7
»Komm schon, Jessie«, redete Trevor ihr zu, während er sich einen dritten Pfannkuchen in den Mund stopfte. »Wir sind schon eine Woche hier und uns ist nichts zugestoßen. Es passieren keine seltsamen Dinge, und wir hatten noch nicht einmal Gelegenheit dazu, die Insel zu erforschen.«
Jessica schüttelte heftig den Kopf. »Wenn ihr beide einen Erkundungsgang unternehmen wollt, komme ich mit. Es ist zu gefährlich.«
»Was ist gefährlich?« Trevor sah sie finster an, als er ein großes Glas Orangensaft in die Hand nahm. »Wenn für Tara und mich eine Gefahr besteht, dann ist es die, in eines dieser Videospiele hineingesogen zu werden, die wir andauernd spielen. Jetzt sei nicht so, du hast dich ständig mit den anderen im Studio eingeschlossen, und wir sind die ganze Zeit allein. Uns hängen die Filme und die Spiele schon zum Hals heraus. Wir leben wie Zombies, die den ganzen Tag schlafen und die ganze Nacht aufbleiben.«
»Nein.« Jessica wagte es nicht, die Bandmitglieder anzusehen. Sie wusste, dass sie ihrer Meinung nach zu ängstlich war, wenn es um die Zwillinge ging.
Brenda lachte hämisch. »Es geht mich ja nichts an, aber wenn ihr mich fragt, sind sie alt genug, um allein rauszugehen. «
»Ich muss ihr zustimmen«, warf Brian ein, »und das ist mir selbst unheimlich. Trevor ist ein verantwortungsbewusster Junge, der keine Dummheiten anstellen wird.«
Tara sah Brian finster an. »Und ich bin sehr verantwortungsbewusst. Ich habe gesagt, wir würden uns nach einem Weihnachtsbaum umsehen.Trevor will einen finden und ihn fällen.«
Jessica erbleichte sichtlich. »Trevor! Zum Fällen braucht man eine Axt. Du wirst ganz bestimmt keine Bäume fällen. « Der Gedanke war wahrhaft erschreckend.
»Sie sind doch keine Babys mehr.« Brendas Stimme klang so, als langweilte sie das Gespräch. »Warum sollten sie nicht draußen spielen? Frische Luft soll doch gut für Kinder sein, oder nicht?«
Jessica, die gerade ihren Morgenkaffee trank, sah die Tante der Zwillinge böse an. »Hör auf, von den Kindern zu sprechen, Brenda«, fauchte sie gereizt. »Sie haben Namen, und du bist, ob es dir passt oder nicht, mit ihnen verwandt.«
Brenda stellte langsam ihren Kaffeebecher hin und sah Jessica fest an. »Tu uns allen einen Gefallen, Süße, und geh mit ihm ins Bett. Bring es hinter dich, damit du wieder an etwas anderes als an Sex denken kannst und wir hier alle in Frieden leben können. Dillon läuft rum wie ein Bär mit Zahnschmerzen, und du gehst mir mit deiner Gereiztheit auf die Nerven.«
Trevor spuckte Orangensaft auf die Küchenanrichte und erstickte fast. Tara keuchte hörbar und sah Jessica vorwurfsvoll an.
»Ach, du meine Güte.« Brenda seufzte dramatisch. »Das nächste Fettnäpfchen. Vermutlich hätte ich in ihrer Anwesenheit nicht ›Sex‹ sagen sollen. In Gegenwart von Kindern muss man lernen, sich selbst zu zensieren.«
»Keine Sorge, Brenda«, sagte Trevor freundlich, »wir Kinder lernen heutzutage schon in einem frühen Alter alles über Sex. Ich glaube, uns hat eher deine Erwähnung schockiert, Jessica und unser Dad begingen…« Er sah seine Schwester an.
»Eine teuflische Tat«, ergänzte Tara, ohne aus dem Takt zu kommen.
