11. Kapitel
Drunten in der Kajüte flach auf dem Rücken liegend und dichte Rauchwolken aus einer Zigarre des›Generals‹Hernandez gegen die Decke blasend, über der Lady Barbara saß, begann Hornblower sich allmählich von den Anstrengungen eines sehr arbeitsreichen Tages zu erholen. Er hatte mit dem Erscheinen vor Panama begonnen, wobei alle Sinne darauf gerichtet waren, rechtzeitig einen etwaigen Hinterhalt zu erkennen, und vorläufig jedenfalls hatte er mit dieser ärgerlichen Ankergeschichte seinen Abschluß gefunden. Dazwischen lag die Ankunft der Lady Barbara und die Besprechung mit dem Vizekönig von Neu-Granada. Der Vizekönig war der typische spanische Edelmann alter Schule. Hornblower sagte sich, daß er lieber alltäglich mit el Supremo zu tun haben würde, als mit ihm. Freilich, el Supremo mochte die unangenehme Gewohnheit haben, Mitmenschen auf barbarische Weise umzubringen, aber es fiel ihm nicht schwer, einen Entschluß zu fassen, und man durfte sicher sein, daß von ihm erteilte Befehle mit großer Genauigkeit ausgeführt wurden. Hingegen war der Vizekönig zwar begeistert von Hornblowers Meinung gewesen, daß ein sofortiges Vorgehen gegen die Aufständischen nötig sei, doch zeigte er sich nicht bereit, dieser Meinung entsprechend zu handeln.
Hornblowers Absicht, noch am Tage der Ankunft wieder in See zu gehen, hatte ihn offensichtlich überrascht, denn er hatte angenommen, die Lydia werde eine volle, mit Festlichkeiten, Ausflügen und Nichtstun ausgefüllte Woche in Panama bleiben.
Er war gleichfalls der Ansicht gewesen, daß eine mindestens tausend Mann starke Truppenabteilung zur Küste von Nicaragua geschafft werden müsse - obwohl sich kaum mehr als tausend Mann unter seinem Kommando befanden -, doch hatte er zweifellos beabsichtigt, die Ausgabe der entsprechenden Befehle bis zum anderen Tage zurückzustellen.
Hornblower mußte seinen ganzen Takt aufbieten, um ihn dazu zu überreden, es sofort, das heißt an der Bankettafel sitzend, zu tun und seine bevorzugten Adjutanten der Mühe zu unterziehen, während der geheiligten Stunden der Siesta unter heißer Sonne mit Meldungen über Land zu reiten. Übrigens war das Festmahl selbst angreifend gewesen. Hornblower hatte das Gefühl, als wäre gar keine Haut mehr an seinem Gaumen, so furchtbar gepfeffert waren alle Gerichte zubereitet worden. Dieser Umstand, zusammen mit der fast aufdringlichen Gastlichkeit des Vizekönigs, machten es schwer, zu vieles Trinken zu vermeiden.
In einem Zeitalter scharfen Zechens stand Hornblower mit seiner Mäßigkeit beinahe allein. Übrigens vermied er das Trinken nicht aus irgendeinem bewußten Grunde, sondern nur deshalb, weil ihm das Gefühl, nicht völlig Herr seiner Sinne zu sein, höchst widerwärtig war.
In Anbetracht der soeben eingetroffenen Nachrichten aber hatte er jenes letzte Glas Wein nicht ablehnen können. Mit einem Ruck richtete er sich jetzt auf seiner Koje auf. Die Sache mit dem Anker hatte ihm zeitweilig jede Erinnerung geraubt.
Die gute Sitte verlangte es, daß er die Neuigkeit der Lady Barbara mitteilte, zumal sie selbst sehr stark davon betroffen wurde. Er eilte an Deck, warf die Zigarre über Bord und näherte sich der Dame. Gerard, der wachhabende Offizier, unterhielt sich eifrig mit ihr, und Hornblower schmunzelte grimmig, als er bemerkte, wie Gerard das Gespräch abbrach und sich zurückzog.
Lady Barbara saß noch immer in der Nähe der Reling; die Negerin kauerte zu ihren Füßen. Genießerisch schien sie die kühle Brise einzuatmen, gegen die das Schiff dicht am Winde segelnd aus dem Golf strebte. Die als gelbrote Scheibe im klaren Himmelsblau stehende Sonne hatte schon fast den Horizont erreicht. Ohne ihres Teints zu achten, setzte Lady Barbara ihr Gesicht den fast waagerecht einfallenden Strahlen aus. Hierin lag vermutlich die Erklärung für ihre gebräunte Haut und für die Tatsache, daß sie mit ihren siebenundzwanzig Lebensjahren noch unverheiratet war, obwohl sie eine Reise nach Indien unternommen hatte. Dennoch drückten ihre Züge eine Gemütsruhe aus, die darauf hindeutete, daß sie sich jedenfalls in diesem Augenblick keine Gedanken machte über die Aussicht, eine alte Jungfer zu werden.
