4. Kapitel
Jenseits der Landzunge lief das Boot sanft auf den goldgelben Sand des Ufers. Die schwärzliche Besatzung sprang außenbords und zog das Fahrzeug so weit auf den Strand, daß Hornblower und Hernandez es trockenen Fußes verlassen konnten. Gespannt sah der Seeoffizier sich um. Die Stadt erstreckte sich fast bis an den Sandstreifen. Sie stellte ein Sammelsurium von einigen hundert mit Palmblättern gedeckten Häusern dar. Nur wenige von ihnen besaßen ein Ziegeldach. Hernandez führte.
»Agua, agua...«, krächzte eine Stimme. »Um Gottes Barmherzigkeit willen Wasser.«
Ein Mann war neben dem Pfade an einen zwei Meter hohen Pfahl gefesselt worden. Die Hände hatte man frei gelassen, und nun ruderte er wie irrsinnig mit den Armen umher. Die Augen quollen ihm aus den Höhlen, und die Zunge sah aus, als sei sie zu groß für den Mund. Geier umflatterten ihn und kreisten über seinem Kopf.
»Wer ist das?« fragte Hornblower erschrocken.
»Ein Mann, den el Supremo zum Tode des Verschmachtens verurteilt hat«, antwortete sein Begleiter. »Er ist einer der Unerleuchteten.«
»Man foltert ihn zu Tode?«
»Dies ist sein zweiter Tag. Morgen wird er sterben, wenn ihn die Mittagssonne bescheint«, gab Hernandez gleichgültig zur Antwort. »Das tun sie immer.«
»Aber was hat er verbrochen?«
»Wie ich Ihnen schon sagte, Herr Kapitän, er ist einer der Unerleuchteten.«
Hornblower widerstand der Versuchung, sich nach dem Sinn des Wortes›Erleuchtung‹zu erkundigen. Die Tatsache, daß Alvarado den Namen el Supremo angenommen hatte, gab ihm immerhin einen Hinweis, und er war schwach genug, sich ohne Widerspruch an dem Unglücklichen vorüberführen zu lassen, denn er mußte annehmen, daß keine Vorstellungen von seiner Seite imstande sein würden, die Befehle el Supremos umzustoßen. Ein erfolgloser Protest aber hätte lediglich sein eigenes Ansehen geschädigt. So beschloß er den Fall so lange auf sich beruhen zu lassen, bis er dem Machthaber Auge in Auge gegenüberstand.
Zwischen den Palmblätterhütten wanden sich kleine kotige, von Schmutz starrende und stinkende Gassen hindurch. Geier hockten auf den Firsten oder zankten sich mit den Straßenkötern. Die indianische Bevölkerung ging ihrer alltäglichen Beschäftigung nach, ohne sich darum zu kümmern, daß fünfzig Meter vom Ortsrand entfernt ein Mensch verdurstete. Die Leute waren ausnahmslos braun mit einem Stich ins Rötliche, wie das auch bei Hernandez der Fall war. Die Kinder liefen nackt umher, die Weiber trugen, soweit sie nicht schwarz gekleidet waren, schmutzigweiße Kleider. Die wenigen Männer waren bei entblößtem Oberkörper lediglich mit weißen Kniehosen bekleidet. Die Hälfte der Hütten schien Kaufläden zu sein. Auf ihrer einen offenen Seite befanden sich in der Auslage einige Früchte oder ein paar Eier. An einem der Stände feilschte eine schwarzgekleidete Frau.
Auf dem kleinen Platz im Mittelpunkt der Stadt standen etliche winzige Pferde, die sich der Fliegen zu erwehren suchten. Die Begleiter des›Generals‹Hernandez beeilten sich, zwei davon loszubinden und sie zum Aufsitzen bereitzuhalten.
Es war ein schwieriger Augenblick für Hornblower. Er wußte selbst, daß er kein guter Reiter war und daß er in seinen besten Seidenstrümpfen, mit um geschnalltem Säbel und dem Dreimaster auf dem Kopf, keine gute Figur zu Pferde machen würde. Aber das ließ sich nun einmal nicht ändern. Man erwartete mit solcher Selbstverständlichkeit, ihn aufsitzen zu sehen, daß es kein Zurück gab. So stellte er denn den Fuß in den Bügel und schwang sich in den Sattel. Zu seiner Genugtuung merkte er, daß der ihm zugewiesene Gaul sanft und folgsam war. Er trabte neben Hernandez und wurde schrecklich durchgeschüttelt. Der Schweiß strömte ihm über das Gesicht, und alle Augenblicke mußte er hastig nach dem verrutschten Hut greifen. Steil aufwärts ging es einen schmalen Pfad entlang, dessen Breite nur für einen einzigen Reiter ausreiche, so daß Hernandez mit höflicher Geste vorausritt. Die Begleitmannschaft folgte in einem Abstand von fünfzig Meter.
