14
Claire wunderte sich zuerst, als sie morgens nur zwei Arbeiter aus dem Bus aussteigen sah. Aber die beiden anderen würden sicher noch auftauchen. Vielleicht mit Ben Hastings. Sie dachte aber nicht weiter darüber nach, weil sie auf Alex wartete, der gleich kommen wollte. Sie stellte Kaffee auf den Tisch und legte Schreibzeug bereit.
Alex war pünktlich. Und hatte Zeit. Zuerst tranken sie in Ruhe Kaffee und unterhielten sich über den Umbau. Er fragte, wie die Arbeit vorangehe, und sie sagte ihm, es laufe ganz gut.
»Hoffentlich bleibt es so«, unkte er. »Man soll es sicher nicht ohne Weiteres glauben, aber von irischen Handwerkern heißt es, sie würden zwei Tage fleißig arbeiten und am dritten krankfeiern.«
Er lachte und sie stimmte mit ein. Sie hielt nichts von derartigen Vorurteilen und glaubte nicht an so etwas wie Mentalität.
Sie lernten eine knappe Stunde und Claire erfuhr, dass die Iren weder ein »Ja« noch ein »Nein« kannten. Stattdessen musste das Verb bejahend wiederholt oder mit einer Negation versehen werden. Zum Ende der Stunde konnte sie grüßen und sich vorstellen.
Alex lehnte sich zufrieden zurück und sagte: »Sie werden die Sprache schnell drin haben. Sie haben Talent. Nächstes Jahr sind Sie perfekt.«
Sie winkte ab.
»Ich muss nicht perfekt sein, aber ich will mich gut verständigen können. Und ich muss meine Gäste verstehen und sie mich.«
»Das klappt schon«, sagte Alex lächelnd. Dann begann er von sich zu erzählen und seiner früheren Freundin, die ihn wegen seiner Arbeit verlassen hatte. Sie sei damit überfordert gewesen, dass er manchmal auch zu Hause angerufen wurde, wenn eine Kuh beim Kalben Probleme hatte oder ein Pferd Anzeichen für eine Kolik zeigte.
»Sie hatte dafür kein Verständnis und wollte in mir einen erfolgreichen Tierarzt mit eigener Krankenstation sehen, der mehrere Mitarbeiter und einen Stellvertreter hatte und in einer schönen Villa lebt.«
Aber dazu habe er keine Ambitionen gehabt. Er wolle ein richtiger Landtierarzt sein und mit Gummistiefeln und Arbeitshosen seine Patienten so gut wie möglich betreuen.
»Unser Streit eskalierte, als ich zweimal hintereinander nachts angerufen wurde und hinaus musste. Sie ist dann gegangen. Ich glaube, es war besser so.«
Er tat ihr leid und sie sagte sicher: »Ach, es gibt genug Frauen, da wird auch eine für Sie dabei sein.«
»So, glauben Sie?«, er sah sie an und lächelte leicht, und sie überlegte, ob er mit ihr flirten wollte.
Gegen Mittag brachte der Postbote einen großen braunen Umschlag, der an sie gerichtet war. In Viktors Handschrift. Sie riss das Kuvert auf. Darin lag ein anderer Umschlag, den sie ebenfalls öffnete. Er stammte von der Firma, bei der sie sich beworben hatte. Sie schickten ihr ihre Unterlagen zurück. Im Anschreiben hieß es, dass man bedauere, sich aber für eine Mitbewerberin entschieden habe. Dazu gab es die üblichen Wünsche für die Zukunft.
