15. KAPITEL

Aufgebracht stürmte Garret durch die Hallen des Palastes. Die peinlich berührten Bemerkungen hinsichtlich Aylas Erscheinung, die man sich zuflüsterte, waren schon schlimm genug gewesen. Als er dann nach Hause zurückgekommen war, um diese Gerüchte durch die Abwesenheit seiner Gefährtin bestätigt sehen zu müssen, hatte sich die Situation noch weiter zugespitzt.

Vermutlich hatte sie bereits alles gestanden. Nein, ganz sicher sogar. Aylas Idealismus war von jeher ihr größtes und zudem am wenigsten zu kontrollierendes Manko gewesen. Inzwischen würde Mabb die Wahrheit kennen und wissen, dass ausgerechnet seine ehemalige Schülerin die Gäis gebrochen hatte. Sein Leben war ruiniert. Ayla hatte ihn ins Unglück gestürzt.

Eigentlich erwartete er, dass Mabb sich aufgrund der frohen Botschaft irgendwo in ihre Privatgemächer zurückgezogen haben würde, um dort gemütlich seinen Untergang zu feiern. Stattdessen fand er sie im Kreise ihrer speichelleckerischen Höflinge vor, munter schwatzend und lachend, regelrecht aufgedreht, als stünde sie unter dem Einfluss eines zu starken Glückstrankes.

„Garret!“ Sie lief freudestrahlend auf ihn zu, so schnell es ihre schweren Gewänder erlaubten. In ihren Augen blitzte der Wahnsinn. „Ich hatte ja so sehr gehofft, dich heute noch zu sehen!“

Er musterte argwöhnisch die Gesichter ihrer Gesellschafter, doch in ihren unbeteiligten, maskenhaften Mienen konnte er keinen Hinweis darauf entdecken, was in aller Welt hier gespielt wurde. Wahrscheinlich hatten sie die Veränderung im Gebaren ihrer Königin nicht einmal bemerkt. Sie sahen nichts weiter als ihr funkelndes Äußeres und die Dinge, mit denen sie ihnen das Leben versüßte. Rauschende Feste, Bankette, kleine Gefallen, wenn sie ihren Nachbarn eins auswischen oder vor irgendjemandem mit ihrem guten Verhältnis zur Königin prahlen wollten.

Wenn er erst auf dem Thron saß – wenn Ayla auf dem Thron saß –, würde sich so einiges ändern. Mabbs verhätschelte Lieblinge fänden sich sehr bald in weit weniger komfortablen Umständen wieder, und die von Grund auf novellierte Gesellschaft würde ihre Monarchen vergöttern, wie es sich für Untergebene gehörte.

Im Augenblick aber war seine Schwester noch die Machthaberin, und er verbeugte sich respektvoll vor ihr. „Schwester, hast du zufällig meine Gefährtin heute Abend schon gesehen?“

Mabbs Stimmungswechsel kam schlagartig. Sie wandte sich abrupt von ihm ab, ihre Röcke flappten wie zuschnappende Vipern, als sie forschen Schrittes davonging. „Wachen! Die Audienz ist für heute beendet!“

Garret folgte ihr, ohne dass sie ihn dazu eingeladen hätte. Die Bediensteten, denen sie auf ihrem Weg in Mabbs persönliche Räume begegneten, sprangen hastig zur Seite, um ihnen Platz zu machen. Sie hatten, ebenso wie Garret, reichlich Erfahrungen mit den von einer Sekunde zur anderen umschlagenden Launen der Königin machen müssen und waren geübt darin, sich blitzartig darauf einzustellen.

Erst als sie in Mabbs Schlafzimmer angekommen waren, sicher vor neugierigen Mithörern, schenkte sie ihm ihre kostbare Aufmerksamkeit. „Was wollte sie hier? Sie hatte die Unverschämtheit, mich direkt anzusprechen, vor dem halben Hofstaat. Eine unverzeihliche Respektlosigkeit!“

„Sie hat in Anwesenheit des halben Hofstaates ihr Geständnis abgelegt?“

Der fragende Ausdruck, der auf Mabbs Gesicht erschien, sagte ihm alles, was er wissen musste. Ayla hatte nicht gestanden. Sie war hierhergekommen und hatte, ja, was eigentlich? Versucht, die Gunst seiner Schwester zu erlangen?

Er fluchte innerlich. Wenn Mabb also nichts von der Schuld seiner Gefährtin wusste, könnten die Dinge noch immer nach Plan laufen.

