15_____
Richie ging kurz nach Mitternacht, und ich lief mit der Flasche in der Hand über die Straße zu meiner Wohnung. Dort ignorierte ich das rot blinkende Licht auf meinem Anrufbeantworter und machte den Fernseher an. Ich ließ mich in den Ledersessel fallen, trank aus der Flasche, guckte Letterman und versuchte, nicht jedesmal Jennas Todestanz zu sehen, wenn mir die Augenlider zufielen. Normalerweise gebe ich mir nicht mit so harten Sachen die Kante, aber heute mußte der Glenlivet dran glauben. Ich wollte einfach einschlafen und nicht träumen.
Richie hatte gesagt, den Namen Socia hätte er schon mal gehört, wußte aber nicht genau, in welchem Zusammenhang. Ich ging durch, was ich wußte. Curtis Moore war ein Mitglied der Raven Saints. Er hatte Jenna umgebracht, wahrscheinlich auf Befehl von oben, und dabei handelte es sich wohl um Socia. Socia war Jennas Mann oder war es zumindest gewesen. Socia kannte Senator Brian Paulson gut genug, um sich mit ihm fotografieren zu lassen. Paulson hatte bei unserem ersten Gespräch mit der Hand auf den Tisch gehauen. »Das ist kein Witz«, hatte er gesagt. Kein Witz. Jenna war tot. Gut hundert Straßenkrieger ohne Angst vor dem Tod hatten es auf mich abgesehen. Kein Witz. Morgen mittag sollte ich Mulkern und seine Leute treffen. Ich war betrunken. Vielleicht lag es an mir, aber Letterman wirkte langsam verbraucht. Jenna war tot. Curtis Moore fehlte ein Fuß. Ich war betrunken. Ein Geist in einer Feuerwehruniform lauerte im Dunkeln hinter dem Fernseher. Ich konnte mich nicht mehr auf die Glotze konzentrieren. Lag wahrscheinlich an meiner horizontalen Position. Die Flasche war leer.
Der Held schwang mir seine Feueraxt in den Kopf, und ich saß kerzengerade im Sessel. Im Fernsehen war nur noch Schnee. Mit verschwommenen Augen versuchte ich, die Uhr zu lesen: 4.15 Uhr. Unter meinem Brustbein fühlte ich glühendes Feuer. Meine Nerven lagen bloß, ich stand auf und schaffte es gerade noch ins Badezimmer, bevor der Glenlivet hochkam. Ich übergab mich und legte mich auf die kühlen Fliesen; das Zimmer roch nach Scotch und Angst und Tod. Jetzt hatte ich mich innerhalb von drei Nächten zweimal erbrochen. Vielleicht bekam ich ja Bulimie.
Ich rappelte mich auf und putzte mir ungefähr eine halbe Stunde lang die Zähne. Dann ging ich zur Dusche rüber und stellte sie an. Ich ließ sie warmlaufen, zog meine Sachen aus und stellte mich drunter. Als ich fertig war, dämmerte es schon. Drei Tylenol, dann fiel ich mit der Hoffnung aufs Bett, daß ich all die Dinge mit hochgewürgt hatte, die mir Angst vorm Schlafen einjagten.
Die nächsten drei Stunden döste ich immer wieder ein, und Gott sei Dank erhielt ich keinen Besuch. Nicht von Jenna, nicht vom Helden und auch nicht von Curtis Moores Fuß.
Manchmal bekommt man eine Auszeit.
»Ich hasse das«, fluchte Angie. »Ich… hasse… das.« »Du siehst auch wirklich scheiße aus«, erwiderte ich. Sie warf mir ihren berüchtigten Blick zu und zerrte auf dem Rücksitz des Taxis am Saum ihres Rocks.
Angie trägt ungefähr so oft Röcke, wie sie kocht, aber sie enttäuscht mich nie. Was ihr Gemecker angeht, glaube ich nicht, daß es so schlimm ist, wie sie immer tut. Sie hat sich so viele Gedanken darüber gemacht, was sie anziehen soll, daß das Ergebnis einfach überwältigend war. Sie trug eine brombeerfarbene Wickelbluse aus Crepe de Chine zu einem schwarzen Wildlederrock. Das lange Haar hatte sie sich aus der Stirn gekämmt und links hinters Ohr geklemmt, während es auf der rechten Seite lose herunterfiel und sanft das Auge überschattete. Als sie mich mit einem Aufschlag ihrer langen Wimpern ansah, tat es weh. Der Rock saß wie angegossen, doch sie wand sich auf dem Rücksitz des Taxis, zog und zupfte am Saum herum. Insgesamt war der Anblick äußerst angenehm.
