11

Lange Zeit sagte sie keinen Ton. Es gab auch nichts zu sagen. Sie hatte offenen Auges eine Grenze überschritten. Falls ihr Verhalten Konsequenzen hätte, würde sie sie tragen.

Jetzt müsste sie erst einmal den mageren, ihr verbliebenen Rest an Würde zusammenkratzen und von hier verschwinden.

»Ich muss los.« Mit abgewandtem Gesicht setzte sie sich auf und fragte sich, wie in aller Welt sie ihre überall verstreuten Kleider finden sollte.

»Das glaube ich nicht.« Roarkes Stimme klang gemächlich, selbstbewusst und irritierend. Als sie versuchte aufzustehen, packte er sie wenig sanft am Arm, zog sie zurück auf die Matratze und warf sie wieder auf den Rücken.

»Hör zu, wir haben unseren Spaß gehabt.«

»Das ist ganz sicher richtig. Obgleich ich mir nicht sicher bin, ob ich das, was eben passiert ist, als Spaß bezeichnen würde. Meiner Meinung nach war es dafür wesentlich zu intensiv. Ich bin noch nicht fertig mit dir, Lieutenant.« Als sie die Augen zusammenkniff, grinste er sie fröhlich an. »Also gut, genau das habe ich die ganze Zeit gew-«

Plötzlich ging ihm die Puste aus, denn sie rammte ihm weit entfernt von Zärtlichkeit ihren Ellbogen in den Magen, drehte innerhalb des Bruchteils einer Sekunde ihre Positionen um, und drückte ihm die Spitze desselben Ellbogens gefährlich gegen die Luftröhre.

»Hör zu, mein Freund, ich komme und gehe, wie es mir gefällt, also reiß dich ein bisschen zusammen.«

Ähnlich einer weißen Flagge hob er zum Zeichen des Friedens seine Hände, sie verrückte ihren Ellenbogen um einen Zentimeter, er rollte sich unter ihr hervor und richtete sich hastig auf.

Sie war clever, stark und zäh. Was einer der Gründe dafür war, dass es sie nach einem schweißtreibenden Ringkampf erboste, als sie abermals unter ihm lag.

»Der Angriff auf eine Polizistin kostet zwischen einem und fünf Jahren. Und zwar in einer Zelle, nicht gemütlich unter Hausarrest.«

»Du hast weder deine Dienstmarke noch sonst etwas am Leib.« Er klopfte ihr freundlich unters Kinn. »Bitte vergiss nicht, das in deinem Bericht zu erwähnen.«

So viel zu einem würdevollen Abgang, dachte sie frustriert. »Ich will nicht mit dir streiten.« Es freute sie, dass ihre Stimme ruhig, ja regelrecht vernünftig klang. »Ich muss ganz einfach gehen.«

Er schob sie etwas tiefer und beobachtete, wie sie erst die Augen aufriss und sie dann halb schloss, als er erneut in sie eindrang. »Nein, lass die Augen auf.« Seine Stimme war ein raues Flüstern.

Also sah sie ihm ins Gesicht, unfähig, der neuen Woge des Vergnügens dauerhaft zu widerstehen. Dieses Mal bewegte er sich langsam und genüsslich, glitt bis an die Grenze ihrer Seele zärtlich in die Tiefe ihres Innersten hinein.

Ihr Atem kam in heißen Stößen. Alles, was sie sehen konnte, war sein herrliches Gesicht, alles, was sie fühlen konnte, war das wunderbare, flüssige Gleiten ihrer beider Körper, die unermüdliche Reibung, die sie einem samtigen Orgasmus entgegenschweben ließ.

Er umfasste ihre Hände, presste seinen Mund auf ihre Lippen, sie spürte, wie sich sein Körper anspannte, Sekunden, bevor er sein Gesicht in ihrem Haar vergrub. Anschließend lagen sie beide miteinander verschmolzen total bewegungslos da.

Er wandte seinen Kopf und küsste zärtlich ihre Schläfe. »Bleib«, flüsterte er. »Bitte bleib.«

»Ja.« Jetzt schloss sie ihre Augen. »Also gut, ja.«

Obgleich sie nicht geschlafen hatten, war es weniger die Müdigkeit als vielmehr ehrliche Verwirrung, die Eve zu schaffen machte, als sie sich in den frühen Morgenstunden unter Roarkes Dusche stellte.

Sie verbrachte die Nächte nicht mit Männern. Sie hatte stets darauf geachtet, dass Sex eine einfache, direkte und, ja, unpersönliche Sache für sie blieb. Doch hier stand sie und ließ das heiße Wasser seiner Dusche auf sich eintrommeln, nachdem zuvor er selbst Stunde um Stunde auf sie eingetrommelt hatte. Er hatte Teile ihres Selbst durchdrungen, die sie bisher stets vor aller Welt sorgfältig abgeschirmt hatte.

Sie versuchte, ihr Verhalten zu bedauern. Es erschien ihr wichtig, ihren Fehler zu erkennen und dann fortzufahren, als wäre nichts geschehen. Aber es war schwierig, etwas zu bedauern, das ihren Körper derart lebendig gemacht und die Träume eine Zeit lang im Zaum gehalten hatte.

»Du siehst gut aus, wenn du nass bist, Lieutenant.«

Eve drehte ihren Kopf, als Roarke ebenfalls unter die Dusche trat. »Ich muss mir wohl ein Hemd von dir leihen.«

»Wir werden ganz sicher eins finden.« Er drückte auf einen Knopf in der gefliesten Wand und ließ eine klare, cremige Flüssigkeit in seine Hand laufen.

