22. Kapitel

In der warmen, monderhellten Nacht saßen Lady Barbara und Kapitänleutnant Bush plaudernd bei der Heckreling. Es war das erste Mal, daß Bush ein solches Beisammensein zu zweien erlebte, und überdies war es rein zufällig zustande gekommen.

Wahrscheinlich würde er es sogar vermieden haben, falls er es vorausgesehen hätte, aber nun die Unterhaltung begonnen hatte, ergab er sich ganz dem Genuß, ohne irgendwelche Beunruhigung zu empfinden. Er hockte auf einem Stapel der mit Werg gefüllten Kissen, die Harrison für Lady Barbara hatte anfertigen lassen, und streichelte sein Knie, während Lady Barbara sich in ihrem Liegestuhl streckte. Sanft hob und senkte sich die Lydia zur leisen Begleitmusik der Wellen und des in der Takelage harfenden Windes. Die weißen Segel schimmerten im Mondlicht. Droben am Himmel funkelten in seltsamer Klarheit unzählige Sterne. Doch Bush sprach nicht von sich selbst, wie es unter solchem Tropenmond jeder vernünftige Mann im Beisein einer jungen Dame getan haben würde.

»Gewiß, Madame«, sagte er. »Er hat Ähnlichkeit mit Nelson.

Er ist so sensibel, wie Nelson es war, und zwar aus dem gleichen Grunde. Er denkt in einem fort... Sie würden erstaunt sein, wenn Sie wüßten, über was er alles nachdenkt.«

»Ich glaube kaum, daß es mich überraschen würde«, lächelte Lady Barbara. »Das liegt daran, daß Sie selbst ein nachdenkliches Gemüt haben, Madame. Ich müßte sagen, daß nur wir Dummen erstaunt sein würden. Er hat mehr Verstand als wir übrigen zusammengenommen; Sie selbst natürlich ausgenommen. Außerordentlich tüchtig ist er, das kann ich Ihnen versichern.«

»Und ich will es gern glauben.«

»Er ist der beste Seemann von uns allen, und was die Navigation betrifft... nun, Crystal ist ein Stümper, wenn man ihn mit dem Kommandanten vergleicht.«

»Wirklich?«

»Natürlich ist er zuweilen kurz angebunden, selbst mir gegenüber, aber das ist zu erwarten. Ich weiß, wie viel Sorgen er mit sich herumschleppt, und seine Körperkräfte sind nicht sehr groß. Auch darin gleicht er Nelson. Manchmal mache ich mir meine Gedanken über ihn.«

»Sie lieben ihn.«

»Lieben, Madame?« Bushs männlicher Charakter griff das Wort und seine gefühlvolle Bedeutung auf. Er lachte ein wenig befangen. »Wenn Sie es sagen, dann muß es wohl so sein. Ich selbst habe es mir in diesem Sinne noch gar nicht überlegt.

Aber, daß ich ihn gern habe, gebe ich ohne weiteres zu.«

»Das wollte ich auch bloß ausdrücken.«

»Die Leute vergöttern ihn. Sie würden für ihn durchs Feuer gehen. Bedenken Sie, was er auf dieser Reise alles geleistet hat, und dabei kommt die Peitsche noch nicht einmal in der Woche zur Anwendung. Darin ähnelt er ebenfalls Nelson. Die Kerls lieben ihn nicht wegen seiner Taten oder wegen seiner Worte, sondern seiner Persönlichkeit wegen.«

»In gewisser Hinsicht kann man ihn hübsch nennen«, meinte Lady Barbara; sie war weiblich genug, um solchem Gedanken Raum zu geben.

