6. Kapitel

Die ersten Stöße der Landbrise strichen daher, als die im Mondlicht geisterhaft aussehende britische Fregatte über die Bucht glitt. Aus Furcht, daß die helle Leinwand dem draußen in See stechenden Spanier sichtbar werden könnte, hatte Hornblower nicht gewagt, Segel setzen zu lassen. Die Barkasse und der Kutter mußten das Schiff schleppen. Auch als man das tiefere Wasser am Fuß der die Einfahrt beherrschenden Insel erreichte, ließ der Kapitän weiterloten. Manguera hatte Hernandez das Eiland genannt, als Hornblower ihn vorsichtig in seinen Plan eingeweiht hatte. Eine ganze Stunde lang arbeiteten die Mannschaften an den Riemen, obwohl der Kommandant, der selbst am Ruder stand, alles tat, ihnen dadurch zu helfen, daß er die treibende, auf die Takelage wirkende Kraft des stoßweise wehenden Windes ausnutzte. Schließlich erreichte man den neuen Liegeplatz, und der Anker klatschte ins Wasser.

»Lassen Sie die Kette klar zum Schlippen aufbojen, Mr. Bush«, befahl Hornblower.

»Aye, aye, Sir.«

»Die Boote sollen längsseit kommen. Ich wünsche, daß sich die Leute ausruhen.«

»Aye, aye, Sir.«

»Mr. Gerard, Sie übernehmen das Kommando an Oberdeck.

Achten Sie darauf, daß die Ausguckposten nicht einschlafen.

Mr. Bush und Mr. Galbraith, kommen Sie mit nach unten.«

»Aye, aye, Sir.«

Ungeachtet der Stille war doch die allgemeine, das Schiff durchziehende Erregung zu spüren. Jedermann ahnte, was der Kommandant vorhatte, ohne natürlich die Einzelheiten zu kennen, die Hornblower nun seinen Offizieren erläuterte.

Während der zwei Stunden, die seit der ersten Meldung vom Erscheinen der Natividad verstrichen waren, hatte der Kommandant in Gedanken eifrig an der Vervollkommnung seines Planes gearbeitet. Es durfte nichts mißlingen. Alles mußte berücksichtigt werden, was möglicherweise der Sicherstellung des Erfolges dienen konnte.

»Alles verstanden?« fragte er schließlich. Innerhalb seiner abgeteilten Kammer stand er gebeugt unter den niedrigen Decksbalken, während die Offiziere ihre Hüte nervös in den Händen drehten.

»Aye, aye, Sir.«

»Schön«, nickte Hornblower, worauf er die Herren entließ.

Fünf Minuten später aber trieben ihn Ungeduld und Sorge wieder an Oberdeck.

»Posten Ausguck, was können Sie vom Feinde erkennen?«

»Taucht gerade hinter der Insel auf, Sir. Rumpf und Untermasten noch verdeckt. Nur die Toppsegel kann ich sehen, Sir.«

»Welcher Kurs liegt an?«

»Sie hält sich gut am Winde, Sir, wird also wohl mit diesem Schlag die Bucht erreichen.«

»Ha... hm«, sagte Hornblower und ging nach unten. Es mußten doch mindestens vier Stunden vergehen, ehe die Natividad in der Einfahrt erschien und er weitere Maßnahmen ergreifen konnte. Er überraschte sich dabei, daß er mit gebeugten Schultern innerhalb der Grenzen seiner winzigen Kammer umherging, und riß sich wütend zusammen. Der Kommandant seiner Träume mit den eisernen Nerven würde sich nie in solche fieberhafte Erregung hineinsteigern, selbst wenn, wie in diesem Fall, innerhalb der nächsten vier Stunden sein guter Ruf als Seemann und Offizier aufs Spiel gesetzt wurde. Das Schiff mußte wissen, daß auch er Ungewißheiten mit Gleichmut zu ertragen vermochte.

