20. KAPITEL

Wieder war er an einen anderen Ort gebracht worden. Anfangs hatte er es für einen Traum gehalten, doch als Malachi aufwachte, befand er sich noch immer in derselben Umgebung wie am Abend zuvor. Die kahlen Wände mit den schwarzen Rußflecken und der zerlumpte Baldachin über ihm sahen genauso aus, wie sie es getan hatten, als er hierher gebracht worden war. In der Mitte des Raumes stand ein Kamin unter einem riesigen viereckigen Metallgebilde, das bis zur Decke reichte und irgendwo in die Dunkelheit führte. Der Rauch des Feuers zog durch diesen Schornstein nach oben, aber nicht vollständig. Was sich davon im Zimmer verteilte, machte die Luft drückend und stickig.

Die Dinge um ihn herum waren noch die gleichen wie gestern, aber nicht seine Empfindungen. Er hatte beinahe gar keine Schmerzen mehr. Die Schwellung seines Auges war abgeklungen. Wenn er sich zu schnell bewegte oder zu tief einatmete, spürte er hier und da einen kurzen Stich, davon abgesehen jedoch hatte sich seine Verfassung über Nacht wie von Zauberhand erstaunlich gebessert.

Vorausgesetzt, es war nur eine Nacht gewesen. Den Großteil der Zeit hatte er mehr oder weniger schlafend verbracht, wenige Male war er von einem monotonen Summen aus seinem Dämmerzustand geweckt worden, das gleichzeitig aus Stimmen und Farben zu bestehen schien, und dann hatte ihn dasselbe unwirkliche Geräusch wieder in den Schlaf gelullt.

An einer Seite des Kamins bewegte sich etwas, ein Schatten. Langsam richtete die schlanke Gestalt sich auf, und das Licht des Feuers schimmerte durch ihre leichte Robe. Zuerst flößte sie ihm Furcht ein, doch dann erkannte er sie. Die Heilerin, zu der Keller ihn gebracht hatte.

„Das waren die Elfenheiler“, sagte sie, mit diesem ihr eigenen wissenden Unterton, als könne sie Malachis Gedanken lesen, so wie es Keller gekonnt hatte. „Sie heilen durch Gesänge. Für dich haben sie ein ziemlich großes Konzert geben müssen, um dich wieder hinzubekommen.“

Sie setzte sich zu ihm auf die Bettkante und strich mit ihren faltigen Händen seine Decke glatt. „Du musst durstig sein.“

Malachi nickte, und sie griff, irgendwo außerhalb seines Sichtfeldes, nach einem Becher mit Wasser. Als er sich aufsetzte, tat ihm plötzlich jeder einzelne Muskel weh, und die Heilerin fasste unter seine Schultern, um ihm zu helfen. Sie war überraschend stark und doch vorsichtig.

Nachdem er ausgetrunken hatte, fragte er, vor Anstrengung schwer atmend: „Wo bin ich?“

Die alte Frau stellte den Becher beiseite und drückte Malachi sanft in die Kissen zurück. „Du bist noch immer in der Lightworld. In einer Kammer in den Privatgemächern der Königin.“

„Der Königin?“ Irgendetwas regte sich in seinem Gedächtnis, aber er war zu müde, um es festzuhalten, so müde.

Die Heilerin nickte und schob ihm mütterlich eine Haarsträhne aus der Stirn, leise einen bestätigendes „M-hm“ murmelnd. „Sie war hier, weißt du. In der Nacht.“

Er erinnerte sich daran, im Nebel seiner Qual eine Erscheinung gesehen zu haben, die aussah wie Ayla, aber viel zu elegant war, um wirklich sie zu sein. Gepflegt und strahlend, wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Sie hatte ausgesehen wie eine Elfe. Es konnte nicht Ayla gewesen sein.