Auf dem beiderseits von Bäumen und Buschwerk begrenzten Wege war es erstickend heiß. Zudringliche Stechfliegen umsummten den Seemann. Eine halbe Meile weiter aufwärts trat eine faulenzende Wache erschrocken unter das Gewehr. Gleich darauf sah man wieder Männer, die dem armen Teufel glichen, den Hornblower zuerst bemerkt hatte. Man hatte sie an Pfähle gebunden, um sie verschmachten zu lassen. Einige waren tot, nur noch stinkende Massen faulenden Fleisches. Beim Vorüberkommen der Pferde erhoben sich ganze Wolken summender Fliegen; vollgefressene Geier mit abstoßend häßlichen kahlen Hälsen taumelten schweren Flügelschlages vor den Pferden her und suchten, da sie sich nicht mehr in die Luft erheben konnten, ins Dickicht auszuweichen.
Schon wollte Hornblower fragen:›Sind das ebenfalls Unerleuchtete, Herr General?‹als ihm die Zwecklosigkeit solcher Bemerkung einfiel. Es war besser, den Mund zu halten.
Schweigend ritt er durch den Gestank und die Fliegenschwärme, wobei er versuchte, sich eine Meinung über den Charakter eines Mannes zu bilden, der verwesende Leichen sozusagen auf seiner Türschwelle liegen ließ.
Der Weg führte über einen Berghang. Minutenlang genoß Hornblower den Blick auf die unter ihm liegende, im Licht der Abend sonne blau, silbern und golden glänzende Bucht, in der die Lydia vor Anker lag. Dann plötzlich befand man sich inmitten bebauten Landes. Orangenpflanzungen, deren Bäume mit Früchten behangen waren, begrenzten den Pfad, und durch die Zweige hindurch bemerkte Hornblower reichtragende Felder. Die schnell sinkende Sonne ließ die Apfelsinen aufleuchten, und als die Reiter einen Vorsprung umritten, lag hellbeschienen ein langgestrecktes und großes Gebäude vor ihnen.
»Das Haus von el Supremo«, sagte Hernandez.
Im offenen Hof nahmen ihnen Stallburschen die Pferde ab.
Steifbeinig kletterte Hornblower aus dem Sattel. Er bedauerte seine besten Seidenstrümpfe, die durch den Ritt arg in Mitleidenschaft gezogen waren. Die Diener, die ihn ins Haus geleiteten, besaßen eine ähnliche, aus Pracht und Lumpen zusammengesetzte Kleidung wie Hernandez: Scharlachrot und Gold oben, Fetzen und bloße Füße unten. Der prunkvollste von allen, dessen Züge eine starke Beimischung von Negerblut und einen geringen europäischen Einschlag zeigten, trat den Ankömmlingen mit besorgtem Gesichtsausdruck entgegen.
»Man hat el Supremo warten lassen«, sagte er. »Bitte folgen Sie mir schnellstens.«
Fast laufend eilte er einen Korridor entlang, der vor einer messingbeschlagenen Tür endete. Er pochte geräuschvoll, wartete einen Moment, klopfte nochmals, warf die Tür auf und neigte sich tief zur Erde. Hornblower trat ein. Ihm folgte Hernandez, und den Beschluß machte der Majordomo, der die Tür wieder schloß. Das lang gestreckte Zimmer hatte blendendweiß getünchte Wände. Die Decke wurde von schweren, mit Malereien und Schnitzwerk verzierten Balken getragen. Am anderen Ende des Raumes erhob sich ein dreistufiger Thron, und darauf saß unter einem Baldachin der Mann, den aufzusuchen Hornblower um die halbe Welt geschickt worden war.