Brian wischte den Orangensaft mit einem feuchten Lappen auf und zwinkerte Jessica zu. »Es wäre teuflisch, wenn du beschließen würdest, mit Dillon in die Falle zu hopsen. All seine wunderbaren Existenzängste und seine Kreativität könnten sich in einer einzigen Nacht in Luft auflösen.«
»Haltet den Mund!«, fauchte Jessica. Sie hatte die Arme in die Hüften gestemmt. »Dieses Gespräch ist unangebracht. Außerdem tun wir nichts, ob teuflisch oder nicht, aber das geht euch nichts an.«
Tara zog an der Tasche von Jessicas Jeans. »Du wirst rot, Jessie. Bist du deshalb die ganze Zeit so gereizt?«
»Ich bin nicht gereizt.« Diese Unterstellung empörte Jessica. »Ich reiße mir bei der Arbeit mit einem verrückten Perfektionisten und seiner Truppe von Möchtegern-Komikern den Ihr-wisst-schon-was auf. Falls ich ein klitzekleines bisschen nervös gewesen sein sollte, wäre das der Grund dafür.«
»Klitzeklein?«, schnaubte Brenda geringschätzig. »Da liegst du weit daneben, meine Liebe. Robert, massier mir die Schultern. Ich bin schon ganz angespannt, weil ich jedes meiner Worte auf die Goldwaage legen muss.«
Gehorsam massierte Robert die Schultern seiner Frau, während Brian eine Runde um Jessica drehte und sie mit Kennerblick ansah. »Dein Ihr-wisst-schon-was ist eindeutig intakt und sieht knackig aus, Jess, da brauchst du dir gar keine Sorgen zu machen.«
»Vielen Dank, du Perverser«, erwiderte Jessica, die es Mühe kostete, nicht zu lachen.
Dillon blieb in der Tür stehen, um ihren Anblick genüsslich in sich aufzusaugen. Der Klang ihres Lachens und ihre natürliche Wärme zogen ihn an wie ein Magnet.
Während der letzten Woche hatte er es vermieden, ihre zarte Haut zu berühren oder sie anzusehen, aber ihrem Duft und dem Klang ihrer Stimme konnte er nicht ausweichen. Und er konnte auch nicht verhindern, dass sein Blut in Wallung geriet und in seinen Ohren rauschte, wenn sie im selben Raum war wie er. Er kam nicht gegen die drängenden Forderungen seines Körpers und auch nicht gegen das erbarmungslose Verlangen an. Sie spukte durch seine Träume und im Wachen wurde sie ihm zu einer Besessenheit, gegen die er nicht ankämpfen konnte.
Dillon lehnte nachdenklich am Türrahmen. Die Intensität seiner sexuellen Gelüste überraschte ihn. Er hatte Jessica immer als Teil von sich empfunden, sogar schon in den alten Zeiten, als er bei ihr nur Kameradschaft gesucht hatte. Ihre Seelen standen miteinander in Verbindung. Ihre Stimme passte vollendet zu seiner. Ihre Schlagfertigkeit riss ihn immer wieder aus seinen Grübeleien und forderte ihn in allen musikalischen Dingen zu leidenschaftlichen Kämpfen heraus. Jessica war in Musikgeschichte bestens bewandert und urteilte fundiert über Komponisten und Musiker. Seine Gespräche mit ihr inspirierten ihn und gaben ihm Anregungen.
Aber es war noch viel mehr. Er fühlte sich nach einer endlos langen Gefängnisstrafe wieder lebendig. Ihm war keineswegs wohl dabei zumute, aber Jessica erweckte ihn nicht nur erneut zum Leben, sondern gab auch seiner Musik die Seele zurück. Er schwor sich jedes Mal, wenn er die Augen öffnete, er würde den Einflüsterungen der Versuchung nicht erliegen, aber es erschien ihm, als sei er aus einem kargen, eisigen Dasein geradewegs in die Höllenfeuer geraten.
Er konnte nichts dafür, dass er seine Kinder liebte und stolz auf sie war. Er konnte nicht übersehen, wie sehr Jessica sie liebte und wie sehr sie ihre Liebe erwiderten. Und er kam nicht gegen die übermächtige Sehnsucht an, Teil dieses Bundes und dieser tiefen Liebe zu sein. Dillon hatte keine Ahnung, wie lange er seine Finger noch bei sich behalten konnte. Und wie lange er der Lockung einer Familie widerstehen konnte. Oder auch nur, ob er widerstehen wollte. Hatte er überhaupt das Recht, sie alle in sein Leben einzulassen? Er hatte einmal versagt, und das hatte das Leben so vieler Menschen verändert. Tod und Zerstörung waren ihm seitdem gefolgt. Wagte er es überhaupt, ihnen entgegenzukommen und das Risiko einzugehen, diejenigen, die er liebte, zu gefährden? Er fuhr mit einer Hand durch sein dichtes Haar, und in dem Moment drehte Jessica sich zu ihm um.
