10
Langsamen Schrittes kehrte Beth zum Zeugenstand zurück. Sie schaute zu ihren Eltern auf der Empore hoch – und da sah sie ihn, wie er finster zu ihr hinunterblickte. Sie wollte aufbegehren, doch dann wurde ihr klar, dass es sinnlos wäre. Und nichts würde Spencer Craig mehr freuen, als zu wissen, welch eine Wirkung seine Anwesenheit auf sie hatte.
Beth trat erneut in den Zeugenstand, entschlossener denn je, Craig in die Knie zu zwingen. Sie blieb stehen und starrte Mr. Pearson trotzig an, der noch auf seinem Platz saß. Vielleicht wollte er ihr doch keine Fragen stellen.
Doch dann erhob sich der alte Staatsanwalt langsam von seinem Sitz. Ohne Beth anzusehen, ordnete er einige Papiere. Dann nahm er einen Schluck Wasser. Endlich blickte er sie an.
»Miss Wilson, was hatten Sie heute Morgen zum Frühstück?«
Beth zögerte einen Augenblick, während jedermann im Gerichtssaal sie ansah. Alex Redmayne fluchte. Es hätte ihm klar sein müssen, dass Pearson versuchen würde, sie mit seiner ersten Frage aus dem Gleichgewicht zu bringen. Nur Richter Sackville wirkte nicht überrascht.
»Ich hatte eine Tasse Tee und ein gekochtes Ei«, sagte Beth schließlich.
»Sonst nichts, Miss Wilson?«
»O ja, Toastbrot.«
»Wie viele Tassen Tee?«
»Eine. Nein, zwei«, sagte Beth.
»Vielleicht drei?«
»Nein, nein, es waren zwei Tassen.«
»Wie viele Scheiben Toast?«
Sie zögerte neuerlich. »Das weiß ich nicht mehr.«
»Sie wissen nicht mehr, was Sie heute Morgen zum Frühstück hatten, und doch erinnern Sie sich bis in letzte Detail an jeden Satz, den Sie vor sechs Monaten gehört haben.«
Beth senkte den Kopf.
»Sie erinnern sich nicht nur an jedes Wort, das Mr. Spencer Craig in jener Nacht äußerte, Sie erinnern sich sogar an solche Details, wie er Ihnen zuzwinkerte und mit der Zunge über seine Lippen fuhr.«
»Ja, ich erinnere mich.« Beth blieb fest. »Denn genau so war es.«
»Dann lassen Sie uns Ihr Gedächtnis noch weiter auf die Probe stellen, Miss Wilson. Als der Barkeeper die leere Champagner-Flasche vom Tisch nahm, da sagte Mr. Craig: ›Ist an die doch verschwendet.‹«
»Das ist richtig.«
»Aber wer sagte im Anschluss« – Pearson beugte sich vor, um einen Blick auf seine Notizen zu werfen – »›manchmal sollte eine Tussi den Mund schon weit aufmachen‹?«
»Ich bin nicht sicher, ob es Mr. Craig war oder einer der anderen Männer.«
»Sie sind ›nicht sicher‹. Also ›einer der anderen Männer‹. Eventuell der Angeklagte Cartwright?«
»Nein. Einer der Männer an der Bar.«
»Sie haben meinem hochverehrten Kollegen gesagt, dass Sie darauf nicht reagierten, weil Sie aus dem East End Schlimmeres gewohnt waren.«
»Ja, das stimmt.«
»Und genau dort haben Sie diesen Satz das erste Mal gehört, nicht wahr, Miss Wilson?« Pearson krallte sich in das Revers seines schwarzen Talars.