Ich trug einen dunkelgrauen Doppelreiher mit Fischgrätmuster. Das Jackett saß eng auf der Hüfte, ein Mann von Welt, doch Modedesigner meinen es mit den Männern im allgemeinen besser, ich mußte es nur aufknöpfen.
Ich bemerkte: »Gut siehst du aus.«
»Ich weiß, daß ich gut aussehe«, erwiderte sie mit finsterem Blick.
»Ich möchte gern den Typen finden, der diesen Rock entworfen hat,
weil ich genau weiß, daß es ein Mann war, und der kann sich dann
reinzwängen. Wie schnell der anfangen würde zu winseln!«
Das Taxi ließ uns an der Ecke gegenüber der Trinity Church
rausspringen.
»Willkommen im Copley Plaza Hotel«, grüßte uns der Portier und
öffnete die Tür. Wir traten ein. Das Copley ähnelt ein bißchen dem
Ritz: Beide gab es schon lange bevor ich auf die Welt kam, und
beide werden noch dasein, wenn ich schon längst gestorben bin. Und
wenn die Angestellten des Copley nicht ganz so entschlossen wirken
wie die im Ritz, so liegt das wahrscheinlich daran, daß sie weniger
Grund dazu haben. Das Copley versucht noch immer, sein Image als
das meistverkannte Hotel der Stadt abzuschütteln. Die jüngste,
mehrere Millionen Dollar teure neue Einrichtung wird es schwer
haben, die ehemals dunklen Flure und die gesetzte bis scheintote
Atmosphäre aus den Köpfen der Menschen zu verbannen. Man hatte mit
der Bar begonnen, und da war gute Arbeit geleistet worden. An
Stelle von George Reeves und Bogey erwartete ich, Burt Lancaster
als J.J. Hunsecker mit einem herausgeputzten Tony Curtis zu seinen
Füßen an einem Tisch hofhalten zu sehen. Das sagte ich Angie, als
wir eintraten.
Sie fragte: »Burt Lancaster als wer?«
Ich antwortete: »Dein Schicksal in meiner
Hand.«
»Was?« fragte sie erneut.
»Ignorant!« gab ich zurück.
Diesmal erhob sich Jim Vurnan nicht zur Begrüßung. Er saß mit
Sterling Mulkern im Dunkel der Eichenmöbel, ihr Blick auf die
Banalitäten der Außenwelt war durch dunkelbraune Paneele
abgeschirmt, durch die hindurch man Teile des Westin Hotels
erkennen konnte, aber das merkte man nur, wenn man danach Ausschau
hielt. Was meiner Meinung nach schon in Ordnung ist - das einzige
Hotel in dieser Stadt, das häßlicher ist als das Westin, ist das
Lafayette, ein schlimmeres ist noch nicht gebaut worden. Wir wurden
erst bemerkt, als wir uns der Sitzgruppe näherten. Jim wollte
aufstehen, doch ich hob die Hand, so daß er weiterrutschte, um mir
Platz zu machen. Wenn Hunde und Ehefrauen doch nur so zuvorkommend
und pflegeleicht wären wie Abgeordnete.
Ich stellte vor: »Jim, du kennst Angie. Senator Mulkern, das ist
meine Kollegin Angela Gennaro.«
Angie hielt ihm die Hand hin. »Sehr erfreut, Senator.«
Mulkern ergriff die Hand, küßte den Handrücken und rutschte
ebenfalls zur Seite, ihre Hand in seiner haltend. »Ganz
meinerseits, Ms. Gennaro.« Aalglatt, der Bursche. Angie nahm neben
ihm Platz, und er ließ ihre Hand los. Er sah mich mit erhobenen
Augenbrauen an. »Kollegin?« gluckste er.
Jim gluckste mit.
Mir war es ein schwaches Lächeln wert. Ich setzte mich neben Jim.
»Wo ist Senator Paulson?« fragte ich.
Mulkern lächelte Angie an. Er antwortete: »Konnte ihn heute
nachmittag leider nicht von seinem Schreibtisch
loseisen.«
»An einem Samstag?« staunte ich.
