8. Kapitel
Die der Küste entlangführende Reise war beendet. La Libertad hatte sich ergeben. El Supremo war mit seinen Leuten in dem Durcheinander von Vulkanen verschwunden, die die Stadt des Heiligen Erlösers umgaben. Abermals schritt Kapitän Hornblower am frühen Morgen auf dem Achterdeck Seiner Britannischen Majestät Fregatte Lydia auf und nieder, und Leutnant Bush, der Wachhabende, stand regungslos beim Steuerruder, ohne Notiz von seinem Kommandanten zu nehmen.
Hornblower blickte umher. Bei jeder Unterbrechung seiner Wanderung atmete er tief die Seeluft ein. Sein Verhalten kam ihm zum Bewußtsein, und gleichzeitig mußte er über die Erkenntnis lächeln, daß es ihm darum zu tun war, die süße Luft der Freiheit zu genießen. Für eine Weile jedenfalls war er des alpdruckartigen Einflusses el Supremos und seiner Halsabschneidermethoden ledig. Das Gefühl der Erleichterung, das er deswegen empfand, ließ sich nicht in Worte fassen. Er war wieder sein eigener Herr und konnte unbehelligt auf seinem Achterdeck spazieren gehen. Der Himmel war blau, die See war blau und silbrig - Hornblower ertappte sich bei dem alten Vergleich mit schönen Wappenfarben und wußte, daß er sich selber wiedergefunden hatte. Aus reiner Lebensfreude lächelnd, sah er noch einmal aufs Meer hinaus, doch achtete er darauf, daß seine Untergebenen nicht merken konnten, wie ihr Kommandant gleich einem Waldkater grinste.
Bei ganz leichtem Wind glitt die Lydia mit drei oder vier Seemeilen in der Stunde durchs Wasser. An Backbord lugten die zahllosen Vulkane, die das Rückgrat dieses barbarischen Landes darstellten, noch gerade über die Kimm. Vielleicht gelang es diesem el Supremo wirklich, seine wilden Träume zu verwirklichen und Mittelamerika zu erobern; vielleicht lag der Hoffnung, einen guten Verkehr über den Isthmus hinweg zu eröffnen - über Panama, falls es mit Nicaragua nichts wurde -, ein gesunder Gedanke zugrunde. Die Welt würde dadurch verändert werden. Van Diemens Land und die Molukken würden dann in nähere Beziehung zur Zivilisation treten.
England könnte sich den Stillen Ozean erschließen, ohne gezwungen zu sein, den gefahrvollen Weg um Südafrika oder ums Kap Hoorn herum zu benutzen. In diesem Falle mochte der Pazifik demnächst dort, wohin bisher kaum eine Fregatte vordrang, ganze Geschwader von Linienschiffen sehen. Die spanischen Reiche Mexiko und California würden vielleicht neue Bedeutung gewinnen.
Hornblower sagte sich hastig, daß dies alles vorläufig nur uferlose Träumereien waren. Als wollte er sich wegen solcher Phantastereien selbst strafen, zwang er sich dazu, die Beweggründe zu bestimmen, die ihn südwärts nach Panama führten. Dabei wußte er sehr wohl, daß es ihm in der Hauptsache darauf ankam, el Supremo abzuschütteln, doch suchte er, seine Handlungsweise ungeachtet seiner Selbstbeschuldigung vor sich zu rechtfertigen.
