48
Als Fraser Munro am folgenden Morgen in Dannys Zimmer kam, fand er seinen Mandanten im Schneidersitz auf dem Boden vor, im Morgenmantel, umgeben von diversen Papieren, einem Laptop und einem Taschenrechner.
»Es tut mir leid, wenn ich Sie störe, Sir Nicholas. Soll ich später wiederkommen?«
»Nein, nein.« Danny sprang auf. »Kommen Sie herein.«
»Haben Sie gut geschlafen?« Munro sah auf den Berg an Papieren, die auf dem Boden verstreut lagen.
»Ich war überhaupt nicht im Bett«, gab Danny zu. »Ich bin die ganze Nacht die Zahlen durchgegangen.«
»Und sind Sie zu einem Ergebnis gelangt?«, fragte Munro.
»Ich hoffe doch«, sagte Danny. »Ich habe nämlich so ein Gefühl, dass Gene Hunsacker keine schlaflose Nacht hatte und sich fragt, was die gesamte Sammlung wert sein könnte.«
»Haben Sie eine Idee, wie viel …?«
»Nun, die Sammlung besteht aus 23 111 Briefmarken, die im Laufe von über siebzig Jahren zusammengetragen wurden. Mein Großvater hat seine erste Marke 1920 im Alter von 13 Jahren erstanden und er sammelte bis 1992, bis wenige Monate vor seinem Tod. Insgesamt gab er dafür über zehn Millionen Pfund aus, 13 729 412 Pfund, um genau zu sein.«
»Kein Wunder, dass Hunsacker sich nicht für den größten Sammler der Welt hält«, meinte Munro. »Einige der Marken sind unglaublich selten.«
Danny nickte. »Hier ist beispielsweise eine amerikanische Ein-Cent-Marke von 1901, mit vertauschter Mitte, eine hawaiianische blaue Zwei-Cent-Marke von 1851 und eine rote Zwei-Penny-Marke aus Neufundland von 1857, für die er 1978 stolze 150 000 Dollar zahlte. Aber das Prunkstück seiner Sammlung muss die Ein-Cent-Marke aus British Guinea sein, schwarz auf magenta, aus dem Jahr 1856, die er 1980 bei einer Auktion für 800 000 Dollar ersteigert hat. Das sind die guten Neuigkeiten«, meinte Danny. »Nicht so gut ist die Neuigkeit, dass es ein Jahr dauert, vielleicht sogar noch länger, um jede Marke schätzen zu lassen. Hunsacker weiß das natürlich, aber zu unseren Gunsten spricht, dass er kein Jahr wird warten wollen. Ich habe unter anderem einen alten Artikel gefunden, den mein Großvater aufbewahrte und in dem steht, dass Hunsacker einen Rivalen hat, einen gewissen Tomoji Watanabe, Rohstoffhändler aus Tokio.« Danny beugte sich vor und nahm einen Artikel zur Hand, der aus dem Time Magazine ausgeschnitten worden war. »Anscheinend ist es Ansichtssache, wessen Sammlung gleich nach der meines Großvaters kommt. Diese Streitfrage wäre in dem Moment geklärt, in dem einer von beiden das hier in die Finger bekommt.« Danny hielt die Inventarliste hoch.
»Dieses Wissen versetzt Sie in eine sehr starke Position«, meinte Munro.
»Möglich«, erwiderte Danny, »aber wenn man von solchen Summen spricht – und wenn ich die Sammlung überschlage, muss sie um die 50 Millionen Dollar wert sein –, gibt es nur wenige Menschen auf der Erde – vermutlich in diesem Fall nur zwei –, die auch nur darüber nachdenken, dafür zu bieten, darum darf ich nicht zu hoch reizen.«
»Jetzt haben Sie mich abgehängt«, gab Munro zu.
»Wollen wir hoffen, dass ich nicht abgehängt werde, sobald das Pokerspiel beginnt, denn wenn der Nächste, der an diese Tür klopft, nicht der Kellner ist, der das Frühstück bringt, dann wird es Gene Hunsacker sein, der hofft, eine Briefmarkensammlung zu kaufen, auf die er seit fünf Jahren scharf ist. Ich sollte also jetzt duschen und mich anziehen. Ich möchte nicht, dass er denkt, ich wäre die ganze Nacht wach gewesen und hätte mir überlegt, wie viel ich dafür verlangen kann.«
»Mr. Galbraith, bitte.«
»Wen darf ich melden?«
»Hugo Moncrieff.«
»Ich stelle Sie augenblicklich durch, Sir.«
»Wie ist es in Genf gelaufen?«, waren Galbraiths erste Worte.
