Kapitel 10
I
»Bitte!«, winselte die nasale Stimme. »Ich flehe dich an ... Liebster!«
Jiff runzelte die Stirn und legte die Füße im Bett vor dem Fernseher hoch. »Aber ich war doch erst heut bei dir. Und jetzt willste, dass ich morgen früh schon wieder zu dir rüberkomm’?«
»Ja, ja!«
»Ich ...« Scheiße! »Ich hab morgen zu viel Arbeit«, log er. »Meine Ma is’ stinksauer auf mich, weil ich heut nich’ alles gemacht hab’.«
Ein Schniefen. Ein Krächzen. »Ich ... ich bin wertlos!«
Da haste recht.
»Ich liebe dich!«
»Ich hab’s dir schon mal gesagt: Hör auf, so zu reden!«
»Ich muss ... zutiefst erniedrigt werden. Ich bin deiner Liebe nicht würdig, denn ich weiß, ich bin ein Stück Scheiße. Ich flehe dich an. Komm morgen früh her und demütige mich. Behandle mich wie den Abfall, der ich bin.«
Es wurde erbärmlich. »Nein. Hab’s doch schon gesagt, ich kann nich’.«
»Ich muss beschimpft werden. Ich muss herabgesetzt werden. Bitte, Liebster.«
»Nein!«
»Ich zahle dir hundert Dollar ...«
»Ich komm. Wann?«
»Gott sei Dank!« Ein weiteres Schniefen, dann etwas, das nach einem Freudenschrei klang. »Komm um neun. Und ... Jiff?«
Jiff versuchte, sich das Programm des Home-Shopping-Senders anzusehen. »Ja?«
»Es muss ... wirklich schlimm sein. Weil ich wirklich schlimm gewesen bin. Ich bin deiner Liebe so unwürdig, dass ich wie gemeiner Abschaum behandelt werden muss, verstehst du?«
Jiff schwenkte eine Hand. »Hab’s kapiert, J. G.«, hätte er beinahe gebrüllt. Allmählich hasste er den jämmerlichen fetten alten Mann und dessen masochistisch-abartigen Spiele, aber ...
Hundert Dollar?
»Keine Sorge. Ich werd dich überraschen. Geh jetzt ins Bett, ich bin gegen neun da.«
»Ich liebe ...«
Jiff legte auf. Wenigstens lief das Geschäft immer besser. Er hatte an diesem Tag über hundert Dollar allein in der Bar verdient; mit den weiteren hundert Dollar morgen für eine einzige Nummer mit Sute würde sich eine tolle Woche ergeben. Die Dinge hätten wirklich schlechter stehen können.
Es war kurz vor Mitternacht. Jiff raffte sich auf und verließ das Zimmer. Er musste noch die Aschenbecher leeren, die Mülltonnen draußen überprüfen und anschließend eine letzte Runde drehen, um zu sehen, ob alle Fenster geschlossen waren, bevor er ins Bett gehen konnte. Als er an Lotties Zimmer vorbeikam, vermeinte er, ihr Bett quietschen zu hören. Klingt, als ob sie’s schon wieder mit ihrem Kissen treibt, befand Jiff.
Sein nächster Gedanke bereitete ihm Kopfzerbrechen. Sute will’s morgen besonders hart. Aber Jiff konnte sich nicht vorstellen, wie. Es blieb seiner Kreativität überlassen, und so sehr ihn das nervte ...
Hundert Mücken sind ’ne hübsche Stange Geld.
Jiff wusste, dass er sich etwas Heftiges ausdenken musste.
Als er den Trakt verließ, bemerkte er den hellbraunen Hund nicht, der am anderen Ende des Flurs umherschnupperte.
II
Collier kehrte in eine leere und kaum beleuchtete Eingangshalle zurück. Verdammt, mir war nicht bewusst, dass es schon so spät ist. Zunächst verspürte er Lust, sich die Vitrinen ein wenig ausführlicher anzusehen, dann jedoch überlegte er es sich anders. Im muss sofort ins Bett, erinnerte er sich. Ich muss morgen um halb acht früh zur KIRCHE ... Er konnte es immer noch kaum glauben. Ich steh unter dem Pantoffel einer Frau, die nie mit mir ins Bett gehen wird. Collier dachte intensiv darüber nach, fühlte sich danach allerdings unverändert.
Er freute sich aufrichtig darauf, Dominique wiederzusehen.
Mittlerweile wirkte der Vorfall auf der Bank absurd, und er hätte beinahe laut aufgelacht. War echt ein kluger Schachzug von mir. Ideal, um sie so richtig zu beeindrucken. Doch seine Nerven fühlten sich nach wie vor an, als würden sie vibrieren, weil er ihr so nah gewesen war. Er konnte immer noch ihr Haar riechen, den sauberen Schweiß schmecken, den er von ihrer Haut lecken durfte ...
Gott ...
Collier ließ Mrs. Butlers Autoschlüssel hinter der Rezeption. Gedanklich vormerken: NIE wieder ihren Wagen leihen. Er würde am nächsten Morgen zu Fuß zur Kirche gehen. Collier wollte gerade die Treppe hinaufsteigen, da fiel ihm zum ersten Mal eine Vitrine auf – ein länglicher, hochkantiger Glaskasten, beinahe so groß wie er. Darin befand sich ein Kleid in sattem Burgunderrot aus einem Material, das beinahe wie Samt aussah. Ballkleid mit Mieder und Turnüre, verriet ihm ein Schild. Getragen von Mrs. Penelope Gast. Collier trat einen Schritt zurück, um es zu betrachten wie ein Gemälde. Sie hat das getragen, ging ihm durch den Kopf. Vor hundertfünfzig Jahren stand sie in Fleisch und Blut mit diesem Kleid in diesem Haus ... die Ehefrau eines wahnsinnigen Mörders. Der Gedanke verursachte ihm Gänsehaut.
Mrs. Gast. Mrs. ... Pinkel ...
Nervös entfernte er sich, bemerkte dabei jedoch einen wesentlich kleineren Schaukasten, der an der Treppenwand hing. Darin befand sich eine grobe Zange neben einem alten Hut. Er las das Schild. Handgeschmiedete Eisenkühlzange – 1861 – und offizieller Uniformhut 1858 aus dem Besitz von R. Harding, dem Familienschmied.
Collier erinnerte sich an Dominiques Geschichte, an den mitternächtlichen Schmied mit dem Schlapphut. Das ist er, dachte er, während er den Hut betrachtete. Falls der Kerl, den sie gesehen hat, wirklich ein Geist war ... hat er diesen Hut getragen. Derselbe Bursche, der die Schere aus der anderen Vitrine angefertigt hat ...
Ein weiterer Schauder ergriff ihn, als er die Treppe hinauflief. Ihm war nicht aufgefallen, dass die »Klammern für unartige Mädchen« aus dem anderen Schaukasten mittlerweile fehlten.
Der Boden oben knarrte bei jedem zweiten Schritt. Einige an der Wand montierte, elektrische Kerzen stellten die einzige Beleuchtung des Treppenflurs dar. Hatte er gerade gehört, wie irgendwo leise eine Tür geschlossen wurde? Collier spähte durch das verschwommene Dunkel. Als er Zimmer zwei passierte, konnte er nicht anders – er bückte sich, um am Schlüsselloch zu schnuppern, nahm jedoch nichts wahr. Dann betrat er rasch sein Zimmer und verriegelte die Tür.