»Polwheal soll kommen«, befahl er schroff. Er kam hinter seinem Segeltuchverschlag hervor und richtete das Wort an eine Gruppe von Matrosen, die bei einem der Batteriegeschütze stand; und als der Gerufene erschien, fuhr er fort: »Zum Ersten Offizier. Wenn er die Herren Galbraith, Clay und Savage nicht dienstlich benötigt, würde ich mich freuen, sie zum Abendbrot bei mir zu sehen und danach eine Partie Whist mit ihnen zu spielen.«

Auch Galbraith war erregt; nicht nur wegen des vermutlich bevorstehenden Gefechts, sondern auch, weil er noch immer wegen seines Verhaltens bei der Schießerei am Strande einen Rüffel erwartete. Seine grobknochige Schottengestalt konnte keinen Augenblick ruhig bleiben, und sein Gesicht war bis über die vorstehenden Backenknochen hinauf gerötet. Selbst die beiden jugendlichen Midshipmen waren zahm und nervös.

Hornblower zwang sich, den liebenswürdigen Gastgeber zu spielen, wobei jedes von ihm gesprochene Wort dazu bestimmt war, seinen Ruf der Unerschütterlichkeit zu erhöhen. Er entschuldigte sich wegen der Unvollkommenheit des Abendessens; da das Schiff gefechtsklar war, hatten alle Feuer gelöscht werden müssen, und man begnügte sich demnach mit kalten Speisen. Der Anblick jedoch der kalten Brathühner, des kalten Schweinebratens, der goldgelben Maisbrötchen und der Obstschalen erregte den Appetit des sechzehnjährigen Midshipman Savage, so daß er seine Befangenheit vergaß.

»Das schmeckt besser als Ratten, Sir«, meinte er händereibend.

»Ratten?« wiederholte Hornblower zerstreut. Wenn er sich auch alle Mühe gab, aufmerksam zu bleiben, so weilten seine Gedanken doch nicht in der Kajüte, sondern an Deck.

»Jawohl, Sir. Ehe wir diesen Hafen anliefen, bildeten Ratten das Lieblingsgericht der Fähnrichsmesse.«

»Das stimmt«, echote Clay. Er säbelte sich dicke Scheiben kalten Schweinebratens herunter, wobei er es besonders auf die Kruste ab gesehen hatte, und legte das Ganze zu dem halben Huhn auf seinen Teller. »Dem Spitzbuben, dem Bailey, habe ich für eine erstklassige Ratte immer drei Pence bezahlt.«

Hornblower riß seine Gedanken gewaltsam von der näher kommenden Natividad fort und rief sich jene Zeit ins Gedächtnis, da er selbst ein halbverhungerter, von Heimweh und Seekrankheit gepeinigter Midshipman gewesen war. Die älteren Fähnriche hatten damals mit Genuß Ratten verspeist und behauptet, eine mit Hartbrot gemästete Ratte sei ein größerer Leckerbissen als zwei Jahre altes Pökelfleisch. Niemals hatte er es vermocht, selbst derlei herunterzuwürgen, aber vor diesen Jünglingen wollte er das nicht zugeben.

»Drei Pence für eine Ratte scheint mir ein wenig teuer«, meinte er. »Ich kann mich nicht erinnern, als Fähnrich so viel bezahlt zu haben.«

»Ja aber, Sir, haben Sie denn selbst welche gegessen?« staunte Savage.

Um die unmittelbare Frage zu beantworten, mußte Hornblower lügen.

»Gewiß«, behauptete er. »Vor zwanzig Jahren waren die Fähnrichsmessen kaum anders als heutzutage. Ich verfocht stets die Anschauung, daß eine Ratte, die zeit ihres Lebens freien Zutritt zum Brotkasten hatte, für den Tisch eines Königs würdig sei; von einem Midshipman ganz zu schweigen.«

»Donnerwetter«, entfuhr es Clay, der Messer und Gabel niederlegte. Keinen Augenblick war ihm bisher der Gedanke gekommen, daß dieser strenge und unbeugsame Kommandant einstmals selbst ein rattenessender Fähnrich gewesen war.

Die beiden Jungens sahen den Kapitän bewundernd an. Dieser kleine, menschliche Zug gewann ihre Herzen vollends, wie Hornblower es vorausgesehen hatte. Am anderen Ende des Tisches seufzte Galbraith hörbar. Erst vor drei Tagen hatte er selbst Ratten gegessen, doch wußte er, daß es seinem Ansehen nur schaden würde, wenn er es den jungen Menschen gegenüber zugegeben hätte, denn er war ein anderer Offizierstyp als der Kapitän. Hornblower mußte es aber auch Galbraith gemütlich machen.

