Die ersten Tage deutete nichts darauf hin, dass der fremde Ritter zurückkehren würde. Sosehr sich Anna nach Ulrich sehnte, richtete sie doch ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Arbeit – als könnte der immer gleiche Rhythmus die verlorene Sicherheit in ihr Leben zurückbringen. Ulrich suchte ihre Nähe zunächst nicht, er ließ sie um Martin trauern. Obwohl sie ihm dafür dankbar war, hätte sie sich doch gern in seine Arme geschmiegt. Im Augenblick wollte sie nicht an die Zukunft denken, sie war einfach nur froh, bei dem Mann zu sein, den sie liebte.
Wenn sie die Pferde tränkte, erkundigte sie sich bei den Knechten nach dem Fremden. Doch niemand wusste etwas über ihn. Im Heer der Österreicher kämpfte ein bunter Haufen aus Schwaben, Ungarn und Böhmen. Und wenn er am Ende ein Soldritter war, konnte er überallher stammen, selbst aus dem Sarazenenland. Wohin er, wenn es nach ihr ging, auch gerne zurückkehren konnte!
»Das wird er nicht tun«, lachte der Reitknecht Hartmut, als sie den Gedanken aussprach. Liebevoll schlug er Ulrichs großem Schimmel auf die Flanke. »Es geht um die Krone!«
Friedrich von Habsburg und sein bairischer Vetter Ludwig von Wittelsbach, erfuhr Anna, stritten seit einem Jahr um die höchste Würde des Reichs. Die sieben Kurfürsten, die traditionell den Herrscher wählten, hatten sich nicht einigen können. Schließlich war Ludwig mit einer Stimme Mehrheit in Aachen gesalbt worden.
»Was ihm aber nichts nützte, weil der König einstimmig gewählt sein muss. Friedrichs Anspruch war genauso gut oder genauso schlecht wie Ludwigs. Also ließ sich der Habsburger seinerseits zum König krönen.« Hartmuts Hand glitt am Bein des Pferdes herab. Wie immer behandelte er das Tier sanft, was Anna von Anfang an gemocht hatte. Er hob den Huf auf seine ausgebleichten Beinlinge, um ihn zu reinigen, und als er sich bückte, sah die Bruche unter seinem Kittel hervor. »Wir sollten beten, dass es am Ende der Baier wird.«
Ulrichs Waffenknecht Gernot kam heran, und das Tier scheute. Grob riss er es an den Zügeln. Anna mochte ihn nicht besonders. Die Art, wie er mit den Tieren umging, erweckte in ihr den Eindruck, dass er mit Menschen genauso umspringen konnte. Vor allem, wenn sie nicht seine Muskelpakete hatten.
»Es heißt, Ludwig könne die Vögel nicht rupfen, die er gefangen hat«, wandte Gernot ein. »Wenn er Gefangene macht, lässt er sie ungeschoren laufen. Auch wenn er das Lösegeld hochtreiben könnte.«
»Aber er hält die Inquisitoren an der kurzen Leine«, hielt Hartmut dagegen. »Der Habsburger, Friedrich, soll rachsüchtig und grausam sein, und er gilt als Anhänger des Papstes. Du Narr, wenn er an die Macht kommt, brennen hier bald wieder die Scheiterhaufen.«
Bevor sie weiter in Streit gerieten, mischte Anna sich wieder ein. Sie erfuhr, dass Friedrich, der das größere und schlagkräftigere Heer besaß, den Zwist offenbar schnell beenden wollte. So hatte er die Fehde nach Baiern getragen. Es war eine schlechte Zeit für einen Krieg – der Sommer war wieder regnerisch gewesen, der Winter härter denn je.