»Nun da Sie's erwähnen, Madame, will es auch mir so scheinen. Aber unsretwegen dürfte er auch so häßlich wie die Sünde selbst sein.«

»Selbstverständlich!«

»Aber schüchtern ist er, Madame. Nie kommt ihm seine Tüchtigkeit zum Bewußtsein. Das ist eins der Dinge, die mich immer wieder überraschen. Sie werden es mir nicht glauben wollen, aber er hat nicht mehr Zutrauen zu sich wie... wie ich selbst, Madame, wenn ich mich so ausdrücken darf. Weniger sogar, weniger.«

»Wie sonderbar«, meinte Lady Barbara. Sie war an das unerschütterliche Selbstbewußtsein ihrer Brüder gewöhnt, aber ihre Worte waren eigentlich nur aus Höflichkeit gesprochen worden, denn in Wirklichkeit fand sie es gar nicht so seltsam.

»Sehen Sie, Madame«, sagte Bush plötzlich, die Stimme senkend.

Hornblower war an Deck erschienen. Die beiden konnten sein im Mondschein bleiches Gesicht erkennen, als er nun rundum blickte, um sich davon zu überzeugen, daß alles in Ordnung war, und sie erkannten auch die Qual, die er empfand. Während der wenigen Sekunden seines Verweilens hätte man ihn für ein Gespenst halten können.

Als er sich wieder in die Einsamkeit seiner Kajüte zurückgezogen hatte, sagte Bush nachdenklich: »Wenn ich nur wüßte, was diese Teufel mit ihm angestellt haben, als er sich an Bord des Luggers befand. Hooker, der das Boot steuerte, behauptete, er habe droben jemanden wie einen Wahnsinnigen heulen hören. Die Folterknechte! Vermutlich handelte es sich um eine ihrer Bestialitäten. Sie sehen, wie sehr es ihn erschüttert hat, Madame.«

»Ja«, sagte Lady Barbara leise.

»Verzeihen Sie mir meine Offenherzigkeit, aber ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie ihn ein wenig aus seinen trüben Gedanken reißen könnten. Er bedarf offenbar sehr stark der Ablenkung. Vielleicht wäre es Ihnen möglich...«

»Ich will's versuchen«, nickte Lady Barbara, »wenn ich auch bezweifle, daß ich dort Erfolg haben kann, wo Sie selbst versagten. Kapitän Hornblower hat mich niemals sonderlich beachtet, Mr. Bush.«

Glücklicherweise traf die formelle Einladung, die Lady Barbara durch Hebe dem Steward Polwheal überbringen ließ und die von ihm dem Kommandanten ausgehändigt wurde, Hornblower in einem Augenblick an, da er sich gerade bemühte, den auf ihm lastenden Druck abzuschütteln. Er las die Zeilen so aufmerksam, wie Lady Barbara sie niedergeschrieben hatte, und sie hatte sich große Mühe bei der Abfassung der Einladung gegeben. Hornblower nahm ihre nette kleine Bitte um Entschuldigung entgegen. Sie belästige ihn zwar zu einer Zeit, da er offenbar in seine Arbeit vertieft sei, doch habe sie von Mr. Bush erfahren, daß die Lydia im Begriff stehe, den Äquator zu passieren, und so sei ihr der Gedanke gekommen, ob man das Ereignis nicht durch eine kleine Feier würdigen könne. Wenn daher Herr Kapitän Hornblower der Lady Barbara das Vergnügen machen wolle, mit ihr zu speisen, und wenn er zudem einen Offizier namhaft machen wolle, dessen Hinzuziehung er für angebracht erachte, so würde sie - Lady Barbara - sich außerordentlich freuen. Hornblower antwortete schriftlich, daß er der gütigen Einladung bereitwilligst Folge leisten werde. Lady Barbara möge ganz nach Gutdünken noch einen anderen Offizier auffordern.

Und dennoch bereitete ihm die Rückkehr zum geselligen Leben keine ungemischte Freude. Hornblower war von jeher arm gewesen, und damals, als er das Kommando der Lydia übernahm, wußte er nicht mehr aus noch ein, wie er die nötigen Existenzmittel für seine zurückbleibende Frau aufbringen sollte.

Dadurch wiederum hatte er sich außerstande gesehen, sich selbst hinreichend auszurüsten, so daß nun nach dem Verlauf so vieler Monate seine Garderobe im Zustand gänzlichen Verfalls war.

