12

Kleine Ursachen, große Wirkungen – das klingt abgedroschen, trifft aber häufig zu. Wenn Helen am Freitag nicht ausgegangen wäre, um den Abend bei ihren Eltern in Farnleigh zu verbringen, wenn Kerr die Polizeistation nicht erst so spät verlassen hätte, daß es sich nicht mehr lohnte, mit dem Bus nach Farnleigh nachzukommen, und wenn Hanner nicht zufällig ganz in der Nähe der Busverbindung vom Revier zu Kerrs Wohnung gewohnt hätte … Doch Helen war nach Farnleigh gefahren, Kerr kam nicht vor zwanzig Uhr vierzig aus dem Revier, und zu Hanners Haus waren es von der Bushaltestelle vor der China-Imbißstube aus nur fünf Minuten zu laufen.

Die Frau, die die Haustür so weit öffnete, wie die Sicherheitskette es zuließ, sprach mit hoher, scharfer Stimme. »Wer sind Sie und was wünschen Sie?«

Das fängt ja gut an! dachte Kerr. Er stellte sich vor.

»Zeigen Sie mir Ihren Ausweis!«

Er reichte ihn ihr hinein. Nach einer Weile wurde die Tür zugemacht, und er hörte, wie sie die Kette löste. Dann wurde die Tür ganz geöffnet. Das Foto auf Hanners Schreibtisch war seiner Frau nicht gerecht geworden. In Wirklichkeit war sie doppelt so finster und knochig wie auf dem Bild: die verkörperte böse Stiefmutter.

»Es ist rücksichtslos von Ihnen, um diese Zeit vorbeizukommen«, belehrte sie ihn. »Mein Mann verbringt seine Abende gern ungestört.«

Und das kann er anscheinend nur, wenn er den Mund hält! dachte Kerr. »Kann ich ihn bitte sprechen?« fragte er.

»Um was geht es denn?«

»Ich habe ihm ein paar Fragen zu stellen.«

»Was für Fragen?«

»Ich glaube, das kläre ich am besten mit ihm selber.«

Sie musterte ihn mit unverhohlener Abneigung, dann führte sie ihn widerstrebend ins Wohnzimmer. Das Feuer im Kamin brannte ruhig, ohne zu rauchen. Der Fernseher lief. Die Einrichtung war nicht besonders luxuriös, aber gemütlich, und jedes Stück wirkte, als stünde es genau an dem einzig richtigen Platz. Hanner erhob sich; sein Gesichtsausdruck wechselte von Überraschung zu Unbehagen.

»Entschuldigen Sie, daß ich zu so später Stunde bei Ihnen vorbeikomme«, sagte Kerr, ohne sich durch den frostigen Empfang seine Unbefangenheit nehmen zu lassen. »Aber bis jetzt fehlte uns einfach die Zeit für ein Gespräch mit Ihnen; die Arbeit wächst uns buchstäblich über den Kopf.«

»Ich habe Mr. Kerr bereits erklärt, daß er höchst ungelegen kommt. Aber er bestand darauf, mit dir zu sprechen«, erklärte Mrs. Hanner.

Ihr Mann blickte Kerr an, dann seine Frau, dann wieder Kerr; dabei fiel ihm plötzlich auf, daß Kerr noch stand. »Bitte nehmen Sie doch Platz. Kommen Sie hier herüber, wo es warm ist.« Er machte einen Schritt vorwärts und stieß prompt einen kleinen Beistelltisch um, konnte ihn aber gerade noch auffangen. Verwirrt räusperte er sich und sagte: »Wissen Sie, ich habe wirklich nichts weiter zu sagen.«

»Worüber zu sagen?« fragte seine Frau.