„Geständnis?“ Mabb lachte. „Wofür sollte sie sich schon zu rechtfertigen haben, abgesehen von ihrer schlampigen Erscheinung und den selten geschmacklosen Kleidern, in denen sie herumläuft? Die hast doch nicht etwa du ihr gekauft, oder?“

Ihr Stolz musste durch irgendetwas empfindlichen Schaden genommen haben, wenn sie sich dazu verleiten ließ, solch eine stümperhafte Beleidigung von sich zu geben.

„Wo ist sie jetzt?“, fragte er, ohne weiter auf die Bemerkung einzugehen.

„Ich habe sie natürlich fortgeschickt.“ Mabb flanierte zu ihrem Ankleidetisch und griff nach einem Flakon parfümierten Öls. „Es interessiert mich nicht, wohin sie danach verschwunden ist.“

Garret schoss auf die Geheimtür in der Wand zu; die Abdeckung war allem Anschein nach erst kürzlich bewegt worden. „Du hast sie hoffentlich nicht allein gehen lassen?“

„Aber sicher. Ich stelle doch nicht extra eine meiner Wachen zum Schutz deines … Haustieres ab“, erwiderte Mabb spöttisch, dann öffnete sie den Flakon und schnüffelte skeptisch daran. „Was denkst du, ist dieses hier einer Königin würdig?“

„Ich denke, du hast einen sehr dilettantischen Fehler begangen.“ Er stellte sich dicht hinter sie, die Hände auf ihre weißen Schultern gelegt.

Ihre Blicke trafen sich in ihrem Spiegel, und ihr anfänglicher Ärger wich zuerst Verwirrung, dann Beunruhigung. „Garret, du zitterst ja.“

Es geschah so viel schneller, als er es sich in seinen kühnsten Träumen jemals vorgestellt hatte. Selbst all die Jahre des Pläneschmiedens, all die einsamen Nächte, in denen er sich ausgemalt hatte, wie es sein würde, wenn der Tag endlich gekommen wäre, hatten ihn nicht darauf vorbereiten können, wie wunderbar, wie befreiend dieser Moment sich tatsächlich anfühlte. Seine Hand schloss sich um eines der Messer in ihrem hochgesteckten Haar. Sie drehte sich um, starr vor Entsetzen, ihr Mund formte ein angsterfülltes Flehen um Gnade. Es erstarb noch, bevor es über ihre bebenden Lippen kommen konnte, so wie sie starb, erstickt von der unbarmherzigen Welle schwarzen Blutes, die aus ihrer Kehle sprudelte. Ihre Lebenskraft verließ sie, tropfte auf die toten Blätter ihres Umhanges.

Sie krallte sich an ihn, als ihre verdorrenden Glieder sich im Todeskampf wanden wie zierliche junge Weinreben, ungeschützt einem dichten Schneegestöber ausgesetzt, um darin zu erfrieren. Dieses grauenvolle Schauspiel setzte ihm zu; er hatte eigentlich immer vorgehabt, Gift zu verwenden, damit er nicht zusehen musste, wie sie sich quälte. Dennoch blieb er äußerlich unbeeindruckt, als ihre zerbrechlichen Finger sich in seine Robe gruben, versuchten, ihn mit sich ins Jenseits zu reißen.

Aber es gibt kein Jenseits, in dem du deinen Frieden finden wirst, Schwester, dachte er, und für einen Moment empfand er echtes Mitleid mit ihr. Wie es wohl sein musste, von einer Welt in eine andere hinüberzugleiten? Aus dieser Welt zu scheiden, in die sie niemals wirklich gehört hatte, in der sie sterblich war, um an einen anderen Ort zu gehen, der nicht existierte? Gewaltsam aus der einen Ebene gerissen zu werden, ohne in einer neuen Zuflucht finden zu können? Eine Reise anzutreten, ohne jemals am Ziel anzukommen? Weil das Ziel nicht real war.

Mit einem letzten, knisternden Atemzug, der klang wie durch gefrorene Zweige fahrender Wind, fiel sie rückwärts, ihr Körper rollte sich zusammen und wurde dunkel, eine leere Hülle in ihren feinen Gewändern.

Es war getan, in einem winzigen Augenblick, der ihr nicht einmal Zeit gelassen hatte, nach ihren Wachen zu schreien. Es war getan, und es gab keine Möglichkeit mehr, es ungeschehen zu machen.

