XXXII.

 

Leises Brummen

Geflüster

Stille

 

Flackernde Lichter

Vorbeirauschende Häuserfassaden

Dunkelheit

 

Hupen

Fluchen

Ein ärgerliches Zischen: „Pscht!“

Stille

 

Die Hinterköpfe zweier Männer

Ledersitze

Getönte Scheiben

Dunkelheit

 

Der Geruch von Leder und Politur

 

Ein dumpfer Schmerz in meinem Oberschenkel

 

Meine Hände, die sich irgendwie taub anfühlten ...

 

Schwere – bleiern, tief und verlockend friedlich – zog mich immer wieder erfolgreich mit sich. Keiner der Eindrücke, die ich gewann, wenn ich die Oberfläche streifte, schaffte es, mich zum Bleiben zu bewegen. Sie ergaben nicht mal einen Sinn. Wer waren diese Männer? ... Dieser Wagen? Und warum konnte ich meine Hände nicht bewegen?

Ich wollte nur schlafen, war so unglaublich müde. Aber sobald ich meine Augen wieder schloss, erwartete mich Noahs Gesicht. Ängstlich, flehend, verzweifelt – als hinge sein Leben davon ab, mich nicht erneut abzudriften zu lassen.

Seine schönen Augen schimmerten feucht. Sie schwammen förmlich in Tränen, die er krampfhaft zurückzuhalten versuchte. Chancenlos, wie er wohl feststellte, denn irgendwann senkte Noah den Blick und ließ die Tränen schwer und angereichert mit all seinem Leid einfach so von seinen langen Wimpern tropfen. Warum, um alles in der Welt, war er so verzweifelt?

Gerade wollte ich ihn fragen, da löste sich sein schönes Gesicht auf, einfach so. Eine Fata Morgana, ein Trugbild. Zweifellos das schönste aller Zeiten, aber eben ... ein Trugbild. Mein Geist spielte mir einen Streich. Oder mein Herz?

Wo war Noah überhaupt? Warum war er nicht bei mir? Und wo war ich?

Sein Bild wich vagen Bruchteilen. Ja, Fetzen meiner Erinnerung, die vor meinem geistigen Auge aufblitzten: die breite schweißbedeckte Stirn des Sicherheitsmannes, das Flackern seiner Taschenlampe, Noahs flehende Augen, das metallene Klack der zufallenden Notfalltür, das Surren des sich öffnenden Tores, die Spritze, der Schmerz, die Erkenntnis ...

Für eine Sekunde – unmittelbar nachdem mich die Erinnerungen förmlich überrollt hatten – wusste ich wieder genau, was geschehen war. In meinem Schock versuchte ich mich aufzurichten, aber mein Körper blieb schwer und reglos liegen, er gehorchte mir nicht.

Ich öffnete die Augen, nur für einen kleinen Moment. Schon wusste ich nicht mehr, was mich dazu bewegt hatte, und ich versackte erneut in tiefer Dunkelheit.

Sekunden später (oder waren es Stunden?) hörte ich ein weit entferntes, leises Jammern. Als ich endlich realisierte, dass es mein Jammern war, verbot ich mir jeden weiteren Laut.

Warum weinte ich? Schmerzen? ... Nein!

Nur meine Hände ... und dieser dumpfe Druck in meinem Oberschenkel ...

Wieder sackte ich ein Stück tiefer.

Mein Magen zog sich zusammen, ehe ich verstand warum.

Dieser Geruch! ... Minze und Light-Zigaretten.

Der Atem eines Fremden.

Atem, der mir Angst einflößte und das Bild eines schwitzenden uniformierten Mannes vor meinem inneren Auge aufblitzen ließ.

„Sie wird wach“, sagte eine raue Stimme.

Dieser Geruch ...

„Das kann nicht sein!“, befand eine zweite, höhere Männerstimme.

Noch ein Fremder ... Wo bin ich?

„Und wenn doch? Wo ist der Elektroschocker?“

„Ernsthaft? Du willst das Ding benutzen? Scheiße! Im Handschuhfach. Aber nimm ihn nur wennʼs unbedingt sein muss, hörst du? Und jetzt lass mich endlich in Ruhe fahren!“

Wieder wurde ich schwerer, versank im Nebel meines erschlafften Bewusstseins. Doch dieses Mal erwartete mich nicht die alles betäubende Ruhe.

Du bist entführt worden!, schrie es stattdessen in mir. Diese beiden Männer haben dich entführt.