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Einfach darauf, dass Sie niemals hörten, wie Mr. Craig diese Worte in einer Bar in Chelsea äußerte, Miss Wilson. Sie haben jedoch im East End diese Worte häufig aus dem Mund von Cartwright gehört, denn das ist genau die Sprache, die zu ihm passen würde.«
»Nein. Mr. Craig hat das gesagt.«
»Sie erzählten dem Gericht außerdem, dass Sie das Dunlop Arms durch die Hintertür verließen.«
»Richtig.«
»Warum gingen Sie nicht durch die Vordertür, Miss Wilson?«
»Ich wollte ohne Aufsehen gehen und keine weiteren Schwierigkeiten provozieren.«
»Dann hatten Sie also bereits Schwierigkeiten provoziert?«
»Nein, wir hatten keinerlei Schwierigkeiten provoziert.«
»Warum wählten Sie dann nicht den Vordereingang, Miss Wilson? Wenn Sie das getan hätten, dann wären Sie auf einer belebten Straße gelandet und hätten gehen können, ohne – wie Sie es ausdrückten – weitere Schwierigkeiten zu provozieren.«
Beth blieb stumm.
Pearson sah auf seine Notizen. »Dann können Sie vielleicht auch erklären, was Danny meinte, als er sagte: ›Wenn du glaubst, dass ich dich Chef nenne, dann hast du dich getäuscht‹?«
»Das hat nicht Danny gesagt, sondern mein Bruder. Und es war ein Scherz«, erklärte Beth.
Pearson starrte eine Weile auf seine Notizen, bevor er fortfuhr. »Verzeihen Sie, Miss Wilson, aber ich kann an dieser Bemerkung nichts scherzhaft finden.«
»Das liegt daran, dass Sie nicht aus dem East End stammen«, meinte Beth.
»Mr. Craig auch nicht«, erwiderte Pearson und fügte rasch hinzu: »Und dann stieß Cartwright Mr. Wilson in Richtung Hintertür. War das der Moment, als Mr. Craig hörte, wie Ihr Bruder sagte: ›Komm schon, wir regeln das‹?«
»Mr. Craig sagte: ›Komm doch her, dann klären wir die Sache‹, denn so spricht jemand, der aus dem West End kommt.«
Kluge Frau, dachte Alex. Er freute sich, dass sie den Schlag hatte kommen sehen und ihn souverän abschmetterte.
»Als Sie dann im Freien waren«, fuhr Pearson zügig fort, »da wartete Mr. Craig auf Sie am Ende der Seitenstraße?«
»Ja, genau.«
»Wie lange dauerte es, bis sie ihn dort sahen?«
»Ich weiß es nicht genau«, erwiderte Beth.
»Dieses Mal erinnern Sie sich also nicht.«
»Es hat jedenfalls nicht lange gedauert«, sagte Beth.
»Es hat jedenfalls nicht lange gedauert«, wiederholte Pearson. »Weniger als eine Minute?«
»Ich bin nicht sicher. Aber er stand dort.«
»Miss Wilson, wenn man das Dunlop Arms durch den Vordereingang verlässt, muss man sich durch die Menschenmassen auf dem Bürgersteig einen Weg bahnen und dann eine beträchtliche Strecke zurücklegen, bevor man die Gasse erreicht. Es sind exakt zweihundertundelf Meter. Wollen Sie andeuten, dass Mr. Craig diese Entfernung in weniger als einer Minute zurücklegte?«
»So muss es gewesen sein.«
»Und sein Freund gesellte sich Augenblicke später zu ihm«, sagte Pearson.
»Das ist richtig«, erwiderte Beth.
»Und als Sie sich umdrehten, da standen die beiden anderen Männer, Mr. Davenport und Mr. Mortimer, bereits an der Hintertür.«
»Ja, genau.«
»Und all das geschah in weniger als einer Minute, Miss Wilson?« Er schwieg kurz. »Was glauben Sie, wann die Vier die Zeit hatten, ein derart detailliertes Vorgehen zu planen?«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen.« Beth hielt sich am Geländer des Zeugenstands fest.