Warum bin ich heute Nacht so ängstlich?
Natürlich lag es an Dominiques Geschichte und der Kraft der Suggestion, die jeden verfolgen musste, der sie gehört hatte. Etwas in dem Haus braute sich zusammen wie ein namenloser übersinnlicher Rückstand, und Collier nahm es wahr wie ein Empfänger.
Als er sich auszog und das Licht ausschaltete, trat er aus einer Eingebung heraus zu den Vorhängen der Balkontür. Er schaute zur alten Schmiede hinaus, die im schwindenden Mondlicht mehr wie ein Haufen Steine aussah.
Kaum lag er im Bett, kam der Schlaf. Gott, bin ich müde. Als er jedoch einzudösen versuchte, drängten sich Bilder von Dominique in seine Gedanken – ihre Augen im Mondlicht, ihre nackten, glänzenden Beine, ihre steifen Nippel unter dem dünnen Stoff, in den er einen großen, nassen Kreis geleckt hatte. Schlagartig richtete sich sein Glied auf, aber er brüllte es an: Nein!
Collier dachte an Dominiques Willenskraft – ihre völlige Enthaltsamkeit – und anschließend an seine eigene, kaum vorhandene. Er beschloss, Dominique nicht zu benutzen, um seine Lust zu befriedigen. Wieder meldete sich die Stimme seines Alter Ego zu Wort: Du hast sie so scharf gemacht, dass sie sich jetzt gerade mit den Füßen in der Luft einen Fünfundzwanzig-Zentimeter-Dildo reinschiebt, du Arschloch!
Irgendwie zweifelte Collier daran und verdrängte die Stimme.
Oder sie schiebt gerade mit einem anderen Kerl eine Nummer, weil du zu wenig Eier dafür in der Hose hast ...
Lächelnd schüttelte Collier den Kopf.
Er versank in tiefem Schlaf und begann sofort zu träumen. Bitte lass mich von ihr träumen ... Stattdessen träumte er davon, ausgestreckt in einer lichtlosen Leere zu liegen; Finsternis umhüllte ihn wie dicke Lagen pechschwarzer Baumwolle.
Keine Sexträume heute Nacht, flehte er im Traum sein Gehirn an.
Denn er wusste, dass es sich um einen Traum handelte.
Er träumte, dass jemand durch sein Schlüsselloch spähte ...
Wer war es? Und was sah derjenige?
Die Schwärze dauerte an. Eine weiche Hand strich über seine Brust. Scheiße ... Seine Lust kannte kein Mitleid, nicht einmal im Schlaf. Sie haftete an ihm wie ein Weinfleck auf weißem Leinen. Ein weiteres Paar Hände legte sich auf ihn. Eine Hand rieb die andere Seite seiner Brust, die zweite wanderte langsam auf seinen Schritt zu. Seine Hüften wanden sich, aber er konnte sich – natürlich – nicht rühren, als sich die Hände sanft an ihm zu schaffen machten. Es war, als knieten zwei Frauen neben ihm, eine auf jeder Seite, um ihn zu liebkosen.
Sogar sein Traum stachelte ihn dazu an, zu masturbieren. Aber warum nicht mit Bildern von Dominique? War Dominique eine der Frauen? Und falls ja, wer mochte die andere sein?
Schließlich zogen sich die Hände und auch Zungen zurück.
Hörte er ein Kichern?
Erst da kam ihm zu Bewusstsein, wie klein sich die Hände an seinem Körper angefühlt hatten ...
Ein munteres Pfeifen ertönte, dann flüsterte der südliche Akzent eines Mädchens durch die völlige Schwärze: »Hierher! Komm, komm! Hierher!«
Das Bett raschelte ein wenig, dann begann jemand, gierig, wild und unablässig sein Gesicht abzulecken ...
Wieder ein Kichern.
Eine Stimme zu seiner Rechten: »Sieh nur, wie er sich ins Zeug legt! Braver Junge!«
Eine Stimme zu seiner Linken: »Leck ihn nicht da, Nergie! Leck ihn da unten!«
»Was für ein unanständiger Hund!«
Das ist kein Traum!, tobte Colliers Verstand. Mühsam setzte er sich auf, streckte die Hände durch die Dunkelheit aus und stieß zwei Gestalten, die er nicht sehen konnte, vom Bett weg. Seine Beine traten aus, und seine Fersen schleuderten etwas Mageres, Haariges von der Matratze. Nach einem dumpfen Aufprall vernahm er das Jaulen eines Hundes.
Er schaltete die Lampe am Bett ein ...
Das Zimmer präsentierte sich leer, aber ...
Verdammte Scheiße!
Die Tür war angelehnt.
»Ich weiß, dass ich abgeschlossen habe!«, rief er. Ohne sich darum zu kümmern, dass er nackt war, stand er auf, schloss die Tür und verriegelte sie. »Ich bin ganz sicher, dass ich abgeschlossen habe ...«
Aber hatte er das wirklich?
Verdammt. Collier setzte sich auf die Bettkante. Er betastete sein Gesicht und seine Brust. Natürlich fehlte jede Spur von Feuchtigkeit.
Ich muss weg aus diesem Haus ...
In jenem Moment wünschte Collier, er würde rauchen, weil es der perfekte Zeitpunkt für eine Zigarette zu sein schien. Soll ich verschwinden? Soll ich einfach sofort die Koffer packen und abhauen? Aber er hatte noch kaum an seinem Buch gearbeitet. Und wohin sollte er um diese Uhrzeit? Außerdem musste er seine Rechnung zahlen.
... klopf ... klopf ... klopf ...
Seine Augen weiteten sich jäh. Er schaute zur Tür, doch ...
... klopf ... klopf ... klopf ...
Das leise Klopfgeräusch stammte von der anderen Seite des Zimmers.
Was, zum HENKER, ist jetzt schon wieder los?
... klopf ... klopf ... klopf ...
Es kam von der Wand. Einer tiefliegenden Stelle an der Wand.
Trotz der brennenden Lichter konnte er das Guckloch erkennen.
Collier schaltete die Lampe aus und ertappte sich dabei, an der Wand hinzuknien. Aus dem Loch drang Helligkeit.
Er spähte hindurch.
Collier erkannte auf Anhieb, dass die geschmeidige Gestalt, die in der Sitzwanne Platz genommen hatte, Lottie gehörte. Der Kreis des Lochs rahmte ihre gespreizten Oberschenkel, ihren Bauch und ihre strammen, pfirsichgroßen Brüste ein. Oh Gott ...
Die Hüften der seltsamen jungen Frau wanden sich im Wasser, während ihre Hand voller Intensität an ihrem Geschlecht spielte.
Colliers Zähne klapperten; er beobachtete sie etliche Minuten, obwohl ihm dabei durch den Kopf ging: Sie weiß, dass ich zusehe. Sie WILL, dass ich zusehe ...
Seine Hand senkte sich auf sein Glied. Diesmal nicht, dachte er und zuckte zusammen. Dann wurden seine Züge ausdruckslos, als er sich ausmalte, was Dominique von ihm halten würde, wenn sie wüsste, was er gerade tat, kurz davor, zu masturbieren, während er eine durchgeknallte Exhibitionistin beobachtete.
Sie würde mich für Abschaum halten.