Keiner seiner Röcke war ungeflickt. Die blind und unansehnlich gewordenen Epauletten verrieten, daß sie ihr Dasein in nur oberflächlich vergoldetem Zustand begonnen hatten. Die Dreimaster waren Ruinen. Hornblower besaß weder Hosen noch Wadenstrümpfe mehr, die sich hätten sehen lassen können, und die einstmals weißen Halstücher konnten in ihrer Zerschlissenheit nicht mehr für Seide genommen werden. Nur der Degen im Werte von fünfzig Guineern behielt sein gutes Aussehen bei, doch konnte ihn Hornblower nicht gut zum Diner tragen. Er war sich dessen bewußt, daß seine an Bord angefertigten weißen Hosen nicht den eleganten Schnitt aufwiesen, an den Lady Barbara gewöhnt war. Er sah schäbig aus und fühlte sich dementsprechend schäbig. Als er sich in dem kleinen Spiegel betrachtete, gewann er die Überzeugung, daß Lady Barbara über seine Erscheinung die Nase rümpfen würde.

In sein braungelocktes Haar mischten sich graue Streifen, und als er den Scheitel festlegte, entdeckte er zu seinem Entsetzen, daß er eine richtige Glatze bekam. Der Haarausfall hatte in letzter Zeit unerhört schnelle Fortschritte gemacht. Voller Mißfallen betrachtete er sein Spiegelbild, und doch würde er gern den Rest seines Schopfes für ein Ordensband oder einen Stern geopfert haben, mit dem er Lady Barbara gegenüber hätte Eindruck machen können. Aber schließlich wäre auch das nutzlos gewesen, denn Lady Barbara hatte ihr ganzes Dasein im Bereich des Hosenband- und des Andreasordens zugebracht; das aber waren Auszeichnungen, die zu erhalten er nie erwarten durfte.

Schon war er drauf und dran, seine Zusage zur Einladung zu widerrufen, als ihm einfiel, daß Polwheal nach all diesen umständlichen Vorbereitungen den Grund der Absage erkennen und ihn samt seinem schäbigen Aussehen heimlich verspotten würde. Er begab sich also zum Diner und rächte sich auf seine Weise dadurch, daß er wortkarg und zerstreut am Ehrenplatz der Tafel saß und mit seiner düsteren Gegenwart jeden Versuch, eine zwanglose Unterhaltung in Gang zu bringen, vereitelte. Das Mahl begann in frostiger, ungemütlicher Stimmung. Es war eine sehr kümmerliche Rache, aber eine gewisse Befriedigung empfand Hornblower doch, als er Lady Barbaras auf ihn gerichteten und besorgten Blick auffing. Schließlich wurde er aber auch dieses Trostes beraubt, denn plötzlich lächelte sie und begann eine leichte Unterhaltung, wobei sie Bush veranlaßte, ihr seine persönlichen Erlebnisse von Trafalgar zu erzählen.

Hornblower wußte, daß sie die Geschichte zum mindesten schon zweimal gehört hatte.

Jedenfalls aber wurde die Unterhaltung allgemein und angeregt, denn Gerard fiel es nicht ein, Bush allein zu Wort kommen zu lassen, und so mußte er die Erzählung seines Zusammentreffens mit einem algerischen Seeräuber zum besten geben. Die Sache lag schon weit zurück. Gerard hatte sie erlebt, als er noch im Sklavenhandel tätig gewesen war. Hornblower aber hielt es nun nicht länger aus, schweigend und teilnahmslos abseits zu bleiben. Fast gegen seinen Willen sah er sich ins Gespräch gezogen, das immer lebhaftere Formen annahm. Erst nach der Beendigung der Mahlzeit und nachdem er auf die Gesundheit des Königs getrunken hatte, faßte er sich einigermaßen, so daß er Lady Barbaras Aufforderung zu einer Partie Whist ablehnte. Das jedenfalls sollte seiner Meinung nach Eindruck auf die Dame machen. Zum wenigsten traf das für seine Offiziere zu, denn er merkte, wie Bush und Gerard einander betroffen ansahen, weil der Kommandant die Gelegenheit zu einem Spiel ausschlug.

