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»Was glaubst du, wie sich Munro behaupten wird, wenn Pearson ihn in die Zange nimmt?«, fragte Alex.
»Ein alter Stier gegen einen alten Matador«, erwiderte Sir Matthew. »Erfahrung und Gerissenheit werden wichtiger sein als Attacke, darum setze ich auf Munro.«
»Und wann zeige ich dem Stier das rote Tuch?«
»Gar nicht«, erklärte Sir Matthew. »Dieses Vergnügen überlässt du dem Matador. Pearson wird dieser Herausforderung nicht widerstehen können und es macht viel mehr Eindruck, wenn es von der Staatsanwaltschaft kommt.«
»Erheben Sie sich«, rief der Gerichtsdiener.
Nachdem sich alle wieder gesetzt hatten, wandte sich der Richter an die Geschworenen. »Guten Morgen, meine Damen und Herren Geschworene. Gestern hörten Sie, wie Mr. Pearson den Fall für die Staatsanwaltschaft zusammenfasste, und nun wird die Verteidigung die Gelegenheit erhalten, ihre Sicht der Dinge darzulegen. Nach Rücksprache mit beiden Seiten muss ich Sie bitten, einen der Anklagepunkte zu streichen, nämlich den Vorwurf, der Angeklagte habe versucht, den Familienbesitz der Moncrieffs in Schottland zu stehlen. Sir Hugo Moncrieff bestätigte, dass dies nicht der Fall war, sondern dass das Anwesen in Übereinstimmung mit den testamentarischen Wünschen seines Vaters Sir Alexander dem National Trust for Scotland übergeben wurde. Dem Angeklagten werden jedoch vier andere Anklagepunkte zur Last gelegt, über die Sie und nur Sie allein verantwortlich zu befinden haben.«
Er lächelte die Geschworenen gütig an, dann sah er zu Alex. »Mr. Redmayne, bitte rufen Sie Ihren ersten Zeugen«, sagte er mit sehr viel respektvollerer Stimme als noch am Vortag.
»Danke, Euer Lordschaft.« Alex erhob sich. »Ich rufe Fraser Munro.«
Als Munro den Gerichtssaal betrat, sah er als Erstes zur Anklagebank und lächelte Danny zu. Er hatte ihn in den letzten sechs Monaten fünfmal in Belmarsh besucht, und Danny wusste, dass er sich darüber hinaus auch mehrmals mit Alex und Sir Matthew besprochen hatte.
Auch er hatte Danny keine Rechnung für geleistete Dienste präsentiert. Alle Konten von Danny waren eingefroren worden, so besaß er nur die 12 Pfund pro Woche, die er als Gefängnisbibliothekar verdiente, und damit hätte Mr. Munro nicht einmal das Taxi vom Caledonian Club zu Old Bailey bezahlen können.
Fraser Munro trat in den Zeugenstand. Er trug einen schwarzen Gehrock und gestreifte Hosen, ein weißes Hemd mit Stehkragen und eine schwarze Seidenkrawatte. Er ähnelte mehr einem Gerichtsbediensteten als einem Zeugen, und das verlieh ihm eine Autorität, die schon so manche schottischen Geschworenen beeinflusst hatte. Er nickte dem Richter verhalten zu, bevor er den Eid ablegte.
»Würden Sie bitte für das Protokoll Ihren Namen und Ihre Adresse nennen?«, bat Alex.
»Ich heiße Fraser Munro und wohne in der Argyll Street 49 in Dunbroath, Schottland.«
»Und Ihr Beruf?«
»Ich bin an schottischen Gerichten zugelassener Anwalt.«
»Ist es richtig, dass Sie der Präsident der schottischen Anwaltskammer waren?«
»Das ist richtig, Sir.« Etwas, was Danny noch gar nicht gewusst hatte.
»Und Sie sind Ehrenbürger der Stadt Edinburgh?«
»Diese Ehre wurde mir zuteil, Sir.« Noch etwas, das Danny nicht gewusst hatte.