Hornblowers Verbeugung beantwortete sie mit einem Lächeln.
»Köstlich ist es, wieder auf See zu sein, Herr Kapitän. Bisher gaben Sie mir keine Gelegenheit, Ihnen zu sagen, wie dankbar ich Ihnen dafür bin, daß Sie mich von Panama fortbringen.
Gefangene zu sein war schon schlimm genug, aber als freier Mensch durch die Macht der Umstände festgehalten zu werden hätte mich fast um den Verstand gebracht. Glauben Sie mir, Herr Kapitän, Sie haben meine unauslöschliche Dankbarkeit gewonnen.« Abermals verneigte sich Hornblower.
»Ich hoffe, daß die Dons Ihnen alle Ehrfurcht erwiesen haben, Madame.«
Sie zuckte die Achseln.
»Das taten sie. Aber spanische Manieren können einem auf die Nerven fallen. Ich stand unter der Obhut Ihrer Exzellenz, einer hochachtbaren, aber unerträglich dummen Frau. In Spanisch-Amerika werden die Frauen wie bei den Mohammedanern behandelt. Und erst das landesübliche Essen...«
Die Worte riefen in Hornblower die Erinnerung an das Bankett wach, das er gerade überstanden hatte, und sein Gesichtsausdruck ließ Lady Barbara mitten im Satz abbrechen.
Sie lachte so herzlich, daß Hornblower nicht umhin konnte, mit einzustimmen. »Wollen Sie nicht Platz nehmen, Herr Kapitän?«
Dem Kommandanten kam die Einladung ungelegen. Seit der Übernahme der Fregatte hatte er kein einziges Mal an Deck seines eigenen Schiffes auf einem Stuhl gesessen, und Neuerungen im Bereich seiner Gewohnheiten waren ihm zuwider.
»Danke, Madame, aber wenn Sie gestatten, bleibe ich lieber stehen. Ich komme, um Ihnen erfreuliche Neuigkeiten zu bringen.«
»Wirklich? Dann ist mir Ihre Gesellschaft doppelt erwünscht.
Ich bin ganz Ohr.«
»Ihr Bruder Sir Arthur hat in Portugal einen glänzenden Sieg über die Franzosen erfochten. Den Bedingungen eines Vertrages zufolge räumen die Franzosen das ganze Land und übergeben Lissabon der englischen Armee.«
»Das sind in der Tat hocherfreuliche Nachrichten. Schon immer war ich stolz auf Arthur, und dieses Ereignis macht mich noch stolzer.«
»Und mir gereicht es zur großen Genugtuung, der erste zu sein, der seine Schwester beglückwünscht.«
Obwohl sie sitzen blieb, brachte es Lady Barbara wunderbarerweise fertig, sich zu verneigen. Hornblower erkannte die Schwierigkeit solchen Tuns und mußte widerwillig zugeben, daß es eine gute Leistung darstellte.
»Wie kamen die Meldungen hierher?«
»Der Vizekönig erhielt sie, während wir bei Tisch saßen. Ein von Cadiz kommendes Schiff hatte Porto Bello angelaufen, und von dort aus schickte man einen berittenen Boten nach Panama.
Es gab noch weitere Neuigkeiten, aber wieweit sie der Wahrheit entsprechen, vermag ich nicht zu sagen.«
»Und wie lauten sie, Herr Kapitän?«
»Auch die Spanier behaupten, einen Sieg erfochten zu haben.
Angeblich hat sich ihnen in Andalusien eine ganze Armee Bonapartes ergeben. Sie denken bereits an einen gemeinsamen spanischenglischen Vormarsch in Südfrankreich.«
»Was halten Sie davon?«
»Ich mißtraue der Meldung. Möglicherweise ist es ihnen zufällig gelungen, eine französische Truppenabteilung abzuschneiden, aber um Bonaparte zu schlagen, dazu gehört mehr als eine spanische Armee. Vorläufig sehe ich noch kein baldiges Kriegsende voraus.«
Ernst und zustimmend nickte Lady Barbara. Sie blickte aufs Meer hinaus, an dessen Kimm die Sonne unterging, und Hornblower folgte ihrem Beispiel. Jeden Abend empfand er das Verschwinden des Tagesgestirns in diesen ruhigen Gewässern als ein neues Wunder der Schönheit. Jetzt schnitt die Linie des Horizonts die feurige Scheibe. Schweigend sahen die beiden Menschen zu, wie sie tiefer und tiefer sank. Bald war nur noch ein schmaler Rand übrig; er verschwand, kehrte einem Goldschimmer gleich für eine Sekunde wieder, als die Lydia von der Dünung emporgehoben wurde, und verblich endgültig.