»Über den Bankraub, meine Liebe.« Er drehte sich um und sah Kerr an. »Deshalb sind Sie doch gekommen, nicht wahr?«

Kerr lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Ja, unter anderem.«

»Unter anderem? Was könnte denn noch … Sehen Sie, ich habe diese Pläne weder in den Händen gehabt, noch mit Betriebsfremden über sie gesprochen. Selbst Edith weiß nicht, wo sie aufbewahrt werden – ja, sie weiß nicht einmal, daß es sie gibt.«

»Das wäre ja noch schöner!« sagte sie gereizt. »Steven hat seine Pflichten immer sehr genau genommen.«

Glückliches England! dachte Kerr. Laut sagte er: »Irgend jemand hat diejenigen, die das Verbrechen verübten, entsprechend informiert.«

»Ich war es nicht.«

»Aber Sie ahnen vielleicht, wer es gewesen sein könnte?«

»Um Himmels willen, nein! Wenn es so wäre, hätte ich längst darüber gesprochen. Als die Polizei damals ihre Verdachtsmomente dargelegt hatte, wollte der Direktor von mir wissen, ob einer unserer Angestellten einen Verdacht haben könnte. Daraufhin unterhielt ich mich mit mehreren Leuten, die unser volles Vertrauen genießen, und keiner von ihnen äußerte auch nur andeutungsweise einen Verdacht gegenüber einem unserer Mitarbeiter. Sie sehen also ..«

»Was, bitte?«

»Nun, daß ich Ihnen tatsächlich nicht weiterhelfen kann.«

»Das ist nicht unbedingt eine logische Schlußfolgerung, oder?«

»Aber … Wenn ich doch nichts weiß … Ich meine, was …« Seine Frau unterbrach sein Gestotter. »Wenn mein Mann sagt, daß er Ihnen nicht helfen kann, dann muß Ihnen das genügen.« Ihr eisiger Blick schien Kerr zu bedeuten, daß er es ja nicht wagen solle, diesen Punkt noch weiter zu verfolgen.

Was macht Hanner bloß so zu schaffen? überlegte Kerr. Bis jetzt hatte er aber keine Idee, was es sein könnte.

»Das wär’s dann wohl«, sagte Hanner und versuchte, seiner Stimme Nachdruck zu verleihen.

»Also wissen Sie …« Kerr ließ den Rest des Satzes in der Luft hängen.

»Das wird ja geradezu grotesk!« sagte Mrs. Hanner scharf.

Kerr sah sie eindringlich an. »Ich fürchte, wir müssen jetzt etwas sehr Vertrauliches miteinander besprechen.«

»Ich verstehe nicht, was Sie damit sagen wollen.«

»Wie Sie vorhin ganz richtig bemerkten, gibt es Geschäftsgeheimnisse, die selbst der eigenen Frau gegenüber gewahrt werden müssen. Würden Sie uns also bitte alleinlassen?«

»Was sagen Sie da?«

»Ich bitte Sie, das Zimmer zu verlassen.«

Sie rührte sich nicht; Kerr stand auf, ging zur Tür und öffnete sie. Lächelnd blickte er ihr hinterher, als sie, anscheinend höchst verwundert darüber, wie sich diese Angelegenheit ihrer Kontrolle hatte entziehen können, den Raum verließ.

Kerr ging zu seinem Stuhl zurück, zog den Regenmantel aus und legte ihn sich ordentlich gefaltet auf den Schoß, wie um deutlich zu machen, daß er gewillt war, so lange wie nötig zu bleiben. Er holte eine Schachtel Zigaretten hervor und hielt sie Hanner hin, der sich nach kurzem Zögern bediente.

Kerr lehnte sich in seinem Stuhl zurück; ihm war gerade einer von Sergeant Braddons Lieblingssprüchen eingefallen: Manchmal sagt Schweigen mehr als ein ganzer Schwall von Worten. »Sie … Sie sagten, Sie hätten noch etwas mit mir zu besprechen?« begann Hanner mit heiserer Stimme.

Kerr nickte.

»Nichts … Nichts von dem, was ich Ihnen sagen kann, hat auch nur das Geringste mit dem Bankraub zu tun, das kann ich beschwören.«

»Das zu beurteilen, sollten Sie wohl besser uns überlassen.«

»Aber ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß es nichts zu tun hat mit …«

»Ich persönlich will Ihnen ja gerne glauben, aber meine Vorgesetzten sind sehr mißtrauisch …«

»Mein Gott!« murmelte Hanner.