Mit einem Seufzen entfernte sich Collier von dem Loch. Ein Irrenhaus, dachte er. Ein Haus voll von sexbesessenen Verrückten ... Doch löste das sein aktuelles Dilemma? Hatte Lottie sein Zimmer mit einem Zentralschlüssel betreten und ihn betatscht, bevor sie sich ins Badezimmer geschlichen hatte? An sich ergab das durchaus Sinn, nur ...
An mir waren vier Hände ...
Und was konnte seine letzte Feststellung erklären – nämlich die, dass etwas, das nur ein Hund sein konnte, sein Gesicht, seine Brust und beinahe auch eine tiefer gelegene Region geleckt hatte?
Collier verharrte mehrere Minuten auf den Knien und hörte zuerst, wie Lottie offensichtlich einen Orgasmus erlebte, dann, wie das Sitzbad geleert wurde und sich die Tür mit einem Klicken schloss. Kurz danach und wenig überraschend ...
... klopf ... klopf ... klopf ...
Nun kam das Geräusch von der Tür.
»Lass mich in Ruhe, Lottie«, erhob er die Stimme. »Geh ins Bett.«
... klopf ... klopf ... klopf ...
Reagier nicht darauf.
Collier fühlte sich dort auf dem Boden in der Finsternis lächerlich. Er versteckte sich in seinem eigenen Zimmer. Allerdings wusste er, was geschehen würde, wenn er sie hereinließe.
Nach einigen weiteren Klopflauten verstand sie seine Botschaft offenbar. Er hörte, wie sich ihre Schritte entfernten.
Du bist echt der Mann des Jahres, was?, beschwerte sich sein Alter Ego. Was für ein KERL weist eine geile Frau zurück?
Collier antwortete der Stimme nicht.
Klatsch!
Mit einem Ruck hob Collier den Kopf. Der Laut, den er gerade vernommen hatte ... war von der anderen Seite der Wand gekommen. Aus dem Badezimmer.
War Lottie zurückgekehrt, um ihn mit weiteren Zurschaustellungen ihres Körpers erneut in Versuchung zu führen?
Dann ein anderes Geräusch – ein hektisches Gurgeln ...
Collier schaute wieder durch das Guckloch.
Ein dunkler Schemen durchquerte sein schmales Blickfeld. Das gurgelnde Geräusch setzte sich fort, wurde lauter und verstummte dann. Als sich die Gestalt wieder entfernte, blinzelte Collier und vermeinte in jenem Moment, einen Mann zu sehen ... mit dem Kopf in der Sitzbadewanne ...
Unmöglich!, brüllte er in Gedanken.
Ein weiteres Blinzeln, und er vernahm ein wildes Nagen.
Collier löste das Auge mit einem Ruck von dem Guckloch, holte mehrmals tief Luft und starrte in die Dunkelheit. Schließlich sprang er auf, streifte seinen Bademantel über und stürmte aus seinem Zimmer zur Badezimmertür.
Mit der Hand am Knauf hielt er inne.
Ich weiß, dass niemand im Raum sein wird, wenn ich diese Tür öffne.
Er tat es und fand das kleine Zimmer verwaist vor.
Ein Irrenhaus, ging ihm erneut durch den Kopf.
Collier kehrte in sein Zimmer zurück und legte sich wieder ins Bett, angewidert, erschöpft und nicht mehr in der Lage, über den gerade geschehenen Irrsinn nachzudenken.
Einfach nur schlafen. Ich muss morgen zur Kirche ...
Müdigkeit und Unbehagen zogen ihn in einen tiefen Schlaf ...
III
Als die Sonne untergeht, bemerkst du den Mann, der an dem Strick um seinen Hals dort baumelt. Das ist das Erste, was du gesehen hast, als du am Fuß des Hügels um die Ecke gebogen bist ...
Dann blinzelst du und bist wieder ein kleines Mädchen.
Dein Geist wurde übertragen. Dein Name ist Harriet, und das weißt du, weil du ihn im Tagebuch deiner Mutter gelesen hast, das du nach ihrem Tod fünf Jahre lang aufbewahrt hast. Du erinnerst dich: Als du sieben warst, bist du vom Boysenbeerenpflücken im Wald zurückgekommen und hast gesehen, wie Indianer deiner Mutter die Kleider vom Leib rissen. Sie schrie, und die Indianer legten sich abwechselnd auf sie und machten merkwürdige Bewegungen. Sie hackten ihr mit einem großen Streithammer die Schädeldecke weg, dann lösten sie ihren Skalp. Du hattest entsetzliche Angst, aber du wusstest, dass du ganz leise sein musstest. Du hast dich nach deinem Vater umgesehen, aber bald festgestellt, dass die Indianer mit ihm dasselbe gemacht hatten. Danach schnitt ein Indianer deinem Vater sein Ding ab und befestigte es an einer Schnur um seinen Hals; an der Schnur hingen auch die Dinger anderer Männer. Ein weiterer Indianer hatte ein gekrümmtes französisches Messer – du hast gewusst, dass es ein französisches Messer war, weil dein Vater auch so eines hatte. Er hat dir einst erzählt, dass er es von seinem Vater bekommen hat, der in einem Krieg vor langer Zeit viele Indianer getötet hatte. In diesem Krieg gaben französische Soldaten den Indianern große Mengen solcher Messer und bezahlten sie für Körperteile, die sie den Kolonisten abschnitten. Jedenfalls benutzte dieser Indianer das Messer, um die Haare zwischen den Beinen deiner Mutter zusammen mit der Haut abzuschneiden, bevor er beides in einen Beutel steckte.
Dann brannten die Indianer das Lager nieder. Dich haben sie nie erwischt.
Du warst damals an einem Ort namens Ohio-Territorium, und es geschah im Jahr 1847. Du dachtest, du würdest in jenem Winter erfrieren, aber einige Bundessoldaten fanden dich und nahmen dich mit. Sie brachten dich nach Süden. Du hast in einem Versorgungswagen gelebt, und deine Aufgabe bestand darin, die Kleider der Soldaten zu waschen. Außerdem kamen sie nachts alle in den Wagen, um sich abwechselnd auf dich zu legen und so komisch zu bewegen wie die Indianer auf deiner Mutter.
So lief es. Du hast dich an diesen Teil gewöhnt. Die Soldaten haben immer entsetzlich gestunken, aber sie gaben dir Essen und ließen dich die meiste Zeit in Ruhe. Im Frühling trafen sie in einem Armeestützpunkt namens Camp Roan in Tennessee ein.
Dort hast du mit vielen Kindern zusammengelebt, deren Eltern bei verschiedenen Indianerkriegen getötet worden oder an Krankheiten gestorben waren. Vorwiegend verwitwete Frauen zeigten dir, wie man näht, kocht, gerbt und andere Arbeiten verrichtet, die im Lager benötigt wurden. Außerdem brachten dir diese Frauen das Lesen bei. Danach konntest du im Tagebuch deiner Mutter etwas über deinen Namen lesen. »Walter wollte unser wundervolles Baby Harriet nennen, nach Präsident William Henry Harrison, dem Helden von Tippecanoe. ›Er wird der beste Präsident, den wir je haben werden‹, hat Walter immer gesagt, ›und es wird uns Glück bringen, unsere wunderschöne Tochter nach ihm zu benennen.‹« Zumindest hat dein Glück länger angehalten als das von Präsident Harrison. Er starb im ersten Monat seiner Amtszeit.
