7. Bericht beim Captain – 3 Tage bis zum Bogen

 

Marla stand vor der Tür zum Quartier des Captains. Noch einmal ging sie in Gedanken das bevorstehende Gespräch durch. Sie wusste, val’ men Porch mochte es, wenn seine Crew vorbereitet erschien und zudem schnell auf den Punkt kam. Sie drückte zweimal den Meldeknopf rechts neben der Tür und wartete. Marla lauschte, aber von innen drangen keine Geräusche nach außen. Wie auch, eine spezielle Isolierung schottete das gesamte Quartier ab. Der Meldeknopf pulsierte grün und die Edelstahltür schob zur Seite.

„Bitte treten Sie ein“, ertönte von innen eine freundliche, maskuline Stimme und die Navigatorin betrat das großzügige Büro.

Im individuell und liebevoll eingerichteten Raum des Captains fühlte Marla sich sofort wohl. Ihre Blicke folgte der großen Anzahl Regale aus dunklen und hochwertigen Holzsorten, die auf der linken Seite die gesamte Wand zierten. Sie war fasziniert von den verschiedenartigen Sammelobjekten, die der Captain in den bereisten Sonnensystemen zusammengetragen hatte. Weiter hinten trug ein Podest ein imposantes Aquarium mit trifallianischen Quatras Soquar Wasques, eine beeindruckende Fischsorte, die mit wechselnder Hautverfärbung ihren emotionalen Zustand signalisierte. Rechter Hand wartete der Captain an seinem überdimensionierten Schreibtisch aus zusätzlich gedunkeltem Mahagoniholz.

„Bitte geben Sie mir einen Moment!“, val’ men Porchs Finger tätigten einige abschließende Eingaben auf dem virtuellen Tastenfeld des in die Tischplatte integrierten Computers. Er schaute kurz hoch, betrachtete Marla und benutzte dann seinen Kommunikator.

„Herr Montecroix?“

Es dauerte unerwartet lange, dann ertönte die Stimme des Wartungstechnikers.

„Ja – hier Montecroix.“

„Ich habe Ihren Bericht gelesen und entsprechend meiner Ideen erweitert. Melden Sie sich dazu doch bitte bis morgen Abend bei mir.“

„Das mache ich. Danke Captain.“

Der Erste trennte die Verbindung und Marla ging auf ihn zu, um ihn mit Handschlag zu begrüßen.

„Guten Morgen, Rati val’ men Porch.“

Er stand auf, reichte ihr freundschaftlich seine Hand und erwiderte den Gruß.

„Guten Morgen, Frau Santiago. Schön, Sie zu sehen. Ihr letzter Besuch ist ein paar Tage her. Wie geht es Ihnen?“ Dabei blickte ihr der krontenianische Captain interessiert in ihre großen hellblauen Augen.

„Es geht mir sehr gut, danke“, entgegnete Marla und lächelte.

„Ich hörte von Vanti val’ tech Dahr, Sie und Ihr Team konnten im letzten Monat den Aktivitätsgrad der Navigationszentrale um drei Prozent steigern. Respekt!“

„Danke. Dennoch verdanken wir das den neuen Steuersystemen, die wir auf Segatar erworben haben.“

„Bescheiden, wie immer.“

„Ich sage nur, wie es ist“, konterte Marla

Der Captain war ein hochgewachsener Krontenianer. Er legte großen Wert auf gepflegtes Aussehen. Val’ men Porch trug helles Haar, das für Krontenianer typisch im oberen Teil der Stirn begann. Seine Augen waren schön und wirkten wach. Seine Gliedmaßen waren recht lang, länger als bei vielen anderen Spezies, und trotzdem machten die Oberarme und Hände einen kräftigen, durchtrainierten Eindruck. Die braune Uniform saß an ihm wie maßgeschneidert und das schlichte Abzeichen auf seiner Brust machte jedem klar: Er war hier der Captain.

Marla mochte seine ruhige Art, doch als sie merkte, wie ihr Arbeitgeber sie musterte und sich ihre Blicke trafen, schaute sie verlegen zu Boden.