»Wir stehen mit leeren Händen da.«
»Wie bitte? Wie kann das sein?«
»De Coubertin sagte, das Testament sei eine Fälschung. Er hat uns praktisch aus seinem Büro geworfen.«
»Das verstehe ich nicht.« Galbraith klang ehrlich überrascht. »Ich habe es von einem führenden Experten begutachten lassen, und es hat jeden bekannten Test bestanden.«
»Tja, de Coubertin ist anderer Meinung als Ihr führender Experte. Deswegen rufe ich an. Was sollen wir als Nächstes tun?«
»Ich rufe de Coubertin umgehend an und teile ihm mit, dass er sowohl in seinen Büros in London als auch in Genf Verfügungen erwarten darf. Er wird sich zweimal überlegen, ob er mit jemand anderem ins Geschäft kommt, bevor nicht die Authentizität des Testaments vor Gericht geklärt wurde.«
»Möglicherweise ist jetzt ein guter Zeitpunkt, um die andere Sache in Gang zu setzen, von der wir gesprochen haben, bevor ich nach Genf aufgebrochen bin.«
»Wenn ich das tun soll«, meinte Galbraith, »dann brauche ich die Flugnummer Ihres Neffen.«
»Sie hatten recht«, erklärte Munro, als Danny zwanzig Minuten später aus dem Badezimmer kam.
»Womit?«
»Der Nächste, der an die Tür klopfte, war der Kellner«, sagte Munro, während Danny sich an den Frühstückstisch setzte. »Ein aufgeweckter, junger Bursche, der mich mit einer Menge Informationen versorgte.«
»Dann war er mit Sicherheit kein Schweizer.« Danny faltete die Serviette auf.
»Es hat den Anschein, dass Mr. Hunsacker vor zwei Tagen im Hotel eingecheckt hat«, fuhr Mr. Munro fort. »Die Hotelleitung hat ihm eine Limousine zum Flughafen geschickt, um ihn von seinem Privatjet abzuholen. Der junge Mann konnte mir – im Tausch gegen zehn Schweizer Franken – auch mitteilen, dass er sein Zimmer im Hotel auf unbestimmte Zeit angemietet hat.«
»Eine gute Investition«, sagte Danny.
»Noch interessanter ist die Tatsache, dass dieselbe Limousine ihn gestern Morgen zur Banque de Coubertin fuhr, wo er sich vierzig Minuten lang mit dem Vorstandsvorsitzenden unterhielt.«
»Zweifellos, um sich die Sammlung anzusehen«, meinte Danny.
»Nein«, erklärte Munro. »De Coubertin würde niemanden ohne Ihr Einverständnis in diesen Raum lassen. Das würde gegen jede Regel der Bank verstoßen. Außerdem wäre es auch gar nicht notwendig.«
»Warum nicht?«, fragte Danny.
»Sie erinnern sich doch sicher, dass Ihr Großvater seine gesamte Sammlung anlässlich seines 80sten Geburtstages im Smithsonian Institute in Washington ausstellte? Einer der ersten, der am Eröffnungsmorgen durch die Tür trat, war Gene Hunsacker.«
»Was hat der Kellner Ihnen noch erzählt?«, fragte Danny.
»Momentan frühstückt Mr. Hunsacker auf seinem Zimmer, das einen Stock über uns liegt. Vermutlich wartet er darauf, dass Sie an seine Tür klopfen.«
»Da wird er lange warten müssen«, sagte Danny. »Ich habe nicht die Absicht, der Erste zu sein, der blinzelt.«
»Schade«, meinte Munro. »Ich hatte mich schon auf diese Begegnung gefreut. Ich hatte einmal das Privileg, bei einer Verhandlung dabei zu sein, die Ihr Großvater führte. Am Ende der Verhandlung war ich völlig am Ende mit den Nerven – und dabei war ich auf seiner Seite.«
Danny musste lachen.
Es klopfte an die Tür.
»Früher als ich gedacht hatte«, sagte Danny.
»Das könnte Ihr Onkel Hugo sein, der uns eine neue Verfügung zustellen lässt«, sagte Munro.