Weit beunruhigender als das jedoch war Aylas Verschwinden. Vielleicht hatte sie sich zu ihrem Darkworld-Liebhaber geflüchtet, um ihrem Schicksal zu entgehen. Bei diesem Gedanken ballte er die Fäuste und marschierte wild entschlossen aus Mabbs Schlafgemach. Eher würde er Ayla auch umbringen, als zuzulassen, dass sie sich dieser Kreatur an den Hals warf.

Er sammelte sich kurz und setzte einen neutralen Gesichtsausdruck auf, bevor er die weniger abgeschotteten Vorräume des königlichen Privatdomizils betrat, und nickte einer gerade vorbeigehenden Zofe zu. „Ihre Majestät wünscht, für den Rest des Abends nicht mehr gestört zu werden.“

Die Dienerin blieb stehen, beugte ihren hübschen Kopf mit den langen dunklen Haaren nach unten und setzte dann ihren Weg fort. Sie wusste nicht, dass sie dem Gefährten der neuen Königin gegenübergestanden hatte, dem zukünftigen Herrscher über das Elfenreich. Er würde die Herrschaft übernehmen, sobald das letzte Hindernis beseitigt wäre, das noch zwischen ihm und der endgültigen Machtübernahme stand. Jetzt, wo sie davongelaufen war, eventuell sogar bis über die Grenzen der Lightworld hinaus, erleichterte das die Sache ungemein.

Er hatte geplant, durch Ayla zu regieren, sie als seine Marionette zu gebrauchen. Sie verfügte weder über das Wissen noch die Fähigkeiten, ein Volk anzuführen. Doch nun war es so viel einfacher, den Thron an sich zu reißen. Er brauchte keine Königin an seiner Seite, die für ihn seine Anordnungen in die Tat umsetzte. Er könnte mit der Tradition brechen und selbst regieren, an ihrer Stelle.

Die Drachen würden ihm vermutlich zunächst Schwierigkeiten machen. Diese Monster waren schlauer, als gut für sie war. Er musste so schnell wie möglich die Information in Umlauf bringen, dass der Darkworlder, der sich über die Grenze geschlichen hatte, als Bote der Drachen verkleidet gewesen war. Praktischerweise war er ja sogar im Besitz des Umhangs, um diese Tatsache zu beweisen. Das würde sie erst einmal beschäftigen, und so lange sie in ihren Reihen nach Verrätern fahndeten, hielten sie sich mit empörten Anschuldigungen zurück, mit etwas Glück zumindest, bis seine Krönung vollzogen und unanfechtbar war.

Als er die Palasttore erreichte, musste er feststellen, dass es ihm widerstrebte, seinen neuen Wirkungskreis zu verlassen. Welch seltsame, vereinnahmende Empfindungen die Aussicht, bald König zu sein, in ihm auslöste. Eine erregte Erwartung durchströmte ihn, als er über die Schwelle und hinaus auf die Straßen der Lightworld trat. Er kämpfte das Gefühl nieder.

Der Thron wartete auf ihn. Alles, was er noch tun musste, war, seinen Anspruch darauf geltend zu machen.

Links. Noch einmal links. Dann rechts. Eine scharfe Abbiegung entlang.

Ein Mann mit Flügeln. Ich sehe einen Mann mit Flügeln.

Ayla schüttelte den Kopf und schlug nach der stickigen Luft vor sich. Sie stolperte, wie es ihr vorkam zum tausendsten Mal, über den Saum ihres Kleides, rutschte aus und landete auf Händen und Knien im Matsch.

Er wird dein Untergang sein.

Sie schob die Warnung der Menschenfrau beiseite und rappelte sich wieder auf die Füße. Dabei löste sich ein kurzer Aufschrei aus ihrer Kehle, der ebenso sehr von den Schmerzen in ihren geschundenen Beinen herrührte wie von dem tiefen Loch in ihrer Brust, das sich so wirklich anfühlte, als hätte ihr jemand mit einem Messer das Herz herausgeschnitten.

Ein Messer. Sie hatte kein Messer. Überhaupt keine Waffe. Nichts, um sich zu verteidigen. Wie leicht könnte sie hier sterben, in der Darkworld, ohne dass jemand von ihrem Tod erfuhr oder sich dafür interessierte.

Und wessen Schuld war das? Ihr gesamtes bisheriges Leben lang hatte sie alles in ihrer Macht Stehende getan, zwischen sich und der Welt eine unsichtbare Mauer aufrechtzuerhalten. Jene, die sie hatten beschützen wollen – Garret und ihr Vater –, hatte sie zurückgewiesen. Die, mit denen sie hätte befreundet sein können, nicht an sich herangelassen. Niemals hatte es einen Geliebten oder zumindest einen Vertrauten gegeben, niemanden, der in Sorge geriet und sich fragte, wo sie wohl sei.