»Ich glaube, Sie wissen es sehr genau, Miss Wilson, aber im Interesse der Geschworenen: Zwei Männer verlassen die Bar durch den Vordereingang, gehen zur Rückseite des Gebäudes, während die beiden anderen Aufstellung an der Hintertür nehmen. Und all das in weniger als einer Minute.«
»Vielleicht war es ja auch etwas mehr als eine Minute.«
»Aber Sie hatten es doch so eilig«, rief Pearson ihr in Erinnerung. »Wenn es mehr als eine Minute gewesen wäre, dann hätten Sie alle Zeit der Welt gehabt, zur Hauptstraße zu kommen und zu verschwinden, lange bevor die Männer auftauchten.«
»Jetzt fällt es mir wieder ein«, sagte Beth. »Danny versuchte, Bernie zu beruhigen, aber mein Bruder wollte zurück in die Bar und die Angelegenheit klären, darum muss es mehr als eine Minute gewesen sein.«
»Oder war es Cartwright, der die Sache klären wollte?«, fragte Pearson. »Und der auch gleich klarstellen wollte, wer der Chef sein würde, sobald Ihr Vater in den Ruhestand ging?«
»Wenn Bernie gewollt hätte, dann hätte er Danny mit einem Schlag zu Boden schicken können«, erklärte Beth.
»Nicht, wenn Mr. Cartwright ein Messer hatte«, erwiderte Pearson.
»Craig hatte das Messer, und Craig hat Bernie niedergestochen!«
»Wie können Sie so sicher sein, Miss Wilson? Sie haben nicht gesehen, wer zugestochen hat.«
»Aber Bernie hat mir erzählt, was geschehen ist.«
»Sind Sie sicher, dass Bernie Ihnen das gesagt hat und nicht Danny?«
»Ja, ganz sicher.«
»Vergeben Sie mir meine Schnoddrigkeit, Miss Wilson, aber gesagt ist gesagt und damit basta?«
»Ja, denn das ist die Wahrheit«, erklärte Beth.
»Miss Wilson, darf ich Sie an einige der anderen Halbwahrheiten erinnern, die Sie meinem hochverehrten Herrn Kollegen erzählt haben?«
Beth schürzte die Lippen.
»Sie sagten: ›Ich wusste, dass wir heiraten würden, schon an dem Tag, als ich ihn zum ersten Mal sah.‹«
»Ja, das habe ich gesagt, und das habe ich auch so gemeint«, erklärte Beth trotzig.
Pearson konsultierte seine Notizen. »Sie sagten auch, dass Mr. Davenport Ihrer Meinung nach ›nicht so gut aussieht‹ wie Mr. Cartwright.«
»Tut er auch nicht«, beharrte Beth.
»Und wenn etwas schieflaufen sollte, ›hatte er ja mich, um seine Aussage zu bestätigen.‹«
»Ja, genau.«
»Wie auch immer diese Aussage lautete.«
»Das habe ich nicht gesagt«, protestierte Beth.
»Nein, aber ich«, meinte Pearson. »Meiner Ansicht nach würden Sie nämlich alles sagen, um Ihren Ehemann zu schützen.«
»Aber er ist nicht mein Ehemann.«
»Das wird er aber sein, sobald man ihn auf freien Fuß setzt.«
»Ja, richtig.«
»Wie lange ist es her, seit Ihr Bruder ermordet wurde?«
»Ungefähr sechs Monate.«
»Und wie oft haben Sie Mr. Cartwright in dieser Zeit gesehen?«
»Ich habe ihn jeden Sonntagnachmittag besucht«, erklärte Beth stolz.
»Wie lange haben diese Besuche jeweils gedauert?«
»Etwa zwei Stunden.«
Pearson sah zur Decke hoch. »Dann haben Sie also grob geschätzt in den vergangenen sechs Monaten fünfzig Stunden miteinander zugebracht«, rechnete er aus.
»So habe ich das nie betrachtet«, sagte Beth.
