Eve war hundemüde, als sie endlich den Bericht für Whitney fertig hatte und sich auf den Weg nach Hause machte. Sie war wütend und genervt. Mit ihrem Wissen, dass Roarke Eigentümer des Apartmenthauses war, hatte sie ihn aus dem Gleichgewicht bringen wollen, doch dadurch, dass er es ihr selbst in demselben beiläufig höflichen Ton erklärt hatte, in dem er sie zuvor gefragt hatte, ob sie eine Tasse Kaffee wollte, war er aus ihrem ersten Gespräch sozusagen mit einem Punkt Vorsprung hervorgegangen.
Ein Punkteverhältnis, das ihr eindeutig missfiel.
Es war an der Zeit, die Dinge ins Gleichgewicht zu bringen. Allein in ihrem Wohnzimmer, technisch gesehen außerhalb der Dienstzeit, setzte sie sich an ihren Computer.
»Zugang Dallas, Code Five. Passnummer 53478Q. Offnen der Datei DeBlass.«
Stimme und Passnummer erkannt, Dallas. Fahren Sie fort.
»Offnen der Unterdatei Roarke. Verdächtiger Roarke – mit dem Opfer bekannt. Nach Aussage von Quelle C, Sebastian, hat das Opfer den Verdächtigen begehrt. Der Verdächtige erfüllte ihre Anforderungen an einen potenziellen Sexualpartner. Möglichkeit der emotionalen Verwicklung.«
»Gelegenheit zur Ausübung des Verbrechens. Der Verdächtige ist Eigentümer des Apartmentkomplexes, in dem die Wohnung des Opfers liegt, was ihm einen problemlosen Zugang ermöglicht hätte und weshalb er sich wahrscheinlich mit den Sicherheitsvorkehrungen am Tatort auskennt. Der Verdächtige hat kein Alibi für einen Zeitraum von acht Stunden während der Mordnacht, einschließlich der Zeitspanne, die von den Überwachungsdisketten gelöscht wurde. Der Verdächtige besitzt eine große Sammlung antiker Waffen, einschließlich einer Waffe des Typs, der für den Mord benutzt wurde. Der Verdächtige gibt zu, ein erfahrener Schütze zu sein.«
»Entscheidende Persönlichkeitsfaktoren des Verdächtigen. Arrogant, selbstbewusst, zügellos, hoch intelligent. Interessante Mischung aus aggressiv und charmant.«
»Motiv.«
Und hier stieß sie auf Probleme. Nachdenklich erhob sie sich von ihrem Stuhl und durchquerte das Zimmer, während der Computer auf weitere Eingaben wartete. Weshalb würde ein Mann wie Roarke jemanden töten? Aus Gewinnsucht, aus Leidenschaft? Das glaubte sie nicht. Reichtum und Ansehen würde und könnte er auf anderen Wegen problemloser erlangen. Frauen – fürs Bett und andere Vergnügen – könnte er garantiert gewinnen, ohne dabei auch nur ins Schwitzen zu geraten. Sie nahm an, dass er fähig zur Gewaltanwendung war und dass er es mit kalter Berechnung tun würde.
Der Mord an Sharon DeBlass hingegen hatte eindeutig mit Sex zu tun gehabt, die Art der Tötung war roh und primitiv. Irgendwie konnte Eve eine solche Vorgehensweise nicht mit dem eleganten Menschen in Einklang bringen, mit dem sie Kaffee getrunken hatte.
Aber vielleicht war es gerade das.
»Für den Verdächtigen ist Moral etwas Persönliches, nichts, was per Gesetz geregelt werden sollte«, fuhr sie, immer noch durch das Zimmer stapfend, schließlich fort. »Sex, Waffen, Drogen, Tabak und Alkohol betreffen ebenso wie Mord Bereiche der Moral, die per Gesetz verboten und begrenzt wurden. Der Mord an einer lizensierten Gesellschafterin, der einzigen Tochter zweier Freunde, der einzigen Enkelin eines der konservativsten Politiker des Landes mit einer verbotenen Waffe. Sollte er vielleicht die Mängel aufzeigen, die die Gesetzgebung unseres Lande nach Meinung des Verdächtigen aufweist?«
»Motiv«, schloss sie und nahm endlich wieder Platz. »Zügellosigkeit.« Sie atmete zufrieden ein. »Berechnung der Wahrscheinlichkeit.«
Ihr Computer quietschte – was sie daran erinnerte, dass sie ihn ebenso wie ihren Chef durch ein neues Gerät ersetzen sollte –, ehe er sich mit einem leisen Summen ans Werk machte.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Roarke der Täter ist, beträgt nach den eingegebenen Daten und Vermutungen zweiundachtzig Komma sechs Prozent.