Ein ganzes Leben, verbracht in dem verzweifelten Bemühen, Teil einer Welt zu sein, die sich ihrer schon vor Jahren nur allzu gern entledigt hätte. Und gleichzeitig lebte sie in dieser Welt als unbeteiligte Beobachterin.

Der Wasserspiegel stieg bis über ihre Füße, und ihr Kleid begann sich langsam vollzusaugen. Die Überbleibsel der schönen Dinge und Annehmlichkeiten, die ihr genau einen Tag vergönnt gewesen waren, zogen sie jetzt noch weiter nach unten, als sie es schon zuvor getan hatten.

Ein Teil und gleichzeitig unbeteiligt. Nichts Halbes und nichts Ganzes, wie immer.

Vor sich konnte sie die Muster der Schatten erkennen, die sie sich beim letzten Mal eingeprägt hatte. Wasser barg seine eigenen Geheimnisse, und es gab sie nur an diejenigen preis, die sich die Mühe machten, genau hinzuschauen. Diese sanften Wellen, in einem gespenstischen schwarzblau über die fahlen Wände huschend, waren ihre Wegweiser, die sie zu dem Darkworlder leiten würden.

Vorausgesetzt, er hatte überlebt. Unsinn, natürlich lebte er. Andernfalls hätte Garret sie nämlich längst aufgestöbert, sich schadenfroh an ihrem Leid geweidet, auf sie eingedroschen, bis er die Lust daran verlor. Was aber, wenn der Darkworlder sie gar nicht bei sich haben wollte? Was dann? Sie hatte sich von ihrer Welt abgewendet, unwiderruflich, und würde auf sich allein gestellt in der Darkworld wohl kaum lange überleben, nicht mit dem Gildenzeichen an ihrem Hals.

Nein, das stimmte nicht, sie könnte es schaffen, doch sie hätte nur ein trostloses Dasein gegen ein anderes getauscht. Ihr Herz konnte sich für diese Aussicht nur schwerlich erwärmen, jetzt, da sie wusste, dass sie eines hatte.

Nach links, ins tiefere Wasser, das bis zu ihrer Taille reichte. Unter der trüben Oberfläche stieß etwas gegen ihren Unterkörper, und sie begann schneller zu laufen, so schnell der zähe Schlamm unter ihr es erlaubte.

Die menschliche Heilerin war nichts weiter als eben das: menschlich, einfältig, mindestens so fehlgeleitet, wie Aylas eigene Interpretation der Warnung die richtige war. Sie konnte wahrlich mehr als einen Mann mit Flügeln aufzählen. Es musste also nicht zwangsläufig der Darkworlder sein, der ihr Verderben bedeutete.

Am Eingang des Tunnels, durch den sie endlich zu Malachi kommen würde, breitete sich plötzlich ein flaues Gefühl in ihrer Magengegend aus. Sie presste die Hände auf die sich verkrampfende Stelle und kämpfte gegen die quälende Nervosität an. War es ihm genauso gegangen, als er sich zu ihr geschlichen hatte?

Sie biss die Zähne zusammen und stapfte mit vor Erschöpfung zitternden Beinen weiter vorwärts, grimmig dem Widerstand des Wassers trotzend. Sie hatte sich für dieses Wagnis entschieden, und sie würde sich nicht von einem unbedeutenden Anflug des Zweifels aufhalten lassen. Schon gar nicht mehr jetzt.

Die Tür des schäbigen Unterschlupfes, in dem er wohnte, hob sich nur so minimal von der Wand des Tunnels ab, dass sie beinahe daran vorbeigegangen wäre, ehe die Schatten ihre Formen veränderten und sie dadurch zurückriefen. Sie blieb für einen langen Moment unschlüssig stehen, die Feuchtigkeit kroch höher und höher in den durstigen Stoff ihres Kleides, ihre Hände ballten und entspannten sich wieder an ihren Seiten. Dann, zögernd, streckte sie die Rechte nach dem Türgriff aus. Ihre Finger hatten kaum das rostige Metall berührt, als die Tür mit einem durchdringenden Quietschen aufschwang, Malachi Ayla wortlos in die Arme zog und stürmisch den Mund auf ihren presste.