»Jetzt aber schon, und da müssen Sie doch zugeben, dass Sie beide Zeit genug hatten, um Ihre Aussagen immer wieder durchzugehen und dafür zu sorgen, dass sie bis zu Ihrem Auftritt vor Gericht perfekt aufeinander abgestimmt waren.«
»Nein, das ist nicht wahr.«
»Miss Wilson, haben Sie in diesen fünfzig Stunden, die Sie auf Besuch im Gefängnis weilten, jemals mit Mr. Cartwright über diesen Fall gesprochen?«
Beth zögerte. »Vermutlich ja.«
»Natürlich haben Sie das«, erklärte Pearson. »Wenn dem nicht so wäre, wie erklären Sie dann, dass Sie sich an jedes Detail aus jener Nacht erinnern und sogar an jeden Satz, den die Betroffenen äußerten, obwohl Sie nicht einmal mehr wissen, was Sie heute Morgen zum Frühstück hatten?«
»Natürlich kann ich mich erinnern, was in der Nacht geschah, als mein Bruder ermordet wurde, Mr. Pearson. Wie sollte ich das vergessen können? Außerdem hatten Craig und seine Freunde sehr viel mehr Zeit, ihre Aussagen aufeinander abzustimmen, weil sie nämlich keinen Besuchszeiten oder sonstigen Beschränkungen unterlagen, wann und wo sie sich treffen konnten.«
»Bravo«, sagte Alex so laut, dass Pearson es hören konnte.
»Lassen Sie uns Ihr Gedächtnis ein weiteres Mal auf die Probe stellen, Miss Wilson.« Rasch wechselte Pearson das Thema. »Mr. Craig und Mr. Payne, die in weniger als einer Minute hinausgeeilt waren, kamen auf Ihren Bruder zu und fingen ohne Provokation eine Prügelei an?«
»Ja, genau«, sagte Beth.
»Sie prügelten sich also mit zwei Männern, die sie vor jenem Abend noch nie gesehen hatten?«
»Ja.«
»Und als es nicht mehr so gut lief, zog Mr. Craig aus heiterem Himmel ein Messer hervor und stach es Ihrem Bruder in die Brust.«
»Es war nicht aus heiterem Himmel. Er muss das Messer in der Kneipe eingesteckt haben.«
»Dann hat also nicht Danny das Messer in der Bar mitgehen lassen?«
»Nein. Ich hätte es gesehen, wenn Danny das getan hätte.«
»Aber Sie sahen nicht, wie Mr. Craig das Messer einsteckte?«
»Nein.«
»Doch eine Minute später sahen Sie ihn am Ende der Gasse?«
»Ja.«
»Hatte er zu diesem Zeitpunkt ein Messer in der Hand?« Pearson beugte sich vor und wartete auf Beths Antwort.
»Daran kann ich mich nicht erinnern.«
»Vielleicht erinnern Sie sich daran, wer das Messer in der Hand hatte, als Sie später zu Ihrem Bruder zurückgelaufen kamen?«
»Ja, da hatte Danny es in der Hand, aber er sagte, er habe es Craig abgenommen, als dieser auf meinen Bruder einstach.«
»Das haben Sie jedoch nicht gesehen?«
»Nein.«
»Und Ihr Verlobter war in Blut getränkt?«
»Natürlich«, sagte Beth. »Danny hielt ja meinen Bruder in seinen Armen.«
»Falls Mr. Craig also auf Ihren Bruder eingestochen haben sollte, dann müsste auch er blutgetränkt gewesen sein?«
»Woher soll ich das wissen? Er hatte sich ja schon aus dem Staub gemacht.«
»Hat er sich in Luft aufgelöst?«, fragte Pearson. »Wie erklären Sie es sich, dass Mr. Craig an der Theke saß, als die Polizei wenige Minuten später eintraf, und dort auf den Detective wartete, ohne dass auch nur ein Blutstropfen zu sehen gewesen wäre?«
Dieses Mal wusste Beth keine Antwort.