Der kleine, dunkelhäutige und offensichtlich nervöse Kreole hatte stechende schwarze Augen; das schüttere Haar fing an den Schläfen an grau zu werden. Seinem Aussehen nach konnte er nur eine ganz geringfügige Beimischung indianischen Blutes besitzen. Er war europäisch gekleidet, trug einen goldgesäumten roten Rock, eine weiße Halsbinde, weiße Kniehosen und Strümpfe. An den Schuhen befanden sich goldene Schnallen.
Hernandez krümmte sich vor ihm. »Lange bist du fortgeblieben«, herrschte Alvarado ihn an. »Elf Männer wurden in deiner Abwesenheit ausgepeitscht.«
»Supremo«, seufzte Hernandez, dessen Zähne vor Angst zu klappern begannen, »der Kapitän folgte sofort Ihrer Aufforderung, zu Ihnen zu kommen.«
Alvarado richtete seinen stechenden Blick auf Hornblower, der sich gemessen verneigte. Seine Gedanken spielten mit dem Verdacht, daß jene elf bloß der Länge der Zeit wegen mißhandelt worden waren, die ein Ritt vom Strande bis zum Herrenhaus in Anspruch nahm.
»Kapitän Horatio Hornblower von Seiner Britannischen Majestät Fregatte Lydia«, stellte er sich vor.
»Sie haben mir Waffen und Schießpulver mitgebracht?«
»Sie befinden sich an Bord.«
»Schön. Sie werden mit dem General Hernandez Vereinbarungen wegen der Landung treffen.«
Hornblower dachte an die beinahe leeren Vorratslasten seines Schiffes und daran, daß er dreihundertundachtzig Mann zu beköstigen hatte. Überdies begann er bereits, wie das jedem Kommandanten ergangen wäre, Unruhe wegen seiner Abhängigkeit vom Lande zu verspüren. Diese Nervosität würde sich erst legen, wenn die Lydia wieder so ausgiebig mit Lebensmitteln, Wasser und Brennholz versehen war, daß sie um das Kap Hoorn segelnd zum mindesten Westindien oder St. Helena, wenn nicht überhaupt die Heimat erreichen konnte.
»Ich vermag nichts abzugeben, Sir, ehe nicht die Bedürfnisse des Schiffes befriedigt sind«, sagte er. Er hörte, wie Hernandez ob solcher gotteslästerlichen Einwendung gegen die Befehle el Supremos scharf den Atem einzog. Der Tyrann runzelte die Brauen. Sekundenlang sah es so aus, als wollte er versuchen, seinen allmächtigen Willen dem fremden Kapitän aufzuzwingen, aber sofort hellten sich seine Züge wieder auf, denn er erkannte, daß es töricht sein würde, mit seinem neuen Verbündeten Streit zu beginnen. »Gewiß«, nickte er. »Bitte teilen Sie dem General Hernandez mit, was Sie brauchen; er wird Sie mit allem versehen.« Hornblower hatte schon öfters mit spanischen Offizieren zu tun gehabt, und er wußte, wie freigebig sie mit leeren Versprechungen sein konnten. Er nahm an, daß spanischamerikanische Rebellenoffiziere noch um ein gutes Teil weniger zuverlässig waren, und so entschloß er sich, seine Wünsche gleich an Ort und Stelle vorzutragen, so daß immerhin einige Möglichkeit dafür bestand, wenigstens einen Teil davon in naher Zukunft erfüllt zu sehen.
»Morgen müssen meine Wasserfässer gefüllt werden«, erklärte er. Hernandez nickte.
»Unweit der Landungsstelle befindet sich eine Quelle. Wenn Sie wünschen, stelle ich Ihnen Leute zum Helfen.«
»Danke, das wird nicht nötig sein. Meine Mannschaft kann das allein besorgen. Außer dem Frischwasser benötige ich...«
Hornblower stellte in Gedanken eine Liste alles dessen zusammen, was eine Fregatte für sieben Monate auf See brauchte.
»Nun, Senor?«
»Ich benötige zweihundert Rinder oder zweihundertundfünfzig, wenn sie mager und klein sind; fünfhundert Schweine, viereinhalb Tonnen Salz, vierzig Tonnen Hartbrot, und wenn das nicht zu beschaffen ist, das gleiche Gewicht in Mehl, nebst Öfen und Brennstoff zum Backen.