»Was machst du da?«

»Ich wasche dir die Haare«, grummelte er, während er bereits das Shampoo in ihre kurzen, struppigen Haare einmassierte. »Es wird mir sicher gefallen, meine Seife an dir zu riechen.« Er verzog den Mund zu einem Lächeln. »Du bist eine faszinierende Frau. Hier stehen wir beide nass, nackt und halb tot infolge einer erinnerungswürdigen Nacht, und du bedenkst mich mit einem kühlen, argwöhnischen Blick.«

»Du weckst ja auch den natürlichen Argwohn eines Menschen.«

»Das nehme ich als Kompliment.« Er neigte seinen Kopf und biss ihr zärtlich in die Unterlippe, während das Wasser im Rhythmus ihres Herzschlags auf sie niederprasselte. »Erzähl mir, was du damit gemeint hast, als ich dich das erste Mal geliebt habe und du gesagt hast ›Ich kann nicht‹.«

Er drückte ihren Kopf nach hinten, und Eve schloss die Augen, als das Wasser ihr das Shampoo aus den Haaren wusch. »Ich kann mich nicht mehr an alles erinnern, was ich gesagt habe.«

»Ich bin sicher, dass du dich daran erinnerst.« Er gab blassgrüne, nach Wald duftende Seife in eine seiner Hände und rieb ihre Schultern, ihren Rücken und dann ihre Brüste damit ein. »Hast du etwa vorher noch nie einen Orgasmus gehabt?«

»Natürlich.« Allerdings musste sie sich eingestehen, dass sie zuvor einen Orgasmus immer mit dem leisen Ploppen eines Korkens verglichen hatte, der von einer mit Stress gefüllten Flasche sprang, während in der vergangenen Nacht ihre lebenslange Zurückhaltung durch eine gewaltige Explosion erschüttert worden war. »Du bist ganz schön eingebildet.«

»Ach ja?« Wusste sie tatsächlich nicht, dass ihre kühlen Augen, die Mauer des Widerstandes, um deren Wiederaufbau sie sich so verzweifelt bemühte, eine unwiderstehliche Herausforderung darstellten? Nein, offensichtlich wusste sie es nicht.

Er zupfte leicht an ihren von der Seife glitschigen Nippeln und verzog, als er ihr Keuchen hörte, den Mund zu einem Lächeln. »Wenn es so ist, lass dir sagen, dass das angesichts deiner Reaktionen auch nicht weiter schwer ist.«

»Ich habe keine Zeit mehr«, erwiderte sie eilig, als er sie gegen die Wand drückte. »Es war von Anfang an ein Fehler. Jetzt muss ich wirklich gehen.«

»Es wird nicht lange dauern.« Wieder verspürte er ein glühendes Verlangen, als er ihre Hüften umfasste und sie an der Wand hinaufschob. »Es war weder zu Anfang ein Fehler noch ist es jetzt einer. Außerdem muss ich dich einfach haben.«

Sein Atem wurde schneller. Es verblüffte ihn, wie sehr er sie immer noch begehrte, und dass sie so blind sein konnte gegenüber dem schmerzlichen Verlangen, das er für sie empfand. Es machte ihn wütend, dass sie einfach, indem sie existierte, eine derartige Schwäche in ihm wachzurufen verstand.

»Halt dich an mir fest«, wies er sie mit harscher Stimme an. »Verdammt, halt dich an mir fest.«

Was sie bereits tat. Er schob sich in sie hinein, bis sie meinte zu zerbersten. Ihr hektisches, hilfloses Jaulen hallte von den Wänden. Sie wollte ihn hassen dafür, dass er sie zu einem Opfer ihrer eigenen unkontrollierbaren Leidenschaften machte. Stattdessen jedoch umklammerte sie seinen Rücken, als sie im Strudel der Begierde abermals jede Kontrolle über sich verlor.

Er kam gewaltig, schlug mit einer Hand gegen die Wand und versteifte seinen Arm, um nicht die Balance zu verlieren, als ihre Beine langsam von seiner Hüfte glitten. Plötzlich war er wütend, wütend, weil sie ihn dazu brachte, sein gutes Benehmen zu vergessen und sich zu gebärden wie eine wilde, geile Bestie.

»Ich hole dir ein Hemd«, sagte er beinahe brüsk, trat aus der Dusche, zerrte ein Handtuch vom Ständer und ließ sie alleine unter dem dampfend heißen Wasserstrahl zurück.

Als sie schließlich mit gerunzelter Stirn eines seiner exklusiven Seidenhemden angezogen hatte, stand bereits ein Tablett mit Kaffee auf dem kleinen Tischchen in der Sitzecke des Schlafzimmers.

Die Morgennachrichten schallten leise vom Bildschirm des Fernsehers, und in der linken unteren Ecke liefen die neuesten Zahlen von der Börse. Der Monitor auf einer zweiten Konsole zeigte die Titelseite einer Zeitung. Weder die der Times noch die eines der New Yorker Blätter, wie Eve bemerkte, sondern irgendetwas Japanisches.

»Hast du noch Zeit fürs Frühstück?« Roarke saß bereits am Tisch und nippte an seinem Kaffee. Er hatte es nicht geschafft, sich vollkommen auf die Nachrichten zu konzentrieren, denn es hatte ihm viel zu viel Vergnügen bereitet, zu beobachten, wie sie sich anzog. Wie ihre Hände beim Anziehen seines Hemdes kurz gezögert hatten, wie ihre Finger eilig die Knopfreihe hinaufgelaufen waren, wie sie mit wackelnden Hüften in ihre Jeans gestiegen war.

»Nein, danke.« Sie wusste nicht so recht, wie sie sich verhalten sollte. Erst hatte er sie wie ein Irrer unter der Dusche gevögelt, dann hatte er sie einfach stehen lassen, und jetzt spielte er den höflichen Gastgeber. Nachdenklich legte sie ihr Holster an, ehe sie durch den Raum ging und nach der bereits von ihm gefüllten Kaffeetasse griff.