»Ich möchte mit Ihnen anstoßen, Mr. Galbraith«, sagte er, das Glas erhebend. »Leider ist dies nicht mein bester Madeira, aber die letzten beiden Flaschen davon bewahre ich noch auf, um sie morgen unserem Gefangenen, dem spanischen Kommandanten, vorzusetzen. Auf unseren bevorstehenden Sieg!«

Die Gläser wurden geleert, und die Spannung ließ nach.

Hornblower hatte von »unserem Gefangenen« gesprochen, während wohl die meisten Kapitäne »mein Gefangener« gesagt haben würden. Auch hatte er bei der Anspielung auf den erwarteten Sieg das Wort »unser« angewandt. Der kühlbeherrschte, streng die Disziplin wahrende Seeoffizier hatte für Augenblicke menschliche Züge zu erkennen gegeben und die Untergebenen fühlen lassen, daß sie seine Kameraden waren. Jeder dieser drei jüngeren Offiziere würde daraufhin willig sein Leben für den Kommandanten geopfert haben, und Hornblower, der den Blick über die erhitzten Gesichter schweifen ließ, wußte es. Er empfand darüber Genugtuung und leichtes Mißfallen zu gleicher Zeit, doch er war sich darüber klar, daß er angesichts des unmittelbar bevorstehenden Kampfes nicht nur eine gehorsame, sondern eine begeisterte Besatzung hinter sich haben mußte.

Ein anderer Midshipman, der junge Knyvett, betrat die Kajüte.

»Mr. Bush läßt melden, daß man vom Großtopp jetzt auch den Rumpf des Feindes sehen kann, Sir.«

»Steuert er noch immer die Bucht an?«

»Jawohl, Sir. Mr. Bush meint, daß er in zwei Stunden bis auf Schußweite heran sein wird.«

»Danke, Mr. Knyvett«, entließ Hornblower den Midshipman.

Die Erinnerung daran, daß er binnen kurzer Zeit mit einer Fregatte von fünfzig Kanonen aneinandergeraten würde, ließ sein Herz abermals schneller pochen. Es bedurfte einer ruckartigen Anstrengung, um den gelassenen Gesichtsausdruck beizubehalten.

»Wir haben also noch reichlich Zeit für unseren Rubber, Gentlemen«, sagte er.

Der allwöchentliche Whistabend in der Kapitänskajüte war für seine Offiziere - und zumal für die Midshipmen - eine peinliche Angelegenheit. Hornblower selbst spielte sehr gut; seine gute Beobachtungsgabe und seine genaue Kenntnis von den geistigen Fähigkeiten seiner Untergebenen stellten eine wesentliche Hilfe für ihn dar. Einigen der Offiziere aber, die absolut keinen Kartensinn besaßen und hilflos, ohne die gefallenen Karten im Kopf behalten zu können, drauflosspielten, konnten die Whistabende zur Tortur werden.

Polwheal räumte den Tisch ab, breitete das große grüne Tuch dar über und brachte die Karten. Mit dem Beginn des Spiels wurde es Hornblower leichter, das bevorstehende Gefecht zu vergessen. Whist war seine Leidenschaft, die ungeachtet irgendwelcher Ablenkungen den größten Teil seiner Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen pflegte. Nur während der Spielpausen, während gemischt oder gegeben wurde, fühlte er beschleunigten Pulsschlag. Dann stieg ihm das Blut zu Kopfe.

Dem Fallen der einzelnen Karten folgte er mit Spannung. Er ließ es durchgehen, daß Savage nach Schuljungenart die Asse auf den Tisch knallte und daß Galbraith einen Fehler nach dem anderen beging. Der erste Rubber endete schnell. In den Augen der anderen drei drückte sich beinahe Bestürzung aus, als Hornblower einen zweiten vorschlug. Seine Züge blieben undurchsichtig.

»Sie dürfen wirklich nicht vergessen, Clay«, sagte er, »den König von einer Sequenz König, Dame, Bube anzuspielen. Die ganze Kunst des Anspielens beruht darauf.«

»Aye, aye, Sir«, murmelte Clay und warf Savage einen komisch rollenden Blick zu, aber da Hornblower scharf aufsah, brachte er seine Gesichtszüge schleunigst wieder in Ordnung.