»Oder es ist der Kellner, der das Frühstück abräumen will. Wie auch immer, ich brauche einen Augenblick, um diese Papiere aufzuräumen. Hunsacker darf nicht glauben, dass ich nicht wüsste, was die Sammlung wert ist.« Danny kniete sich auf den Boden. Munro half ihm, die verstreuten Papiere einzusammeln.
Es klopfte erneut an die Tür, dieses Mal etwas lauter. Danny verschwand mit allen Papieren im Badezimmer, während Munro die Tür öffnete.
»Guten Morgen, Mr. Hunsacker, wie schön, Sie wiederzusehen. Wir haben uns in Washington getroffen.« Er streckte ihm die Hand entgegen, aber der Texaner schoss an ihm vorbei auf der Suche nach Danny. Gleich darauf öffnete sich die Badezimmertür und Danny tauchte im Morgenmantel des Hotels auf. Er gähnte und räkelte sich.
»Was für eine angenehme Überraschung, Mr. Hunsacker«, sagte er. »Womit haben wir dieses unerwartete Vergnügen verdient?«
»Überraschung? Sparen Sie sich das! Sie haben mich gestern beim Frühstück gesehen, mich übersieht man nicht so leicht«, erklärte Hunsacker. »Und Sie können sich die Nummer mit dem Gähnen sparen, ich weiß, dass Sie bereits gefrühstückt haben.« Er sah auf das halb gegessene Stück Toast.
»Das hat Sie zweifelsohne zehn Schweizer Franken gekostet.« Danny grinste. »Erzählen Sie mir, warum Sie in Genf sind.« Er ließ sich in den einzigen bequemen Sessel im Zimmer sinken.
»Sie wissen verdammt gut, warum ich in Genf bin.« Hunsacker zündete seine Zigarre an.
»Auf diesem Stockwerk darf nicht geraucht werden«, ermahnte ihn Danny.
»Quatsch.« Hunsacker ließ Asche auf den Teppich fallen. »Wie viel wollen Sie?«
»Wofür, Mr. Hunsacker?«
»Spielen Sie keine Spielchen mit mir. Wie viel wollen Sie?«
»Ich muss zugeben, ich habe mich nur wenige Augenblicke, bevor Sie an meine Tür klopften, mit meinem Rechtsbeistand darüber unterhalten. Er empfahl mir, noch etwas zu warten, bevor ich irgendwelche Zusagen mache.«
»Warum warten? Sie interessieren sich doch überhaupt nicht für Briefmarken.«
»Stimmt«, gab Danny ihm recht. »Möglicherweise aber jemand anderes.«
»Wer zum Beispiel?«
»Mr. Watanabe zum Beispiel«, sagte Danny.
»Sie bluffen doch nur.«
»Das hat er über Sie auch gesagt.«
»Sie stehen bereits in Kontakt mit Watanabe?«
»Noch nicht«, räumte Danny ein. »Aber ich erwarte jede Minute seinen Anruf.«
»Nennen Sie mir Ihren Preis.«
»65 Millionen Dollar«, sagte Danny.
»Sie sind ja verrückt. Das ist doppelt so viel, wie die Sammlung wert ist. Ist Ihnen klar, dass ich der einzige Mensch auf diesem Globus bin, der sich die Sammlung überhaupt leisten kann? Ein einziges Telefonat könnte Ihnen bestätigen, dass Watanabe gar nicht in meiner Liga spielt.«
»Dann muss ich die Sammlung eben aufteilen«, meinte Danny. »Schließlich hat mir Mr. Blundell versichert, dass Sotheby’s mir für den Rest meines Lebens ein beträchtliches Einkommen sichern könnte, ohne dabei jemals den Markt zu überschwemmen. Dann hätten Sie und Mr. Watanabe die Chance, sich all jene besonderen Kostbarkeiten herauszupicken, die Sie gern Ihrer Sammlung hinzufügen möchten.«
»Dann müssten Sie aber zehn Prozent Auktionsgebühr auf jedes Stück der Sammlung zahlen.« Hunsacker zeigte mit seiner Zigarre auf ihn.
»Und vergessen wir nicht die zwanzig Prozent Prämie, die Sie als Käufer zahlen müssten«, entgegnete Danny. »Seien wir ehrlich, Gene, ich bin dreißig Jahre jünger als Sie. Ich habe keine Eile.«
»Ich bin bereit, 50 Millionen zu zahlen«, erklärte Hunsacker.
Danny war überrascht, da er erwartet hatte, Hunsacker würde bei 40 Millionen anfangen, aber er blinzelte nicht einmal. »Ich wäre bereit, auf 60 herunterzugehen.«
»Sie wären bereit, auf 55 herunterzugehen«, sagte Hunsacker.
