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Nach einer Weile ließ das Gedrängel der Aussteigenden nach und Alice saß immer noch neben dem

Verletzten und drückte seine Schlagader zusammen. In der Ferne hörte sie Martinshörner. Aah, meine

Finger. Die sind sowas gar nicht gewöhnt. Ich lass mal eine Hand los und drück nur noch mit der

anderen. Ok, scheint zu gehen. Kräftig ausschütteln. Oh je, der anderen Hand fehlt die Kraft, das

lange alleine durchzustehen. Also noch mal Hände wechseln und dann wieder mit beiden drücken.

Gibt es nicht auch eine Möglichkeit, das abzubinden, ohne ständig drücken zu müssen?

Alice grub ihn ihrer Erinnerung, bis sie vor sich sah, wie es funktionieren müsste. Mist! Dazu

bräuchte ich zwei Verbände. Einen als Päckchen, der drückt und einen zum Drumwickeln. Verbände!

Als hätte man sowas in der Hosentasche! Was könnte man denn noch nehmen? Hab ich irgendwas

dabei, das diesen Zweck erfüllen könnte?

Stück für Stück ging Alice ihr Gepäck in Gedanken durch. Sie war noch nicht soweit, eines ihrer T-

Shirts zu zerreißen, denn das war das Einzige, was ihr zunächst einfiel. Da drückte sie lieber noch eine

Weile mit den Fingern. Doch dann erinnerte sie sich an ihre Kniestrümpfe. Die Kniestrümpfe! Das

könnte gehen. Einen fest zusammengerollt und einen zum Drumbinden. Ob er wohl lang genug ist? Ob

es für einen Knoten reicht? Nein, eher nicht. Aber vielleicht die Strumpfhose. Ok, das müsste klappen.

Vorsichtig löste Alice eine ihrer Hände vom Arm und beobachtete dabei genau, ob das Blut

weiterhin stockte. Dann streckte sie sich so lang wie möglich und angelte nach ihrer Reisetasche, die

ihr fürchterlich weit weg schien. Wo sind nur all die vielen Leute hin? Alle rausgeflohen! Typisch!

Endlich konnte sie die Tasche an einer Ecke fassen und zu sich heranziehen. Für einen kurzen

Moment hatte sie den Griff am Arm gelockert und das Blut schoss wieder aus der Wunde. Der

Verletzte stöhnte. Schnell drückte sie wieder mit beiden Händen zu, bis der Blutstrom erneut nachließ.

Dann löste sie die eine Hand wieder vorsichtig und öffnete ihre Tasche. Mühsam kramte sie darin

herum und ärgerte sich, dass sie ihre Tasche so vollgestopft hatte. Pullover und Jeans quollen heraus,

was es ihr erleichterte, in der Tasche zu wühlen. Dann - endlich - bekam sie ein Kniestrumpfknäuel zu

fassen. Alice probierte, ob man mit dem Knäuel den Blutstrom abdrücken konnte. Es ging. Sie musste

auch nicht mehr so verkrampft drücken.

Vorübergehend wechselte sie die drückende Hand, denn die eine stand kurz vor einem Krampf.

Dann wechselte sie wieder zurück, weil sie so nicht weiter nach ihrer Strumpfhose suchen konnte.

Noch mehr Kleidungsstücke fielen aus der Tasche und verteilten sich auf dem Zugboden, doch dann

zog sie endlich die gesuchte Strumpfhose hervor. Alice wickelte die langen Beine doppelt um den

Arm und versuchte einhändig einen Knoten zu machen. Das misslang. Dann löste sie ihre zudrückende

Hand, was sofortiges Blutspritzen zur Folge hatte.

So schnell wie es ging, zog sie die Strumpfhose zusammen und atmete erleichtert auf, als das Bluten

wieder aufhörte. Mit ihren verkrampften Händen bemühte sie sich einen Knoten zu knüpfen, was ihr

erst beim dritten Anlauf gelang. Doch dann hielt ihre Abbindkonstruktion endlich. Sie schüttelte ihre

verkrampften Hände und merkte erst jetzt, dass auch ihre Beine vom unbequemen Sitzen schmerzten.

"Kommen Sie klar?" schreckte eine Stimme Alice auf.

"Oh, endlich! Ein Fachmann! Nein, ich komme nicht klar. Der Mann hier ist schwer verletzt. Ich

habe die ganze Zeit versucht, ihn am Verbluten zu hindern, aber mehr konnte ich nicht für ihn tun."

Der Sanitäter bestieg den Waggon und beugte sich über den Verletzten.

"Das Abbinden haben Sie aber recht gut hinbekommen, wenn auch mit unorthodoxen Mitteln. Sind

Sie vom Fach?"

"Ne, Erste Hilfe Kurs. Ich...", plötzlich schossen Alice Tränen in die Augen und ihr versagte die

Stimme.

Der Sanitäter tätschelte ihr die Schulter. "Na na, ist ja gut. Sie haben alles richtig gemacht und Ihrem

Mann wahrscheinlich das Leben gerettet. Jetzt kommen sie erst mal zu sich. Ich kümmere mich jetzt

um Ihren Mann."

"Ist nich mein Mann. Kenn den gar nich", gelang es Alice mühsam, das Missverständnis zu klären.

"Umso lobenswerter!"

Der Sanitäter konzentrierte sich auf den Verletzten und beachtete Alice nicht weiter. Alice stopfte

ihre Kleidungsstücke zurück in die Tasche, wischte sich mit einem T-Shirt die unerwarteten Tränen ab

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