Kerr sagte in leichtem Plauderton: »Reden Sie schon, Mann. Dann haben Sie es hinter sich. Und hinterher sieht alles gleich ganz anders aus.«

Hanners Stimme sank zu einem Flüstern herab. »Wenn Edith es jemals erführe …«

»Warum sollte sie? Wenn überhaupt, braucht sie doch nur soviel zu erfahren, daß wir uns über einen Verdacht unterhalten haben, den Sie in bezug auf den Bankraub hegen, worüber Sie aber bisher noch zu niemandem zu sprechen wagten, weil die Sache möglicherweise zu viel Sprengstoff enthält.«

Hanner zog an seiner Zigarette, setzte zum Sprechen an, zögerte und zog wieder an der Zigarette. Einige Minuten verstrichen; sein Gesicht spiegelte den Aufruhr in seinem Innern wider. Plötzlich holte er tief Luft, wie jemand, der eine schwere und gefährliche Arbeit in Angriff nimmt, und sagte heiser: »Es passiert ja nur ab und zu. Und dann auch nur deshalb, weil …« Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und sah zur Tür. »Sie wird nie verstehen, daß ein Mann das manchmal einfach braucht.« Armes Schwein! dachte Kerr mitfühlend. Mit seinen nächsten Worten versuchte er, es Hanner leichter zu machen: »Wie heißt sie denn?«

Hanner brauchte drei Anläufe, um zu antworten. »Peggy.«

»Ist sie nett?«

Die Frage brachte Hanner völlig aus der Fassung. »Aber begreifen Sie denn nicht – sie ist eine Hure!«

»Aber ja doch. Ich habe eine Menge Huren kennengelernt, und es waren sehr nette Mädchen darunter. Nur ist es natürlich Humbug, daß sie alle ein Herz aus Gold haben. Ihr Herz sitzt nun mal im Portemonnaie. Ist Peggy sehr kostspielig?«

Hanner fühlte, wie Kerr ihm plötzlich unsympathisch wurde. Er hatte sich immer eingebildet, seine Beziehung zu Peggy sei mehr als nur ein zwielichtiges Geschäft, und nun hatte ihn Kerr dieser Selbsttäuschung beraubt.

»Wieviel nimmt sie?«

»Zehn Pfund«, sagte er leise und verdrossen.

»Und wie oft gehen Sie zu ihr?«

»Nicht sehr oft.«

»Was heißt das? Zweimal die Woche?«

»Etwa … Etwa zweimal im Monat.«

»Und immer zu ihr?«

»Ja.«

»Wo arbeitet sie?«

»In einem Haus in der Roehampton Road.«

»Welche Nummer?«

»Sie wollen doch nicht etwa hingehen? Ich habe nichts verbrochen … Ich werde nicht …« Er merkte, daß er in seiner Aufregung zu laut geworden war, und blickte angstvoll und schuldbewußt zur Tür.

»Ich muß Ihre Aussage überprüfen. Sollte sich herausstellen, daß sich alles so verhält, wie Sie sagen, mache ich kehrt und vergesse das Ganze.«

»Es … Es wird doch nicht in die Zeitung kommen?«

Nur mit Mühe unterdrückte Kerr seine Belustigung, daß Hanner naiverweise annahm, der Besuch eines Bankdirektors bei einer Prostituierten könne etwas Neues sein. »Machen Sie sich darüber keine Gedanken.«

»Und was ist mit meiner Frau?«

»Sie wird nicht das Geringste von mir erfahren.«

Hanner atmete erleichtert auf. Merkwürdigerweise stieg auch wieder der Ärger in ihm hoch, daß Kerr jetzt nicht nur sein Geheimnis teilte, sondern ihm auch seine diesbezüglichen Illusionen geraubt hatte.