»Darf ich Sie daran erinnern«, fuhr Pearson fort, »wer die Polizei verständigte? Das waren nicht Sie, Miss Wilson, sondern Mr. Craig. Das ist doch merkwürdig für jemanden, der eben einen Menschen erstochen hat und dessen Kleidung blutgetränkt ist.« Er schwieg, damit das Bild in die Köpfe der Geschworenen einsinken konnte. Nachdem er einen Moment gewartet hatte, stellte er seine nächste Frage.
»Miss Wilson, war dies das erste Mal, dass Ihr Verlobter in eine Messerstecherei verwickelt war und Sie ihm zu Hilfe eilten?«
»Worauf wollen Sie hinaus?«, fragte Beth.
Redmayne starrte Beth an und fragte sich, ob es etwas gab, das sie ihm nicht erzählt hatte.
»Womöglich ist das ein guter Zeitpunkt, um Ihr bemerkenswertes Gedächtnis erneut auf die Probe zu stellen?«
Der Richter, die Geschworenen und Redmayne starrten Pearson an, der es überhaupt nicht eilig zu haben schien, genüsslich seine Trumpfkarte auszuspielen.
»Miss Wilson, erinnern Sie sich zufällig daran, was am 12. Februar 1986 auf dem Spielplatz der Clement Attlee Gesamtschule geschah?«
»Das ist doch fast fünfzehn Jahre her«, protestierte Beth.
»Ja, das stimmt, aber ich halte es für unwahrscheinlich, dass Sie einen Tag vergessen, an dem es der Mann, von dem Sie immer schon wussten, dass Sie ihn heiraten würden, auf die Titelseite Ihrer Lokalzeitung schaffte.« Pearson lehnte sich zurück, und sein Assistent reichte ihm eine Kopie der Bethnal Green and Bow Gazette vom 13. Februar 1986. Er bat den Gerichtsdiener, der Zeugin eine Kopie auszuhändigen.
»Haben Sie auch Kopien für die Geschworenen?«, fragte Richter Sackville und sah über seine Halbmondgläser hinweg zu Pearson.
»Allerdings, Euer Lordschaft«, erwiderte Pearson, während sein Assistent dem Gerichtsdiener ein dickes Bündel in die Hand drückte, der wiederum ein Exemplar dem Richter übergab, bevor er ein Dutzend Kopien an die Geschworenen verteilte und die letzte Danny entgegenhielt, der jedoch den Kopf schüttelte. Pearson wirkte überrascht, fragte sich sogar, ob Cartwright möglicherweise nicht lesen konnte. Dem würde er auf den Zahn fühlen, sobald er ihn im Zeugenstand hatte.
»Wie Sie sehen, Miss Wilson, handelt es sich um eine Ausgabe der Bethnal Green and Bow Gazette, in der von einer Messerstecherei berichtet wird, die am 12. Februar 1986 auf dem Spielplatz der Clement Attlee Gesamtschule stattfand und in deren Folge Daniel Cartwright von der Polizei vernommen wurde.«
»Er hat nur versucht zu helfen«, erklärte Beth.
»Das wird allmählich zur Gewohnheit, nicht?«, meinte Pearson.
»Was wollen Sie damit sagen?«, verlangte Beth zu wissen.
»Nun, dass Mr. Cartwright in Messerstechereien verwickelt ist und Sie sagen, dass er ›nur helfen wollte‹.«
»Aber der andere Junge kam in die Jugendstrafanstalt.«
»Und zweifelsohne hoffen Sie, dass jetzt der andere Mann im Gefängnis landen wird, anstatt der Person, die Sie zu heiraten hoffen.«
»Natürlich.«
»Ich bin froh, dass wir wenigstens in diesem Punkt Einigkeit erzielen konnten«, erklärte Pearson. »Vielleicht wären Sie so freundlich, dem Gericht den dritten Absatz auf der Titelseite der Zeitung vorzulesen, der Absatz, der mit den Worten beginnt: ›Später erzählte Beth Wilson der Polizei …‹«
Beth sah auf die Zeitung. ›Später erzählte Beth Wilson der Polizei, dass Danny Cartwright nicht an dem Kampf teilgenommen hatte, sondern nur einem Klassenkameraden zu Hilfe eilte und ihm damit wahrscheinlich das Leben rettete.‹
»Sie müssen doch zugeben, dass das irgendwie vertraut klingt, nicht wahr, Miss Wilson?«
»Aber Danny hatte mit der Messerstecherei wirklich nichts zu tun.«
»Warum ist er dann der Schule verwiesen worden?«
»Wurde er ja gar nicht. Man hat ihn nur freigestellt, solange die Ermittlungen andauerten.«
»In deren Verlauf Sie eine Aussage tätigten, die seinen Namen reinwusch und dazu führte, dass ein anderer Junge in den Jugendstrafvollzug geschickt wurde.«
Beth senkte erneut den Kopf.