Meine Atmung wurde flacher unter dem beängstigenden Gedanken, mein Herzschlag beschleunigte sich spürbar. Ein stechender Schmerz raubte mir schließlich die Luft zum Atmen und löste den Reflex aus, mir die Hände auf die Brust pressen zu wollen. Doch ich konnte sie nicht bewegen. Meine Finger ...

Endlich begriff ich, warum sie so taub waren. Die Männer hatten mir die Handgelenke auf dem Rücken gefesselt. Für einen Augenblick verstand ich sogar, warum ich nicht mehr einschlafen durfte: Weil ich beim nächsten kurzen Auftauchen wieder von vorne beginnen müsste.

In diesem Moment wusste ich, was geschehen war, aber wie oft hatte ich das zuvor schon realisiert und war dann wieder in dieser wohltuenden Dunkelheit und Stille versunken? Wie viel Zeit war verstrichen, seitdem mir der Sicherheitstyp die Spritze in den Oberschenkel gejagt hatte? Und wo waren wir nun?

Einige panische Herzschläge später entglitten mir meine klaren Gedanken erneut. Wieder erwartete mich meine liebste Halluzination, Noahs Gesicht. Aber warum sah er so verzweifelt aus? Was war geschehen?

„Nein!“, rief er. „Nicht einschlafen! Du musst ... Zeig mir, was du siehst Emily! Sag es mir!"

Was ich sehe? ... Warum …?

Mühsam versuchte ich die Augen zu öffnen, aber meine Lider waren so schwer. Viel zu schwer. Und dieser Sog unter mir lockte, so verheißungsvoll. Noah, ich ...

Nicht wieder einschlafen, bitte“, wisperte Noahs Stimme. „Zeig es mir! Zeig mir was du siehst, Baby! Ich finde dich."

Findest mich? … Richtig, der Wagen … die Männer … mein wild wummerndes Herz …

Sie waren der Grund.

Endlich öffnete ich die Augen, unter stark flatternden, unkontrollierbaren Lidern. Mir fehlte die Kraft, ich war zu müde ...

Em, bitte, du musst es nur wollen.“ Noah flehte; seine sonst so ebene Stirn lag in tiefen Sorgenfalten.

Unfähig ihn zu enttäuschen, nahm ich all meine Willenskraft zusammen, bündelte sie und blinzelte. Die hellgraue Decke des Wagens verschwamm immer wieder und ließ sich nur schwer fokussieren. Irgendetwas stimmte mit meinen Augen nicht.

Ich legte den Kopf ein wenig in den Nacken und sah aus dem Fenster über mir. Immer wieder fielen mir die Augen zu; es war sehr anstrengend, überhaupt etwas zu erkennen.

Der Himmel, grau und wolkenverhangen, dämmrig ...

Spitzwinklige Giebel zwischen flachen Dächern, die schnörkellos in einer waagerechten Linie zu enden schienen ... Helle Fassaden und rote ... Baumkronen ... Strommasten ... Laternen ...

Der Wagen hielt – und ich ergab mich dem Sog, der mittlerweile unerträglich stark an meinen Beinen zog.

Ich war mir sicher, tief und lange abgetaucht zu sein, doch als ich aufschreckte, standen wir immer noch neben demselben Elektrogeschäft, dessen gelb hinterleuchtetes Schild grell über meinem Kopf flimmerte. Schon drehten sich meine Augen erneut in meinem Kopf zurück. Wieder schwebte ich in wohltuender Gleichgültigkeit, wenn auch nicht allzu lange. Ich sank nicht mehr so tief, benötigte nicht mehr so viel Zeit zum Auftauchen.

Auch dieses Mal war Noah wieder da und vereitelte mein endgültiges Abdriften durch seine Verzweiflung, seine Angst, sein flehendes Gesicht, das ich so sehr liebte. ... Mein armer Engel.

„Emily, sprich mit mir! Du musst es mir zeigen.“

Habe ich doch ...

Was wollte er von mir, dass er mich so tief und bedeutungsvoll ansah und den Kopf schüttelte? Ich verstand nicht, was er mir sagen wollte.

Nein, so funktionierte es nicht ... Wie war das noch? ... Ich musste meine Gedanken mit ihm teilen ... bewusst teilen ... ihn ansprechen ... Ja, direkte Ansprache.

Noah, schau!, rief ich ihm in Gedanken zu und versuchte erneut, die Augen möglichst lange aufzuhalten. „Zwei Männer“, ließ ich ihn wissen, während ich ihre Hinterköpfe fixierte und dann weiterhin verbissen aus dem Fenster starrte.

