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In dem qualmdurchwölkten Küchengewölbe war kaum noch die Hand vor Augen zu sehen, aber es roch verführerisch nach Rebhuhn. »Tobias!«, brüllte der Koch. »Beweg deine Füße, gleich wird der König hier sein. Sie haben sein Banner schon in Dürnast gesehen.«

Der graumelierte, über den Ohren abgeschnittene Pagenkopf des Dieners schälte sich aus dem Dunst. Es war voll in dem winzigen Raum. Für den hohen Besuch reichte das Gesinde des Burgherrn bei weitem nicht aus, da mussten seine Abhängigen aushelfen. Verstohlen schnüffelte Tobias an den zugedeckten Schüsseln mit dem ersten Gang, während er sie auf das Holzbrett stellte. Als der Koch nicht hinsah, hob er einen Deckel und naschte. Dominikanertorte, dachte er. Ein köstlicher Duft nach Aal, Käse und Flusskrebsen kitzelte seinen Gaumen. Dazu kamen die Aromen von Safran, Ingwer und sogar Paradieskörnern, wie der geübte Dieb sofort erkannte.

»Die Hexe wird uns alle zu Schaden bringen«, zischte die Allgeierin. Sie schob den schweren Holzschieber mit Broten in den Ofen, schüttelte die Teigfladen auf das Eisenbrett und zog ihn ächzend wieder heraus. Eine davongelaufene Leibeigene war schon aufregend genug, aber dass Anna sich wieder hierherwagte und auch noch ihren Herrn schlug, war geradezu undenkbar. Wenn Herr Ulrich sie im nächsten Sumpf ertränkte, ohne ihr vorher bei lebendigem Leib die Haut abzuziehen, konnte sie von Glück sagen.

»Halt’s Maul!«, fuhr Regina dazwischen, die soeben hereinkam. »Anna ist keine Hexe.«

»Der Herr wird ihr das Fell über die Ohren ziehen«, meinte Tobias. »Ein Wunder, dass er sie nicht gleich erschlagen hat.«

»Ach, zum Teufel mit Herrn Ulrich«, stieß Regina leise hervor. »Hier quellen die Schüsseln über, und unten im Dorf sterben die Kinder am Hunger!«

Schweigen breitete sich aus. Die anderen sahen sie erschrocken an, als hätte sie eine Gotteslästerung ausgesprochen.

Draußen begannen die Leute zu jubeln. Die Diener sahen sich an und liefen ins Freie. Aber keiner hatte Regina widersprochen.

Lächelnd beobachtete Königin Beatrix, wie ein Mädchen mit gerafften Röcken und gerötetem Gesicht vor ihnen her durchs Burgtor rannte. Kaltenberg war wirklich nicht groß, dachte sie, als sie die Vorburg hinter sich hatten. Eine waghalsig über den Burggraben gebaute Kapelle durchbrach die abweisenden Mauern, dahinter ragte ein kleiner Bergfried auf. Eine Schar zerlumpter Dorfkinder, Spielleute und fahrende Tierbändiger strömten zusammen. Sackpfeifer spielten auf, und ein schwarzhaariger Hüne zeigte unter lautem Geschrei der Kinder seine Muskeln.

»Platz da!«, brüllte ein Herold und stieß in seine Fanfare. »Aus dem Weg, ihr nutzloses Pack! Platz für den König! König Ludwig von Baiern, Sohn Herzog Ludwigs des Strengen …«

In leierndem Ton betete er die Ahnenreihe seines Herrn herunter und verlängerte sie bis hinauf zu Adam und Eva. Während sie auf ihrem Zelter neben ihm ritt, betrachtete Beatrix ihren Mann. In Rüstung, im blauen Waffenhemd mit den weißen Kreuzen war er ihr immer ein wenig fremd, aber das hatte seinen Reiz. Er ritt einen riesigen Schimmel, der unter der weißblauen Pferdedecke und mit den gelben Scheuklappen beeindruckend wirkte.

»Bleibst du den Winter bei mir?«, fragte sie, während sie sich durch das jubelnde Volk langsam ihren Weg bahnten. »Das ganze Jahr war ich allein, du bist nicht einmal gekommen, als ich krank war.« Die letzten Jahre hatten sie ausgelaugt. Sorge um Ludwig, die Trauer um zwei Kinder und die ständigen Geburten hatten die ohnehin zarte Frau noch zerbrechlicher gemacht. Der hermelinverbrämte Surcot aus grünem Brokat schmiegte sich eng an ihren Oberkörper und ließ das Ende des Rippenbogens erkennen. Ihre Handinnenflächen waren gerötet, und sie war völlig erschöpft von der Reise. Aber ihr blondes Haar glänzte unter dem Gebende, und ihre Augen blickten erwartungsvoll.