In seine Kammer zurückgekehrt, lauschte er dem geräuschvollen Verlauf des›Vingtetun‹, das Lady Barbara an Stelle des Whist in Vorschlag gebracht hatte. Fast wünschte er, er wäre drüben geblieben, obwohl er Vingtetun für ein Spiel hielt, an dem nur primitive Gemüter Gefallen finden konnten.

Immerhin hatte die Einladung doch ihren Zweck erfüllt, denn fortan wich er der an Oberdeck weilenden Lady Barbara nicht mehr aus. Er brachte es fertig, mit ihr zu plaudern und mit ihr den Zustand der wenigen Verwundeten zu erörtern, die noch in der Krankenliste geführt wurden. Nach einigen solchen morgendlichen Begegnungen fiel es ihm leicht, auch während der heißen Nachmittage und der zauberhaften, vom Mondlicht erhellten Abende in ihrer Gesellschaft zu verweilen, indessen die Lydia über den tropischen leichtbewegten Ozean glitt. Er hatte sich wieder an seine abgetragenen Röcke und die schlechtsitzenden Hosen gewöhnt. Vergessen war der rachsüchtige Plan, Lady Barbara in ihre Kajüte zu verweisen.

Vor allem aber wurde sein Geist nicht mehr so unaufhörlich von den Erinnerungen gequält. Nicht länger verfolgte ihn der Anblick des an Deck angeketteten el Supremo, des sterbenden Galbraith und des armen kleinen Clay, dessen blutiger, kopfloser Rumpf auf den Deckplanken gelegen hatte. Nun konnte er sich nicht mehr, weil ihn diese Bilder verfolgten, einen Feigling nennen.

Wirklich, es waren glückliche Tage. Der tägliche Dienst spielte sich mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks ab. Fast immer wehte wenigstens so viel Wind, daß die Lydia steuerfähig blieb, und zuweilen frischte es zur Unterbrechung der Eintönigkeit ein wenig auf. Stürme gab es nicht während dieser goldenen Zeit, die man als endlos betrachten konnte, denn unerreichbar fern schien der fünfzigste südliche Breitengrad zu liegen. Daran änderte auch die Tatsache nichts, daß die Sonne jeden Mittag etwas tiefer und das Kreuz des Südens um Mitternacht höher stand.

Himmlisch waren die Nächte, wenn das Schiff ein langes, schwach phosphoreszierendes Kielwasser hinter sich zurückließ.

Hornblower und Lady Barbara plauderten über alles Mögliche.

Die Dame der großen Welt erzählte von dem leichtfertigen Ton, der am Hofe des irischen Vizekönigs in Dublin herrschte, und von den Intrigen, mit denen sich ein Generalgouverneur von Indien herumzuärgern hatte, von mittellosen französischen Emigranten, die ihre Stelle den schwerreichen Eisenbaronen Nordenglands einräumen mußten, von Lord Byrons Extravaganzen und den Dummheiten der königlichen Prinzen.

Hornblower vermochte dem allen neidlos zuzuhören.

Er seinerseits sprach von den heftigen Stürmen, des von felsigen Küsten gesäumten Golfes von Biskaya, oder davon, wie Admiral Pellew seine Fregatten bis in die Brandung selbst führte, um das französische Linienschiff Droitsdel'Homme samt ihrer zweitausend Mann zählenden Besatzung zu versenken.

Von Strapazen, Grausamkeiten und Entbehrungen war die Rede.

Ein geradezu eintönig anstrengendes Dasein spielte sich vor Lady Barbaras geistigem Auge ab. Es erschien ihr so phantastisch wie ihm das ihrige. Im Maße, wie seine Befangenheit schwand, konnte er sogar auf seine beruflichen Erwartungen zu sprechen kommen, die ihr natürlich wie die bedeutungslosen Wünsche eines Kindes vorkommen mußten, das gern ein neues Steckenpferd hätte. Sein ganzer Ehrgeiz ging dahin, zweitausend Pfund Prisengelder zusammenzubringen, die es ihm, wenn er aus dem Dienst schied, ermöglichen sollten, den Halbsold auszugleichen, die paar Morgen Land zu bewirtschaften, die zu seinem Häuschen gehörten, und sich mit Büchern zu umgeben.