Der Sicherheitsmann ... und ... der Fahrer, der uns zum Kino gebracht hat, denke ich.

Draußen flogen wieder die Häuser an mir vorbei und bewirkten mit ihrem Tempo, dass sich das flaue Gefühl in meinem Magen weiter ausdehnte. Ehe ich dazu kam, mir Sorgen über die zunehmende Übelkeit zu machen, hielt der Wagen abrupt. So ruckartig, dass ich vom Rücksitz rutschte, wie ein Sack Kartoffeln in den Fußraum plumpste und mir den Kopf schmerzhaft an der Tür stieß. Dennoch gab ich keinen Mucks von mir und drehte mich mühevoll auf den Rücken.

Der Fahrer betätigte die Hupe lange und anhaltend, der andere schimpfte wütend auf ihn ein. „Zum Teufel, willst du uns umbringen? Und hör auf zu hupen, verdammt!“ Das Knarren seines Ledersitzes ertönte; eine neue Minze-Tabak-Wolke blies mir entgegen, als er sich zu mir umdrehte. Schnell schloss ich meine Augen.

„Scheiße Mann, sie ist vom Rücksitz gefallen. Das meinte Jim mit Sicherheit nicht, als er sagte wir sollten ihr kein einziges Haar krümmen.“

„Was kann ich dafür, wenn dieser Idiot direkt vor uns auf die Straße rollt. Als wüsste er nicht einmal, dass es so was wie einen Rückspiegel überhaupt gibt.“

„Trotzdem! Hör auf andauernd zu hupen. Der Wagen passt nicht in dieses Viertel. Er ist ohnehin schon auffällig genug, wir brauchen keine zusätzliche Publicity.“

„Sei nicht so verflucht nervös!“

„Dann fahr zur Abwechslung mal so, als wäre es dein Job!“

 

Vielleicht war es ein Adrenalinstoß – ausgelöst durch die plötzliche Bremsung und meinen Sturz –, vielleicht war es die Tatsache, die beiden Männer so aufgebracht miteinander streiten zu hören und dabei zu realisieren – wirklich zu realisieren –, dass es sich bei ihnen um meine Entführer handelte. Dass ich keine Ahnung hatte, was sie mit mir zu tun gedachten, wie gefährlich sie waren, ob sie nur mich hatten oder auch Jane ...

Vielleicht war es die Aussage, die zwischen ihren Worten schwebte, dass sie für einen Dritten arbeiteten, der ihnen offenbar auferlegt hatte, mir nichts anzutun, dessen Erwähnung mich jedoch trotzdem in sofortige Panik versetzte ...

Vielleicht war es die nun rapide nachlassende Wirkung der Betäubung ...

Vermutlich war es jedoch die Kombination all dieser Umstände, die meinen Zustand beinahe schlagartig verbesserte. Es war mir, als hätte jemand meine Wange getätschelt und mich damit aus einer tiefen Ohnmacht zurückgeholt. Ich war noch nicht voll da, aber plötzlich dachte ich wesentlich klarer und schaffte es, trotz meiner aufbrodelnden Angst und der dumpfen Übelkeit meine Sinne zurück auf das Wesentliche zu fokussieren: Noah sehen zu lassen, was ich sah. Es war meine einzige Chance, und vielleicht würde es funktionieren. Wenn es mir nur gelänge, mich ausreichend zu konzentrieren.

Aus dieser Position heraus, rücklings in der Fußkonsole liegend, blickte ich mit überdehntem Kopf steil hinauf, durch das getönte Seitenfenster des Wagens, in den dämmrigen Abendhimmel. Miserable Umstände – aber leider das Einzige, was ich Noah bieten konnte.

An dem Gipfel eines hell verkleideten Hauses, vor dem die Limousine zum Stehen gekommen war, hing das große Schild eines Immobilienmaklers.

Noah, schau! Hilft das?

Es war immer noch schwer, gezielt zu denken und ihn dabei anzusprechen, als stünde er vor mir – nur eben stumm. Da der Wagen aber noch stand, schaffte ich es tatsächlich, dass rot-graue Schild mit der weißen Schrift für einige Sekunden zu fokussieren. Ich versuchte, die riesige Adresse der Homepage zu lesen, schaffte es aber nicht, weil meine Perspektive aus dieser Position zu schlecht war. Vielleicht – hoffentlich – hatte Noah mehr Glück.