»Würden Sie dem Gericht bitte erläutern, Mr. Munro, in welcher Beziehung Sie zum Angeklagten stehen?«
»Gern, Mr. Redmayne. Ich hatte das Privileg, wie schon mein Vater vor mir, Sir Alexander Moncrieff als Rechtsbeistand zu dienen, den ersten Halter dieses Titels.«
»Vertraten Sie auch Sir Nicholas Moncrieff?«
»Ja, Sir.«
»Waren Sie sein Rechtsbeistand, während er in der Armee diente und später, als er im Gefängnis saß?«
»Ja. Er telefonierte aus dem Gefängnis von Zeit zu Zeit mit mir, aber einen Großteil erledigten wir durch ausführliche Korrespondenz.«
»Haben Sie Sir Nicholas im Gefängnis besucht?«
»Nein. Sir Nicholas bat mich nachdrücklich, dies nicht zu tun, und ich entsprach seiner Bitte.«
»Wann sind Sie ihm das erste Mal begegnet?«, fragte Alex.
»Ich kannte ihn als Kind, als er in Schottland aufwuchs, aber ich hatte ihn zwölf Jahre lang nicht gesehen, erst wieder, als er zur Beerdigung seines Vaters nach Dunbroath zurückkehrte.«
»Konnten Sie bei dieser Gelegenheit mit ihm sprechen?«
»Aber ja. Die beiden Gefängnisbeamten in seiner Begleitung waren sehr rücksichtsvoll und erlaubten mir, mich eine Stunde lang mit Sir Nicholas unter vier Augen zu beraten.«
»Dann sahen Sie ihn erst acht Wochen später wieder, als er kurz nach seiner Freilassung aus Belmarsh nach Schottland reiste.«
»Das ist korrekt.«
»Hatten Sie Anlass zu der Vermutung, dass die Person, die Sie besuchte, nicht Sir Nicholas Moncrieff sein könnte?«
»Nein, Sir. Ich hatte ihn in den vorhergehenden zwölf Jahren nur eine Stunde lang gesehen und der Mann, der in mein Büro trat, sah nicht nur wie Sir Nicholas aus, er trug auch dieselbe Kleidung wie bei unserer vorigen Begegnung. Außerdem besaß er die gesamte Korrespondenz, die wir im Laufe der Jahre geführt hatten, und trug einen goldenen Siegelring mit dem Familienwappen sowie die silberne Kette mit Anhänger, die mir sein Großvater einige Jahre zuvor gezeigt hatte.«
»Dann war er also in jeder Hinsicht Sir Nicholas Moncrieff?«
»Auf den ersten Blick ja.«
»Wenn Sie jetzt in der Rückschau noch einmal an diese Zeit denken, hatten Sie da jemals vermutet, dass es sich bei Sir Nicholas Moncrieff um einen Hochstapler handeln könnte?«
»Nein. Er verhielt sich stets höflich und charmant, selten bei einem so jungen Mann. Er erinnerte mich mehr an seinen Großvater als sonst jemand aus seiner Familie.«
»Wie erfuhren Sie, dass es sich bei Ihrem Mandanten nicht um Sir Nicholas Moncrieff, sondern um Danny Cartwright handelte?«
»Ich erfuhr davon, als er aufgrund der Vorwürfe, die Gegenstand dieser Verhandlung sind, verhaftet worden war.«
»Darf ich für das Protokoll festhalten, Mr. Munro, dass seit diesem Tag die Verwaltung des Moncrieff-Vermögens wieder in Ihren Händen liegt?«
»Das ist korrekt, Mr. Redmayne. Ich muss jedoch zugeben, dass es mir nicht gelang, die Alltagsgeschäfte mit derselben Eleganz durchzuführen, wie es Danny Cartwright immer getan hat.«
»Kann man sagen, dass das Vermögen jetzt auf sehr viel sichereren Beinen steht als seit Jahren?«
»Das ist ganz fraglos der Fall. Allerdings stagniert das Wachstum, seit Mr. Cartwright wieder im Gefängnis sitzt.«
»Ich hoffe doch sehr, Mr. Munro, Sie wollen damit nicht andeuten, dass die Schwere der Anklage dadurch gemindert wird?«, warf der Richter ein.
