Ein Denkmal für den Spinat

Ich war, in einer Beziehung jedenfalls, kein Kind wie alle anderen. Ich aß nämlich Spinat für mein Leben gern. Vielleicht leuchteten mir die Spielregeln nicht ein. Vielleicht war auch der Spinat daran schuld, weil er so gut schmeckte. Wie dem auch sei, meine Eltern waren verzweifelt: Jedes normale Kind hasste Spinat. Und ihr eigen Fleisch und Blut liebte ihn. Es war eine Schande.

Immer wenn bei uns daheim Spinat auf den Tisch kam und ich meine gute Mutter um eine zweite Portion der grünen Delikatesse bat, wies sie mich scharf zurecht: »Da, bitte sehr! Aber du musst bis zum letzten Löffel aufessen. Oder du bekommst von deiner Mami auf deinen du-weißt-schon-wohin du-weißt-schon-was!«

»Natürlich esse ich alles bis zum letzten Löffel auf«, antwortete ich. »Es schmeckt mir ja.«

»Nur schlimme Kinder essen keinen Spinat.« Meine Mutter sprach unbeirrt weiter. »Spinat ist sehr gut für dich. Es gibt wirklich nichts Gesünderes als Spinat. Und du willst doch gesund sein? Also lass dir ja nicht einfallen, zum Spinat ›pfui‹ zu sagen.«

»Aber Mami, ich ess ihn doch so gern.«

»Du wirst ihn aufessen, ob du ihn gern isst oder nicht! Brave Kinder müssen Spinat essen. Also keine Widerrede!«

»Warum müssen sie?«

»Weil sie sonst in die Ecke gestellt werden, bis Papi nach Hause kommt. Und was dann passiert, kannst du dir denken. Also, iss deinen Spinat schön auf. Na, wird’s bald?«

»Ich mag nicht!«

Es war die natürliche Reaktion des kindlichen Gemüts auf einen unverständlichen Zwang. Damit hatte ich meine Mutter genau dort, wo sie mich haben wollte. Und als mein Vater nach Hause kam, fand er sie in Tränen aufgelöst.

»Siehst du?«, schluchzte sie. »Hab ich dir nicht immer gesagt, du verwöhnst ihn zu sehr?«

Mein Vater versetzte mir daraufhin ein paar schallende Ohrfeigen, und wir hatten endlich ein normales Familienleben.

Ich hasste Spinat wie alle anderen Kinder, und meine Eltern waren beruhigt.