Die schmutzigen, durchnässten Falten ihres Kleides klatschten gegen seine nackten Beine; es war nicht wichtig. Ihr zerwühltes Haar hing ihr ins Gesicht, und er musste es zur Seite schieben, ließ sich davon jedoch nicht ablenken, machte weiter, setzte sie nicht wieder auf den Boden. Die Tür fiel zu, obwohl sich der Griff seiner starken Arme um Ayla nicht für auch nur eine Sekunde gelockert zu haben schien.

Natürlich wollte er sie bei sich haben. Er war ihr bis in die Lightworld gefolgt, hatte seine sterbliche Existenz riskiert, um sie zu finden. Wie hatte sie irgendetwas anderes erwarten können?

Sie waren miteinander verbunden, durch eine sonderbare, unerklärliche Macht, und waren es von dem Augenblick an gewesen, als ihre Berührung ihn zu einem sterblichen Wesen gemacht hatte. Und dieses Band erzeugte nun ein Gefühlschaos in ihr, das keinen Sinn ergab; jetzt, da sie ihm so nah war, schien der Schmerz ihrer vorherigen Trennung umso unerträglicher. Jetzt, da er sie berührte, war es, als könnten sie nie dicht genug beim anderen sein.

Er trug sie zu dem Platz, wo der Mensch sein Nachtlager eingerichtet hatte, der offenbar gerade unterwegs war. Die kleine abgetrennte Nische war leer, abgesehen von einem Haufen zerschlissener Decken auf dem ansonsten nackten Betonboden. Malachi ließ sie daraufgleiten, dann streifte er ihr hastig das störende schmutzverkrustete Kleid ab.

Mit Garret war alles so schnell gegangen, dass es sie in Panik versetzt hatte. Die Plötzlichkeit, mit der die Dinge jetzt geschahen, jagte ihr weniger Angst ein, als dass sie eine prickelnde Erregung in Ayla auslöste. Wenn sie ihre Augen schloss, war es, als falle sie in eine endlose Tiefe. Wenn sie die Augen öffnete, fühlte es sich an, als drohe sie, in tausend kleine Stücke zu zerspringen.

Seine Hände waren überall auf ihr, und ihre auf ihm. Sein Körper, so fremdartig und unästhetisch im Vergleich zu der geschmeidigen schlanken Statur eines Elfen, war erstaunlich angenehm zu berühren, was ihre Aufregung nur noch mehr steigerte. Die festen Wölbungen seiner Muskeln unter der straff darübergespannten Haut bewegten sich unter ihren Fingerspitzen, als sie mit den Händen über seine Oberarme strich, die Brust, den Bauch und noch tiefer hinunter. Sie umfasste den Teil von ihm, der ihn männlich machte, und ein scharfes Geräusch entfuhr seiner Kehle. Sie öffnete ihre Flügel, ließ sich bereitwillig von ihm in die Decken auf dem Boden drücken, und er sank zwischen ihre Beine.

Er war immens groß, länger und dicker, als Garret es gewesen war. Sie hob ihre Hüften an, streckte sich ihm entgegen, der Atem entwich harsch aus ihrer Brust, als er sie ausfüllte.

Ihre Welt reduzierte sich auf die erdbebengleichen Erschütterungen, mit denen seine Bewegungen ihren gesamten Körper in Aufruhr versetzten, sie in den Wahnsinn trieben, sein forderndes Vordringen, wie er in ihr pulsierte und sie in Besitz nahm. Sie schrie und keuchte und klammerte sich an ihn, und er, gleichermaßen wild und hemmungslos, riss sie umso fester an sich. Seine Finger gruben sich hart in ihre Hüften, hielten sie in ihrer ihm ausgelieferten Position, bevor er noch tiefer in sie fuhr. Ihre Muskeln zogen sich um ihn zusammen, und er zuckte unwillkürlich, nach Luft schnappend, sich atemlos windend, geschüttelt von Wogen aus Gefühlen, die zu überwältigend waren, um schön zu sein, zu schön, um schmerzhaft zu sein.

Seine Bewegungen wurden schneller, immer heftiger stieß er in sie, als wolle er sie auseinanderbrechen. Dann, mit einem Aufschrei, beinahe ungläubig, krümmte er sich ruckartig, hob ihre Hüften von der Unterlage, und sie sah, wie der Baum ihrer Lebenskraft in einem gleißenden Weiß aufglühte und im nächsten Augenblick in Flammen stand. Sie hielt ihn, als er erschöpft über ihr zusammenbrach und sein Gewicht sie zurück auf die Decken drückte. Er zitterte, noch immer in ihr; sie konnte seinen Herzschlag spüren.