Oh, es war tatsächlich möglich, dachte Eve und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. Es hatte eine Zeit gegeben, vor nicht allzu vielen Jahren, da hatte ein Kind einzig wegen der Schuhe, die es getragen hat, von einem anderen niedergeschossen werden können.
Was war das anderes gewesen als obszöne Zügellosigkeit?
Er hatte die Möglichkeit gehabt. Er hatte die Mittel gehabt. Und falls seine eigene Arroganz mitgerechnet werden durfte, vielleicht auch ein Motiv.
Weshalb also, fragte sich Eve, während sie ihre eigenen Worte und die unpersönliche Analyse des Computers auf dem Bildschirm studierte, konnte sie es sich einfach nicht vorstellen?
Sie konnte es ganz einfach nicht. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie Roarke hinter der Kamera gestanden, mit der Waffe auf die wehrlose, nackte, lächelnde Frau gezielt und vielleicht nur wenige Momente nach seinem Samen todbringenden Stahl in sie hineingepumpt haben sollte.
Trotzdem durfte sie die Fakten nicht außer Acht lassen. Wenn sie genug Beweise zusammenbrächte, käme sie vielleicht mit einem Antrag auf ein psychiatrisches Gutachten des Mannes durch.
Wäre das nicht interessant?, dachte sie mit einem halben Lächeln. Sicher wäre die Reise in die Welt von Roarkes Gedanken faszinierend.
Den nächsten Schritt in diese Richtung würde sie am folgenden Abend um Punkt sieben unternehmen.
Als sie ihre Klingel hörte, hob sie genervt den Kopf. »Speichern und Schließen, Dallas. Code Five. Abschalten.«
Der Bildschirm schaltete sich ab, und sie erhob sich, um zu sehen, wer sie bei ihrer Arbeit unterbrach. Ein Blick auf ihren Sicherheitsmonitor jedoch genügte, dass ihr Stirnrunzeln verflog.
»He, Mavis.«
»Du hast es mal wieder vergessen, habe ich Recht?« Mit klirrenden Armreifen und eingehüllt in eine Wolke berauschenden Parfums fegte Mavis Freestone in die Wohnung. Das aktuelle glitzernde Silber ihrer Haare würde sich mit ihrem nächsten Stimmungswechsel ändern, jetzt jedoch wogte ihre Mähne wie ein Meer blitzender Sterne um ihre minimale Taille.
»Nein, habe ich nicht.« Eve schloss die Tür hinter der Freundin. »Was habe ich vergessen?«
»Unser gemeinsames Abendessen, das Tanzen, die geplanten Ausschweifungen.« Mit einem abgrundtiefen Seufzer ließ Mavis ihre in einem hautengen Anzug steckenden neunundvierzig Kilo auf das Sofa sinken und bedachte Eves schlichten grauen Anzug mit einem verächtlichen Blick. »So kannst du ja wohl unmöglich ausgehen.«
Wie so oft in der Nähe der stets grell gekleideten Mavis fühlte sich Eve auch heute wie die Personifizierung des Mauerblümchens, als sie an sich heruntersah. »Nein, ich schätze, nicht.«
»Also.« Mavis hob einen ihrer smaragdgrünen Fingernägel in die Luft. »Hast du es doch vergessen.«
Das stimmte, doch jetzt fiel es ihr wieder ein. Sie und Mavis hatten die Absicht gehabt, sich gemeinsam den neuen Club anzusehen, den Mavis in der Raumstation in Jersey ausfindig gemacht hatte. Mavis zufolge waren die Typen dort – irgendwie auf Grund der Schwerelosigkeit – ohne Ausnahme beständig geil.
»Du siehst fantastisch aus.«
Es stimmte, auch wenn es nichts Besonderes war. Bereits acht Jahre zuvor, als Eve Mavis wegen leichten Diebstahls festgenommen hatte, hatte sie fantastisch ausgesehen. Eine von Kopf bis Fuß in Seide gehüllte Straßengöre mit flinken Fingern und einem strahlenden Lächeln.
In den Folgejahren waren sie irgendwie Freundinnen geworden. Für Eve, die die Freunde, die nicht Bullen waren, an einer Hand abzählen konnte, war die Beziehung kostbar.