Wenn el Supremos Handstreich auf San Salvador fehlschlug, so genügte die Natividad zum Abtransport der vermutlich wenig zahlreichen Überlebenden seiner Armee. Die Gegenwart der Lydia vermochte in keiner Weise die Landoperationen zu beeinflussen. Hatte el Supremo aber Erfolg, so war es günstig, wenn ein Vorstoß gegen Panama die Spanier davon abhielt, ihre sämtlichen Streitkräfte in Nicaragua einzusetzen. Überdies war es durchaus richtig, der Besatzung der Lydia dadurch die Aussicht auf Prisengelder zu eröffnen, daß man sich die im Golf von Panama kreuzenden Perlenfischer vornahm. Das würde sie für das bereits erworbene und wieder verlorene Prisengeld entschädigen, denn für die Natividad war natürlich aus der Admiralität nichts herauszuschlagen. Weiterhin unterband die Anwesenheit der Lydia im Golf von Panama die spanischen, von Peru kommenden Truppentransporte, und schließlich mußte der Admiralität mit neuen Vermessungen des Golfes und der Perleninseln gedient sein, denn Ansons Seekarten waren nicht zuverlässig. Doch ungeachtet dieser durchaus einleuchtenden Gründe wußte Hornblower nur zu gut, daß er nach Südosten gesegelt war, um el Supremo loszuwerden.
Dicht neben dem Schiff schnellte plötzlich etwas wie ein heller Lichtstrahl aus dem Wasser empor, fiel laut klatschend nieder, schnellte nochmals weiter und verschwand wieder in der Tiefe. Naß glänzte rötliches Braun, ehe sich das Wasser darüber schloß. Fliegende Fische strichen in allen Richtungen über das Meer, und jeder von ihnen hinterließ eine sofort wieder verschwindende dunkle Furche. Sorglos beobachtete Hornblower das alles. Glücklich war er, daß er seine Gedanken wandern lassen konnte und nicht dazu gezwungen war, sie auf einen bestimmten Gegenstand zu richten. Mit einem Schiff unter den Füßen, dessen Vorräte aufgefüllt worden waren, und einer von den letzten Abenteuern befriedigten Mannschaft brauchte er sich derzeit eigentlich um nichts zu kümmern. Die spanischen Gefangenen, denen er das Leben gerettet hatte, sonnten sich träge vorn auf der Back.
»Segel voraus!« schrie der im Vortopp kauernde Posten.
Alles, was nichts zu tun hatte, drängte sich zum Schanzkleid, um über die Hängemattskästen hinweg in die Ferne zu spähen. Die mit Deckscheuern beschäftigten Matrosen arbeiteten verstohlen langsamer, um hören zu können, was los war. »Wo?« rief Hornblower.
»Backbord voraus, Sir; Lugger vermutlich. Scheint scharf auf uns zuzuhalten, steht aber gerade in der Sonne...«
»Jawohl, Sir, es ist ein Lugger«, meldete nun auch der auf der Vorbramrahe sitzende Midshipman Hooker mit hoher Stimme.
»Zwei Masten. Steht luvwärts von uns, Sir, und hält unter vollen Segeln auf uns zu.«
»Auf uns?« wunderte sich Hornblower. Er kletterte auf die ihm zunächst stehende Kanonade und starrte unter der schirmenden Hand hervor in Sonnenglanz und Wind hinaus, aber von seinem niedrigen Standpunkt aus war noch nichts auszumachen.
»Mr. Bush«, befahl Hornblower, »lassen Sie die Kreuzmarssegel backbrassen.«
Vielleicht handelte es sich um einen spanischen Perlenlugger, der noch nichts von der Anwesenheit einer britischen Fregatte in diesen Gewässern ahnte. Andrerseits konnte er auch Nachrichten von el Supremo bringen; zwar stand das nach dem anliegenden Kurs nicht zu erwarten, doch gab es dafür möglicherweise eine Erklärung. Jetzt, als sich das eigene Schiff hob, bemerkte Hornblower sekundenlang oberhalb des fernen Horizontes einen glänzend hellen Fleck, der sofort wieder verschwand. Während die Minuten verstrichen, wiederholte sich das Spiel in immer kürzeren Abständen, und bald sah man von Deck aus ganz deutlich den Lugger, der mit in der Mitte festgemachten Untersegeln den Bug auf die Lydia gerichtet hielt.
»Die spanische Flagge weht im Großtopp, Sir«, sagte Bush, der sein Fernrohr nicht vom Auge nahm. Hornblower hatte das schon längere Zeit vermutet, doch glaubte er sich nicht ohne weiteres auf seine Augen verlassen zu können.