Mir blieb nicht viel Zeit, bis der Wagen wieder anfuhr und wenige Meter später erst nach rechts und unmittelbar darauf nach links abbog, was meine Übelkeit erneut ankurbelte. Dann verlangsamte der Fahrer unser ohnehin schon gemächliches Tempo, bog noch einmal scharf nach links ab und stoppte schließlich in einer dunklen Halle oder Garage ... was auch immer.

„Also los“, brummte der Sicherheitsmann. Die beiden Männer verließen den Wagen; der Klang der zufallenden Autotüren hallte von kahlen Wänden wider. Ich war gezwungen, meine Augen zu schließen – sollten sie doch nicht wissen, dass ich bereits erwacht war. Allerdings gelang es mir nun, als sie die hinteren Türen öffneten um mich zu holen, nicht länger, meine Panik unter Kontrolle zu halten.

Oh Mann, sie zittert am ganzen Körper“, sagte die Stimme, die ich dem Chauffeur der Limousine zuordnete. „Und sie weint.“

„Scheiße, Brad, bist du noch nie aus einer Narkose erwacht?“, fragte der namenlose Sicherheitsmann. Der Geruch von frischem Männerschweiß mischte sich unter den von Tabak und Minze, als er mich unter den Achseln packte und anhob. „Das Geplärre ist vollkommen normal.“

„Meinst du nicht, wir sollten noch mal nachspritzen?“

Nein, bitte nicht!!!

„Wozu denn? Wir sind doch jetzt da. Jim hat nur gesagt, sie sollte unter keinen Umständen mitkriegen wo wir sie hinbringen“, ächzte der Security-Typ, der mich mittlerweile aus dem Wagen gezogen hatte und nun über den unebenen Boden schleifte. Schlaff wie eine Schlenkerpuppe hing ich in seinen Armen. Mir war speiübel, und ich betete nur, dass ich mich nicht würde übergeben müssen.

„Was ist, hilfst du mir, oder stehst du weiter dumm rum?“, keuchte der korrupte Sicherheitsmann. Der andere packte meine Beine; gemeinsam schleppten sie mich durch eine kühle große Halle. Ich wusste das, ohne es zu sehen. Der Hall ihrer Stimmen und Schritte ließ auf kahle Wände und hohe Decken schließen.

Dummerweise hatte ich keine Ahnung, ob Noah hören konnte, was ich hörte. Gott, ich wusste ja nicht einmal, ob er mich überhaupt hörte. Geschweige denn, ob es mir bislang gelungen war, ihm ausreichende Hinweise auf meinen momentanen Aufenthaltsort zu geben. Wie sollte er wissen, wo ich mich befand, wenn ich es selbst nicht einmal ahnte? Waren wir Minuten oder Stunden unterwegs gewesen? Ich wusste es nicht.

Was, wenn dieser Immobilienmakler sein Büro am anderen Ende der Stadt hatte? War sein Schild der einzige Hinweis, oder war ich zuvor schon einmal lange genug aus meiner Versenkung aufgetaucht, um Noah brauchbare Eindrücke zuzuspielen? Ich wusste es nicht.

Ich wusste gar nichts. Und plötzlich fühlte ich mich schrecklich allein.

Brennende Tränen bahnten sich ihren Weg durch meine schwachen, geschlossenen Lider und rannen nur so aus den äußeren Augenwinkeln. So sehr ich es zu vermeiden versuchte, entrang sich meiner Kehle dennoch ein halbersticktes Schluchzen, dann ein jämmerliches Wimmern. Die Kälte, die in dieser Halle herrschte, schien den Prozess meines Erwachens zu beschleunigen und war nicht gerade hilfreich, was den einsetzenden Schüttelfrost betraf.

„Die arme Kleine“, flüsterte Brad, der Chauffeur, als sie mich auf einer harten Unterlage ablegten, die hölzern unter meinem Gewicht knarrte. Sofort krümmte ich mich, rollte mich wie ein Baby zusammen.

Meine Zähne schlugen schnell und unkontrolliert aufeinander. Es war schrecklich, dem Drang, meine Arme um die angewinkelten Knie schlagen zu wollen, nicht nachgeben zu können; mir war so furchtbar kalt. Außerdem schmerzten meine Handgelenke unter dem Klebeband, mit dem mich die Männer gefesselt hatten.

Es dauerte nicht lange, bis jemand eine Decke über mich legte.

„Was Jim wohl mit dir vorhat?“, fragte die hellere der beiden Stimmen dabei dicht über mir. Dieser Chauffeur schien nicht allzu übel zu sein. Der Sicherheitsmann hingegen ...