„Sie war es“, sagte die Frau. „Sie hat große Mühen auf sich genommen, um bei dir sein zu können. Diese Welt verängstigt und verwirrt sie ebenso sehr wie dich.“

„Sie ist Königin?“ Er schloss die Augen und versuchte sich zu erinnern. „Ich glaube, ich weiß etwas darüber, aber alles, was war, bevor ich hierherkam, ist so verschwommen.“

„Es war ein Test“, erklärte die Heilerin. Auf eine merkwürdige Weise gelang es ihr, ihre Worte mitfühlend klingen zu lassen, aber ohne, dass es sich anhörte, als würde sie ihn bedauern. „Du wirst weitere Prüfungen bestehen müssen, wenn du dich für das Schicksal entscheidest, das dich an ihrer Seite bleiben lässt.“

„Ich glaube nicht an Schicksal. Ich glaube an den freien Willen.“ Er zuckte zusammen und rückte seine Flügel zurecht. „Wenn so etwas wie Schicksal existiert, würde das bedeuten, dass Gott seinen Geschöpfen ihren freien Willen genommen hätte.“

„Ja, einem Angehörigen deiner Art muss das Konzept der Vorbestimmung vollkommen widernatürlich erscheinen.“ Sie lachte leise, als wüsste sie alles, was es über seine Art zu wissen gab. „Aber es gibt nicht nur ein Schicksal für jeden einzelnen, sondern viele. Und wir wählen sie selbst, durch unser Handeln und unsere Taten, nicht durch irgendein Zufallsprinzip des Universums. Und eines von deinen liegt nun vor dir. Hier. Doch du wirst stark sein müssen, wenn du dich dafür entscheidest.“

Er öffnete den Mund, um zu widersprechen. Er war verletzt und hatte noch immer Schmerzen. Seit er ein Sterblicher geworden war, hatte er nichts als Leid erduldet, und sie sagte ihm, er solle noch mehr ertragen?

Ihr mildes Lächeln hielt ihn zurück. Ja, er hatte in seiner Zeit als Sterblicher große Qualen durchlitten, aber auch eine andere Form von Schmerz kennengelernt, die Sehnsucht nach einem anderen Wesen, von dem getrennt zu sein für ihn das Schlimmste war, das er sich vorstellen konnte, selbst dann noch, als er bereits seinem eigenen Tod ins Auge blickte. Er hatte ihre Wärme gespürt, die Stiche der Unsicherheit in seinem Herzen, während sie in seinen Armen geschlafen und er sich darum gesorgt hatte, dass er eines Tages vielleicht nicht in der Lage sein mochte, sie zu beschützen, und sie ihm genommen wurde.

Wie konnte diese Heilerin andere Schicksale für ihn sehen, ohne Ayla? Das wäre unmöglich, denn ohne sie könnte er nicht existieren.

Die Heilerin nickte und stand auf. „Du bist stark. Jetzt musst du für Ayla stark sein. Und dein Kind.“

„Kind?“ Diese Nachricht durchfuhr ihn wie das spektrale Schwert, mit der ihm die Flügel abgetrennt worden waren. „Mein Kind?“

Sie gab ihm keine Antwort. Mit einem weiteren Nicken ging sie an der Feuerstelle vorbei und dann durch eine Tür, die sich in ein plötzlich auftauchendes helles Licht in der Dunkelheit verwandelte.

Er ließ den Kopf wieder aufs Kissen sinken, sich irgendwie unwohl fühlend in diesem Raum, der gleichzeitig ein Gefängnis und ein behaglicher Unterschlupf zu sein schien. Was konnte sie damit nur gemeint haben? Sein Kind? Das menschliche Paarungsritual war ihm auch schon ein Begriff gewesen, bevor er mit Ayla erlebt hatte, wie es sich anfühlte. Er wusste auch, dass es sich dabei um die Methode der Menschen handelte, weitere Menschen zu kreieren. Aber Ayla war eine Elfe. Könnte es trotzdem möglich sein, dass ihre Vereinigung ein neues Leben hervorbrächte?

Die Tür wurde erneut geöffnet, und er setzte sich auf, entschlossen, Antworten von der Heilerin zu fordern. Doch als die schmale Gestalt sich dem Kamin näherte, konnte Malachi etwas Orangefarbenes aufblitzen sehen, das nichts mit dem Feuer zu tun hatte, sondern zu ihrem Körper gehörte, und sein Atem stockte.