»Jedenfalls holt man sie nieder«, antwortete Hornblower, der sich darüber freute, die Beobachtung zuerst gemacht zu haben, »Stimmt, Sir«, bestätigte Bush etwas befremdet, und dann... »Da geht sie wieder hoch, Sir... Nein!... Was halten Sie denn davon, Sir?«
»Weiße Flagge über der spanischen«, sagte der Kommandant.
»Ein Parlamentär. Dem traue ich aber nicht. Lassen Sie die Flagge zeigen, Mr. Bush, und Klarschiff pfeifen. Die Geschütze werden ausgerannt und die Gefangenen unter Bewachung unter Deck geschickt.«
Er wollte es nicht darauf ankommen lassen, überrumpelt zu werden. Jener Lugger konnte voller Menschen stecken wie ein Ei voller Dotter und ein ganzes Heer von Bewaffneten über die Seite eines ahnungslosen Schiffes entern lassen. Als die Stückpforten der Lydia aufklappten und sie dem Lugger die Zähne zeigte, drehte er ab und blieb schlingernd beigedreht außerhalb der Kanonenschußweite liegen.
»Man schickt ein Boot herüber, Sir«, meldete Bush.
»Sehe ich«, kam es scharf von Hornblowers Lippen.
Das Boot des Spaniers tanzte auf dem Wasser, und dann enterte ein Mann das Seefallreep herauf. Hornblower erkannte sofort, daß der Besucher die volle Uniform eines Seeoffiziers der königlichspanischen Marine trug. Seine Epauletten funkelten in der Sonne. Er verneigte sich und trat dann näher.
»Kapitän Hornblower?«
»Der bin ich.«
»Ich darf Sie als neuen Verbündeten Spaniens begrüßen.«
Der Engländer schluckte. Es konnte sich zwar um eine Kriegslist handeln, aber im Augenblick, da er die Worte vernahm, fühlte er instinktiv, daß sie der Wahrheit entsprachen, und gleichzeitig verfinsterte sich die ganze heitere Welt, die ihn bisher umgeben hatte. Endlose Scherereien sah er voraus, die ihm durch die unbesonnene Handlungsweise der Diplomaten bereitet wurden.
»Wir haben die Nachricht bereits seit vier Tagen«, fuhr der spanische Offizier fort. »Letzten Monat raubte uns Bonaparte unseren König Ferdinand, um seinen Bruder Joseph zum König von Spanien zu machen. Die gesetzgebende Versammlung der Regierung hat ein ewiges Freundschaftsbündnis mit Seiner Majestät dem König von England geschlossen. Es gereicht mir zur großen Genugtuung, Herr Kapitän, Ihnen versichern zu können, daß Ihnen nach Ihrer anstrengenden Reise sämtliche Häfen der Besitzungen Seiner Katholischen Majestät offenstehen.«
Noch immer stand Hornblower ganz verblüfft da. Vielleicht waren dies lauter Lügen, eine Kriegslist, um die Lydia in den Bereich spanischer Küstenbatterien zu locken. Fast hoffte er, es möge so sein; besser wäre es gewesen, als sich mit den sonst unvermeidlichen Verwicklungen abzuärgern. Der Spanier deutete seinen Gesichtsausdruck als stillschweigenden Unglauben.
»Ich habe Briefe bei mir«, erklärte er, indem er einige Schreiben aus seinem Rock hervorzog. »Einer kommt von Ihrem bei den Leeward Inseln stehenden Admiral und wurde von Porto Bello aus über Land befördert; der andere ist von Seiner Exzellenz dem Vizekönig von Peru, und schließlich ist hier noch der Brief einer englischen Dame, die augenblicklich in Panama weilt.«
Mit abermaliger Verbeugung überreichte er die Briefschaften, und Hornblower, der sprachlos war, fing an, sie zu öffnen. Dann aber riß er sich zusammen. Hier droben auf Deck und in Anwesenheit des Spaniers konnte er die Schriftstücke nicht lesen. Mit einer gemurmelten Entschuldigung flüchtete er in die Abgeschlossenheit seiner Kajüte.