»Lassen Sie uns zu der letzten Messerstecherei zurückkehren, als Sie wieder einmal passenderweise zur Hand waren, um Ihrem Freund zu Hilfe zu eilen.« Bevor Beth reagieren konnte, fuhr Pearson fort: »Stimmt es, dass Cartwright hoffte, Geschäftsführer der Werkstatt zu werden, sobald Ihr Vater in Rente gehen würde?«
»Ja, mein Dad hat Danny bereits gesagt, dass er den Job bekommen wird.«
»Haben Sie später nicht herausgefunden, dass Ihr Vater seine Meinung geändert und Cartwright gesagt hat, dass er stattdessen doch Ihrem Bruder die Leitung der Werkstatt übertragen will?«
»Ja, stimmt«, räumte Beth ein. »Aber Bernie wollte diesen Job gar nicht. Er hat immer akzeptiert, dass Danny der geborene Anführer ist.«
»Mag ja sein, aber es handelt sich schließlich um ein Familienunternehmen, wäre es da nicht allzu verständlich, dass Ihr Bruder sich übergangen fühlte?«
»Nein. Bernie wollte nie die Leitung von irgendetwas.«
»Warum sagte Ihr Bruder dann in jener Nacht ›Wenn du glaubst, dass ich dich Chef nenne, falls du meinen alten Herrn ablöst, dann hast du dich getäuscht‹?«
»Er sagte nicht falls, Mr. Pearson, er sagte sobald. Das ist ein gewaltiger Unterschied.«
Alex Redmayne lächelte.
»Leider haben wir nur Ihr Wort dafür, Miss Wilson. Es gibt drei weitere Zeugen, die eine völlig andere Geschichte erzählen.«
»Die lügen alle!« Beth hob die Stimme.
»Und Sie sind die Einzige, die die Wahrheit sagt«, tönte Pearson.
»Ja!«
»Was glaubt Ihr Vater, wer die Wahrheit sagt?« Abrupt änderte Pearson den Kurs.
»Euer Lordschaft«, rief Alex Redmayne und sprang auf, »das ist nicht nur Hörensagen, sondern hat mit dem Fall auch nichts zu tun.«
»Ich gebe meinem hochverehrten Kollegen recht«, sagte Pearson, bevor der Richter etwas erwidern konnte. »Aber da Miss Wilson und ihr Vater im selben Haushalt wohnen, dachte ich, dass die Zeugin vielleicht zu irgendeinem Zeitpunkt der Ansichten ihres Vaters zu diesem Thema gewahr geworden ist.«
»Mag sein«, erklärte Richter Sackville, »es handelt sich trotzdem um Hörensagen, und ich erkläre die Frage daher für nicht zulässig.« Er wandte sich an Beth. »Miss Wilson, Sie müssen diese Frage nicht beantworten.«
Beth sah zum Richter auf. »Mein Vater glaubt mir nicht«, schluchzte sie. »Er ist davon überzeugt, dass Danny meinen Bruder umgebracht hat.«
Plötzlich schienen alle im Gerichtssaal gleichzeitig zu reden. Der Richter musste mehrmals zur Ordnung rufen, bevor Pearson fortfahren konnte.