Rot glühte der Himmel im Westen, aber droben in der Höhe wurde er zusehends dunkler.
»Wundervoll!« sagte Lady Barbara. Ihre Hände hielt sie fest gefaltet, und es dauerte ein Weilchen, bis sie auf den Gegenstand des Gespräches zurückkam. »Ja. Der geringste Erfolg wird in den Spaniern die Meinung erwecken, daß der Krieg vorüber ist, und in England erwartet die menschliche Herde, daß mein Bruder an der Spitze seiner Armee Weihnachten in Paris einzieht. Tut er es aber nicht, dann sind alle seine Siege vergessen, und man wird sein Haupt fordern.«
Hornblower mißfiel das Wort›Herde‹- nach Blut und Geburt gehörte er selbst zu ihr -, aber er konnte sich der tiefgehenden Wahrheit der Worte Lady Barbaras nicht verschließen. Sie hatte nur seiner eigenen Meinung hinsichtlich des spanischen Temperaments und der britischen Menge Ausdruck verliehen.
Dazu kam noch ihre Würdigung des Sonnenuntergangs und ihr Urteil über die spanischamerikanische Küche. Tatsächlich gefiel ihm die Frau ganz gut.
»Ich hoffe, Madame«, sagte er etwas schwerfällig, »daß Sie heute während meiner Abwesenheit mit allem Notwendigen versehen wurden. Ein Kriegsschiff bietet wenig Komfort, wie ihn eine Dame gewöhnt ist, aber ich nehme an, daß meine Offiziere ihr Bestes taten, Sie zufriedenzustellen, Madame.«
»Danke, Herr Kapitän, das taten sie allerdings; und nun möchte ich Sie nur noch um eine einzige Gefälligkeit bitten.«
»Was wäre das, Madame?«
»Daß Sie mich nicht mehr mit›Madame‹anreden. Nennen Sie mich doch Lady Barbara.«
»Gewiß, M... Lady Barbara. Ha... hm.«
Winzige Grübchen erschienen in ihren Wangen, und ihre lachenden Augen funkelten.
»Und wissen Sie, wenn Ihnen›Lady Barbara‹nicht leicht über die Lippen kommt, dann können Sie auch, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, immer›ha... hm‹machen.«
Hornblower wurde ganz steif ob solcher Unverschämtheit.
Schon war er drauf und dran, sich tief einatmend auf dem Absatz herumzudrehen und dann mit heftigem Räuspern auszuatmen, als ihm einfiel, daß er nie wieder, oder doch zum mindesten bis er einen Hafen anlief, in dem er diese Person loswerden konnte, von jenem nützlichen und unverbindlichen Geräusch Gebrauch machen durfte. Aber Lady Barbara hielt ihn mit ausgestreckter Hand zurück. Selbst in diesem Augenblick beachtete er ihre langen schlanken Finger.
»Verzeihen Sie mir, Herr Kapitän«, sagte sie zerknirscht.
»Bitte, seien Sie mir nicht böse, wenn ich jetzt auch einsehe, daß mein Benehmen unentschuldbar ist.«
Sie sah wirklich hübsch aus, als sie seine Verzeihung erbat.
Hornblower blickte unschlüssig zu ihr nieder. Er erkannte jetzt, daß er nicht wegen ihrer Ungezogenheit, sondern deshalb zornig war, weil diese geistreiche Frau bereits entdeckt hatte, daß sein Räuspern nur seine eigentlichen Empfindungen verbergen sollte, und damit wandelte sich sein Groll in das ihm angeborene Minderwertigkeitsgefühl.
»Da ist nichts zu verzeihen«, sagte er mühsam. »Und wenn Sie mich nun Ihrerseits entschuldigen wollen, so werde ich mich wieder um meine dienstlichen Pflichten kümmern.«
Er ließ sie in der schnell zunehmenden Dunkelheit zurück.
Gerade war ein Schiffsjunge nach achtern gekommen, um die Lampen des Kompaßhauses anzuzünden. Hornblower blieb stehen und besah sich die Schiefertafel, auf der die am Nachmittag zurückgelegte Entfernung vermerkt war. In seiner sorgfältigen Handschrift schrieb er den Befehl nieder, ihn unter gewissen Voraussetzungen zu rufen, denn im Verlauf der Nacht würde man Kap Mala umsegeln, und danach mußte auf nördlichen Kurs gegangen werden.