Kerr erhob sich. »Gleich sind Sie mich los – eine Frage nur noch, bevor ich gehe: Wie war doch die Hausnummer in der Roehampton Road?«

»Vierzehn.«

Als Kerr, gefolgt von Hanner, die Haustür erreichte, kam Mrs. Hanner aus der Küche in den Vorraum. »Haben Sie Ihre Vertraulichkeiten beendet?« fragte sie feindselig.

»Ja, wir sind fertig«, antwortete Kerr. »Ich bedaure, daß ich Sie bitten mußte, das Zimmer zu verlassen. Doch Sie werden verstehen, daß es bei einer Bank Dinge gibt, die äußerst delikat sind … Oder anders gesagt, von denen ein Laie nichts erfahren darf.«

Sie nickte reserviert.

Kerr verließ das Haus. Komisch, sich öfter wegschleichen zu müssen, bloß weil man mit der eigenen Frau nicht schlafen kann … Wie um alles in der Welt kam ein Mann dazu, so eine Frau zu heiraten?

 

Der Samstagmorgen brachte starken Wind und dicke schwarze Wolken, die einen tüchtigen Regen versprachen. Es war nicht ausgesprochen kalt, doch die Feuchtigkeit ließ einen frieren.

Menton, der am Vorabend in Fortrow eingetroffen war, saß in Fusils Büro, und Fusil hatte in Campsons Zimmer umziehen müssen. Da er jemand war, der seine vertraute Umgebung brauchte, um arbeiten zu können, fühlte er sich durch den Wechsel nervös und unbehaglich.

Kerr erschien sieben Minuten nach acht zum Rapport. »Sie kommen zu spät«, schnauzte Fusil.

Kerr fühlte sich gekränkt; für seine Verhältnisse war er pünktlich. »Der Bus blieb stecken, Sir, wegen Straßenarbeiten.« Seine Entschuldigung fand jedoch keinen Anklang.

»Nun? Was gibt’s?« fragte Fusil.

»Ich habe Hanner gestern abend in die Zange genommen. Was ihm so zu schaffen machte, sind seine regelmäßigen Besuche bei einer Prostituierten und die entsetzliche Angst, seine Frau könnte es herausbekommen.«

»Was muß er dafür zahlen?«

»Er sagt, zehn Pfund jedesmal.«

»Und das stimmt?«

»Das habe ich noch nicht überprüft.«

»Und warum nicht?«

»Ich hatte noch keine Zeit …«

»Die hätten Sie zur Genüge, wenn Sie sich endlich angewöhnen könnten, nicht erst dann mit der Arbeit anzufangen, wenn der halbe Vormittag vorbei ist. Stellen Sie also fest, wieviel er ihr tatsächlich gezahlt hat.«

Kerr verließ den Raum.

Fusil stieß seinen Stuhl zurück. Wieder eine Ehe, in der es nicht stimmte. Manchmal hatte er fast den Eindruck, als gäbe es überhaupt keine Beziehung mehr zwischen den Menschen. In solchen Augenblicken gab ihm nur der Gedanke an die eigene, wirklich glückliche Ehe sein inneres Gleichgewicht wieder.

Er nahm sich die neueste Ausgabe des Daily Express vor, die er sich mitgebracht hatte. »Stadt im Würgegriff neuer Lösegeldforderungen!« Er ließ das Blatt sinken. Zeitungsberichte waren gewöhnlich ein zweischneidiges Schwert: Diesmal konnten sie helfen, aber bestimmt würden sie auch schrecklich verletzend sein …

Es klopfte; ein Constable trat ein und reichte ihm ein Memorandum von Menton. Es war die Ankündigung einer für zehn Uhr angesetzten Konferenz im Büro des Chiefsuperintendent; zur Teilnahme aufgefordert wurden der Chiefsuperintendent, Bezirkssuperintendent, Kriminalinspektor und Bezirksinspektor. Anschließend um elf Uhr war eine Pressekonferenz vorgesehen, an der der Chiefsuperintendent und der Kriminalinspektor teilzunehmen hätten.