»Während sich die Herren um die Krone streiten wie zwei Hunde um einen Knochen, wird das Brot immer teurer«, beendete Hartmut das Gespräch. Er griff in die Mähne des Schimmels und führte ihn in den Stand. »Gott wird entscheiden, wer herrschen soll. Aber wenn er es nicht bald tut, kommen böse Zeiten auf uns zu.«
Er sollte recht behalten. Drei Tage nachdem Kaltenberg niedergebrannt worden war, verlangten einige Häusler nach der Burgherrin. Sie waren Kleinbauern und lebten am Rand der Burgsiedlung, manche arbeiteten auch für den Herrenhof. Anna hatte sie nur selten gesehen und erschrak, als sie ihnen am Bergfried begegnete. Die wettergegerbten Gesichter waren von Geschwüren verunstaltet, die Cotten verschlissen und notdürftig geflickt. Lena, die Tochter des Häuslers Franz, war letztes Jahr ein lebendiges Kind gewesen. Jetzt schimmerten die zarten Knochen durch ihr aschfahles Gesichtchen, und ihr Bauch war unnatürlich geschwollen. Obwohl sie eine löchrige Decke um die schmalen Schultern gezogen hatte, zitterte sie und hustete immer wieder trocken, so dass sich alles in Anna zusammenzog. Auf dem Arm schleppte sie das Jüngste der Sippe, das ununterbrochen schrie. Kaum jemand konnte sich noch Rüben, Kohl oder gar Fleisch leisten. Aber dass es die Ärmsten unter ihnen so schlimm getroffen hatte, hatte Anna nicht gedacht.
»Bitte erlasst uns die Abgaben dieses Jahr, Frau Jutha«, sagte der Häusler, als die Burgherrin aus dem Palas herüberkam. Sie hatte sich hölzerne Trippen unter die Schuhe geschnallt und das lange Übergewand gerafft, um die feine blaue Wolle nicht am Boden zu beschmutzen. Wenn sie von dem Gerede über ihre neue Magd wusste, ließ sie sich nichts anmerken. Umgekehrt musste Anna gegen eine glühende Eifersucht ankämpfen, wann immer sie sich begegneten.
»Nach dem verregneten Sommer kam die Plünderung und hat alles zerstört«, fuhr der Mann fort. »Mein Vater spuckt Blut und kann nicht arbeiten.«
»Das Kind«, flüsterte die Häuslersfrau. Ihre Arme waren vom ständigen Stillen ausgezehrt wie trockene Äste. Obwohl sie noch jung war, hatte der Hunger bereits ihre Zähne im dunkelblau geschwollenen Fleisch gelockert. Die Nähe des Todes war so deutlich zu spüren, dass Anna sich unwillkürlich bekreuzigte.
Der Anblick schien auch Jutha zu irritieren. »Die Getreidepreise setzen uns allen zu«, versicherte sie. »Der König tut alles, damit ihr bald wieder mehr für euer Saatgut bekommt.« Ihre Stimme klang gepresst, und wenn sie sich um einen huldvollen Ausdruck bemühte, wurde sie durch das Gebende daran gehindert – das Kinnband, das ihr regelmäßiges Gesicht unter dem Schleier straff umschloss. Anna erinnerte es an die Art, wie man Toten den Kiefer hochband. Sie fragte sich, wie die Burgherrin überhaupt sprechen konnte.
»Der König macht den Boden nicht fruchtbar!«, erwiderte der Häusler. Aber sie hörte die Angst in seiner Stimme. Anna hielt es nicht mehr aus. Sie lief zu der kleinen Lena und nahm ihr den Säugling ab. Der Atem der Kleinen stank, wahrscheinlich hatte sie die Mundfäule.
»Wir haben doch noch Vorräte«, sagte sie, an Jutha gewandt.
»Seit wann entscheiden die Mägde hier?«, fuhr die Herrin sie an. »Wenn du nicht in die Burgsiedlung zurückgeschickt werden willst, benimm dich deinem Stand entsprechend!«
»Es sind genug Menschen gestorben!«, erwiderte Anna heftig. Sie sah den Burgherrn aus dem Stall kommen. »Ulrich!«
»Meine Frau hat recht. Aber vielleicht können wir eine Ausnahme machen«, beschloss er, nachdem die Leute ihre Bitte wiederholt hatten. »Setzt euch zu den Handwerkern. Anna …«, er zögerte, als er ihren Namen aussprach, »… Anna soll euch Kraut und Brot bringen.«
Jutha hatte schon die Lippen zusammengepresst, als Anna ihn beim Vornamen rief. Jetzt sah sie zornig von ihm zu dem Mädchen.
