10

Mit demselben missbilligenden Blick nahm derselbe Butler mit derselben ansonsten steinernen Miene Eves Jacke entgegen, als sie das Haus betrat.

»Schicken Sie uns bitte Kaffee in das Schießzimmer«, befahl Roarke seinem Angestellten und führte Eve über die breite Treppe in die obere Etage.

Wieder hielt er ihre Hand, doch Eve kam zu dem Schluss, dass diese Geste weniger gefühlvoll als vielmehr zielgerichtet war – er wollte sie schlicht daran hindern, kehrtzumachen, und obgleich sie ihm einfach hätte sagen können, dass sie viel zu fasziniert war, um irgendwohin zu flüchten, stellte sie fest, dass sie seine Verärgerung viel zu sehr genoss, um ihm eine solche Befriedigung zuteil werden zu lassen.

Als sie den dritten Stock erreichten, ging er flüchtig seine Waffensammlung durch und wählte ohne zu zögern zwei Pistolen aus. Sein Umgang mit den Antiquitäten verriet eine aus der gewohnheitsmäßigen, vielleicht sogar regelmäßigen Benutzung erwachsene Erfahrung.

Er war niemand, der einfach kaufte, um etwas zu besitzen. Ganz offensichtlich benutzte er die Dinge, die er hatte, und Eve fragte sich, ob ihm bewusst war und wenn ja, ob es ihn interessierte, dass diese Tatsache nicht unbedingt zu seinen Gunsten sprach.

Er verstaute die von ihm gewählten Waffen in einer ledernen Schatulle und trat an eine Wand.

Sowohl die Sicherheitskonsole als auch die Tür selbst waren derart clever in einem Landschaftsgemälde verborgen, dass sie sie wohl niemals entdeckt hätte. Er drückte ein paar Knöpfe, das »Trompe l’oeil« öffnete sich lautlos, und sie entdeckte einen dahinter versteckten komfortablen Lift.

»Von hier aus gelangt man nur in ganz private Räume«, erklärte er, als Eve mit ihm gemeinsam den Fahrstuhl betrat. »Ich führe nur sehr selten Gäste hinunter in mein Schießzimmer.«

»Warum?«

»Meine Sammlung und die Benutzung der Waffen sind ausschließlich Personen vorbehalten, die sie zu schätzen wissen.«

»Wie viel kaufen Sie auf dem Schwarzmarkt?«

»Allzeit die Polizistin.« Er bedachte sie mit einem süffisanten Grinsen, und sie war sich sicher, dass er dabei sogar noch die Zunge in die Backe schob. »Natürlich kaufe ich nur von offiziellen Händlern.« Sein Blick fiel auf ihre Schultertasche. »Solange Ihr Rekorder läuft.«

Unweigerlich musste sie ebenfalls grinsen. Natürlich lief ihr Aufnahmegerät. Und natürlich war ihm das bewusst. Es war ein Zeichen ihres ehrlichen Interesses, dass sie die Tasche öffnete, den Rekorder herausnahm und ihn ausstellte.

»Und die Sicherheitsaufnahme?«, fragte er gelassen.

»Sie sind einfach zu gerissen.« Bereit, ein gewisses Risiko einzugehen, ließ sie eine Hand in ihre Tasche gleiten, zog den beinahe papierdünnen Zusatzrekorder heraus und deaktivierte ihn durch einen Druck mit ihrem Daumennagel. »Wie steht es mit Ihnen?« Die Türen des Fahrstuhls glitten auf, und sie blickte sich um. »Sie haben doch sicher in sämtlichen Ecken Ihres Hauses Video- und Audioüberwachung.«

»Natürlich.« Wieder nahm er ihre Hand und zog sie aus dem Lift.

Der Raum hatte eine erstaunlich hohe Decke und verfügte über eine, angesichts von Roarkes Liebe zum Komfort, überraschend spartanische Einrichtung. Bei ihrem Eintreten erhellte das sich automatisch einschaltende Licht schlichte, sandfarbene Wände, eine Reihe ebenso schlichter, hochlehniger Stühle und einen Tisch, auf dem man bereits ein Tablett mit einer silbernen Kaffeekanne und zwei Porzellantassen für sie bereitgestellt hatte.

Ohne auf das Service zu achten, ging Eve hinüber zu einer langen, schimmernden, schwarzen Konsole. »Was macht man damit?«

»Eine ganze Reihe von Dingen.« Roarke stellte die Lederschatulle mit den Waffen auf den Tisch und legte seine Hand auf einen grünlich schimmernden Scanner, über dem nach Identifizierung des Abdrucks eine Reihe von Lämpchen und Wahltasten aufleuchtete.

»Ich habe hier unten einen kleinen Vorrat an Munition.« Er drückte eine Reihe von Knöpfen, worauf sich lautlos die Türen eines kleinen, unterhalb der Konsole befindlichen Schränkchens öffneten. »Die hier sollten Sie besser benutzen.« Aus einem zweiten Schränkchen nahm er Ohrenstöpsel und eine Sicherheitsbrille und drückte ihr beides in die Hand.

»Was ist das? So etwas wie ein Hobby?«, fragte Eve, während sie die Brille auf ihrer Nase zurechtrückte. Die kleinen, klaren Linsen bedeckten ihre Augen und die Ohrenstöpsel saßen wie für sie gemacht.

»Ja, so etwas wie ein Hobby.«

Seine Stimme drang wie ein entferntes Echo an ihre geschützten Ohren, verband nur sie beide, schloss alles andere aus. Er wählte die Achtunddreißiger und bestückte sie mit Munition.