»Das war unmöglich. Wir lagen Friedrich vor Straßburg gegenüber«, erwiderte er kurz.

Sie seufzte. »Zum wievielten Mal habt ihr euch ohne Schlacht getrennt?« Ludwig antwortete nicht. »Während du mit Friedrich den Ritter gegeben hast, musste ich mich um deine Schutzbefohlenen kümmern. Immer wieder wollten die Leute ihre Wut über den Hunger und die schlechten Geschäfte an den Juden auslassen. Es war schwer, sie davon abzuhalten.«

»Ich versuche doch, den Handel zu stärken«, brauste er auf. Die Leute erschraken, Beatrix sah ihn wortlos an. Er griff plötzlich zu ihr herüber und legte die Hand auf ihre Zügelhand.

»Also gut«, gab er nach. »Ich bleibe den Winter in München. Und jetzt genieße das Turnier! Du musst nicht dabei sein, wenn ich nachher mit der Stadt Landsberg verhandle. Sie hat unter Leopold zum zweiten Mal schwer gelitten, ich werde ihr das Salzzollrecht verleihen. Im Augenblick muss ich um jeden Verbündeten kämpfen. Aber ich werde meinen Feinden beweisen, dass ich noch lange nicht geschlagen bin.« Das Lächeln, das sie an ihm zu lieben gelernt hatte, spielte um seine breiten Lippen. »Friedrich glaubt, ich liege im Büßergewand auf den Knien und bete, mit heiler Haut aus diesem Krieg zu kommen. Wenn er hört, dass ich ein Turnier abhalte, wird er platzen vor Wut. Außerdem sehe ich so, wer von meinen bairischen Gefolgsleuten überhaupt noch zu mir steht«, setzte er mit seinem unverwüstlichen trockenen Humor nach.

Beatrix musste lachen. »Hast du ihretwegen dieses beeindruckende Gefolge aufgeboten? Wie sollen wir bloß alle auf dieser winzigen Burg unterkommen?«

Sie drehte sich im Sattel um. Mehrere einfache Ritter, Knappen und Jungherren begleiteten ihn, aber die würden ihre Zelte unten im Lager aufschlagen. Hinter ihnen kamen Ludwigs Schreiber und der Marschall. Dann folgten der Jagdmeister, Falkner, Hundeführer und schließlich die Pagen und Damen, der Kaplan und seine eigenen Spielleute. Gaukler, die Feuer spuckten und mit Ringen jonglierten, rannten hinterher und nutzten die Aufmerksamkeit.

Beatrix warf eine Handvoll Münzen unter die Leute, und sofort prügelten sich Kinder und Bettler darum. »Dieser Ulrich ist ehrgeizig«, sagte sie, als der Burgherr und sein Vater ihnen entgegenkamen. »Ich weiß nicht, ob es klug war, das Turnier gemeinsam mit ihm zu veranstalten.«

Widerwillig bemerkte Ulrich, wie die Diener im Rittersaal mit der gewohnten Scheu nach seinem Vater schielten. Noch immer sahen sie in ihm den berühmten Kämpen, der in der Schlacht von Göllheim gekämpft hatte. Dabei tat Hermann nichts weiter, als sich über die Narren zu belustigen, die vor ihm mit Keulen aufeinander einschlugen. Unter dem Tisch schnappten die großen Hunde nach den Fersen der Diener, und beinahe hätten die Tölpel deshalb die Rangordnung durcheinandergebracht: zuerst das Königspaar und die Herrschaft, die ihr eigenes Gedeck und Humpen hatten. Dann kam das Gefolge an den Tafeln, die auf beiden Seiten an den Herrentisch anschlossen, und wo man sich jeweils zu zweit Becher und Schüssel teilte.