Ayla kam langsam auf ihn zu, mit jedem ihrer Schritte konnte er sie in der Dunkelheit zwischen ihnen klarer erkennen. Ihr Haar war offen, lose über ihre Schultern und Arme herabhängend, vor dem Hintergrund ihrer hellen Haut und der zarten weißen Robe, die sie trug, umso leuchtender erscheinend. Ihre Fühler glühten in einem nervösen Hellblau, und die Juwelen an ihrem Hals reflektierten das Flackern des Feuers und streuten das Licht in alle Richtungen.

Ayla sah vollkommen anders aus, als Malachi sie in Erinnerung hatte.

„Geht es dir … besser?“ Sie bemühte sich, möglichst deutlich zu sprechen. Dicht vor seinem Bett blieb sie stehen.

Er nickte und wollte ihr sagen, dass mit ihm alles in Ordnung war, doch alles, was er herausbrachte, war: „Du bekommst ein Kind?“

Sie riss erschrocken die Augen auf und flüsterte etwas in ihrer eigenen Sprache. Dann, abermals jedes Wort sorgfältig formend, antwortete sie: „Das tue ich.“

Sie streckte die Hand nach seiner aus, doch er zog sie weg. Er wusste selbst nicht, warum, und als er sie wieder zurückbewegte, griff Ayla danach und legte sie auf ihren Bauch.

Da gab es nichts zu fühlen, keinen Beweis für ihn außer der Geste selbst. Es war Beweis genug.

Langsam ließ er die Hand wieder auf seine Decke sinken.

„Dir geht es besser?“, wiederholte sie ernst ihre vorherige Frage, in ihren Augen glitzerten Tränen im Feuerschein.

So verwirrt er selbst sich auch fühlen mochte, es war kein Grund, ihre Besorgnis unnötig weiter in die Länge zu ziehen. „Ja. Sie hatten die Heiler geschickt.“

Ayla nickte. „Ich habe sie gesehen. Ich war …“ Sie deutete zum Kamin. „Die ganze Nacht. Du warst bewusstlos.“

„Eine von ihnen hat mir von dem Kind erzählt.“ Er sah nach unten, wo ihre Hände noch immer auf ihrem Bauch lagen.

Sie schüttelte den Kopf. „Das kann nicht sein. Niemand weiß davon.“

„Sie wusste es“, beharrte Malachi. „Die Menschenheilerin.“

„Aber es war kein Mensch bei dir“, sagte sie mit einem ungläubigen Lachen. „Die werden in der Lightworld nicht geduldet.“

Das unbestimmte Gefühl, dass es sich hier um ein Missverständnis zwischen ihnen handeln musste, wurde von einem anderen verdrängt, das ihn auf einmal wütend werden ließ. „Bin ich deshalb hier, in diesem Verlies?“

„Es ist eine Kammer in meinen privaten Räumen.“ Sein Tonfall schien sie getroffen zu haben. „Weil ich eben nicht wollte, dass du im Kerker bleibst.“

„Du wusstest, dass ich dort war?“ Er packte sie an den Armen und riss sie zu sich nach vorn. „Wusstest du auch, was sie da mit mir gemacht haben?“

Sie schüttelte wild den Kopf, die Augen geweitet vor … Angst? Noch nie zuvor hatte sie ihn gefürchtet. Es war gleichzeitig ebenso seltsam befriedigend wie schrecklich. Er wollte nicht, dass sie Angst vor ihm hatte.

„Ich war eine Gefangene, genauso wie du.“ Sie befreite sich aus seinem Griff, ihre Brust hob und senkte sich unter ihren heftigen Atemzügen, Tränen rollten ihre Wangen hinunter. „Ich hätte sie dir niemals …“

„Gefangene? Du bist Königin.“ Wie konnte sie behaupten, sie hätte nichts davon gewusst? „Es hat dich nicht gekümmert!“

„Was?“ Sie fiel auf die Knie, die Hände in die Matratze gekrallt. „Ich habe versucht, dich zu finden! Ich war …“

Ihre Worte verschwammen und gingen in ihre eigene Sprache über, die in ihrem Kummer dem Geräusch eines traurigen Windes ähnelte, der über eine trostlose Landschaft hinwegzog.