»Weißt du, du trägst deine Waffe wie andere Frauen teure Perlen.«

»Allerdings ist sie kein modisches Accessoire.«

»Du hast mich falsch verstanden. Für manche Frauen sind Juwelen ebenso lebensnotwendig wie ihre Gliedmaße.« Er legte den Kopf auf die Seite und musterte sie. »Auch wenn das Hemd vielleicht ein bisschen groß ist, finde ich, dass es dir steht.«

Eve war der Ansicht, dass ihr etwas, was beinahe das Viertel eines Monatsgehalts kosten musste, unmöglich stehen konnte. »Du bekommst es bald zurück.«

»Ich habe noch ein paar Hemden.« Er erhob sich und brachte sie, indem er mit einer Fingerspitze über ihr Kinn fuhr, schon wieder aus dem Gleichgewicht. »Ich bin eben ziemlich unsanft mit dir umgesprungen. Tut mir Leid.«

Die leise, vollkommen unerwartete Entschuldigung machte sie verlegen. »Vergiss es.« Sie wandte sich ab, leerte ihre Tasse und stellte sie auf den Tisch.

»Ich werde es ganz sicher nicht vergessen. Ebenso wenig wie du.« Er nahm ihre Hand und hob sie an seine Lippen. Nichts hätte ihm eine größere Freude bereiten können als ihr abermals argwöhnischer Blick. »Du wirst mich nicht vergessen, Eve. Du wirst an mich denken, vielleicht nicht gerade freundlich, aber du wirst an mich denken.«

»Ich stecke mitten in den Untersuchungen zu einem Mordfall. Du bist Teil der Ermittlungen. Also werde ich ganz sicher an dich denken.«

»Schätzchen«, setzte er an und verfolgte amüsiert, wie sie angesichts des Koseworts die Stirn in Falten legte. »Du wirst an die Dinge denken, die ich mit dir machen kann. Unglücklicherweise werde ich während der nächsten Tage ebenfalls nichts weiter tun können, als mir diese Dinge vorzustellen.«

Sie entzog ihm ihre Hand und griff, wie sie hoffte, lässig nach ihrer Schultertasche. »Willst du irgendwohin?«

»Die Vorarbeiten für das Resort erfordern meine vorübergehende Anwesenheit auf FreeStar One. Da ich ein paar Termine mit dem Direktorium unseres Konsortiums habe, werde ich für ein, zwei Tage ein paar hunderttausend Meilen von hier entfernt festsitzen.«

Sie würde sich ganz sicher nicht eingestehen, dass bei diesen Worten etwas wie Enttäuschung in ihr aufwallte. »Ja, ich habe gehört, dass der Deal über die Errichtung eines Urlaubsparadieses für gelangweilte Reiche geklappt hat.«

Er lächelte nur. »Wenn das Resort fertig ist, fliege ich mal mit dir hin. Vielleicht änderst du dann deine Meinung. Bis dahin muss ich dich um Diskretion bitten. Die Treffen sind vertraulich. Es gibt nur noch ein, zwei lose Fäden, die miteinander verknüpft werden müssen, aber es wäre von Nachteil, wenn meine Konkurrenten wüssten, wie weit unsere Vorbereitungen bisher gediehen sind. Nur sehr wenige wichtige Leute werden wissen, dass ich nicht hier in New York bin.«

Sie fuhr sich mit den Fingern durch ihr Haar. »Warum hast du es dann mir erzählt?«

»Weil ich anscheinend zu dem Schluss gekommen bin, dass du durchaus wichtig bist.« Durch diese Erklärung ebenso aus dem Gleichgewicht gebracht wie sie, ging Roarke vor ihr in Richtung Tür. »Falls du mich kontaktieren musst, gib Summerset Bescheid. Er wird dich zu mir durchstellen.«

»Dein Butler?«

Abermals lächelnd ging Roarke neben ihr die Treppe hinab. »Er wird dafür sorgen, dass du mich erreichst«, war alles, was er sagte. »Ich müsste ungefähr fünf Tage, höchstens eine Woche fort sein. Dann möchte ich dich wieder sehen.« Er blieb stehen und nahm ihr Gesicht in beide Hände. »Ich muss dich wieder sehen.«

Ihr Puls fing an zu rasen, als hätte er nichts mit ihr zu tun. »Roarke, was geht hier vor sich?«

»Lieutenant.« Er beugte sich vor und küsste sie zärtlich auf den Mund. »Allem Anschein nach haben wir eine Romanze.« Dann lachte er und küsste sie noch einmal. »Ich glaube, wenn ich dir eine Waffe an den Kopf gehalten hätte, hättest du weniger erschrocken ausgesehen als jetzt. Nun, du hast mehrere Tage, um die Sache zu überdenken, nicht wahr?«

Sie hatte das Gefühl, dass selbst mehrere Jahre nicht gereicht hätten.

Unten, am Fuß der Treppe, stand Summerset mit steinerner Miene und starrer Haltung und hielt ihr ihre Jacke hin. Sie nahm sie und blickte, während sie sie anzog, noch einmal auf Roarke.

»Gute Reise.«

»Danke.« Er legte eine Hand auf ihre Schulter, bevor sie gehen konnte. »Eve, sei vorsichtig.« Wütend auf sich selbst, zog er seine Hand zurück. »Ich melde mich bei dir.«

»Sicher.« Eilig verließ sie das Haus, und als sie sich noch einmal umsah, war die Tür bereits geschlossen. Als sie ihren Wagen öffnete, entdeckte sie auf dem Fahrersitz ein elektronisches Memo, drückte, während sie in Richtung Tor fuhr, auf den Knopf und hörte Roarkes gedehnte, maskuline Stimme.

»Mir gefällt der Gedanke nicht, dass du zitterst, ohne dass ich der Grund dafür bin. Also halt dich besser warm.«

Stirnrunzelnd schob sie das Memo in die Tasche, betätigte forschend den Hebel ihrer Heizung, quiekste angesichts der ihr entgegenströmenden Hitze vor Freude und Überraschung auf, und behielt während des ganzen Wegs bis auf die Wache ihr vergnügtes Grinsen bei.