Ferner den Saft von vierzigtausend Zitronen oder Orangen; die Fässer zum Einfüllen kann ich stellen. Dann zehn Tonnen Zucker, fünf Tonnen Tabak und eine Tonne Kaffee. Sie bauen hierzulande Kartoffeln, nicht wahr? Also schön, zwanzig Tonnen Kartoffeln werden genügen.«
Während der Aufzählung war das Gesicht Hernandez' länger und länger geworden.
»Aber der Kapitän...«, suchte er zu widersprechen, doch Hornblower fiel ihm ins Wort.
»Ferner brauche ich für die Dauer unseres Hierseins fünf Ochsen pro Tag, zwei Dutzend Hühner, so viel Eier, wie Sie auftreiben können, und Frischgemüse für den Bedarf meiner Besatzung.«
Von Natur war Hornblower ein gutherziger Mann, aber sowie es sich um Dinge des Schiffes handelte, wurde er hart.
»Zweihundert Ochsen!« stöhnte der unglückliche Hernandez.
»Fünfhundert Schweine?«
»Diese Zahlen habe ich genannt«, versetzte Hornblower unerschütterlich. »Wohlverstanden, zweihundert fette Ochsen.«
In diesem Augenblick griff el Supremo ein.
»Sorge dafür, daß des Kapitäns Wünsche erfüllt werden«, sagte er mit ungeduldiger Geste. »Verschwinde jetzt.«
Hernandez zögerte nur für den Bruchteil einer Sekunde, ehe er sich zurückzog. Leise schloß sich hinter ihm die schwere, messingbeschlagene Tür.
»Das ist die einzige Art, mit diesem Volk umzuspringen«, bemerkte el Supremo leichthin. »Sie sind nicht anders als Tiere.
Jede Höflichkeit ist an sie verschwendet. Zweifellos sahen Sie auf Ihrem Wege hierher einige Verbrecher, die ihre Strafe erlitten?«
»Allerdings.«
»Meine irdischen Vorfahren gaben sich viel zuviel Mühe beim Erfinden wirkungsvoller Strafen. Sie verbrannten die Menschen in umständlicher Weise, ließen ihnen zum Klange von Musik und unter Tänzen das Herz aus der Brust schneiden oder schnürten sie in frische Tierfelle, um sie dann der Sonne auszusetzen. Ich finde das alles höchst überflüssig. Der Befehl, so einen Kerl anbinden und verdursten zu lassen, genügt. Die Leute sind unfähig, das Einfachste zu begreifen, so gibt es noch heute welche, die nicht einsehen wollen, daß das Blut Alvarados und Montezuma göttlich sein muß. Nach wie vor beten sie törichterweise zu Christus und der Jungfrau.«
»So?« meinte Kapitän Hornblower.
»Einer der ersten Anhänger konnte sich nicht vom Einfluß früherer Erziehung frei machen. Als ich meine Göttlichkeit erklärte, machte er tatsächlich den Vorschlag, man solle Missionare zur Bekehrung der Stämme ausschicken, als wenn ich beabsichtigte, eine neue Religion zu verbreiten. Er konnte nicht begreifen, daß es sich nicht um eine Sache der Anschauung, sondern um eine feststehende Tatsache handelte.
Natürlich war er unter den ersten, die den Tod des Verschmachtens sterben mußten.«
»Natürlich.«
Hornblower war sehr betroffen von dem, was er erlebte, hielt aber an der Tatsache fest, daß er sich mit diesem Wahnsinnigen verbünden mußte. Die Verproviantierung der Lydia hing von solcher Zusammenarbeit ab, und das war eine ungeheuer lebenswichtige Sache.
»Ihr König Georg wird entzückt gewesen sein, als er davon hörte, daß ich mich zum gemeinsamen Handeln mit ihm entschlossen habe«, fuhr el Supremo fort.
»Er trug mir auf, Sie seiner Freundschaft zu versichern«, erwiderte Hornblower vorsichtig.
»Begreiflich, daß er nicht darüber hinausging«, nickte el Supremo. »Das Blut der Welfen kann sich nicht mit dem der Alvarado messen.«
»Ha...hm«, machte Hornblower. Er fand das nichtssagende Geräusch ebenso praktisch für eine Unterredung mit diesem Mittelamerikaner als dem Leutnant Bush gegenüber.
El Supremos Brauen zogen sich kaum merkbar zusammen.