Malachi beugte sich zu ihr hinunter. Sie ließ es ohne Gegenwehr zu, dass er sie hochhob und zu sich aufs Bett setzte. Sein geschwächter, sterblicher Körper reagierte auf diese Anstrengung alles andere als begeistert, aber er wollte sie halten, sie ganz nah bei sich haben, in der Hoffnung, sie würde seine Reue spüren, sodass er sie nicht in Worte fassen musste.

„Du bist müde. Du hast die ganze Nacht an meiner Seite gewacht.“ Ihr Haar fühlte sich ungewohnt weich an seiner Wange an und duftete angenehm nach irgendetwas Frischem, das er nicht näher benennen konnte. „Weine nicht.“

Es dauerte eine Weile, aber schließlich beruhigte sie sich und wischte sich mit den Ärmeln über die Augen. „Ich wollte dich nicht alleinlassen.“

„Ich bin froh, dass du es nicht getan hast.“ Er drückte sie fest an sich.

Sie drehte sich ein wenig in seinen Armen, um ihm ins Gesicht sehen zu können. „Ich bin Königin, das stimmt. Aber mein Anspruch auf den Thron ist noch nicht offiziell legitimiert worden, und Garret wird auch weiterhin alles tun, um das zu verhindern.“

Was sie da sagte, ergab keinen Sinn für ihn, aber was machte das schon. Sie war bei ihm, endlich, auch wenn sie sich verändert hatte, irgendwie gebrochen zu sein schien, seit er sie das letzte Mal im Arm gehalten hatte.

Sie blieb viele Stunden bei ihm, und nachdem das Feuer bereits lange erloschen war, lagen sie eng aneinandergekuschelt in der Kälte, nicht schlafend, aber auch nicht sprechend. Sie schien so zufrieden und entspannt, also blieb er einfach unbeweglich liegen, um sie nicht zu stören, selbst als sein Nacken steif wurde und seine Arme anfingen, wehzutun.

Besser, sie taten davon weh, Ayla festzuhalten, als dass sie vor Sehnsucht nach ihr schmerzten.

Als am nächsten Morgen die Heiler eintrafen, ließ sie Malachi nur widerstrebend mit ihnen allein. „Ich muss etwas erledigen. Dir wird nichts geschehen“, versicherte Ayla ihm. „Ich bin bald wieder zurück.“

In Wahrheit war sie nicht nur wegen ihrer Verpflichtungen gegangen, sondern auch, weil sie befürchtete, sie würde Malachi sonst alles erzählen. Alles, was sich in diesen wenigen Tagen ereignet hatte und was noch bevorstünde. Je weniger er wusste, desto sicherer wäre er, zumindest hoffte sie das.

Cedric erwartete sie bereits in ihrem privaten Konferenzraum, wo sich das Konzil versammelt hatte. Garret allerdings war nicht anwesend, wie sie mit Erleichterung feststellte. Hatte er ihnen womöglich schon von Malachi erzählt und dass sie ihn eigenmächtig an einen geheimen Ort hatte bringen lassen und ihn dort versteckt hielt?

Obwohl Cedric den größten Teil der Nacht, in der die Heiler sich um Malachi gekümmert hatten, mit Ayla wach geblieben war und sie beruhigt hatte, schien er den Schlafmangel inzwischen wettgemacht zu haben. Er lächelte ihr zu, als sie eintrat, und begrüßte sie mit einer respektvollen Verbeugung, aber irgendetwas an seinem Verhalten war merkwürdig.

„Gut, nun, da wir vollzählig sind … Es gibt Neuigkeiten.“

Sie versuchte gelassen zu klingen, als sie fragte: „Was hat Garret sich jetzt wieder ausgedacht?“

Der dürre Elf, der sich bei ihrem ersten Treffen auf Garrets Seite geschlagen hatte, machte ein missbilligendes Geräusch. Sie warf ihm einen warnenden Blick zu und fuhr fort: „Raus damit, was ist es?“

Cedric trat zu ihr und reichte ihr ein Stück zusammengerolltes Papier, das aussah wie Pergament. „Der königliche Gefährte hat heute diese Nachricht überbringen lassen.“

Sie machte keine Anstalten, die Schriftrolle entgegenzunehmen. „Ich berühre nichts, das durch seine Hände gegangen ist. Was steht darin?“

Zwei der Konzilmitglieder tauschten wissende Blicke aus, und Ayla richtete sich selbstbewusst in ihrem Stuhl auf.

