er kratzte sich an der Nase. »Ja, man kann das kaum glauben.«

»Ist sein Zustand so ernst?« Ich hoffte, aus ihm noch etwas herauszulocken.

»Sehr ernst.«

»Er war sehr launisch«, sagte ich, um den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen. »Kompliziert, was bei seiner Intelligenz zu erwarten ist. Aber es gab keine Anzeichen für eine Psychose. Ich hätte eher eine Depression erwartet. Was führte denn zur Krise? Drogen?«

Er schüttelte den Kopf.

»Eine plötzlich einsetzende Schizophrenie. Wenn ich mir die Ursache erklären könnte, würde ich einen Ruf aus Stockholm erwarten.« Er lächelte und zeigte die typischen Zähne eines Tee trinkenden Engländers. Sein Lächeln verschwand sofort wieder. »Ich müsste schon lange weg sein«, sagte er mehr zu sich selbst, »nachsehen, ob man ihn schon gefunden hat. Aus Rücksicht auf die Familie habe ich die Behörden noch nicht benachrichtigt. Aber wenn meine Leute ihn nicht bald finden, muss ich die Polizei rufen. In den Bergen wird es jetzt sehr kalt, er könnte sich eine Lungenentzündung holen.«

Er wollte gehen.

»Haben Sie etwas dagegen, dass ich warte, um ihn wiederzusehen?«

»Das dürfte nicht ratsam sein, Dr. Delaware, aus Gründen der Vertraulichkeit und sonstigen. Ich schätze Ihre Anteilnahme und bedaure, dass Sie die lange Fahrt hierher umsonst gemacht haben. Jetzt muss erst die Familie benachrichtigt werden. Das macht einige Schwierigkeiten, denn sie befindet sich im Urlaub in Mexiko, Sie kennen ja das Problem mit den Telefonleitungen dort.« Er machte einen besorgten Eindruck.

»Vielleicht können wir später einmal über den Fall diskutieren, wenn die Umstände es zweckmäßig erscheinen lassen.«

Er handelte völlig korrekt. Ich konnte weder rechtlich noch beruflich auch nur die geringste Information über Jamey verlangen, auch nicht aus moralischen Erwägungen. Jamey hatte mich zwar um Hilfe gebeten, aber was war das wert? Er war unzurechnungsfähig, völlig außerstande, überlegt zu handeln.

Aber dennoch war er in der Lage gewesen, seine Flucht zu planen, sie auszuführen und sich meine Telefonnummer zu besorgen.

Ich sah Dr. Mainwaring an, und mir war klar, dass ich mit meinen offenen Fragen weiterleben musste. Selbst wenn er die Antworten gewusst hätte, würde er sie nicht herausgerückt haben.

Er schüttelte mir noch einmal die Hand, murmelte eine Entschuldigung und verschwand. Er hatte sich freundlich und kollegial verhalten, mehr nicht.

Ich war wieder allein im Empfangsraum. Hinter mir hörte ich ein Schlurfen; Edwards, der Wachmann, watschelte herein. Er warf mir die schwächliche Imitation eines festen Männerblicks zu und fummelte an seinem Gummiknüppel herum. Seinem Gesicht nach hätte er sich an mir gerne für die Niederlagen dieser Nacht gerächt.

Bevor er seinen Gefühlen Ausdruck verleihen konnte, verschwand ich.