»Nicht für einen Mann, der in seinem Privatjet um den halben Globus geflogen kommt, nur um herauszufinden, wem am Ende die Moncrieff-Sammlung zufällt.«
»55«, wiederholte Hunsacker.
»60«, beharrte Danny.
»Nein, 55 ist meine Obergrenze. Ich würde die volle Summe an jede Bank dieser Welt überweisen lassen, was bedeutet, sie könnte innerhalb der nächsten zwei Stunden auf Ihrem Konto sein.«
»Warum werfen wir nicht eine Münze um die letzten fünf Millionen?«
»Weil Sie bei meinem Vorschlag nicht verlieren können. Ich sagte 55. Nehmen Sie mein Angebot an oder lassen Sie es.«
»Ich glaube, ich lasse es.« Danny erhob sich aus dem Sessel. »Einen guten Rückflug nach Texas, Gene. Rufen Sie mich an, wenn es eine bestimmte Marke gibt, für die Sie gern ein Angebot unterbreiten würden, bevor ich Mr. Watanabe anrufe.«
»Also gut, also gut. Ich werfe um die letzten fünf Millionen eine Münze mit Ihnen.«
Danny wandte sich an seinen Anwalt. »Wären Sie so gut, als Kampfrichter zu agieren, Mr. Munro?«
»Schiedsrichter«, sagte Hunsacker.
»Selbstverständlich«, erwiderte Munro. Danny reichte ihm ein Pfund und sah zu seiner Überraschung, dass Munros Hand zitterte, während er die Münze auf seinem Daumen balancierte. Dann warf er sie hoch in die Luft.
»Kopf«, rief Hunsacker.
Die Münze landete in dem dicken Teppich vor dem Kamin. Sie stand aufrecht auf dem Rand.
»Einigen wir uns auf 57 500 000 Dollar«, schlug Danny vor.
»Abgemacht.« Hunsacker beugte sich nach unten, hob die Münze auf und steckte sie in seine Tasche.
»Ich glaube, die gehört mir.« Danny streckte seine Hand aus.
Hunsacker überreichte ihm die Münze und grinste. »Jetzt geben Sie mir den Schlüssel, Nick, damit ich mir die Ware ansehen kann.«
»Dazu besteht keine Veranlassung«, sagte Danny. »Schließlich haben Sie die Sammlung schon gesehen, als sie in Washington ausgestellt wurde. Ich werde Ihnen jedoch gestatten, das Register meines Großvaters einzusehen.« Er nahm das dicke Lederbuch von einem Beistelltisch und reichte es Hunsacker. »Was den Schlüssel angeht«, fügte er mit einem Lächeln hinzu, »den wird Mr. Munro Ihnen in dem Augenblick aushändigen, in dem das Geld auf meinem Konto eingegangen ist. Ich glaube, Sie sprachen von zwei Stunden?«
Hunsacker ging in Richtung Tür.
»Ach, Gene …«
Hunsacker drehte sich um.
»Versuchen Sie, das Geld zu überweisen, bevor in Tokio die Sonne untergeht.«
Desmond Galbraith nahm den Hörer des privaten Telefonanschlusses auf seinem Schreibtisch ab.
»Jemand vom Hotelpersonal hat mir glaubhaft bestätigt, dass sie für den British Airways Flug 737 gebucht sind«, sagte Hugo Moncrieff. »Das Flugzeug hebt um 20 Uhr 55 hier ab und landet um 21 Uhr 45 in Heathrow.«
»Mehr muss ich nicht wissen«, sagte Galbraith.
»Wir fliegen gleich morgen früh nach Edinburgh zurück.«
»Dann sollte de Coubertin mehr als genug Zeit haben, um noch einmal zu überdenken, mit welchem Zweig der Familie Moncrieff er Geschäfte tätigen möchte.«
»Möchten Sie ein Glas Champagner?«, fragte die Stewardess.
»Danke, nein«, erwiderte Munro. »Nur einen Scotch mit Soda.«
»Und Sie, Sir?«
»Ich nehme gern ein Glas Champagner, vielen Dank«, sagte Danny. Nachdem die Stewardess gegangen war, wandte er sich an Munro. »Was glauben Sie, warum die Bank den Anspruch meines Onkels nicht ernst genommen hat? Er hat de Coubertin doch bestimmt das neue Testament gezeigt?«
»Sie müssen etwas entdeckt haben, was mir entgangen ist«, meinte Munro.