»Nein, Euer Lordschaft, keineswegs«, erwiderte Munro. »Ich habe allerdings in meinem fortgeschrittenen Alter gelernt, dass nur wenige Dinge gänzlich weiß oder schwarz sind. Am besten fasse ich es wohl so zusammen, dass ich die Ehre hatte, Sir Nicholas Moncrieff zu dienen, und das Privileg, mit Mr. Cartwright zu arbeiten. Beide sind wie Eichen, wenn auch aus unterschiedlichen Wäldern. Aber wir leiden schließlich alle auf die eine oder andere Weise daran, Gefangene unserer Herkunft zu sein, Euer Lordschaft.«
Sir Matthew öffnete die Augen und starrte einen Mann an, den er am liebsten schon vor langer Zeit kennengelernt hätte.
»Den Geschworenen ist zweifellos aufgefallen, dass Sie Mr. Cartwright großen Respekt und Bewunderung entgegenbringen, Mr. Munro«, fuhr Alex fort. »Dies bedenkend, werden sie wohl kaum verstehen, wie sich derselbe Mann einer so eklatanten Hochstapelei schuldig machen konnte.«
»Ich habe in den letzten sechs Monaten ununterbrochen über diese Frage nachgedacht, Mr. Redmayne, und bin zu dem Schluss gelangt, dass seine einzige Motivation darin bestand, gegen eine sehr viel größere Ungerechtigkeit anzugehen, die …«
»Mr. Munro«, unterbrach ihn der Richter mit strenger Stimme. »Wie Sie sehr wohl wissen, ist dies weder die Zeit noch der Ort, um Ihre persönliche Meinung zum Ausdruck zu bringen.«
»Ich danke Euer Lordschaft für diesen Hinweis«, erwiderte Munro, »aber ich habe mich unter Eid verpflichtet, die ganze Wahrheit zu sagen, und ich nehme doch nicht an, dass Sie etwas anderes von mir verlangen?«
»Natürlich nicht, Sir«, fauchte der Richter. »Aber ich wiederhole, dies ist nicht der angemessene Moment, um solche Ansichten kundzutun.«
»Euer Lordschaft, wenn ein Mann seine ehrliche Meinung nicht vor dem Hohen Gericht äußern darf, dann erklären Sie mir bitte, wo er sonst sagen darf, was er für die Wahrheit hält?«
Applaus brandete auf der Besucherempore auf.
»Ich denke, Sie sollten jetzt weitermachen, Mr. Redmayne«, rief Richter Hackett.
»Ich habe keine weiteren Fragen an den Zeugen, Euer Lordschaft«, sagte Alex. Der Richter wirkte erleichtert.
Nachdem Alex sich gesetzt hatte, beugte sich Sir Matthew zu ihm und flüsterte: »Der arme Arnold tut mir fast ein wenig leid. Er muss hin- und hergerissen sein, ob er sich diesem Giganten stellen will und riskiert, gedemütigt zu werden, oder ob er ihm einfach aus dem Weg geht und die Geschworenen mit einem Eindruck zurücklässt, von dem sie noch ihren Enkeln erzählen werden.«
Mr. Munro zuckte mit keiner Wimper, während er mit festem Blick zu Pearson schaute, der sich mit seinem Assistenten beriet. Beide wirkten gleichermaßen unsicher.
»Ich möchte Sie nur ungern zur Eile antreiben, Mr. Pearson«, rief der Richter, »aber haben Sie die Absicht, den Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen?«
Pearson erhob sich noch langsamer als sonst immer, zupfte nicht an seinem Talar und berührte auch nicht seine Perücke. Er sah auf seine Liste mit Fragen, die er das ganze Wochenende über vorbereitet hatte, und änderte spontan seine Meinung.
»Ja, Euer Lordschaft, aber ich werde den Zeugen nicht lange aufhalten.«
»Lange genug, wie ich hoffe«, murmelte Sir Matthew.
Pearson ignorierte die Bemerkung und sagte: »Ich begreife nicht, Mr. Munro, wie ein Mann, der in rechtlichen Dingen so versiert und erfahren ist wie Sie, keine Sekunde lang ahnte, dass es sich bei seinem Mandaten um einen Hochstapler handelte.«
Munro klopfte mit den Fingern auf das Geländer des Zeugenstands und wartete gerade so lange, wie er noch damit durchzukommen hoffen konnte. »Das ist leicht zu erklären, Mr. Pearson«, sagte er zu guter Letzt. »Danny Cartwright verhielt sich in jedem Augenblick absolut glaubwürdig, obwohl ich zugeben muss, dass es einen Moment in unserer einjährigen Beziehung gab, als er nicht ganz auf der Hut war.«
»Und wann war das?« Pearson krallte sich wieder in das Revers seines Talars.