Und dennoch hörte sie ihm zu, ohne zu lächeln, und im Mondlicht zeigte ihr Gesicht sogar einen leichten Zug des Neides, denn ihre eigenen Lebenswünsche waren viel zu unklar, um sie in Worte kleiden zu können. Sie wußte selbst nicht recht, was sie wollte, erkannte aber doch, daß sie es nur dann erreichen konnte, wenn es ihr gelang, einen Mann zu finden. Daß die Tochter eines Earls einen mittellosen Fregattenkapitän beneiden konnte, berührte Hornblower, der ihren Ausdruck beobachtete, aufs tiefste. Er empfand Genugtuung darüber, daß Lady Barbara überhaupt jemanden beneiden konnte, und war doch gleichzeitig traurig darüber.

Sie unterhielten sich auch viel über Literatur, wobei ihre Meinungen öfter auseinander gingen, da Hornblower eigentlich nur die Klassiker gelten ließ und sich abfällig über die jüngeren Dichter äußerte, unter denen ein gewisser Walter Scott mit an erster Stelle genannt wurde. Wohl wunderte sich Lady Barbara anfangs darüber, daß ein Seeoffizier ein so großes Interesse für die Literatur besaß, aber sie lernte schnell ihre bisherigen Begriffe einer Prüfung zu unterziehen.

Kriegsschiffskommandanten waren durchaus nicht einer wie der andere, wie ein oberflächlicher Beobachter hätte meinen können. Von Hornblower und von seinen Untergebenen erfuhr sie, daß es Kapitäne gab, die griechische Elegien schrieben, daß manche ihre Kajüten mit Altertümern voll stopften, die sie auf den griechischen Inseln gefunden hatten, daß dieser oder jener mit Cuvier im Briefwechsel stand und Seetiere klassifizierte.

Andererseits gab es natürlich auch Kommandanten, denen es Spaß machte, menschliche Rücken mit der neunschwänzigen Katze zerpeitschen zu lassen, die sich jeden Abend bis zur Bewußtlosigkeit betranken und dann im Säuferwahnsinn das ganze Schiff auf den Kopf stellten, und noch andere, die ihre Mannschaft hungern ließen und ihr dabei Tag und Nacht keine Ruhe gönnten.

Lady Barbara war immer mehr davon überzeugt, daß Hornblower ein besonders tüchtiger Kapitän war, ein Beruf, der vom Publikum ganz erheblich unterschätzt wurde.

Vom Tage ihres Anbordkommens an hatte Lady Barbara an Hornblowers Gesellschaft Gefallen gefunden. Jetzt war beiderseits eine gewisse Gewöhnung eingetreten. Der eintönige Verlauf der stetig nach Süden führenden Reise war für diese Entwicklung sehr günstig. Zur Gewohnheit wurde der Austausch eines Lächelns, mit dem sie einander in der Frühe beim Betreten des Achterdecks begrüßten, und in diesem Lächeln spiegelten sich die Erinnerungen an die Gespräche, die man abends zuvor geführt hatte. Zur Gewohnheit wurde für Hornblower, nach der mittäglichen Berechnung des Bestecks den Fortschritt der Reise mit Lady Barbara zu besprechen, zur Gewohnheit auch, nachmittags mit ihr Kaffee zu trinken. Vor allem aber bestand nun seit längerem schon die Gewohnheit, abends in der warmen Dunkelheit an Oberdeck zu bleiben, während sich die Unterhaltung scheinbar aus dem Nichts unter dem zauberhaften Schimmer der Sterne immer üppiger entfaltete, bis man sich spät nach Mitternacht zögernd trennte.

Dabei wurde dieses abendliche Beisammensein niemals auch nur andeutungsweise vereinbart.