»Das hier war Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts die Standard-Polizeiwaffe. Um die Jahrtausendwende zog man dann die Neun-Millimeter vor.«

»Und während der Innerstädtischen Revolten bis hin in die Dreißiger des einundzwanzigsten Jahrhunderts erlebte die RS-Fünfzig ihre Hochzeit.«

Er zog anerkennend eine Braue in die Höhe. »Offensichtlich haben Sie Ihre Hausaufgaben gründlich gemacht.«

»Darauf können Sie Gift nehmen. « Sie blickte auf die in seiner Hand liegende Waffe. »Auch wenn es nicht gerade leicht ist zu versuchen, sich in einen Killer hineinzuversetzen.«

»Sicher sind Sie sich auch der Tatsache bewusst, dass der Handlaser, den Sie dabeihaben, erst seit ungefähr fünfundzwanzig Jahren von der Allgemeinheit akzeptiert wird.«

Er klappte die Trommel seiner Waffe wieder zu, und sie runzelte die Stirn. »Der leicht modifizierte NS-Laser wird bereits seit zweitausenddreiundzwanzig von der Polizei benutzt. Allerdings habe ich in Ihrer Sammlung bisher noch keine Laser entdeckt.«

In seinen Augen lag ein Lachen, während er sie anschaute. »Die Dinger sind ausschließlich für die Bullen reserviert. Ihr Besitz, Lieutenant, ist noch nicht einmal passionierten Sammlern gestattet.« Er drückte einen Knopf, und auf der am weitesten entfernten Wand blitzte ein derart lebensechtes Hologramm auf, dass Eve blinzeln und tief Luft holen musste, ehe sie sich wieder in der Gewalt hatte.

»Ein hervorragendes Bild«, murmelte sie, während sie den hünenhaften, breitschultrigen, mit einer ihr unbekannten Waffe ausgestatteten Angreifer studierte.

»Er ist die Replik eines typischen Verbrechers aus dem zwanzigsten Jahrhundert. Das, was er in der Hand hält, ist eine AK-47.«

»Tatsächlich.« Sie kniff die Augen zusammen. Das Hologramm war wesentlich dramatischer als die Fotos und Videos, die sie kannte. »Sehr beliebt bei Straßengangs und Drogenhändlern jener Ära.«

»Eine reine Angriffswaffe«, erklärte Roarke. »Extra angefertigt, um damit zu töten. Wenn ich das Hologramm aktiviere, werden Sie es spüren, falls er Sie erwischt. Allerdings nicht so stark, als ob eine Kugel Sie treffen würde, sondern eher wie einen geringfügigen elektrischen Schlag. Wollen Sie es mal versuchen?«

»Fangen Sie ruhig an.«

»In Ordnung.« Wieder drückte Roarke auf einen Knopf, und sofort machte das Hologramm, die Waffe in den Händen, einen Satz nach vorn.

Unter den gleichzeitig aktivierten Soundeffekten zuckte Eve zusammen. Obszöne Flüche, Straßenlärm und die erschreckend schnell aufeinander folgenden Gewehrsalven erfüllten das Schießzimmer.

Mit herunterhängender Kinnlade beobachtete sie, wie der Schurke jede Menge Blut vergoss. Es war, als explodiere seine breite Brust, als er plötzlich nach hinten flog. Die Waffe fiel ihm aus der Hand, und dann verschwand das Bild.

»Himmel.«

Ein wenig überrascht von der Erkenntnis, dass er angegeben hatte wie ein kleiner Junge an der Schießbude, ließ Roarke seine Waffe sinken. »Es wäre ziemlich sinnlos, einem Menschen deutlich machen zu wollen, was eine solche Waffe aus Fleisch und Knochen machen kann, wenn man kein realistisches Bild hätte.«

»Ich nehme an, da haben Sie Recht.« Trotzdem musste sie schlucken. »Hat er Sie getroffen?«

»Dieses Mal nicht. Natürlich war er allein, und wenn man die Reaktionen seines Gegners vorausahnen kann, ist es nicht allzu schwierig, die Runde zu gewinnen.«

Wieder drückte Roarke auf ein paar Knöpfe, und* schon war der tote Schurke auferstanden und abermals bereit zum Angriff. Roarke seinerseits reagierte mit der Automatik und Gelassenheit des alten Cops oder aber, um sein eigenes Wort zu nehmen, mit der eines Verbrechers.

Plötzlich sprang das Bild nach vorn, und während Roarke das Feuer erwiderte, tauchten in schneller Folge weitere Hologramme auf. Ein Mann mit irgendeiner bösartig wirkenden Handwaffe, eine schlampige Frau mit einer langläufigen Pistole – vielleicht einer 44er-Magnum – und ein kleines, zu Tode erschrockenes Kind mit einem Ball.

Sie legten an und feuerten, fluchten, schrien, bluteten. Als alles vorbei war, saß das Kind vollkommen alleine schluchzend auf der Erde.

»Einen mit dem Zufallsgenerator ausgewählten Angriff abzuwehren, ist schon ein bisschen schwerer«, erklärte Roarke gelassen. »Sie haben mich an der Schulter erwischt.«

»Was?« Eve wandte sich ihm blinzelnd zu. »An der Schulter?«

Er sah sie grinsend an. »Keine Sorge, Schätzchen. Es ist nur eine Fleischwunde.«

Ihr Herz schlug ihr bis zu den Ohren, egal, wie lächerlich ihre Reaktion auf die Geschehnisse ihrer eigenen Meinung nach auch war. »Ein teuflisches Spielzeug, Roarke. Bereitet einem sicher jede Menge Spaß. Spielen Sie häufig?«

»Hin und wieder. Und? Bereit, es auch mal zu versuchen?«

Wenn sie das Virtual-Reality-Programm bei der Psycho-Untersuchung überstanden hatte, dann käme sie ganz sicher auch mit einem gespielten Schusswechsel zurecht. »Ja, am besten ebenfalls mit dem Zufallsgenerator.«