»Möchten Sie Ihrer Aussage noch etwas hinzufügen, was den Geschworenen helfen könnte, Miss Wilson?«, fragte Pearson hoffnungsvoll.
»Ja«, erwiderte Beth. »Mein Vater ist nicht dort gewesen. Ich aber schon.«
»Ebenso Ihr Verlobter«, warf Pearson ein. »Ich bin der Ansicht, dass ein weiterer Streit in einer langen Reihe von Auseinandersetzungen zu einer Tragödie führte, bei der Cartwright Ihrem Bruder einen tödlichen Messerstich zufügte.«
»Es war Craig – er hat meinen Bruder erstochen.«
»Während Sie sich am anderen Ende der Gasse befanden und versuchten, ein Taxi herbeizuwinken.«
»Ja, das stimmt«, sagte Beth.
»Und als die Polizei eintraf, wurde festgestellt, dass die Kleidung von Cartwright blutgetränkt war und die einzigen Fingerabdrücke auf dem Messer von Ihrem Verlobten stammten.«
»Das habe ich doch bereits erläutert«, sagte Beth.
»Dann können Sie uns vielleicht auch erläutern, warum sich kein einziger Blutstropfen auf der makellos sauberen Kleidung – Anzug, Hemd, Krawatte – von Mr. Craig befand, als ihn die Polizei kurz darauf verhörte?«
»Er hatte mindestens zwanzig Minuten, um sich umzuziehen«, sagte Beth.
»Sogar dreißig«, warf Redmayne ein.
»Und er hat zugegeben, dass er auf der Gasse war«, fügte Beth hinzu.
»Ja, das hat er, Miss Wilson, aber erst, nachdem er Ihren Schrei gehört hat. Er ließ seine Freunde in der Bar zurück, um herauszufinden, ob Sie sich in Gefahr befanden.«
»Nein, er war bereits draußen, als Bernie erstochen wurde.«
»Aber von wem erstochen?«, fragte Pearson.
»Von Craig, Craig, Craig!«, brüllte Beth. »Wie oft muss ich Ihnen das noch sagen?«
»Der es schaffte, in weniger als einer Minute in die Seitenstraße zu gelangen? Und dann irgendwie die Zeit fand, die Notrufnummer zu wählen, in die Bar zurückzukehren, seine Freunde zum Gehen aufzufordern, nach Hause zu eilen, seine blutgetränkte Kleidung zu wechseln, zu duschen, wieder in die Bar zu hasten und dann zu warten, bis die Polizei eintraf? Woraufhin er einen zusammenhängenden Bericht der Ereignisse abgeben konnte, einen Bericht, den alle Zeugen, die sich in jener Nacht in der Bar befanden, bestätigten?«
»Aber sie sagen nicht die Wahrheit«, beharrte Beth.
»Ich verstehe«, sagte Pearson. »Also lügen alle anderen Zeugen unter Eid?«
»Ja, sie beschützen ihn alle.«
»Und Sie beschützen Ihren Verlobten nicht?«
»Nein, ich sage die Wahrheit.«
»Die Wahrheit, wie Sie sie verstehen«, meinte Pearson. »Denn Sie sind ja keine echte Augenzeugin.«
»Das muss ich auch nicht sein«, erwiderte Beth. »Bernie hat mir genau erzählt, was geschah.«
»Sind Sie sicher, dass Sie das nicht von Danny gehört haben?«
»Ich habe es von Bernie gehört«, wiederholte sie.
»Kurz vor seinem Tod?«
»Ja!«, brüllte Beth.
»Wie passend«, meinte Pearson.
»Und sobald Danny in den Zeugenstand tritt, wird er meine Aussage bestätigen.«
»Nachdem Sie sich in den letzten sechs Monaten jeden Sonntag gesehen haben, Miss Wilson, zweifele ich nicht daran, dass er das tun wird«, meinte Pearson. »Keine weiteren Fragen, Euer Lordschaft.«