„Frau Santiago, aus welchem Grund sind Sie heute bei mir, wie kann ich Ihnen helfen?“, lockerte der Captain die Situation.

„Sie mir helfen?“, flachste Marla. „Mag val’ Volleg und ich haben in der letzten Schicht etwas bestätigt, was vor einigen Tagen das erste Mal unser Interesse geweckt hatte.“ Marla wartete kurz, ob val’ men Porch in irgendeiner Art reagieren würde. Doch er blieb ruhig stehen und seine Augen blickten sie fordernd an. Er sagte kein Wort.

„Durch einem kleinen Umweg auf unserer Route zum Zielhafen auf Lumpur könnten wir einen Bogen passieren!“ Marla strahlte und freute sich, diese Neuigkeit überbringen zu können. Der Captain zog beeindruckt die Augenbrauen hoch.

„Sehr gut! Es gibt da nur eine Sache, Frau Santiago.“

„Captain?“

„Sie alleine haben den Bogen aufgespürt und bestätigt. Val’ Volleg hat davon gar keine Ahnung.“

„Wahrscheinlich war es so ... Ich habe das Phänomen bei Mags Einführung entdeckt.“

„Sie sind nicht umsonst meine Erste Navigatorin. Okay – wie verfahren wir weiter?“

Das war ein Lob, das seine Wirkung nicht verfehlte und ihr wurde ganz warm. Der Captain schien nun bester Laune zu sein. Locker strich er sich durchs Haar.

„Ein Bogen ist ein schönes Schauspiel ...“, begann Marla ihren Satz.

„... und kann uns reich machen, sehr reich“, beendete val’ men Porch den Satz. „Wir brauchen Jack Gibson hier in meinem Büro.“ Porch ging an seinen Schreibtisch und tippte einen zweistelligen Code für den Kommunikator auf das berührungsempfindliche Display.

„Gibson, ich brauche Sie in meinem Raum.“ Der Captain sprach mit ruhiger Stimme und deaktivierte anschließend die Kommunikation. Er musste auf keine Bestätigung seines Frachtmeisters warten. Es würde nicht lange dauern, bis es an der Edelstahltür klingelte.

„Jack betreut die einundzwanzig Frachträume seitdem wir mit der „Beautiful Decision“ zur Jungfernfahrt aufgebrochen sind.“

„Das weiß ich“, antwortete Marla. „Soweit ich informiert bin, arbeitet er schon sehr viel länger für Sie?“

„Stimmt, Jack gehörte schon auf anderen Schiffen zu meiner Crew. Schon ewig hat er die Verantwortung für Verladung sowie Entladung und koordiniert dementsprechend die gesamte Frachtraumplanung. Über die Jahre wurde er zu meinem Mann für alle besonderen und anspruchsvollen Probleme.“

„Bisher hatte ich wenig mit ihm zu tun, lediglich einige Begegnungen in der Kantine. Ach, und auf den Fluren habe ich Jack verschiedene Male in Aktion erlebt.“ Marla griente.

Es schellte. Wie erwartet, hatte es nicht lange gedauert. Der Erste gab die Kabinentür frei. Jack, ein grober Kerl, nicht wirklich ungepflegt, nicht wirklich schlank, trat herein. Er trug eine digitale Brille, die mit ihren technischen Möglichkeiten jedes herkömmliche Sichtglas übertraf. Jack hatte sein kräftiges, widerspenstiges, dunkelblondes Haar zum Seitenscheitel gekämmt. Marla hasste Oberlippenbärte, nicht nur weil sie beim Küssen störten, aber zu Jack passte diese Art von Bartwuchs. Er trug einen anthrazitfarbenen Einteiler mit breitem Gürtel, dazu dicke Stiefel.