Den kräftigen Leinenumschlag dienstlicher Befehle erkannte er ohne weiteres als echt. Eingehend prüfte er die beiden Siegel, bei denen jedoch nichts darauf hindeutete, daß sich jemand unbefugterweise mit ihnen beschäftigt hatte. Auch zeigte der Umschlag eine korrekte englische Aufschrift. Er schnitt ihn auf und las die darin enthaltenen Befehle. Sie ließen ihn nicht länger im Zweifel. Dort war die Unterschrift - Thomas Troubridge, Konteradmiral, Bart. Hornblower kannte die Handschrift Troubridges bereits von früher. Die Befehle waren knapp gehalten, wie man es von dem alten Seemann erwarten durfte.
Da zwischen den Regierungen Seiner Majestät und derjenigen Spaniens ein Bündnisvertrag unterzeichnet worden war, sollte sich Kapitän Hornblower jeglicher feindseligen Handlung gegenüber den spanischen Besitzungen enthalten und, nachdem er sich mit den spanischen Behörden wegen Ergänzung seiner Vorräte ins Benehmen gesetzt habe, zwecks Einholung neuer Befehle schnellstmöglich nach England zurückkehren. Ganz ohne Zweifel war die Urkunde echt. Sie trug den Vermerk:›Abschrift No. 2‹; wahrscheinlich waren gleichlautende Schreiben in andere Gegenden der spanischen Besitzungen verschickt worden, um auf solche Weise die Gewähr dafür zu haben, daß wenigstens eins davon in die Hände des Adressaten gelangte.
Der zweite Brief war prunkvoll gesiegelt. In ihm hieß der Vizekönig von Peru den Kapitän willkommen und versicherte ihm, daß ihm ganz Spanisch-Amerika zur Verfügung stehe. Er hoffe, daß Hornblower ausgiebigen Gebrauch von diesen Möglichkeiten machen werde, um bald der spanischen Nation in ihrer heiligen Mission beistehen zu können, den französischen Thronräuber wieder in seine Hundehütte zurückzujagen.
»Ha... hm«, machte Hornblower. Noch wußte der Vizekönig weder etwas vom Schicksal der Natividad noch von el Supremos neuem Unternehmen. Vielleicht wären seine Gefühle weniger freundschaftlich gewesen, wenn ihm die Rolle begreiflich würde, die die Lydia bei jenen Vorfällen gespielt hatte.
Das dritte Schreiben war nur mit einer Oblate verschlossen, und die Adresse verriet eine weibliche Hand. Der spanische Parlamentär hatte etwas von einer englischen Dame in Panama gesagt. Was, zum Kuckuck, hatte eine englische Dame dort zu suchen? Hornblower öffnete den Umschlag und las: Zitadelle von Panama.
Lady Barbara Wellesley sendet dem Kapitän der britischen Fregatte ihre Grüße. Sie bittet ihn darum, er möge sie und ihre Zofe nach Europa mitnehmen, weil sich Lady Barbara infolge des Ausbruchs von gelbem Fieber im Bereich der spanischen Kolonien außerstande sieht, auf dem Reisewege zurückzukehren, den zu wählen sie gewünscht hatte.