Eve betrat ihr Büro und schloss hinter sich die Tür. Bis zum offiziellen Schichtbeginn waren es noch beinahe zwei Stunden, und sie wollte jede Minute dieser Zeit auf die Untersuchung der Morde an DeBlass und Starr verwenden. Wenn ihr offizieller Dienst begönne, hätte sie es wieder mit einer ganzen Reihe von Fällen in verschiedenen Stadien der Aufklärung zu tun. Diese beiden Stunden jedoch gehörten ihr und den beiden Mordopfern allein.

Routinemäßig wählte sie auf ihrem Computer das IRCCA, bat um Übermittlung sämtlicher aktueller Daten zu möglichen ähnlichen Verbrechen und ließ sie sich zur späteren Ansicht ausdrucken. Allerdings waren die Informationen, die ihr übermittelt wurden, geradezu deprimierend dürftig und brachten ihr nichts Neues.

Also, dachte sie, bleibt mir wohl mal wieder nichts anderes übrig, als eigene Schlüsse aus den vorliegenden Materialien zu ziehen. Auf ihrem Schreibtisch breitete sie die Fotos beider Opfer aus. Inzwischen war sie mit den beiden Frauen regelrecht vertraut. Vielleicht verstand sie ja nach ihrer Nacht mit Roarke, was die beiden angetrieben hatte, ein wenig besser als zuvor.

Sex war wie eine Waffe, die man auf jemanden richten oder die von jemandem auf einen gerichtet werden konnte. Beide Frauen hatten sie benutzen, ja beherrschen wollen, doch am Ende hatte sie sie beide umgebracht.

Offizielle Todesursache war beide Male eine Bleikugel im Kopf, Eve jedoch war der Ansicht, dass der Auslöser Sex gewesen war.

Nachdenklich nahm sie die .38er vom Tisch. Inzwischen kannte sie sie gut. Sie wusste genau, wie es sich anfühlte, wenn man den Abzug drückte, wenn der Rückschlag die Arme zum Singen brachte, kannte das leise Zischen, wenn die Kugel aus dem Lauf geschossen kam.

Ohne die Waffe fortzulegen, schob sie die Diskette vom Mord an Sharon in den Schlitz und verfolgte nochmals das grausige Geschehen.

Was hast du empfunden, du Bastard?, überlegte sie erbost. Was hast du empfunden, als du den Abzug gedrückt und das Blei in ihren Körper gepumpt hast, als das Blut gespritzt ist und sie ihre Augen im Tod verdreht hat?

Was hast du empfunden?

Mit zusammengekniffenen Augen ließ sie die Diskette ein zweites Mal laufen. Inzwischen war sie gegenüber dem entsetzlichen Geschehen beinahe immun. Da, merkte sie plötzlich, die Kamera hatte unmerklich geschwankt.

Ist dein Arm zurückgeflogen? Hat es dich schockiert, als ihr Körper nach hinten geflogen ist und das Blut sich wie eine Fontäne verteilte?

War das vielleicht der Grund, weshalb sie das leise, zischende Atmen hörte, bevor ein neues Bild kam?

Was hast du empfunden?, fragte sie noch einmal. Ekel, Vergnügen oder bloße, kalte Befriedigung?

Sie beugte sich dichter vor den Bildschirm. Inzwischen hatte der Täter Sharons Leiche sorgfältig zurechtgelegt und sie nüchtern und, wie Eve dachte, bar jeden Gefühls gefilmt.

Weshalb war er dann zusammengefahren? Weshalb hatte er beinahe geschluchzt?

Dann war da noch die Nachricht. Sie griff nach dem versiegelten Umschlag und las sie erneut. Woher weißt du, dass du nach dem sechsten Opfer aufhören wirst? Hast du sie zum jetzigen Zeitpunkt vielleicht schon alle ausgesucht? Hast du deine Wahl bereits getroffen?

Ohne eine Antwort auf diese Fragen zu finden, zog sie die Diskette aus dem Schlitz, legte sie zusammen mit der .38er wieder auf den Tisch, lud die Diskette mit dem Mord an Lola Starr, nahm die zweite Waffe in die Hand und sah sich auch diesen Film noch einmal an.

Dieses Mal zuckte der Mörder nicht. Dieses Mal rang er nicht hörbar nach Luft. Alles verlief vollkommen glatt, genau, präzise. Dieses Mal hast du gewusst, wie es sich anfühlen, wie es aussehen, wie das Blut riechen würde, dachte sie voll Zorn.

Aber du hast sie oder zumindest sie hat dich nicht gekannt. Du warst einfach John Smith, ein neuer Kunde.

Wie bist du auf sie gekommen? Und wie wählst du dein nächstes Opfer aus?

Kurz vor neun, als Feeney bei ihr klopfte, saß sie gerade über einer Karte von Manhattan. Er trat hinter sie, blickte über ihre Schulter und hauchte ihr seinen pfefferminzfrischen Atem ins Genick.

»Denkst du daran umzuziehen?«

»Ich gucke nach einer möglichen geografischen Verbindung zwischen den beiden Mordfällen. Fünf Prozent Vergrößerung«, wies sie ihren Computer an, und der Maßstab der Karte veränderte sich. »Erster Mord, zweiter Mord.« Sie nickte in Richtung der winzigen roten Punkte am Broadway und im West Village. »Da drüben wohne ich.« In der Nähe der Neunten Straße leuchtete es grün.