Das Spiel nahm seinen Fortgang und schien sich für alle Beteiligten endlos hinzuziehen. Schließlich aber war es soweit.

»Rubber«, kündigte Hornblower an und rechnete die Punkte zusammen. »Ich glaube, meine Herren, daß es allmählich Zeit wird, an Deck zu gehen.«

Ein Seufzer der Erleichterung und allgemeines Fußscharren antwortete ihm. Der Kommandant aber hielt es für unerläßlich, seinen Ruf der unerschütterlichen Gemütsruhe noch zu festigen.

Er hielt den Gästen noch einen kleinen Vortrag über die Feinheiten des Spiels, wobei diese vor Aufregung auf ihren Sitzen herumrutschten. Dennoch warfen sie einander Bewunderung ausdrückende Blicke zu, als Hornblower ihnen voran zum Achterdeck hinaufstieg. Totenstill war alles. Die Leute lagen auf ihren Gefechtsstationen. Der Mond näherte sich schnell dem Horizont, doch war es noch leidlich hell, wenn sich das Auge erst einmal an die Beleuchtung gewöhnt hatte. Bush trat salutierend vor den Kapitän.

»Der Gegner hält noch immer auf die Bucht zu«, meldete er.

»Lassen Sie die Besatzungen der Barkasse und des Kutters wieder in die Boote gehen«, befahl Hornblower. Er enterte bis zur Oberbramrahe des Kreuztopps auf. Von dort aus vermochte er gerade noch über die Insel hinwegzublicken. Die Natividad stand vor dem untergehenden Mond etwa noch eine Seemeile weit entfernt und strebte hart angebraßt zur Einfahrt zu.

Hornblower mußte, während er ihre weiteren Bewegungen vorauszubeurteilen suchte, seine eigene Erregung niederkämpfen. Daß man von drüben gegen den dunklen Nachthimmel die Bramstengen der Lydia erkennen würde, war kaum zu befürchten, und gerade auf diese Annahme baute sich des Engländers ganzer Plan auf. Bald würde die Natividad über Stag gehen, und ihr neuer Kurs mußte sie geradewegs auf die Insel zu führen. Vielleicht würde sie luvwärts vorbeisegeln, doch stand das eigentlich nicht zu erwarten. Vielmehr konnte man hoffen, daß sie, um in die Bucht einlaufen zu können, nochmals über Stag gehen würde, wobei sich die von ihm gesuchte Gelegenheit bieten würde. Während er noch hinüberspähte, leuchtete ihre Leinwand wenige Sekunden lang auf, um dann infolge der Wendung wieder ganz dunkel zu werden. Sie hielt auf die Mitte der Einfahrt zu, aber ihre Abtrift und das Einsetzen der Ebbe mußte sie wieder zur Insel hin Überdrücken. Hornblower enterte nieder.

»Mr. Bush, lassen Sie die Leute aufentern, klar zum Segel setzen.«

Leise Geräusche verbreiteten sich durchs Schiff, als nackte Sohlen über die Decksplanken klatschten und die Wanten hinaufeilten. Hornblower zog die silberne Pfeife aus der Tasche.

Er hielt es für überflüssig, erst noch zu fragen, ob alles für das von ihm zu gebende Zeichen klar war. Er kannte Bush und Gerard als tüchtige Offiziere.

»Ich begebe mich jetzt nach vorn, Mr. Bush«, sagte er. »Ich werde versuchen, rechtzeitig wieder auf dem Achterdeck zu erscheinen, aber Sie wissen meine Befehle für den Fall, daß es mir nicht gelingt.«