»Das ist eins der Dinge, die ich an Ihnen bewundere, Lieutenant.« Roarke wählte die Munition und lud die Waffe nach. »Sie sind kein Mensch, der lange zögert. Aber vielleicht machen Sie trotzdem besser erst mal eine Trockenübung.«

An der gegenüberliegenden Wand erschien eine normale Zielscheibe. Er trat hinter Eve, legte ihr die .3 8er in die Hände, umfasste ihre Finger und presste seine Wange dicht an ihr Gesicht. »Sie müssen selbst zielen, weil das Ding, anders als Ihre Waffe, weder Hitze noch Bewegung registriert.« Er veränderte die Haltung ihrer Arme, bis er schließlich zufrieden war. »Wenn Sie bereit sind zu schießen, müssen Sie, statt zu pumpen, einfach auf den Abzug drücken. Das Ding wird etwas wackeln. Es ist weder so leicht noch so leise wie Ihr Laser.«

»Kapiert«, murmelte sie. Es war einfach idiotisch, dass das Gefühl von seinen Händen, der Druck von seinem Körper, sein männlicher Geruch, sie derart aus dem Konzept brachten. »Sie engen mich ein.«

Er wandte seinen Kopf und strich mit seinen Lippen über ihr Ohrläppchen. Ohne jeden Schmuck und tatsächlich ohne ein Loch wirkte es unschuldig und süß wie das von einem Kind.

»Ich weiß. Sie müssen sich stärker anspannen als Sie es gewohnt sind. Ihre normale Reaktion wird es sein, zusammenzuzucken. Aber das dürfen Sie nicht tun.«

»Ich zucke nicht zusammen.« Um es zu beweisen, drückte sie auf den Abzug, aber zu ihrer Verärgerung bewegten sich ihre Arme doch etwas. Sie schoss ein zweites und ein drittes Mal und traf direkt neben das Schwarze. »Himmel, man merkt es wirklich.« Sie rollte mit den Schultern, fasziniert von der Weise, in der sie als Reaktion auf die Kraft der Waffe summten.

»Es macht das Ganze persönlicher. Sie haben ein gutes Auge.« Er war ehrlich beeindruckt, doch seine Stimme klang milde wie die eines Schulmeisters. »Natürlich ist es etwas anderes, wenn man auf einen Menschen zielt. Selbst wenn er nicht echt ist.«

Wollte er sie etwa herausfordern? Nun, dafür war sie gewappnet. »Wie viel Schuss habe ich noch?«

»Am besten laden wir die Waffe noch mal nach.« Er gab eine Reihe von Angriffen in den Computer. Aus Neugier, und wie er zugeben musste, um ihr zu zeigen, dass er besser war als sie, wählte er ein schwieriges Programm. »Fertig?«

Sie warf einen Blick in seine Richtung, spreizte ihre Beine und streckte ihre Arme aus. »Ja.«

Das erste Bild war das einer älteren Frau, die eine Einkaufstasche mit beiden Händen ängstlich umklammerte. Eve hätte ihr beinahe den Schädel weggepustet, bevor ihr Finger kurz vor dem Abzug erstarrte. Linker Hand nahm sie eine Bewegung wahr und schoss auf einen Straßenräuber, bevor dieser eine Eisenstange auf den Kopf der alten Frau sausen lassen konnte. Ein leichtes Stechen in ihrer linken Hüfte führte dazu, dass sie ihr Gewicht verlagerte, ehe sie einen Glatzkopf mit einer Waffe, ähnlich ihrer eigenen, ins Visier nahm.

Sie kamen in schneller Folge.

Roarke verfolgte wie gebannt Eves Reaktionen auf die zahlreichen Attacken. Nein, sie zuckte nicht, dachte er erstaunt. Ihr Blick blieb kalt und unbeirrt. Der Blick der Polizistin. Er wusste, ihr Adrenalinspiegel war höher, und ihr Puls ging schneller als gewöhnlich. Sie bewegte sich schnell, aber geschmeidig und präzise wie bei einem Tanz. Ihre Lippen waren zusammengepresst und ihre Hände völlig ruhig.

Er begehrte sie tatsächlich, musste er erkennen, als sich sein Magen verknotete. Himmel, er empfand ein geradezu verzweifeltes Verlangen nach dieser jungen Frau.

»Zweimal haben sie mich erwischt«, sagte sie beinahe wie zu sich selbst, öffnete die Trommel und lud, wie sie es bei Roarke gesehen hatte, eigenhändig nach. »Einmal in der Hüfte, einmal im Bauch. Also bin ich entweder schon tot oder aber zumindest in ziemlicher Bedrängnis. Geben Sie noch eine Serie ein.« Er kam ihrer Bitte nach, vergrub anschließend die Hände in den Taschen und sah ihr beim Schießen zu.

Als sie fertig war, bat sie darum, auch das Schweizer Modell ausprobieren zu dürfen, und merkte, dass ihr das Gewicht und der Rückschlag dieser Waffe eher zusagten als bei der .38er. Sie war wesentlich besser als ein Revolver, wesentlich schneller, wesentlich reaktionsfreudiger, besaß eine höhere Feuerkraft und ließ sich innerhalb von Sekunden nachladen.

Keine der beiden Waffen lag so bequem in ihren Händen wie ihr Laser, doch sie fand sie beide auf primitive, grauenhafte Weise effektiv.

Der Schaden, den sie verursachten, das zerfetzte Fleisch, das umherspritzende Blut, machten den Tod zu einer widerlichen Sache.

»Getroffen?«, fragte Roarke.