»Was hat dein Apartment mit der Sache zu tun?«

»Er weiß, wo ich wohne. Er war zweimal dort. Wir haben also drei Orte, an denen er schon einmal war. Ich hatte gehofft, ich wäre vielleicht in der Lage, die Gegend, in der er sich bewegt, irgendwie zu begrenzen, aber es gibt kein erkennbares Konzept. Und dann ist da noch die Gebäudeüberwachung.« Sie genehmigte sich einen leisen Seufzer und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. »Drei verschiedene Systeme. Bei Lola Starr gab es außer einem nach Aussage der Nachbarn bereits seit Wochen nicht mehr funktionierenden elektronischen Türsteher keine nennenswerten Sicherheitsvorkehrungen. Bei Sharon DeBlass hingegen war alles vom Feinsten -Schlüsselcode am Eingang, Handscanner, umfängliche Gebäudeüberwachung, Audio und Video. Musste vor Ort überwunden werden. Dabei wurden nur in einem der Fahrstühle und im Korridor vor der Wohnungstür des Opfers die Disketten manipuliert. Bei mir ist es nicht ganz so schwierig. Die Eingangstür könnte jeder halbwegs vernünftige Einbrecher problemlos aufkriegen. Aber ich habe ein 5000er-Polizei-schloss an meiner Wohnungstür, man muss also ein echter Profi sein, um ohne den Mastercode bei mir hereinzukommen.«

Sie trommelte mit den Fingern auf der Schreibtischplatte und blickte erneut stirnrunzelnd auf den Stadtplan. »Er ist ein Sicherheitsexperte und kennt sich mit Waffen – mit alten Waffen – aus, Feeney. Außerdem hat er einen derart guten Draht zur Polizei, dass er innerhalb weniger Stunden nach dem ersten Mordfall bereits wusste, wer die Ermittlungen leiten würde. Er hinterlässt weder Fingerabdrücke noch Körperflüssigkeit noch auch nur ein verdammtes Schamhaar. Was sagen dir alle diese Dinge?«

Feeney atmete hörbar durch und wippte auf den Fersen. »Cop. Militär. Vielleicht irgendeine paramilitärische Gruppierung oder einer der Sicherheitsleute der Regierung. Könnte auch einfach ein Hobby von ihm sein. Es gibt jede Menge Leute, denen es Spaß macht, sich mit diesen Dingen zu befassen. Vielleicht auch ein professioneller Krimineller, aber das ist nicht sehr wahrscheinlich.«

»Warum nicht?«

»Wenn der Kerl seinen Lebensunterhalt mit Verbrechen verdienen würde, weshalb sollte er dann plötzlich morden? Aus keinem der beiden Fälle ließ sich auch nur der geringste materielle Profit ziehen.«

»Vielleicht macht er es einfach so zum Spaß«, kam Eves wenig überzeugter Einwurf.

»Vielleicht. Ich habe mir die Akten sämtlicher bekannten Sexualtäter angesehen und sie mit den Daten des IRCCA verglichen. Auf keinen von ihnen passt die Vorgehensweise in unseren beiden Fällen. Hast du die Sachen schon durchgeschaut?«, fragte er und zeigte auf die Ausdrucke des IRCCA.

»Nein. Warum?«

»Ich habe das alles schon gelesen. Vielleicht überrascht es dich, zu hören, dass es allein im letzten Jahr landesweit ungefähr hundert Überfälle mit Schusswaffen gab. Und mindestens ebenso viele Unfälle.« Er zuckte mit den Schultern. »Die Dinger waren entweder geschmuggelt, selbst gemacht, kamen über den Schwarzmarkt oder von offiziellen Sammlern.«

»Aber keiner der Fälle passt zu unseren.«

»Nein.« Er kaute nachdenklich auf seinem Pfefferminzbonbon herum. »Außerdem habe ich mir auch die Akten sämtlicher Perversen angesehen. Ist geradezu lehrreich, was es da alles zu lesen gibt. Ich habe einen regelrechten Favoriten. Diesen Typen in Detroit, der vier Frauen um die Ecke gebracht hat, bevor er endlich erwischt wurde. Hat sich immer irgendwelche einsamen Herzen ausgesucht und ist dann mit ihnen nach Hause gefahren. Dort hat er sie betäubt, splitternackt ausgezogen und von Kopf bis Fuß mit roter Leuchtfarbe besprüht.«

»Abartig.«

»Tödlich. Die Haut eines Menschen muss atmen, also sind die Frauen ganz allmählich erstickt. Und während sie langsam ihr Leben aushauchten, hat er sich mit ihnen vergnügt. Hat sie nie gefickt, nie irgendwelches Sperma hinterlassen. Hat sie einfach mit seinen flinken Fingern überall begrapscht.«

»Himmel, das ist wirklich krank.«

»Tja, nun, wie dem auch sei. Irgendwann ist er ein bisschen zu ungeduldig und fängt an, an der Frau herumzureiben, bevor die Farbe trocken ist. Dadurch löst sich ein Teil der Farbe von ihrem Körper, sie kommt wieder zu sich, und er rennt panisch aus dem Haus. Unser Mädchen ist vollkommen nackt, über und über mit Farbe bedeckt, noch ein bisschen wacklig auf den Beinen von dem Betäubungsmittel, aber sie ist derart sauer, dass sie auf die Straße rennt und schreit. Zufällig kommen gerade zwei von unseren Jungs vorbei, gucken sie mit großen Augen an, und dann läuten sie eine Standardsuche ein. Unser Typ ist erst ein paar Blöcke weiter, und so erwischen sie ihn, während noch die Farbe des Opfers…«

»Sag es nicht.«

»… an seinen Händen klebt«, vollendete Feeney mit einem süffisanten Grinsen. »Himmel, das finde ich wirklich gut. Fast wie bei Macbeth. Noch während die Farbe des Opfers an seinen Händen klebt.« Als Dallas lediglich mit den Augen rollte, kam Feeney zu dem Schluss, dass die Jungs in seiner Abteilung die Geschichte mit dem geradezu literarischen Ausgang sicher eher zu würdigen wüssten.