„Er hat den Palast verlassen, um sich bis auf Weiteres zu den Trollen ins Exil zurückzuziehen. Und er nimmt eine gewisse Zahl Wachen und verschiedene Wertgegenstände aus der Schatzkammer mit.“ Cedric machte eine Pause und klopfte mit der Pergamentrolle gegen seine Handfläche.

„Meinetwegen soll er mitnehmen, was er will, solange ich ihn nur los bin“, sagte Ayla mit einem befreiten Lachen und wünschte augenblicklich, sie hätte es sich verkniffen. Es klang in dieser Situation völlig fehl am Platz und zeigte, dass ihr nur zu bewusst war, auf welch unsicherem Fundament ihre Regentschaft stand. „Das ist noch nicht alles gewesen, richtig?“, vermutete sie.

Cedric schüttelte den Kopf. „Er fordert Euch zu einem Kampf heraus. Als Grund gibt er an, dass Ihr seine Schwester getötet habt und er nicht auf Eure Verurteilung warten wolle, sondern wünsche, diese Angelegenheit mit Euch von Angesicht zu Angesicht zu klären.“

„Ein Duell?“ Dieses Mal war ihr Lachen Ayla nicht peinlich. „Garret hat seit Ewigkeiten keine Waffe mehr geschwungen, jedenfalls nicht in einem echten Kampf.“

„Gegen Euer Schoßtier aus der Darkworld hat er sich immerhin recht wacker geschlagen“, murmelte der penetrante Elf von vorhin zynisch.

Schlimm genug, dass niemand am Hof bereit war, an ihre Unschuld zu glauben, wenn sie nicht mit Juwelen und schönen Worten nachhalf. Das Letzte, was sie noch gebrauchen konnte, war, sich zusätzlich Zweifel und Verleumdungen von denjenigen anzuhören, die mit der Aufgabe betraut waren, sie bei ihrer Regierungsarbeit zu unterstützen. Und nicht, ihr in den Rücken zu fallen.

Sie ließ sich nicht von dem frostigen Blick einschüchtern, mit dem der Elf sie anstarrte.

„Ihr dürft gehen.“

„Verzeiht mir, Eure Majestät“, sagte einer der anderen.

„Aber vielleicht ist es, in Anbetracht Eurer derzeitigen Lage, keine weise Entscheidung, Euer Konzil aufzulösen.“

„Ich löse mein Konzil nicht auf. Ich verzichte lediglich auf die Mitglieder des Konzils der ehemaligen Königin Mabb, die es vorziehen, sich mit meinem Gefährten gegen mich zu verbünden.“ Sie schaute aus dem Augenwinkel kurz zu Cedric hinüber, aber sein Gesicht verriet weder Zustimmung noch Missbilligung. Sie fuhr fort: „Wer glaubt, ich sei eine Mörderin, der sollte jetzt gehen. Wer überzeugt davon ist, Garret wäre besser als Oberhaupt der Lightworld geeignet, der kann ebenfalls gehen. Wenn jemand denkt, ich bin nicht in der Lage, eigene Entscheidungen zu treffen, ohne mich auf Eure Weisheit und Führung zu verlassen, tut Euch keinen Zwang an. Ich bin nicht die widerspenstige Gefährtin des Königs, und ich habe nicht die Absicht, diesen Trugschluss weiter stillschweigend hinzunehmen. Ich bin die Königin. Falls Ihr anderer Meinung seid – ich komme sehr gut ohne Euch zurecht.“

Es schien, als hätten alle Anwesenden kollektiv den Atem angehalten. Und obwohl der Impuls, noch etwas zu sagen, egal was, solange es nur diese schreckliche Stille durchbrach, überwältigend stark war, blieben sowohl Aylas Mund als auch ihr wie versteinertes Gesicht unbewegt.