Weil es im Lager Kalender gab, wusstest du immer, welcher Tag gerade war. An deinem sechzehnten Geburtstag hast du dich aus dem Lager geschlichen und bist nie zurückgekehrt. Du wurdest ziemlich dürr, weil du dich nur von Wurzeln und Beeren ernährt hast, aber letztlich wurdest du von einem Holzköhler aufgenommen. Er war ein sonderbarer kleiner Mann, der in einer Lehmhütte hauste und fast kein Englisch sprach – er stammte aus einem merkwürdigen Ort namens Deutschland. Du hast für ihn gekocht und seine Kleider genäht, während er die Tage damit verbrachte, Holz zu hacken und es in Holzkohle zu verwandeln, um es an Schmiede zu verkaufen. Er war immer schwarz vor Ruß. Jede Nacht steckte er sein Ding in dich, wie es die Soldaten gemacht hatten, aber er brachte dir auch bei, andere Sachen mit seinem Ding anzustellen, mit dem Mund. Du nimmst an, dass du es wohl sehr gut gemacht hast, weil er dir manchmal Geschenke aus der nahen Ortschaft namens Branch Landing mitbrachte, wo er seine Holzkohle verkaufte. Mehrere Male wurdest du schwanger, allerdings starb das Baby in der Regel in deinem Bauch und kam zu früh heraus, doch einmal überlebte eines, und du warst überglücklich. Zu dem Zeitpunkt wusstest du, dass schwangeren Frauen oft solche Missgeschicke passierten und ein überlebendes Baby ein großes Geschenk war. Du hast dein Baby Henry genannt, nach Präsident William Henry Harrison, aber vielleicht brachte das Pech, denn eine Woche später nahm der Deutsche das Kind in den Ort mit und verkaufte es an ein Paar, das sein eigenes Baby unlängst verloren hatte. Die Leute gaben dem Deutschen dreißig Dollar, einen großen Sack Mehl, eine brandneue Pfanne aus Gusseisen und ein Schwein.
In jener Nacht hast du den Deutschen dafür getötet, dass er dein Baby verkauft hat. Er schlief ein, nachdem du ihn mit dem Mund befriedigt hattest, und du hast ihm mit der Pfanne den Schädel eingeschlagen. Du hast ihn in dem riesigen Aschehaufen verscharrt und das Schwein freigelassen, danach bist du gegangen. Du bist nicht sicher, wie alt du damals warst, aber wahrscheinlich um die neunzehn, denn die Frau eines Trappers, der du auf dem Weg in die Ortschaft begegnet bist, hat dir gesagt, dass es 1859 war.
Du wusstest nicht, wie hübsch du warst. Seit dem Lager hattest du keinen Spiegel mehr gesehen. Als du in der Stadt ankamst, nahm dich eine lustige, dicke Frau namens Bella auf. Du warst dreckig und mit Holzkohlenruß verschmiert. Sie hat dich in einer Wanne gründlich gewaschen und dabei geplappert: »Oh du meine Güte, du musst das hübscheste Ding sein, das je hier hereinspaziert ist!« Es war ein Holzgebäude mit zwei Geschossen – du wusstest damals gar nicht, dass es so etwas gab. Am Eingang hing ein schwingendes Schild mit der Aufschrift Bella’s. Es gab dort eine Menge anderer Mädchen, die nicht besonders glücklich darüber wirkten, dich zu sehen.
Nachdem du dem sonderbaren Deutschen den Schädel eingeschlagen hattest, hast du die dreißig Dollar, die er für Henry bekommen hatte, und weiteres Geld aus seinem Holzkohlenverkauf eingesteckt, aber Bella nahm es dir ab. »Das ist für die Unterkunft und Ausbildung, Liebes«, hat sie zu dir gesagt. »Alle Mädchen müssen zahlen, aber wenn ich dich ansehe, weiß ich sofort, dass du dir den Unterhalt schnell verdienen wirst.« Da hast du erfahren, was ein Freudenhaus ist.
Du hast dort wesentlich mehr gelernt als im Lager. Du hast erfahren, dass es Männer gibt, die hübschen Mädchen Geld dafür bezahlen, ihr Ding in sie stecken zu dürfen. Du hast erfahren, dass man manchmal nicht schwanger wird, wenn man Essig in sich spritzt, nachdem ein Mann sein Ding reingesteckt hat. Du hast erfahren, dass es etwas gibt, das sich Abtreibung nennt und das ein in dir wachsendes Baby tötet, und viele Mädchen machen das, weil sie so mehr Geld im Freudenhaus verdienen können. Im Ort lebt ein Arzt, der das für ein Mädchen tun kann, allerdings muss es geheim bleiben, weil es gegen das Gesetz verstößt.
Außerdem hast du erfahren, dass die Ortschaft nicht mehr Branch Landing heißt, sondern Gast, nach einem groß gewachsenen Mann in feinen Kleidern, der eine Menge Geld in die Stadt mitgebracht hat. Die meisten Männer, die Bellas Haus besuchen, arbeiten für Mr. Gast, und ihnen wird viel Geld bezahlt, weil sie eine Eisenbahn für ihn bauen. Mr. Gast selbst jedoch kommt nie in Bellas Freudenhaus, trotzdem hat er es gebaut, damit seine Männer einen Ort haben, an dem sie ihre Dinger in junge Frauen stecken können.
Die anderen Mädchen mochten dich von Anfang an nicht, und eines Tages hast du herausgefunden, weshalb. »Liegt daran, dass du besser bläst«, hat dir einer der Bahnarbeiter verraten, nachdem du für zwei Dollar genau das für ihn gemacht hast. »Und Scheiße, Mädel, du bist außerdem die hübscheste Hure hier.« Du hast das für ein Kompliment gehalten, und es musste stimmen, denn du scheinst mehr Geld zu verdienen als die anderen Mädchen. Manche Männer bezahlen mehr für ... andere Dinge, zum Beispiel dafür, dir ihr Ding in den Hintern zu schieben. Einmal hat dich ein verrückter Mann mit einem Bart sogar dafür bezahlt, dass du ihn seinen Samen auf deine Füße hast spritzen lassen – dafür hat er dir drei Dollar gegeben! Aber am merkwürdigsten war ein kleiner Mann, der noch eigenartiger aussah als der Deutsche. Er hatte eine Nase aus Gold und trug einen albernen roten Hut. Der bezahlte dich dafür, dass er zusehen durfte, wie du deinen Darm in einen Eimer entleerst. Da kam dir in den Sinn, dass viele, viele Männer wirklich verrückt sind.
Dann wiederum gibt es andere Männer, die schlimm sind ...
»Nimm du ihn, Miststück«, faucht Jane und starrt dich finster an. »Du bist die einzige Hure hier, die gerne bläst. Also geh und blas ihn.«
»Verpiss dich!«
Du willst sie schlagen, aber sie läuft weg.
»Ja, is’ besser, wenn du rennst. Mit zwei blauen Augen würd’ kein Mann für dich zahlen wollen, und die restlichen Zähne werd’ ich dir auch noch ausschlagen!«
»Das reicht, Harriet«, befiehlt Bella vom Samtsofa aus. Sie isst gerade Zuckerbällchen vom Bäcker.