Sie konnte fühlen, wie ihr Herz bei seinem Anblick schneller schlug. Eine leichte Röte schlich sich in ihr Gesicht, als sie sich fragte, ob er das Gespräch gehört hatte. Sie durfte sich gar nicht ausmalen, was er dann von ihr denken musste. Sein Anblick verschlug ihr fast den Atem. Dillon hatte schon immer eine lässige maskuline Schönheit besessen. Jetzt schien sie ihr noch unbekümmerter zu sein, eine sinnliche Lockung, der sie nichts entgegenzusetzen hatte. Ein Blick aus seinen glühenden Augen genügte, um ihren Körper schmelzen zu lassen. Jetzt sah er sie mit seinen blauen Augen intensiv und gierig an, und sie fand ihn unwiderstehlich.
Herausfordernd reckte Jessica ihr Kinn in die Luft. Sie hatte keinen Grund, der starken Anziehungskraft zwischen ihnen zu widerstehen. Sie wollte, dass er ihr gehörte, mit Leib und Seele. Sie sah keinen Grund, es zu leugnen. Als könnte er ihre Gedanken lesen, senkte er den Blick und ließ ihn über ihren Körper gleiten wie eine Berührung, die bei ihr eine quälende Unruhe auslöste.
»Dad?« Taras Stimme brachte sofort jedes Gespräch zum Verstummen. Es war das erste Mal, dass sie Dillon so ansprach. »Trevor und ich wollen uns auf die Suche nach einem Weihnachtsbaum machen.« Sie sah Jessica finster an. »Wir fällen ihn auch nicht, wir suchen ihn nur aus.«
Dillons unerwartetes Lächeln ließ ihn wie einen charmanten, schelmischen Jungen wirken, ganz ähnlich wie Trevor. »Zeigt die Tigermama ihre Reißzähne?«
»Die Krallen allemal«, murmelte Brenda in ihren Kaffeebecher.
»Das Wetter ist gut, uns kann also nichts passieren«, fügte Trevor mit einem Hoffnungsschimmer in seinen Augen hinzu. »Jemand muss doch dafür sorgen, dass es was wird mit Weihnachten. Bis dahin sind es keine zwei Wochen mehr. Ihr habt zu tun, also können Tara und ich uns doch um den Weihnachtsschmuck kümmern, während ihr arbeitet.«
Dillon sah Jessica nicht an. Er konnte sie nicht ansehen. Auf dem Gesicht des Jungen standen Hoffnung, Eifer und Vertrauen. Tara hatte ihn »Dad« genannt. Das ging ihm zu Herzen, wie nichts anderes es gekonnt hätte. Sein Blick glitt auf das Gesicht seiner Tochter. Ihr Ausdruck war mit dem ihres Bruders identisch. Vertrauen war eine heikle Angelegenheit. Zum ersten Mal stand er dicht davor, an Wunder zu glauben – vielleicht gab ihm das Leben ja doch noch eine zweite Chance, obwohl er es nicht verdient hatte. »Ihr glaubt, ihr könnt den perfekten Baum finden? Wisst ihr, worauf man bei der Auswahl achtet?«
Jessica biss sich auf die Unterlippe, um nicht zu protestieren. Dillons Tonfall war beiläufig gewesen, aber die Intensität seiner leuchtenden Augen verriet ihn. Er rieb mit einer Hand seinen Oberschenkel, ein weiteres Anzeichen von Nervosität. Diese untypische Geste entwaffnete sie. Am liebsten hätte sie die Arme um ihn geschlungen und ihn schützend an sich gezogen.