»Du siehst kaputt aus«, sagte Mavis eher vorwurfsvoll als mitfühlend. »Und außerdem fehlt dir ein Knopf.«
Automatisch betastete Eve die Jacke ihres Anzugs und fühlte die losen Fäden. »Scheiße. Hab ich’s doch gewusst.« Angewidert streifte sie die Jacke von den Schultern und warf sie in die Ecke. »Hör zu, es tut mir Leid. Ich habe es wirklich vergessen. Ich hatte heute ziemlich viel im Kopf.«
»Einschließlich der Sache, für die du dir meinen schwarzen Mantel ausgeliehen hast?«
»Ja, danke. Ich konnte ihn wirklich gut gebrauchen.«
Mavis trommelte mit ihren smaragdgrünen Fingernägeln auf der Couchlehne herum. »Immer die verdammte Polizeiarbeit. Du musst wirklich endlich anfangen, dich mit Männern zu treffen, die keine Kriminellen sind, Dallas.«
»Ich habe diesen Imageberater getroffen, den du mir vermittelt hast. Er war kein Krimineller, aber dafür ein Idiot.«
»Du bist einfach zu anspruchsvoll – und außerdem ist das inzwischen sechs Monate her.«
Da er versucht hatte, sie durch das Angebot einer gratis Lippentätowierung ins Bett zu bekommen, war Eve der Ansicht, dass sechs Monate bei weitem nicht genügten, doch sie behielt ihre Meinung für sich. »Dann ziehe ich mich wohl besser erst mal um.«
»Du willst ja gar nicht ausgehen und dich mit den Jungs von der Raumstation amüsieren.« Mavis sprang derart energisch wieder auf, dass die schulterlangen Kristalltropfen an ihren Ohren klirrten. »Aber zieh trotzdem besser diese grauenhaften Sachen aus. Ich bestelle uns währenddessen etwas beim Chinesen.«
Vor Erleichterung sackten Eve die Schultern herunter. Mavis zuliebe hätte sie einen Abend in einem lauten, überfüllten, lärmenden Club auf sich genommen und notgeile Piloten und sexhungrige Raumtechniker von ihrer Brust geschält. Bei der Vorstellung, stattdessen die Füße hochlegen und irgendein chinesisches Fastfood in sich hineinschaufeln zu können, fühlte sie sich wie im Paradies.
»Und es macht dir wirklich nichts aus?«
Mavis saß bereits vor dem Computer und wählte das von ihr gewünschte Restaurant. »Ich bin jeden Abend in einem Club.«
»Aber das ist Arbeit«, rief Eve aus dem Schlafzimmer.
»Das kannst du laut sagen.« Die Zunge zwischen den Zähnen studierte Mavis die auf dem Bildschirm erschienene Karte. »Vor ein paar Jahren noch hätte ich gesagt, Geldverdienen durch Singen ist die beste Masche der Welt, die allergrößte Gaunerei. Doch inzwischen hat sich herausgestellt, dass ich härter arbeite als je zu den Zeiten, in denen ich noch arglose Touristen aufs Kreuz gelegt habe. Willst du Frühlingsröllchen?«
»Sicher. Aber du denkst doch wohl nicht daran, die Sache hinzuschmeißen?«
Einen Moment lang traf Mavis schweigend ihre Auswahl. »Nein. Ich bin süchtig nach dem Applaus.« Großzügig ließ sie das Essen von ihrer Kreditkarte abbuchen. »Und da ich gerade einen neuen Vertrag bekommen habe, demzufolge ich zehn Prozent des abendlichen Eintritts kriege, bin ich inzwischen eine geradezu stinknormale Geschäftsfrau.«
»Du bist ganz sicher niemals stinknormal«, widersprach Eve, als sie, in bequemen Jeans und einem Sweatshirt der New Yorker Polizei ins Wohnzimmer zurückkam.
»Stimmt. Hast du noch was von dem Wein, den ich letztes Mal mitgebracht habe?«
»Die zweite Flasche ist noch fast voll.« Da ihr dies als die beste Idee des ganzen Tages vorkam, machte sie einen Umweg durch die Küche und schenkte ihnen beiden ein. »Und, triffst du dich immer noch mit diesem Zahnarzt?«
»Nein.« Mavis schlenderte in Richtung des Entertainment-Centers und suchte sich Musik aus. »Es wurde zu eng. Ich hatte ja nichts dagegen, dass er sich in meine Zähne verliebte, aber dann beschloss er, dass ihm das nicht genügte. Er wollte mich tatsächlich heiraten.«
»Dieses Schwein.«
»Man kann einfach niemandem trauen«, pflichtete ihr Mavis bei. »Und, wie gehen bei dir so die Geschäfte?«
»Im Augenblick ist es ein bisschen viel.« Als es plötzlich klingelte, drehte sie sich um. »Das kann unmöglich schon das Abendessen sein.« Noch während sie das sagte, hörte sie, wie Mavis fröhlich auf ihren turmhohen Stöckelschuhen in Richtung der Tür trippelte. »Guck erst auf den Sicherheitsbildschirm«, sagte sie eilig und war selbst auf halbem Weg zur Tür, als Mavis einfach öffnete.