»Warum rufen Sie de Coubertin nicht an und fragen ihn?«
»Der Mann würde nicht einmal zugeben, jemals Ihren Onkel getroffen zu haben, geschweige denn, das Testament Ihres Großvaters gesehen zu haben. Aber jetzt, wo Sie fast 60 Millionen Dollar auf der Bank haben, nehme ich an, dass ich für Sie gegen alle Verfügungen angehen soll?«
»Ich frage mich, was Nick getan hätte«, murmelte Danny und fiel in einen tiefen Schlaf.
Munro hob eine Augenbraue, drängte aber nicht weiter in seinen Mandanten, weil ihm wieder einfiel, dass Sir Nicholas in der Nacht zuvor nicht geschlafen hatte.
Danny wachte abrupt auf, als das Flugzeug am Flughafen Heathrow aufsetzte. Er und Munro gehörten zu den ersten, die ausstiegen. Als sie die Treppe hinuntergingen, sahen sie zu ihrer Überraschung drei Polizisten auf dem Flugfeld stehen. Munro fiel auf, dass sie keine Maschinengewehre mit sich führten, darum konnten sie nicht zur Flughafensicherheit gehören. Als Dannys Fuß den Boden berührte, packten ihn zwei Polizisten, während ihm der Dritte die Hände auf den Rücken drückte und ihm Handschellen anlegte.
»Sie sind verhaftet, Moncrieff«, sagte einer von ihnen, als sie ihn fortführten.
»Mit welcher Begründung?«, verlangte Munro zu wissen, aber er erhielt keine Antwort, denn der Streifenwagen fuhr bereits unter Sirenenlärm davon.
Danny hatte sich seit seiner Entlassung jeden Tag gefragt, wann man ihm auf die Schliche kommen würde.
Es überraschte ihn nur, dass sie ihn Moncrieff genannt hatten.
Beth hielt den Anblick ihres Vaters nicht mehr aus, mit dem sie seit Tagen nicht mehr gesprochen hatte. Obwohl der Arzt sie vorgewarnt hatte, konnte sie nicht glauben, wie ausgezehrt er in dieser kurzen Zeit geworden war.
Hochwürden O’Connor hatte sein Gemeindemitglied jeden Tag besucht, seit er zum Pflegefall geworden war, und an diesem Morgen hatte er Beths Mutter gebeten, Familienangehörige und enge Freunde für diesen Abend ans Bett zu rufen, da die Sterbesakramente nicht länger aufgeschoben werden konnten.
»Beth.«
Beth fuhr zusammen, als ihr Vater sie ansprach. »Ja, Dad?« Sie nahm seine Hand.
»Wer leitet jetzt die Werkstatt?«, fragte er mit einer hohen, fast unhörbaren Stimme.
»Trevor Sutton«, erwiderte sie leise.
»Das schafft er nicht. Du musst jemand anderen suchen, und zwar schnell.«
»Das mache ich, Dad«, erwiderte Beth pflichtschuldigst. Sie sagte ihm nicht, dass sonst keiner den Job wollte.
»Sind wir allein?«, fragte er nach langer Pause.
»Ja, Dad. Mum ist nebenan und spricht mit Mrs. …«
»Mrs. Cartwright?«
»Ja«, gab Beth zu.
»Gott sei gedankt für ihren gesunden Menschenverstand.« Er hielt inne und holte tief Luft. »Den du von ihr geerbt hast.«
Beth lächelte.
Das Sprechen war schon fast zu viel für ihn. »Sag Harry«, flüsterte er plötzlich, mit noch schwächerer Stimme, »sag Harry, ich will sie beide sehen, bevor ich sterbe.«
Beth hatte schon vor einiger Zeit aufgehört, ›Du wirst nicht sterben‹ zu sagen, und flüsterte ihm daher nur ins Ohr: »Das mache ich, Dad.«
»Ich will ihnen sagen, dass ich mich geirrt habe.« Noch eine lange Pause, noch ein Kampf um Atem, dann wisperte er: »Versprich mir nur eines.«
»Alles.«
Er packte den Arm seiner Tochter. »Du musst dafür kämpfen, seinen Namen reinzuwaschen.« Der Griff wurde plötzlich schwächer, dann erschlaffte die Hand gänzlich.
»Das werde ich«, versprach Beth, obwohl sie wusste, dass er sie nicht mehr hören konnte.