»Ist das der Mann, von dem ich immer wieder hör’?«
Bella zieht nur die Augenbrauen hoch und isst weiter.
»Der, der so fies is’?«
Bella leckt sich die fleischigen Finger. »Oh, Mr. Morris ist ein guter Kunde und bezahlt gut. Er wird nur manchmal ein bisschen grob, aber das hältst du aus. Du bist hart im Nehmen, weil ich dir das beigebracht habe.«
»Ich will ihn nich’«, erklärst du.
Bella müht sich auf die Beine und schlägt dir kräftig ins Gesicht. »Tu, was man dir sagt, Mädchen. Werd bloß nicht hochmütig, nur weil du die beliebteste Hure hier bist. Dazu habe ich dich gemacht, vergiss das nicht. Du hast Mist gefressen und Wasser aus dem Bach getrunken, als ich dich aufgenommen habe. Und an den Tag erinnere ich mich noch gut, Schätzchen – du warst voller Ruß. Das habe ich nie jemandem erzählt, auch nicht, nachdem ich gehört hatte, dass der Holzköhler in dem Aschehaufen in der Nähe von Bethstown gefunden wurde.«
Du gibst auf.
»Willst du mir jetzt weiter frech daherkommen?«
»Nein, Ma’am.«
»Meine Mädchen müssen zuverlässig sein. Ein Haufen von Mr. Gasts Bahnarbeitern ist vor ein paar Tagen zurückgekommen, wir werden also eine Menge Arbeit haben. Ich brauche Mädchen, die arbeiten wollen, verstehst du?«
»Ja, Ma’am.«
»Also geh jetzt da rein und kümmere dich um Mr. Morris.« Sie schenkt dir ein breites, fröhliches Lächeln. »Wahrscheinlich gibt er dir fünf Dollar und braucht bloß fünf Sekunden!«
Du stimmst ein falsches Lachen an, dann steuerst du auf den Wartesalon zu. Unterwegs schaust du in die Speisekammer und siehst Teeta, eine Mulattin. Sie taucht einen Blechbecher in das Fass mit Quellwasser, und sie hat nur eine Hand. »Ich hab gehört, Mr. Gasts Eisenbahn ist fertig«, sagt sie.
»Wirklich?«
»In den nächsten Tagen kommen alle zurück, wir werden also jede Menge Kundschaft haben.«
»Oh. Gut.«
»Ein paar sind schon zurück.«
»Ich weiß. Bella hat’s mir gesagt.«
Die Augen des Mulattenmädchens weiten sich vor Angst. »Ich hab gehört, dass sie alle Sklaven getötet haben, sobald sie fertig waren. Fast hundert. In Maxon.«
»Das kann nich’ stimmen«, erwiderst du.
»Ich hoff’s.«
»Wir hören andauernd Sachen, die gar nich’ wahr sin’. Zum Beispiel, dass die Yankees uns nah kommen. Unsere Jungs versohlen ihnen jedes Mal den Arsch, wenn sie in die Näh’ von Chattanooga kommen. Also glaub nich’ alles, was du hörst, Teeta.«
Die junge Frau lächelt verhalten, dann geht sie, nachdem sie sich eine Glasflasche mit Essig genommen hat. Da sie jetzt weg ist, kannst du den Kalender an der Wand sehen. Dir fällt auf, dass der 3. Mai 1862 ist.
»Oh ja, hab schon von dir gehört.« Die Stimme scheint die Luft zu zermahlen, als du den Wartesalon betrittst. »Wird Zeit, dass ich dich mal ausprobier’.«
Du lächelst und schlägst die Augen nieder, taumelst vor plötzlicher Übelkeit. Der Mann sitzt mit gespreizten Beinen in einer Segeltuchhose da und trägt einen abgewetzten Hut. Zwischen fauligen Zähnen funkeln mehrere andere aus Gold.
»Endlich sin’ wir zurück. Fünf Jahr’ harte Arbeit, und die letzten vier davon war ich nur einmal im Monat zu Haus’. Obendrein haben ich und ’n paar der Jungs die letzten paar Tag’ oben beim Haus geschuftet, Löcher gegraben und so. Ich brauch echt Entspannung.« Er mustert dich eingehender. »Du arbeitest noch kein Jahr für Bella, oder?«
»Ungefähr so lang, Sir.« Du ergreifst seine raue Hand und führst ihn durch die roten Vorhänge zum Flur. Sofort fällt dir auf, dass seine Hände körnig vor Erde sind.
»Und ’n mächtig hübschen Arsch hast du.«
Dir fällt keine Erwiderung ein. Eine seiner Hände begrapscht deinen Hintern, als du ihn in dein Zimmer führst. Durch einen kurzen, schmuddeligen Bart ist sein Gesicht schwer zu beschreiben, aber du bemerkst ... etwas ...
Vielleicht liegt es nur am Licht im Raum, aber seine Augen wirken gelb wie ein Pissefleck auf einem weißen Bettlaken.
Noch bevor die Tür geschlossen ist, wandern seine Hände dein Kleid hinauf und reißen es dir vom Leib. Finger wie Feuersteine betasten die empfindlichen Hautfalten zwischen deinen Beinen.
»Ja, das is’ auch richtig fein ...«
Schließlich sprichst du, als er dich über die Liege beugt. »En... Entschuldigung, Sir, aber Sie müssen ... müssen mir zuerst sagen, was Sie wollen, und mich bezahlen ...«
Eine Zehn-Dollar-Goldmünze fällt zu Boden, dreht sich auf dem Rand und landet mit der Zahl oben. Ein Teil von dir könnte vor Freude jauchzen – dir wurde noch nie so viel für nur eine Nummer mit einem Mann bezahlt. Dann jedoch sinkt dein Mut, weil du weißt, dass es dich dieser Morris schwer verdienen lassen wird. Unwillkürlich fällt dir das lange Messer samt Scheide an seiner Hüfte auf.
»Sir, danke ...«
Die Knöchel einer Faust treffen deinen Hinterkopf. »Halt’s Maul«, raunt er und betastet dein Geschlecht weiter wie ein Bäcker, der Teig knetet. Seine Hose ist bereits unten.
Du willst gar nicht daran denken, was er mit dir machen wird. Oh Gott, bitte, lass ihn bald fertig sein, flehst du in Gedanken unablässig.
Eine halbe Stunde später sinkst du zu Boden.
»So. War gar nich’ so schlimm, was, Süße?«
Mit trübem Blick schaust du auf und siehst ihn auf dem Sofa sitzen, die Hose immer noch offen. Der Geschmack in deinem Mund vermischt sich mit dem Geruch, der von deinen Lippen ausgeht. Er ist so widerwärtig, dass er geradezu böse wirkt, und genauso schlimm wie der Gestank, der von seinem nackten Schritt zu dir weht. Auf der Armlehne des Sofas liegt ein hübscher Baumwollkittel, an dem du gearbeitet hast; er ist ungefähr halb fertig. Am liebsten würdest du aufheulen, als er ihn ergreift, sich damit abwischt und ihn dann zu Boden fallen lässt. Er zwinkert dir zu und zündet sich eine lange, dünne Zigarre an, die wie brennender Müll riecht.
»Komm rauf hier, meine Hübsche. Ich will was haben für mein Geld.«
Du erinnerst dich an die Zehn-Dollar-Münze und sagst dir, dass sie es wert ist.