Sie fluchte und griff nach ihrer Waffe, die sie natürlich zu Hause nicht trug. Dann jedoch sank ihr Adrenalinspiegel, als sie Mavis’ helles, flirtbereites Lachen hörte, wieder auf Normalstärke herab.
Eve erkannte die Uniform des Lieferdientes und sah nichts als verlegene Freude in dem jugendlich frischen Gesicht des jungen Mannes, der Mavis das Päckchen überreichte.
»Ich liebe Geschenke«, erklärte Mavis und flatterte mit ihren silbrigen Wimpern, als sich der Junge errötend abwandte. »Sind Sie etwa nicht Teil von dem Präsent?«
»Lass den Jungen in Ruhe.« Kopfschüttelnd nahm Eve Mavis das Päckchen aus der Hand und schloss abermals die Tür.
»In dem Alter sind sie wirklich süß.« Sie blies einen Kuss in Richtung des Sicherheitsbildschirmes und wandte sich fragend an die Freundin. »Weshalb bist du nur so nervös?«
»Ich schätze, es liegt an dem Fall, an dem ich gerade arbeite.« Eher argwöhnisch als freudig beäugte sie das in Goldfolie und eine große Schleife gehüllte Paket. »Ich kann mir nicht vorstellen, wer mir etwas schicken würde.«
»Es hängt eine Karte dran«, erklärte Mavis trocken. »Du könntest sie einfach lesen. Vielleicht wärst du dann ein wenig schlauer.«
»Darauf wäre ich alleine nie gekommen.« Eve zog die Karte aus dem goldenen Umschlag.
Roarke
Mavis, die über Eves Schulter spähte, pfiff beinahe ehrfürchtig durch ihre Zähne. »Etwa der Roarke? Der unglaublich reiche, einzigartig attraktive, erotische und geheimnisvolle Roarke, dem ungefähr achtundzwanzig Prozent der Welt und aller Satelliten gehören?«
Das Einzige, was Eve empfand, war heißer Ärger. »Er ist der einzige Roarke, den ich kenne.«
»Du kennst ihn.« Mavis rollte mit ihren grün schattierten Augen. »Dallas, ich habe dich schrecklich unterschätzt. Erzähl mir alles ganz genau. Wie, wann, warum? Hast du mit ihm geschlafen? Sag mir, dass du mit ihm geschlafen hast, und dann erzähl mir bitte jede noch so winzige Kleinigkeit.«
»Wir haben seit drei Jahren eine heimliche, leidenschaftliche Affäre und einen gemeinsamen Sohn, der auf der anderen Seite des Mondes von buddhistischen Mönchen erzogen wird.« Mit gerunzelter Stirn schüttelte Eve das kleine Päckchen. »Ich bitte dich, Mavis. Es hat mit einem Fall zu tun und«, fügte sie, ehe Mavis auch nur den Mund öffnen konnte, vorsichtshalber hinzu, »es ist streng vertraulich.«
Mavis machte sich gar nicht erst die Mühe, nochmals mit den Augen zu rollen. Wenn Eve sagte, dass etwas vertraulich war, dann ließ sie sich weder durch Schmeicheln noch durch Flehen noch durch Jammern dazu bewegen, etwas zu erzählen. »Okay, aber du kannst mir sicher wenigstens sagen, ob er in natura genauso attraktiv ist wie auf Bildern.«
»Noch attraktiver«, murmelte Eve.
»Himmel, wirklich?« Mavis stöhnte und ließ sich auf das Sofa fallen. »Ich glaube, ich hatte gerade einen Orgasmus.«
»Das müsstest du eigentlich genau wissen.« Eve legte das Päckchen auf den Tisch und betrachtete es beinahe zornig. »Woher weiß er, wo ich lebe? Man kann sich die Anschrift eines Polizisten nicht einfach aus irgendeinem x-beliebigen Adressenverzeichnis herausholen. Woher also weiß er es?«, wiederholte sie leise. »Und was hat er vor?«
»Um Gottes willen, Dallas, mach das Päckchen endlich auf. Wahrscheinlich hast du ihm ganz einfach gefallen. Manche Männer fahren auf kühle, desinteressierte, zurückhaltende Frauen ab. Sie halten sie für tiefsinnig. Ich wette, es sind Diamanten«, erklärte Mavis und klopfte, als ihr der Geduldsfaden endgültig riss, mit ihren Fingern auf das Paket. »Eine Kette. Eine Diamantkette. Vielleicht auch Rubine. Rubine stehen dir sicher hervorragend.«
Gnadenlos zerrte sie an dem teuren Papier, riss den Deckel von der Schachtel und vergrub ihre Hände in goldfarbenem Seidenpapier. »Was zum Teufel ist denn das?«
Doch Eve hatte es schon gerochen und, wenn auch gegen ihren Willen, ein leichtes Lächeln im Gesicht. »Das ist Kaffee«, murmelte sie, ohne zu merken, dass ihre Stimme, als sie nach der schlichten braunen Tüte in Mavis’ Händen griff, weich wurde.