»Wollt Ihr, dass sie auch noch davonlaufen?«, kam er ihr halblaut zuvor. Er wandte sich an Lena: »Du brauchst einen Arzt. Der Spielmann soll etwas davon verstehen. Geh zu ihm, er ist in der Küche!« Er nahm den Arm seiner Frau, doch die Geste wirkte kühl. Anna musste daran denken, wie er sie selbst berührte. Ihre Blicke trafen sich, und sie wusste, dass er dasselbe dachte.
»Und, Anna«, meinte er beiläufig, »sag deinem Vater, dass du noch ein paar Tage bleiben wirst. Er müsste drüben bei den Handwerkern sein. Ich komme gleich nach.«
Die Häusler stießen sich an, als sie das noch warme Dinkelbrot und duftende Krautsuppe mit Schmalz vorgesetzt bekamen. Unter dem aus Ästen gefügten Regendach, wo sich auch die Buden der Handwerker ans Gesindehaus duckten, rückten sie zusammen. Anna hatte Ulrichs Befehl in ihrem Sinne ausgelegt und brachte einen Krug Fastenbier: stark und nahrhaft, besser als Dünnbier oder gar das von der Flut verseuchte Wasser. Da man auf Kaltenberg beim Brauen nur Hopfen, Malz und Wasser verwendete, würden auch die Kinder keinen Schaden nehmen – was man von dem bei ihnen zu Hause gebrauten Zeug nicht sagen konnte. Jede Hausfrau hatte ihre eigene Grut – ihre Kräutermischung, der sie oft Bilsenkraut und andere Rauschmittel zusetzte.
Anna fegte die schmutzigen Reiser in den Hof und legte frische aus, die der Küchenjunge gebracht hatte. Wütend kam der Koch herüber und suchte einen Topf Honig, der aus der Küche verschwunden war. Er überzeugte sich, dass unter den löchrigen Kleidern der Häusler niemand das Diebesgut versteckt hielt.
Anna wartete, bis er wieder weg war, dann griff sie unter das Leintuch in ihrem Gürtel und steckte der kleinen Lena einen in ein Tuch gewickelten Gegenstand zu. Überrascht sah das Kind sie an. Anna legte den Finger auf die Lippen und lächelte. Auf der Burg würde ein Topf Honig nicht ins Gewicht fallen, aber Lena würde er helfen zu überleben.
Während sich die Hunde knurrend um die Reste balgten, brachte sie noch einen Krug Bier zu den Handwerkern. Zwiespältige Gefühle stritten in Anna. Die Burgschmiede war der letzte hölzerne Vorbau vor dem Tor, seit der Plünderung hatte sie sie gemieden. Aber nach Martins Tod gab es nur noch ihre Eltern. Auf einmal sehnte sie sich nach ihnen. Sie zog das Tuch über den Kopf, um sich vor dem wieder einsetzenden Regen zu schützen. Vor dem Eingang wartete ein frisch beschlagenes Pferd, das Feuer warf seinen warmen Schein heraus. »Vater?«
Der Qualm zog durch das Loch in der Decke kaum ab. Im Dunkel konnte sie den breiten Rücken, der über die Esse gebeugt war, nicht erkennen. Der Schmied tauchte einen hellglühenden Vierkantstab ins Wasser. Das Zischen übertönte Annas Stimme, und er griff mit der Zange nach dem zweiten Werkstück. Langsam legte er einen Stab mit rotglühendem Ende auf den Amboss und hob den Hammer. Anna hielt die Hände an die Ohren. Sie kannte Leute, die durch den Lärm beim Stauchen taub geworden waren. Klirrend schlug der Hammer auf das Eisen, und die Muskeln unter der schweißglänzenden Haut bewegten sich im selben Rhythmus. Sie nutzte eine Pause und rief noch einmal nach ihm, so laut sie konnte. Der Schmied legte das Eisen auf den Amboss und drehte sich zu ihr um. Es war Kilian.