„Was soll dieses mitleidige Geschwafel, Brad? Das ist nicht unsere Sache. Wir erledigen unseren Job, kriegen die Kohle und hauen ab.“

Wieder überrollte mich ein Geruchsschwall Schweiß, Tabak und Minze. Dann hörte ich ein reißendes Geräusch, bevor raue Hände meinen Kopf drehten, festhielten und einen breiten Streifen Klebeband über meinen Mund klebten.

„Muss das wirklich sein?“, fragte der Fahrer.

„Klar, sie wird wach. Du wolltest den Elektroschocker doch nicht benutzen, oder? Willst du vielleicht, dass sie hier alles zusammenbrüllt?“

„Nein.

„Komm schon, Brad, reiß dich am Riemen! Wenn alles gut läuft, haben wir morgen um die Zeit schon längst ausgesorgt. Was Jim macht, was er mit der Kleinen vorhat, interessiert mich einen Scheißdreck“, erklärte der Sicherheitsmann in einem Ton, der so eiskalt war, dass er meinen Schüttelfrost noch zusätzlich verstärkte. „Du kanntest die Bedingungen, also krieg jetzt bloß keinen Moralischen, hörst du? Ruf lieber Jim an. Der sitzt mit Sicherheit schon auf heißen Kohlen.“

Der Fahrer atmete hörbar tief durch; er schien sich einen Ruck zu geben. „Okay“, sagte er schließlich, räusperte sich kurz und entfernte sich dann einige Meter weit. Ich lauschte angespannt, konnte jedoch nicht mal Fetzen des Telefonats hören.

Auch der Sicherheitsmann richtete sich ächzend auf und verließ die Halle. Seine schweren Schritte entfernten sich mit jedem weiteren ein wenig mehr.

Endlich wagte ich es, den Kopf so weit wie möglich abzuwenden und die Augen zu öffnen. Das Bild, das sich mir bot, entsprach dem, was sich meine anderen Sinne bereits zurechtgebastelt hatten: Hohe unverputzte Decken, dicke Belüftungsrohre, kahle Wände, deren stellenweise abbröckelnder Putz das darunterliegende Mauerwerk preisgab. Die Fenster lagen sehr hoch, eines am anderen, und waren winzig klein.

Die Bilder verschwammen längst nicht mehr so stark vor meinen Augen wie noch Minuten zuvor, und so sah ich sogar, dass viele der milchig-staubigen Fensterscheiben gesprungen oder zerbrochen waren.

Eine Lagerhalle, Noah.

Plötzlich durchzuckte es mich, dass der Kontakt zu ihm, falls ich ihn überhaupt zustande gebracht hatte, inzwischen mit Sicherheit mehrfach unterbrochen worden war. Aber ich hatte Erinnerungsfetzen, die ich ihm geben konnte.

Der Gedanke an Noah ließ mich beinahe verzweifeln. Wie mochte er sich fühlen? Wo war er? War er überhaupt in der Lage, mich auf diese Distanz zu hören?

So viele unbeantwortete Fragen, die meine Panik weiter schürten. Und nur eine Sache, die inmitten all dieser Ungewissheiten für mich feststand: Noah wusste inzwischen, was geschehen war. Er wusste, dass sie mich entführt hatten und war versessen darauf, mich möglichst schnell zu finden. Ich konnte ihn vor mir sehen, wie er seine Haare raufte und büschelweise an ihnen riss. Jede Sekunde, die ohne Kontakt zu mir verstrich, ließ ihn vermutlich halb wahnsinnig werden.

Also los!

Da ich nicht wusste, wie weit er das Geschehen verfolgt hatte, schien es mir die beste Lösung zu sein, meine Augen wieder zu schließen und mich ganz und gar darauf zu konzentrieren, ihm einfach alles Wesentliche noch einmal mitzuteilen – selbst wenn dieses Vorgehen einige Wiederholungen mit sich brachte. Die Bilder konnte ich aus meinen Erinnerungen laden, wie damals, als ich ihm unser Haus in Manchester gezeigt hatte.

Während mein Körper also nach wie vor teils schlaff und schwer, dann wieder zitternd und verkrampft auf diesem Unterbau aus Holzkisten lag und den Schock und die Betäubung auf seine Weise verarbeitete, lief mein Verstand schon wieder auf Hochtouren.

„Noah, ich bin wach. Gott, ich hoffe so sehr, dass du mich hörst. Bitte, bitte, hör mich! ... Also ...“