»Kaffee.« Mavis starrte sie entgeistert an. »Der Mann hat mehr Geld als der liebe Gott, und dann schickt er dir eine Tüte Kaffee?«
»Echten Kaffee.«
»Oh, na dann.« Angewidert ließ Mavis ihre Hände sinken. »Es ist mir egal, was dieses verdammte Zeug kostet, Dallas. Eine Frau will keinen Kaffee, sondern etwas Glitzerndes.«
Eve hob die Tüte an ihre Nase und schnupperte daran. »Ich nicht. Dieser verdammte Hurensohn weiß offensichtlich ganz genau, wie er an mich herankommt.« Sie stieß einen Seufzer aus. »Und zwar auf mehr als eine Art.«
Am nächsten Morgen genehmigte sie sich eine Tasse des kostbaren Gebräus. Noch nicht einmal ihrem temperamentvollen Küchencomputer war es gelungen, den dunklen, reichen Geschmack der Bohnen zu zerstören, und so fuhr sie trotz der defekten Heizung, trotz des grauen Himmels und trotz der Eiseskälte lächelnd ins Büro.
Und lächelte immer noch, als sie ihr Büro betrat, wo Feeney sie erwartete.
»Hmm.« Er zog fragend seine Brauen in die Höhe. »Was hast du denn bloß gefrühstückt?«
»Nichts außer Kaffee. Einfach Kaffee. Hast du was für mich?«
»Ich habe Richard DeBlass, Elizabeth Barrister, die ganze Sippe überprüft.« Er reichte ihr eine Diskette, auf der er in großen roten Buchstaben Code Five vermerkt hatte. »Keine echten Überraschungen. Auch über diesen Rockman gibt es nichts Ungewöhnliches zu berichten. Außer vielleicht, dass er als Twen einer paramilitärischen Gruppierung namens Safe-Net angehörte.«
»SafeNet«, wiederholte Eve und runzelte die Stirn.
»Du musst ungefähr acht gewesen sein, als sie aufgelöst wurde«, erklärte ihr Feeney grinsend. »Aber du müsstest eigentlich im Geschichtsunterricht davon gehört haben.«
»Irgendwie kommt der Name mir bekannt vor. War das eine der Gruppen, die entstanden, als wir dieses Scharmützel mit den Chinesen hatten?«
»Genau, und wenn es nach ihnen gegangen wäre, wäre es wesentlich mehr als ein Scharmützel geworden. Der Zwist um internationalen Luftraum hätte wirklich hässlich werden können, aber die Diplomaten haben den Krieg beendet, bevor diese Typen sich einmischen konnten. Ein paar Jahre später wurde die Gruppe aufgelöst, obgleich Gerüchten zufolge ein Teil von SafeNet in den Untergrund gegangen sein soll.«
»Ich habe davon gehört. Meinst du, Rockman könnte etwas mit einer fanatischen Splittergruppe wie dieser zu tun haben?«
Feeney schüttelte den Kopf. »Ich glaube, er ist sehr vorsichtig. Ihm geht es um Macht, und DeBlass ist ein sehr mächtiger Mann. Falls er es je ins Weiße Haus schaffen würde, wäre Rockman unmittelbar an seiner Seite.«
»Bitte.« Eve legte eine Hand auf ihren Magen. »Bereits der Gedanke verursacht mir Bauchschmerzen.«
»Es ist nicht gesagt, dass es so kommt, aber der Senator genießt ziemlich breite Unterstützung.« Feeney zuckte mit den Schultern.