Obwohl die Bilder längst verschwunden waren, starrte sie immer noch reglos auf die Wand. »Nein. Ich bin clean. Was diese Dinger aus einem Körper machen«, graulte sie sich leise und legte die Waffe auf die Seite. »Dass sie tatsächlich benutzt worden sind – dass man sie Tag für Tag benutzen musste und wusste, dass sie vielleicht auch gegen einen selbst benutzt würden. Wie konnte ein Mensch das aushalten, ohne zumindest einen Teil seines Verstandes zu verlieren?«

»Es war auszuhalten.« Er legte seine Brille und seine Ohrenstöpsel ab. »Das ausgeprägte Gewissen und Pflichtbewusstsein eines Menschen müssen nicht unbedingt eine Schwäche sein. Schließlich haben auch Sie die psychologische Untersuchung überstanden. Es hat Sie einiges gekostet, aber trotzdem haben Sie es geschafft.«

Langsam entledigte auch sie sich ihrer Brille und ihrer Ohrenstöpsel. »Woher wissen Sie das?«

»Woher ich weiß, dass Sie heute bei der Untersuchung waren? Ich habe meine Beziehungen. Woher ich weiß, dass es Sie etwas gekostet hat?« Er umfasste sanft ihr Kinn. »Das kann ich ganz einfach sehen. Ihr Herz ringt mit Ihrem Verstand. Ich glaube nicht, dass Ihnen klar ist, dass das der Grund ist, weshalb Sie Ihren Job so gut machen. Oder weshalb Sie mich derart faszinieren.«

»Ich will Sie gar nicht faszinieren. Ich versuche lediglich, einen Mann zu finden, der die Waffen benutzt hat, mit denen ich eben geschossen habe. Und zwar nicht, um sich zu verteidigen, sondern aus reinem Vergnügen.« Sie sah ihm in die Augen. »Sie sind nicht dieser Mann.«

»Nein, ich bin nicht dieser Mann.«

»Aber Sie wissen etwas.«

Er strich mit dem Daumen über das Grübchen in ihrem Kinn und ließ dann die Hand sinken. »Ich bin nicht sicher, ob ich wirklich etwas weiß.« Er trat an den Tisch und schenkte ihnen beiden eine Tasse Kaffee ein. »Waffen aus dem zwanzigsten Jahrhundert, Verbrechen ähnlich denen aus dem zwanzigsten Jahrhundert, Motive wie aus dem zwanzigsten Jahrhundert.« Er blickte sie an. »So würde ich es einschätzen.«

»Das ist keine allzu schwierige Schlussfolgerung.«

»Aber sagen Sie mir, Lieutenant, können Sie mit historischen Verbrechen umgehen, oder sind Sie allzu sehr der Gegenwart verhaftet?«

Diese Frage hatte sie sich selbst bereits gestellt. »Ich bin durchaus flexibel.«

»Nein, aber Sie sind clever. Wer auch immer Sharon getötet hat, kennt sich mit der Geschichte aus, ist an ihr interessiert, vielleicht sogar davon besessen.« Er zog spöttisch eine Braue in die Höhe. »Ich kenne mich mit der Geschichte recht gut aus. Bestimmt habe ich ein gewisses Interesse daran, aber bin ich davon auch besessen?« Er zuckte mit den Schultern. »Das müssen Sie schon selbst beurteilen.«

»Ich arbeite daran.«

»Das ist mir überaus klar. Lassen Sie uns die Sache mal auf altmodische Weise angehen, ohne Computer, ohne technische Analysen. Als Erstes sollten wir uns mit dem Opfer beschäftigen. Sie glauben, Sharon war eine Erpresserin. Was durchaus zu ihr gepasst hätte. Sie war eine zornige, trotzige, machtbesessene Frau. Und zugleich wollte sie geliebt werden.«

»Das alles haben Sie im Verlauf von nur zwei Treffen feststellen können?«

»Im Verlauf von zwei Treffen.« Er reichte ihr ihre Tasse Kaffee. »Und durch Gespräche mit Menschen, die sie kannten. Sowohl Freundinnen und Freunde als auch Kolleginnen und Kollegen empfanden sie als tolle, energische, wenn auch ziemlich verschwiegene Person. Eine Frau, die sich einerseits von ihrer Familie losgesagt hatte, aber andererseits sehr häufig an sie dachte. Eine Frau, die das Leben liebte, aber die trotzdem oft gegrübelt hat. Ich nehme an, bisher sind wir bei unseren Nachforschungen zu ungefähr denselben Ergebnissen gekommen.«

Plötzlich wurde sie wütend. »Mir war nicht bewusst, dass Sie überhaupt irgendwelche Nachforschungen in einem polizeilich zu untersuchenden Mordfall anstellen, Roarke.«

»Beth und Richard sind meine Freunde. Ich nehme meine Freundschaften sehr ernst. Die beiden trauern um ihre tote Tochter, Eve. Es gefällt mir nicht zu wissen, dass Beth sich die Schuld an dem gibt, was passiert ist.«

Eve erinnerte sich an die unglücklichen Augen und die nervösen Gesten und seufzte leise. »Also gut, das kann ich akzeptieren. Mit wem haben Sie gesprochen?«

»Wie gesagt, mit Freunden, Bekannten, Geschäftspartnern.« Er stellte seinen Kaffee auf die Seite, während Eve an ihrem nippte und gleichzeitig wie eine gefangene Tigerin durch den Raum stapfte. »Seltsam, nicht wahr, wie viele verschiedene Meinungen und Beschreibungen man bezüglich ein und derselben Frau bekommen kann. Frag einen Menschen, und er sagt, Sharon wäre loyal und großzügig gewesen. Frag den Zweiten, und er sagt dir, sie wäre rachsüchtig und berechnend gewesen. Frag den Dritten, und du bekommst zu hören, sie wäre vergnügungssüchtig gewesen und hätte nie genug Aufregung haben können, während dir der Vierte erklärt, sie hätte eine Vorliebe für ruhige Abende allein zu Hause gehabt. Unsere gute Sharon hat anscheinend recht viele Rollen zu spielen vermocht.«