Mulkern trank einen Schluck. »Erzählen Sie mal«, wandte er sich an
Angie, »wo hat Pat Sie eigentlich die ganze Zeit
versteckt?«
Angie lachte ihn breit an: »In einer Kiste.«
»Wirklich?« entgegnete Mulkern. Er trank noch etwas. »Oh, sie
gefällt mir, Pat. Ehrlich.«
»Das ist meistens so, Senator.«
Unser Kellner kam an den Tisch, nahm unsere Bestellungen entgegen
und entfernte sich lautlos auf dem dicken Teppich. Mulkern hatte
etwas von Mittagessen gesagt, aber es standen nur Gläser auf dem
Tisch. Vielleicht hatten sie eine Methode entwickelt, das Essen zu
verflüssigen.
Jim legte mir eine Hand auf die Schulter: »Du hattest gestern einen
ganz schönen Tag, was?«
Sterling Mulkern hielt die Morgenausgabe der Trib hoch. »Jetzt bist du ein Held wie dein Vater,
Junge.« Er klopfte auf die Zeitung: »Schon gelesen?«
»Ich lese nur Calvin und Hobbes«, entgegnete ich.
Er bemerkte: »Tja, eigentlich… eine gute Presse, echt. Gut fürs
Geschäft.«
»Aber nicht für Jenna Angeline.«
Mulkern zuckte mit den Achseln. »Die mit dem Schwert
leben…«
»Sie war eine Putzfrau«, warf ich ein. »Das Gefährlichste, mit dem
sie je zu tun hatte, war ein Brieföffner, Senator.«
Er zuckte erneut mit den Achseln, und ich erkannte, daß er seine
Einstellung nicht ändern wollte. Menschen wie Mulkern haben sich
daran gewöhnt, sich ihre Tatsachen eigenhändig zurechtzuzimmern und
dann erst den Rest der Welt hereinzulassen.
»Patrick und ich waren uns nicht sicher«, begann Angie, »ob der Tod
von Ms. Angeline bedeutet, daß unsere Arbeit für Sie erledigt
ist.«
»Ganz und gar nicht, meine Liebe«, antwortete er. »Ganz und gar
nicht. Ich habe Pat engagiert, und auch Sie, damit ihr gewisse
Dokumente findet. Sofern ihr sie heute nicht mitgebracht habt,
arbeitet ihr noch für mich.«
Angie lächelte. »Patrick und ich arbeiten nur für uns,
Senator.«
Jim sah erst mich, dann seinen Drink an. Mulkerns Gesicht erstarrte
kurz, dann hob er belustigt die Augenbrauen. »Und warum genau habe
ich dann einen Scheck auf eure Agentur ausgestellt?«
Angie war nie um eine Antwort verlegen: »Nutzungsgebühren für die
Bereitstellung unseres Fachwissens, Senator.« Sie sah dem
herannahenden Kellner entgegen. »Ah, die Getränke. Vielen
Dank.«
Ich hätte sie küssen können.
Mulkern fragte: »Siehst du das genauso, Pat?«
»Eigentlich schon«, antwortete ich und nippte an meinem
Bier.
»Ach, Pat«, lehnte sich Mulkern zurück, er schien auf irgend etwas
hinauszuwollen, »redet sie immer für dich, wenn ihr zusammen
auftretet? Und den Rest erledigt sie auch, nehme ich an?«
Angie schaltete sich ein: »Sie mag es nicht, wenn von ihr in der
dritten Person gesprochen wird, solange sie sich im Zimmer
befindet, Senator.«
Ich fragte: »Wieviel haben Sie schon getrunken, Senator?«
Jim sagte: »Bitte!« und hob die Hände.
Hätten wir uns in einem Saloon im Wilden Westen aufgehalten, wäre
er inzwischen leer gewesen, das laute Kratzen und Poltern von
fünfzig hastig weggeschobenen Stühlen hätte den Raum erfüllt. Aber
wir waren an einem Samstag nachmittag in einer schicken Bar in
Boston, und Mulkern sah nicht so aus, als stände ihm ein
Trommelrevolver. Zuviel Bauch. Aber andererseits war ein Pistole in
Boston nicht viel wert gegen eine Unterschrift an der richtigen
Stelle, gegen eine geschickte Verleumdung, die im richtigen Moment
lanciert wurde.