Tara nickte eifrig. Sie grinste Trevor an. »Ich habe eine lange Liste von Dingen, die erforderlich sind. Ich weiß genau, was wir wollen.«
Don hatte still auf einem Stuhl am Fenster gesessen, doch jetzt drehte er sich mit einem Stirnrunzeln um. »Man fällt nicht um eines kurzlebigen Vergnügens willen nach Lust und Laune Bäume. Falls euch das nicht bewusst ist – wenn man einen Baum fällt, stirbt er.« Seine Miene verfinsterte sich, als Dillon sich zu ihm umdrehte. »Schon gut, das ist nur meine persönliche Meinung, aber die zählt hier ohnehin nicht viel, oder?«
»Mir ist durchaus bewusst, dass dir am Umweltschutz gelegen ist, Don«, sagte Dillon freundlich. »Ich teile deine Ansichten, aber es schadet doch nicht, einem Baum die Krone abzuschneiden oder einen zu nehmen, der zu dicht neben einem anderen wächst und sowieso keine Überlebenschance hat.«
»Wir sind zum Arbeiten hier, Dillon, nicht um ein kommerzialisiertes Fest zu feiern, damit privilegierte kleine Kinder einen Haufen Geschenke von ihrem reichen Daddy bekommen.« In Dons Stimme schwang unerwartete Gehässigkeit mit.
Tara rückte näher zu Jessica, die sie in ihre Arme zog und ihr behutsam über das wellige dunkle Haar strich. Auf ihrer anderen Seite ruckelte Trevor unruhig herum, doch Jessica umfasste sein Handgelenk und gab ihm damit ein stummes Signal, den Mund zu halten. Er schlang die Arme um Jessica und Tara und drückte beide an sich. Das Schweigen zog sich besorgniserregend in die Länge.
Jetzt löste sich Dillon aus dem Türrahmen, an dem er lässig gelehnt hatte, ging auf seine Kinder zu und blieb vor ihnen stehen. Er trug die gewohnten Handschuhe. Mit größter Behutsamkeit nahm er Taras Kinn und hob ihr Gesicht, bis sie ihm in die Augen sah. »Dieses Jahr freue ich mich auf Weihnachten,Tara, denn ich habe viel zu lange ohne Lachen und Freude gelebt. Ich danke dir dafür, dass du mir dieses Fest zurückgibst.« Er senkte den Kopf und küsste sie auf die Stirn. »Ich entschuldige mich für die Grobheit meines Freundes. Offenbar hat er auf seine alten Tage vergessen, wie viel Spaß Festtage machen können.«
Dann legte er seinem Sohn eine Hand auf die Schulter. »Ich wüsste es sehr zu schätzen, wenn du heute Abend, bevor es zu dunkel wird, mit deiner Schwester rausgehst und ihr den besten Baum, den ihr findet, für uns aussucht. Wenn wir nicht mitten drin wären, an diesem Song zu arbeiten, käme ich mit euch. Ihr sucht den Baum aus und morgen Abend holen wir ihn gemeinsam.« Seine Finger schlossen sich vorübergehend fester um Trevors Schulter, als sein Herz einen Freudensprung machte. Sein Sohn. Seine Tochter. Diese entsetzliche Dunkelheit, die ihn so lange verzehrt hatte, zog sich ganz langsam zurück. Die Intensität seiner Gefühle erschütterte ihn. Er hatte nie zu träumen gewagt, die beiden geliebten Gesichter könnten so vertrauensvoll zu ihm aufblicken. »Ich verlasse mich darauf, dass du auf deine Schwester aufpasst,Trevor.«
Trevor schluckte. Er warf einen Blick auf Jessica und erschauerte, während sich seine Finger in ihren Arm gruben. Sie lächelte ihn verständnisvoll an. Sie durfte nicht zulassen, dass ihre Ängste die beiden um jedes Vergnügen brachten. Und erst recht nicht, wenn sie nicht einmal wusste, ob ihre Befürchtungen eine reale Grundlage hatten. Als sie Dillon ansah, standen ihre Empfindungen unverhohlen auf ihrem Gesicht.
Dillon stockte der Atem. Aus Jessicas Augen sah ihn reine Liebe an. Sie blickte zu ihm auf wie ihn noch nie in seinem Leben jemand angesehen hatte, mit einem Ausdruck von völligem Vertrauen und bedingungsloser Liebe. Jessica hatte nie Hintergedanken. Sie liebte seine Kinder uneingeschränkt und wollte sie beschützen. Und sie begann, ihn auf dieselbe Weise zu lieben. »Geht jetzt, du und Tara, bevor es dunkel wird. Ich habe geschäftliche Angelegenheiten zu besprechen.«
Trevor nickte verständnisvoll und grinste Don triumphierend an. Er verließ die Küche mit Tara und drängte sie, schnell ihre Jacke zu holen, damit ihnen noch genug Tageslicht blieb.