‚Jack macht eigentlich einen ganz ordentlichen Eindruck, obgleich er durch seine heftigen Emotionen und die mangelnde Kontrolle darüber immer wieder zu cholerischen Ausbrüchen neigte.’ Marla erinnerte sich gut an einen Vorfall vor etwa zwei Monaten. Jack und sein Team waren mit dem Ausladen von Waren auf dem Planeten Elotroi beschäftigt gewesen. Einer seiner Lagerarbeiter, Paas val‘ Dabér, hatte nicht aufgepasst und lieferte eine Frachtbox an einen falschen Kunden. Ein anderer Kollege hatte beim Entladen aus Unachtsamkeit das Schutzgitter der großen Rampe am Heck gestreift. Als dann Junis Triage, der Systemadministrator des Schiffes, bei einem Diagnoselauf kurzfristig die Frachtaufzüge lahm gelegt hatte, flippte Jack vollkommen aus und beschimpfte die Kollegen als „faules, desorientiertes, halbhirniges Primatenpack“ – ein Begriff, den Marla nie vergessen hatte und der sie auch heute noch schmunzeln ließ. Jacks heftige Emotion und häufig aggressive Reaktion waren von ihm nur schwer beherrschbar. Einige Mitglieder der Mannschaft sahen über dieses Defizit hinweg, andere wollten deswegen mit dem Frachtmeister nichts zu tun haben. Marla erinnerte sich an eine andere Begebenheit, da zerriss Jack in der schiffseigenen Bibliothek ein Buch, weil er bei seiner Recherche nicht gleich fündig wurde. Dafür erhielt er vom Captain einen Verweis und wurde seit dem Tag nicht mehr in der Bücherei gesehen.

„Jack, wir haben einen Bogen lokalisiert“, duzte der Captain seinen Frachtmeister. „Was hältst du davon?“

„Na klasse! Dann freuen sich alle auf das Feuerwerk, Silvester wird dieses Jahr vorverlegt.“

„Jack!“, unterbrach der Captain.

„Okay, ich denke, wir wollen das Methan.“ Er überlegte laut. „Und wo wollen wir hin damit?“

Der Frachtmeister wusste genau, der Captain hatte es auf das freiwerdende Gas abgesehen.

„Methan gilt in diesem Sonnensystem als sehr wertvoller Rohstoff“, führte val’ men Porch aus. „Nirgendwo in diesem Sektor kann es gefördert werden, denn die Vorkommen unter der Oberfläche der bewohnbaren Planeten sind zu unbedeutend und die Anlieferung mit Tankschiffen aus fremden Systemen stellt ein kostspieliges Unterfangen dar.“

„Mit einer erfolgreichen Absaugung des entstehenden Methans lassen sich viele Rollars verdienen“, fügte Marla hinzu.

„Damit wir so große Mengen lagern können, müssen wir das Gas komprimieren. Ich habe nicht viele leere Druckbehälter an Bord.“ Gibson grübelte. „Die Frachträume sind zurzeit zwar nicht ausgelastet, aber für die Lagerung müssten wir schon einige Behälter mehr haben, die solchen Druckverhältnissen standhalten. Normale Transportcontainer und Frachtboxen halten die entstehenden Belastungen auf keinen Fall aus. Ein kurzfristiger Zukauf von Druckbehältern scheint bei unserem aktuellen Kurs Richtung Lumpur nicht möglich zu sein.“

Marla war bei Jacks Ausführungen eine Idee gekommen.

„Jack, könnten wir ...“

Der Captain hob die Hand. Sein Blick wechselte zwischen den beiden völlig unterschiedlichen Mannschaftsmitgliedern. „Macht euch ein paar Gedanken, holt den Rest der Führungsoffiziere dazu, besprecht es mit den anderen. In drei Stunden höre ich mir die Ergebnisse im vorderen Besprechungsraum an.“

„Werden wir tun“, antwortete Marla und Jack stimmte zu.

Sie verließen die Unterkunft val’ men Porchs und folgten dem Flur zu den Expressaufzügen.

„Was glaubst du, wie viel Methan wird bei der Entstehung des Bogens ins All freigesetzt?“, überlegte Jack, während sie in den Aufzug stiegen.

„Etage vier“, wies Marla die Sprachsteuerung an und die Lifttür schloss sich. „Ich denke, die Menge braucht uns keine Sorgen zu machen. Wir werden die freiwerdende Menge niemals komplett lagern können.“

 

 

Krontenianer - Rendezvous am Bogen
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