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Wir trafen Bubba im Parkhaus in der Bromfield Street, wo Angie den Vobeast abgestellt hatte. Er stand vor dem Eingang, als wir drauf zu fuhren, kaute einen riesigen Batzen Kaugummi und blies ihn so groß auf, daß Passanten auf die andere Straßenseite wechselten. »Hey«, grüßte er, als wir uns näherten, dann machte er wieder eine Blase. Er strotzt vor Beredsamkeit, unser Bubba.

»Hey«, erwiderte Angie in der gleichen tiefen Tonlage. Sie schlang die Arme um seine Hüften und drückte ihn. »Mein Gott, Bubba, hast du da ein russisches Sturmgewehr unter der Jacke oder freust du dich nur, mich zu sehen?«

Bubba wurde knallrot, sein rundliches Gesicht strahlte einen Moment lang wie ein Schuljunge mit engelsgleichen Pausbäckchen. Der aber im nächsten Augenblick Nitroverdünnung in die Toiletten gießt. Er klagte: »Nimm die Frau weg, Kenzie.«

Angie hob den Kopf und kaute an seinem Ohrläppchen. »Bubba, du bist der Mann meiner Träume.«
Er kicherte. Das psychopathische Monster mit dem schlechten Benehmen kicherte und schob sie sanft zur Seite. Dabei sah er aus wie ein verschüchterter Löwe, und ich erwartete nur noch, daß er jetzt schnurrte: »Ach, mach doch weiter.« Statt dessen sagte er: »Hau ab, du Flittchen!«, guckte sie dann aber prüfend an, ob sie beleidigt war.
Sie bemerkte seinen gekränkten Gesichtsausdruck und mußte nun selbst lachen, dabei hielt sie sich die Hand vor den Mund.
Bubba. Ein wirklich liebenswerter Psychopath.
Wir gingen die Auffahrt zum Parkdeck hoch, und ich fragte: »Bubba, könntest du wohl ‘ne Zeitlang bei uns in der Nähe bleiben, ein Auge auf uns Normalsterbliche haben?«
»Klar kann ich das, Mann. Ich bin da. Solange es sein muß.« Er boxte mir spielerisch gegen den Arm. Augenblicklich wurde er taub, und es sollte gut zehn Minuten dauern, bis das Gefühl zurückkehrte. War aber immer noch besser, als von Bubba geboxt zu werden, wenn er wütend war. So einen Schlag hatte ich mal vor ein paar Jahren abbekommen, das erste und letzte Mal, daß ich so dumm war, mich mit ihm anzulegen, und nachdem ich wieder zu mir gekommen war, hallte der Schlag noch eine Woche in meinem Kopf wider.
Wir stiegen ins Auto. Als wir das Parkhaus verließen, fragte Bubba: »Und? Jagen wir die Brüder jetzt zurück nach Afrika oder was?«
Angie begann: »Also, Bubba…«
Ich wußte, daß es sinnlos war, Bubba über Rassendiskriminierung aufzuklären, deshalb entgegnete ich nur: »Ich glaube, das ist nicht nötig.«
»Scheiße«, gab er zurück und lehnte sich an.
Armer Bubba. So fein herausgeputzt und keiner da, den er erschießen konnte.

Wir ließen Bubba bei dem Spielplatz in der Nähe seiner Wohnung raus. Er ging die Betonstufen hinauf, trottete am Klettergerüst vorbei, trat gegen eine Bierflasche, die Schultern bis zu den Ohren hochgezogen. Er kickte gegen eine andere Flasche, die von einem Picknicktisch abprallte und am Zaun zerbrach. Die meisten der kleinen Ganoven, die beim Tisch herumlungerten, sahen zur Seite. Keiner wollte ihn aus Versehen angucken. Er bemerkte sie gar nicht. Er ging einfach nur geradeaus auf den Zaun am Ende des Spielplatzes zu, suchte nach dem Loch im Zaun und zwängte sich hindurch. Er trampelte ein paar Sträucher nieder und verschwand um die Ecke der verlassenen Fabrik, in der er wohnte.

Dort liegt mitten im zweiten Stockwerk eine Matratze auf dem Boden, daneben ein paar Kartons mit Jack Daniels und eine Stereoanlage, auf der nichts anderes als seine Aerosmith-Platten gespielt, werden. Im ersten Stock befinden sich sein Waffenarsenal sowie die beiden Pitbull-Terrier namens Belker und Sergeant Esterhaus. Ein Rottweiler mit Namen Steve bewacht den Vorhof. Wenn all die Tiere und Bubba selbst nicht ausreichen, Eindringlinge und Regierungsangestellte abzuschrecken, gibt es noch die Holzdielen im Gebäude. Fast jede ist vermint. Nur Bubba weiß, auf welche man treten darf. Ein Selbstmörder hat mal versucht, Bubba mit vorgehaltener Waffe zu zwingen, ihn in sein Lager zu lassen. Die Stücke von diesem Typen kamen in allen Stadtteilen herunter.

