14. Kapitel
Doch er sagte sich sofort, daß er keinen Augenblick versäumen durfte. Die Lydia mußte wieder gefechtsklar gemacht werden.
Mit einer Stimme, die ihm selbst fremd klang, brüllte er nach den Achtergasten, den für das Achterdeck eingeteilten Leuten, um dann hinzuzusetzen: »Mr. Clay! Benskin! Äxte her! Fort mit den Trümmern!«
An der Spitze einer Gruppe mit Beilen und Entermessern bewaffneter Männer kam Clay nach achtern gestürzt. Während sie auf die Unterwanten des Kreuztopps loshieben, sah Hornblower plötzlich, daß Bush an Deck zusammengesunken war und den Kopf in den Händen hielt. Anscheinend war er von einem niedersausenden Block getroffen worden, aber jetzt konnte sich der Kommandant nicht um Bush kümmern.
Erbarmungslos nahte die Natividad. Er konnte eine lebhafte Bewegung unter den sich auf dem Oberdeck drängenden Leuten erkennen, die triumphierend die Hüte schwangen. Der Feind wollte die Lydia offenbar in möglichst geringern Abstand passieren. Hornblower beobachtete den quer zur eigenen Schiffsrichtung vorüberrauschenden Bug der Natividad. Wie eine Vision schwebte das gereffte Vormarssegel über ihm, und dann krachte drüben Schuß um Schuß in das Heck der englischen Fregatte. Der Qualm wurde vom Wind herübergetragen und blendete Hornblowers Augen. Er fühlte, wie das Schiff unter den Einschlägen erbebte, er vernahm einen gellenden Schrei ganz in seiner Nähe, während ein größerer Holzsplitter an seinem Gesicht vorbeiflog. Und dann, als er schon glaubte, mit in den allgemeinen Wirbel der Vernichtung hereingezogen zu werden, hörte die furchtbare Beschießung jählings auf, und die Natividad entfernte sich. Er lebte noch und vermochte sich umzusehen. Die Lafette der am weitesten achtern stehenden Karronade war zerschmettert worden, und einer der Kanoniere lag eingeklemmt unter den Trümmern.
Einige seiner Kameraden bemühten sich vergebens, ihn zu befreien.
»Aufhören!« schrie Hornblower. »Kappt den verdammten Plunder da! Mr. Clay, ich bitte mir aus, daß zugegriffen wird!«
Kaum zweihundert Meter weit entfernt begann die Natividad gerade schwerfällig in der grauen See schlingernd zu wenden, um ihrem hilflosen Gegner einen neuen Hieb zu versetzen. Zum Glück war sie wie die meisten ihrer Bauart ein schlecht steuerndes Schiff, so daß dem britischen Kommandanten zwischen den einzelnen Breitseiten mehr Zeit blieb, die Lydia wieder einigermaßen gefechtsklar zu machen.
»Vortopp!... Mr. Galbraith! Lassen Sie die Vorsegel bergen.«
»Aye, aye, Sir.«
Der Ausfall des vorderen Stengestagsegels und des Außenklüvers konnte bis zu einem gewissen Grade den Verlust des Kreuzmarssegels und des Besan wettmachen. Vielleicht ließ sich die Lydia wenigstens so weit an den Wind legen, daß sie dem großen Gegner zu antworten vermochte. Natürlich konnte das aber erst dann gelingen, wenn man sich all dieser mitgeschleppten Wracktrümmer entledigt hatte, die, einem riesigen Treibanker gleich, hinter dem Heck der Fregatte trieben. Ein flüchtiger Blick zeigte Hornblower, daß die Natividad gewendet hatte und sich anschickte, abermals hinter dem Achtersteven vorbeizusegeln.
»Vorwärts!« schrie er den fieberhaft arbeitenden Leuten zu.
»Holroyd und Tooms, ihr geht in die Besansrüst!«
Mit einemmal kam ihm der gellende, hysterische Klang seiner Stimme zum Bewußtsein. Unter allen Umständen galt es, vor Clay und der Mannschaft den Ruf unerschütterlicher Ruhe zu behalten. Mit Gewalt zwang er sich, ganz gelassen zu der heranrauschenden Natividad hinüberzuspähen. Er zuckte sogar lächelnd die Achseln, und wirklich gelang es ihm, im normalen Tonfall zu sprechen.
»Kümmert euch nicht drum, Kerls. Eins nach dem anderen.
Erst wollen wir uns den Plunder da vom Leibe schaffen, und danach sollen die Dagos ihr blaues Wunder erleben.«
Mit neubelebtem Eifer hackten die Leute auf das Durcheinander der zähen Wanten, Stagen und Pardunen los.
Irgend etwas gab nach, und das Überholen der von einer riesigen See emporgehobenen Fregatte ließ die Trümmer der Takelage etwas weiter nach achtern gleiten, bevor sie sich wieder verfingen. Hornblower ergriff selbst ein Beil und stürzte sich auf das Ende, das am hartnäckigsten haftete. Als er hastig hinüberblickte, gewahrte er die drohende Masse der anlaufenden Natividad, doch hatte er jetzt keine Zeit für sie. Er dachte nicht an die Bedrohung seines Lebens, sondern ärgerte sich nur maßlos, daß er in der Arbeit gestört wurde.