»So oder so haben wir es vielleicht ebenfalls mit einem Perversen zu tun. Ich gucke mir die Akten weiter an. Eventuell haben wir ja Glück. Die Vorstellung gefällt mir einfach besser als der Gedanke, dass es vielleicht einer von uns ist.«

»Da geht es mir genauso.« Mit zusammengekniffenen Lippen drehte sich Dallas zu ihm um. »Feeney, du hast selbst eine kleine Sammlung antiker Schusswaffen, du kennst dich demnach mit diesen Dingern aus.«

Er hielt ihr seine überkreuzten Armgelenke hin. »Also gut. Ich gestehe. Dann musst du mich jetzt wohl verhaften.«

Beinahe hätte sie gelächelt. »Kennst du noch andere Cops, die alte Waffen sammeln?«

»Sicher, ein paar schon. Es ist ein ziemlich teures Hobby, also sammeln die meisten, die ich kenne, billigere Reproduktionen. Apropos teuer«, fügte er hinzu und befingerte den Ärmel ihres Hemdes. »Hübsches Hemd. Hast du vielleicht eine Gehaltserhöhung bekommen, von der ich nichts weiß?«

»Es ist nur geliehen«, murmelte sie und wäre zu ihrer eigenen Überraschung um ein Haar errötet. »Ich möchte, dass du diese Kollegen für mich überprüfst, Feeney. Die, die echte alte Schusswaffen besitzen.«

»Ah, Dallas.« Sein Lächeln verflog bei dem Gedanken, die eigenen Leute unter die Lupe nehmen zu müssen. »So etwas tue ich nicht gern.«

»Ebenso wenig wie ich. Überprüf sie trotzdem. Aber beschränk dich fürs Erste auf die Stadt.«

»In Ordnung.« Er atmete hörbar aus und fragte sich, ob ihr bewusst war, dass auch sein Name auf der Liste stehen würde. »Verdammt unangenehme Art, den Tag zu beginnen. Aber ich habe auch etwas für dich, Kleine. Auf meinem Schreibtisch lag ein Memo. Der Polizeipräsident ist auf dem Weg ins Büro unseres Commanders. Er will uns beide sprechen.«

»Scheiße.«

Statt etwas zu erwidern, sah Feeney auf seine Uhr. »Ich bin in fünf Minuten drüben. Vielleicht ziehst du dir besser einen Pullover oder so was über dein exklusives Hemd, damit Simpson nicht auf die Idee kommt, wir würden vielleicht überbezahlt.«

»Nochmals Scheiße.«

Polizeipräsident Edward Simpson war eine beeindruckende Gestalt. Er war über einen Meter achtzig groß, durchtrainiert und schlank, hatte eine Vorliebe für gedeckte Anzüge und leuchtende Krawatten, und seine dichten braunen Haare waren auf elegante Weise grau meliert.

Es war allgemein bekannt, dass die distinguierten grauen Strähnen ebenso wie seine, einer Meinungsumfrage zufolge das Wählervertrauen gewinnenden, stahlblauen, ernsten Augen und sein zu einem schmalen, gebieterischen Strich zusammengekniffener Mund das Werk seiner persönlichen Kosmetikerin waren. So oder so, wenn man ihn ansah, dachte man unweigerlich an Macht und an Autorität.

Es war außerdem ernüchternd, zu wissen, dass er beides überwiegend dazu nutzte, um es sich im Whirlpool der Politik bequem machen zu können.

Er setzte sich in einen Sessel, legte seine langen, weichen, mit drei goldenen Ringen bestückten Finger gemessen gegeneinander und erhob seine kraftvolle, wohl modulierte Stimme. »Commander, Captain, Lieutenant, wir haben es mit einer äußerst delikaten Angelegenheit zu tun.«

Nicht nur seine Stimme, sondern auch sein Timing war das eines geübten Schauspielers. Er machte eine Pause und ließ den Blick aus seinen harten blauen Augen von einem zum anderen wandern.

»Sie alle sind sich der Sensationsgier der Medien bewusst«, fuhr er schließlich fort. »In unserer Stadt ist in den fünf Jahren seit meinem Amtsantritt die Kriminalitätsrate um fünf Prozent gesunken. Einen vollen Prozentpunkt pro Jahr. Trotzdem wird dieser Fortschritt angesichts der jüngsten Ereignisse garantiert keine besondere Erwähnung finden. Die beiden Morde sind auf allen Titelseiten, und es gab bereits zahlreiche Artikel, in denen die bisherigen Ermittlungen in Frage gestellt und Antworten verlangt werden.«

Whitney, der Simpson aus tiefstem Herzen verabscheute, antwortete milde. »In keinem der Artikel werden genauere Einzelheiten genannt. Die Tatsache, dass die Ermittlungen im Fall DeBlass als geheim eingestuft wurden, macht es uns unmöglich, mit der Presse zu kooperieren oder den Journalisten auch nur einige ihrer Fragen zu beantworten.«

»Indem man sich ihren Anfragen verschließt«, schnauzte Simpson den Commander ungeduldig an, »erlaubt man ihnen, Spekulationen anzustellen. Ich werde heute Nachmittag eine Erklärung abgeben.« Als Whitney protestieren wollte, hob er abwehrend die Hand. »Es ist erforderlich, der Öffentlichkeit etwas zu geben, was ihr das Gefühl vermittelt, wir hätten die Sache unter Kontrolle. Selbst wenn dem nicht so sein sollte.«

Er wandte sich an Eve. »Als Leiterin der Ermittlungen, Lieutenant, werden Sie heute Nachmittag ebenfalls anwesend sein. Mein Büro bereitet bereits eine Stellungnahme vor, die Sie abgeben werden.«

»Bei allem gebührenden Respekt, Herr Polizeipräsident, kann ich unmöglich der Öffentlichkeit irgendwelche Einzelheiten nennen, die die Ermittlungen vielleicht gefährden.«

Simpson zupfte eine imaginäre Fluse vom Ärmel seines Jacketts. »Lieutenant, ich habe dreißig Jahre Berufserfahrung. Ich glaube, ich weiß, wie man eine Pressekonferenz abhält. Außerdem«, ließ er sie einfach sitzen und wandte sich wieder an Commander Whitney, »muss der von der Presse zwischen dem Mord an Sharon DeBlass und dem Mord an dieser Lola Starr gesehene Zusammenhang unbedingt geleugnet werden. Wir können unmöglich die Verantwortung dafür übernehmen, dass Senator DeBlass persönlich in Verlegenheit gebracht oder seine Position gefährdet wird, indem man diese beiden Fälle einfach in einen Topf wirft.«

»Das haben nicht wir getan, sondern der Mörder«, stieß Eve zwischen zusammengebissenen Zähnen zornig hervor.