Wie zum Teufel war Viktor an ihre Bewerbungsunterlagen gekommen, fragte sie sich. Und sie ihr kommentarlos zuzusenden, war typisch für ihn. Auf diese Weise konnte er ihr ohne Worte zu verstehen geben, dass sie gescheitert war. Sie hatte plötzlich eine Vision vor Augen und sah sich und Viktor am Tisch beim Abendbrot. Neben ihrem Teller lag ein bereits geöffnetes Schreiben mit einer Absage. Viktor hatte es für sie bereitgelegt und wartete nun darauf, dass sie etwas dazu sagte. Zum Beispiel, dass sie kein Interesse gehabt hätte und ihr die Zurückweisung gleich sei. Oder dass sie ihre Bewerbung sowieso hätte zurückziehen wollen, weil die Firma nicht infrage kam. Und dann würde er zufrieden mit dem Kopf nicken, weil er genau wusste, dass das nicht stimmte, dass sie sehr wohl enttäuscht war und die Stelle wollte. Und dann würde er ihre Hand tätscheln und sagen, sie solle es nicht so schwernehmen.
Wieso hatte sie ihn so lange falsch eingeschätzt? Er war boshaft, hämisch und geltungssüchtig. Er musste sie klein machen, um sich selbst groß zu fühlen. An seiner Seite hätte sie nicht wachsen können, im Gegenteil. Im Laufe der Zeit hätte er ihr vermittelt, dass sie nicht sonderlich tüchtig, sondern im Gegenteil ziemlich unfähig war. Dass sie nichts durchhielt und nur versuchte, nach den Sternen zu greifen. Ohne ihn an ihrer Seite würde sie über kurz oder lang nur den Boden unter den Füßen verlieren, weshalb er ihr aber natürlich immer helfe. Und sie selbst? Sie hätte sich immer weniger zugetraut und wäre vor Herausforderungen immer häufiger zurückgeschreckt. Schließlich wäre sie auf ihrer Insel der Unfähigkeit geblieben, während Viktor in die weite Welt hinaussegelte und sie großzügig an seinem Leben teilhaben ließ.
Es war nur eine Frage der Zeit, dann hätte sie sich damit abgefunden und nicht mehr an sich geglaubt.
Es wäre nie gut gegangen mit ihnen.
Alex schien recht zu haben. Als sie nachmittags ins Steinhaus ging, fand sie nur den Dürren und den Schnauzbart vor. Und von Hastings keine Spur. Sie fragte, wo die anderen seien, und der Schnauzbart deutete auf sein Bein und verzog schmerzlich das Gesicht. Sie waren also krank. Beide auf einmal. Das fing ja gut an. Sie werkelte im Haus herum, schrieb zwei Briefe und sah dann den Schnauzbart im Hof stehen. Er telefonierte und ruderte dabei mit den Armen. Beklommen überlegte sie, was sie tun würde, wenn Hastings sie jetzt im Stich lassen würde. Aber er war ein Geschäftsmann und er würde sich doch ein Geschäft nicht entgehen lassen. Es war zwar kein Großauftrag, aber er würde sicher einen netten Gewinn machen. Aber kurz vor drei Uhr verschwanden die beiden Männer und kamen auch nicht wieder.
Sie ging ins Steinhaus, sah sich um und dachte, dass die Männer nicht viel geschafft und das Haus stattdessen in eine richtige Baustelle verwandelt hatten. Sie hatten mit dem Durchbruch durch die rechte Wand begonnen, aber bis jetzt war nur ein ungefähr kopfgroßes Loch zu sehen. Was sollte sie tun, wenn es nicht zügig weiterging? Kurz vor Weihnachen wollten sie eröffnen. Wahrscheinlich war Hastings auf der Suche nach anderen Arbeitern, beruhigte sie sich.
Sie sagte Tim nichts, weil sie ihn nicht in Sorge versetzen wollte. Nach dem Abendbrot sahen sie sich eine irische Serie an und sie versuchte, sich auf die Sprache zu konzentrieren. Aber nach einer Stunde bekam sie Kopfschmerzen und ging zu Bett.