Hornblower faltete den Brief zusammen und pochte damit nachdenklich auf seinen Daumennagel. Natürlich war es unmöglich, was diese Frau verlangte. An Bord einer des Kap Hoorn umsegelnden, mit Männern überfüllten Fregatte war kein Platz für Weiber. Ihrerseits schien ihr das aber gar nicht zum Bewußtsein zu kommen; vielmehr nahm sie offenbar an, daß ihrem Wunsch sofort entsprochen werden würde. Der Schlüssel zu solchem Verhalten lag selbstverständlich in dem Namen Wellesley, der in letzter Zeit sehr oft in der Öffentlichkeit genannt wurde. Vermutlich war die Dame eine Schwester oder eine Tante der beiden wohlbekannten Wellesleys, des Höchst Ehrenwerten Marquis Wellesley, ehemaligen Generalgouverneurs von Indien und jetzigen Regierungsmitgliedes, und des Generals Sir Arthur Wellesley, des Siegers von Asaye, den man jetzt nach Sir John Moore als Englands größten Soldaten bezeichnete. Hornblower hatte ihn einmal gesehen. Dabei war ihm die hochgewölbte, arrogante Nase ebenso aufgefallen wie die herrschsüchtig blickenden Augen. Wenn die Frau etwas von jenem Blut in ihren Adern hatte, dann wurde sie wohl zu denen gehören, die alles selbstverständlich finden. Ein unbemittelter, einflußloser Fregattenkapitän durfte doch froh sein, wenn er einem Mitglied jener Familie einen Dienst erweisen konnte. Maria würde geschmeichelt und gleichzeitig mißtrauisch sein, wenn sie erfuhr, daß ihr Mann mit der Tochter eines Earl, der Schwester eines Marquis, korrespondiert hatte.
Aber jetzt war wirklich keine Zeit, über Weibergeschichten nachzudenken. Hornblower verschloß die Briefe in seinem Schreibtisch und eilte an Deck. Sich zu einem Lächeln zwingend, trat er auf den Spanier zu.
»Ich grüße die neuen Verbündeten«, sagte er »Senor, ich bin stolz darauf, gemeinsam mit Spanien den korsischen Tyrannen bekämpfen zu können «
Der Besucher verneigte sich.
»Herr Kapitän«, sagte er, »wir waren in großer Sorge, daß Sie, bevor sie die von mir übermittelten Nachrichten erhielten, der Natividad begegnen würden, denn auch ihr sind Sie unbekannt. In solchem Falle wäre Ihre schöne Fregatte ernstlich zu Schaden gekommen.«
»Ha... hm«, machte Hornblower Diese neue Wendung brachte ihn erst recht in Verlegenheit. Scharf rief er dem Fähnrich der Wache einen Befehl zu. »Holen Sie die Gefangenen aus dem Kabelgatt herauf, aber schnell!«
Der junge Mann rannte davon, worauf sich Hornblower wieder an den spanischen Offizier wandte.
»Ich bedauere, Ihnen mitteilen zu müssen, Senor, daß letzte Woche ein unglücklicher Zufall die beiden Schiffe zusammenführte.«
Betroffen sah der Besucher auf. Er ließ den starren Blick über das tadellos aufgeräumte Deck, über die unbeschädigte Takelage gleiten.
»Aber zum Kampf kam es nicht, Herr Kapitän? Vielleicht... «
Angesichts des sich nähernden, trübsinnigen Zuges erstarben ihm die Worte auf den Lippen. Er erkannte den Kommandanten und die Offiziere der Natividad. In fieberhafter Hast begann Hornblower ihre Anwesenheit an Bord zu erklären, aber es war nicht leicht, einem spanischen Kapitän zur See klarzumachen, daß die Lydia ein fast doppelt so starkes Kriegsschiff weggenommen hatte, ohne überhaupt eine Schramme davonzutragen, schwerer noch war es, ihm darzulegen, daß die Natividad neuerdings unter der Flagge von Rebellen fuhr, die es sich zum Ziel gesetzt hatten, die spanische Herrschaft in der Neuen Welt zu vernichten. Bleich vor Zorn und gekränktem Stolz, wandte sich der Parlamentär an den gefangenen Kommandanten, und der Unglückliche bestätigte Hornblowers Worte. Gramgebeugt erzählte er die Geschichte, die zwangsläufig zu einer kriegsgerichtlichen Verhandlung und zu seinem Ruin führen mußte Der andere begriff, daß die spanische Herrschaft über Amerika als solche in Frage stand und als ihm das zum Bewußtsein kam, drängten sich ihm quälend neue Möglichkeiten auf.