Simpson würdigte sie eines kurzen Blickes. »Offiziell gibt es keinen Zusammenhang zwischen den beiden Morden. Wenn danach gefragt wird, werden Sie es leugnen.«

»Wenn danach gefragt wird«, verbesserte Eve ihren obersten Vorgesetzten wütend, »soll ich also lügen.«

»Ersparen Sie uns Ihre persönlichen Moralvorstellungen. Das hier ist die Realität. Ein Skandal, der hier ausgelöst wird und dessen Schockwellen bis nach East Washington zu spüren sein werden, wird unweigerlich mit doppelter oder dreifacher Stärke auf uns zurückfallen. Sharon DeBlass ist seit über einer Woche tot, und Sie haben noch nichts in der Hand.«

»Wir haben die Waffe«, widersprach ihm Eve. »Wir haben Erpressung als mögliches Motiv und eine Liste Verdächtiger.«

Mit zornrotem Gesicht erhob er sich aus seinem Sessel. »Ich bin Leiter dieser Abteilung, Lieutenant, und das Chaos, das Sie veranstalten, darf ich am Ende aufräumen. Es ist wirklich allerhöchste Zeit, dass Sie endlich aufhören, im Schmutz herumzuwühlen und den Fall abschließen.«

»Sir.« Feeney trat einen Schritt nach vorn. »Lieutenant Dallas und ich – «

»Sie können beide im Handumdrehen wieder den Straßenverkehr regeln«, beendete Simpson seinen Satz.

Mit geballten Fäusten sprang Whitney von seinem Stuhl. »Sie sollten meinen Beamten besser nicht drohen, Simpson. Spielen Sie ruhig weiter Ihre Spielchen, lächeln Sie ruhig weiter in die Kameras und machen Sie sich ruhig weiter lieb Kind bei den Leuten in East Washington, aber wagen Sie es nicht, hierherzukommen und meine Leute zu bedrohen. Sie sind auf den Fall angesetzt, und sie verfolgen ihn auch weiter. Falls Sie daran etwas ändern wollen, müssen Sie erst an mir vorbei.«

Simpsons Kopf wurde noch röter, und fasziniert beobachtete Eve, wie an seiner Schläfe eine Ader pochte. »Falls Ihre Leute in dieser Sache die falschen Knöpfe drücken, kriege ich Sie dafür am Arsch. Im Augenblick habe ich Senator DeBlass noch unter Kontrolle, aber er ist nicht gerade glücklich darüber, dass die Leiterin der Ermittlungen einfach losstürmt und seine Schwiegertochter unter Druck setzt, indem sie sie in ihrer Trauer stört, um sie mit peinlichen, unwichtigen Fragen zu bombardieren. Senator DeBlass und seine Familie sind nicht die Verdächtigen, sondern die Leidtragenden in diesem Fall, und wir sollten ihnen auch während unserer Ermittlungen würdig und mit dem ihnen gebührenden Respekt begegnen.«

»Ich bin Elizabeth Barrister und Richard DeBlass würdig und mit dem ihnen gebührenden Respekt begegnet.« Eve zwang sich, sich nicht anmerken zu lassen, wie wütend sie inzwischen war. »Das Gespräch wurde mit ihrem Einverständnis geführt. Ich war mir nicht bewusst, dass ich Ihre Erlaubnis oder die des Senators hätte einholen müssen, um in diesem Fall verfahren zu können, wie ich es für angemessen halte.«

»Ich werde nicht zulassen, dass die Presse irgendwelche Spekulationen darüber anstellt, weshalb die Polizei die trauernden Eltern des Opfers belästigt oder weshalb sich die Leiterin der Ermittlungen nach der Anwendung eines gezielten Todesschusses nicht den anschließend vorgeschriebenen Untersuchungen hat unterziehen wollen.«

»Die Untersuchung wurde auf meine Anordnung hin verschoben«, erklärte Whitney mit zorniger Stimme. »Und mit Ihrer Zustimmung.«

»Das ist mir durchaus bewusst.« Simpson legte den Kopf auf die Seite. »Ich spreche hier von möglichen Spekulationen der Presse. Wir alle werden von den Medien beobachtet, bis dieser Mann endlich hinter Schloss und Riegel sitzt. Lieutenant Dallas’ Personalakte wird ebenso wie ihr Verhalten während der Ermittlungen ganz genau unter die öffentliche Lupe genommen werden.«

»Meine Personalakte hält jeder Überprüfung stand.«

»Und Ihr Verhalten?«, fragte Simpson sie mit einem dünnen Lächeln. »Wie wollen Sie auf die Anschuldigung reagieren, dass Sie sowohl den Fall als auch Ihre Position dadurch gefährden, dass Sie eine persönliche Beziehung mit einem Verdächtigen eingehen? Und was meinen Sie, wird meine offizielle Position sein, wenn herauskommt, dass Sie die Nacht mit ebendiesem Verdächtigen verbracht haben?«

Ihre Augen waren ausdruckslos und ihre Stimme beinahe gelassen, als sie erklärte: »Ich bin sicher, Sie würden mich hängen, um sich selbst zu retten, Herr Polizeipräsident.«

»Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern«, stimmte er ihr zu. »Aber fürs Erste erwarte ich Sie um Punkt zwölf in der Stadthalle.«

Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, nahm Commander Whitney wieder Platz. »Schwanzloser Hurensohn.« Dann wandte er sich zornig an Eve. »Was zum Teufel treiben Sie?«