»Die Turnierkämpfer sind bereits eingetroffen«, versicherte Jutha, während sie der Königin vorlegte und Wein einschenkte. Aquamanile und Salzfass standen bereit. Dann bediente sie ihren Schwiegervater und ihren Gatten. Pagen brachten weitere Krüge, sie hatte ihnen offenbar eingeschärft, schnell bei der Hand zu sein. Ihr blasses Gesicht war erwartungsvoll gerötet, und ihre schmalen Lippen hatten etwas Farbe. Ulrich bemerkte, dass sie keinen Schleier trug, ihr blondes, sorgsam zu Locken gedrehtes Haar war nur vom Gebende bedeckt. Für ihn putzte sie sich nie so heraus. »Der Graf von Dießen will morgen zur Frühmesse da sein, und Sifrid von Kühlenthal erwarten wir noch heute. Eine gehorsame Frau sollte ja auf ihren Gatten wetten, aber ich erwarte, dass der Graf die beste Lanze bricht«, scherzte sie sogar. »Am letzten Abend werden wir ein Bankett veranstalten, mit Tanz und Musik. Ich habe Spielleute, die alles spielen können, was in Mode ist.«

Die Narren warfen die Keulen weg, und wie um diese Worte zu bestätigen, begann der eine Feuer zu spucken. Der andere rannte hinaus und kam mit einem Bären wieder. Als er ihn dazu brachte, sich auf die Hinterbeine zu stellen, verzogen sich die Hunde kläffend und jaulend. Ulrich hörte nur halb zu. Anna würde es büßen, dass sie ihn vor seinem Gesinde zum Gespött gemacht hatte, dachte er. Am meisten hatte ihn die Verachtung in ihren Augen getroffen. Verachtung für ihn, den umschwärmten Kreuzritter, der in Preußen ein Turnier nach dem anderen gewonnen hatte! Von einer schmutzigen Bauerndirne, die ein Dutzend Mal unter ihm auf dem Rücken gelegen hatte!

»Euer Koch lässt mich diesen Krieg vergessen«, schmeichelte Ludwig der Hausherrin. Ulrich blickte auf. Auf einem blau bemalten Brett wurde die Sülze aus hellen und dunklen Fischen in Form eines Karpfens aufgetischt. Ein zweiter Diener brachte getrocknete Weintrauben, Äpfel und Käse zum Dessert. Dann erneuerte Tobias das parfümierte Wasser im silbernen Aquamanile. »Soll ich den Hypocras gleich bringen?«, fragte er.

Ulrich nickte. Der heiße, mit Zucker und Zimt gewürzte Wein war der Schlusspunkt des Essens.

»Habt Ihr von dem Attentat auf den König gehört?«, wandte sich die Königin an Jutha. Sie hatte kaum etwas angerührt, vermutlich war sie müde von der Reise. »Es hieß, Herzog Leopold wollte ihn durch den Überbringer eines Buches ermorden lassen. Eine Gauklerin hat den Plan vereitelt, indem sie es gestohlen hat. Eine schreckliche Geschichte.«

»Es würde mich wirklich interessieren, was das für ein Buch war«, meinte Ludwig, während er die Sülze kostete. »Ich würde dieses Mädchen zu gern ausfindig machen. Angeblich war es ein Liederbuch. Es wäre schön, wenn meine Spielleute etwas zum Besten geben könnten, das man woanders nicht hört.«

Ulrich horchte auf. Konnte Anna die Frau sein, von der der König sprach? Nachdenklich ließ er Jutha nachschenken, ohne seine Gattin eines Blickes zu würdigen. Anna hatte gesagt, sie hätte das Buch noch. Wenn er es dem König brächte, würde ihm das Anerkennung einbringen.

»Musik erregt die Wollust«, erwiderte Hermann. »Schon vor mehr als dreißig Jahren hat die Kirche Bücher mit obszönem und schwarzseherischem Inhalt verboten.«

Ludwig lachte. »Seit wann seid Ihr denn so streng? Die Leute hören das, was unsere frommen Männer Obszönitäten nennen, nun einmal für ihr Leben gern. Zum Beten ist die Kirche da. – Macht Musik!«, befahl er den Gauklern. »Und hebt die Tafel auf! Es ist Zeit zu tanzen.«

Erleichtert holten die Gaukler ihre Pfeifen und Flöten. Ludwig nahm die Fingerspitzen seiner Frau und zog sie zu sich. Lachend ließ sich Beatrix auf die Tanzfläche führen, während die Diener eifrig die Tische wegschafften. Ludwig sang das Liedchen mit und führte den Reigen, Jutha an der anderen Hand.