Angie merkte an: »Wenn Bubba in einer anderen Zeit geboren wäre, sagen wir mal in der Bronzezeit, hätte er keine Probleme gehabt.«

Ich betrachtete das einsame Loch im Zaun. »Wenigstens hätte es Menschen gegeben, die sein Feingefühl geteilt hätten.«

Wir fuhren zurück ins Büro und begannen dann, uns Gedanken zu machen, wo Jenna die Unterlagen versteckt haben könnte.

»Das Zimmer über der Kneipe?«

Ich schüttelte den Kopf. »Dann hätte sie die Bilder nicht zurückgelassen, als wir sie da rausgeholt haben. Das wirkte da auf mich auch nicht gerade einbruchsicher.«

Sie nickte. »Stimmt. Wo noch?«

»Nicht im Bankschließfach. Devin hätte uns nichts vorgelogen. Bei Simone?«
Sie schüttelte den Kopf. »Du warst doch der erste, dem sie überhaupt was gezeigt hat, oder?«
»Ich denke, davon sollten wir ausgehen, ja.«
»Das heißt also, du warst der erste, dem sie vertraute. Sie glaubte wahrscheinlich, Simone sei zu naiv, was Socia anbetrifft. Womit sie ja recht hatte.«
Ich warf ein: »Wenn die Sachen in ihrer Wohnung in Mattapan waren, dann hat sie schon jemand rausgeholt, und es gäbe keinen Grund für das ganze Theater.«
»Und, was bleibt dann übrig?«
Zehn Minuten lang fiel uns keine Antwort darauf ein.
»Scheiße«, sagte Angie schließlich.
»Stimmt«, pflichtete ich ihr bei. »Hilft uns aber auch nicht weiter.«
Sie zündete sich eine Zigarette an, legte die Füße auf den Schreibtisch und starrte an die Decke. Machte Sam Spade besser nach als ich. Sie fing von vorne an: »Was wissen wir über Jenna?«
»Sie ist tot.«
Angie nickte. Sanft entgegnete sie: »Abgesehen davon.«
»Wir wissen, daß sie mit Socia verheiratet war. Egal, ob richtig getraut oder nicht, keine Ahnung, aber verheiratet war sie.«
»Und hatte ein Kind von ihm. Roland.«
»Und hat drei Schwestern in Alabama.«
Sie setzte sich auf, die Füße schlugen auf den Boden. »Alabama«, schlug sie vor, »sie hat sie nach Alabama geschickt.«
Ich dachte darüber nach. Wie gut kannte Jenna diese Schwestern noch? Wie sehr konnte sie ihnen vertrauen? Ach Quatsch, wie sehr konnte sie der Post vertrauen? Dies war ihre einzige Chance, ein bißchen »Gerechtigkeit« zu bekommen. Den Menschen, die ihr das Leben schwergemacht haben, ein klein wenig heimzuzahlen. Würde sie diese Rache aufs Spiel setzen, indem sie das Mittel zum Zweck einfach auf Reisen schickte ?
»Ich glaube nicht«, erwiderte ich.
»Warum nicht?« gab sie bissig zurück. Es war ihr Einfall - so leicht wollte sie sich nicht geschlagen geben.
Ich erklärte ihr meinen Gedankengang.
»Vielleicht«, lenkte sie mit leicht beruhigter Stimme ein. »Aber wir behalten es im Hinterkopf.«
»In Ordnung.« Die Idee war ja nicht schlecht, und wenn wir nichts anderes fänden, würden wir die Spur verfolgen, aber so richtig paßte es einfach nicht.
So ist es oft bei uns. Wir sitzen im Büro herum, werfen uns Ideen zu und warten auf die göttliche Eingebung. Wenn die nicht kommt, spielen wir jede Möglichkeit durch, und normalerweise, wenn auch nicht immer, stolpern wir dann am Ende über irgendwas, das uns schon am Anfang hätte auffallen müssen.
Ich versuchte es: »Wir wissen, daß sie vor ein paar Jahren Ärger mit Gläubigern hatte.«
Angie gab zurück: »Ja, und?«
»Ich sammle nur. Perlen der Weisheit habe ich nie versprochen.«
Sie runzelte die Stirn. »Sie hat aber keine Vorstrafen, oder?«
»Nur einen Haufen Knöllchen.«
Angie schnippte die Zigarette aus dem Fenster.
Ich dachte an das Bier in meiner Wohnung. Ich hörte es nach mir rufen, ich sollte ihm Gesellschaft leisten.
Angie sponn weiter: »Also, wenn sie so viele Knöllchen hatte…«
Wir blickten uns an und sprachen gemeinsam weiter: »Wo ist dann ihr Auto?«