Anna wollte auf dem Absatz kehrtmachen, doch ihr Verlobter war schneller. Er packte sie und zog sie zu sich heran.
»Du bist mir ein schönes Luder!«, fuhr er sie grußlos an. Das verfilzte helle Haar hing ihm trotz des Tuchs, das es halten sollte, in die Augen wie einem Stier. »Ist es wahr? Bist du seine Metze?«
Die Plünderer hätten sie fast umgebracht, und seine einzige Sorge galt ihrer Unschuld! Anna ertappte sich bei dem Wunsch, er und nicht Martin wäre gestorben. »Ich freue mich auch, dass dir nichts geschehen ist!«, erwiderte sie spöttisch. Neben seiner Riesengestalt kam sie sich vor wie ein schmächtiges Kind. Sie wollte sich befreien, doch der muskulöse Arm hielt sie unerbittlich.
»Die Leute reden schon. Wenn du nicht sofort zurückkommst, wirst du es bereuen«, drohte er. »Und deine Mutter behauptet, du bist nicht ihr Kind, eine Hexe hätte ihr damals ein Wechselbalg untergeschoben.«
Anna kämpfte gegen ein Gefühl von Enge in ihrer Kehle. Sie wusste, wie sehr ihre Mutter immer gefürchtet hatte, die Tochter könnte ins Gerede geraten. Aber sie hatte nicht gedacht, dass diese Angst größer war als ihre Mutterliebe.
»Kein Wunder«, stocherte Kilian in der Wunde. »Du hast ja gleich zwei edlen Herren den Kopf verdreht!«
Annas Widerstand erlahmte. »Zwei?«, flüsterte sie.
»Da schaust du! Ein fremder Ritter hat nach dir gefragt«, sagte er. »Ein dunkler Bursche, wollte wissen, wer und wo du bist. Die Allgeierin schwört, sie hätte ihn bei den Plünderern gesehen. Hat sich wohl vor Angst ins Hemd gemacht, jedenfalls hat sie ihm gesagt, wo du bist.«
Mit weit geöffneten Augen starrte Anna ihn an. Sie hatte es befürchtet: Der fremde Ritter suchte sie!
»Schämen solltest du dich!«, brüllte er sie plötzlich an. Er zog sie so dicht heran, dass sie gegen seine fettglänzende Lederschürze prallte und die Schweißperlen zwischen seinen Bartstoppeln sehen konnte. Wie um sie zu schlagen, hob er die Hand, und Anna erschrak. Obwohl er nie ein sanfter Mann gewesen war, schien es, als hätte ihn das Geschehene noch härter gemacht. »Mit diesen Händen habe ich mir erarbeitet, wo ich bin! Das lasse ich mir nicht nehmen.« Wenigstens ließ er seine Pranke sinken. »Du bist jetzt die einzige Erbin der Schmiede. Sobald Herr Ulrich seine Erlaubnis gibt, werden wir heiraten.«
Anna riss sich zornig los. »Martin ist tot! Niemand wird mich zu einer Ehe zwingen, schon gar nicht vor dem Ende der Trauerzeit!«
»Das Leben geht weiter.« Er zerrte sie zu sich heran. »Wir werden ja sehen, ob Herr Ulrich seine Zustimmung noch verweigert, wenn ich es dir erst einmal besorgt habe!«
Anna wollte sich losreißen, doch er hielt sie unerbittlich mit seinen schweißglänzenden Armen fest. Das Zischen der Esse, die Rufe der Handwerker übertönten ihren Schrei. Er warf sie an die Bretterwand und riss ihr das Kleid auf der Brust auf. Mit einer Faust hielt er ihre Hände mühelos an der Wand fest, mit der anderen schob er die Lederschürze zur Seite und nestelte an seiner Bruche.