Schließlich wurden, wie sie es erwartet hatte, die ersten Stühle zurückgeschoben. Der Elf, der so besonders offen Partei für Garret ergriffen hatte, lief dunkelrot an, von den Fühlern bis zum Hals. „In all den Jahrhunderten, in denen ich nun schon dem Konzil angehöre, hat sich noch keine Königin derart respektlos verhalten.“

Jede Antwort, die sie ihm darauf hätte geben können, wäre nichts als Zeitverschwendung gewesen, also sagte sie nichts.

Schweigend schaute sie zu, Cedrics Blick in ihrem Nacken spürend, als einer nach dem anderen aufstand und den Raum verließ. Bis auf eine Ausnahme.

Als die Tür sich hinter dem Letzten von ihnen schloss, drehte sich Ayla zu dem Konzilmitglied um, das geblieben war. Es war die besonders kleine Elfe, diejenige mit den wachen, stechend blauen Augen. Sie erwiderte ruhig Aylas Blick. „Ich teile ihre Meinung nicht.“

„Das ist of fen sicht lich.“ Ced ric ging um den Tisch he rum und stellte sich neben Ayla. Leise, sodass nur sie ihn hören konnte, flüsterte er: „Sie werden zu Garret überlaufen. Vorher wäre er wahrscheinlich an seiner eigenen Dummheit gescheitert. Jetzt aber verfügt er über klügere Köpfe, die für ihn denken.“

Ayla nickte. „Und ich wäre sehr besorgt, ernstlich besorgt, wenn ich Garret nicht besser kennen und glauben würde, dass er auf sie hört.“

Mit einem Lächeln sagte Cedric: „Ihr seid weiser, als ich vermutet hatte.“

„Nicht weise.“ Ein Anflug von Traurigkeit schwang in ihrer Stimme mit. „Sonst hätte ich mich wohl kaum erst in diese Misere hineinmanövriert.“

Sie versuchte mit aller Kraft, die Tränen zurückzuhalten. Wenn sie vor ihrem letzten übrig gebliebenen Konzilmitglied einen Wein krampf be kä me, dann stün de sie wirk lich ganz al lein da.

Nicht ganz allein, erinnerte sie sich selbst. Cedric hatte ihr so sehr geholfen. Er hatte sich gegen Garret gestellt und damit sein Leben riskiert. Wenn sie versagte und Garret der Herrscher des Elfenreiches würde, wäre Cedrics Leben verwirkt, ebenso wie ihres.

Als könne er ihre Verzweiflung spüren, wandte Cedric sich rasch an das verbliebene Konzilmitglied. „Die Königin ist noch immer erschöpft nach ihrem unerfreulichen, wenn auch kurzen Aufenthalt im Kerker. Ich werde mich später mit Euch zusammensetzen, damit wir uns über die Aufstellung eines neuen Konzils beraten und eine offizielle Verlautbarung hinsichtlich der Abdankung des alten vorbereiten können.“

Die Elfe nickte, ihr goldgelbes Haar glänzte im künstlichen Licht der Menschenlampen. „Ja, Gildenmeister.“

Ayla hob eine Hand, um Cedric, der die Elfe gerade entlassen wollte, zurückzuhalten. „Ihr gehört zur Assassinengilde?“

Die kleine Elfe nickte wieder, ließ jedoch Cedric für sich sprechen. „Flidais war für die historischen Aufzeichnungen der Elfenkriege in den Astralreichen zuständig, bevor der Wall zwischen unserer früheren Welt und dieser hier fiel.“

„Danach mussten mehrere Ämter im Konzil mit würdigen Elfen neu besetzt werden“, erklärte Flidais. „Und ich war eine derjenigen, die ausgewählt wurden.“

„Ich bin sehr froh darüber.“ Und dennoch, dieses undurchschaubare kleine Wesen irritierte Ayla. Sie sah so jugendlich aus, selbst für eine ewig jung bleibende Rasse, in Wirklichkeit aber war sie alt, vielleicht sogar genauso alt wie Cedric.

Flidais erhob sich von ihrem Stuhl und verneigte sich vor Ayla, ehe Cedric sie zur Tür begleitete und sie den Raum verließ.