Diese verfluchten Memos! Jetzt, wo Menton die Leitung hatte, würden sie in ganzen Stößen auf den Schreibtischen landen. Aber so ein Fall wurde nicht mit Papierwischen gelöst, sondern dadurch, daß man sich die Hacken ablief, daß man alle möglichen Leute unter Druck setzte und Fragen über Fragen stellte … Aber sie liefen sich doch schon alle die Hacken ab! Jeder aktenkundige Brandstifter im ganzen Land wurde in die Zange genommen, dazu all diejenigen, von denen man annahm, sie hätten das Zeug zu so einem Unternehmen; und Polizeispitzel fragten sich den Mund fusselig …

Hatten sie etwas übersehen? Herrgott nochmal, es hatte schon zwei Brände gegeben! Irgendwo mußte doch eine Spur zu finden sein! Ein Heuschober war niedergebrannt: Niemand hatte den Brandstifter bemerkt, noch war ein Fremder in der Nachbarschaft gesehen oder irgendwo ein falsch geparktes Auto aufgeschrieben worden. Eine Garage war ausgebrannt: Eine alte Dame hatte zwei Männer beobachtet, die sie nicht beschreiben konnte und ein Auto gesehen, aber keine Ahnung, um welche Marke es sich handeln oder wie das Kennzeichen gelautet haben könnte. Ausgelöst hatte das zweite Feuer wahrscheinlich eine Brandbombe aus Schwefelsäure, Kaliumchlorat und Puderzucker: Chemikalien, deren Kauf wohl kaum interessant genug war, um sich später daran zu erinnern …

 

Überall im Land verhörten Kriminalbeamte, einzeln oder zu mehreren, die Männer, die anhand ihrer Strafregisternummern vom Computer aus den Karteien herausgesucht worden waren. Sie galten in Verbrecherkreisen als die Großen: Männer, die bewiesen hatten, daß sie den großen Coup organisieren und ausführen konnten.

Allsopp wurde von zwei Kriminalbeamten verhört. Der Sergeant war ein gut gekleideter, adretter Mann, während der Constable, ein ungelenker Hüne, so aussah, als stecke er schon seit Wochen in ein und demselben Anzug.

»An Ihnen sind wir doch immer interessiert«, sagte der Sergeant.

Allsopp lächelte ihnen zu; sie saßen im Wohnzimmer seines Hauses. »Sie wollten sichergehen, daß ich nicht in irgendeine krumme Sache verwickelt bin?«

»Sie nehmen mir das Wort aus dem Mund!«

»Nun, dann sollen Sie wieder ruhig schlafen können, mein Freund: Ich habe viel zu tun, bin gesund, und nächste Woche feiere ich meinen vierunddreißigsten Geburtstag.«

»Wie wär’s, wenn Sie uns zu der Party einlüden?«

»Sie sind stets von Herzen willkommen, das wissen Sie doch.«

»Wie reizend von Ihnen.« Der Sergeant sprach jetzt schärfer: »Waren Sie in letzter Zeit mal wieder beschäftigt?«

»Ich habe immer Beschäftigung. Ich arbeite mit meinem Schwager zusammen, der schmiedeeiserne Gitter für Vorstadtgeschäfte herstellt. Äußerst lukrativ, aber ich für mein Teil möchte das Zeug nicht geschenkt haben!«

»Freut mich zu hören, daß Sie ein Mann mit Geschmack sind. Sagen Sie, waren Sie letzthin mal unten in Fortrow?«

»Da bin ich tatsächlich gewesen! Meine Janey und ich sind vor ein paar Wochen mal hingefahren, Freunde besuchen. Komische Leute, übrigens – machten ganz den Eindruck, als seien wir nicht sehr willkommen.«

»Das muß aber ein ganz neues Gefühl für Sie gewesen sein.«

»Stimmt, Freunde, so war es.«

»Und waren Sie später nochmal dort?«

»Es gab keinen Grund, nochmal hinzufahren, so wie die sich benommen hatten.«

»Und wo waren Sie in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch?«

»Wo ich war? Hier natürlich; habe mit Janey zusammen ferngesehen.«

»Und Donnerstag nacht?«

»Das gleiche. Ich bin häuslich geworden; ein knisterndes Feuerchen, die Mattscheibe und Janey, und ich bin zufrieden.«