»Ich nehme an, daß Ihnen die Geschichte der Alvarado bekannt ist«, sagte er ein wenig steif. »Sie wissen, wer der erste dieses Namens hier im Lande war.«
»Er erschien als Gefolgsmann des Fernandez Cortez...«, begann der Engländer, aber el Supremo fiel ihm ins Wort.
»Gefolgsmann? Keine Spur! Ich wundere mich, daß Sie solchen Lügen zugänglich sind. Er war der Führer der Konquistadoren, und nur infolge einer Geschichtsfälschung wird Cortez als Kommandeur genannt. Alvarado eroberte Mexiko und dann die ganze Küste bis zum Isthmus. Er heiratete die Tochter Montezumas, des aztekischen Kaisers. Als direkter Abkömmling dieser Verbindung hat es mir gefallen, die Familiennamen Alvarado und Montezuma wieder zu vereinigen.
In Europa aber läßt sich der Name Alvarado noch viel weiter zurückverfolgen, über die Römer und das Reich Alexanders hinaus bis zum Beginn aller Zeiten. Es ist also nur natürlich, daß das Geschlecht in meiner Person wieder göttliche Gestalt annahm. Ich freue mich, daß Sie mir beistimmen, Herr Kapitän...«
»Hornblower.«
»Danke sehr. Und nun dürfte es wohl zweckmäßig sein, die Pläne zur Ausdehnung meines Imperiums zu erörtern.«
»Ich stehe zu Ihrer Verfügung.« Hornblower sagte sich, daß er wenigstens so lange diesem Irren nachgeben mußte, bis die Lydia verproviantiert war, obwohl seine ohnehin schwache Hoffnung, in diesem Lande eine erfolgreiche Erhebung zu organisieren, schnell dahinschwand.
»Der Bourbone, der sich König von Spanien nennt«, begann Don Julian wiederum, »hat einen Stellvertreter hier, der sich selbst als Generalkapitän von Nicaragua bezeichnet. Vor einiger Zeit sandte ich dem Herrn einen Boten und befahl ihm, mir den Eid der Treue zu leisten. Dies tat er jedoch nicht; vielmehr ließ er sich dazu mißleiten, meinen Abgesandten in Managua öffentlich aufzuhängen.
Von den Unverschämten, die er daraufhin aussandte, sich meiner geheiligten Person zu bemächtigen, wurden etliche unterwegs getötet, andere starben an den Pfählen, und nur wenige waren so glücklich, das Licht innerlicher Erleuchtung zu erblicken. Sie dienen jetzt in den Reihen meines Heeres. Wie ich höre, steht der Generalkapitän an der Spitze von dreihundert Mann in der Stadt San Salvador. Ich beabsichtige, auf die Stadt vorzurücken und sie samt dem Generalkapitän und den Unerleuchteten zu verbrennen, sobald Sie die für mich bestimmten Waffen gelandet haben werden. Vielleicht begleiten Sie mich auf meinem Zuge. Es lohnt sich, eine brennende Stadt zu sehen.«
»Zuerst muß mein Schiff versorgt werden«, erklärte Hornblower standhaft.
»Dafür habe ich bereits die nötigen Befehle erteilt«, klang es ein wenig ungeduldig.
»Und weiter«, fuhr der Seemann fort, »ist es meine dienstliche Pflicht, den Standort des Kriegsschiffes Natividad festzustellen, das in diesen Gewässern kreuzen soll. Ehe ich mich auf irgendwelche Kampfhandlungen zu Lande einlassen kann, muß ich dafür sorgen, daß die Natividad meiner Fregatte keinen Schaden zu fügen kann. Entweder ich nehme sie weg oder ich überzeuge mich wenigstens davon, daß sie zu weit entfernt ist, um eingreifen zu können.«
»Es wird besser sein, sie zu erobern, Herr Kapitän. Nach den mir vorliegenden Meldungen kann ihr Einlaufen in die Bucht jeden Augenblick erwartet werden.«
»Dann muß ich sofort an Bord zurückkehren«, rief Hornblower erregt. Die Möglichkeit, daß die Fregatte in seiner Abwesenheit von einem fünfzig Kanonen tragenden Gegner angegriffen wurde, versetzte ihn geradezu in Panikstimmung.
Was würden die Lords der Admiralität sagen, wenn die Lydia verlorenging, während sich der Kommandant an Land befand?