Unruhig wälzte sie sich hin und her. Immer wieder dachte sie an ihre finanziellen Mittel, rechnete durch, wie viel der Umbau insgesamt kosten würde, wie viel sie zur Überbrückung der lauen Anfangszeit brauchten und was ihr als Rücklage blieb. Sie rechnete mit einem Jahr, das ihnen noch keine großen Einkünfte verschaffen würde. Sie kannte Statistiken zu neu gegründeten Hotels. Manchmal war es ein Jahr, manchmal waren es aber auch drei Jahre. Es hing von ganz unterschiedlichen Faktoren ab, ob ein Hotel gut anlief oder nicht. Die Werbung spielte eine Rolle, Stammgäste, die sie weiterempfahlen, und auch eine gute Internetpräsentation. Bei den Arbeitskräften würden sie zuerst sparen. Sie konnte selbst die Zimmer herrichten. Anfangs würde es schwer sein, aber da mussten sie nun durch.
Sie erwachte mit Kopfschmerzen und stieg benommen die Treppe hinunter. Ein Blick aus dem Fenster zeigte, dass der Bus auf dem gewohnten Platz stand. Ihre Laune hob sich etwas. Sie brühte sich einen starken Kaffee auf und füllte eine Thermoskanne damit. Dann ging sie hinüber. Aber wieder waren nur der Dürre und der Schnauzbart gekommen. Letzterer lächelte fröhlich und sagte etwas, was sie nicht verstand. Mit Entsetzen dachte sie an die Arbeitsmoral der Iren, die sich angeblich viel Zeit ließen und keine Termine einhielten. Irgendwo hatte sie das einmal gelesen. Was, wenn sie in vier Wochen immer noch nicht weitergekommen waren?
Der Dürre aß schon wieder. Und wie es hier aussah. Zwei umgekippte Eimer dienten als Sitz, eine Aktentasche stand geöffnet auf dem Boden. Sie warf einen vorsichtigen Blick hinein. Aber außer eingepackten Broten und zwei Äpfeln war die Tasche leer. Nirgendwo waren Pläne zu sehen. Das konnte doch einfach nicht wahr sein. Wie sollten sie denn ohne genaue Anleitung arbeiten können?
Sie fragte den Schnauzbart nach der Handy-Nummer von Hastings und er verstand sie auch, zuckte aber ratlos mit den Schultern. Seinen Kollegen fragte sie gar nicht erst.
Sie nahm sich vor, am nächsten Tag in Hastings Büro zu fahren. Seine Sekretärin würde sicher wissen, wie er zu erreichen war.
Eine Stunde später fuhren sie und Tim in Richtung Inveran los. Ihr Bruder hatte von drei Ponys gehört, die bei einer Versteigerung angeboten wurden. Sofort tauchte vor ihrem geistigen Auge das Bild von verwahrlosten, hinkenden Ponys auf. Aber Tim beruhigte sie. Alle Tiere, die bei einer Auktion angeboten wurden, würden vorher von einem Tierarzt untersucht. Außerdem kenne er die Eigentümer flüchtig, sie seien keine Betrüger und ganz einfache Leute.
Piet blieb auf dem Hof, da er auf ein Telefonat wartete. Seine jüngste Tochter würde ihr zweites Kind bekommen. Sie fuhren eine halbe Stunde. Schon von Weitem sah Claire einen Flughafen. Bevor sie fragen konnte, sagte Tim: »Das ist der Connemara
Airport, von wo aus man zu den Inseln fliegt.«
»Welche Inseln?«
»Die Aran Islands. Inishmore, Inishmaan und Inisheer. Bei Gelegenheit werde ich sie dir gerne zeigen. Aber ich war auch noch nie dort.«
Die Aran Islands. Davon hatte Maureen doch geschrieben.
Kurz darauf kamen sie an. Der Reitstall lag außerhalb von Inveran in einer leichten Talsenke. Tim fuhr über einen holprigen Weg und der Wagen schaukelte hin und her und ebenso der Anhänger. Sie bogen ab auf eine abschüssige Weide, auf der sich bereits einige Hänger befanden.