»Raoul ist wieder hier. Du wirst mein Lebenswerk zerstören«, knirschte Hermann von Rohrbach, als Vater und Sohn unbeobachtet in ihren Scherenstühlen sitzen blieben. »Konrad von Haldenberg hat keine legitimen Erben mehr, seine Burgen könnten im Besitz unserer Familie bleiben. Und ausgerechnet jetzt verschleuderst du alles für ein Turnier!«

Immer hatte er getan, was sein Vater gewünscht hatte, dachte Ulrich wütend. Um ihm zu gefallen, hatte er alles geopfert, selbst die einzige Frau, die ihm je etwas bedeutet hatte. Seit damals hatte er sich keine solchen Gefühle mehr zugestanden, obwohl er einige Frauen gehabt hatte.

»Ich habe den König hierhergeholt, was Euch niemals gelungen ist«, setzte er sich zur Wehr. In all den Jahren hatte sein Vater ihm nie ein anerkennendes Wort gesagt. Ärgerlich warf er einem Hund seine Reste zu. Sofort kamen die Spielleute herüber und brüllten ebenfalls um Gaben.

Verächtlich schüttete Hermann ihnen den Rest aus seinem Becher ins Gesicht. »Ist euch jetzt das Maul gestopft?«, fuhr er sie an. »Macht gefälligst Musik!«

Erschrocken sprangen die Narren zurück. Aber Sackpfeife und Flöte gaben nun etwas weniger harmonische Töne von sich.

»Um welchen Preis?«, fuhr Hermann scharf fort. »Du hast bei den Turnieren in der Marienburg gut Beute gemacht. Aber um die Kosten für dieses zu decken, müsstest du jeden Kampf gewinnen. Verlierst du auch nur einen, muss ich die Burg verpfänden. Was hast du dir nur dabei gedacht?«

Ulrich biss die Zähne zusammen. Es war üblich, dass Pferd und Rüstung des Unterlegenen dem Sieger anheimfielen. Ein geschickter Kämpfer konnte bei einem drei- oder viertägigen Turnier ein Vermögen erwerben: wenn er ein paar gute Lanzen brach oder beim Massenkampf einen oder gar mehrere Gegner gefangen nahm. Aber für Hermann würde er immer der kränkliche Fünfzehnjährige bleiben, ganz gleich, was er erreichte. Die eisgrauen Augen seines Vaters waren noch immer klar und sein Körper trotz der gut fünfzig Jahre groß und kräftig. Neben diesem Bären fühlte er sich schmächtig.

»Und die Bauern«, fuhr Hermann fort. »Zum Teufel, der Pöbel ist immer unzufrieden. Aber früher hätte es auch kein Bauer gewagt, sich gegen seinen Herrn zu erheben. Die Hungersnot hat das in Flandern schon geändert, und unsere Leute werden davon gehört haben.«

Ulrich wusste, dass die Bauern ihn mittlerweile hassten. Früher hatte es ihm auch mehr Freude gemacht, durchs Dorf zu reiten. Aber darauf konnte er keine Rücksicht nehmen.

»Der Wein!«, brach Tobias den Bann.

»Jetzt nicht, du Tölpel!«, schrie Hermann ihn an. Tobias zog unter dem unerwarteten Ausbruch den Kopf ein. Ulrich winkte ihm einzuschenken. Tobias gehorchte, nicht ohne seinem Herrn einen furchtsamen Blick zuzuwerfen. Seine Hand zitterte, und er verschüttete etwas.

Die Adern auf Hermanns Stirn und am Hals schwollen an, er versetzte ihm eine Ohrfeige. Tobias hielt den Krug mit beiden Händen fest. Fluchtartig suchte er das Weite.

»Ich werde die Kosten hereinbekommen«, beteuerte Ulrich. Er wollte eine aufrechte Haltung einnehmen, aber es gelang ihm nicht ganz. »Und um Raoul werde ich mich auf dem Turnierplatz kümmern.«

Wütend winkte Hermann ab. »Ich werde selbst bei den Kämpfen antreten. Dann werden wir ja sehen, wie viel Schneid der junge Haldenberger hat.«

»Das ist nicht nötig!«, stieß Ulrich hervor. Alle Augen würden sich dann auf den legendären Hermann richten, der in der Schlacht von Göllheim gekämpft hatte. »Raoul wird Kaltenberg nicht lebend verlassen.«