Mulkerns schwarze Augen starrten mich unter schweren Augenlidern
an, wie ein Schlange, deren Höhle bedroht wurde, wie ein
gewalttätiger Trinker, der sich unbedingt schlagen wollte. Er sagte
»Patrick Kenzie« und beugte sich über den Tisch zu mir. Der Bourbon
in seinem Atem hätte eine Tankstelle in die Luft gehen lassen
können. »Patrick Kenzie«, wiederholte er, »jetzt hör mir mal gut
zu. Ich lasse nicht zu, daß der Sohn
von einem meiner Lakaien in diesem Ton
mit mir redet. Dein Vater, mein guter Junge, war ein Hund, der auf
meinen Befehl lossprang. Und dir bleibt in dieser Stadt nichts
anderes übrig, als in seine Fußstapfen zu treten. Denn«, er beugte
sich noch weiter vor, griff plötzlich nach meinem Handgelenk und
hielt es fest, »wenn du mich nicht achtest, Jungchen, hast du in
Zukunft weniger Arbeit als die Anonymen Alkoholiker am St.
Patrick’s Day. Ein Wort von mir, und du bist ruiniert. Und was
deine Freundin hier angeht, die wird sich über ganz andere Sachen
Sorgen machen müssen als ein paar blaue Flecke von ihrem
nichtsnutzigen Mann.«
Angie sah aus, als würde sie ihn jeden Moment enthaupten, ich legte
ihr die freie Hand aufs Knie.
Dann zog ich sie zurück, griff in meine Brusttasche und holte die
Kopie heraus, die ich von dem Foto gemacht hatte. Ich hielt sie in
sicherer Entfernung von Mulkern und Vurnan in die Luft und lächelte
kalt, ich glaubte es zumindest, wobei ich Mulkerns Blick keine
Sekunde auswich. Ich lehnte mich ein bißchen nach hinten, um seinem
toxischen Mundgeruch zu entkommen und sagte: »Senator, mein Vater
war einer Ihrer Lakaien. Einverstanden. Aber zum Teufel mit ihm!
Ich habe das Schwein gehaßt, also verschwenden Sie Ihren
hochprozentigen Atem nicht mit Appellen an meine Sentimentalität.
Angie ist meine Familie. Nicht er. Nicht Sie.« Ich bewegte
ruckartig meine Hand, so daß er sie nicht länger festhalten konnte.
Bevor er seine zurückziehen konnte, hielt ich sie fest und zog sie
an mich. »Und, Senator, wenn Sie noch einmal damit drohen, mir das
Geschäft zu ruinieren«, ich warf ihm das Foto vor die Nase, »dann
mache ich Ihnen Ihr verdammtes Leben kaputt.«
Wenn ihm das Foto bekannt vorkam, so zeigte er es nicht. Er hielt
meinem Blick stand, seine Augen wurden nur kleiner, Nadelspitzen
geballten Hasses.
Ich sah Angie an und ließ dann Mulkerns Hand los. »Ich hab genug«,
sagte ich und stand auf. Dann klopfte ich Jim auf die Schulter:
»War mir wie immer ein Vergnügen, Jim.«
Angie verabschiedete sich: »Tschüs, Jim.«
Wir verließen den Tisch.
Wenn wir bis zur Tür kamen, müßte ich ab Herbst von Sozialhilfe
leben. Wenn wir bis zur Tür kamen, bedeutete das Foto nichts
anderes, als daß wir uns alles nur eingebildet hatten und es nichts
zu vertuschen gab. Dann würde ich nach Montana, Kansas, Iowa oder
so ziehen müssen, irgendwohin, wo es so öde ist, daß niemand
überhaupt auf die Idee kommt, dort seine politischen Beziehungen
spielen zu lassen. Wenn wir bis zur Tür kamen, hatten wir in dieser
Stadt nichts mehr zu suchen.
»Pat, Junge.«
Wir waren noch ungefähr zwei Meter von der Tür entfernt; mein
Glaube an die Menschheit war wiederhergestellt.
Angie drückte mir die Hand, und wir drehten uns um, als ob wir
eigentlich noch was Besseres vorhatten.
Jim bat: »Kommt bitte zurück und setzt euch.«
Wir gingen auf den Tisch zu.
Mulkern hielt uns die Hand hin. »Ich bin so früh am Tag immer
leicht reizbar. Die Leute verstehen meine Art von Humor nicht
richtig.«
Ich ergriff die Hand. »Kann schon mal vorkommen.«
Auch Angie streckte er die Hand hin. »Ms. Gennaro, bitte nehmen Sie
die Entschuldigung eines störrischen alten Mannes an.«
»Schon vergessen, Senator.«
»Bitte nennen Sie mich Sterling.« Er lächelte warm und tätschelte
ihr die Hand. Er strahlte Ehrlichkeit aus.
Wenn ich mich letzte Nacht nicht übergeben hätte, wären wir jetzt
alle in großer Gefahr gewesen.