»Als wir über die Briefmarkensammlung seines Großvaters sprachen und ich ihn daran erinnern musste, dass er an der Ausstellungseröffnung der Sammlung im Smithsonian Institute in Washington teilgenommen hatte. Es überraschte mich, dass er sich an diesen Tag nicht zu erinnern schien, was mir merkwürdig vorkam, da er das einzige Mitglied der Familie Moncrieff war, das eine Einladung erhalten hatte.«
»Haben Sie ihn nicht dazu befragt?«, verlangte Pearson zu wissen.
»Nein«, erwiderte Munro. »Ich fand damals, dass es nicht angemessen wäre.«
»Aber wenn Sie auch nur einen Moment lang vermuteten, dass dieser Mann nicht Sir Nicholas sein konnte« – Pearson zeigte mit dem Finger auf Danny, sah aber nicht zu ihm hinüber – »dann wäre es doch sicher Ihre Pflicht gewesen, die Angelegenheit weiter zu verfolgen?«
»Ich hatte nicht das Gefühl.«
»Aber dieser Mann beging fortgesetzt einen massiven Betrug an der Familie Moncrieff, und Sie haben ihm dabei geholfen.«
»So habe ich es nicht gesehen«, erwiderte Munro.
»Als Verwalter des Moncrieff-Vermögens wäre es doch zweifelsohne Ihre Pflicht gewesen, Cartwright als Betrüger zu entlarven.«
»Nein, ich hielt das nicht für meine Pflicht«, entgegnete Munro ruhig.
»Hat es Sie gar nicht beunruhigt, Mr. Munro, dass dieser Mann in dem Londoner Stadthaus der Moncrieffs seine Zelte aufschlug, wozu er doch überhaupt kein Recht hatte?«
»Nein, das hat mich nicht beunruhigt«, erwiderte Munro.
»Waren Sie nicht entsetzt von dem Gedanken, dass ein Außenstehender nun die Kontrolle über das Moncrieff-Vermögen hatte, über das Sie so viele Jahre zum Wohle der Familie gewacht hatten?«
»Nein, Sir, dieser Gedanke entsetzte mich nicht.«
»Aber als Ihr Mandant später verhaftet wurde und man ihm Betrug und Diebstahl vorwarf, da hatten Sie doch sicher das Gefühl, Ihre Pflichten vernachlässigt zu haben?«, bohrte Pearson.
»Ich brauche von Ihnen keine Belehrung, ob ich meine Pflichten vernachlässigt habe oder nicht, Mr. Pearson.«
Sir Matthew öffnete ein Auge. Der Richter sah nicht auf.
»Aber dieser Mann hat ›das Familiensilber verscherbelt‹, um einen anderen Schotten zu zitieren, und Sie haben nichts getan, um das zu verhindern.« Pearson wurde mit jedem Wort lauter.
»Nein, Sir, er hat das Familiensilber nicht verscherbelt, und ich bin ganz sicher, Harold Macmillan hätte mir in diesem Fall recht gegeben. Das Einzige, was Danny Cartwright gestohlen hat, Mr. Pearson, war der Familienname.«
»Sie können dem Gericht zweifellos dabei helfen, das moralische Dilemma aufzuklären, dem ich mich angesichts Ihrer Hypothese gegenübersehe«, sagte der Richter, der sich inzwischen von Mr. Munros früherer Attacke erholt hatte.
Mr. Munro sah zum Richter. Er war sich bewusst, dass die Aufmerksamkeit aller im Gerichtssaal nun auf ihm ruhte, einschließlich des Polizisten an der Tür. »Euer Lordschaft müssen sich über kein moralisches Dilemma Gedanken machen, denn ich war ausschließlich an den rechtlichen Feinheiten des Falles interessiert.«
»Den rechtlichen Feinheiten?« Richter Hackett tastete sich vorsichtig vor.
»Ja, Euer Lordschaft. Da Danny Cartwright der einzige Erbe des Moncrieff-Vermögens ist, wüsste ich nicht, welches Gesetz, wenn überhaupt eines, er gebrochen haben soll.«
Der Richter lehnte sich zurück, nur allzu glücklich, dass es Pearson war, der immer tiefer im Munro-Sumpf versank.