Sie beobachtete einen jungen Mann, der neben einem Wagen stand, der rückwärts eingeparkt wurde. Ein anderer Mann öffnete gerade die Laderampe seines Hängers. Sie parkten und als Claire ausstieg, hörte sie einen Schwall irischer Worte, von denen sie kein einziges verstand.
Langsam schlenderten sie zu der Reithalle, in der die Auktion stattfinden sollte. Tim bekam einen Auktionskatalog in die Hand gedrückt und warf einen Blick auf die Besuchertribüne, die noch ziemlich leer war. Er schlug vor, einmal durch die Stallungen zu gehen und sich alles anzusehen. Claire war einverstanden. Sie gingen an großen Boxen vorbei, über sauber gefegte Stallgassen. Tim blieb bei dem einen oder anderen Pferd stehen und erklärte ihr dessen Vorzüge oder Nachteile und sie versuchte, seine Ausführungen zu verstehen.
Dann wurde es Zeit und sie gingen zurück zur Halle. Die Tribüne hatte sich mittlerweile gefüllt, aber sie fanden noch zwei nebeneinanderliegende Plätze.
Claire blätterte in dem Heft und betrachtete die Fotos. Alle Pferde sahen gut aus, waren sauber geputzt und frisiert. Bei einigen war sogar die Mähne eingeflochten. Die Ponys befanden sich ganz hinten im Heft und wirkten brav und gut erzogen.
Dann ging es los. Es war für Claire die erste Auktion und sie ärgerte sich sofort, weil viele der Besucher offenbar gar nicht mitsteigern wollten. Sie redeten laut, lachten, einer packte sogar ein Brot aus. Sie selbst war aufgeregt und verglich die vorgeführten Tiere mit den Fotos im Katalog. Die meisten Pferde enttäuschten sie aber. Eine Rappstute, die auf der Abbildung sehr edel und rassig gewirkt hatte, war in Wirklichkeit klein und hochbeinig und gefiel ihr überhaupt nicht mehr. Sie hatte einen schleichenden Gang, der sich auch nicht verbesserte, als der Vorführer mit der Zunge schnalzte.
»Sie geht nicht im Takt«, erklärte Tim. »Und sie zieht das rechte Hinterbein etwas nach. Nicht viel, aber man sieht es.«
Dann kam ein Fuchswallach, dessen Fell wie Öl glänzte. Er wieherte einmal laut und sie verglich auch ihn mit dem Foto im Katalog.
»Der scheint in Ordnung zu sein, oder?«, fragte sie leise. Aber ihr Bruder schüttelte den Kopf. Sie fragte nicht nach, irgendwann würde sie auch mehr von Pferden verstehen.
Sie beobachtete einen Bieter, der an einem Hengst interessiert war und das Tier schließlich auch ersteigerte, obwohl es unter dem Reiter mehrmals stieg. Der Hengst gefiel ihr. Er war ganz dunkel, fast schwarz, mit einer langen wilden Mähne und einem dichten Schweif. Er hieß laut Katalog ›Mortimer‹, was total zu ihm passte. Dann kam eine Schimmelstute, deren Schweif ebenfalls ganz dicht war und die sehr edel aussah mit ihrem seidig schimmernden Fell. Sie stupste Tim an und sagte, dass das Tier ihr gut gefalle, und Tim flüsterte: »Die taugt nichts, sieh dir doch mal die Kruppe an!«
Die Kruppe des Tieres war im Schachbrettmuster gebürstet, was sie ungeheuer chic fand.
»Wie kriegt man das hin?«, fragte sie. »Es sieht einfach toll aus.«
Tim lachte.
»Sie ist überbaut, deshalb hat man sie vielleicht auch so herausgeputzt.«
Tim hatte sicher recht, aber sie fand das Tier schön und zerbrach sich den Kopf darüber, wie man das Muster hinbekommen hatte.
Ihr gefiel noch eine andere Schimmelstute, ein großes Tier mit schönem Kopf. Aber auch an dieser fand Tim etwas auszusetzen.
»Sie ist kuhhessig«, raunte er ihr zu.