»Sie hat ganz einfach gegenüber verschiedenen Menschen verschiedene Masken aufgesetzt. So etwas gibt es ziemlich häufig.«

»Aber welche Maske oder welche Rolle hat sie umgebracht?« Roarke zog eine Zigarette aus seinem Silberetui und zündete sie an. »Erpressung.« Nachdenklich blies er eine duftende Rauchwolke in Richtung Decke. »Sicher hätte sie ein gewisses Talent dazu gehabt. Sie hatte eine Vorliebe dafür, die Menschen auszuhorchen, und hat gleichzeitig eine solche Menge Charme zu versprühen vermocht, dass man kaum merkte, was sie tat.«

»Ihnen gegenüber war sie sicher ganz besonders großzügig mit ihrem Charme.«

»Sie hat wahrlich nicht damit gegeizt.« Wieder bedachte er sie mit seinem jungenhaften Grinsen. »Allerdings war ich nicht bereit, ihr im Austausch für Sex auch nur die geringsten Informationen zuteil werden zu lassen. Selbst wenn sie nicht die Tochter meiner Freundin und obendrein ein Profi gewesen wäre, hätte sie mich nicht gereizt. Ich bevorzuge ganz einfach eine andere Art von Frau.« Er bedachte Eve mit einem beinahe grüblerischen Blick. »Oder zumindest habe ich das bis vor kurzem noch gedacht. Ich weiß wirklich nicht, weshalb ich so plötzlich eine Vorliebe für den leidenschaftlichen, getriebenen und gleichzeitig fürchterlich komplizierten Typ habe.«

Sie schenkte sich Kaffee nach und musterte ihn über den Rand ihrer Tasse. »Das ist nicht gerade schmeichelhaft.«

»Das sollte es auch nicht sein. Obgleich Sie für jemanden, der offenbar einen äußerst kurzsichtigen Frisör hat und der sich sämtlichen gängigen Verschönerungsmöglichkeiten zu verschließen scheint, überraschend angenehm anzusehen sind.«

»Ich habe keinen Frisör, und ich habe auch keine Zeit für irgendwelche Verschönerungsmaßnahmen.« Ebenso wenig wie sie Lust darauf verspürte, auch nur darüber zu reden. »Fahren wir also lieber mit unseren Überlegungen fort. Falls Sharon DeBlass von einem ihrer Erpressungsopfer umgebracht wurde, welche Rolle spielte dann Lola Starr?«

»Das ist wirklich ein Problem, nicht wahr?« Roarke paffte nachdenklich an seiner Zigarette. »Außer dem Beruf scheint es zwischen den beiden keinerlei Gemeinsamkeiten zu geben. Es ist zu bezweifeln, dass sie einander kannten oder von denselben Kunden besucht wurden. Aber einen gab es, der, wenn vielleicht auch nur kurz, sie beide kannte.«

»Einen, der sie beide gewählt hat.«

Roarke zog eine seiner Brauen in die Höhe und nickte mit dem Kopf. »Sie drücken es besser aus als ich.«

»Was haben Sie damit gemeint, als Sie sagten, ich wüsste nicht, worauf ich mich mit dieser Sache einlasse?«

Er zögerte kurz, dass sie es beinahe nicht bemerkt hätte. »Mir ist nicht klar, ob Sie wirklich verstehen, über welche Macht DeBlass verfügt. Die skandalöse Ermordung seiner Enkeltochter könnte seine Position sogar noch stärken. Er will die Präsidentschaft, und er will die Moral nicht nur hier in unserem Land, sondern möglichst überall bestimmen.«

»Wollen Sie damit sagen, er könnte Sharons Tod politisch ausschlachten? Wie sollte er das tun?«

Roarke drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus. »Er könnte seine Enkelin als Opfer einer Gesellschaft skizzieren, in der gewerblicher Sex eine Mordwaffe sein kann. Wie kann eine Welt, die Prostitution, umfängliche Empfängnisverhütung, Geburtenkontrolle und so weiter nicht verbietet, schuldlos sein an den verheerenden Auswirkungen eines derart liderlichen Treibens?«

Eve verstand die Argumente, doch sie schüttelte den Kopf. »Außerdem will DeBlass das Waffenverbot aufheben lassen. Dabei wurde seine Enkeltochter mit einer Waffe erschossen, die nach dem aktuellen Gesetz gar nicht erst erhältlich sein dürfte.«

»Was das Ganze noch viel heimtückischer macht. Denn wäre sie schließlich nicht in der Lage gewesen, sich zu verteidigen, wenn sie ebenfalls eine Waffe gehabt hätte?« Als Eve ihm widersprechen wollte, schüttelte er abwehrend den Kopf. »Es ist völlig egal, welche Antwort man auf diese Frage gibt. Es geht hier einzig um die Frage, ob wir die Gründer und die grundlegenden Dogmen ihres Entwurfs für eine Verfassung unseres Landes vollkommen vergessen dürfen. Wie zum Beispiel das Recht eines jeden Menschen, Waffen zu tragen. Infolge der Beschneidung dieses Rechts wurde eine Frau in ihrem eigenen Heim, ihrem eigenen Bett ermordet. Ein Opfer der sexuellen Freiheit, ihrer gesetzlich erzwungenen Wehrlosigkeit und vor allem, ja, vor allem ein Opfer des moralischen Verfalls.«