»Könnten Sie dem Gericht bitte erklären, Mr. Munro, was genau Sie damit meinen?«, flüsterte Pearson.
»Es ist doch ganz einfach, Mr. Pearson. Der verstorbene Sir Nicholas Moncrieff verfasste ein Testament, in dem er alles Daniel Arthur Cartwright aus der Bacon Road 26 in London E3 vermachte, mit Ausnahme einer Leibrente von 10 000 Pfund, die er seinem ehemaligen Fahrer Albert Crann hinterließ.«
Sir Matthew öffnete auch das andere Auge, nicht sicher, ob er Munro oder Pearson ansehen sollte.
»Und dieses Testament wurde ordnungsgemäß ausgestellt und bezeugt?«, fragte Pearson, der verzweifelt nach einem Fluchtweg suchte.
»Es wurde von Sir Nicholas am Nachmittag der Beerdigung seines Vaters in meiner Kanzlei aufgesetzt und unterschrieben. Im Bewusstsein der Bedeutung der Situation und meiner Verantwortung als Verwalter des Familienvermögens – worauf Sie selbst mich so nachhaltig hingewiesen haben, Mr. Pearson – bat ich die Gefängnisbeamten Ray Pascoe und Alan Jenkins, die Unterschrift von Sir Nicholas im Beisein eines weiteren Partners meiner Kanzlei zu bezeugen.« Munro wandte sich an den Richter. »Ich bin im Besitz des Originaldokuments, Euer Lordschaft, falls Sie Einblick zu nehmen gedenken.«
»Danke, nein, Mr. Munro, Ihr Wort reicht mir«, erwiderte der Richter.
Pearson sank auf seinen Platz auf der Bank, vergaß völlig sein abschließendes »Keine weiteren Fragen, Euer Lordschaft.«
»Haben Sie noch weitere Fragen an den Zeugen, Mr. Redmayne?«, erkundigte sich der Richter.
»Nur eine einzige Frage, Euer Lordschaft«, erwiderte Alex. »Mr. Munro, hat Sir Nicholas Moncrieff seinem Onkel Hugo Moncrieff irgendetwas hinterlassen?«
»Nein«, sagte Munro. »Nichts. Keinen Furz.«
»Keine weiteren Fragen, Euer Lordschaft.«
Geflüsterte Unterhaltungen wogten durch den Gerichtssaal, als Mr. Munro den Zeugenstand verließ, zur Anklagebank ging und dem Angeklagten die Hand schüttelte.
»Euer Lordschaft, ich frage mich, ob ich Sie auf einen Gesetzespunkt ansprechen darf«, erkundigte sich Alex, nachdem Munro den Gerichtssaal verlassen hatte.
»Selbstverständlich, Mr. Redmayne. Aber zuvor werde ich die Geschworenen entlassen. Meine Damen und Herren Geschworene, wie Sie eben hörten, möchte der Verteidiger über eine juristische Angelegenheit mit mir reden, die möglicherweise keinen Bezug zu dem vorliegenden Fall hat, falls aber doch, werde ich Sie bei Ihrer Rückkehr davon in Kenntnis setzen.«
Alex sah zur vollen Besucherempore hoch. Sein Blick fiel auf eine attraktive junge Frau, die ihm seit Verhandlungsbeginn jeden Tag in der ersten Reihe aufgefallen war. Er hatte Danny schon nach ihr fragen wollen.
Einige Augenblicke später trat der Gerichtsdiener an das Richterpult und verkündete: »Die Geschworenenbank ist geräumt.«
»Danke, Mr. Hepple«, sagte der Richter. »Wie kann ich Ihnen helfen, Mr. Redmayne?«
»Euer Lordschaft, angesichts der Aussage von Mr. Munro schlägt die Verteidigung vor, die Anklagepunkte drei, vier und fünf fallenzulassen, also die Inbesitznahme des Hauses in The Boltons, die Vorteilsnahme aus dem Verkauf der Briefmarkensammlung und das Ausstellen von Schecks für das Konto der Coutts Bank. Wir bitten darum, diese Anklagepunkte zu streichen, da man sich ja schwerlich selbst bestehlen kann.«
Der Richter nahm sich einige Minuten, um darüber nachzudenken. »Sie haben nicht ganz unrecht, Mr. Redmayne. Was denken Sie, Mr. Pearson?«
»Ich sollte Euer Lordschaft darauf hinweisen, dass der Angeklagte zwar der Erbe im Sinne von Sir Nicholas Moncrieffs Testament sein mag, aber nichts darauf hindeutet, dass ihm das auch bewusst war.«
»Euer Lordschaft«, konterte Alex sofort, »mein Mandant war sich nicht nur des Testaments von Sir Nicholas bewusst, er wusste auch, wer die Nutznießer waren.«
»Wie kann das sein, Mr. Redmayne?«, wollte der Richter wissen.