»Tja, aber Rockman hat ein Alibi. Durch DeBlass. Sie waren in East Washington.« Sie nahm hinter ihrem Schreibtisch Platz. »Sonst noch was?«
»Charles Monroe. Er führt ein interessantes Leben, aber, soweit ich sehen konnte, alles im legalen Bereich. Momentan sitze ich über den Disketten des Opfers. Weißt du, manchmal hinterlässt man, wenn man Dateien verändert, irgendwelche Spuren. Und ich denke, dass jemand, nachdem er gerade eine Frau getötet hat, vielleicht nicht ganz bei der Sache gewesen sein könnte, als er die Dateien manipuliert hat.«
»Wenn du etwas findest, Feeney, kaufe ich dir eine Kiste von diesem schrecklichen Whiskey, den du so liebst.«
»Abgemacht. Gleichzeitig arbeite ich noch an diesem Roarke. Er ist jemand, der ganz sicher nie unvorsichtig ist. Jedes Mal, wenn ich denke, ich hätte einen Schutzwall überwunden, taucht bereits der nächste auf. Was auch immer für Daten es über ihn gibt, werden sie sorgfältig gehütet.«
»Versuch trotzdem weiter, diese Mauern zu überwinden. Ich werde währenddessen versuchen, mich drunter durchzugraben.«
Als Feeney schließlich den Raum verließ, wandte sich Eve an ihren Computer. In Mavis’ Anwesenheit hatte sie es nicht tun wollen, und außerdem arbeitete sie in diesem Fall auch lieber an dem Gerät in ihrem Büro. Die Frage war ganz einfach.
Eve gab Namen und Adresse ihres Apartmenthauses ein und fragte nach dem Eigentümer.
Ebenso einfach war die Antwort, nämlich schlicht und einfach Roarke.
Erst seit drei Monaten hatte Lola Starr ihre Lizenz. Sie hatte sie an ihrem achtzehnten Geburtstag, dem frühestmöglichen Termin, beantragt und erzählte gern herum, bis dahin wäre sie Amateurin gewesen.
Ebenfalls an ihrem achtzehnten Geburtstag hatte sie ihr Zuhause in Toledo verlassen und ihren Namen Alice Williams abgelegt. Beides, ihr Zuhause und ihr Name, waren viel zu langweilig gewesen.
Sie hatte ein hübsches, elfengleiches Gesicht. Sie hatte gejammert und gebettelt und geheult, bis ihre Eltern ihr anlässlich ihres sechzehnten Geburtstags ein spitzeres Kinn und eine etwas kesser gereckte Nase geschenkt hatten.
Lola hatte aussehen wollen wie eine verführerische Elfe, und sie war der Ansicht, es hätte auch geklappt. Ihre kurzen, stacheligen, kohlrabenschwarzen Haare bildeten einen aufreizenden Kontrast zu ihrer cremig weißen, straffen Haut, und zur Zeit sparte sie, um das Braun ihrer Augen in Smaragdgrün verwandeln zu lassen, was ihrer Meinung nach besser zu ihrem Image passte. Glücklicherweise war ihr schmaler Körper von Natur aus bereits wohl geformt genug, um weitere Veränderungen überflüssig zu machen.
Ihr Leben lang hatte sie als lizensierte Gesellschafterin arbeiten wollen. Andere Mädchen mochten von einer Karriere als Rechtsanwältin oder Bankerin träumen, mochten Medizin studieren oder Ingenieurwesen. Lola jedoch hatte von klein auf gewusst, dass sie geboren war zum Sex.
Und weshalb sollte sie nicht ihren Lebensunterhalt mit dem verdienen, wozu sie das größte Talent hatte?
Sie wollte reich sein, begehrt und verwöhnt werden. Mit dem Begehren war es einfach. Männer, vor allem ältere Männer, waren bereit, nicht wenig zu bezahlen für jemanden mit Lolas Reizen. Doch die Ausgaben, die ihre Arbeit mit sich brachte, waren wesentlich höher, als sie es sich in ihren Träumen in ihrem hübschen Mädchenzimmer in Toledo vorgestellt hatte.
Die Lizenzgebühren, die vorgeschriebenen Gesundheitschecks, die Miete und die Vergnügungssteuer fraßen einen Großteil ihrer Einnahmen, und nachdem sie ihre Ausbildung bezahlt hatte, war gerade noch genug geblieben für ein kleines Ein-Zimmer-Apartment am äußersten, dunkelsten Ende des Nuttenlaufstegs.
Trotzdem war es immer noch besser, als wie so viele andere auf der Straße zu arbeiten. Und Lola hatte noch wesentlich bessere und größere Dinge für die Zukunft geplant.
Eines Tages würde sie in einem Penthaus leben und nur die Creme der Klienten annehmen. Sie würde in den besten Restaurants mit Wein und erlesenen Speisen verwöhnt und an exotische Orte gejettet, um dort die Reichen und Adligen zu unterhalten.
Sie war gut genug, und sie hatte nicht die Absicht, lange am unteren Ende der Karriereleiter zu verharren.
Die Trinkgelder halfen schon jetzt. Als Profi sollte sie eigentlich keine Boni akzeptieren. Offiziell war es nicht erlaubt. Aber niemand hielt sich je daran. Sie war noch Mädchen genug, um sich über die hübschen kleinen Geschenke zu freuen, die einige ihrer Kunden ihr mitbrachten. Das Geld jedoch überwies sie mit geradezu religiösem Eifer auf die Bank und nährte damit weiter den Traum von ihrem Penthaus.