Er schlenderte in Richtung der Konsole und schaltete den Schießstand aus. »Oh, sicher werden Sie mir jetzt entgegenhalten, dass Mord mit Schusswaffen eher die Regel war als die Ausnahme, als jeder, der den Wunsch und das nötige Kleingeld hatte, sich eine kaufen konnte. Aber über dieses Argument wird er einfach achtlos hinweggehen. Die Konservative Partei gewinnt beständig an Boden, und er ist ihr Vorkämpfer.«

Er beobachtete, wie sie sich stirnrunzelnd eine dritte Tasse Kaffee einschenkte. »Ist Ihnen schon mal der Gedanke gekommen, dass er vielleicht gar nicht möchte, dass der Mörder je gefasst wird?«

Sie hob überrascht den Kopf. »Weshalb sollte er das nicht wollen? Abgesehen von dem persönlichen Wunsch nach der Bestrafung des Täters würde ihm seine Ergreifung doch sicher noch mehr Munition liefern. Nach dem Motto: ›Hier seht ihr den niederträchtigen, unmoralischen Schurken, der meine arme, fehlgeleitete Enkelin auf dem Gewissen hat‹.«

»Aber mit der Ergreifung des Täters wäre zumindest ein gewisses Risiko verbunden. Vielleicht ist der Mörder eine aufrechte, angesehene, ebenfalls fehlgeleitete Stütze unserer Gesellschaft. DeBlass braucht nicht unbedingt den wahren Täter, sondern vielmehr einfach einen geeigneten Sündenbock.«

Er wartete ein paar Sekunden, während sie das Gesagte durchdachte. »Wer hat wohl Ihrer Meinung nach dafür gesorgt, dass Sie mitten in den Nachforschungen zu diesem Fall zur psychologischen Untersuchung einbestellt wurden? Wer verfolgt jeden einzelnen der Schritte, die Sie unternehmen, wer überwacht jede einzelne Stufe der Ermittlungen? Wer befasst sich wohl plötzlich derart eingehend mit Ihrem persönlichen wie auch beruflichen Vorleben?«

Erschüttert stellte sie ihre Tasse ab. »Ich nehme an, DeBlass hat darauf gedrängt, dass man mich zu den Tests schickt. Weil er mir entweder nicht traut oder weil er nicht sicher ist, dass ich die erforderliche Kompetenz besitze, um die Ermittlungen ordnungsgemäß und erfolgreich zu leiten. Außerdem hat er Feeney und mich von East Washington aus beschatten lassen.« Sie atmete vernehmlich aus. »Woher wissen Sie, dass er mir hinterherschnüffelt? Weil Sie es auch tun?«

Das zornige Flackern ihrer Augen und die von ihr erhobenen Anschuldigungen machten ihm nichts aus*. Sie waren ihm lieber als die Sorge, die jemand anders vielleicht empfunden hätte. »Nein. Ich weiß es, weil ich, während er Ihnen hinterherschnüffelte, ihm hinterherschnüffelte. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es sicher wesentlich befriedigender wäre, Sie im Laufe der Zeit persönlich kennen zu lernen, statt durch irgendwelche schriftlichen Berichte.«

Er trat näher zu ihr und strich mit seinen Fingern über ihre abgesäbelten Haare. »Ich respektiere die Intimsphäre der Menschen, die ich gern habe. Und Sie habe ich gern, Eve. Ich weiß nicht genau, warum, aber Sie rufen bestimmte Gefühle in mir wach.«

Als sie einen Schritt zurück machen wollte, verstärkte er unmerklich den Druck seiner Finger. »Ich bin es leid, dass Sie jedes Mal, wenn ich einen Moment mit Ihnen allein habe, einen Mordfall zwischen uns stellen.«

»Es steht nun mal ein Mordfall zwischen uns.«

»Nein. Wenn überhaupt etwas, dann hat er uns erst hierher geführt. Ist das vielleicht ein Problem? Können Sie den Lieutenant Dallas nicht lange genug abschütteln, um etwas zu empfinden?«

»Ich bin nun mal der Lieutenant Dallas.«

»Aber ich will den Menschen Eve Dallas, der Sie doch sicher auch sind.«

Vor Ungeduld und vor Verlangen wurden seine Augen dunkel. Allerdings galt die Frustration, die er darüber empfand, dass er ein solches Verlangen nach dieser Frau verspürte, dass er sie jede Sekunde anflehen würde, sich ihm hinzugeben, ausschließlich ihm selbst. »Außerdem hätte Lieutenant Dallas ganz sicher keine Angst vor mir, selbst wenn Eve Dallas sie vielleicht empfände.«

Bestimmt lag es einzig an dem Kaffee, dass ihre Nerven plötzlich flatterten. »Ich habe keine Angst vor Ihnen, Roarke.«

»Ach nein?« Er trat noch etwas näher und umfasste vorsichtig den Kragen ihres Hemdes. »Was meinen Sie, wird passieren, wenn Sie die Grenze zwischen uns beiden übertreten?«

»Zu viel«, murmelte sie. »Und zugleich nicht genug. Sex steht nicht gerade ganz oben auf der Liste meiner Wünsche. Er lenkt zu sehr ab.«

Das zornige Blitzen seiner Augen wich ehrlich belustigtem Gelächter. »Da haben Sie ganz sicher Recht. Allerdings nur, wenn man es gut macht. Meinen Sie nicht auch, es wäre an der Zeit, dass ich es Ihnen zeige?«

Sie packte seine Arme, nicht sicher, ob sie ihm entgegentreten oder vor ihm zurückweichen wollte. »Es ist ein Fehler.«

»Dann müssen wir zumindest dafür sorgen, dass es sich für uns lohnt«, murmelte er, bevor er seinen Mund auf ihre Lippen presste.