Annas Körper wurde steif. Auf einmal kamen die Bilder der Plünderung wieder – Mädchen, die krampfhaft unter wuchtigen Stö ßen zuckten. Männer, die ihren Kumpan von einer Frau herunterstießen, noch ehe er fertig war, um sie selbst zu nehmen. Wütend kratzte und biss sie, um sich zu befreien. Kilian packte sie brutal am Hals, dass ihr die Luft wegblieb. Speichel lief aus ihrem Mund. Er drängte sich an sie, drückte ihr einen gewaltsamen Kuss auf und wollte unter ihre Cotte greifen. Verzweifelt tastete sie nach den fertigen Stäben. Ihre Finger klammerten sich dar um, und sie schlug mit voller Wucht zu.
Keuchend taumelte Anna zur Seite, als er sie losließ. Sie rang hustend und würgend nach Luft. Dann versetzte sie ihm eine Ohrfeige. Überrascht machte der Schmied einen Schritt zurück, stolperte und stürzte mitsamt einem Bock mit Schwertern zu Boden. Holz splitterte, klirrend fielen die Klingen auf ihn. Er brüllte wie ein verwundeter Stier. Gerade noch konnte er schützend den Arm vors Gesicht halten. »Ich bringe dich um!«, brüllte er.
Anna klammerte die Hände fester um den Eisenstab. Das konnte er versuchen, aber sie würde sich nicht einfach in ihr Schicksal ergeben.
»Was ist hier los?«
Den Stab noch in der Hand, fuhr sie herum.
Unter dem Bretterdach stand Ulrich. Er sah von ihrem zerfetzten Kleid zu Kilian und begriff. »Ich hatte befohlen, die Finger von ihr zu lassen, du Bastard!« Ehe der Schmied aufstehen konnte, versetzte er ihm eine Ohrfeige, die ihn quer durch den Raum schleuderte. Kilian torkelte gegen den Amboss und riss dabei den schweren Schmiedehammer herab. Das Werkzeug fiel in die Esse, Funken stoben auf und trafen seinen Arm. Er brüllte vor Schmerz.
Ulrich kam ihm nach und versetzte ihm einen Schlag in den Bauch, der ihn vornüberkippen und nach Luft schnappen ließ. Das Gesicht des Burgherrn hatte sich zu einer wütenden Fratze verzerrt. In seinem schlanken Körper steckte eine enorme Kraft. Er bewegte sich so schnell, dass Kilian nicht einmal die Zeit hatte, den Arm zu heben. Ulrich riss das Schwert hoch, da fiel ihm Anna in den Arm.
»Nein!«, schrie sie.
Er hielt überrascht inne.
»Es ist ja nichts geschehen«, keuchte Anna. Sie spürte Ulrichs harte Muskeln unter ihren Fingern, seinen schnellen Atem. Die gegürtete Cotte war makellos, nur die Wärme seines Körpers verriet die Anstrengung. »Ich bitte Euch«, stieß sie hervor. »Es wird nicht mehr vorkommen.«
Kilian lag einen Moment bewegungslos. Dann kam er langsam hoch und starrte seinen Herrn ungläubig an. Überall an Oberkörper und Gliedmaßen hatten die Klingen Schrammen hinterlassen. Die Lederschürze hing in Fetzen, und von der Schläfe rann Blut aus einem tiefen Schnitt über sein Gesicht. Er hielt sich den Arm.
Die Diener, Mägde und die Handwerker und Häusler waren herbeigelaufen und standen stumm im Eingang zur Schmiede. Wer durch den Eingang nichts sehen konnte, versuchte durch die Ritzen einen Blick zu erhaschen.
Endlich verschwand die Wut aus Ulrichs Gesicht. »Wie du willst«, sagte er. Er ließ das Schwert sinken. Anna erinnerte sich, dass ihr Kleid vorn aufgerissen war. Hastig raffte sie den Stoff vor der Brust und brachte mit der Linken ihr Haar in Ordnung. Ihre Finger zitterten.
Ulrich wandte sich an Kilian. »Verschwinde!«, fuhr er ihn an. »Lass dich hier nie wieder blicken, oder ich hetze dir die Hunde auf den Hals!«
Angst und Zorn kämpften in dem Schmied, offenbar hatte er seinem Herrn nichts dieser Art zugetraut. Ein hasserfüllter Blick traf Anna. Doch er wagte keinen Widerspruch, sondern presste die Finger auf den Arm und humpelte hinaus. Schweigend bildeten die Menschen eine Gasse. Kilian torkelte auf das Tor zu, und die Hunde, die dort angekettet waren, bellten und sprangen auf. Ein Waffenknecht warf einen fragenden Blick nach seinem Herrn.