»Viel Zeit hab ich nich’ mehr«, meint er und hört sich dabei irgendwie zerstreut an.
Zögernd setzt du dich neben ihn. »Wie bitte, Sir?«
Seine gelben Augen starren ins Leere, dann jedoch lächelt er wieder. »Muss bald zurück zum Haus. Hab dort noch was für Mr. Gast zu erledigen. Er is’ schon weg, aber er vertraut drauf, dass ich und ’n paar andere das tun, was er will.«
»Er hat die Stadt verlassen? Ich hab gehört, dass er grad erst zurückgekommen ist ...«
»Weißte, nur wichtige Männer werden eingeladen, was für ihn zu tun. Männer wie ich.« Langsam heftet sich der Blick seiner gelben Augen auf dich. »Glaubste das? Glaubste, dass ich ’n wichtiger Mann bin?«
Mittlerweile hört er sich sehr seltsam an. Du weißt, dass du dich bei ihm einschmeicheln musst. »Oh ja, Sir, und ob. Soweit ich weiß, sin’ Sie einer von Mr. Gasts wichtigsten Vorarbeitern.«
»Ja ...« Er nickt. »Ja, das stimmt.« Dann wird sein trüber Blick klar. »Magste mich? Ich mein, magste meine Gesellschaft?«
Dich schaudert. »Oh ja, Sir. Sie sin’ ein sehr gut aussehender und wilder Mann.«
»Also, mir is’ schon klar, dass ich dich ’n bisschen hart rangenommen hab. Wahrscheinlich haste genug, oder?«
Du bist unsicher, wie du ihn einschätzen sollst. Dir fällt keine Erwiderung ein. Du weißt, dass er sehr, sehr gewalttätig sein kann. »Nur, wenn Sie finden, dass Sie genug für Ihr Geld gekriegt haben, Sir ...«
Er blinzelt. »Hm. Ja. Ich schätze, das hab ich. Aber ... du hast gesagt, dass du meine Gesellschaft magst ...«
Es wird immer merkwürdiger. Das gefällt dir ganz und gar nicht.
»Also ... ich sag dir was: Ich überlass es dir. Wennste willst, dass ich noch ’n bisschen bleib, dann tu ich’s. Wennste lieber willst, dass ich jetzt geh, dann geh ich.«
Er führt etwas im Schilde, das spürst du. Dir ist klar, dass deine nächste Antwort sehr, sehr wichtig ist. Wenn ich ihn bitte, zu gehen, dann schlägt er mich und nimmt die Zehn-Dollar-Münze mit, das weiß ich einfach ...
»Also, Sir, ich hätt’ gern, dass Sie ... noch ’n bisschen bleiben ...«
Der Mann zuckt mit den Schultern, dann grinst er. »Wie du willst, Schätzchen.« Und dann ...
Klatsch!
... rammt er dir die offene Hand gegen den Hals und schleudert dich vom Sofa zu Boden. Er bewegt sich blitzschnell und drückt dich nieder. Ein Knie presst gegen deine Kehle, das andere gegen deinen Bauch.
»Ich erfüll’ ’ner Dame ja immer gern ihre Wünsche«, sagt er. Dann lacht er so laut und unheilvoll, dass du findest, es hört sich mehr wie ein Jaulen aus der Hölle an. »Rühr dich nich’«, warnt er dich. »Damit ich dir nich’ ’n Kehlkopf eindrücken muss.« Also liegst du vollkommen still und atmest flach durch die Nase, während sich der Druck seines Knies auf deine Kehle verstärkt. Dann ...
Zisch!
Er zieht dieses lange Messer aus der Scheide. »Damit hab ich schon ’n Haufen Frauen gehäutet und jede Menge Ohren und Titten abgeschnitten. Hauptsächlich bei Indianerinnen. Wer so hart wie ich schuftet, braucht ’n bisschen Spaß.« Die Spitze der Klinge wandert deinen Oberschenkel entlang. »Macht dir das Angst?«
»Ja, tut es, Sir.« Du presst die Worte hervor.
»Ich mag ehrliche Weiber«, sagt er, dann lacht er und steckt das Messer zurück in die Scheide. »Mach dir mal keine Sorgen – du bist zu hübsch zum Zerschneiden. Aber wer andrer wird die Klinge echt bald zu spüren kriegen. Und jetzt ... lass uns mal diese Zitzen anschauen«, raunt er und zieht dir mit einem Ruck die zerknitterte Bluse nach unten. Nackte Angst lässt deine Brüste erzittern. Seine Hand spielt mit einer davon; dann fangen seine Finger an, den Nippel zu quetschen. Mit zu Schlitzen verengten Augen schaust du auf und siehst, wie der Rauch seiner Zigarre gleich einer bösen Aura um seinen Kopf wabert.
»Soll ich ’n bisschen Feuer in deinen Tag bringen, meine Hübsche, hm?« Sein Zeigefinger und Daumen drücken die Spitze deiner Brustwarze, bis es schmerzt. Dann sagt er: »Was haben wir ’n da ... ah, perfekt.« Aber du kannst nicht sehen, wonach er greift ... »Schau mal. Meinste, das macht dir Feuer unterm Hintern?«
Du erkennst, dass er mit der anderen Hand eine lange Nähnadel aus dem Nadelkissen auf dem Beistelltisch gezogen hat.
»Oh mein Gott, bitte, Mr. Morris, ich fleh sie an, tun Sie das nich’ ...«
Er steckt die Nadel mitten hinein in die gequetschte Spitze deiner Brustwarze, und der Laut, der aus deiner Kehle kommt, klingt wie das schrille Kreischen eines Tieres. Dein Körper bäumt sich unter seinem Gewicht auf, während du zusiehst, wie die gesamte, über fünf Zentimeter lange Nadel in deiner Brust verschwindet.
Das Kreischen strömt aus deiner Kehle wie ein Band. »Was denn?«, fragt er. »Tut’s weh? Ooooooh ... tut mir leid.«
Er zieht die Nadel heraus, und dein Körper erschlafft.
»Weißte, manche Weiber stehen auf ’n bisschen Feuer ... aber ich schätz’, du wohl nich’.«
Du atmest so schnell, dass du ihn kaum verstehen kannst. Sein Gesicht zeichnet sich durch deine Tränen verschwommen vor dir ab.
»Muss dann mal los. Hab’s dir ja gesagt, hab oben im Haus noch’s eine oder andre zu erledigen ...«
Bitte geh! Bitte, bitte, bitte!
Aber wenn er geht ... warum hält er dann immer noch deinen Nippel zwischen zwei Fingern fest?
Mit einem letzten Grinsen meint er: »Schätzchen, biste nich’ froh, dass du mich gebeten hast, noch zu bleiben?« Damit hält er das brennende Ende seiner Zigarre an deine Brustwarze und beginnt, zu paffen.
Du versinkst in der jähen Welle unsäglicher Qualen, dann wird alles um dich herum schwarz.
Als du erwachst, ist es im Zimmer dunkler. Deine linke Brustwarze brennt vor träge pochenden Schmerzen. Du brauchst nicht lange, um dich daran zu erinnern, was geschehen ist.
»Wenigstens is’ er weg«, flüsterst du erleichtert.
Die Spitze deiner Brustwarze ist unter einem Schorf entzündet. Behutsam bedeckst du deinen Busen und sammelst dich, dann kriechst du um das Sofa herum dorthin, wo er deine Zehn-Dollar-Münze fallen gelassen hat.