»Das Essen wird aufgetragen«, sagte el Supremo.
In diesem Augenblick flog die große Tür am anderen Ende der Halle auf. Langsam trat eine ganze Schar von Dienern ein, die einen großen, mit silbernem Geschirr bedeckten Tisch trugen, auf dem auch vier hohe, jeweils mit fünf brennenden Kerzen besteckte Leuchter standen.
»Entschuldigen Sie mich, aber ich kann nicht zum Essen bleiben«, sagte Hornblower.
»Wie es Ihnen beliebt«, gab el Supremo gleichgültig zur Antwort. »Alfonso!«
Der negroide Majordomo trat ein und verneigte sich tief.
»Sorge dafür, daß der Herr Kapitän zum Schiff zurückkehren kann.«
El Supremo hatte die Worte kaum gesprochen, als er in Träumereien zu versinken schien. Der mit den Vorbereitungen für das Mahl eifrig beschäftigten Dienerschaft schenkte er keine Aufmerksamkeit. Hornblower, der unbeachtet vor ihm stand, bereute bereits den übereilten Entschluß, an Bord zurückzukehren. Einerseits wollte er sich keines Verstoßes gegen die guten Sitten schuldig machen, andrerseits machte er sich Sorgen wegen der Verproviantierung der Lydia, und schließlich kam es ihm peinlich zum Bewußtsein, daß seine gegenwärtige unsichere Haltung gegenüber einem Mann, der ihn nicht weiter beachtete, seiner eigenen Stellung unwürdig war.
»Bitte mir zu folgen, Senor«, vernahm er neben sich die Stimme Alfonsos, indessen el Supremo noch immer geistesabwesend ins Leere blickte. Da fügte sich Hornblower und folgte dem Majordomo ins Freie.
Draußen standen im Zwielicht drei Pferde. Verwirrt von der plötzlichen Entlassung, stellte Hornblower seinen Fuß in die verschränkten Hände eines halbnackten, seitwärts des Pferdes knienden Sklaven und schwang sich in den Sattel. Die Begleiter klapperten ihm voraus durch das Tor; er folgte ihnen. Es wurde schnell dunkel.
Bei einer Wendung des Weges lag die ausgedehnte Bucht vor ihm. Der schmale zunehmende Mond stand tief am westlichen Himmel. Schattenhafte Umrisse verrieten die Stelle, an der die Lydia vor Anker lag. Sie wenigstens war etwas Handgreifliches und Wirkliches in dieser irrsinnigen Welt. Im Osten glühte plötzlich der Gipfel eines Berges auf und rötete die darüberhängenden Wolken, um gleich darauf wieder in nächtlichem Dunkel zu versinken. In scharfem Trabe ging es hangabwärts, vorbei an den stöhnenden, gefesselten Menschen, vorüber an den stinkenden Leichen und hinein in die kleine Stadt. Nichts rührte sich; nirgends brannte Licht. Hornblower mußte es dem Instinkt seines Gaules überlassen, nicht den Anschluß an die anderen zu verlieren. Das Hufgeklapper verstummte, als sie den weichen Sand des Ufers erreichten.
Gleichzeitig vernahm Hornblower aufs neue das erbarmungswürdige Jammern des zuerst bemerkten Opfers, und vor ihm tauchte der leicht phosphoreszierende Rand des Meeres auf.
Im Dunkel tastete er sich ins wartende Boot und saß dann regungslos auf der Bucht, indessen die unsichtbare Mannschaft zur Begleitung explosionsartig hervorgestoßener Befehle ablegte. Kein Lüftchen regte sich; die Seebrise war mit Sonnenuntergang eingeschlafen, der Landwind noch nicht erwacht. Die Leute zerrten an den sechs Riemen, und bei jedem Schlag leuchtete schwach der aufgewirbelte Schaum. Weit draußen auf dem Wasser konnte Hornblower die Fregatte liegen sehen, und eine Minute später vernahm er die willkommene Stimme seines ihn anrufenden Ersten.
»Boot ahoi!«
Hornblower legte die Hände an den Mund. »Lydia!« rief er zurück. Nähert sich der Kommandant seinem Schiff, so gibt er sich durch die Nennung des Schiffsnamens zu erkennen.