Und dann hüllte ihn der Pulverqualm der feindlichen Breitseite abermals wie in Nebel ein. Es krachte und splitterte ringsum. Jählings verstummte das Schreien des unter dem Kanonenrohr eingeklemmten Matrosen. Hornblower fühlte, wie unterhalb seiner Füße ein Geschoß in die am meisten gefährdeten Teile der Fregatte einschlug, aber er achtete nicht darauf, denn jetzt war er ganz und gar im Banne seiner Arbeit.
Das bisher so hinderliche Pardun brach unter seinen Axthieben.
Ein anderes wurde gleichfalls gekappt - welch ein seltsames Muster doch die Decksnähte bilden konnten, ging es ihm durch den Sinn -, ein drittes schoß mit dem losen Ende vorüber, und dann war die Lydia wirklich frei gekommen. Dicht vor den Füßen Hornblowers lag der junge Clay der Länge nach an Deck, aber Clay hatte keinen Kopf. Hornblower stellte das mit dem gleichen unpersönlichen Interesse fest, mit dem er das Muster der Decksnähte beobachtet hatte.
Eine plötzlich überkommende See durchnäßte ihn mit ihrem Gischt. Er wischte sich das Wasser aus den Augen und sah sich um. Die Mehrzahl der auf dem Achterdeck weilenden Offiziere, Matrosen und Seesoldaten war tot. Simmonds hatte den Rest seiner Leute an der Heckreling aufgestellt und war bereit, den feindlichen Vierundzwanzigpfündern mit Gewehrfeuer zu antworten. Bush war in den Großtopp geentert. Blitzartig begriff Hornblower, daß er es gewesen war, der die behindernden Wracktrümmer schließlich durch das Kappen des Kreuzstengestags gelöst hatte. Am Ruder standen die zwei Steuerleute; aufrecht, regungslos und starr geradeausblickend.
Zu Beginn des Gefechtes waren andere am Ruder gewesen, aber die eiserne Disziplin hatte dafür gesorgt, daß es keinen Augenblick unbesetzt geblieben war.
Steuerbord achteraus begann die Natividad wieder zu wenden.
Mit freudigem Aufatmen sagte sich Hornblower, daß er diesmal nicht genötigt sein würde, den Angriff wehrlos über sich ergehen zu lassen. Er mußte zwar seine Gedanken anstrengen, um sich über das notwendige Segelmanöver klarzuwerden.
»An die Brassen!« schrie er. »Mr. Bush, wir wollen versuchen, sie an den Wind zu bringen.«
»Aye, aye, Sir.«
Er sah zur Natividad hinüber, die schwerfällig heranschlingerte.
»Hart Steuerbord!« befahl er. »Klar zum Feuern!«
Die über Kimme und Korn visierenden Kanoniere der Natividad sahen den zerschossenen Achtersteven der Lydia langsam davongleiten. Eine halbe Minute lang konnten die Rudergänger des Engländers Kurs halten und den Wind von der Seite einfallen lassen. Gleichzeitig rauschte die Natividad vorüber.
»Feuer!« gellte Gerard. Seine Stimme drohte vor Erregung überzuschnappen.
Wiederum holte die Lydia unter dem Rückstoß der Batteriegeschütze über. Rauch wirbelte über Deck, und durch den Rauch fegte der Eisenhagel des ehemaligen Spaniers.
»Bravo, Kerls!« schrie Gerard. »Da geht ihr Fockmast! Gut so, Kerls!«
Ein Gebrüll der begeisterten Kanoniere antwortete ihm, obwohl die zweihundert Stimmen bei solchem Sturm nur schwach klangen. Der Gegner war schwer beschädigt worden.
Durch die Qualmschwaden hindurch sah Hornblower, wie drüben die Stagen, die den Fockmast nach vorn abstützenden Taue, plötzlich lose kamen, sich wieder spannten, abermals schlaff wurden, und dann neigte sich der ganze Vortopp vornüber. Die Marsstenge des Großmastes folgte der Bewegung, das ganze Gewirr kam von oben und fiel über die Seite.
Automatisch drehte die Natividad in den Wind, indessen die Lydia ungeachtet der Anstrengungen ihrer Rudergänger nach Lee abfiel. Höhnisch heulte der Sturm an Hornblowers Ohren vorbei. Der graue Wasserstreifen, der die beiden Schiffe voneinander trennte, wurde immer breiter. Ein letzter Schuß dröhnte vom Batteriedeck der Lydia, dann rollten die beiden Fregatten in der hochgehenden See umher, ohne einander weiteren Schaden zufügen zu können.
Noch einmal wischte sich Hornblower langsam das Salzwasser aus den Augen. Dies Duell war wie ein langer böser Traum, in dem der Schlafende von einer phantastischen Unwirklichkeit in die andere gerät. Hornblower konnte wohl klar denken, doch mußte er sich dazu zwingen, als sei es etwas Widersinniges.
Der Abstand hatte sich bereits auf tausend Meter erweitert und wurde immer noch größer. Durchs Glas sah Hornblower, daß die Back der Natividad von Menschen wimmelte, die die Trümmer des Vortopps zu beseitigen suchten. Das Schiff, das zuerst wieder gefechtsklar war, würde Sieger sein. Er schob das Fernrohr zusammen und richtete seine gesamte Aufmerksamkeit auf die vielen Aufgaben, die jetzt der sofortigen Lösung harrten.