Hornblower ging nach unten und begab sich wieder in die Kajüte. Er fühlte sich seltsam beunruhigt, und zwar nicht nur wegen des Umstoßens seiner sämtlichen Gewohnheiten. Gewiß, es war lästig, daß ihm jetzt sein eigenes Wasserklosett nicht zugänglich war und daß er jenes der Offiziersmesse benutzen mußte, aber darum handelte es sich eigentlich nicht; auch nicht ausschließlich darum, daß er eine Begegnung mit der Natividad herbeizuführen suchte und daß es nun, da der›Vizeadmiral‹Cristobal de Crespo das Kommando führte, zu einem sehr harten Kampf kommen mußte. Das war schließlich nur ein Teil dessen, was ihn bewegte... und dann erschrak er fast, als er erkannte, daß seine Unruhe aus der zusätzlichen Verantwortung hervorging, die ihm die Anwesenheit der Lady Barbara auferlegte.
Er wußte sehr wohl, was ihrer aller Schicksal sein würde, falls er besiegt wurde. Samt und sonders würde man sie hängen, ertränken oder zu Tode foltern, denn el Supremo würde keine Gnade einem Engländer gegenüber walten lassen, der sich gegen ihn gewandt hatte. Er selbst hätte sich darüber gegenwärtig keine Gedanken gemacht, weil es sich einfach nicht vermeiden ließ, der Natividad ein Gefecht auf Leben und Tod zu liefern.
Ganz anders aber wurde das, nun es sich auch um Lady Barbara handelte. Er mußte zum mindesten dafür sorgen, daß sie nicht lebendig in Crespos Hände fiel.
Das kurze Resümee seiner Schwierigkeiten versetzte ihn mit einemmal in heftige Erregung. Heimlich verfluchte er das gelbe Fieber, durch das Lady Barbara an Bord getrieben wurde; er verwünschte sich selbst wegen seines sklavischen Festhaltens am Buchstaben der ihm erteilten Befehle, durch das die Natividad in den Besitz der Aufständischen geraten war. Er ertappte sich dabei, wie er vor Wut die Fäuste ballte und mit den Zähnen knirschte. Siegte er in dem bevorstehenden Gefecht, so würde ihn die öffentliche Meinung - die ja fast nie etwas von den Begleitumständen wußte - deswegen tadeln, weil er das Leben einer Wellesley gefährdet hatte; und falls er unterlag - aber daran zu denken, brachte er einfach nicht fertig. Er verdammte seine Nachgiebigkeit, die ihn hatte einwilligen lassen, eine Dame an Bord zu nehmen. Vorübergehend dachte er sogar daran, umzukehren und sie in Panama an Land zu setzen.
Allerdings verwarf er den Gedanken sofort wieder. Die Natividad hätte inzwischen jene Galeone von Manila kapern können. Überdies war die Mannschaft der vielen Entschlußänderungen wegen bereits nervös geworden. Sie würde es ihm erst recht verübeln, wenn er jetzt umkehrte, um danach doch gleich wieder in See zu gehen. Zudem durfte er mit dem Widerspruch der Lady Barbara rechnen, die sich dafür bedanken würde, in dem von gelben Fieber heimgesuchten Panama zu bleiben. Und abermals bedachte sich Hornblower in sinnloser Weise mit Verwünschungen, wobei er von allen jenen unflätigen Flüchen und Gotteslästerungen Gebrauch machte, die er während seiner Seemannslaufbahn kennen gelernt hatte.
Vom Oberdeck ertönte das Schrillen der Bootsmannspfeifen, Befehle wurden gebrüllt, und dann folgte das eilfertige Trampeln nackter Füße. Nun da es zu dunkeln begann, war offenbar der Wind umgesprungen. Als es wieder still wurde, überkam den Kapitän in der engen Kajüte ein Gefühl der Bedrückung. Heiß und stickig war es hier unten. Die langsam hin- und herpendelnde, mit Öl gefüllte Hängelampe stank abscheulich. Er begab sich wieder an Deck. Von der Heckreling klang ein heiteres Frauenlachen herüber, dem ein Chorus rauhen Männergelächters antwortete. Die dunkle Masse dort drüben mußte aus mindestens einem halben Dutzend von Offizieren bestehen, die alle Lady Barbaras Stuhl umdrängten. Kein Wunder, daß sie, die seit sieben oder beinahe acht Monaten keine englische Frau zu sehen bekommen hatten, sich ähnlich benahmen wie Bienen, die einen Korb umsummen.
Hornblower wollte sie schon davon treiben, besann sich aber eines Besseren. Er konnte seinen Offizieren nicht vorschreiben, wie sie ihre Freizeit verbringen sollten, und sie würden sein Verhalten lediglich dem Wunsch zugeschrieben haben, sich allein die Gesellschaft der Dame zu sichern. Das aber entsprach durchaus nicht seiner Absicht. Unbemerkt von jener Gruppe, stieg er den Niedergang hinunter, um zu der stickigen Kajüte und der übelriechenden Lampe zurückzukehren. Für ihn bedeutete das den Beginn einer schlaflosen und unerquicklichen Nacht.