Ulrich schüttelte den Kopf. Er wischte die Blutspritzer ab, die ihn auf der Wange getroffen hatten. Dann wandte er sich an das Gesinde und die Bauern, die stumm auf die Szene starrten. »Geht wieder an die Arbeit! Und du«, wandte er sich an Gertraut, die mit den andern herbeigerannt war, »mach hier Ordnung!«
Gertraut holte eine Schaufel und begann, Erde auf den gestampften Boden zu schippen. Er trat unter das Vordach, wo der Regen noch immer von den Schindeln tropfte. Auf einmal sah er Anna an. »Dein Kleid ist zerrissen«, sagte er. »Komm mit in den Palas, ich lasse dir ein neues geben.«
Anna war noch nie im Herrenhaus gewesen. Wie sie es gewohnt war, tauchte sie die Finger in das Weihwasserbecken neben der Tür und bekreuzigte sich. Ulrich führte sie eine schwach von Talglampen beleuchtete Stiege zum ersten Stock hinauf. Niemand war zu sehen, und der Lärm des Burghofs drang nur gedämpft her ein. Trotzdem beeilte er sich und blickte sich immer wieder besorgt um. Er öffnete eine Tür und schob sie in ein getäfeltes Gemach.
Die Läden des kleinen Rittersaals waren geschlossen, so dass kaum Zug hereindrang. Es war, als schlössen sie zugleich auch Krieg und Elend aus. Ein Kohlenbecken spendete Wärme ohne den Qualm, der in Annas Elternhaus alles durchwölkte. Scheu betrachtete sie den Faltstuhl – ein unerdenklicher Luxus für einfache Leute. An den Wänden hingen Helme und Schilde mit dem Wappen seiner Familie, einer Hopfendolde auf schwarzweißem Grund. Die gegenüberliegende Wand schmückten Jagdtrophäen von Ebern und Hirschen. An den nackten Fesseln spürte Anna die rauen Haare eines Bärenfells, das den Boden bedeckte. Sie wusste, dass Ulrich, wie sein Vater, ein leidenschaftlicher Jäger war.
Er machte keine Anstalten, eine Magd nach einem Kleid zu schicken, kam aber auch nicht näher. Anna war ihm dankbar. Sosehr sie sich wünschte, wieder in seinen Armen zu liegen, saß ihr der Schrecken doch noch in den Knochen.
»Nenn mich vor Jutha und dem Gesinde nicht beim Vornamen«, sagte er, kaum hatte er die Tür hinter ihnen geschlossen.
»Ich habe niemandem etwas verraten, nicht einmal in der Beichte«, erwiderte Anna zurückhaltend. Niemals hätte sie ihm gesagt, wie verletzt sie gewesen war, als sie von seiner Heirat erfahren hatte, und wie schwer es ihr fiel, Jutha ehrerbietig zu begegnen. »Vater Paulus würde mich aus der Gemeinde ausschließen, wie eine …« Sie unterbrach sich, als sie seinen Blick bemerkte, und sah an sich herab. Unter dem Kleid zeichnete sich ihr Körper deutlich ab. Ihre Brustwarzen traten vor Kälte hervor, und der nasse Stoff schmiegte sich an ihre Beine und ihren Schoß.
»Du musst ja frieren!«, sagte Ulrich endlich. Er verschwand im Nebenzimmer und kam mit einer dunklen Wolldecke zurück. Dankbar griff Anna danach. Er beobachtete sie, als sie sich Haar und Gesicht trocknete, ohne sich selbst auch nur das Wasser aus der Stirn zu streichen. Es tropfte aus dem blonden Haar auf seine Lippen und ließ seine sonst so unbeteiligten Augen glänzen. Ihre Blicke glitten über die Muskeln an seinen Armen, die sich unter dem feuchten Stoff deutlich abzeichneten. Auf einmal kam er heran und küsste sie.