„Sie ist absolut integer“, versicherte er Ayla kurz darauf. „Und weitaus intelligenter als der Rest des ehemaligen Konzils.“

„Ihr haltet es wirklich für unklug, dass ich sie entlassen habe?“ Ayla nickte einer vorbeieilenden Dienerin zu. Dies war eines der Dinge, die Cedric ihr beigebracht hatte: stets jede Elfe im Palast zu grüßen, egal wie niedrig ihr Rang war. Ein Zeichen der Wertschätzung, die Mabb nicht für ihre Untertanen gezeigt hatte, wie der Gildenmeister Ayla erklärte.

„Ich würde es mir niemals anmaßen, Eure Hoheit unklug zu nennen“, antwortete er, einen tadelnden Unterton in der Stimme. „Ich fürchte allerdings, dass diese Neuigkeit die Angehörigen des Hofes verunsichern könnte.“

„Dann muss ich wohl noch mehr funkelnde Geschütze auffahren, um sie mit meinem Reichtum zu blenden.“

Cedric blieb abrupt stehen, legte ihr eine Hand auf die Schulter und drehte sie zu sich um. Es war ein Moment zwischen Meister und Schülerin, nicht einem Untergebenen und seiner Königin. „Ihr dürft nicht dem Irrtum erliegen, dass man Euch bereits als Königin akzeptiert hat. Die Krönung ist noch nicht vollzogen, und sie kann so lange nicht stattfinden, bis Garret nicht aufgehört hat, Euch zu bekämpfen. Und, ja, die Höflinge sind wankelmütig. Aber wenn Ihr einmal ihre Unterstützung verloren habt, wird es Euch nicht gelingen, sie zurückzugewinnen.“

„Das weiß ich. Glaubt mir“, beruhigte Ayla ihn. „Warum helft Ihr mir? Die Risiken sind für Euch mindestens so groß wie für mich, wenn nicht noch größer.“

Er tätschelte ihren Arm und sie setzten ihren Weg fort. „Das ist eine lange Geschichte, die ich Euch später einmal erzählen werde. Für den Moment sollte es Euch genügen, dass ich Garret auf keinen Fall auf dem Thron sehen möchte.“

„Für den Moment genügt es mir.“ Und Ayla meinte genau das, was sie sagte.

Mit einem Stich des Bedauerns sah Garret zu, wie seine Wachen den Rest seiner königlichen Habseligkeiten in den Karren luden. Nach all der Zeit, die er investiert hatte, nach all den Plänen, die er geschmiedet, wieder und wieder überdacht und letztlich in die Tat umgesetzt hatte, den Palast zu verlassen, war es, als würde er sein großes Ziel aufgeben. Und so kurz, bevor er es endlich erreicht hatte.

„Eure Majestät?“, riss eine Stimme ihn aus seinen Gedanken, und Garret drehte sich um. Bran, ehemals Mitglied des königlichen Konzils – nein, genau genommen keinesfalls ehemals –, wartete neben dem Fuhrwerk. „Wir sollten jetzt gehen, ehe wir zu viel Aufmerksamkeit auf uns ziehen.“

„Natürlich. Danke.“ Garret ging zum hinteren Teil des Karrens, schwang sich hinauf und gab den Wachen an der Vorderseite, die ihn und sein Gepäck ziehen würden, ein Zeichen.

„Es ist nicht für lange, Eure Hoheit.“ Bran war scharfsinnig. Er hatte den Grund für Garrets Missmut nach nur wenigen Sekunden der Beobachtung erkannt. „Schon bald wird die falsche Königin endgültig entmachtet sein, und Ihr werdet Euren rechtmäßigen Platz wieder einnehmen.“

„Selbstverständlich werde ich das“, antwortete Garret, ein wenig harscher, als er beabsichtigt hatte. Um zu vermeiden, dass er zu angespannt, zu unsicher wirkte, fügte er hinzu: „Ich habe großes Vertrauen in die Fähigkeiten meiner treuen Untergebenen, die mir in dieser Sache zur Seite gestanden haben und es auch weiterhin tun.“

Der Karren rumpelte vorwärts, und abermals erfasste Garret der Schmerz darüber, von seinem Geburtsrecht Abstand nehmen zu müssen.

Ich komme zurück, versprach er stumm. Ich komme zurück.