Sie schmiegte sich an seine Brust.

Schlang ihre Arme um seinen festen Nacken, vergrub ihre Finger in seinem dichten Haar und presste sich zitternd eng an seinen Körper, als der Kuss rauer, ja fast brutal wurde. Sein Mund war heiß, beinahe siedend. Unter seiner Berührung flackerten tief in ihrem Inneren lodernd grelle Flammen auf.

Seine schnellen, ungeduldigen Hände zerrten bereits das Hemd aus ihrer Hose und suchten nach ihrer Haut. Sofort zerrte auch sie an seinen Kleidern, ebenfalls in dem verzweifelten Verlangen, durch die feine Seide an sein Fleisch zu gelangen.

Er hatte eine Vision, wie er sie einfach auf den Boden warf und in sie hineinstieß, bis ihre Schreie ähnlich Gewehrschüssen von den Wänden widerhallten und er seinen Samen mit derselben Vehemenz verspritzte wie zuvor die imaginären Angreifer ihr Blut. Es wäre schnell, es wäre heiß – und dann wäre es vorbei.

Erschaudernd riss er sich von ihr los. Ihre Wangen waren gerötet, ihre Lippen weich geschwollen, und in ihrem Hemd klaffte oberhalb der Schulter ein handbreiter Riss.

Ein von Gewalt erfüllter Raum, durchzogen von stinkenden Rauchschwaden, bestückt mit griffbereiten Waffen.

»Nicht hier.« Halb trug, halb zog er sie in Richtung Fahrstuhl, und als sich die Türen öffneten, hatte er bereits den zerfetzten Ärmel ihres Hemdes abgerissen, drückte sie, als sich die Türen wieder schlossen, gewaltsam gegen die Wand und nestelte ungeschickt an ihrem Holster. »Leg das verdammte Ding ab. Leg endlich das verdammte Ding ab.«

Sie löste den Verschluss, ließ das Holster an einer ihrer Hände baumeln und öffnete mit der anderen begierig die Knöpfe seines Hemdes. »Warum hast du so viel an?«

»Nächstes Mal werde ich weniger tragen.« Er riss ihr das kaputte Hemd vom Leib. Darunter trug sie ein dünnes, beinahe transparentes Unterhemd, unter dem ihre kleinen, festen Brüste und die bereits harten Nippel deutlich zu erkennen waren. Er legte seine Hände fest auf ihren Busen und bemerkte ihren plötzlich glasigen Blick. »Wo möchtest du berührt werden?«

»Du machst es schon ganz gut.« Sie musste sich mit einer Hand an der Wand abstützen, denn ihre Knie wurden weich.

Als sich die Türen wieder öffneten, waren sie kaum auseinander zu bringen, drehten sich wie betrunken umeinander, er nagte zart an ihrer Kehle, und sie ließ ihre Tasche und ihr Holster einfach fallen.

Dann erfasste sie das Zimmer: breite, hohe Fenster, breite, hohe Spiegel, überall gedämpfte Farben. Sie roch den Duft von Blumen und spürte den weichen Teppich unter ihren Füßen. Während sie versuchte, ihm die Hose auszuziehen, entdeckte sie mit einem Mal das Bett.

»Großer Gott.«

Es ähnelte einem riesigen, mitternachtsblauen, von reich geschnitztem Holz gesäumten See. Es stand auf einer Plattform unter einem in Richtung Himmel weisenden riesengroßen Fenster, und ihm gegenüber prasselte in einem Kamin aus mattgrünem Stein ein automatisches Holzfeuer.

»Hier schläfst du?«

»Ich habe nicht die Absicht, heute Nacht zu schlafen.«

Er drückte ihre Kinnlade wieder herauf und zog sie über die zwei Stufen in Richtung der überdimensionalen Schlafstätte.

»Ich muss um null siebenhundert wieder im Büro sein.«

»Halt die Klappe, Lieutenant.«

»In Ordnung.«

Mit einem halben Lachen rollte sie sich auf ihn und presste ihren Mund auf seine Lippen. Sie war erfüllt von einer wilden, kühnen Energie, konnte sich gar nicht schnell genug bewegen, konnte ihre Begierde gar nicht schnell genug befriedigen.

Sie kämpfte sich aus ihren Stiefeln, ließ ihn ihre Jeans von ihren Hüften schälen, und eine Woge der Freude wallte durch ihren Körper, als sie sein Stöhnen hörte. Es war allzu lange her, seit sie die Spannung und Hitze eines Männerkörpers unter sich gespürt – allzu lange her, seit sie das Bedürfnis danach verspürt hatte.

Nun jedoch empfand sie das glühende, drängende Verlangen nach Erfüllung. In dem Moment, als sie endlich beide unbekleidet waren, hätte sie sich am liebsten sofort auf ihn gesetzt und dieses Verlangen befriedigt. Er jedoch kehrte ihre Positionen um und erstickte ihre gedämpften Proteste mit einem langen, leidenschaftlichen Kuss.

»Warum hast du es so eilig?«, murmelte er, ließ eine seiner Hände auf ihre Brust herabgleiten und sah ihr, während er ihren Nippel mit seinem Daumen köstlich quälte, reglos ins Gesicht. »Ich habe dich noch nicht mal richtig angucken können.«

»Ich will dich.«

»Ich weiß.« Er richtete sich auf, fuhr mit einer Hand von ihrer Schulter bis hinab auf ihren Schenkel und folgte der Bewegung mit den Augen. In seinen Lenden toste kochend heiß das Blut. »Lange, geschmeidige…« – er verstärkte leicht den Griff um ihre Brust – »und schlanke Glieder. Beinahe zerbrechlich. Wer hätte das gedacht?«

»Ich will dich in mir spüren.«

»Du willst nur einen Teil von meinem Körper in dir spüren«, grummelte er.