Sie ist nicht mehr da.
Du rast aus dem Zimmer. So wütend bist du nicht mehr gewesen, seit der Deutsche dein Baby verkauft hat. Als du in den Salon stürmst, schaut Bella überrascht von einem Teller voll Pralinen auf.
»Aber ... Harriet! Was ...«
»Dieser Scheißkerl hat mir ’n Nippel verbrannt und mein Geld gestohlen!«, heulst du. »Hast du ’ne Pistole, die ich mir leihen kann?«
»Beruhige dich, Liebes! Du meine Güte, du wirst niemanden erschießen. Setz dich erst mal und ...«
»Nein! Ich hol mein Geld!«
»Harriet? Schätzchen? Hör mir jetzt gut zu. Du musst dich damit abfinden, dass solche Dinge einem Mädchen mit diesem Beruf manchmal passieren. Hin und wieder werden wir ausgenutzt und ...«
»Ich hab mir dieses Geld verdient, und ich werd’s mir holen!«, schreist du.
»Ruhig jetzt! Leg dich bloß nicht mit diesem Mr. Morris an, Mädchen! Er ist verrückt! Viele der Bahnarbeiter springen entsetzlich rau mit den Frauen um, aber er ist der Schlimmste von allen. Er wird dich umbringen ...«
»Er kann’s ja probieren!«, brüllst du und stürmst aus dem Haus.
Bella ruft dir nach, aber du hörst ihr nicht zu. Stattdessen läufst du den Hügel hinauf ...
Zum Haus der Gasts.
Deine Wut lässt dich hinaufrennen, aber allmählich wirst du langsamer, und schließlich bleibst du stehen, denn du bemerkst den Mann, der an einem Strick um seinen Hals vom größten Baum auf dem Vorhof baumelt.
Der Strick knarrt, während sich die fein gekleidete Leiche langsam dreht. Du siehst, dass es Mr. Gast ist.
Mein ... Gott ...
Du weichst zurück, denn es scheint beinahe so zu sein, dass sich der Leichnam aus eigenem Willen dreht, um dich anzustarren. In Mr. Gasts Gesicht prangt ein totes Grinsen, und hinter den Schlitzen seiner Lider erkennst du Gelb. Ein grausiger Gedanke jagt dir einen Schauder über den Rücken – der Gedanke, dass sich diese gelben Augen jäh öffnen werden und der Mann zu lachen anfängt ...
Die sinkende Sonne taucht den Hof in düsteres Licht, das wie geschmolzen wirkt. Du hörst ein Schnuppergeräusch und bemerkst mehrere streunende Hunde, die in einigen Büschen umherschnüffeln. Flüchtig streicht ein Schatten über dein Gesicht. Noch immer zurückweichend schaust du auf und siehst einen einsamen Raben, der lautlos über dir hinwegschwebt.
»Oh!«, stößt du hervor und drehst dich gerade noch rechtzeitig um, dass du nicht fällst. Du bist immer weiter vor der Leiche zurückgewichen und siehst nun, dass du um ein Haar in ein Loch gestürzt wärst.
Im Hof ist ein tiefer Graben ausgehoben worden, knapp zwei Meter lang und ungefähr genauso tief. Ein Grab?, fragst du dich. Jedenfalls weißt du, dass dieses Loch erst unlängst gebuddelt wurde, weil die aufgewühlte Erde noch frisch ist und mehrere Schaufeln herumliegen. Dir fällt die frische Erde an Mr. Morris’ Händen und seine Erwähnung ein, dass er etwas gegraben hat. Konnte er derjenige gewesen sein, der das Loch ausgehoben hat?
»Herr Jesus Christus im Himmel!«, ertönt eine Stimme so unvermittelt wie ein Pistolenschuss. »Mr. Gast hat sich aufgehängt!«
»Oh Scheiße!«, dröhnt eine andere.
»Sieht so aus, als baumelt er da schon ein paar Tage ...«
Mehrere Bewohner der Ortschaft rennen auf das Haus zu, und du erkennst, dass einer davon der Marschall ist. Er starrt dich finster an und zeigt mit dem Finger auf dich. »Du da! Hast du gesehen, was hier passiert ist?«
»N-Nein, Sir ...«
»Was ist das für ein Loch?«
»Ich weiß es nich’, Marschall Braden ...«
Etwas wie ein Erkennen leuchtet in seinen Augen auf. »Du bist eine von Bellas Huren, oder?«
»Ja, Sir«, antwortest du sofort. »Und ich bin hier, weil mir ein Mann da drin Geld schuldet.«
»Vergiss dein Geld und komm mit, um uns zu helfen!«, befiehlt er, und du tust, was er dir sagt.
Du folgst ihm und einem anderen Mann in das Haus. »Seine Frau und seine Kinder hat seit Tagen niemand mehr gesehen. Mädchen, du siehst oben nach, und wir ...« Aber der andere Mann stöhnt bereits.
»Marschall, hier drin. Das werden Sie nicht glauben ...«
Im Arbeitszimmer sitzen zwei Männer auf messingbeschlagenen Lehnsesseln. Beide grinsen, rühren sich aber nicht.
»Das is’ Mr. Morris«, stößt du hervor.
In seiner Hand ist das lange Messer, das dir in Bellas Freudenhaus aufgefallen ist, und es ist unübersehbar, wofür er es benutzt hat: um sich selbst die Kehle von einem Ohr zum anderen aufzuschlitzen. Eine Welle von Blut ist ihm über die Brust geströmt und hat sich auf dem Boden in einer Lache gesammelt.
Der andere Mann ist älter und hat einen langen Schnurrbart. Seitlich fehlt ihm der halbe Kopf. Von seinen Fingern baumelt eine Pistole.
»Was in Gottes Namen ist hier passiert?«, murmelt der Marschall.
»Sieht aus, als hätten sich beide selbst umgebracht, wie Mr. Gast ...«
»Wir müssen Mrs. Gast und ihre zwei Kinder finden. Und wo ist dieses verfluchte Hausmädchen?« Wieder zeigt der Marschall auf dich. »Nach oben! Gib Laut, wenn du was findest«, fordert er dich auf, dann stapfen beide Männer durch das Zimmer in den hinteren Teil des Hauses.
Du aber bleibst und starrst weiter Mr. Morris an. Ein Teil von dir will seine Taschen durchwühlen, um dein Geld zurückzuholen, doch du weißt, das kannst du nicht tun. Du weißt, wenn du es tätest, würde er die Hand heben und dich packen.
So eilst du stattdessen zurück in die Eingangshalle und steigst die Treppe hinauf. Das Erste, was dir auffällt, sind Dreckspuren, die hinaufführen. Auf dem Absatz zögerst du, und dein Herz rast, denn etwas an der Stille ängstigt dich mehr als der Anblick der Indianer, als sie deine Mutter getötet haben.
Die Spuren verlaufen zu einer Tür in der Mitte des Treppenflurs. Du versuchst, den Knauf zu drehen, aber es ist abgeschlossen.
Vielleicht die hier. Die andere Tür gibt ein Klicken von sich, als du den Knauf drehst.