Heute Abend hatte sie einen neuen Kunden, einen, der wollte, dass sie Daddy zu ihm sagte. Sie hatte sich einverstanden erklärt und gewartet, bis der Handel perfekt war, ehe sie sich ein selbstgefälliges Grinsen erlaubt hatte. Wahrscheinlich dachte der Typ allen Ernstes, er wäre der Erste, dessen kleines Mädchen sie sein sollte. Tatsache war jedoch, dass sie sich bereits nach nur wenigen Monaten in diesem Job auf die Pädophilen spezialisiert hatte.
Also würde sie sich auf seinen Schoß setzen und sich den Hintern versohlen lassen, während er ihr in ernstem Ton erklären würde, sie müsste bestraft werden. Wirklich, es war, als spielten sie ein Spiel, und die meisten Männer waren dabei eher süß.
Mit diesen Gedanken zog sie ein Kleid mit einem kurzen Röckchen und einem breiten weißen Kragen aus dem Schrank. Darunter trüge sie einzig lange weiße Strümpfe. Sie hatte sich die Schamhaare rasiert und war nackt und glatt wie eine Zehnjährige.
Sie musterte sich im Spiegel, gab noch etwas Rouge auf ihre Wangen und etwas klaren Lipgloss auf ihren Schmollmund.
Als es klopfte, grinste sie beinahe fröhlich, und ihr junges, argloses Gesicht grinste aus dem Spiegel zurück.
Sie konnte sich noch keine Sicherheitskamera leisten und betrachtete ihren Besucher deshalb durch den Spion.
Sein attraktives Äußeres war angenehm für sie. Und die Tatsache, dass er alt genug war, um tatsächlich ihr Vater sein zu können, war sicher angenehm für ihn.
Mit einem schüchternen, verschämten Lächeln öffnete sie schließlich die Tür. »Hi, Daddy.«
Er wollte keine Zeit verlieren. Zeit war das Einzige, woran es ihm momentan fehlte. Er lächelte sie an. Für eine Hure war sie ein überraschend hübsches kleines Ding. Als sich die Tür hinter ihm schloss, griff er unter ihr kurzes Röckchen und ertastete zufrieden ihre Nacktheit. Es würde die Sache beschleunigen, wenn er schnell erregt würde.
»Daddy!« Entsprechend ihrer Rolle kreischte Lola leise auf. »Das ist aber unartig.«
»Ich habe gehört, dass du unartig gewesen bist.« Er legte seinen Mantel ab und legte ihn ordentlich zur Seite, während sie ihn schmollend ansah. Obwohl er vorsichtshalber seine Hände mit einem Spray versiegelt hatte, würde er außer ihr in diesem Raum nichts anfassen.
»Ich war brav, Daddy. Ich war ganz brav.«
»Du warst ungezogen, kleines Mädchen.« Aus der Tasche zog er eine kleine Videokamera und stellte sie so auf, dass sie in Richtung des schmalen, mit Kissen und Stofftieren überladenen Bettes zielte.
»Willst du Bilder machen?«
»Ganz genau.«
Sie müsste ihm sagen, dass das extra kostete, aber würde damit besser warten, bis alles vorbei war. Die Kunden hatten es nicht gerne, wenn man ihre Fantasien durch reale Bemerkungen zerstörte. Das hatte sie während ihrer Ausbildung gelernt.
»Leg dich auf das Bett.«
»Ja, Daddy.« Sie legte sich zwischen die Kissen und die albernen Tiere.
»Ich habe gehört, dass du dich selbst berührt hast.«
»Nein, Daddy.«
»Es ist nicht schön, seinen Daddy zu belügen. Ich muss dich bestrafen, aber dann werde ich die Stellen küssen, damit es wieder besser wird.« Als sie lächelte, trat er vor das Bett. »Heb deinen Rock hoch, kleines Mädchen, und zeig mir, wie du dich berührt hast.«
Diesen Teil des Spieles mochte Lola nicht. Sie mochte es, berührt zu werden, aber ihre eigenen Hände brachten ihr kein großes Vergnügen. Trotzdem zog sie folgsam ihren Rock hoch und begann, sich zu streicheln, wobei sie, wie er es sicher wollte, langsam und gespielt zögerlich zu Werke ging.
Die Bewegungen ihrer schmalen Finger erregten ihn tatsächlich. Schließlich waren Frauen genau dafür gemacht. Dafür, sich selbst und die Männer, die sie begehrten, schamlos zu benutzen.