»Verdammt«, setzte sie an, stöhnte jedoch, als er seinen Kopf neigte und ihre Brust mit seinem Mund umfasste.

Ihre Nervenenden bebten, als er an ihr saugte, erst so zärtlich, dass es eine Qual war, dann jedoch härter und härter, bis sie einen Schrei herunterschlucken musste. Gleichzeitig strichen seine Hände weiter über ihren Körper und entfachten exotische Feuer der Begierde überall in ihrem Leib.

Es war nicht so, dass sie es nicht gekannt hätte. Sex war eine schnelle, simple Sache zur Befriedigung eines grundlegenden menschlichen Bedürfnisses. Das hier jedoch war ein Wirrwarr von Gefühlen, ein Krieg der Nerven, ein Aufruhr aller Sinne.

Sie versuchte verzweifelt, eine Hand herabzuschieben und seine schwere Härte zu ertasten. Dann jedoch schoss reine Panik durch sie, als er ihre Handgelenke packte und ihre Hände über ihren Kopf zog.

»Nicht.«

Beinahe hätte er sie losgelassen, als er ihren Blick sah. Er entdeckte die Panik, die nackte Angst, doch gleichzeitig das Verlangen. »Du kannst nicht immer über alles die Kontrolle haben, Eve.« Während er das sagte, fuhr er mit seiner freien Hand liebkosend über ihren Schenkel. Sie bebte, und ihr Blick wurde verhangen, als seine Finger ihre Kniekehle erreichten.

»Nicht«, sagte sie noch einmal und rang erstickt nach Luft.

»Was willst du nicht? Dass ich eine Schwäche entdecke, die ich vielleicht ausnutzen könnte?« Vorsichtig streichelte er ihre sensible Haut, ließ seine Finger in Richtung ihrer heißen Mitte gleiten und dann wieder zurück. Keuchend versuchte sie, sich unter ihm hervorzurollen.

»Scheint, als wäre es dafür bereits zu spät«, raunte er boshaft. »Du willst also den Kick ohne die Intimität?« Er zog eine Spur langsamer, offenmündiger Küsse von ihrer Kehle bis hinab zu ihrem Nabel, während sie unter ihm zuckte, als bekäme sie eine Unzahl von Stromschlägen. »Dafür brauchst du keinen Partner. Aber heute Nacht hast du einen. Und ich werde versuchen, dir ebenso viel Vergnügen zu bereiten wie du mir.«

»Ich kann nicht.« Immer noch versuchte sie verzweifelt, sich ihm zu entwinden, doch jede noch so kleine Zuckung rief eine neue Woge glühender Gefühle in ihr wach.

»Lass dich gehen.« Er musste sie ganz einfach haben, doch ihre verzweifelte Gegenwehr machte ihn nicht nur wütend, sondern forderte ihn heraus, noch möglichst lange zu warten.

»Ich kann nicht.«

»Ich werde dich dazu bringen, dass du dich gehen lässt, und ich werde dich beobachten, wenn es so weit ist.« Er glitt wieder ein Stück an ihr hinauf, spürte jedes noch so leichte Zittern, hielt seinen Kopf dicht über ihr Gesicht, und presste eine seiner Handflächen fest auf den Hügel zwischen ihren Schenkeln.

Sie atmete zischend aus. »Du Bastard. Ich kann nicht.«

»Lügnerin«, erwiderte er regelrecht gelassen, ehe er einen seiner Finger in ihre Weiblichkeit hineinschob und sein Stöhnen, als er ihre heiße, nasse Enge spürte, mit ihrem begehrlichen Keuchen verschmolz. Er rang mühsam um Beherrschung, als er ihr ins Gesicht sah und dort abermals erst Panik, dann Entsetzen und dann betäubte Hilflosigkeit entdeckte.

Sie spürte, dass sie in der Hitze seiner Zärtlichkeit versank, kämpfte verzweifelt gegen die wunderbare Wonne und merkte, dass sie den Kampf verlor. Sie stürzte in die Tiefe, etwas in ihrem Körper explodierte, und jemand schrie gellend auf. In einem Moment noch war die Spannung unerträglich, dann jedoch traf sie der spitze, versengende Pfeil der letztendlichen Erfüllung, und sie sank wie betäubt zuckend in sich zusammen.

Jetzt war es um ihn geschehen.

Er zerrte sie nach oben, sodass sie vor ihm kniete und ihr Kopf bleischwer an seine Schulter sank. »Noch einmal«, verlangte er in barschem Ton, zog ihren Kopf an den Haaren zurück und plünderte begierig ihren Mund. »Noch einmal, verdammt.«

»Ja.« Innerhalb von Sekunden wallte neues schmerzliches Verlangen in ihr auf, ihre inzwischen freien Hände hetzten über seinen Körper, und sie bog sich geschmeidig nach hinten, sodass seine Lippen kosten konnten, was sie wollten.

Der nächste Klimax schien sie beinahe zu zerreißen. Mit einem gedämpften Brüllen drückte er sie rücklings auf die Laken, zog ihre Hüften in die Höhe und stieß tief in sie hinein.

Sie umschloss ihn wie mit einer heißen, habgierigen Faust, vergrub ihre Fingernägel in seinem muskulösen Rücken und bewegte ihre Hüften im Takt mit seinen Lenden. Als ihre Hände schließlich ermattet von seinen schweißbedeckten Schultern glitten, ergoss er sich guttural stöhnend in ihr.