Sie konnten jetzt sogar schweigend beisammensitzen, wortlos den am Sternenhimmel kreisenden Bewegungen der Mastspitzen folgen und dabei dem schwachen Knarren und Knacken des Schiffskörpers lauschen. Dennoch blieben ihre Gedanken gleichgerichtet, und wenn einer von ihnen eine Bemerkung machte, so entsprach sie ganz den Gedanken des anderen. Bei solchen Gelegenheiten ruhte Lady Barbaras Hand an ihrer Seite, so daß sie ohne Schwierigkeit hätte berührt werden können. Oft hatten Männer diese Hand berührt, wenn sie gar keinen Wert darauf legte. Auf Londoner Bällen und bei den Empfängen des Generalgouverneurs war es der Fall gewesen. Nun aber war sie unklug genug, es darauf ankommen zu lassen, obwohl sie sich sagen mußte, daß es in Anbetracht der noch mehrere Monate langen Reise leichtsinnig war, die geringste körperliche Intimität zu begünstigen. Hornblower jedoch schien die Hand nicht zu beachten. Sie sah sein friedvolles und unbewegtes Gesicht zu den Sternen emporblicken, und das Bewußtsein, diese Änderung seines Ausdrucks seit jenem Abend bewirkt zu haben, an dem sie mit Bush sprach, tat ihr wohl.

Vier Wochen währte dieser angenehme Teil der Reise, während die Lydia immer weiter nach Süden glitt, bis die Abende kühl und die Morgenstunden nebelig wurden, bis das Blau des Himmels sich in Grau wandelte und seit drei Wochen zum erstenmal ein niedergehender Regen das Oberdeck näßte, bis der Westwind schneidend wurde, so daß sich Lady Barbara, falls sie überhaupt oben bleiben wollte, in einen Mantel hüllen mußte. Schließlich fanden die auf der Hütte verlebten Abende ihr unvermeidliches Ende. Das Wetter wurde stürmisch und zusehends kälter, obwohl die südliche Halbkugel ihren Spätsommer erlebte. Zum erstenmal im Leben sah Lady Barbara den Kommandanten in Ölzeug und Südwester, wobei sie seltsamerweise fand, daß ihm diese häßliche Kleidung sehr gut stand. Es geschah zuweilen, daß er mit leuchtenden Augen und windgeröteten Wangen in die Kajüte trat, und dann fühlte sie ihren Puls schneller schlagen.

Sie wußte, daß sie töricht war. Sie sagte sich, daß ihre Schwäche darauf zurückgeführt werden mußte, daß Hornblower an Bord der Lydia der einzige Mann war, der Kultur besaß.

Überdies konnte dies viele Monate dauernde Beisammensein auf engem Raum nur dazu führen, daß sie ihn entweder liebte oder haßte. Da aber Haß ihrer ganzen Charakterveranlagung nach nicht in Frage kam, blieb eben das andere übrig. Sie war sich auch darüber klar, daß ihr Interesse für ihn schwinden würde, sobald man zur Zivilisation zurückkehrte und Hornblower sich vor dem ihr vertrauten, im Laufe der Zeit aber in ihrem Gedächtnis verblaßten Hintergrund abhob.

An Bord sah man die Dinge in falscher Perspektive.

Pökelfleisch, madiges Brot und Dörrerbsen, eine Kost, die zweimal in der Woche durch ein Glas Zitronensaft ergänzt wurde, bedeutete Eintönigkeit. Kleinigkeiten gewannen übertriebene Wichtigkeit, wenn man genötigt war, ein solches Leben zu führen. Das alles sah Lady Barbara ein, aber seltsamerweise änderte es nichts an ihren Gefühlen. Man hatte mittlerweile das Gebiet des Passats erreicht. Tagtäglich brauste er stärker, und täglich nahm der Seegang zu. Die Lydia kam ausgezeichnet vorwärts. Es gab Tage, an denen sie über zweihundertundvierzig Seemeilen innerhalb vierundzwanzig Stunden zurücklegte. Kalt war es, und es regnete in Strömen, so daß das Oberdeck mitunter knöcheltief unter Wasser stand.