»Während seiner Zeit im Gefängnis führte Sir Nicholas Tagebuch, wie ich bereits darlegte, Euer Lordschaft. Er notierte die Einzelheiten seines Testaments bei seiner Rückkehr nach Belmarsh nach der Beerdigung seines Vaters.«
»Das beweist nicht, dass er Cartwright in seine Gedankengänge Einblick gewährte«, stellte der Richter klar.
»Da würde ich Ihnen zustimmen, Euer Lordschaft, wäre da nicht der Umstand, dass es der Angeklagte selbst war, der meinen Assistenten auf den entsprechenden Passus hingewiesen hat …«
Sir Matthew nickte.
»Wenn dem so ist«, erklärte Pearson und eilte damit dem Richter zur Rettung, »hat die Krone keine Einwände, dass diese Anklagepunkte fallengelassen werden.«
»Ich danke Ihnen für Ihre Stellungnahme, Mr. Pearson«, sagte der Richter, »und finde ebenfalls, dass dies eine angemessene Lösung ist. Ich werde dann die Geschworenen bei ihrer Rückkehr dahingehend informieren.«
»Danke, Euer Lordschaft«, sagte Alex. »Ich bin Mr. Pearson für seine Hilfe in dieser Angelegenheit sehr verbunden.«
»Allerdings muss ich Sie sicher nicht daran erinnern, dass der schwerste Anklagepunkt, nämlich die Flucht aus dem Gefängnis, immer noch zur Debatte steht, Mr. Redmayne«, erklärte der Richter.
»Das ist mir durchaus bewusst, Euer Lordschaft«, sagte Alex.
Der Richter nickte. »Dann werde ich den Gerichtsdiener bitten, die Geschworenen wieder hereinzuführen, damit ich sie über die neuesten Entwicklungen in Kenntnis setzen kann.«
»Da wäre noch etwas, Euer Lordschaft.«
»Ja, Mr. Redmayne?« Der Richter legte seinen Stift aus der Hand.
»Euer Lordschaft, nach Sir Hugo Moncrieffs Aussage haben wir Staatsanwalt Spencer Craig eine Vorladung zustellen lassen. Er hat Euer Lordschaft um Nachsicht gebeten, da er derzeit einen Fall in einem anderen Teil dieses Gerichts zu führen hat und erst morgen früh vor dieses Gericht treten kann.«
Mehrere Angehörige der Presse eilten nach draußen, um ihre Redaktionen anzurufen.
»Mr. Pearson?«, sagte der Richter.
»Wir haben keine Einwände, Euer Lordschaft.«
»Danke. Wenn die Geschworenen zurückkehren, werde ich ihnen diese beiden Punkte erklären und sie für den Rest des Tages entlassen.«
»Wie Sie wünschen, Euer Lordschaft«, sage Alex. »Aber bevor Sie das tun, darf ich Sie noch um eine kleine Änderung in der morgigen Prozessabfolge ersuchen?«
Richter Hackett legte den Stift erneut aus der Hand und nickte.
»Euer Lordschaft, Ihnen ist sicher bewusst, dass es vor englischen Gerichten üblich ist, dass der Assistent eines Prozessanwalts einen der Zeugen in einem Fall befragen darf, um Erfahrung zu sammeln und die Gelegenheit zu erhalten, seine Karriere dadurch voranzutreiben.«
»Ich glaube, ich ahne, worauf das hinausläuft, Mr. Redmayne.«
»Mit Ihrer Erlaubnis, Euer Lordschaft, wird mein Assistent Sir Matthew Redmayne die Verteidigung übernehmen, wenn wir den nächsten Zeugen, Mr. Spencer Craig, befragen.«
Jetzt eilte auch der Rest der Presse zum Ausgang.