Ein Schauer rann über ihren Rücken. Sie hörte seinen Atem schneller gehen und spürte seine Hand über ihren Schenkel gleiten. Sonst genoss sie es, wenn er Stellen an ihrem Körper entdeckte, die sie selbst nicht einmal gekannt hatte. Aber heute wünschte sich Anna, er würde sie einfach in die Arme nehmen, wie früher Martin. Sie versuchte die Plünderung und seinen Tod zu vergessen und wollte sich an Ulrich schmiegen. Doch statt sie festzuhalten, ließ er seine Hand über ihre Brüste gleiten und küsste sie fordernder. Sanft schob sie ihn von sich weg.
»Ist es wegen Jutha?« Es klang überrascht, als deute er ihre Geste anders. »Glaub mir, wenn sie jemand gefragt hätte, hätte sie mich auch nicht gewählt – und diesen dreckigen, zugigen Adlerhorst.« Seine Stimme war einen Moment widerwillig geworden. »Die Ehe ist eine Pflicht wie jede andere, vielleicht sehnen wir uns deshalb alle nach dem Verbotenen.« Er strich ihr das nasse rote Haar aus dem Gesicht. »Es gefällt mir, wenn du dein Haar offen trägst. Es ist schwer zu bändigen, das passt zu dir. Aber das weißt du, nicht wahr?«
»Sie würde mich am liebsten hinauswerfen. Ich sollte ins Dorf zu rück.« Unvermittelt brach die Neuigkeit aus Anna heraus: »Aber der fremde Ritter sucht mich, ich brauche deinen Schutz.«
Ulrich legte ihr den Finger auf den Mund und hob ihr Gesicht. Langsam näherte er sich ihren Lippen und küsste sie wieder.
Ein Wassertropfen fiel von seiner Stirn auf ihre und rann über ihre Wange. Er griff nach ihrer Hand, mit der sie die Decke vor die Brust hielt, und schob sie zur Seite. Sie erwiderte seine Küsse, und das Gefühl der Verlorenheit ließ etwas nach. Langsam streifte Ulrich ihr das nasse Kleid ab und ließ es zu Boden gleiten. Als er sich unter den feuchten Gewändern an sie presste, fühlte sie seine Erregung.
Sie stolperte, als er sie rücklings auf das Bärenfell drängte. Die rauen Tierhaare stachen leicht in ihre nackte Haut, und ihre Lippen schmerzten von seinen gierigen Küssen. Wieder musste sie an die Warnung ihres Vaters denken. Sie wünschte, Ulrich würde ihr mehr Zeit lassen, da strich er ihr über das Haar, das wie ein roter Schleier auf den Pelz fiel. »Ich werde dich schon zähmen«, lächelte er. »Du hast mich viel zu lange auf diesen Augenblick warten lassen.«
Über sie gebeugt, hielt er ihre Handgelenke auf dem Boden fest. Er schob den Leinenstoff seiner Bruche zur Seite und drängte sich zwischen ihre Schenkel.
Es schmerzte nur einen Augenblick, dann öffneten sich ihre Lippen. Das Bedürfnis nach Wärme, danach, Angst und Hass zu vergessen, wurde unerträglich. Seufzend überließ sie sich den sanften Stößen und genoss seine Nähe. Martin war tot, aber Ulrich war bei ihr, jetzt, alles andere war nicht wichtig. In seinen Armen ließ der Schmerz nach und wurde dumpfer. Sie zog ihn an sich und vergrub die Finger in seinem feuchten Haar, das ihre Haut streifte. Er lachte leise. »Du bist ja noch schamloser als sonst!«, flüsterte er.
Irgendwann sank er keuchend auf sie. Seine Brust hob und senkte sich heftig. Aus halb geschlossenen Augen sah Anna, wie er lächelte. Sie erwiderte das Lächeln, doch ihre Lider zitterten. Und auf einmal fragte sie sich, ob sie die Wärme, die Martin ihr gegeben hatte, je wieder finden würde.