»Sie sind ein besserer Lügner geworden, besser als je zuvor. Sie wurden am letzten Donnerstag in Fortrow gesehen.«

»Das muß jemand gewesen sein, der genauso gut wie ich aussieht.« Allsopp lachte vergnügt. »Was es doch für Zufälle gibt! Stellen Sie sich vor, da hat doch tatsächlich einer meiner Bekannten ebenfalls zu hören gekriegt, er sei vor zwei Tagen in Fortrow gesehen worden – dabei war der seit Jahren nicht mal in der Nähe dieser Stadt … Was ist eigentlich los, Freunde – habt ihr Ärger und wißt nicht, wer schuld ist, also versucht ihr’s erst mal bei jedem?«

»Schon möglich«, gab der Sergeant ungerührt zu. So leicht war er nicht aus der Fassung zu bringen.

Menton hatte das Zeug zu einem guten PR-Mann. Er stellte sich den beiden Fernsehteams und den vielen Reportern und sprach so gekonnt, daß sich seine abgedroschenen Phrasen und nichtssagenden Redensarten anhörten, als zöge er jeden einzelnen ins Vertrauen – eine Darbietung, die von den Journalisten zwar bewundert, aber nicht widerspruchslos hingenommen wurde. »Hat denn die Polizei tatsächlich irgendwelche Fortschritte in diesem Fall gemacht?« fragte eine Frau mit ingwerfarbenen Haaren, die aussah, als sei die Frauenbewegung ihre Erfindung.

»Lassen Sie mich dazu folgendes sagen: Unbemerkt von der Öffentlichkeit – und ich unterstreiche das! – kommen wir gut voran. Vergessen Sie nicht, es gab bereits zwei Feuer und drei Erpresserbriefe. Nun, Sie alle wissen, daß noch nie ein Verbrechen begangen wurde, bei dem keine Spuren hinterlassen worden wären. Manchmal sind es ganz eindeutige und leicht zu lesende Spuren, manchmal aber sind sie schwer zu deuten und rufen geradezu nach einem Team erfahrener Fachleute. In dieser Hinsicht haben wir wirklich Glück – ein großer Teil der Experten unseres Landes arbeitet für uns.«

»Und was haben die herausgefunden?« fragte ein Mann mit ungewöhnlich langen schwarzen Haaren.

Menton lächelte. »Sie können wohl kaum verlangen, daß ich hier spezifiziere. Bei einer derart gelagerten Untersuchung dürfen wir einfach nicht mit offenen Karten spielen.« Er machte eine Pause und senkte die Stimme. »Wenn ich’s mir recht überlege, habe ich eben meine Worte nicht sehr glücklich gewählt, weil sie – aus dem Zusammenhang gerissen – den Eindruck erwecken könnten, als würden wir dem Fall nicht den erforderlichen Ernst beimessen. Lassen Sie mich Ihnen versichern, daß wir unsere Aufgabe sehr, sehr ernst nehmen. Wir haben bereits fünfunddreißig Leute von anderen Abteilungen abgezogen, und weitere zwanzig werden morgen hinzukommen.«

»Nehmen wir einmal an, Sie können die Verbrecherbande nicht identifizieren – wird dann das Lösegeld gezahlt werden?« fragte einer der Fernsehleute.

»Als blutjunger Constable habe ich einmal meinen Inspektor gefragt: ›Angenommen, es passiert das und das …‹ Na, der hat es mir aber gegeben. ›Angenommen‹, sagte er, ›Sie erledigen die Ihnen aufgetragene Arbeit gut und gewissenhaft, dann ist nicht anzunehmen, daß Sie weitere Fragen nach weiteren Eventualitäten stellen müssen … ‹ Also, junger Mann, um Ihre Frage zu beantworten: Ich werde diese Möglichkeit gar nicht erst annehmen, weil sie gar nicht erst eintreten wird.«

Es war eine bühnenreife Darbietung.