An anderen Tagen blieb Lady Barbara nichts anderes übrig, als sich in ihrer Koje festzustemmen, während das Schiff hin und her geworfen wurde, als wolle es jeden Augenblick kentern.

Hebe, die ihre Neigung zur Seekrankheit niemals ganz überwand, lag in ihre Decken gewickelt am Boden, und ihre Zähne klapperten vor Kälte. Sämtliche Feuer waren gelöscht worden. Es konnte nichts gekocht werden, und das Stöhnen der Hölzer schwoll zu einer Stärke an, daß man es mit Orgeltönen hätte vergleichen können.

Als man den südlichsten Punkt der ganzen Reise erreichte, bewies das am Kap Hoorn herrschende Wetter aufs neue seine Launenhaftigkeit. Eines Morgens erwachte Lady Barbara und merkte, daß die Bewegungen des Schiffes wieder sehr stetig geworden waren. Polwheal klopfte an die Kammertür, um eine Mitteilung des Kommandanten zu überbringen. Wenn es der Lady Barbara beliebe, so könne sie von dem Wetterumschwung Gebrauch machen und an Oberdeck frische Luft schöpfen.

Natürlich folgte sie der Einladung. Der Himmel war blau, aber die Frische ließ sie doch dankbar den Büffelmantel empfinden, den ihr Gerard geliehen hatte. Es wehte nur noch eine frische Brise, die die Lydia unter vollen Segeln, einschließlich des Royals, vorwärtstrieb. Hell schien die Sonne. Es tat wohl, wieder einmal an Deck spazierengehen zu können; fast so wohl, wie der dampfend heiße Kaffee, den der grinsende Polwheal der Dame und den Offizieren auf der Hütte servierte. Köstlich war es, die Lungen, die so lange die üblen, unter Deck herrschenden Dünste eingeatmet hatten, mit reiner Luft zu füllen. Überall in den Wanten trockneten die schnellstens aufgehängten Kleidungsstücke der Seeleute. Sie schienen mit unzähligen flatternden Armen und Beinen die frische Brise zu begrüßen.

Aber Kap Hoorn schenkte den Menschen nur diesen einen angenehmen Morgen. Noch vor der Mittagsstunde überzog sich die Sonne mit einem feinen Schleier, es frischte merklich auf, und in Luv stiegen schnell näher kommende Wolkenmassen empor.

»Lassen Sie die Royals bergen, Mr. Bush«, knurrte Hornblower. »Lady Barbara, ich fürchte, daß Sie sich wieder in Ihre Kajüte zurückziehen müssen.«

Kaum hatte sie ihre Kammer erreicht, als auch schon heulend die Bö einfiel. Den ganzen Nachmittag hindurch lief die Lydia vor dem Winde, und als es Abend wurde, schloß Lady Barbara, die inzwischen allerlei Seemannschaft gelernt hatte, aus den Bewegungen der Fregatte, daß sich Hornblower genötigt gesehen hatte, beizudrehen. Sechsunddreißig Stunden hielt der Zustand an, indessen sich das Wetter zu bemühen schien, den ganzen Himmel in tausend Stücke zu zerreißen. Einigen Trost bot nur die Gewißheit, daß auch die Abdrift nach Lee dem Schiffe half, den östlichen Kurs beizubehalten. Lady Barbara hielt es für kaum glaublich, daß es Menschen jemals gelungen sein sollte, Kap Hoorn in ostwestlicher Richtung zu umsegeln.

Sie schloß sich Hornblowers Meinung an, wonach sich sehr bald, und spätestens nach dem Abschluß eines allgemeinen Friedens, die ganze Welt zusammentun werde, um den Antrag zu stellen, die Landenge von Panama mit einem Kanal zu durchstechen. Vorläufig allerdings mußte man sich damit begnügen, auf den glücklichen Tag zu warten, an dem man St. Helena erreichte, wo das Schiff Frischfleisch und Gemüse, womöglich Milch und Obst an Bord nehmen konnte.