Eve akzeptierte – war gezwungen zu akzeptieren –, dass ihr Privatleben nicht länger privat war. »Ich habe die Nacht mit Roarke verbracht. Es war eine persönliche Entscheidung, und es geschah in meiner Freizeit. Als Polizistin, als Ermittlungsleiterin, bin ich inzwischen der Meinung, dass er nicht länger unter Verdacht steht. Was allerdings an der Tatsache nichts ändert, dass mein Verhalten nicht ganz angemessen war.«

»Nicht ganz angemessen«, explodierte Whitney. »Versuchen Sie es doch lieber mit dem Ausdruck oberdämlich. Oder karrieremäßiger Selbstmord. Verdammt, Dallas, können Sie Ihre Eierstöcke nicht ein bisschen besser kontrollieren? So etwas hätte ich von Ihnen nicht erwartet.«

Das hätte sie selbst nicht. »Es beeinträchtigt in keiner Weise die Ermittlungen oder meine Fähigkeit, sie fortzuführen. Falls Sie etwas anderes denken, dann sind Sie im Irrtum, und falls Sie mich jetzt von der Sache abziehen, gebe ich meine Dienstmarke gleich mit ab.«

Whitney starrte sie an, und dann fluchte er noch einmal. »Sorgen Sie verdammt noch mal dafür, dass Roarke von der Liste der Verdächtigen gestrichen werden kann, Dallas. Dass er entweder als Verdächtiger ausscheidet oder innerhalb der nächsten sechsunddreißig Stunden hinter Schloss und Riegel verfrachtet wird. Und stellen Sie sich eine Frage.«

»Die habe ich mir schon gestellt«, unterbrach sie, schwindelig vor Erleichterung darüber, dass er nicht die Abgabe ihrer Dienstmarke von ihr verlangt hatte. »Woher wusste Simpson, wo ich die letzte Nacht verbracht habe? Offenkundig stehe ich unter Überwachung. Zweite Frage wäre die nach dem Warum. Erfolgt die Überwachung auf Simpsons Geheiß oder auf das von DeBlass? Oder hat jemand die Information an Simpson weitergegeben, damit meine Glaubwürdigkeit und somit die gesamten Ermittlungen in Frage gestellt werden?«

»Ich erwarte, dass Sie die Antworten auf diese Fragen finden.« Er wies mit dem Daumen Richtung Tür. »Seien Sie auf dieser Pressekonferenz besser vorsichtig, Dallas.«

Sie hatten kaum drei Schritte im Korridor getan, als Feeney auch schon platzte. »Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht? Verdammt, Dallas.«

»Ich hatte es nicht geplant, okay?« Sie drückte auf den Knopf des Fahrstuhls und vergrub anschließend die Hände in den Taschen ihrer Jeans. »Reg dich also einfach wieder ab.«

»Er ist einer unserer Verdächtigen. Er ist einer der letzten Menschen, die Sharon unseres Wissens nach lebend gesehen haben. Er hat mehr Geld als der liebe Gott und kann sich alles kaufen, sogar Immunität.«

»Derartige Morde passen einfach nicht zu ihm.« Sie stürmte in den Fahrstuhl und bellte die Nummer ihres Stockwerks. »Ich weiß, was ich tue.«

»Du weißt überhaupt nichts. In all den Jahren, in denen ich dich kenne, habe ich nie auch nur erlebt, dass du irgendeinen Typen angesehen hättest. Und jetzt steigst du Hals über Kopf zu irgendeinem dahergelaufenen Kerl ins Bett.«

»Es war bloßer Sex. Nicht jeder von uns hat ein nettes, angenehmes Leben mit einer netten, angenehmen Frau. Ich wollte, dass mich jemand berührt, und er wollte derjenige sein. Außerdem geht es dich, verdammt noch mal, nichts an, mit wem ich ins Bett gehe.«

Ehe sie aus dem Lift rasen konnte, packte er sie unsanft am Arm. »Den Teufel geht es mich nichts an. Schließlich habe ich dich wirklich gern.«

Sie unterdrückte den Zorn darüber, dass man sie derart ausquetschte, derart in Frage stellte, derart in ihre Intimsphäre eindrang, drehte sich zu Feeney um und senkte ihre Stimme auf ein so leises Flüstern, dass keiner der Vorübergehenden sie hätte verstehen können.

»Bin ich ein guter Cop, Feeney?«

»Du bist der Beste, mit dem ich je zusammengearbeitet habe. Das ist ja auch der Grund, weshalb ich – «

Sie hob abwehrend die Hand. »Was macht einen guten Cop aus?«

Er seufzte. »Sein Hirn, sein Gefühl, seine Geduld, seine Nervenstärke, sein Instinkt.«

»Mein Hirn, mein Gefühl, mein Instinkt sagen mir alle, dass Roarke es nicht gewesen ist. Jedes Mal, wenn ich versuche, die Sache herumzudrehen und ihn als möglichen Täter zu betrachten, stoße ich auf eine Mauer. Ich habe die Geduld, Feeney, und auch die Nervenstärke, an der Sache dranzubleiben, bis wir wissen, wer der wahre Täter ist.«

Er sah sie reglos an. »Und wenn du dich dieses Mal irrst, Dallas?«

»Wenn ich mich irre, brauchen sie gar nicht erst meine Dienstmarke zu fordern.« Sie atmete tief ein. »Feeney, wenn ich mich in dieser Sache, wenn ich mich in diesem Menschen irre, dann bin ich sowieso am Ende. Vollkommen am Ende. Denn wenn ich keine gute Polizistin bin, dann bin ich ganz einfach gar nichts.«

»Himmel, Dallas, das darfst du – «

Sie schüttelte den Kopf. »Überprüf als Erstes für mich die Cops, die Waffen sammeln, ja? Ich selbst muss noch ein paar Gespräche führen.«