»Wie fühlt sich das an?«
»Weich«, murmelte sie. »Berühr du mich auch, Daddy. Fühl, wie weich es ist.«
Er legte eine Hand auf ihre Finger und stellte zufrieden fest, dass er, während er einen Finger in sie gleiten ließ, hart wurde. Auf diese Weise wäre es für sie beide schnell vorbei.
»Knöpf dein Kleid auf«, wies er sie rüde an, während er sie, als sie den züchtigen Kragen nach unten klappte, weiter streichelte. »Und jetzt dreh dich um.«
Als sie tat wie ihr geheißen, schlug er mit der flachen Hand auf ihren ihm entgegengereckten kleinen Hintern, bis das milchig weiße Fleisch rötliche Striemen aufwies und sie wie erwartet zu wimmern begann.
Es war egal, ob er ihr wehtat oder nicht. Sie hatte sich an ihn verkauft.
»So ist’s recht.« Inzwischen begann sein Schwanz zu pochen, doch selbst als er sich auszog, tat er es mit sorgfältigen, präzisen Bewegungen. Dann setzte er sich nackt auf ihre Beine, schob seine Hände unter ihre Brüste und knetete daran herum. So jung, dachte er, und betastete mit einem wohligen Schauder das ach so frische Fleisch.
»Daddy wird dir zeigen, wie er brave Mädchen belohnt.«
Er wünschte sich, dass sie ihm einen bliese, doch das Risiko wäre zu groß. Das von ihr verwendete Verhütungsmittel würde sein Sperma in ihrer Scheide töten, nicht jedoch in ihrem Mund.
Stattdessen verlagerte er seine Hände unter ihre Hüften und strich beinahe zärtlich über das feste, junge Fleisch, bevor er sich in sie hineinschob.
Er gebärdete sich roher als erwartet, doch nach dem ersten gewaltsamen Stoß zwang er sich zur Zurückhaltung. Sie sollte nicht plötzlich vor Schmerzen schreien. Obgleich an einem Ort wie diesem sicher niemand davon auch nur Notiz nähme.
Trotzdem war sie auf eine geradezu charmante Weise unerfahren und naiv. Er verfiel in einen langsameren, sanfteren Rhythmus, der, wie er feststellte, auch sein eigenes Vergnügen in die Länge ziehen würde.
Sie bewegte sich nicht übel, passte sich seinen Stößen an, und wenn er sich nicht irrte, dann war nicht jedes Stöhnen und nicht jeder ihrer leisen Schreie simuliert. Er spürte, wie sie erst erstarrte und dann mit einem Mal erbebte, und freute sich, dass er es geschafft hatte, eine Hure zu einem echten Orgasmus zu bringen.
Dann machte er die Augen zu und kam.
Seufzend schmiegte sie sich in ihre Kissen. Es war gut gewesen, viel, viel besser als erwartet. Außerdem hoffte sie, in ihm vielleicht einen weiteren regelmäßigen Kunden gewonnen zu haben.
»War ich ein braves Mädchen, Daddy?«
»Ein sehr, sehr braves Mädchen. Aber wir sind noch nicht fertig. Dreh dich jetzt auf den Rücken.«
Als sie seinen Wunsch erfüllte, stand er auf und stellte sich hinter die Videokamera. »Gucken wir uns jetzt den Film an, Daddy?«
Er schüttelte den Kopf.
Gemäß ihrer Rolle zog sie einen Schmollmund. »Ich sehe aber gerne Filme. Wir können den Film gucken, und dann kannst du mir noch mal zeigen, wie man ein braves Mädchen ist.« In der Hoffnung auf einen Bonus lächelte sie beinahe zärtlich. »Dieses Mal könnte ich dich berühren. Ich würde dich gerne berühren.«
Ebenfalls lächelnd zog er die mit einem Schalldämpfer versehene SIG 210 aus der Tasche seines Mantels und sah, dass sie, als er auf sie zielte, verwundert blinzelte.
»Was ist das? Ist das ein neues Spielzeug?«
Zuerst schoss er ihr in den Kopf, wobei die Waffe, als es die junge Frau nach hinten warf, kaum mehr als ein leises Plop verursachte. Dann schoss er zwischen ihre jungen, festen Brüste und schließlich – während der Schalldämpfer bereits ausbrannte – in ihre glatten, nackten Genitalien.
Er stellte die Kamera aus und rückte sie, während sie ihn mit großen, überraschten Augen anstarrte, sorgfältig zwischen den blutgetränkten Kissen und den besudelten Stofftieren zurecht.
»Das war kein Leben für ein junges Mädchen«, erklärte er ihr leise, kehrte hinter die Kamera zurück und nahm die letzte Szene auf.