Du schreist nicht. Stattdessen fährt dir ein Druck in die Brust, und dein Herz setzt einen Schlag aus, doch du beherrschst dich und bleibst gefasst. Ein weiterer von Mr. Gasts Bahnarbeitern liegt tot da. Seinen Namen kennst du zwar nicht, aber du hast ihn schon in Bellas Freudenhaus gesehen. Du hast ein Badezimmer betreten, ein aufwendiges, in dem es sogar eine Holzkommode gibt.
Auf einem robusten Holztisch steht eine Sitzbadewanne, in der noch Wasser ist. Du bemerkst, dass Haare und Gesicht des Toten triefnass sind, allerdings erst, nachdem du siehst, dass seine Hose offen ist und zwischen seinen Beinen ein großer Fleck geronnenen Blutes zu sehen ist.
Etwas in deinem Kopf, das nicht dein eigener Wille ist, lässt dich den Holzdeckel der Kommode anheben. Du blickst hinein und siehst das Ding des Mannes im Wasser des Nachttopfs treiben.
Du weichst aus dem Raum zurück, passierst die verriegelte Tür und bewegst dich zu der daneben weiter.
Als du sie öffnest, wirst du zu Boden geschleudert.
OH Gott! Was IST das?
Es ist keine Person, die dich zu Boden gestoßen hat, sondern der Gestank, der aus dem Zimmer pflügt. Es ist ein abscheulicher, heißer Verwesungsgeruch, vermischt mit einem anderen Gestank, der an eine Latrine an einem schwülen Sommertag erinnert.
Du rappelst dich auf und blickst in den Raum ...
... und du brüllst hundertmal lauter als zuvor, als Mr. Morris dir die Nähnadel in die Brustwarze gestochen hat.
Du starrst auf eine nackte, seit Tagen tote Frau hinab, die mit gespreizten Schenkeln auf einem blutverkrusteten Bett liegt. Eine große Axt wurde genau zwischen ihre Beine in den Körper geschlagen.
Kurz, bevor du rückwärts kippst, glaubst du, noch etwas zu bemerken: einen blutigen Fötus auf dem Boden. Aber er ist winzig, kaum größer als eine Feldmaus. Er sieht aus, als sei er unter jemandes Schuh zermatscht worden.
Schritte poltern die Treppe herauf, und nun glaubst du, auch einen Hund bellen zu hören.
Der zweite Mann würgt und presst hervor: »In Gottes Namen ... Was ist das für ein Gestank? Pisse?«
»Was, zur Hölle ...« Der Marschall schaut in das Zimmer.
Der andere Mann hilft dir auf. Er sieht aus, als würde er sich am liebsten über das Geländer des Treppenflurs übergeben. Sie alle haben genug gesehen.
»Ich schätze, wir haben Mrs. Gast gefunden ...«
»An diesem Ort geht etwas rein Böses vor sich.« Sein Kopf ruckt herum. »Wo ist dieser bellende Hund?«
Der andere Mann lässt dich am Geländer lehnend zurück. »Hinter der Tür hier.«
Du hebst eine Hand an die Brust. »Sie ist abgesperrt ...«
KRACH!
Sein Stiefel tritt die Tür ein. Weiterer durchdringender Verwesungsgestank strömt auf den Flur, dicht wie eine Wolke, und ein dürrer, schlammbrauner Hund prescht aus dem Zimmer und verschwindet die Treppe hinunter. Der Mann ist bereits auf die Knie gesunken und kippt zur Seite. Er hat das Bewusstsein verloren.
Der Marschall schaut in den Raum. Als er sich zu dir umdreht, ist alle Farbe aus seinem Gesicht gewichen, und obwohl es unmöglich sein kann, könntest du schwören, dass einige seiner Haare in der kurzen Zeit seines Blicks in das Zimmer ergraut sind.
Er legt dir seine Hand über die Augen und dreht dich um. »Verschwinde aus diesem Haus, Mädchen. Verschwinde sofort und komm nicht zurück.«
»Aber Sir, was ist in dem ...«
»Verschwinde auf der Stelle! Lauf zum Dorfplatz, läute die Glocke und sag jedem Mann, dass er hier raufkommen soll, um mir zu helfen.«
»Aber ...«
»Geh!« Er schiebt dich auf die Stufen zu. Du stolperst die Treppe hinunter. Du kannst den Marschall weinen hören. »Gott, steh uns bei, allmächtiger Gott, bitte steh uns bei ...«
Unten wirkt die geräumige Eingangshalle plötzlich kleiner und sehr dunkel.
Als du dich umdrehst, erstarrt dein Herz erneut, und du schreist beinahe laut auf.
An einem Tisch sitzt ein Mann und schreibt etwas. Er schaut auf und sieht dich an, als sei er verärgert.
»Wer bist du, Kind?«, fragt eine schnarrende Stimme.
»Harriet ...«
»Ach ja, die Hure ...« Er wendet sich wieder dem Schreiben zu. Einen Moment später erkennst du ihn wegen des albernen roten Hutes und der Metallnase – einer von Mr. Gasts Angestellten, der dich einmal dafür bezahlt hat, dir beim Scheißen zusehen zu dürfen.
»Du solltest von hier verschwinden«, murmelt er, ohne dich anzusehen. »Selbst mit der schweren Sünde deines Daseins als Hure bist du gesegneter als jeder, der je einen Fuß hierhergesetzt hat.«
Du verstehst ihn überhaupt nicht.
Er erhebt sich am Schreibtisch. In der Hand hält er einen Stapel länglicher Papierbögen, die er in einen der zahlreichen Briefschlitze des Tisches schiebt. »Die brauche ich nicht mehr.« Seine winzigen Augen wandern prüfend durch den dunklen Raum. »Und dieser Ort braucht mich nicht mehr.«
Nun streckt er die Hand aus, und sie ist voll mit Goldmünzen. »Nimm das. Ich stelle dir eine Quittung aus.«
Dir steht der Mund offen, als du verneinend den Kopf schüttelst.
Seine Finger ergreifen eine Münze. »Dann nimm wenigstens dieses Zehn-Dollar-Stück. Es gehört dir doch, oder?«
»Nein ...«
»Meine Zeit hier ist zu Ende, und deine ebenfalls.« Er nimmt die falsche Nase ab. Darunter kommen Löcher zum Vorschein, die wie angenagt wirken. »Sprich deine Gebete, Unzuchtsünderin. Du hast viel, wofür du dankbar sein kannst. Du wirst ein langes, langes Leben haben, du wirst Kinder, Enkelkinder und Urenkel haben, und du wirst am Tag vor der Ermordung Trotzkis sterben.«
Verständnislos starrst du ihn an. »Was?«
Er geht in einen Nebenflur.
Es ist, als ob dich das Haus ausspuckt; du fällst die Eingangsstufen regelrecht hinunter. Mr. Gasts an dem Strick hängende Leiche hat sich erneut gedreht und beobachtet dich. Du stolperst den Pfad entlang, erschöpft von allem, was du erlebt hast. Bevor du zu rennen beginnst, siehst du, wie der letzte Rand der Sonne über den entfernten Baumwoll- und Sojafeldern schmilzt und unzählige Schädel auf Pfählen von hinten erhellt. Und du siehst, wie der schlammbraune Hund, der aus dem Zimmer oben geflüchtet ist, die anderen Hunde auf dem Hof rammelt, und dabei beschleicht dich ein Gefühl, als hätte dir Luzifer höchstpersönlich soeben einen Kuss zugeworfen ...
Du fällst ...