Dillon nahm Jessicas Hand und hob sie an seine Lippen. Er sah ihr fest in die Augen und hielt sie in seinem sinnlichen Bann gefangen. Vor sämtlichen Mitgliedern seiner Band drückte er langsam einen Kuss auf ihre Handfläche, ein unverkennbares Brandzeichen, mit dem er sie für sich beanspruchte.
Jessica konnte heiße Tränen hinter ihren Augen fühlen, und ihre Kehle schnürte sich zu. Dillon. Ihr Dillon. Er erwachte wieder zum Leben. Das Weihnachtswunder. Die Geschichte, die ihre Mutter ihr abends so oft erzählt hatte. Weihnachten besaß eine ganz besondere Macht, eine schimmernde, durchscheinende positive Kraft, die stetig strömte und derer man sich nur zu bedienen brauchte. Man musste bloß daran glauben und danach greifen. Jessica griff mit beiden Händen, mit ihrem Herzen und mit ihrer Seele zu. Dillon brauchte sie, und er brauchte seine Kinder. Er musste nur sein Herz wieder öffnen und gemeinsam mit ihr glauben.
Dillon zog sie an sich, und ihre weichen Kurven schmiegten sich an die Kraft seines harten Körpers. Dann wandte er seinen Kopf zu Don um und richtete die eiskalte Wut in seinen Augen gegen den Mann. »Sprich nie wieder so mit meinen Kindern. Nie wieder, Don. Wenn du was an mir auszusetzen hast, dann kannst du jederzeit auf mich losgehen, aber versuche niemals, es an meinen Kindern auszulassen.« Seine Stimme verhieß rasche und brutale Vergeltung.
Jessica erschauerte, als sie in sein Gesicht aufblickte. Dillon war tatsächlich ein veränderter Mensch, ganz gleich, wie oft sie zwischendurch für einen Moment in ihm den Dillon fand, den sie früher einmal gekannt hatte.
»Du willst mich draußen haben, stimmt’s, Wentworth? Du wolltest mich nie in der Band haben. Dir lag immer nur dein Liebling Paul am Herzen. Du hältst zu ihm, ganz gleich, was er tut«, fauchte Don. »Ich habe hart gearbeitet, aber ich habe nie die Anerkennung bekommen. Dir hat es nie gepasst, dass ich in der Band bin. Paul dagegen« – er wies auf den Mann, der stocksteif auf einem Stuhl im Hintergrund saß – »kann alles tun, und du verzeihst ihm.«
»So unschuldig bist du nun auch wieder nicht, Don.« Brenda gähnte und wedelte träge mit der Hand. »Ihr Musiker seid so dramatisch. Wen interessiert schon, wer wem der Liebste ist? Wenigstens hatte Paul es nicht nötig, sich von seiner Geliebten in die Band einschleusen zu lassen.«
Dillon riss den Kopf hoch und sah Brenda mit funkelnden Augen an. »Was zum Teufel soll das heißen, Brenda?«
Jessica sah sich in der Küche um. Alle waren verstummt und wirkten nervös und schuldbewusst, sogar Paul. Don lief dunkelrot an und wandte den Blick von Dillon ab.
Brenda zuckte zusammen. »Autsch. Woher hätte ich denn wissen sollen, dass dir keiner was gesagt hat?« Dillons Blick bohrte sich weiterhin erbarmungslos in sie. »Also schön, gib mir die Schuld, ich bin es gewohnt. Ich dachte, du wüsstest es. Alle anderen wussten es mit Sicherheit. «
»Sag mir sofort, wovon du redest, Brenda.«
Zum ersten Mal sah Jessica Brenda zögern. Einen Moment lang wirkte sie unsicher und schutzbedürftig. Dann veränderte sich ihr Ausdruck, und sie zuckte lässig die Achseln, doch ihr perlendes Lachen klang ein wenig gezwungen. »Um Himmels willen, was ist denn schon dabei? Es ist ewig her. Du hast doch nicht im Ernst geglaubt, Vivian sei dir treu gewesen.«
Jessica fühlte den Schlag, den es ihm versetzte. Sein Magen drehte sich um, und er rang nach Luft, damit er sich nicht übergab. Sie nahm seinen inneren Kampf so deutlich wahr, als erlebte sie ihn selbst. Dillons Gesichtsausdruck blieb unverändert; er blinzelte nicht einmal. Er hätte aus Stein gemeißelt sein können, aber Jessica spürte seinen inneren Aufruhr.