»Aye, aye, Sir.«

Er eilte zum Vorschiff, vorüber an den auf der Back aufgestellten Karronaden, bei denen die Bedienungsmannschaften kauerten, und dann schwang er sich auf den Klüverbaum hinaus. Von der Rahe des Sprietsegels aus konnte er um den Vorsprung der Insel herumsehen. Die Natividad hielt geradewegs auf ihn zu. Er bemerkte den phosphoreszierenden Gischt der Bugwelle, vermeinte fast das Rauschen des Wassers zu hören. Er schluckte heftig, und dann schwand jegliche Erregung; Hornblower war völlig kühl. Seine eigene Person hatte er vergessen, und sein Hirn, das Zeit und Entfernungen abschätzte, arbeitete wie eine Maschine. Nun vernahm er die singende Stimme des Lotenden, obwohl er die Worte nicht verstand. Der Spanier kam sehr nahe. Das Schwatzen der Besatzung tönte herüber. Befehle wurden in die Nacht hinausgeschrien; die Natividad ging über Stag. Bei dem ersten das Manöver ankündigenden Laut führte Hornblower die Pfeife an die Lippen, worauf es an Bord der Lydia außerordentlich lebendig wurde. Von allen Rahen rauschten gleichzeitig die Segel hernieder. Die Ankerkette wurde geschlippt, die Boote setzten ab. Der nach achtern eilende Kapitän stieß mit den an den Brassen holenden Matrosen zusammen, raffte sich aber schnell auf und setzte seinen Weg fort, indessen die Fregatte Fahrt aufnahm. Rechtzeitig erreichte er das Ruder.

»Recht so!« rief er dem Steuermannsmaat zu. »Fall ab nach Backbord!... Noch etwas!... So, hart Steuerbord!«

Das alles geschah so schnell, daß der Spanier kaum auf dem neuen Kurse lag, als die Lydia aus der Finsternis hervor auf ihn losglitt und längsseit schor. Nun machte sich das monatelange Exerzieren an Bord des Briten bemerkbar. Im Augenblick, da die Schiffe einander berührten, donnerte eine einzige, schlagartige Breitseite auf und fegte die Decks der Natividad mit einem Kartätschenhagel. Droben in der Takelage rannten die Toppgäste die Rahen entlang und laschten die Schiffe zusammen. Die Hurra brüllende Entermannschaft rannte zum Backbordfallreep.

Drüben auf dem Spanier herrschte heillose Bestürzung. In diesem Augenblick waren noch alle Mann mit der Ausführung des Segelmanövers beschäftigt, und im nächsten bereits krachte offenbar ein unbekannter Feind längsseit. Das Dunkel der Nacht wurde vom grellen Mündungsfeuer der Geschütze zerrissen.

Überall gab es Tote und Verwundete, und nun ergoß sich eine Bande tobender Teufel auf das Deck der Natividad. Selbst die disziplinierteste Besatzung wäre der durch solche Überrumpelung hervorgerufenen seelischen Erschütterung nicht gewachsen gewesen. Während der zwanzig Jahre ihrer Stationierung an der pazifischen Küste Amerikas war kein schwimmender Feind der Fregatte näher als viertausend Seemeilen gekommen.

Aber selbst unter diesen Umständen gab es ein paar beherzte Männer, die Widerstand zu leisten suchten. Einige Offiziere zogen ihren Degen. Auf der Kampanje, dem erhöhten Achterschiff, stand eine bewaffnete Abteilung, da man schon gerüchteweise von einem Aufstand am Lande gehört hatte. Auch griffen etliche Leute zu Spillspaken und Belegnägeln, um sich zur Wehr zu setzen. Aber das Oberdeck wurde sofort von der Woge der mit Piken und Entermessern bewaffneten Angreifer überflutet. Irgendwo krachte ein Pistolenschuß. Wer Widerstand leistete, wurde niedergeschlagen oder unter Deck gejagt; die übrigen trieb man wie eine Herde zusammen.

Drunten im Schiff suchten die Überfallenen verzweifelt nach Führern, nach Verteidigungsmöglichkeiten. Sie drängten sich bei den Niedergängen zusammen, um dem droben stehenden Feind entgegentreten zu können, als sich plötzlich in ihrem Rücken neuer, tobender Lärm erhob. Gerards beide Boote hatten die Backbordseite der Natividad erreicht, und nun quollen die Enternden zu den unteren Stückpforten herein. Dabei brüllten sie befehlsgemäß wie höllische Dämonen. Hornblower hatte richtig vorausgesehen, daß die Wirkung eines Überfalls gerade einem undisziplinierten Feinde gegenüber durch möglichst starken Lärm verstärkt wird. Vor diesem neuen Ansturm brach der Widerstand auch in den unteren Decks völlig zusammen, und Hornblowers Umgehungsmanöver erwies sich als durchaus richtig.