»Die Galeone von Mimla ist in See.« schrie er plötzlich.
»Im nächsten Monat wird sie in Acapulco erwartet. Die Natividad wird sie unterwegs abfangen.«
Einmal jährlich kreuzte ein von den Philippinen kommendes Schiff den weiten Ozean und nie betrug der Wert der an Bord befindlichen Schätze weniger als eine Million Pfund Sterling Der Verlust mußte die ohnehin schon bankrotte spanische Regierung endgültig zugrunde richten. Betroffen sahen die drei Kapitäne einander an. Hornblower erkannte jetzt, weshalb el Supremo so bereitwillig damit einverstanden gewesen war, daß die Lydia nach Südosten segelte. Zweifellos freute ihn der Gedanke, die Natividad in nordwestlicher Richtung zu entsenden, damit sie sich für ihn jener Schätze bemächtigte.
Monate würden vergehen, ehe die Spanier ein der Natividad gewachsenes Kriegsschiff ums Kap Hoorn herum in den Pazifik senden konnten und mittlerweile genoß el Supremo alle jene Vorteile unumschränkter Seeherrschaft wie Hornblower sie für seine eigene Flotte erhofft hatte. Der Aufstand gegen das Mutterland würde so starke Wurzeln fassen, daß nichts ihn niederwerfen konnte, zumal die Spanier offenbar in einen Kampf auf Tod und Leben mit Bonaparte verwickelt waren und für ihre amerikanischen Besitzungen weder Schiffe noch Truppen erübrigen konnten. Hornblower erkannte, was die Pflicht von ihm forderte.
»Schön«, erklärte er unvermittelt »Ich werde mit meinem Schiff umdrehen und die Natividad niederkämpfen.«
Sämtlichen spanischen Offizieren schien ein Stein vom Herzen zu fallen.
»Ich danke Ihnen, Herr Kapitän«, sagte der Offizier des Luggers. »Sie werden aber zunächst Panama anlaufen, um sich mit dem Vizekönig in Verbindung zu setzen.«
»Ja.«
Inmitten einer Welt, in der wichtige Neuigkeiten monatelang unterwegs waren, wo tiefgehende Umwälzungen internationaler Beziehungen nicht nur möglich, sondern auch wahrscheinlich waren, hatte Hornblower durch bittere Erfahrungen die Notwendigkeit erkannt, in engster Berührung mit der Küste zu bleiben. Seine Not wurde durch das Bewußtsein, gerade durch die genaueste Befolgung erhaltener Befehle in die gegenwärtigen Schwierigkeiten geraten zu sein, keineswegs gemildert, zumal er sich darüber klar war, daß die Lords der Admiralität dadurch ihr Urteil über einen Kommandanten, der so erschreckende Verwicklungen anrichten konnte, nicht beeinflussen lassen würden.
»Dann darf ich mich wohl vorläufig von Ihnen verabschieden«, begann der Kapitän des Luggers abermals.
»Sollte ich Panama vor Ihnen erreichen, so werde ich imstande sein, Ihren Empfang vorzubereiten. Vielleicht gestatten Sie meinen Landsleuten, mich zu begleiten.«
»Ich denke nicht dran«, erwiderte Hornblower kurz. »Und Sie, mein Herr, werden auf meiner Leeseite bleiben, bis wir den Anker fallen lassen.«
Achselzuckend gab der Spanier nach. Auf See hatte es keinen Zweck, mit einem Kommandanten zu streiten, dessen Kanonen ausgerannt waren und das eigene Schiff aus dem Wasser blasen konnten, zumal alle Engländer so verrückt und herrschsüchtig wie el Supremo waren. Der Spanier ahnte nicht, daß Hornblower noch immer in der Furcht schwebte, die ganze Sache könne ein Trick sein, die Lydia hilflos unter die Geschütze von Panama zu bringen.