»Dann hatte Viv eben eine Affäre mit Don, na und?« Brenda zuckte wieder die Achseln. »Sie hat ihn in die Band gebracht. Du brauchtest einen Bassisten – es hat doch alles geklappt.«
»Viv und ich hatten keine Probleme, als Don in der Band angefangen hat«, sagte Dillon. Seine Stimme war ausdruckslos, und er sah Don nicht an.
Brenda inspizierte ihre langen Fingernägel. »Du kennst Viv doch, sie hatte Probleme, sie musste immer mit jemandem zusammen sein. Du hast an Songs für die Band gearbeitet und versucht Paul zu helfen. Sobald du nicht jede Minute mit ihr verbracht hast, hat sie sich vernachlässigt gefühlt.«
Dillon hörte ein seltsames Rauschen in seinem Kopf. Er ließ sich einen Moment Zeit, ehe er seinen Blick auf Don richtete. »Du hast also mit meiner Frau geschlafen und in meiner Band gespielt und mich glauben lassen, du seist mein Freund?« Er erinnerte sich noch daran, wie sehr er sich angestrengt hatte, Don das Gefühl zu geben, er gehörte dazu.
Don kniff die Lippen zusammen. »Du hast es gewusst, jeder hat es gewusst. Es war kein Geheimnis, dass Viv gern ab und zu mal einen Mann aufgegabelt hat. Und du hast bekommen, was du wolltest. Einen Bassisten, den du mies behandeln kannst, und jemanden, der sich die Wutanfälle deiner Frau bieten lässt, wenn du gerade keine Zeit oder keine Lust hattest, dich selbst mit ihr abzugeben. Von dem Geld, das du gespart hast, weil sie ständig wollte, dass ich ihr was kaufe, rede ich noch nicht mal. Ich würde sagen, wir sind mehr als quitt.«
Dillon sagte kein Wort; nur ein zuckender Muskel in seiner Kinnpartie verriet seinen inneren Aufruhr.
»Sie war ein Blutsauger«, fuhr Don fort und sah sich in der Küche nach Unterstützung um.
»Sie war krank«, verbesserte Dillon ihn leise.
»Sie war nicht loyal, und sie war eiskalt«, beharrte Don. »Verdammt nochmal, Dillon, du musst doch über uns Bescheid gewusst haben.«
Als Dillon ihn weiterhin ansah, senkte Don den Blick wieder. »Ich dachte, deshalb wolltest du mich nicht in der Band haben.«
»Dein eigenes schlechtes Gewissen hat dich glauben lassen, ich wollte dich nicht in der Band haben.« Dillons Stimme war sehr leise, doch tief in seinem Inneren schrie er um Hilfe; er wollte, dass Jessica ihn davon abhielt, etwas Verrücktes zu sagen oder zu tun. Dass sie ihn rettete. In ihm war solche Hoffnung aufgewogt. Wärme hatte sich ausgebreitet, der Glaube, er könnte sein Leben vielleicht doch zurückfordern. Und war im Nu wieder verschwunden. In seinem Inneren fühlte er sich eiskalt und taub. Herz und Seele waren ihm herausgerissen worden. Alles, was er sich aufgebaut hatte, alles, woraus er sich etwas gemacht hatte, war zerstört worden. Er hatte geglaubt, ihm sei bereits alles genommen worden, aber es gab noch mehr – das Stochern in alten Wunden, um sie zu vertiefen oder sie wieder zu öffnen. Er zerbrach und zerbröckelte, Stück für Stück, bis von dem, der er gewesen war, nichts mehr übrig war.
»Verflucht nochmal, Dillon, du musst es gewusst haben. « Dons Stimme klang beinah flehend.