Jim tippte auf die Kopie und sah mich an: »Wo hast du das
her?«
»Von Jenna Angeline.«
»Das ist eine Kopie«, erklärte er.
»Ja, Jim. Stimmt.«
»Das Original?« fragte Mulkern.
»Habe ich.«
»Pat«, lächelte Mulkern, die Stimme kontrollierend, »wir haben dich
beauftragt, damit du uns Dokumente zurückholst, nicht die Kopien
davon.«
»Ich behalte das Original hiervon, bis ich die restlichen Bilder
finde.«
»Warum?« wollte Jim wissen.
Ich wies auf die Titelseite der Zeitung: »Die Sache ist ein bißchen
schmutzig geworden. Das gefällt mir nicht. Ange, magst du
schmutzige Sachen?«
Angie erwiderte: »Nein, mag ich nicht.«
Ich blickte Vurnan und Mulkern an: »Wir mögen keine schmutzigen
Sachen. Wir behalten das Original, um dem Schmutz auszuweichen, bis
wir sicher sind, um was es sich handelt.«
»Können wir dir helfen, Junge?«
»Sicher. Erzählen Sie mir was von Paulson und Socia.«
»Eine dumme Indiskretion von Brians Seite.«
»Wie dumm?« fragte Angie.
»Für den Durchschnittsbürger nicht besonders dumm«, erklärte
Mulkern. »Aber für jemandem im Blickpunkt der Öffentlichkeit
äußerst dumm.« Er nickte Jim zu.
Jim faltete die Hände auf dem Tisch. »Senator Paulson gönnte sich
vor sechs Jahren eine Nacht… unangebrachten Vergnügens mit einer
von Mr. Socias Prostituierten. Unter den gegebenen Umständen kann
ich es nicht näher erläutern, aber im großen und ganzen war es
nicht viel mehr als ein fröhlicher Abend mit Wein, Weib und
Gesang.«
»Wobei sich Mrs. Paulson nicht unter den Damen befand«, fügte Angie
hinzu.
Mulkern schüttelte den Kopf. »Das ist irrelevant. Sie ist die Frau
eines Politikers; sie weiß, was von ihr in so einem Fall erwartet
wird. Nein, es gäbe ein Problem, wenn Unterlagen über diesen
Zwischenfall an die Öffentlichkeit gelangten. Brian ist momentan
eine starke, diskrete Stimme für die Gesetzesvorlage gegen den
Straßenterrorismus. Jede Verbindung mit Leuten vom Schlage des
Herrn Socia könnte ihm sehr schaden.«
Ich wollte fragen, wie jemand eine »starke, diskrete Stimme« sein
konnte, doch hatte ich Angst, es könnte meinen Mangel an
politischem Sachverstand offenbaren. Ich fragte: »Wie heißt Socia
mit Vornamen?«
Jim antwortete: »Marion«, und Mulkern warf ihm einen Blick
zu.
»Marion«, wiederholte ich. »Und wie kam Jenna ins Spiel? Wie kam
sie in Besitz dieser Bilder?«
Jim sah Mulkern an, bevor er antwortete. Politiker mit
telepathischer Begabung! Er gab Auskunft: »So wie wir es uns
vorstellen, hat Socia Brian die Fotos geschickt und wollte ihn
damit irgendwie erpressen. An dem Abend hat sich Brian ganz schön
betrunken, könnt ihr euch ja vorstellen. Er schlief auf dem Stuhl
ein, die Fotos lagen auf dem Tisch. Dann kam Jenna zum Putzen, und
wir nehmen an…«
Angie mischte sich ein: »Einen Moment, bitte. Sie wollen mir
erzählen, daß Jenna von den Fotos von Paulson mit einer Nutte
moralisch so abgestoßen war, daß sie sie mitnahm? Obwohl sie wußte,
daß ihr Leben keinen Penny mehr wert war?« Sie klang, als erschien
ihr die Version noch unglaubwürdiger als mir.
Jim zuckte mit den Achseln.
Mulkern sagte: »Bei solchen Leuten weiß man nie…«
Ich fragte: »Warum sollte Socia sie dann umgebracht haben? Sieht
mir nicht so aus, als hätte er viel zu verlieren gehabt, wenn die
Fotos von Paulson mit einer Nutte in die Öffentlichkeit
gelangten.«
Noch bevor er den Mund aufmachte, kannte ich Mulkerns Antwort, und
ich ärgerte mich, daß ich überhaupt gefragt hatte.
»Bei solchen Leuten weiß man nie…«, wiederholte er.