Er konnte jetzt alle die üblichen Geräusche hören. Die Maate und die Fallreepsgäste eilten zum Fallreep, gemessenen Schrittes nahten die Seesoldaten, und an verschiedenen Stellen flackerten Laternen auf. Das Boot schor längsseit, und der Kapitän sprang auf die Fallreepstreppe hinüber. Es tat ihm wohl, wieder festes Eichenholz unter den Füßen zu spüren. Nun schrillten die Bootsmannspfeifen im Chorus, die Seesoldaten präsentierten das Gewehr, und Bush empfing seinen Kommandanten droben mit dem ganzen Zeremoniell, das dem an Bord Kommenden zustand.
Im Schein der Laterne bemerkte Hornblower den Ausdruck der Erleichterung in Bushs ehrlichem Gesicht. Er sah sich um.
In Decken gewickelt lag die eine Wache auf den Decksplanken, während die andere bei den Geschützen und auf ihren sonstigen Gefechtsstationen kauerte. In einem vermutlich feindlichen Hafen vor Anker liegend, hatte Bush keine der notwendigen Vorsichtsmaßregeln außer acht gelassen.
»Sehr gut, Mr. Bush«, sagte Hornblower. Dann kam es ihm zum Bewußtsein, daß seine weißen Kniehosen von dem schmutzigen Sattel besudelt worden waren und daß ihm seine besten Seidenstrümpfe in Fetzen um die Beine hingen. Er war unzufrieden mit seinem Aussehen, und die Tatsache, daß er, ohne seiner Meinung nach etwas für die Zukunft geregelt zu haben, in dieser würdelosen Erscheinung an Bord zurückkehrte, beschämte ihn. Er ärgerte sich über sich selbst und fürchtete, daß Bush einen schlechteren Begriff von ihm bekommen würde, falls ihm die Tatsachen zu Ohren kamen. Er fühlte, daß ihm die Selbsterkenntnis das Blut in die Wangen trieb, und suchte Zuflucht in seiner Wortkargheit.
»Ha... hm«, krächzte er. »Rufen Sie mich, wenn etwas Außergewöhnliches es erheischt.«
Damit drehte er sich um und stieg in die Kajüte hinab, in der Segeltuchstreifen die beseitigten Zwischenwände ersetzten.
Bush starrte dem Verschwindenden nach. Überall im Bereich des Golfes flackerten und glühten die Vulkane. Die Mannschaft, die durch die Ankunft in diesem fremdartigen Lande erregt war und gern einiges über die nächste Zukunft erfahren hätte, sah sich gleich den Offizieren enttäuscht. Alles blickte langen Gesichts hinter dem den Niedergang hinuntersteigenden Kommandanten her.
Sekundenlang meinte Hornblower, daß ihn sein dramatischer Auftritt für das Gefühl des Mißerfolges entschädigte, doch dauerte das nur einen kurzen Augenblick. Auf der Koje sitzend - er hatte Polwheal entlassen - merkte er, wie seine schlechte Laune zurückkehrte. Sein müdes Hirn suchte sich darüber klarzuwerden, ob er anderen Tages Vorräte bekommen werde oder nicht. Er quälte sich mit dem Gedanken ab, ob er eine die Admiralität befriedigende Revolution verursachen konnte. Er gedachte des bevorstehenden Zweikampfes mit der Natividad.
Und während dieser Erwägungen errötete er immer wieder bei der Erinnerung an die abrupte Entlassung durch el Supremo. Er sagte sich, daß es wohl wenige Kommandanten im Dienste Seiner Britannischen Majestät gab, die sich so demütig eine solche Behandlung hätten gefallen lassen. »Was aber, zum Teufel, hätte ich tun können?« fragte er sich ärgerlich.
Ohne die Laterne auszulöschen, lag er auf seiner Koje und schwitzte in der stillen Tropennacht, während seine Gedanken immer noch zwischen der Vergangenheit und der Zukunft hin und her eilten.
Und dann regten sich die Segeltuchwände. Ein leichter Lufthauch strich durch die Decks. Hornblowers seemännisches Gefühl sagte ihm, in welcher Weise die Lydia vor ihrem Anker herumschwang. Er spürte das kaum wahrnehmbare Zittern, von dem das Schiff durcheilt wurde, als sich die Ankerkette in der neugefundenen Richtung straffte. Endlich hatte sich die Landbrise eingestellt, und sofort wurde es kühler. Hornblower wälzte sich auf die Seite und schlief ein.