»Tatsächlich?«, fragte sie und hatte keine Ahnung, was er damit meinte.
Dann kamen die drei Ponys. Die Tribüne leerte ich bereits, nur noch zwei Männer blieben sitzen. Die Ponys taugten nichts. Ein kleiner Haflinger wehrte sich vehement gegen die Hand der Reiterin und reckte den Hals immer wieder bis zum Boden. Die junge Reiterin verzweifelte fast und gab ihm schließlich einen leichten Klaps mit der Gerte. Ein Fuchs mit zu großem Kopf bockte und weigerte sich, näher an die Bande zu gehen. Und ein Brauner schlug mit dem Kopf und blieb in der Mitte der Halle stehen, so sehr der Reiter auch die Schenkel einsetzte.
»Was hat es denn?«, fragte sie Tim.
»Er ist schlecht ausgebildet, das gilt für die beiden anderen auch. Der Fuchs hat Sattelzwang, sieh dir mal an, wie er den Rücken verspannt.«
Das Tier wirkte tatsächlich ziemlich verkrampft.
»Und sie haben ihn schon müde gemacht, damit er sich überhaupt satteln lässt«, mutmaßte Tim. »Er ist am Hals schon schweißnass.«
Dennoch fanden die Ponys einen neuen Besitzer, einen älteren Mann, der nicht sehr vertrauenerweckend aussah.
Nach der Auktion blieb Tim bei Bekannten stehen, mit denen er sich auf Englisch unterhielt, und Claire registrierte befriedigt, wie gut er die Sprache schon beherrschte. Er wirkte sehr souverän und ganz in seinem Element. Sie trafen auch auf die früheren Besitzer der Ponys und diese erzählten, dass sie die Tiere von Bekannten bekommen hatten, die damit ihre Schulden tilgen wollten.
»Sie wurden ordentlich reingelegt mit den Tieren«, sagte Tim auf dem Weg zum Wagen. »Aber sie sind sie ja Gott sei Dank losgeworden.«
Obwohl die Auktion für ihn nichts erbracht hatte, war Tim gut gelaunt. Er hatte einen Tipp für Ponys bekommen, die er sich in den nächsten Tagen ansehen wollte.
»Lass uns einen Kaffee trinken, ja?«, fragte er.
Sie schlenderten durch das Dorf, das Claire ein wenig enttäuschte. Sie hatte es sich anders vorgestellt. Einsam liegende Cottages, goldgelbe Sandstrände und saftige grüne Wiesen. Aber der Strand war felsig und das Dorf wirkte ärmlich. Es war kein bisschen romantisch.
Sie fanden ein Café mit Ausblick auf das Meer und setzten sich in die Nähe des Kachelofens. Sie waren die einzigen Gäste. Sofort erschien ein junges, kaugummikauendes Mädchen mit Pferdeschwanz und Lippenpiercing. Sie bestellten zwei Kaffee und Tim sprach von dem Pony, von dem er gehört habe, während Claire sich umsah. Das Café gefiel ihr. Es war altmodisch eingerichtet mit bunten Lampenschirmen, plüschigen Sitzbänken und Aquarellzeichnungen von filigranen Blumen.
Unvermittelt musste sie an Maureen denken, die so begeistert von Inveran gewesen war. Aber sie war verliebt gewesen, da sahen die Dinge anders aus. Sie genoss die Wärme und nippte an ihrem Kaffee und ließ Tim reden, ohne ihm zuzuhören.
Als sie bezahlten, begann das junge Mädchen ein Gespräch, als wolle sie widerwillig einer lästigen Pflicht Touristen gegenüber nachkommen. Sie fragte, ob sie auf die Inseln übersetzen würden.
»Wirklich sehenswert. Das Schloss Dun Aengus ist das schönste prähistorische Schloss Europas und liegt am Rande einer achtzig Meter hohen Klippe auf der Insel Inishmore. Oder das Dun Conor Castle auf Inishmaan. Oder, wenn man sich dafür interessiert, die anonymen Gräber auf der Inishere«, spulte sie ab und erinnerte Claire an Führer in bayrischen Schlössern. »Welche der drei ist denn die größte Insel?«, fragte Claire.