Dillon schüttelte langsam den Kopf. »Ich kann darüber im Moment nicht diskutieren. Nein, ich wusste es nicht, ich hatte keine Ahnung. Ich habe dich immer als meinen Freund angesehen. Ich habe mein Bestes getan, um dich zu verstehen. Ich habe dir vertraut. Ich dachte, unsere Freundschaft sei echt.«
Jessica hob eine Hand und legte sie zart und liebevoll auf sein Gesicht. »Bring mich hier raus, Dillon. Jetzt sofort. Ich will weg.« Vor allem wollte sie ihn schleunigst dem Verrat und dem Betrug entziehen. Er hatte gerade erst begonnen, nach einem langen, kalten, trostlosen Winter den Sonnenschein zu sehen. Sie konnte Hände fühlen, die ihn von ihr fortzogen, zurück in die tieferen Schatten. Sie achtete darauf, dass ihre Stimme sanft und einschmeichelnd klang, und ihre Hände streichelten sein Gesicht. Erst als sie mit dem Daumen seine Lippen liebkoste, richtete er seine Aufmerksamkeit auf sie. Als er sie ansah, sah sie die gefährlichen Emotionen, die in den Tiefen seiner Augen strudelten.
Jessica zog ihn aus der Küche, fort von den anderen. Sie führte ihn durch das Haus in sein privates Stockwerk. Er folgte ihr bereitwillig, aber sie konnte immer noch drohende Gewalttätigkeit in ihm wahrnehmen, die allzu dicht unter der Oberfläche brodelte.
»Ich habe viel über mich gelernt, als ich im Zentrum für Brandopfer war«, sagte Dillon, während er die Tür zu seinem Arbeitszimmer aufstieß und zurücktrat, um sie vorausgehen zu lassen. »Man hat solche Schmerzen, Jess, unglaubliche Schmerzen. Man glaubt, man hält es nicht mehr aus, aber es kommt immer noch mehr nach. Jede Minute, jede Sekunde, es ist eine Frage des Durchhaltevermögens. Es bleibt einem nichts anderes übrig, als es zu ertragen, weil es niemals aufhört. Es ist nicht möglich zu schlafen, bis es vorbei ist, man muss die Schmerzen aushalten. «
Es war dunkel im Zimmer, in das der späte Nachmittag seine Schatten warf, doch er schaltete kein Licht ein. Draußen versetzte der Wind die Äste in Bewegung und ließ sie sanft die Hauswände streifen und eine gespenstische Musik hervorbringen. Drinnen zog sich das Schweigen in die Länge, während sie einander gegenüberstanden. Jessica konnte den wilden, chaotischen Aufruhr seiner Gefühle wahrnehmen, doch äußerlich war er so still wie ein Jäger. Sie kannte seine Willenskraft und wusste, warum er diese grässlichen Verletzungen überlebt hatte. Dillons Gemütsbewegungen waren heftig. Es klang, als schildere er seine physischen Schmerzen, doch sie wusste, dass er von einer anderen Art Schmerz sprach, die er ebenfalls durchlitten hatte. Die emotionalen Narben waren genauso schmerzhaft und so tief wie die physischen.
»Sieh mich nicht so an, Jess, das ist zu gefährlich«, warnte er sie leise und kam im selben Moment auf sie zu. »Ich will dir nicht wehtun. Du kannst mich nicht einfach mit deinen wunderschönen Augen so verflucht vertrauensvoll ansehen. Ich bin nicht der Mann, für den du mich hältst, und ich werde es nie sein.« Schon während er die Worte laut aussprach und jedes einzelne von ihnen ernst meinte, umfassten seine Hände aus eigenem Antrieb ihr Gesicht.
Elektrizität knisterte und peitschte ihr Blut auf. Die Glut seines Körpers sickerte in sie, wärmte sie und zog sie magnetisch an. Sein Kopf senkte sich zu ihr herunter, und sein seidiges dunkles Haar umrahmte sein Engelsgesicht wie eine Wolke. Außer seinen vollendet geformten Lippen gab es für Jessica nichts mehr auf Erden, nicht einmal die Luft zum Atmen. Sein samtweicher Mund legte sich fest auf ihren, eine unwiderstehliche Berührung. Als seine Zähne zart an ihren Lippen zogen, damit sie ihm Einlass in ihre Süße gewährte, öffnete sie den Mund, bereit für die dunklen Geheimnisse von Leidenschaft und Verheißung.