Langsam kam er wieder zu sich, rollte sich auf die Seite und zog Ayla an seine Brust, sodass sie eng an ihn geschmiegt in seinem Arm lag. Dann legte er die Flügel um sie beide und hüllte sie in eine friedliche Dunkelheit ein.

Der Alarm ging kurz vor Morgengrauen los. Garret hatte die ganze Nacht darauf gewartet, dieses Läuten zu hören. Jetzt erschien es ihm wie die Verkündung eines großen Unheils, das es ja tatsächlich auch war, doch es fühlte sich an, als würden die Glocken seinen eigenen Niedergang einläuten. Er wischte den Gedanken unwirsch beiseite. Sein Plan konnte, durfte nicht scheitern, nicht jetzt, wo das Ziel endlich in greifbare Nähe gerückt war.

Als es an seiner Tür klopfte, erhob er sich von seinem Platz neben dem Feuer, warf einen prüfenden Blick auf das zerwühlte – aber nicht zu zerwühlte – Bett, zerraufte sein Haar mit den Fingern und lockerte seine Robe. Cedric in Begleitung von sechs königlichen Leibwächtern schwebten vor dem Eingang, ihre Gesichter wie versteinert.

Genau diese Situation hatte Garret immer wieder und wieder durchgespielt, während er an der Feuerstelle gesessen und abgewartet hatte, dass seine Stunde schlug. Der bestürzte Ausdruck kam so mühelos zum Vorschein, als hätte ihn jemand auf sein Gesicht gemalt. „Bei den Göttern, was ist passiert?“

„Eure Schwester, die Königin, ist tot.“ Cedrics Augen waren rot umrandet und glänzten feucht. Dieser Jammerlappen konnte seine wehleidige Trauer über das Ableben seiner Angebeten nicht einmal so lange unterdrücken, bis er seine offiziellen Pflichten erfüllt hatte.

Garret griff sich an die Brust, taumelte rückwärts. „Nein. Nein, das ist unmöglich.“

„Es tut mir leid, Garret.“

Er strich seine Haare glatt, zwang willentlich die Tränen in

seine Augen, blinzelte, damit sie an den Wangen hinunterrollten. „Und Ayla … geht es ihr gut?“

Cedric schaute an ihm vorbei ins Innere des Apartments. „Ich weiß es nicht. Ich hatte erwartet, sie hier anzutreffen. Wir müssen sie unbedingt finden, bevor es der Attentäter tut.“

„Attentäter?“ Garret sah ihn mit vor Erstaunen geweiteten Augen an. „Willst du etwa sagen, meine Schwester ist einem Mordanschlag zum Opfer gefallen?“

Cedric nickte, kurz und steif. „Darum sollten wir nun alles daransetzen, Ayla zu finden und in Sicherheit zu bringen. Er hat es vermutlich auch auf sie abgesehen. Sie ist schließlich deine Gefährtin, oder nicht?“

„Ja, das ist sie, aber …“ Der Geschmack des Ungeheuerlichen, das gleich über seine Lippen kommen würde, war süßer als die frische, saubere Luft in der Oberwelt. „Aber sie war im Palast. Ich hatte sie gleich nach der Flucht des Darkworlders dorthin geschickt, weil ich befürchtete, er könne zurückkommen und …“

„Wir haben jeden Winkel abgesucht. Keine Spur von Ayla. Möglicherweise musste sie fliehen und hält sich nun irgendwo versteckt.“ Cedric war noch nie einer der intelligentesten Elfen gewesen, und es dauerte erwartungsgemäß einen Moment, bis es bei ihm klickte. „Du sagst, Ayla hat die Nacht im Palast verbracht?“

„In Mabbs Privatgemächern. Dort schien sie mir am sichersten zu sein.“ Garret nahm einen zitternden Atemzug, dessen Glaubwürdigkeit ihn selbst überraschte. Das hier ging ihm leichter von der Hand, als er gedacht hatte. „Du wirst doch nicht ernsthaft andeuten wollen, Ayla könnte …“

Cedric hob eine Hand, um ihn zu stoppen. „Es ist von enormer Wichtigkeit, dass wir sie so schnell wie möglich finden. Hast du irgendeine Vermutung, wohin sie gegangen sein könnte?“

Garret musste den Anflug eines Lächelns hinter seinen Händen verstecken, die er in der Vortäuschung eines Schluchzens vor das Gesicht hielt. Es lief alles wie am Schnürchen, viel besser, als er in seinen kühnsten Träumen zu hoffen gewagt hatte.