»Soviel ich weiß, die Inishmoore«, sagte das junge Mädchen.
»Und welche ist die schönste?«
»Keine Ahnung«, sie zuckte mit den Schultern und verschwand.
Auf der Rückfahrt sprach Tim von einer anderen Auktion, die er vor Monaten besuchte und auf der sich der Eigentümer eines Pferdes mit dem Auktionator zu streiten begann.
Sie kamen nur schlecht voran und es dämmerte bereits, als sie endlich den Hof erreichten. Claire kniff die Augen zusammen. Jemand stand vor der Haustür, eine junge Frau in einem Trenchcoat. Dann sah Tim sie ebenfalls.
»Ach je, das ist Jennifer. Vielleicht hat sie was von Nina gehört.«
Sie stiegen aus. Tim eilte sofort auf sie zu und Claire folgte ihm.
Aber Jennifer hatte keine wirklichen Neuigkeiten. Sie war in erster Linie gekommen, weil sie ein Pferd erworben hatte und dieses gerne bei Tim unterstellen wollte.
Tim war im Stall verschwunden, während Claire mit Jennifer einen Tee trank. Die junge Frau hatte hübsche Gesichtszüge, die aber durch ihr Übergewicht nicht recht zur Geltung kommen wollten. Sie sei schon als Kind dick gewesen, erzählte sie Claire treuherzig. Obwohl sie kaum Süßigkeiten aß. Mittlerweile habe sie den Kampf gegen die Pfunde aufgegeben und kaufe sich nur noch weite Sachen.
Claire schmunzelte, als sie den über einen Stuhl geworfenen Trenchcoat sah. Dann fragte sie Jennifer über ihren Beruf aus.
»Ich mache Ermittlung und Beobachtung im Geschäfts- und Privatbereich«, spulte sie hinunter. »Aber im Moment laufen die Geschäfte schlecht, deshalb arbeite ich noch in einem Restaurant als Bedienung.«
»Und das Pferd?«, fragte Claire und dachte bei sich, dass Jennifer für sie keine Fremde war. Es kam ihr so vor, als kenne sie die junge Frau schon ewig. Seltsam.
»Habe ich von einem Kunden, der nicht bezahlen konnte«, sagte sie freimütig. »Aber er gefällt mir und ich will ihn behalten. Ich muss nur Reitstunden nehmen und reiten lernen. Aber das wollte ich sowieso.«
Tim kam wieder zurück und Jennifer sagte, sie habe sich wegen Nina noch weiter umgehört.
»Jemand sagte mir, Nina sei nicht mit der Gruppe mitgegangen. Im Auto hätte sie jedenfalls nicht gesessen. Sie seien ohne sie gefahren. Aber ich weiß nicht, ob das stimmt. Mein Informant ist zurzeit verreist. Ich will da noch einmal nachhaken, sobald er zurück ist. Mehr kann ich dir im Moment nicht sagen.«
Dann kam sie auf ihr Pferd zu sprechen und Tim erklärte sich bereit, es bei sich unterzustellen.
»Aber du musst das Futter bezahlen und beim Ausmisten helfen«, sagte er ernst und Claire dachte wieder, wie erwachsen er doch geworden war.
Jennifer fuhr gegen zehn Uhr. Als sie fort war, sagte Tim: »Obwohl sie ganz anders aussieht, erinnert sie mich ein wenig an Nina.«
»Ja«, stimmte sie sofort zu. »So ergeht es mir auch.«
Während Tim noch einmal nach den Pferden sah, ging Claire hinüber ins Steinhaus, in der Hoffnung, dass die Arbeiter weitergekommen waren. Aber der Durchbruch war immer noch nicht geschafft, das Loch nur geringfügig größer.