Dillon schloss die Augen, um ihren Geschmack und die seidige Glut zu genießen. Jessicas Kuss war die reinste Magie. Es war Wahnsinn, seiner Sehnsucht nachzugeben, aber er konnte nicht zurück, sondern ließ sich Zeit, um sie gemächlich zu erkunden, herausgerissen aus der grauen Trostlosigkeit seiner alptraumhaften Welt und in eine andere geschleudert, in der um ihn herum und in ihm lebhafte bunte Feuerwerkskörper explodierten. Sein Verlangen regte sich augenblicklich, und sein Heißhunger war nicht zu bremsen. Seine Erregung war so gewaltig, dass sie ihn bis in die Grundfesten seiner Seele erschütterte. Nie zuvor hatte er dieses primitive und glühende Verlangen erlebt, das ihn jetzt durchströmte – sie zur Seinen zu machen.
Jessica spürte, wie sein Mund härter wurde und sein Kuss sich veränderte, fühlte die Leidenschaft, die zwischen ihnen aufflackerte, heiß und erregend, ein betäubender Sinnesrausch. Ihr Körper verschmolz mit seinem, nachgiebig und einladend. Sein Mund wütete vor Gier, dominierend und einschmeichelnd zugleich, um ihr Reaktionen abzuverlangen. Sie gab sich der flammenden Welt reiner Sinnlichkeit hin und gestattete ihm, sie aus der Realität zu entführen.
Die Erde schien sich zu bewegen, und ihr wurde der Boden unter den Füßen weggezogen, als seine Handflächen über ihren Rücken glitten und auf ihrem Po liegen blieben, um sie noch enger an ihn zu pressen. Seine Berührungen waren langsam und lasziv und standen im Widerspruch zu dem Ansturm seines Mundes. Seine Zunge eroberte, während seine Hände sich einschmeichelten. Sein Mund war aggressiv, seine Hände sanft.
Dillon war schmerzhaft erregt, und seine Jeans spannte und schnitt in seinem Schritt. Jessicas Nachgiebigkeit brachte ihn langsam um den Verstand. Er hörte ein seltsames Rauschen in seinem Kopf. Sein Blut fühlte sich wie dicke und geschmolzene Lava an. Sie schmeckte heiß und süß, und er konnte ihr gar nicht nah genug kommen. Er wünschte sich ihre Kleidungsstücke fort, damit er sich an sie pressen konnte, Haut an Haut.
Sein Mund löste sich von ihrem, um mit verspielten kleinen Küssen und Bissen über ihre Kehle zu gleiten, und seine Zunge suchte nach kleinen Vertiefungen, kleinen Auslösepunkten reiner Lust. Wenn er sie fand, belohnte sie ihn mit einem seligen Keuchen, das Musik in seinen Ohren war, ein zarter Klang, der jeden vernünftigen Gedanken übertönte. Er wollte keine Vernunft, und er wollte auch nicht wissen, dass das, was er tat, falsch war. Er wollte sich tief in ihr begraben und sich für immer in einem Feuersturm blinden Gefühls verlieren.
Sein Mund fand den Puls an ihrem Hals, der dort so rasend schlug. Er schob den Ausschnitt ihrer Bluse zur Seite, um den Ansatz ihrer Brüste zu finden. Ihre Haut war ein Wunder aus reinem Satin. Seine Hand schloss sich über ihrer Brust und ihre straffe Brustwarze stieß sich durch ihre Bluse und durch seinen Handschuh gegen seine Handfläche. Flehend und drängend. Er senkte den Kopf der Versuchung entgegen.
Die Tür zu Dillons Arbeitszimmer wurde aufgerissen, und Tara stand da, mit weißem Gesicht und wüst zerzaustem Haar. Auf ihrem Gesicht zeichnete sich blanke Panik ab. »Ihr müsst auf der Stelle kommen. Jetzt sofort! Jessica! Beeil dich, oh Gott, ich glaube, er ist unter den Baumstämmen und der Erde erdrückt worden. Beeilt euch, ihr müsst euch beeilen!«